Anekdoten aus der Innenstadt
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Anekdoten aus der Innenstadt
44 | StattBlatt | Sonderausgabe Spurensuche 2013 Postkarte Grevenbroich Stadtmitte um 1960 © Irmgard Krips Anekdoten aus der Innenstadt Die meisten von uns erinnern sich hin und wieder gerne an die gute alte Zeit zurück. Gemeinsam mit Freunden und Verwandten schwelgt man in liebevollen Erinnerungen und lässt längst Vergangenes wieder aufleben. Früher war – trotz bekannter Redewendung – sicherlich nicht alles besser, aber schön war es trotzdem. Die vielen Geschichten, insbesondere die kleinen, welche sich im Laufe der Jahre ereignen, sind es mehr als Wert, gesammelt und weitererzählt zu werden. Zu viele schöne Dinge geraten sonst immer ein wenig mehr in Vergessenheit. In diesem Monat haben sich einige Grevenbroicher die Zeit genommen, zusammen mit uns einen Blick zurück zu werfen: auf alte Geschäfte, Gaststätten und natürlich auf einige Originale unserer Schlossstadt. Die kommenden Seiten nehmen Sie mit auf eine kleine Zeitreise quer durch die Innenstadt. Und wer weiß, vielleicht rufen diese Anekdoten auch bei Ihnen wieder so manche Erinnerung wach ... Zeitzeugen Dieter „Kaki“ Kaltz | Schabernack beim Schützenfest » Was wäre das Grevenbroicher Schützenfest ohne ein schönes Jahrbuch voller Neuigkeiten, Fotos und Anekdoten? Und wie käme das Jahrbuch zustande, wenn es Dieter Kaltz und seine Familie nicht gäbe? Seit nunmehr 38 Jahren sind sie für Satz & Druck verantwortlich, seit gut 21 Jahren sogar für das Gesamtkonzept. „Die Jahrbücher sind unsere Hauptarbeit für den Verein und werden kurz vor dem Biwak vorgestellt“, so der Grevenbroicher. Als Mitglied des BSV Grevenbroich ist das Engagement für ihn selbstverständlich. Seine Passion ist der Marinezug „Gesellschaft Wasserfreunde“, der es mit dem kühlen Nass manchmal etwas zu genau nimmt: An einem schönen Kirmessonntag machte man sich gemeinsam auf den Weg zum gemütlichen Mittagessen – man braucht schließ- Sonderausgabe Spurensuche 2013 | StattBlatt | 45 Justizrat Philipp Schlock 1845 1921 | Elisabeth Schlick geb. Eitel 1845 1932 Der „Figaro“, Friedel Holl • Bild aus Festbuch 150 Jahre BSV 1849 Grevenbroich e.V. lich eine vernünftige Grundlage – und Dieter Kaltz wurde in einem Einkaufswagen den Weg an der Erft entlang geschoben. Doch ehe er sich versah, schubste man ihn kurzerhand in die Erft hinein. „Also saß ich kurz darauf nur mit Unterhose und einer Tischdecke bekleidet beim Mittagessen. Meine Paradeuniform war klitschnass und konnte bis zum Umzug am Nachmittag nur mit Mühe und Not getrocknet werden“, erinnert sich Dieter Kaltz schmunzelnd. In der Vergangenheit hat man während der Kirmestage ganz schön viel Blödsinn gemacht und alle haben sich köstlich darüber amüsiert. Allen voran der begeisterte Schütze „Figaro“, von Beruf Friseur, der z.B. gerne mit einem Stock auf seiner Krawatte Geige spielte und dazu fröhliche Lieder pfiff. „Er hat Blödsinn ohne Ende gemacht“, lacht Dieter Kaltz, „Damals war das auch noch möglich. Heute wird man leider bereits für kleinste Lausbubenstreiche bestraft.“ Es gab auch so manches Schützenoriginal, das sich freitags für die Kirmes verabschiedete und erst mittwochs nach dem Fischessen wieder nach Hause kam: „Und kein Mensch wusste, wo derjenige geschlafen und sich pünktlich zum Umzug parat gemacht hatte.