mein leben - Bohol Bikers

Transcrição

mein leben - Bohol Bikers
RALPH »SONNY«
BARGER
UNTER M I T A R B E I T V O N KEITH UND KEN T Z I M M E R M A N
HELL'S
ANGE
L
MEIN
LEBEN
Europa Verlag
Hamburg • Wien
Für Sarrah
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei
Der Deutschen Bibliothek erhältlich.
Originalausgabe:
Hells Angel. The life and times of Sonny Barger
and the Hell's Angels Motorcycle Club
© Sonny Barger Productions, 2000
Deutsche Erstausgabe
© Europa Verla g GmbH Hamburg/Wien,
2. Auflage, Februar 2001
Lektorat: Imke Sörensen
Umschlaggestaltung: Kathrin Steigerwald, Hamburg
Foto: Ralph Nelson
Innengestaltung: H 8c G Herstellung, Hamburg
Druck und Bindung: Wiener Verlag, Himberg bei Wien
ISBN 3-203-75536-X
Informationen über unser Programm erhalten Sie beim
Europa Verlag, Neuer Wall 10,20354 Hamburg
oder unter www.europaverlag.de
Inhalt
Danksagungen 7
1
Treffpunkt Custer 9
2
Im Arbeiterviertel,
Jungle Jim's und
Ralph Sr. 19
Snake Pit 35
4
Harleys, Chopper,
Full Dressers
und geklaute Bikes 61
5
Die Hell's AngelsS 83
6
Old Ladies
und andere Chicks 115
LSD-Getränkte
Sechziger 139
8
Porterville 161
Let it bleed die Stones und wir 183
10
Mord, Chaos, gesetzloses
Leben 797
11
Im Knast -Angels auf Eis
217 12
RICO
237
13
Ratten und Verräter 263
14
Mein härtester Kampf 275
15
Neuanfang in Arizona 285
Die Knast-Tabelle 295
Glossar 299
DANKSAGUNGEN
Dank an alle, die mitgeholfen haben,
den Club und mich zu dem zu machen, was
wir heute sind.
Sonny
Dank an Fritz Clapp, Jim Fitzgerald, Cisco Valderrama,
Sharon Barger, Bud and Shirley Rogers, Kent Russell,
Mouldy Marvin Gilbert, Bobby Durt, Big AI Perryman,
Guinea Colucci, an den Oakland Hell's Angels MC, Paul
Slavit, Diane Austin, Bob Blasier, Ben Schafer, Paul
Bresnick, Ben Myron, Tony Scott und ganz besonders an
Deborah Zimmerman und Gladys Zimmerman und
Sonny, Noel und Sarrah.
Die Zimmermans
Der Europa Verlag bedankt sich ganz besonders bei
Michael Ahlsdorf, Bikers News, für seine fachliche
Unterstützung und die Erstellung des Glossars.
»Chief« auf der Maschine - Oakland, Herbst 1965. V.Ln.r,: Clifford »Skip«
Workman, Michael »Tiny« Walters, ich auf der Maschine und, hinter mir,
LittleRon.
GeneAnthony
l
TREFFPUNKT CUSTER
nsere Runs sind ein Treffen, eine mobile Party. Wenn man
ein Hell's Angel ist, wird daraus eine Show von Kraft und
Solidarität Das bedeutet, frei zu sein und von all dem
Quatsch davonzukommen. Angels machen keine Runs, weil sie
auf der Suche nach Krawall sind; wir wollen nur unsere Bikes fahren
und gemeinsam Spaß haben. Wir sind ein Club.
Die meisten Hell's Angels sind großartige Fahrer. Das ist schon
ein toller Anblick, eine Gruppe von Hell's Angels nebeneinander
und mit 130 Sachen über einen Highway donnern zu sehen. Im
Konvoi zu fahren ist etwas ganz anderes, als allein unterwegs zu
sein. Das ist schnell und gefahrlich, und man muß dabei verdammt
aufpassen. Was immer dem Guy vor dir passiert, passiert dir auch,
man muß ständig auf der Hut sein. So wie Fuzzy, ein Oakland
Angel, einst sagte: »Gottverflucht, wir fahren manchmal mit 140
oder 150 Sachen im Regen. So schnell fahr ich noch nicht mal mit
meinem Auto!«
In den späten 60ern, als die Hell's Angels Charter auch außerhalb
des Staates Kalifornien gegründet wurden, fingen wir damit an,
auch Runs durch die ganzen USA und schließlich durch die Welt
zu unternehmen. Auf diesen Runs trafen wir uns mit den neuen
Clubs, und deren Mitglieder begleiteten uns dann. Mann, wir
fuhren von Oakland nach New York auf diesen frühen, ungefederten Bikes, und die holperten so heftig, daß es schon eine große
Leistung war, wenn man die Dinger mit 90 Sachen noch in der
Gewalt behielt Die Vibration spürte man noch mindestens eine
Stunde, nachdem man abgestiegen war, als ein bebendes, taubes
Gefühl. Wenn man an einem Tag 500 oder 600 Kilometer schaffte,
U
Hell's Angel
9
Leg dich besser nicht mit diesen Kerlen an! VI n. r.: Cisco, Zorro, Terry The
Tramp und Deacon 1968.
Cisco Valderrama personal collection
dann hatte man einen Affenzahn draufgehabt. Ein anderes, großes
Problem war, daß man so etwa alle 50 bis 60 Kilometer eine Tankstelle finden mußte, denn auf den alten Maschinen mit ihren kleinen
Tanks kam man nur knapp 100 Kilometer weit. Heute fährt eine
Harley FXRT mit ihren in Gummi gelagerten Motoren und ihren
großen Benzintanks nicht nur viel weicher und bequemer, sie
schafft auch bis zu 1000 Kilometer an einem Tag mit ein paar
Tankfüllungen.
Wir von den Hell's Angels unterscheiden uns von all den anderen
Motorradfahrern durch unsere Maschinen und die Art und Weise,
wie wir sie fahren. Das ist für uns eine sehr wichtige Sache. Unsere
Bikes - das sind wir. Das wissen wir. Das wissen die Bullen, und
alle anderen sollten das auch wissen. Die Polizei und der Highway,
die beiden gehören zusammen. Selbst heute noch taucht die
Polizei sofort in Massen auf, wenn eine große Gruppe von Hell's
Angels irgendwohin fährt, und alarmiert sofort die Reviere
sämtlicher Gegenden, durch die wir kommen. So ging die
Ralph »Sonny« Barger
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Polizei von Anfang an gegen uns vor. Das ist heute nicht anders als
vor 30 Jahren. Wir fahren, und die Bullen folgen uns mit ihren
Überwachungsmethoden und ihren Funksprechgeräten überallhin,
um uns ständig zu kontrollieren. Dabei sind wir überhaupt nicht
auf Ärger und Krawall aus und haben keinerlei böse Absichten, aber
sie sind stets in greifbarer Nähe.
Die Polizei reagiert ganz unterschiedlich auf uns, je nachdem,
wohin wir kommen. Einmal fuhren wir durch Texas nach Oklahoma.
Als wir in die Nähe von Oklahoma City kamen, bogen zehn oder
zwölf Oklahoma State Troopers auf den Highway ein und
eskortierten uns durch die ganze Stadt Sie ließen uns nicht einmal
zum Tanken anhalten.
In Texas fragte mich ein Bulle: »Entschuldige, Partner, aber ...
warum tragen du und deine Freunde diese großen Messer?«
Ich antwortete ihm: »Weil wir alle vorbestraft sind und keine
solch großen Ballermänner tragen dürfen wie ihr.«
In Missouri saßen wir einmal am Straßenrand und machten
Rast, als ein State Trooper seinen Wagen bei uns stoppte, zu uns
kam und fragte: »Darf ich mal eine blöde Frage stellen?«
»Klar, wenn's dir nichts ausmacht, eine blöde Antwort zu kriegen.«
»Warum sitzen 15 Hell's Angels aus Kalifornien am Straßenrand
in Missouri herum?«
»Wir haben vier oder fünf Leute unterwegs verloren und zerbrechen uns nun den Kopf darüber, wo sie wohl geblieben sind.«
Der Polizist dachte ein paar Sekunden nach. »Vielleicht kann ich
euch dabei helfen. Ich könnte ja über Funk mal herumfragen und
die Leute für euch ausfindig machen.« Dann sprach er tatsächlich
mit einigen Revieren und anderen Polizisten, fand die anderen und
gab uns die genaue Runroute an, um unsere verlorengegangenen
Brüder wiederzufinden.
