Anekdoten aus der Innenstadt

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Anekdoten aus der Innenstadt
44 | StattBlatt | Sonderausgabe Spurensuche 2013
Postkarte Grevenbroich Stadtmitte um 1960 © Irmgard Krips
Anekdoten aus der Innenstadt
Die meisten von uns erinnern sich hin und wieder gerne an die gute alte Zeit zurück. Gemeinsam mit Freunden und Verwandten schwelgt man in liebevollen Erinnerungen und lässt längst Vergangenes wieder aufleben. Früher war – trotz bekannter Redewendung – sicherlich nicht alles besser, aber schön war es trotzdem. Die vielen Geschichten, insbesondere
die kleinen, welche sich im Laufe der Jahre ereignen, sind es mehr als Wert, gesammelt und weitererzählt zu werden. Zu
viele schöne Dinge geraten sonst immer ein wenig mehr in Vergessenheit. In diesem Monat haben sich einige Grevenbroicher die Zeit genommen, zusammen mit uns einen Blick zurück zu werfen: auf alte Geschäfte, Gaststätten und natürlich
auf einige Originale unserer Schlossstadt. Die kommenden Seiten nehmen Sie mit auf eine kleine Zeitreise quer durch die
Innenstadt. Und wer weiß, vielleicht rufen diese Anekdoten auch bei Ihnen wieder so manche Erinnerung wach ...
Zeitzeugen
Dieter „Kaki“ Kaltz | Schabernack beim Schützenfest
» Was wäre das Grevenbroicher Schützenfest ohne ein schönes
Jahrbuch voller Neuigkeiten, Fotos und Anekdoten? Und wie käme
das Jahrbuch zustande, wenn es Dieter Kaltz und seine Familie
nicht gäbe? Seit nunmehr 38 Jahren sind sie für Satz & Druck verantwortlich, seit gut 21 Jahren sogar für das Gesamtkonzept. „Die
Jahrbücher sind unsere Hauptarbeit für den Verein und werden
kurz vor dem Biwak vorgestellt“, so der Grevenbroicher. Als Mitglied des BSV Grevenbroich ist das Engagement für ihn selbstverständlich.
Seine Passion ist der Marinezug „Gesellschaft Wasserfreunde“,
der es mit dem kühlen Nass manchmal etwas zu genau nimmt:
An einem schönen Kirmessonntag machte man sich gemeinsam
auf den Weg zum gemütlichen Mittagessen – man braucht schließ-
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Justizrat Philipp Schlock 1845 1921 | Elisabeth Schlick geb. Eitel 1845 1932
Der „Figaro“, Friedel Holl • Bild aus Festbuch 150 Jahre BSV 1849 Grevenbroich e.V.
lich eine vernünftige Grundlage – und Dieter Kaltz wurde in einem
Einkaufswagen den Weg an der Erft entlang geschoben. Doch ehe
er sich versah, schubste man ihn kurzerhand in die Erft hinein.
„Also saß ich kurz darauf nur mit Unterhose und einer Tischdecke
bekleidet beim Mittagessen. Meine Paradeuniform war klitschnass
und konnte bis zum Umzug am Nachmittag nur mit Mühe und Not
getrocknet werden“, erinnert sich Dieter Kaltz schmunzelnd.
In der Vergangenheit hat man während der Kirmestage ganz schön
viel Blödsinn gemacht und alle haben sich köstlich darüber amüsiert. Allen voran der begeisterte Schütze „Figaro“, von Beruf Friseur, der z.B. gerne mit einem Stock auf seiner Krawatte Geige
spielte und dazu fröhliche Lieder pfiff. „Er hat Blödsinn ohne Ende
gemacht“, lacht Dieter Kaltz, „Damals war das auch noch möglich.