“ Was die Vorkehrungen betrifft, ist Schützenfest leider nicht mehr das, was es einmal war: „Die Sicherheitsvorkehrungen werden immer strenger und man benötigt heute unzählige Genehmigungen – als wolle man ein Haus bauen. Der Vorstand muss heute vorab so allerhand erledigen, was man als Schütze oder Gast gar nicht mitbekommt.“ Doch zum Glück bleiben Vorfreude und Engagement ungebrochen, was sich eben auch im Jahrbuch des BSV widerspiegelt: „Wir freuen uns immer über jeden Grevenbroicher, ob Schütze oder nicht, der uns im Laufe des Jahres aktuelle oder historische Geschichten vom Schützenfest oder entsprechende Fotos liefern kann. Denn wir wollen auch in den kommenden Jahren ein buntes Jahrbuch präsentieren.“ Der letzte Abgabetermin für Bilder, Anekdoten & Co. für das kommende Jahrbuch ist übrigens am 1. Juni 2014. « Friedrich Schmitz | Das (beinahe) Duell im Bend » Einst errichtete Justizrat Philipp Andreas Schlick (1845-1921) für sich und seine Familie auf der Bahnstraße in Grevenbroich ein stattliches Haus, in dem sich auch seine Anwaltspraxis befand. Mit seiner Frau Elisabeth (1845-1932) hatte er zwei Kinder, Sohn Josef (1866-1963) und Tochter Maria (1889-1976). Maria war eine hübsche junge Frau und dem jungen Reiner Herriger aus Barrenstein sehr zugetan. Dieser war ein Schulkamerad ihres Bruders Josef und somit häufig bei Familie Schlick zu Gast. Dass sich Maria Maria Schlick 1889 1976 | Rechtsanwalt Josef Schlick 1886 1963 war lange Jahre Justitiar beim BSV Grevenbroich und Reiner mit der Zeit näher kamen, wurde von beiden Familien gern gesehen. Nach der Schule begann Reiner Herriger jedoch seinen Militärdienst in Kiel, wo er sich Hals über Kopf in die attraktive Christine Dahlmann verliebte und sie schon nach kurzer Zeit heiratete. Maria Schlick wartete vergeblich auf die Rückkehr ihrer Jugendliebe. Einige Zeit verging, bis im Hotel zur Traube (damals noch „Dichgans“) der Ball des Kriegervereins ausgerichtet wurde, an dem die Eheleute Christine und Reiner Herriger teilnahmen. Ebenso war Justizrat Philipp Schlick, Vater der verlassenen Maria, anwesend. Man kann sich vorstellen, wie erbost er über das Erscheinen der beiden war. So kam es, dass er wutentbrannt auf Reiner Herriger zuschritt und ihm vor den Augen aller Anwesenden die Schulterklappen von der Uniform riss. Diese Geste galt damals unter Offizieren als schwere Beleidigung und bedeutete, dass sich die beiden duellieren mussten. Entsprechend groß war die Aufregung unter den Gästen. Obwohl die meisten den Vorfall bedauerten, war der eine oder andere Gast auch gespannt auf das ungewohnte „Spektakel“, welches in aller Frühe im Bend stattfinden sollte. Bevor es jedoch zum entscheidenden Waffengang kam, ging der damalige Pfarrer Joseph Steinmetz energisch zwischen die beiden Männer und schaffte es, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. Während Maria Schlick, die von der Männerwelt arg enttäuscht war, Zeit ihres Lebens ledig blieb, führten Reiner und Christine, deren Ehe kinderlos blieb, ein aufregendes Leben in den Großstädten Europas. Man munkelt, dass sie einmal so viel Geld in Monte Carlo verspielt haben, dass sie eines ihrer Güter – Haus Leusch – verkaufen mussten. Ein Schnäpschen in Ehren ... Es gab in unserem Schlossstädtchen mal eine Zeit, in der es in den Lokalen üblich war, den Schnaps aus einem Fässchen zu zapfen, das gleich auf der Theke stand. Eine Sitte, die dem damaligen 46 | StattBlatt | Sonderausgabe Spurensuche 2013 Pfarrer von St. Peter und Paul ganz und gar nicht gefiel. Besorgt um das Allgemeinwohl warnte er seine Gläubigen im Rahmen einer Sonntagspredigt vor all den Gefahren, die mit dem übermäßigen Alkoholausschank in der Stadt einhergingen. An besagter Messe nahmen unter anderem auch der Wirt Joseph Portz aus der Gaststätte am Markt und sein Kollege Peter Froitzheim aus der Kölner Straße teil. Als sich die beiden nach dem Segen aufmachten und zum Kirchenausgang schlenderten, wandte sich Peter Froitzheim seinem Kollegen zu und beteuerte: „Jupp, dä Pastuur kann mech nett gement hann!