Auf der anderen Seite gab es auch einmal einen Bullen in Texas,
der uns auf der Landstraße nahe Amarillo entdeckte und Muffensausen bekam oder einfach nur meinte, er tue seine Pflicht. Er forderte Verstärkung an und ließ auf unserem Weg eine Straßensperre
mit Maschinengewehren errichten. Auf einem Run nach South Carolina wurden wir von Cops angehalten und mußten alle unsere
Ms Angel
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Ausweispapiere vorweisen. Das Ganze dauerte über zwei Stunden
und war doch total für die Katz. Polizisten können sich wie richtige
Arschlöcher aufführen, wenn sie wollen.
Hell's Angels Motorcycle Club gibt es pro Jahr vier oder
Beim
fünf Pflichtfahrten und so etwa 15 oder 20 Partys oder kleinere
Runs. Wenn man das mit den 40 Jahren multipliziert, seitdem es
den Oakland-Club gibt, dann ergibt das schon eine erhebliche
Menge Motorradfahrten. Von allen Runs aber gibt es eine, die mir
ganz besonders in Erinnerung geblieben ist: unser alljährlicher
Trip zu den Black Hills nach Sturgis, South Dakota, im Jahr 1982.
Ich will versuchen, diesen Run, so gut ich mich an sie erinnern
kann, zu beschreiben, denn meiner Meinung nach wurde damals
die Spreu ganz deutlich vom Weizen getrennt. Wir gaben diesem
Run den Code-Namen »Muster to Custer« - Treffen in Custer.
Es gab nämlich einen anderen Motorcycle Club - dessen Namen ich nicht nenne, denn es ist ein großer Club, mit dem wir seit
Jahren zerstritten waren -, der Anfang 1982 öffentlich erklärt hatte,
der einzige Grund, warum die Hell's Angels nicht nach Sturgis
kämen, sei der, daß sie nach Sturgis fahren.
Davon erfuhr ich von den Kumpels eines Clubs in New York
City, und meine erste Reaktion darauf war: »Scheiß drauf! Ich fahre
nach Sturgis.« Nachdem ich das gesagt hatte, wurde natürlich im
ganzen Oakland-Club darüber debattiert, und der gesamte Club
stellte sich hinter mich. Alle wollten nun auch nach Sturgis fahren.
Diese Neuigkeit verbreitete sich schnell in allen anderen Gruppen
der Hell's Angels. Die Reaktion war überall dieselbe. Sie wollten
alle nach Sturgis fahren. Die Aktion »Muster to Custer« war
beschlossen.
Wir hatten schon einen Run sämtlicher Westküsten-Clubs nach
Frisco, Colorado, geplant. Nun beschlossen wir, daß wir nach ein
paar Tagen Party in Frisco unsere Bikes besteigen und nach Sturgis
donnern würden. Sämtliche Hell's Angels - von der Ostküste bis
zur Westküste - sollten sich an einem bestimmten Platz treffen,
damit wir dann eine Massenfahrt nach Sturgis ohne Störung durch
die Polizei oder den feindlichen Club inszenieren konnten.
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Ralph »Sonny« Barger
Aber wie sollten wir uns alle treffen, ohne daß irgendwelche
Außenseiter davon erfuhren?
Mouldy Marvin und einige seiner Clubfreunde an der Ostküste
dachten sich die Parole aus: HAMCOE - Hell' Angels Muster to
Custer or Else! (»Hell's Angels Treffen in Custer, sonst nirgendwo!«) Da er wußte, daß viele Telefone von Hell's Angels abgehört
wurden, rief er die Ostküsten-Angels an und sagte nur: »H-A-MC-O-E. Kapiert? Am Freitag mittag.« Die Nachricht verbreitete sich
wie ein Lauffeuer: Die Ostküsten-Leute würden sich in Custer,
South Dakota, treffen und sich dort mit den West-küsten-Angels
vereinigen. Danach sollte die ganze Gruppe Hell's Angels
zusammen nach Sturgis brausen.
Der Run von Oakland nach Frisco, Colorado, und von da weiter
nach Custer begann wie üblich. Am letzten Sonntag des Juli 1982
fanden wir uns alle bei unserem Clubhaus in Oakland ein. Die
Abfahrt war für neun Uhr früh angesetzt, und etwa 30 von uns
sollten losfahren.
Jedes Clubmitglied ist dabei für seine Maschine verantwortlich.
Jeder muß dafür sorgen, daß sein Bike in ausreichend gutem Zustand für den Hin- und Rückweg dieses langen Runs ist. Vor dem
Trip nach Colorado trafen sich einige von uns am Freitag abend in
meinem Haus zu einem Garagenfest. Jedes Mitglied hilft den anderen, wenn die Bikes startklar gemacht werden, die Auspuffrohre
geprüft, neue Zündkerzen eingesetzt, Ölwechsel gemacht und
neue Reifen aufgezogen werden müssen. Wenn jemand eine neue
Antriebskette braucht und man eine Ersatzkette hat, hilft man
dem Bruder damit aus, bis er nach der Rückkehr eine neue Kette
kaufen kann.
Für mich sind diese Vorbereitungen ein absolutes Muß, also
mache ich die Runde und checke die Bikes der anderen, bevor wir
losfahren. Das ist wie damals beim Appell während meiner Militärzeit. Etliche Kumpels werden dann immer richtig sauer auf
mich, aber scheiß drauf, so bin ich nun mal.
Es gibt keine Lässigkeiten bei dem Run mit der Gang. Allein
wenn alle ihre Kickstarter treten, die Motoren donnern und wir
abfahrbereit sind, ist schon ein unbeschreibliches Gefühl. An der
Spitze der Gruppe herrschen genaue Formationsvorschriften. Ich
Hell's Angel
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fuhr immer vorne links, und die anderen Officers führten die gesamte Truppe an. Gewöhnlich fährt der Vizepräsident vorne
rechts, denn er ist die »legalste« Person unserer Gruppe. Und er
hat das Geld für eventuelle Kautionszahlungen bei sich . Dahinter ist
es dann für die anderen eine Art Straßenrennen, bei dem jeder
sehen muß, wie er zurecht kommt und sich seinen Platz sichert.
Typen wie Deacon und Frizzy fahren Lenkstange an Lenkstange,
wobei keiner auch nur einen Zentimeter nachgibt. Wenn die ersten
zehn Plätze erobert sind, folgt der Rest in freier Ordnung. Mouldy
Marvin ist ein bulliger, breitschultriger Typ (mit einem IQ von
180, hat man mir erzählt), hinter dem viele andere Biker gern
fahren. Warum? Wenn er irgendein Hindernis oder sonst was auf der
Straße sieht, warnt er die nachfolgenden Fahrer mit Handsignalen,
ohne sich dabei umzudrehen. Nachts leuchtet er mit seiner
Stablampe auf die Straßenschilder. Deshalb fährt Marvin auch
ziemlich weit vorn.
Aber es gab auch andere, wie Fu Griffin, die nicht gern hinten
fuhren. Griffin hatte immer ein Paar Tennisschuhe mit den
Schnürsenkeln hinten an seinem Bike festgebunden. Man wußte
nie, ob sich nicht einer der Schuhe lösen, auf die Straße fallen oder
dem Hintermann ins Gesicht fliegen würde. Bei 130 Sachen würde
so etwas selbst einem HelPs Angel ganz schön weh tun.
Es ist eine regelrechte Kunst, eine Biker-Gruppe anzuführen,
denn die Fahrer an der Spitze müssen Dinge wie Fahrbahnwechsel,
idiotische andere Fahrer, Tankstellen und Staus auf der Landstraße
voraussehen. Der Oakland Club ist bei Runs bis zu einem
dreiviertel Kilometer lang. Da kann ich nicht einfach die Fahrbahn wechseln, wie ich es möchte; schließlich bin ich für die Sicherheit der übrigen Fahrer verantwortlich. Wichtig sind auch die
Geschwindigkeitsregeln. Wir wissen, daß wir auf freier Landstraße
bis zu 140 oder 150 fahren können, in einigen Gegenden aber wird
man schnell geschnappt, wenn man sich nicht halbwegs an die
Temporegeln hält. Schließlich muß die Spitze auch daran denken,
wie weit es in etwa bis zur nächsten Tankstelle ist und wie groß
die Tanks der anderen Fahrer sind. Nach etwa 150 Kilometern
muß der Frontmann entscheiden, ob es Zeit zum Tanken ist. Ehe
wir dann wieder eine Tankstelle verlassen, muß einer von
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Ralph »Sonny« Barger
uns genau abzählen, ob alle Bikes beieinander sind. Niemand soll
zurückbleiben und auf sich allein angewiesen sein.
brauchten ein paar Tage, um von Oakland nach Frisco,
WirColorado,
zu kommen, das kurz vor Denver liegt. Wir
schliefen im Freien, weil das Wetter gut war. Nachts gab es die
üblichen Partys und ein großes Lagerfeuer. Und wie immer kamen
Neugierige, die uns anglotzten und wissen wollten, wer wir sind.