Heute wird man leider bereits für kleinste Lausbubenstreiche bestraft.“ Es gab auch so manches Schützenoriginal, das sich freitags
für die Kirmes verabschiedete und erst mittwochs nach dem Fischessen wieder nach Hause kam: „Und kein Mensch wusste, wo derjenige geschlafen und sich pünktlich zum Umzug parat gemacht
hatte.“
Was die Vorkehrungen betrifft, ist Schützenfest leider nicht mehr
das, was es einmal war: „Die Sicherheitsvorkehrungen werden
immer strenger und man benötigt heute unzählige Genehmigungen – als wolle man ein Haus bauen. Der Vorstand muss heute
vorab so allerhand erledigen, was man als Schütze oder Gast gar
nicht mitbekommt.“ Doch zum Glück bleiben Vorfreude und Engagement ungebrochen, was sich eben auch im Jahrbuch des BSV
widerspiegelt: „Wir freuen uns immer über jeden Grevenbroicher,
ob Schütze oder nicht, der uns im Laufe des Jahres aktuelle oder
historische Geschichten vom Schützenfest oder entsprechende
Fotos liefern kann. Denn wir wollen auch in den kommenden Jahren ein buntes Jahrbuch präsentieren.“ Der letzte Abgabetermin
für Bilder, Anekdoten & Co. für das kommende Jahrbuch ist übrigens am 1. Juni 2014. «
Friedrich Schmitz | Das (beinahe) Duell im Bend
» Einst errichtete Justizrat Philipp Andreas Schlick (1845-1921)
für sich und seine Familie auf der Bahnstraße in Grevenbroich ein
stattliches Haus, in dem sich auch seine Anwaltspraxis befand.
Mit seiner Frau Elisabeth (1845-1932) hatte er zwei Kinder, Sohn
Josef (1866-1963) und Tochter Maria (1889-1976). Maria war eine
hübsche junge Frau und dem jungen Reiner Herriger aus Barrenstein sehr zugetan. Dieser war ein Schulkamerad ihres Bruders
Josef und somit häufig bei Familie Schlick zu Gast. Dass sich ­Maria
Maria Schlick 1889 1976 | Rechtsanwalt Josef Schlick 1886 1963
war lange Jahre Justitiar beim BSV Grevenbroich
und Reiner mit der Zeit näher kamen, wurde von beiden Familien
gern gesehen. Nach der Schule begann Reiner Herriger jedoch
seinen Militärdienst in Kiel, wo er sich Hals über Kopf in die attraktive Christine Dahlmann verliebte und sie schon nach kurzer
Zeit heiratete. Maria Schlick wartete vergeblich auf die Rückkehr
ihrer Jugendliebe.
Einige Zeit verging, bis im Hotel zur Traube (damals noch „Dichgans“) der Ball des Kriegervereins ausgerichtet wurde, an dem
die Eheleute Christine und Reiner Herriger teilnahmen. Ebenso
war Justizrat Philipp Schlick, Vater der verlassenen Maria, anwesend. Man kann sich vorstellen, wie erbost er über das Erscheinen
der beiden war. So kam es, dass er wutentbrannt auf Reiner Herriger zuschritt und ihm vor den Augen aller Anwesenden die Schulterklappen von der Uniform riss. Diese Geste galt damals unter
Offizieren als schwere Beleidigung und bedeutete, dass sich die
beiden duellieren mussten. Entsprechend groß war die Aufregung
unter den Gästen. Obwohl die meisten den Vorfall bedauerten, war
der eine oder andere Gast auch gespannt auf das ungewohnte
„Spektakel“, welches in aller Frühe im Bend stattfinden sollte.
Bevor es jedoch zum entscheidenden Waffengang kam, ging der
damalige Pfarrer Joseph Steinmetz energisch zwischen die beiden
Männer und schaffte es, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten.
Während Maria Schlick, die von der Männerwelt arg enttäuscht
war, Zeit ihres Lebens ledig blieb, führten Reiner und Christine,
deren Ehe kinderlos blieb, ein aufregendes Leben in den Großstädten Europas. Man munkelt, dass sie einmal so viel Geld in
Monte Carlo verspielt haben, dass sie eines ihrer Güter – Haus
Leusch – verkaufen mussten.
Ein Schnäpschen in Ehren ...