“ Joseph Portz fragte daraufhin lautstark und erstaunt: „Wiesu?“ Nun gehörte ihnen die Aufmerksamkeit der übrigen Anwesenden und Peter Froitzheim antwortete: „Pastuur hat von denne Weetschaffte jekallt, in denne dä Schnaps aus einem Fass op der Theek verkauft wird. En minger Weetschaff stonn ävver zwei Fässchen op der Theek.“ Damals bei „Stinnes“ Eine sehr beliebte ehemalige Gaststätte der Innenstadt, aus der bis heute viele Anekdoten überliefert sind, war die Gaststätte Brendgen (ehemals „Schützenhof“, Breite Straße 15). Sie wurde weit und breit schlicht „Stinnes“ genannt – nach dem Vornamen „Christine“, der Ehefrau des Wirtes Fritz Brendgen. Die umsatzstarke Gaststätte wurde nach seinem Tod von seinem Sohn Heinrich Brendgen erfolgreich weitergeführt, später von Heike Pfennings (geb. Lauter), Gunther Schneider und schließlich von Heribert Becker. „Stinnes“ war ein kleines, aber feines Lokal, in dem sich die Gäste über Jahrzehnte rundum wohl fühlten und das sogar über eine Kegelbahn verfügte. Sowohl die Gäste als auch die Inhaber waren immer für ein Späßchen zu haben. Als einmal ein Stammgast, der etwas zu tief ins Glas geschaut hatte, am Abend an seinem Platz einschlummerte, löschten der Wirt und die übrigen Gäste schnell das Licht. Nachdem es im Raum stockdunkel war, taten sie jedoch weiterhin so, als ob alles seinen gewohnten Lauf nahm und der Kneipenbetrieb weiterginge. Kurz darauf erwachte der Eingeschlafene, fand sich irritiert im Dunkeln wieder und hörte seine Mit zecher offensichtlich weiter Karten spielen und lachen. Vor lauter Schreck rief er: „Esch ben blenk! Esch ben blenk!“ (Zu Hochdeutsch: „Ich bin blind!“) Die Erleichterung war riesengroß, als der Gastwirt schließlich wieder das Licht einschaltete. Ebenso genoss der Küster der Kirche St. Peter und Paul gerne ab und an ein kühles Bierchen bei „Stinnes“, bevor er seinen täglichen Pflichten in der Kirche nachging. Dazu gehörte, regelmäßig zu Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz festen Zeiten die Abendglocke mit der Hand zu läuten. Eines schönen Abends kam man auf die Idee, die Uhr in der Gaststätte um eine Stunde vor zu stellen. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr machte sich der Küster an diesem Abend pflichtbewusst auf den Weg, die Kirchturmglocke zu läuten. Als er kurz darauf von den Bewohnern der Stadt darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er eine Stunde zu früh geläutet und somit für Verwirrung gesorgt hatte, war er völlig verblüfft. Erwähnenswert ist auch, dass einmal ein paar Gäste aus der nahe gelegenen Metzgerei Sutkamp einen Schinken stibitzten, während der Metzgermeister bei „Stinnes“ in Ruhe sein Feierabendbierchen trank. Den Schinken gab man heimlich dem eingeweihten Gastwirt Brendgen, der ihn in der Küche aufschneiden und den Gästen – darunter auch noch der Metzger selbst – servieren ließ. Als der Metzgermeister den Schinken probiert hatte und verkündete, dass das kein Schinken aus seiner Metzgerei sein könne, da sein Schinken viel besser schmecken würde, war das Gelächter natürlich