Dieser Teil des Trips verlief ohne Zwischenfälle.
Als die Westküsten-Leute nach Custer, South Dakota, kamen,
waren ein paar hundert bereits eingetroffen, so daß nun an die 400
einsatzwillige Hell's Angels beisammen waren. Mann, das war
eine richtige Armee! Zusammen wollten wir als gigantische Hell's
Angels Truppe nach Sturgis einfahren. Wir werden zusammen auf
der Straße sein, Brüder, bis der Wind aufhört zu wehen, das Gras
aufhört zu wachsen und der Fluß aufhört zu fließen!
Nach einer weiteren Partynacht fuhren wir am nächsten Morgen
von Custer hinauf nach Rapid City und dann auf den Interstate
Highway 90. Von dort waren es nur noch 40 Kilometer bis Sturgis
auf einer herrlich glatten Straße durch kleine Ortschaften wie
Black Hawk und Tilford. Man konnte unendliche Kilometer weit
über die hügelige Landschaft hinweg gucken, aber der Highway
war in seiner ganzen Breite knallvoll mit Hell's Angels, deren
donnernde Motoren alles in der Gegend übertönten. Cisco, der
Präsident des Oakland Clubs, erinnert sich an ihre Anzahl. »Wir
waren wie die Kreuzritter, Dschingis Khan und die Gang von
Jesse James zusammen. Und es war dieselbe Gegend, in der Crazy
Horse 1876 seine Sioux-Krieger gegen General George
Armstrong Custer zum Kampf anführte.«
Ich fuhr an der Spitze der Riesengruppe und hatte das Gefühl,
daß uns keine Macht der Erde stoppen konnte. Mir war, als hätte
ich mich selbst in Häuptling Crazy Horse verwandelt, der nun die
Attacke von hunderten und aberhunderten Motorrädern anführte,
die alle mit 130 Sachen voranstürmten. Die Bewohner der Ortschaften hörten uns, bevor sie uns sehen konnten. Die örtliche Polizei
drehte einfach die Köpfe weg. Die Ladeninhaber hängten ihre
»Closed«-Schilder in die Fenster und verschlossen die Türen. MütHell's Angel
15
ter schnappten sich ihre Kleinkinder und rannten mit ihnen in ihre
Häuser. Autofahrer wichen an den Straßenrand aus. Andere aber,
wie die Farmer, zogen ihre Mützen vor uns und hielten sie sich vor
Brust und Herz, und die örtlichen Feuerwehren salutierten vor uns.
Die Clubmitglieder, die nicht vorbestraft waren, hatten sich
schwer bewaffnet. Die Gesetze von South Dakota erlaubten das
Tragen von Waffen, also trugen wir welche. Cisco trug seine Weste
so, daß man die beiden Smith & Wesson-Pistolen, Modell 59, aus
seinen Taschen ragen sehen konnte. Und obwohl Sturzhelme nicht
vorgeschrieben waren, trug Deacon seinen mittelalterlichen
Kampfhelm aus Eisen, der gut zu dem Breitschwert paßte, das er
über seinen Rücken gehängt hatte.
Wir fuhren in Sturgis ein, stiegen von unseren Bikes und marschierten durch die Stadt - aufrecht und bis an die Zähne bewaffnet.
Mehr als 50 000 Biker waren an diesem Tag in der Stadt, und die
Stimmung war düster und bedrohlich. Die Einwohner spürten wohl,
daß die Hell's Angels zu einem bestimmten Zweck gekommen
waren. Die Menschen waren still und wichen nach allen Seiten aus,
als wir durch die Straßen gingen. Es war, als öffne sich das Rote
Meer vor uns wie zu Moses Zeiten. Etliche andere Motorradfahrer,
die glaubten, wir seien hinter ihnen her, rissen sich ihre
Clubabzeichen und Aufnäher ab, warfen sie zu Boden und rannten
in die Bars, um sich vor uns zu verstecken. Andere blieben
stocksteif auf ihren Plätzen stehen und rührten sich nicht. Aber alle
hielten großen Abstand zu den Hell's Angels. Eine Gruppe State
Troopers fotografierte uns, daraufhin holten wir unsere Kameras
hervor und fotografierten sie. Und die Zeitungsreporter fotografierten die Polizisten, die uns fotografierten, und uns, die wir
die Polizisten knipsten. Es war der reinste Zirkus.
Wir blieben ungefähr vier Stunden, einfach um zu demonstrieren,
daß wir zweifellos in der Stadt waren. Unsere Parole hieß: »Mal
sehen, wer sich traut!« Aber niemand trat uns entgegen.
Bevor wir wieder abfuhren, machten wir noch mal eine Runde
durch die ganze Stadt und guckten in die Bars und die Seitenstraßen.
Niemand - außer vielleicht die US-Army - hätte uns aufhalten
können. Selbst 50000 Biker hatten keine Lust, sich mit 400 Hell's
Angels anzulegen.
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Ralph »Sonny« Barger
Als wir wieder aus der Stadt fuhren, standen Tausende von
Menschen an den Straßen. Aber alles war absolut still und ruhig.
Andere Biker salutierten uns mit geballten Fäusten, um uns ihre
Unterstützung zu zeigen.
Die harten Kerle von dem anderen Club, dessen Name hier nicht
genannt wird, waren an diesem Tage nirgendwo in Sturgis
aufgekreuzt. Wenn sie da gewesen sein sollten, dann hatten sie sich
weder als einzelne noch als Gruppe zu erkennen gegeben. Nachdem
es zu keinerlei Zusammenstößen oder Krawallen gekommen war,
waren wir alle derselben Meinung: »Na und? Nix passiert! Dann
laßt uns Spaß haben, heute ist ein guter Tag dafür!« Wir verließen
Sturgis und feierten eine Riesenparty.
Wir hatten an diesem Nachmittag draufgehen können, wenn es
zum Krawall gekommen wäre, aber wir hätten es mit Stil und
Würde getan, denn wir glaubten nun einmal fest an unsere Bruderschaft und an die Insignien auf dem Rücken unserer Jacken.
Das wichtige und entscheidende an diesem Run nach Sturgis
1982, diesem »Muster to Custer«, war für mich, daß sich hier einmal
mehr gezeigt hatte, daß ich wirklich dorthin gehörte, wo ich war: in
meinem Club! Ich besaß keine Millionen, und ich war auch nicht auf
dem Titelblatt von Time abgebildet, aber eines hatte ich bekommen,
Respekt. Respekt von all denen, die auf mich gezählt hatten. Ich
war schließlich, so sagte ich mir, Sonny Barger. Ich war ein Hell's
Angel.
Die Fäuste hoch! Weil mich die Highschool langweilte, ließ ich mich zur USArmy rekrutieren - obwohl ich noch viel zu jung dafür war.
IM ARBEITERVIERTEL,
JUNGLE JIM'S UND
RALPH SR.
er »Clan« der Bargers verbrachte sein Leben zur Hafte in
Modesto, Central California, und in Oakland, etwa hundert
Kilometer nördlich davon. Als ich zur Welt kam, arbeitete
mein Vater Ralph Hubert Barger Sr. im Central Valley als
Straßenbauarbeiter auf dem damals neu zu asphaltierenden alten
Highway 99 - lange bevor es so was wie einen Freeway gab, der
einmal durch den gesamten Staat fuhren sollte. Mein Vater
schlief in Bauwagen in der Nähe der Baustellen am Highway 99.