Es gab in unserem Schlossstädtchen mal eine Zeit, in der es in den
Lokalen üblich war, den Schnaps aus einem Fässchen zu zapfen,
das gleich auf der Theke stand. Eine Sitte, die dem damaligen
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Pfarrer von St. Peter und Paul ganz und gar nicht gefiel. Besorgt
um das Allgemeinwohl warnte er seine Gläubigen im Rahmen
einer Sonntagspredigt vor all den Gefahren, die mit dem übermäßigen Alkoholausschank in der Stadt einhergingen. An besagter
Messe nahmen unter anderem auch der Wirt Joseph Portz aus
der Gaststätte am Markt und sein Kollege Peter Froitzheim aus
der Kölner Straße teil. Als sich die beiden nach dem Segen aufmachten und zum Kirchenausgang schlenderten, wandte sich
Peter Froitzheim seinem Kollegen zu und beteuerte: „Jupp, dä
Pastuur kann mech nett gement hann!“ Joseph Portz fragte daraufhin lautstark und erstaunt: „Wiesu?“ Nun gehörte ihnen die
Aufmerksamkeit der übrigen Anwesenden und Peter Froitzheim
antwortete: „Pastuur hat von denne Weetschaffte jekallt, in denne dä Schnaps aus einem Fass op der Theek verkauft wird. En
minger Weetschaff stonn ävver zwei Fässchen op der Theek.“
Damals bei „Stinnes“
Eine sehr beliebte ehemalige Gaststätte der Innenstadt, aus der
bis heute viele Anekdoten überliefert sind, war die Gaststätte
Brendgen (ehemals „Schützenhof“, Breite Straße 15). Sie wurde
weit und breit schlicht „Stinnes“ genannt – nach dem Vornamen
„Christine“, der Ehefrau des Wirtes Fritz Brendgen. Die umsatzstarke Gaststätte wurde nach seinem Tod von seinem Sohn Heinrich Brendgen erfolgreich weitergeführt, später von Heike Pfennings (geb. Lauter), Gunther Schneider und schließlich von Heribert
Becker.
„Stinnes“ war ein kleines, aber feines Lokal, in dem sich die Gäste über Jahrzehnte rundum wohl fühlten und das sogar über eine
Kegelbahn verfügte. Sowohl die Gäste als auch die Inhaber waren
immer für ein Späßchen zu haben. Als einmal ein Stammgast, der
etwas zu tief ins Glas geschaut hatte, am Abend an seinem Platz
einschlummerte, löschten der Wirt und die übrigen Gäste schnell
das Licht. Nachdem es im Raum stockdunkel war, taten sie jedoch
weiterhin so, als ob alles seinen gewohnten Lauf nahm und der
Kneipenbetrieb weiterginge. Kurz darauf erwachte der Eingeschlafene, fand sich irritiert im Dunkeln wieder und hörte seine Mit­
zecher offensichtlich weiter Karten spielen und lachen. Vor lauter
Schreck rief er: „Esch ben blenk! Esch ben blenk!“ (Zu Hochdeutsch: „Ich bin blind!“) Die Erleichterung war riesengroß, als
der Gastwirt schließlich wieder das Licht einschaltete.
Ebenso genoss der Küster der Kirche St. Peter und Paul gerne ab
und an ein kühles Bierchen bei „Stinnes“, bevor er seinen täglichen
Pflichten in der Kirche nachging. Dazu gehörte, regelmäßig zu
Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz
Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz
festen Zeiten die Abendglocke mit der Hand zu läuten. Eines schönen Abends kam man auf die Idee, die Uhr in der Gaststätte um
eine Stunde vor zu stellen. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr
machte sich der Küster an diesem Abend pflichtbewusst auf den
Weg, die Kirchturmglocke zu läuten. Als er kurz darauf von den
Bewohnern der Stadt darauf aufmerksam gemacht wurde, dass
er eine Stunde zu früh geläutet und somit für Verwirrung gesorgt
hatte, war er völlig verblüfft.
Erwähnenswert ist auch, dass einmal ein paar Gäste aus der nahe
gelegenen Metzgerei Sutkamp einen Schinken stibitzten, während
der Metzgermeister bei „Stinnes“ in Ruhe sein Feierabendbierchen
trank. Den Schinken gab man heimlich dem eingeweihten Gastwirt
Brendgen, der ihn in der Küche aufschneiden und den Gästen –
darunter auch noch der Metzger selbst – servieren ließ. Als der
Metzgermeister den Schinken probiert hatte und verkündete, dass
das kein Schinken aus seiner Metzgerei sein könne, da sein Schinken viel besser schmecken würde, war das Gelächter natürlich
groß.