groß. Leider war am 29. Dezember 1990 schließlich „Kehraus“ bei der beliebten Gastwirtschaft „Stinnes“: Sie musste einer Umlegung des benachbarten Grundbesitzes und somit einem neuen, modernen Geschäftshaus weichen. « Hubert Grippekoven | Eine Jugend in der Innenstadt » Man kann Hubert Grippekoven getrost als waschechtes Innenstadtkind bezeichnen. Während seiner Kindheit in den 70er Jahren haben er und seine Freunde die Fußgängerzone unsicher gemacht: „Sie war damals unser Spielplatz. Dort haben wir Verstecken, Fangen und Rollhockey gespielt.“ Selbst dann, wenn viele Fußgänger unterwegs waren, wobei die Fußgängerzone damals noch nicht Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz Sonderausgabe Spurensuche 2013 | StattBlatt | 47 so sehr frequentiert wurde wie heute. Der dortige Straßenbelag war dafür bestens geeignet. „Wir waren teilweise bis zu 15 Kinder und Spazierstöcke dienten uns als Schläger. Außerdem gab es an der Unterführung am ehemaligen Kaufhof Rampen, die wir mit unseren Rollschuhen hinunterpesen konnten.“ Ging mal ein Rollschuh kaputt, hatten „Zweirad Kraus“ oder Dr. Baumeister immer ein Schräubchen für die Reparatur übrig, wobei man ab und zu auch mittels Einmachgummi abenteuerliche Eigenkonstruktionen zauberte. Am Synagogenplatz traf man sich regelmäßig am Kiosk von Frau Nellen (heute steht dort das Reformhaus Gauls), um Süßigkeiten und Eis für ein paar Groschen zu kaufen. Kaum war man raus aus den Kinderschuhen und auf der weiterführenden Schule, dem Erasmus Gymnasium, verschlug es einen automatisch in das gegenüberliegende Hansa. Und das nicht nur nach der Schule, sondern auch in den Freistunden. So kam man während der „Sturm und Drang Zeit“ manchmal sogar mit einer kleinen Fahne zurück zum Unterricht. „Wir haben dort so manche Stunde beim Flippern und Tuppen verbracht. ‚Krümel’, der damalige Wirt, öffnete uns sogar früh morgens auf Anklopfen die Tür“, erinnert sich Hubert Grippekoven. Zwischendurch ging es in der Pause auch auf ein Stück Kirschstreusel bzw. ein Marzipanhörnchen zur Bäckerei Wasen. Dafür musste man sich als Unterstufenschüler allerdings gepflegt vom Schulhof schleichen. Ein weiterer Jugendtreffpunkt war der so genannte „Pferdestall“, das katholische Jugendheim hinter der Kirche. Pferdestall deswegen, weil die Theke an einen solchen erinnerte. Dort fand nicht nur wöchentlich die beliebte „Teestube“ statt, sondern es wurden von den Messdienern und weiteren Jugendlichen legendäre Feten organisiert: „Da war immer richtig was los.“ In der Gaststätte „Brendgen“ auf der Breite Straße gründete man den Jägerzug „Brave Jonge“. Die Gaststätte wurde damals von Gunther Schneider geführt, dem später das „Sträußchen“ auf der Rheydter Straße gehörte. Unvergessen bleibt (nicht nur) so manchem Schützen auch die „Zille“ am Steinweg nahe dem Marktplatz. Wenn es am Kirmessonntag morgens in die Messe ging, zog der ein oder andere Schütze zwar brav mit in die Kirche ein, dann jedoch schnell zur rechten Seite wieder hinaus, um schnellen Schrittes der „Zille“ einen Besuch abzustatten und flüssig zu frühstücken. „Und nach der Messe reihte man sich schnell wieder bei den anderen Schützen ein“, ergänzt Hubert Grippekoven lachend. Ebenso ist ihm die legendäre „Beachparty“ der Zille in bester Erinnerung geblieben: „Dazu wurde der Fußboden, der mit Kopfsteinpflaster ausgelegt war, mit Tonnen von Sand bedeckt. Bei Untere Kö, © Familie Gauls Postkarte von Familie Gauls Livemusik kam in der kleinen gemütlichen Kneipe jedes Mal beste Stimmung auf.