Weil seine Arbeit ihn oft wochenlang von der Familie fernhielt,
zogen meine Mutter Kathryn Carmella Barger, meine ältere
Schwester Shirley Mary und ich immer zwischen Oakland und
Modesto hin und her, von Norden nach Süden und von Süden
nach Norden. In Oakland wohnten wir drei bei meiner Großmutter väterlicherseits. Während mein Vater sich in Staubstürmen
und Asphaltdämpfen abrackerte, pendelte Kathryn Carmella mit
uns Kindern immer und ewig zwischen einer schäbigen,
winzigen Mietwohnung in Modesto und Großmutter Bargers
bescheidenem Appartement in Oakland im Continental Trail-way
Bus hoch und runter.
Dann spielte meine Mutter verrückt. Als ich gerade mal vier
Monate alt war, brannte sie mit dem Fahrer des Trailway-Busses
durch. Sie hatte mich einfach in Modesto bei einem Babysitter
zurückgelassen, als sie verschwand, um nie wieder zurück-
D
Hell's Angel
19
zukommen. Als sie nicht mehr auftauchte, rief der Babysitter die
Polizei an, damit die sich um mich kümmerte. Hier war ich, ein
Baby, das ins Polizeirevier gebracht werden mußte. Allerdings
nicht wegen eines Vergehens, sondern »nur«, um dem Sozialamt
übergeben zu werden. Als mein Vater und Shirley nach Hause
kamen und ich nicht mehr da war, fanden sie nach ein paar Telefonanrufen heraus, wo ich steckte, und holten mich beim Bezirksamt ab. So wurde es zur ersten Kindheitserinnerung meiner
Schwester Shirley, zusehen zu müssen, wie ein Sozialarbeiter
mich kleines Bündel über den Tresen des Amtszimmers meinem
Dad zurückreichte.
Kathryn Barger, die an chronischer Bronchitis und Asthma litt,
war mit ihrem Busfahrer nach Süden in ein trockeneres, heißeres
Gebiet, in die kleine Ortschaft Twentynine Palms gezogen und
hatte uns einfach unserem Schicksal überlassen. Als kleines Kind
hatte ich keine Ahnung, ob sie überhaupt noch lebte. Für meinen
Vater war sie tot und begraben.
Ralph Sr., mein Vater, war schon eine Type: ein ebenso hart arbeitender wie hartgesottener Säufer, ein noch arbeitsfähiger Alkoholiker. Er arbeitete gern, aber noch lieber trank er. Er war ein
einfacher Mensch. Allerdings ein sehr widersprüchlicher. Ein
Lkw-Fahrer, der fast nie ein Auto fuhr und noch nicht einmal einen
gültigen Führerschein besaß. Mein Vater konnte zwar fahren, aber er
haßte es und nahm deswegen stets den Bus, wenn er irgendwohin
mußte, falls ihn nicht jemand anders im Wagen mitnahm. Wenn
alle Stricke rissen, ging er einfach zu Fuß.
Mein Vater war etwa ebenso groß wie ich - 1,75 m -, aber viel
kräftiger und robuster. Nach seiner Zeit auf den Baustellen des
Highway 99 arbeitete er bei einer Fleischwarenfabrik, dann bei
einer Spedition. Den größten Teil seines Lebens war er jedoch bei
der Gewerkschaft als Packer registriert. Jeden Morgen ging er
zum Gewerkschaftsbüro - Ortsgruppe 70 -, um Arbeit zugeteilt zu
bekommen. Von da wurde er dann zu einer Arbeitsstelle gebracht, wo er entweder Lastwagen oder im Hafen von Oakland
Schiffe beladen und entladen mußte. Weil er an den Wochenenden
immer fürchterlich viel trank, arbeitete mein Vater montags nie.
Deshalb verlor er auch einen Job nach dem anderen, denn bei den
20
Ralph »Sonny« Barger
meisten Jobs wurde man die ganze Woche lang gebraucht. Das
war nichts für Ralph Sr.
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete mein Vater als Hafenarbeiter, wo er in den Werften in Oakland neben dem Laden
und Löschen auch noch beim Schiffbau beschäftigt war. Nach
Kriegsende kehrte er zurück zu seinem alten Lebensstil als Packer
und Säufer.
Nachdem meine Mutter abgehauen war, nahm meine Großmutter Nora Barger, eine Witwe von Mitte 60, uns Kinder in Oakland auf. Mein Vater hatte für uns ein Mietshäuschen an der East
17th Street aufgetrieben.
Unsere Türen schlössen wir nie ab. Die Haustür zur Straße war
immer offen, aber das machte uns damals keine Angst. Amerika war in
den 40er Jahren ein völlig anderes Land als heute. Die Zeitungen
berichteten zwar über die Verbrechen zur Zeit der Depression Kriminelle wie John Dillinger, die Geschäfte und Banken ausraubten
- aber es gab fast niemals Einbrüche in die Häuser von weißen oder
schwarzen Arbeiterfamilien, zumindest nicht im Arbeiterviertel von
Oakland. In East Oakland gab es nur wenige Schwarze; die meisten
schwarzen Familien wohnten im Westend der Stadt.
Jeden Sonntag nahm Großmutter Barger Shirley und mich mit in
die Kirche der Pfmgstgemeinde, die wir unheimlich fanden und wo
die Holy Rollers ihre Schreie und Halleluja-Rufe ausstießen. Auf
der anderen Straßenseite lag die katholische St. Anthony Kirche.
Weihnachten fanden wir Kinder immer Pakete mit den Aufschriften
»Boy« und »Girl« vor unserer Haustür - Geschenke der St Anthony
Gemeinde. Und unser Thanksgiving-Dinner bestand immer aus
einem Truthahngerippe, das mein Vater in einem Restaurant oder
einer Bar abgestaubt hatte. Am nächsten Tag wurde daraus eine
Suppe gekocht. Frohe Feiertage im Barger-Stil.
Aber wir mußten nie hungern. Es gab immer etwas zu essen,
auch wenn es meist nur eine Mahlzeit am Tag war. Manchmal
kochte Grandma Spaghetti, aber wir aßen dazu nie einen Salat
oder etwa Gemüse. Das wäre dann schon wieder eine weitere
Mahlzeit gewesen. Wir besaßen nicht einmal einen Kühlschrank,
nur einen Eisschrank ohne Eis drin.
Ralph Sr. hielt die Familie mit der Hilfe von Großmutter Barger
Hells Angel
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über Wasser. Wir Bargers entstammen einer typischen Mischung
von Einwanderern. Meine Mutter hatte italienische Vorfahren,
Vater war eine Mischung aus Deutschen und Holländern. Einer
unserer Vettern hatte es sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Dean Davenport gehörte zur Truppe von General Jimmy
Doolittles Bomberbesatzungen im Zweiten Weltkrieg. Er war Navigator auf der Ruptured Duck und brach sich das Schlüsselbein,
als er während des Kriegs über China mit dem Fallschirm absprang. Im Film wurde er von Tim Murdock in dem 1944er Streifen
Thirty Seconds over Tokyo dargestellt.
Mein Vater nahm mich gern mit in die Bars am Jack London
Square, in der Nähe des Hafens, wo er Schiffe entlud. Wir gingen in
Kneipen wie den First and Last Chance Saloon. Es war nichts
Ungewöhnliches, daß Kinder mit ihren Familien in Bars und
Kneipen herumsaßen. Ich saß meist auf einem Barhocker neben
meinem Vater und stibitzte Salzbrezeln und hartgekochte Eier. Im
Umkreis unseres Hauses gab es sieben Bars und Kneipen, und an
jeder Ecke war etwas los. Dad brauchte nie allzu weit zu
schwanken und zu stolpern, um nach Hause zu kommen. Unsere
Lieblingskneipe in der Nachbarschaft war eine Kaschemme namens Jungle Jim's.
Jungle Jim's war düster und mit Piratenmotiven dekoriert. Der
Barkeeper hielt sich eine Menge bunter Papageien, die in ihren
Käfigen auf Stangen saßen und kreischten. Einer der Stammgäste
hatte einem der Viecher Flüche beigebracht, und so lernte ich
meine allerersten Flüche aus dem Schnabel eines Papageis statt
aus den Mündern der Seeleute, die während ihres Landgangs von
der Alameda Werft in die Kneipe kamen.
Papa war ein Biertrinker, erst in seinen späteren Jahren trank er
auch härtere Sachen. Für ihn gehörte es zum normalen Tagesablauf, wenn er nach der Arbeit von der Werft kam, vor dem
Abendessen erst mal zehn bis zwölf Biere zu trinken und dann
noch ein Sixpack Budweiser mitzunehmen, das er vor dem Schlafengehen killte.