Leider war am 29. Dezember 1990 schließlich „Kehraus“ bei der
beliebten Gastwirtschaft „Stinnes“: Sie musste einer Umlegung
des benachbarten Grundbesitzes und somit einem neuen, modernen Geschäftshaus weichen. «
Hubert Grippekoven | Eine Jugend in der Innenstadt
» Man kann Hubert Grippekoven getrost als waschechtes Innenstadtkind bezeichnen. Während seiner Kindheit in den 70er Jahren
haben er und seine Freunde
die Fußgängerzone unsicher
gemacht: „Sie war damals unser Spielplatz. Dort haben wir
Verstecken, Fangen und Rollhockey gespielt.“ Selbst dann,
wenn viele Fußgänger unterwegs waren, wobei die Fußgängerzone damals noch nicht
Gaststätte Brendgen, © Dr. Friedrich Schmitz
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so sehr frequentiert wurde wie heute. Der dortige Straßenbelag
war dafür bestens geeignet. „Wir waren teilweise bis zu 15 Kinder
und Spazierstöcke dienten uns als Schläger. Außerdem gab es an
der Unterführung am ehemaligen Kaufhof Rampen, die wir mit
unseren Rollschuhen hinunterpesen konnten.“ Ging mal ein Rollschuh kaputt, hatten „Zweirad Kraus“ oder Dr. Baumeister immer
ein Schräubchen für die Reparatur übrig, wobei man ab und zu
auch mittels Einmachgummi abenteuerliche Eigenkonstruktionen
zauberte. Am Synagogenplatz traf man sich regelmäßig am Kiosk
von Frau Nellen (heute steht dort das Reformhaus Gauls), um
Süßigkeiten und Eis für ein paar Groschen zu kaufen.
Kaum war man raus aus den Kinderschuhen und auf der weiterführenden Schule, dem Erasmus Gymnasium, verschlug es einen
automatisch in das gegenüberliegende Hansa. Und das nicht nur
nach der Schule, sondern auch in den Freistunden. So kam man
während der „Sturm und Drang Zeit“ manchmal sogar mit einer
kleinen Fahne zurück zum Unterricht. „Wir haben dort so manche
Stunde beim Flippern und Tuppen verbracht. ‚Krümel’, der damalige Wirt, öffnete uns sogar früh morgens auf Anklopfen die Tür“,
erinnert sich Hubert Grippekoven. Zwischendurch ging es in der
Pause auch auf ein Stück Kirschstreusel bzw. ein Marzipanhörnchen zur Bäckerei Wasen. Dafür musste man sich als Unterstufenschüler allerdings gepflegt vom Schulhof schleichen. Ein weiterer Jugendtreffpunkt war der so genannte „Pferdestall“, das
katholische Jugendheim hinter der Kirche. Pferdestall deswegen,
weil die Theke an einen solchen erinnerte. Dort fand nicht nur wöchentlich die beliebte „Teestube“ statt, sondern es wurden von den
Messdienern und weiteren Jugendlichen legendäre Feten organisiert: „Da war immer richtig was los.“
In der Gaststätte „Brendgen“ auf der Breite Straße gründete man
den Jägerzug „Brave Jonge“. Die Gaststätte wurde damals von
Gunther Schneider geführt, dem später das „Sträußchen“ auf der
Rheydter Straße gehörte. Unvergessen bleibt (nicht nur) so manchem Schützen auch die „Zille“ am Steinweg nahe dem Marktplatz.
Wenn es am Kirmessonntag morgens in die Messe ging, zog der
ein oder andere Schütze zwar brav mit in die Kirche ein, dann jedoch schnell zur rechten Seite wieder hinaus, um schnellen Schrittes der „Zille“ einen Besuch abzustatten und flüssig zu frühstücken. „Und nach der Messe reihte man sich schnell wieder bei den
anderen Schützen ein“, ergänzt Hubert Grippekoven lachend.
Ebenso ist ihm die legendäre „Beachparty“ der Zille in bester Erinnerung geblieben: „Dazu wurde der Fußboden, der mit Kopfsteinpflaster ausgelegt war, mit Tonnen von Sand bedeckt. Bei
Untere Kö, © Familie Gauls
Postkarte von Familie Gauls
Livemusik kam in der kleinen gemütlichen Kneipe jedes Mal beste Stimmung auf.“
Peter Pick | Butterbrote für die Kinder
» Im Sommer 1944 wohnten auf der Kegelbahn der Gaststätte
„Kirsch“ (später „Königstuben“) ukrainische Zwangsarbeiterinnen
und deren Kinder. Ein junges Mädchen von ihnen trug den Namen
Katka und half ab und zu im Haushalt der Familie Pick. Eine Mieterin, Frau Höhnen, wohnte zu dieser Zeit im Haus der Familie.