“ Peter Pick | Butterbrote für die Kinder » Im Sommer 1944 wohnten auf der Kegelbahn der Gaststätte „Kirsch“ (später „Königstuben“) ukrainische Zwangsarbeiterinnen und deren Kinder. Ein junges Mädchen von ihnen trug den Namen Katka und half ab und zu im Haushalt der Familie Pick. Eine Mieterin, Frau Höhnen, wohnte zu dieser Zeit im Haus der Familie. Eines Tages sah sie die junge Katka mit einem anderen kleinen Mädchen, das rachitische Beinchen hatte. Daraufhin holte sie die Mädchen in ihre Wohnung, machte ihnen Butterbrote und von da an kamen die beiden Mädchen regelmäßig vorbei. Frau Pick und Frau Höhnen entschieden sich schließlich, den Kindern ein vernünftiges Mittagessen zu geben. So kamen diese immer pünktlich um 12 Uhr zum Essen vorbei. Eines Tages bekam Frau Höhnen mit, dass jemand bei Familie Pick an der Tür klingelte und Frau Pick nach dem Öffnen ganz aufgeregt sprach. Beherzt nahm sie einen Korb und ging die Treppe hinunter, um angeblich Kartoffeln im Keller zu holen. An der Tür erkannte sie einen uniformierten Mann, der Frau Pick ein unzuverlässiges und unhaltbares Handeln vorwarf – es klang ganz nach einer Drohung. Frau Höhnen ging zu ihnen und Frau Pick war erleichtert, das unangenehme Gespräch an Frau Höhnen abgeben zu können, die den Parteimann mit in ihr Wohnzimmer nahm. Dort angekommen, erinnerte der Uniformierte Frau Höhnen da ran, dass sich gewisse „Verpflichtungen aus der Zugehörigkeit ihres Mannes zur Partei ergaben“ und machte auch ihr den Vorwurf, die „Kinder des Feindes zu unterstützen“. Allerdings entkräftete Frau Höhnen diesen Vorwurf durch den Hinweis, dass es sich bei den Mädchen um kranke Kinder und nicht um „Feinde“ handelte. Daraufhin wurde der Besucher ein wenig ruhiger, blieb jedoch dabei, dass sein Besuch eine Warnung sei. Damit schien der Fall erledigt zu sein, doch die beiden Mütter waren nach diesem Vorfall so besorgt, dass sie von dem Mittagessen abließen. Aber sie ließen sich nicht ganz abschrecken: Der jungen Katka gaben sie weiterhin einen großen Henkelmann voller Essen für das kranke Mädchen mit, wenn sie abends nach der Arbeit zurück in das Lager auf der heutigen Königstraße zurück musste. « K. S. | Erinnerungen an Dr. Josef Massia » Die Basis jeder Stadt bilden die vielen kleinen Geschichten, die sich tagtäglich in ihr abspielen sowie die unersetzlichen Persön- 48 | StattBlatt | Sonderausgabe Spurensuche 2013 1900 Kölnerstraße © Jürgen Larisch lichkeiten, an die man mit einem Lächeln auf den Lippen zurückdenkt. Hierzu gehört sicherlich der Allgemeinmediziner Dr. Josef Massia, der in Grevenbroich praktizierte. Es ereignete sich folgendes in der ehemaligen Gastwirtschaft „Brendgen“ auf der Breite Straße. Dort trafen sich Jung und Alt in geselliger Runde, darunter Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre auch Dr. Massia – von vielen auch gern „Massias-Jupp“ bzw. „Massians-Jupp“ genannt – und „Uhu“ Seuren, der im nahe gelegenen „Resi-Kino“ arbeitete und fest davon überzeugt war, seine Mitmenschen hypnotisieren zu können. Eines Abends stellte sich Dr. Massia vor den Augen zahlreicher Gäste freiwillig für eine Hypnose zur Verfügung. Als „Uhu“ Seuren den Freiwilligen vermeintlich hypnotisiert hatte, legte sich dieser flach auf den Fußboden und regte sich nicht Breitestraße 1958 mehr. Auch, als Wissenswertes Das Hotel zur Traube, welches heute noch existiert, war in früheren Tagen dankbarer Abnehmer der Fische, die der junge Carl Oberbach nahe der