Meine Familie nannte mich von Anfang an Sonny. Wenn es
überhaupt etwas gibt, wofür ich meiner Mutter dankbar bin, dann
ist es dieses kleine bißchen italienischer Tradition. Ich war Ralph
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Ralph »Sonny« Barger
Hubert Barger Jr, aber es war typisch italienisch, den erstgeborenen
Sohn Sonny zu nennen. Ich hatte nichts dagegen, es war immer
noch besser, als »Junior« gerufen zu werden, gar nicht zu reden von
Ralph oder Hubert.
Großmutter Barger starb 1946. Damals war ich acht Jahre alt,
und mit ihrem Tod begann eine schwierige Zeit für meine Schwester
Shirley und mich, weil Vater jemanden brauchte, der sich um ihn
kümmerte, ihm das Essen vorsetzte und seine Wäsche wusch. Die
ganze Nachbarschaft wußte, daß Shirley und ich einen Alkoholiker
versorgten. Die Tankwarte von der Standard-Tankstelle gegenüber
kümmerten sich ein wenig um uns Kinder. Sie zahlten uns beiden
pro Kreditbuch 25 Cents, wenn wir die Bücher mit dem
Firmenstempel abstempelten. Wenn Vater sich bei Jungle Jim s
betrunken hatte, kam er auf dem Heimweg bei der Tankstelle vorbei,
wo Shirley und ich ihn in Empfang nahmen und nach Hause
brachten. Wir schleppten ihn nach Hause und ließen ihn in sein Bett
fallen.
Dad war zwar ein ziemlich harter Typ, aber er war alles andere
als ein Schläger. Während des Kriegs war er Luftschutzwart für
unseren Block. Er mied Auseinandersetzungen um jeden Preis
und wurde deshalb einige Male schwer verprügelt. Einmal ließ er
sich einen Schnurrbart wachsen. Ein paar Männer fanden, er sehe
damit aus wie Hitler, sie verdroschen ihn jämmerlich und stahlen
sein Geld.
Wir hatten fast immer Freunde zu Besuch. Sonntags kam Erland zu uns und fuhr Shirley und mich in seinem Wagen spazieren.
Ich konnte das Autofahren zwar nicht gut vertragen, aber wir fuhren
oft zum Angeln an den Carquinez River, zu SchlachtschiffTaufen oder Airshows. Erland war Berufspilot und nahm uns
manchmal im einem Sportflugzeug mit. Er half Shirley und mir,
die schlimmsten Zeiten zu überstehen, obwohl wir beide gar nicht
fanden, daß es uns so mies ging. Wir hatten schließlich immer was zu
essen im Magen, Klamotten auf dem Leib - und ein Radio.
Ich verbrachte eine recht mühselige Schulzeit an den Schulen
von Oakland, zuerst Bella Vista Grammar School, dann Roosevelt
Junior Highschool und schließlich in der Oakland High. Überall
galt ich als mißratener Junge. Ich ließ mir einfach nichts sagen. So
Hill's Angel
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lange ich zurückdenken kann, habe ich es gehaßt, mir etwas vorschreiben zu lassen. Vielleicht weil mein Vater mich eher als Kumpel
behandelte und nicht als Sohn.
Immer wenn ich was ausgefressen hatte, mußte Shirley mich in
der Schule abholen. Obwohl ich recht schüchtern war, hatte ich
fürchterliche Wutanfälle. Einmal wurde ich aus der fünften Klasse
geworfen, nachdem ich wegen eines Lehrers in Wut geraten war.
Ich war von einem Pult auf seinen Rücken gesprungen, hatte mich
wie ein durchgedrehter Affe an ihm festgeklammert und wollte
ihn nicht gehen lassen. Ein anderes Mal wurde ich wegen eines
Softballspiels für eine Weile vom Unterricht ausgeschlossen. Ich
gehörte zu einem Team, das nie verlor, und wir sollten gegen ein
Team spielen, das noch kein einziges Spiel gewonnen hatte. Der
Lehrer schlug vor, diese Underdogs auch einmal gewinnen zu lassen
und ihnen schon zu Beginn einen Vorsprung von fünf Runs
einzuräumen. Wir schafften vier Runs, die anderen null. Als der
Lehrer das andere Team trotzdem zum Sieger erklärte, wurde ich so
wütend, daß ich ihm mit einem Baseballschläger auf die Beine
haute. Dad mußte zur Schule kommen und mich abholen. Danach
durfte ich zwei Wochen lang nicht mehr am Unterricht teilnehmen. Selbst heute noch packt mich bei dem Gedanken an dieses
Spiel die Wut.
Mein Vater heiratete wieder. Eine Frau namens Sylvia. Unsere
Großmutter und die Mutter von Sylvia waren befreundet gewesen,
und als Sylvia aus Council Bluffs, lowa, zu Besuch kam, blieb sie in
Oakland und fing ein Verhältnis mit Vater an. Sylvia war nicht
gerade die Frau, die wir uns als neue Mutter wünschten, aber
Ralph Sr. schien wieder eine Frau im Haus haben zu wollen. Ich
konnte das Weibsstück nicht ausstehen, und ich fand auch ihre Eltern
unerträglich. Sie waren richtige Bauerntrampel. Als Sylvia meinen
Vater heiratete, zogen ihre Eltern von lowa nach Oakland und
kauften sich einen Obst- und Gemüseladen in Hayward. Sylvias
Eltern haßten meinen Vater, weil er ein Trinker war und in
Kneipen ging. Syliva wurde schnell schwanger und bekam eine
Tochter, Virginia Lee Barger.
Die Jahre mit Sylvia waren richtig beschissen. Hier nur ein kleines
Beispiel: Eines Tages gingen wir alle zur Kirche, als ihr plötz24
Ralph »Sonny« Barger
lich einfiel, daß sie vergessen hatte, sich die Lippen anzumalen,
und so mußte die ganze Familie umkehren und den ganzen Weg
nach Hause zurücklaufen.
Sylvia war als Ersatzmutter wirklich völlig untauglich, besonders
wenn wir mal maulten oder uns danebenbenahmen. Das wurde uns
nur allzuschnell klar.
In den 40er Jahren gab es eigentlich nur eine einzige FahrradMarke, das »Schwinn«, ein Rad mit Felgenbremsen und ohne
Gangschaltung. Ich hatte ein rotlackiertes »Schwinn« und bekam
mit den Eltern meiner Stiefmutter deswegen einen Riesenkrach.
Sie meinten, es stünde mir nicht zu, ein Fahrrad zu besitzen. Ihre
Sätze wiederholten sich ständig: »Da kann man nicht hingehen,
das kannst du nicht machen, und jenes kann man nicht tun.« Ich
dachte, Mann, mein Leben geht euch doch wohl einen Dreck an.
Aber sie fanden, ich sei noch zu jung, um unbeaufsichtigt herumzufahren. Mein Vater war anderer Meinung und erlaubte mir,
das Rad zu behalten.
Während des Sommers und an den Wochenenden radelte ich
zum Fährhaus in Oakland und fuhr mit der Fähre über die Oakland Bay nach San Francisco. San Francisco war für mich die große
Stadt. Wenn man nach San Francisco fuhr, dann ging man »in die
Stadt«. Im Vergleich zu San Francisco war Oakland tiefste Provinz. San Francisco war wie Krabbencocktail und Austern; Oakland dagegen nur wie Bier und Erdnüsse.
Bei diesen Ausflügen - den frühesten Frisco-Besuchen - kamen
meine Freunde Billy und Dale aus der Nachbarschaft mit. Dann
gondelten wir nur so zum Vergnügen durch die Stadt, einfach um
zu sehen, wie die reichen Leute lebten. Es war ja so einfach, man
brauchte nur 25 Cents, einen Quarter, für die Fähre. Aber wenn
man jung ist, ist ein Quarter manchmal das ganze Geld, das man in
einer Woche ausgeben kann.
Man bemerkte den Unterschied zwischen Oakland und Frisco
schon in dem Moment, wenn man von der Fähre losradelte, vorbei
an den Piers und auf die Straßen der City. Wir blieben meist im
Hafengebiet und fuhren die Market Street hinauf. Damals gab es
noch keine Radfahrwege. Also fuhren wir auf den Fußwegen oder
auf der Straße, kurvten und flitzten zwischen all den Leuten herHell's Angel
25
um, zwischen Geschäftsleuten in eleganten Anzügen oder Touristen-Paaren.