Eines Tages sah sie die junge Katka mit einem anderen kleinen
Mädchen, das rachitische Beinchen hatte. Daraufhin holte sie die
Mädchen in ihre Wohnung, machte ihnen Butterbrote und von da
an kamen die beiden Mädchen regelmäßig vorbei. Frau Pick und
Frau Höhnen entschieden sich schließlich, den Kindern ein vernünftiges Mittagessen zu geben. So kamen diese immer pünktlich
um 12 Uhr zum Essen vorbei.
Eines Tages bekam Frau Höhnen mit, dass jemand bei Familie Pick
an der Tür klingelte und Frau Pick nach dem Öffnen ganz aufgeregt
sprach. Beherzt nahm sie einen Korb und ging die Treppe hinunter,
um angeblich Kartoffeln im Keller zu holen. An der Tür erkannte
sie einen uniformierten Mann, der Frau Pick ein unzuverlässiges
und unhaltbares Handeln vorwarf – es klang ganz nach einer Drohung. Frau Höhnen ging zu ihnen und Frau Pick war erleichtert,
das unangenehme Gespräch an Frau Höhnen abgeben zu können,
die den Parteimann mit in ihr Wohnzimmer nahm.
Dort angekommen, erinnerte der Uniformierte Frau Höhnen da­
ran, dass sich gewisse „Verpflichtungen aus der Zugehörigkeit
ihres Mannes zur Partei ergaben“ und machte auch ihr den Vorwurf, die „Kinder des Feindes zu unterstützen“. Allerdings entkräftete Frau Höhnen diesen Vorwurf durch den Hinweis, dass es
sich bei den Mädchen um kranke Kinder und nicht um „Feinde“
handelte. Daraufhin wurde der Besucher ein wenig ruhiger, blieb
jedoch dabei, dass sein Besuch eine Warnung sei. Damit schien
der Fall erledigt zu sein, doch die beiden Mütter waren nach diesem Vorfall so besorgt, dass sie von dem Mittagessen abließen.
Aber sie ließen sich nicht ganz abschrecken: Der jungen Katka
gaben sie weiterhin einen großen Henkelmann voller Essen für
das kranke Mädchen mit, wenn sie abends nach der Arbeit zurück
in das Lager auf der heutigen Königstraße zurück musste. «
K. S. | Erinnerungen an Dr. Josef Massia
» Die Basis jeder Stadt bilden die vielen kleinen Geschichten, die
sich tagtäglich in ihr abspielen sowie die unersetzlichen Persön-
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1900 Kölnerstraße © Jürgen Larisch
lichkeiten, an die man mit einem Lächeln auf den Lippen zurückdenkt. Hierzu gehört sicherlich der Allgemeinmediziner Dr. Josef
Massia, der in Grevenbroich praktizierte. Es ereignete sich folgendes in der ehemaligen Gastwirtschaft „Brendgen“ auf der Breite
Straße. Dort trafen sich Jung und Alt in geselliger Runde, darunter Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre auch Dr. Massia – von
vielen auch gern „Massias-Jupp“ bzw. „Massians-Jupp“ genannt
– und „Uhu“ Seuren, der im nahe gelegenen „Resi-Kino“ arbeitete und fest davon überzeugt war, seine Mitmenschen hypnotisieren
zu können. Eines Abends stellte sich Dr. Massia vor den Augen
zahlreicher Gäste
freiwillig für eine
Hypnose zur Verfügung. Als „Uhu“
Seuren den Freiwilligen vermeintlich hypnotisiert
hatte, legte sich
dieser flach auf
den Fußboden und
regte sich nicht
Breitestraße 1958
mehr. Auch, als
Wissenswertes
Das Hotel zur Traube, welches heute noch existiert, war in früheren
Tagen dankbarer Abnehmer der Fische, die der junge Carl Oberbach
nahe der Breitestraße aus der Erft angelte. Das Hotel profitierte vom
günstigen Preis für den Fisch und Carl Oberbach freute sich natürlich darüber, sein Taschengeld ein wenig aufbessern zu können.