Breitestraße aus der Erft angelte. Das Hotel profitierte vom günstigen Preis für den Fisch und Carl Oberbach freute sich natürlich darüber, sein Taschengeld ein wenig aufbessern zu können. Nach dem Krieg konnten die Wirte der Stadt ihren Gästen nur wenige alkoholische Getränke anbieten. So brachten einige Gäste einfach ihr Lieblingsgetränk von zu Hause mit und zahlten dem Wirt das so genannte „Korkengeld“ für die Gläser. Besonders beliebt war in diesen Tagen der „Knolli Brandy“ – ein schwarzgebrannter Rübenschnaps. Die Metzgereien auf der Kölner Straße waren in der Vergangenheit weit und breit wegen ihrer guten Wurstwaren bekannt. Nachdem lange Zeit nur Bratwurst, Leberwurst und Blutwurst verkauft wurden, war es eine Besonderheit, als Metzger Wilhelm Weber (damals „Uhu“ Seuren ihn wieder aus der Hypnose zurückholen wollte, blieb Dr. Massia reglos liegen. Nachdem einige Zeit vergangen war, bekam der Hypnotiseur langsam Panik und wollte schon einen Arzt rufen – doch bevor dies geschehen konnte, wurde der Scherz natürlich aufgelöst. Für König Fußball hatte Dr. Massia auch zeitlebens sehr viel übrig. Sein Ausruf „Läuferreihe vor!“ dürfte heute noch vielen bekannt sein – er gebrauchte ihn selbst dann noch gerne, als Der Markt, ©Familie Gauls dieses Fußballsystem gar nicht mehr aktuell war. Zu Beginn der 50er Jahre besuchte er ein Auswärtsspiel Grevenbroichs in Odenkirchen, bei dem Grevenbroich 2 : 3 gewann. Als äußerst emotionaler Fußballfan macht er am Spielfeldrand auf sich aufmerksam und legte sich vermutlich verbal mit einigen Fans der gegnerischen Mannschaft an. Nach dem Spiel verließ er deswegen schleunigst den Platz und flüchtete zunächst in den Wagen einiger anderer Grevenbroicher, die vor Ort waren. Als sich eine immer größer werdende Menschenmenge um den Wagen versammelte und sogar daran rüttelte, passte er einen kurzen, geeigneten Moment ab, hüpfte aus dem Wagen und rannte Hals über Kopf zu einem gegenüberliegenden Behelfsheim. Kaum hatte er dieses erreicht, machte er einen filmreifen Hechtsprung durch ein geschlossenes (!!!) Fenster, um sich vor der tobenden Meute in Sicherheit zu bringen. Erst als die Polizei kam, traute er sich wieder heraus. Dieser Fenstersprung wurde kurz darauf sogar mit einer Großfackel zum Grevenbroicher Fackelzug gewürdigt. Die ganze Aufregung nach dem Fußballspiel war übrigens umsonst: Das Spiel musste nämlich zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden ... « auf der Kölner Straße 39) zusätzlich roten und weißen Schwartenmagen anbot. Damit konnte er viele neue Kunden gewinnen. Über die ehemaligen Wirte Josef Houben (Gaststätte am Alten Schloss) und Lyrmann schrieb die WZ am 5. September 1959: „Morgens erschien Houben bei Lyrmann an der Theke: ‚E Schnäppske’ und legte einen Groschen hin. Es dauerte gewöhnlich nicht lange, und Lyrmann stattete seinem Kollegen einen Gegenbesuch ab: ‚E Schnäppske’ und Houben erhielt den Groschen zurück. Die beiden Wirte und der Groschen wanderten dann noch oft am Tag hin und her, und wenn der Groschen seine Wirkung getan hatte, pflegten sie erstaunt festzustellen: ‚Möt en und däselve Groschen, billijer jing et net.’“ Mit bestem Dank an die folgenden Quellen: Ganschinietz, Manfred: Grevenbroicher Gaststätten in alter Zeit 1859-1949, Schmitz, Dr. Friedrich: Gaststätte Brendgen („Stinnes“) in Grevenbroich & Das verhinderte Duell (BSV Grevenbroich Jahrbücher), Manfred Ganschinietz, Hubert Grippekoven, Dieter Kaltz, Bernhard Oberbach, Friedrich Schmitz und K. S.