Ich bewunderte die Wolkenkratzer zu beiden Seiten der Market
Street. Die Luxushotels wie das Sheraton Palace und das St.
Francis Hotel, vor denen gutgekleidete Familien auf glänzende
Taxis warteten. Die Frauen trugen Pelzmäntel, ganz egal ob es
draußen warm oder kalt war. In Oakland gab es nicht viele hohe
Gebäude, nur den alten Tribune-Glockenturm.
Ich fragte meinen Vater nie um Erlaubnis, wenn ich nach Frisco
fuhr. Ich tat es einfach. Wir verbrachten einige Stunden in der City
und nahmen vor Sonnenuntergang die Fähre zurück nach Oakland. Wenn ich mit meiner Familie nach San Fancisco fuhr, dann
ging es immer nur nach Dale City, um meine Kusine Karen zu
besuchen. Mir wurde erst später klar, daß San Francisco für mich
eine Ostküstenstadt an der Westküste ist, während Oakland eine
Stadt aus dem Mittleren Westen an der Westküste ist.
mein Vater und Sylvia geheiratet hatten, stellte sich
Nachdem
heraus, daß ich eine Blutkrankheit hatte. Ich mußte jede Woche
zwei Spritzen bekommen. Sylvia brachte mich zum Arzt, wo ich
die Spritzen in den Hintern bekam, da wo ich am meisten Fleisch
hatte. Dabei tat meine Stiefmutter immer so, als wolle sie mit mir in
die Stadt, um mir etwas zu kaufen, und dann stellte sich heraus, daß
es doch nur wegen dieser verdammten Injektionen war. Daher stammt
vermutlich meine tiefe Abneigung gegen Spritzen.
Eines Nachmittags kam ich aus der Bella Vista Grammar School
nach Hause und stellte fest, daß Sylvia meinen Vater verlassen und
meine Halbschwester Virginia Lee mitgenommen hatte. Sie nahm
alles mit, was wir hatten, sogar das Lexikon und das Radio. Nur
unsere Betten und das Geschirr ließ sie uns da. Außerdem hatte sie
noch unser Bankkonto - jene armseligen Schulkonten - geplündert. Sylvia zog nicht sehr weit weg, nur bis nach San Leandro, ein
paar Kilometer südlich von uns. Als meinem Vater klar wurde, daß er
Sylvia und seine Tochter Virginia Lee wohl nie wiedersehen würde,
unternahm er einen halbherzigen, trunkenen Selbstmordversuch.
Die beiden waren vier Jahre zusammengewesen. Ich habe weder Sylvia
noch meine Halbschwester jemals wiedergesehen.
26
Ralph »Sonny« Barger
Meine Schwester Shirley übernahm daraufhin mit ihren 15 Jahren
den Haushalt. Sie kochte, machte sauber und arbeitete als Babysitter, während ich mit allen möglichen kleinen Jobs etwas dazuverdiente und das Geld zu Mrs. Long, einer Nachbarin, brachte.
Sie bewahrte die Knete für uns auf, denn wenn Dad es in die Hand
bekommen hätte, wäre klar gewesen, wofür er es auf den Kopf
gehauen hätte. Shirley und ich gaben das Geld für Schulkleidung
und andere wichtige Sachen aus. Die Miete kostete nur 16 Dollar im
Monat. Trotzdem waren wir damit ein ganzes Jahr im Rückstand,
aber wir hatten noch nie das Sozialamt in Anspruch genommen.
Die Schule erlaubte Shirley, erst am Nachmittag zu kommen,
deshalb hatte sie Zeit genug, meinen Vater zu versorgen und mich
mit einem Lunchpaket zur Schule zu schicken.
Als ich ins Teenageralter kam, fand ich die Schule total langweilig.
Darum fing ich an, in dem Lebensmittelladen an der Ecke zu arbeiten.
Der Inhaber, Archie, und seine Frau heuerten mich für zwei Dollar
jeden Samstag an, was für einen Dreizehnjährigen damals viel Geld
war. Da ich noch zusätzlich jeden Tag nach der Schule dort
arbeitete, verdiente ich bald ungefähr sieben Dollar pro Woche. Fast
30 Dollar im Monat war ein gewaltiger Haufen Kies für ein Kid.
Als Shirley sechzehn wurde, haute sie mit einem älteren Typ
aus der Nachbarschaft ab. Ich fühlte mich böse hintergangen,
auch wenn sie und ihr Loverboy es nur bis nach San Diego schafften,
wobei sie überall faule Schecks hinterließen, die Shirley unterschrieben hatte, ohne wirklich zu wissen, was sie da anrichtete.
Sie wurde geschnappt und nach Oakland zurückgebracht. Mein
Vater ließ sie im Jugendgefängnis schmoren, bis sich das schmutzige
Geschirr bei uns so angesammelt hatte, daß einfach irgendwer
kommen mußte, um das Haus wieder in Ordnung zu bringen.
In der Schule war ich nie ein Einzelgänger, ich war immer gern
mit anderen zusammen. Sport interessierte mich überhaupt nicht.
Lieber spielte ich den Unbrauchbaren. Schon damals gehörte ich zu
einer ziemlich wilden Clique, je rebellischer, desto besser. Einmal,
mit 14, als mein Vater sich im Vollrausch ums Bewußtsein
gesoffen hatte und auf der Couch pennte, stahl ich mich aus dem
Haus und traf vier meiner Kumpels. Wir trampten nach El Cerri-to,
um einen Freund nach Hause zu bringen. Der Typ, der uns
Hell's Angel
27
Mein Vater, Ralph Barger Sr., Freundin Sharon Hewitt und ich mit Anfang
zwanzig.
mitnahm, schien mindestens 21 Jahre alt, deshalb beschwatzten
wir ihn, einen Kasten Bier für uns alle zu kaufen. Dann kurvten
wir die ganze Nacht herum und soffen das Bier, bis der beduselte
Fahrer über eine rote Ampel fuhr und mit einem anderen Wagen
zusammenknallte. Wir waren alle schwer verletzt. Ich kroch mit
einem gebrochenen Arm aus dem Autowrack. Die Polizei rief
meinen Vater an, der halbtrunken zum Krankenhaus taumelte, um
mich abzuholen. Am nächsten Tag brachte die Zeitung von
Oakland die Nachricht von unserem Unfall auf der ersten Seite.
in unserer Nähe war der Haupttreffpunkt für alle
DasKids.Fix EsTheater
war kein Ort, an dem sich Sporttypen, reicher Leute
Kinder und Fatzkes einfanden, sondern der Treff ganz normaler
Schulkinder nach der Penne. Gegenüber vom Pix gab es einen Park.
Dahin gingen wir immer mit den »willigen« Girls nach dem Kino.
Gleich um die Ecke war das Circle Drive-In, wo man sich einen
Hamburger und Pommes bestellen und der Doo-Wop-Musik aus
der Jukebox zuhören konnte.
28
Ralph »Sonny« Barger
r, t. m m.
Mein erstes Polizeifoto am 16. April 1957 nach einer Festnahme wegen
Fahrens unter Alkoholeinfluß.
Meine Freunde und ich fuhren immer auf der Straße hin und her,
obwohl noch keiner von uns einen Führerschein hatte, aber die
Bullen prüften das fast nie nach. Manchmal fuhr uns ein älterer
Freund im Wagen seiner Eltern herum, dann legten wir alle zusammen
und ließen jemanden, der alt genug war, für uns alle Bier kaufen.
Anschließend saßen wir im Wagen und teilten uns ein Sixpack. Ich
mache mir nicht viel aus Alkohol, deshalb trank ich nur selten eine
ganze Flasche. Aber wenn die Bullen uns wegen unerlaubten
Alkoholgenusses schnappten, mußte ich trotzdem mit aufs Revier.
Das schönste an meiner Schulzeit waren die Boxkämpfe. Mindestens einmal pro Woche hatte ich in der Junior Highschool einen
Boxkampf. Boxen war für mich immer eine Art Prüfung. Es gab
immer Schüler, deren Stärke ich testen wollte, und eine Begegnung war ein richtiger Kampf. Ich kämpfte gegen alle - Jüngere,
Altere, Zähere, einfach gegen jeden. Wenn ein neues Kid in die
Schule kam, mußte ich erst einmal gegen es boxen, um herauszufinden, wer der Stärkere war. Das gehörte einfach dazu, wenn
man in East Oakland aufwuchs. Selbst unter Freunden wurde geHill's Angel
29
boxt. Meist fand sich dazu ein ganzer Haufen Kids ein, die Tag für
Tag nach Schulschluß zugucken wollten. Wenn ich einen Kampf
verlor, konnte ich nicht weinend nach Hause gehen. Nach einem
verlorenen Kampf zu weinen war einfach nicht drin.