Nach dem Krieg konnten die Wirte der Stadt ihren Gästen nur wenige alkoholische Getränke anbieten. So brachten einige Gäste einfach ihr Lieblingsgetränk von zu Hause mit und zahlten dem Wirt
das so genannte „Korkengeld“ für die Gläser. Besonders beliebt
war in diesen Tagen der „Knolli Brandy“ – ein schwarzgebrannter
Rübenschnaps.
Die Metzgereien auf der Kölner Straße waren in der Vergangenheit
weit und breit wegen ihrer guten Wurstwaren bekannt. Nachdem
lange Zeit nur Bratwurst, Leberwurst und Blutwurst verkauft wurden, war es eine Besonderheit, als Metzger Wilhelm Weber (damals
„Uhu“ Seuren ihn wieder aus der Hypnose zurückholen wollte,
blieb Dr. Massia reglos liegen. Nachdem einige Zeit vergangen war,
bekam der Hypnotiseur langsam Panik und wollte schon einen
Arzt rufen – doch bevor
dies geschehen konnte,
wurde der Scherz natürlich
aufgelöst.
Für König Fußball hatte Dr.
Massia auch zeitlebens
sehr viel übrig. Sein Ausruf
„Läuferreihe vor!“ dürfte
heute noch vielen bekannt
sein – er gebrauchte ihn
selbst dann noch gerne, als
Der Markt, ©Familie Gauls
dieses Fußballsystem gar
nicht mehr aktuell war. Zu
Beginn der 50er Jahre besuchte er ein Auswärtsspiel Grevenbroichs in Odenkirchen, bei dem Grevenbroich 2 : 3 gewann. Als äußerst emotionaler Fußballfan macht er am Spielfeldrand auf sich
aufmerksam und legte sich vermutlich verbal mit einigen Fans der
gegnerischen Mannschaft an. Nach dem Spiel verließ er deswegen
schleunigst den Platz und flüchtete zunächst in den Wagen einiger
anderer Grevenbroicher, die vor Ort waren. Als sich eine immer
größer werdende Menschenmenge um den Wagen versammelte
und sogar daran rüttelte, passte er einen kurzen, geeigneten Moment ab, hüpfte aus dem Wagen und rannte Hals über Kopf zu
einem gegenüberliegenden Behelfsheim. Kaum hatte er dieses
erreicht, machte er einen filmreifen Hechtsprung durch ein geschlossenes (!!!) Fenster, um sich vor der tobenden Meute in Sicherheit zu bringen. Erst als die Polizei kam, traute er sich wieder
heraus. Dieser Fenstersprung wurde kurz darauf sogar mit einer
Großfackel zum Grevenbroicher Fackelzug gewürdigt. Die ganze
Aufregung nach dem Fußballspiel war übrigens umsonst: Das
Spiel musste nämlich zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt
werden ... «
auf der Kölner Straße 39) zusätzlich roten und weißen Schwartenmagen anbot. Damit konnte er viele neue Kunden gewinnen.
Über die ehemaligen Wirte Josef Houben (Gaststätte am Alten
Schloss) und Lyrmann schrieb die WZ am 5. September 1959: „Morgens erschien Houben bei Lyrmann an der Theke: ‚E Schnäppske’
und legte einen Groschen hin. Es dauerte gewöhnlich nicht lange,
und Lyrmann stattete seinem Kollegen einen Gegenbesuch ab: ‚E
Schnäppske’ und Houben erhielt den Groschen zurück. Die beiden
Wirte und der Groschen wanderten dann noch oft am Tag hin und
her, und wenn der Groschen seine Wirkung getan hatte, pflegten
sie erstaunt festzustellen: ‚Möt en und däselve Groschen, billijer
jing et net.’“
Mit bestem Dank an die folgenden Quellen: Ganschinietz, Manfred: Grevenbroicher Gaststätten in alter Zeit
1859-1949, Schmitz, Dr. Friedrich: Gaststätte Brendgen („Stinnes“) in Grevenbroich & Das verhinderte Duell
(BSV Grevenbroich Jahrbücher), Manfred Ganschinietz, Hubert Grippekoven, Dieter Kaltz, Bernhard Oberbach,
Friedrich Schmitz und K. S.