Einmal wurde ich für zwei Wochen vom Unterricht ausgeschlossen, weil mich der Rektor nach der Schule beim Boxen
erwischte. Zur Strafe wollte er mir mit einem Lederriemen eine
Tracht Prügel verpassen. Als ich mich wehrte und auf den Lehrer
einschlug, flog ich raus. Ein anderes Mal erzählte ein Lehrer meiner
Freundin, ich sei ein Vagabund, und sie sollte sich nicht länger mit
mir abgeben, daraufhin knallte ich ihm eine ins Gesicht und -wurde
abermals vom Unterricht ausgeschlossen.
Als ich in die Highschool kam, hatte ich nicht mehr die geringste
Lust, Hausaufgaben zu machen. Ich las statt dessen alle Bücher von
Zane Grey und andere Wildwest-Storys von Autoren wie Louis
L'Amour. Also blieb ich fast in jeder Klasse sitzen, wenn ich
überhaupt noch zum Unterricht erschien. Aber wenigstens beging
ich keinen Raub oder Diebstahl. Ich arbeitete wieder in einem
Lebensmittelladen und verdiente 30 Dollar im Monat.
Während ich noch in der Oakland Highschool war, organisierte
ich 1954 einen kleinen Straßenecken-Club. Wir nannten uns die
Earth Angels nach dem Song von den Penguins. Es war ein kleiner
Club, er hatte nur acht Mitglieder. Wir trugen unsere Jacken mit
aufgestelltem Kragen und hatten auf ihren Rücken das Emblem
»Earth Angels« eingestickt. Irgendwas Besonderes machten die
Earth Angels eigentlich nicht, und wir hatten auch keine erklärten
Ziele; man wollte einfach nur irgendwo dazugehören. In der
Highschool war es üblich, zu einem Club wie den Earth Angels zu
gehören. Später gehörte man dann zur Army. Es kam nur darauf an,
zu einer Gruppe von Leuten zu gehören, die genauso waren wie
man selbst.
Mit 14 hatte ich bereits meinen ersten Joint geraucht, was damals
so richtig zum Underground paßte. Eine Streichholzschachtel voll
Hasch für fünf Dollar! Da hatte man schon richtig was, eine Menge
Marihuana! Wir rollten das Zeug in braunes Papier und reichten
den Joint zwischen dreien oder vieren von uns herum, während wir
die Straßen langliefen.
30
Ralph »Sonny« Barger
In dieser Zeit dachte ich immer, es müsse noch etwas Besseres als
all das geben, ich wußte bloß nicht, was. Mir war klar, daß ich m
einer Sackgasse steckte und schnell irgendwas unternehmen mußte.
Das Schlaueste und Schnellste schien mir die Army zu sein. Shirley
hatte inzwischen geheiratet, also löste mein Vater unseren Haushalt
auf und zog in ein Hotel in Oakland. Wenn ich nicht bei Shirley
einzog, hätte ich kein Zuhause mehr gehabt. Ich mußte handeln und
beschloß, zur Army zu gehen. Es gab nur einen Haken: Ich war noch
zu jung.
Na ja, das würde ich schon hinkriegen. Ich fälschte einfach meine
Geburtsurkunde. Der Sergeant vom Einberufungskommando rief
mich an, nachdem er in meinen Papieren auf das Problem gestoßen
war. »Da muß ein Irrtum passiert sein«, erklärte ich ihm. Er nickte
nur und änderte mein Geburtsdatum mit einem Federstrich. So trat
ich am 14. Juli 1955 in die Army ein. Mit 16 Jahren.
Der Koreakrieg war vorbei, und die 25. Division war wieder
nach Hause zurückgekehrt. Viele der Veteranen betrachteten es als
ihre Aufgabe, jüngeren Kerlen wie mir beizubringen, wie man sich
am besten amüsiert. Sie waren Happy-go-lucky-Kämpfer -froh,
wieder zu Hause zu sein, glücklich, mit dem Leben davongekommen zu sein. Und sie waren ein unruhiger Haufen, ewig auf
der Suche nach einem Kick. Einige fuhren Motorräder und hatten
Tätowierungen. Der Krieg war aus, es gab keine Frontkämpfe
mehr, aber irgendwie steckte ihnen das alles noch m den Knochen.
Diese Typen machten einen tiefen Eindruck auf mich. Endlich
einmal hatte Disziplin einen Sinn für mich, und ich schloß mich
ihrem Lebensstil an. Hier herrschte eine ganz andere Art von
Gehorsam; die Army lehrte mich das Überleben.
Sogar die Grundausbildung gefiel mir. Die ewig herumbrüllenden
Ausbilder konnten erwachsene Männer zum Weinen bringen, mich
brachten sie nur zum Lachen. Manche Rekruten - eingezogene wie
freiwillige - stiegen über den Zaun und entfernten sich unerlaubt
von der Truppe. Sie fragten sich, warum sie überhaupt zur Army
gegangen waren. Während der Grundausbildung wurden wir
stundenlang nur geschliffen. Das körperliche Training wechselte mit
stundenlangen Unterrichtseinheiten in Klassen, wo wir meistens an
unseren Schreibpulten einschliefen. Aber mir geHell's Angel
31
fielen die 40 Dollar Sold pro Monat, und außerdem hatte man in
der Army Klamotten und Essen frei und sogar noch ein Bett. Gar
nicht so übel.
Ich war in Honolulu stationiert, für einen jungen Freiwilligen
schon ein seltsamer Ort. Die Hawaiianer sahen auf uns militärisches Personal herab. Mit den älteren GIs schlich ich mich in Bars,
und manchmal feierten wir dort richtige Partys mit den Zivilisten.
Ich machte alles, was die anderen von mir verlangten, und zum
Ausgleich brachten sie mir Sachen bei, die mich interessierten. Ich
lernte, wie man Waffen auseinandernimmt, wie man reibungslos
mit den Kameraden auskommt und wie man sowohl in der Gruppe
als auch auf sich selbst gestellt überlebt. Das beste war, daß ich als
Maschinengewehrschütze eingesetzt wurde. Das sollte mir im
späteren Leben von Nutzen sein.
Als die Army herausfand, daß ich unter 18 war, wurde ich zur
Entlassung ins Batallions-Hauptquartier zitiert. Zu dem Zeitpunkt
hatte ich schon 14 Monate gedient. Früher hätte man jemanden wie
mich unehrenhaft entlassen. Aber diese Bestimmung war gerade
geändert worden, und so erhielt ich meine ehrenhafte Entlassung.
Die Army schickte mich zurück nach Oakland, und auf diese Weise
entging ich den zwei Jahren Wehrdienst, die ich abzuleisten gehabt
hätte. Ich war 17 Jahre alt, ehrenhaft entlassen und für alle Zukunft
vom Militär befreit.
Zu Hause sorgte ich weiter wie bei der Army für sauber gewaschene Klamotten und auf Hochglanz polierte Stiefel. Nach dem
Militärdienst konnte ich mich nicht mehr mit irgendeinem langweiligen, beschissenen Job anfreunden. Ich versuchte sogar, wieder
freiwillig zur Army zu gehen, aber dort wollten sie mich nicht mehr.
Im Gegenteil: Die zuständige Abteilung schickte mich zum
Psychiater, der mich für zu aggressiv und unangepaßt befand,
nachdem er die Tätowierungen sah, die ich mir in Hawaii hatte
machen lassen.
Ich bekam einen Job als Nachtwächter, aber ich haßte es, nachts
zu arbeiten. Ich wollte lieber mit meinen Freunden nächtelang
unterwegs sein. Deshalb nahm ich einen Job in einer Chevro-letFabrik an, wo ich die Kühler- und Kofferhauben der Wagen, die
vom Fließband der Lackierwerkstatt liefen, polieren mußte.
32
Ralph »Sonny« Barger
Im Mai 1959: Ich sitze auf einer Harley 80-Inch Stroker mit hohem Lenker und
extralangen Auspuffrohren. Für damalige Zeiten war dieses Motorrad schon
sehr ungewöhnlich.
Wir brachten sie mit Politurflüssigkeit und Bürsten auf Hochglanz.
Doch nach einer Weile gab ich auch diesen Job wieder auf.
Als nächstes arbeitete ich für Granny Goose Potato Chips am
Fließband. Wir aßen die Chips direkt aus den Gnllpfannen. Sie
schmeckten herrlich. Ich mußte sie in 55-Gallonen-Pappzylinder
packen und die Trommeln hoch aufschichten. Danach jobbte ich in
einer Firma, in der ich Rohre für eine Sprinkleranlage zuschnitt und
installierte.
Ich konnte mich wohl nicht damit abfinden, wie andere Leute
acht Stunden am Tag zu arbeiten. Eines war mir jedoch inzwischen
sonnenklar: Ich kam mit den blöden Vorgesetzten einfach nicht
zurecht, aber das war nun einmal bei den allermeisten Jobs nicht
anders zu machen. Nach meiner Zeit bei der Army war ich genauso
unruhig, unstet und abenteuerlustig wie vorher. Es mußte einfach
etwas passieren, und das tat es dann ja auch.
An der El Adobe Bar kurz vor den Kriegen zwischen Oakland und Frisco 1961.
V.l. n. r.: Tiny (halb versteckt), Lovely Larry, Terry the Tramp, Charlie Magoos
Rücken, ich, ein Unbekannter und Pete Knell, der Präsident des Frisco-Clubs.
3
SNAKE PIT
I
c h war neun Jahre alt, als 1947 in Hollister der erste große
Motorradkrawall über die Bühne ging. Was als ganz normale
sportliche Veranstaltung der American Motorcyclist Association (AMA) begonnen hatte, artete völlig aus, als sich Biker aus
frühen Outlaw-Clubs wie die Pissed Off Bastards und die BoozeFighters betranken und sich wie Rowdys aufführten, in Wettrennen
durch die Straßen des Städtchens rasten und sich dabei einen Dreck
um Verkehrsampeln scherten. Das Ganze hatte eigentlich eines
jener typischen AMA-Treffen werden sollen, wie es sie vorher schon
zu Dutzenden gegeben hatte. Aber diesmal ging es grausam schief.
Ruppige Biker wurden wegen aufrührerischen Benehmens,
Trunkenheit in der Öffentlichkeit und Erregung öffentlichen
Ärgernisses verhaftet. Nach den Erzählungen meiner älteren
Freunde klang es so, als sei der Hollister-Krawall Amerikas erste
Kostprobe der Hölle auf Rädern gewesen. Im Rückblick ist es wohl
auch so gewesen.
Der Kinofilm The Wild One mit Marlon Brando und Lee Marvin in
den Hauptrollen kam 1954 heraus, als ich noch zur Highschool ging.
Der Film war ein großer Erfolg und beruhte auf den Ereignissen in
Hollister, Kalifornien, am Wochenende des 4. Juli 1947. Ein Artikel
von Frank Rooney in Harper's Magazine von 1951 lieferte die Idee
zu dem Streifen. Der Eindruck, den der Film in der Öffentlichkeit
machte, war offenbar so intensiv, daß die BoozeFighters sich
daraufhin auflösten und erklärten, daß Biker durch den Film einen
unwiderruflich schlechten Ruf bekommen hätten.
Als ich The Wild One sah, wurde Lee Marvin sofort mein Held
und Ideal. Chino, den Marvin verkörperte, war ein Mann nach
Hell's Angel
35
meinem Herzen. Marion Brando, der den Johnny spielte, war der
Bully. Seine Jungs fuhren Triumphs und BSAs und trugen Uniformen. Lees Einstellung war: »Wer sich mit mir anlegt, kriegt was
von mir zurück.« Lee und seine Gang fuhren abgefuckte Harleys
und Indians. Ich sah mich selbst viel eher als Chino, nicht als
Johnny. Und das tue ich immer noch.
Als Junge war ich zur Army gekommen und als Mann wieder
gegangen. Um ein richtiger Mann zu werden, muß man in der Army
gewesen sein und eine Zeitlang im Knast gesessen haben. Wer in der
Kaserne und im Knast gewesen ist, der lernt Disziplin und Überleben. Der Knast bringt einem bei, pünktlich zu sein: Wenn Tag für
Tag die Türen aufgehen und sich wieder schließen, muß man bereit
sein. Nach Army und Knast ist man auf alles vorbereitet.
Als ich damals als Rekrut ins Ausbildungslager einzog, wurden
viele meiner Kumpels zu Hause drogensüchtig. Ich habe Schwein
gehabt, daß ich nicht mehr dabei war. Ein richtiger Junkie wäre ich
allerdings kaum geworden, denn ich hasse Spritzen. Die Drogenszene von Oakland in den 50er Jahren nahm zum Teil Marihuana und zum Teil Heroin, wobei zwischendurch auch noch die
Pep-Pillen kamen. Außerdem gab es eine Menge Dexedrin und
Benzedrin. Ich machte mir nichts aus Speed, denn selbst die kleinste
Dosis von dem Zeug drehte mich tagelang auf. Ich hatte immer
genug Energie in mir, um auf natürliche Weise auf Draht zu sein.
Weil mein Vater zu der Zeit, als ich aus der Army entlassen
wurde, in einem Hotelzimmer wohnte, beschloß ich, zu meiner
Schwester Shirley zu ziehen. Ich paßte auf ihre Kinder auf - ich sei
ein prima Babysitter gewesen, sagt sie -, aber der ständige Krach
von den Motorrädern meiner Freunde führte zur Kündigung ihrer
Wohnung.
Ich sah inzwischen wie ein hartgesottener Straßentyp aus. Meine
Levis-Jeans hatten einen zentimeterbreiten Aufschlag, ich rauchte
Camels (im Gegensatz zu Lucky Strikes, der Marke meines Vaters),
besaß das dazugehörige Auftreten und fuhr ein Motorrad. Meine
Freunde und ich trugen T-Shirts mit V-Ausschnitt, und wir hatten
immer ein Päckchen Zigaretten im Ärmel eingerollt. Wir kauften
uns schwarze Ingenieur-Stiefel mit Silberschnalle im Red Wing
Schuhladen, dem Geschäft, wo auch die Hilfs36
Ralph »Sonny« Barger
u
arbeiter von Oakland ihre Arbeitsstiefel kauften. Wer genügend
Geld hatte, trug eine schwarze Lederjacke, das machte allerdings
nur dann Sinn, wenn man auch ein Motorrad fuhr.
1956 trat ich den Oakland Panthers, meinem ersten Motorradclub, bei. Wir waren eine Gruppe von Motorradfahrern aus Oakland und lungerten gern zusammen herum. Damals entstanden die
echten wilden Clubs. Nach ein paar Wochen wurde mir klar, daß
wir nicht dazugehörten. Unser Club kam mir ziemlich sinnlos vor;
wir waren ja noch nicht mal ein richtiger Club. Wir waren nur ein
Haufen Kids. Einige von uns kannten noch nicht einmal die Namen
der anderen. Ich wollte einen Club mit engem Zusammenhalt und
echten Männern, die auf ihre Maschinen stiegen, kreuz und quer
durchs Land donnerten und sich nicht von irgendwelchen
Vorschriften oder Verpflichtungen einengen ließen. Einen Club,
der kurzentschlossen mal nach Massachusetts oder New York
losfuhr, einfach mal an einem Abend ein paar Runden Bier schmiß
und sich am nächsten Tag kräftig prügelte. Was ich brauchte, war
eine zweite Familie. Ich wollte zu einer Gruppe von Männern
gehören, denen nichts daran liegt, eine Ehefrau und zweieinhalb
Kinder zu haben und in einem schäbigen Haus in Daly City oder
San Jose zu wohnen, Männern, die lieber Motorrad fuhren,
Wettrennen veranstalteten und auf den Putz hauten.
Ich hatte gehofft, die Oakland Panthers könnten zu so einem
Club werden, aber daraus wurde nichts. Genauso spontan, wie ich
dem Club beigetreten war, verließ ich ihn deshalb wieder. Klar,
die Panthers ließen auch Partys steigen, aber wenn es Ärger gab,
hielten sie nie zusammen. Das war für mich keine Brüderschaft.
Wenn die Bullen einen von uns hops nahmen, dann war er auf sich
selbst angewiesen. Nach dem Motto: »Scheiß drauf, ich hau ab!«
Was ich brauchte, war eiserne Solidarität, und keine Leute, die zuerst
an sich selbst dachten.
Es gab etliche Motorradclubs in der Stadt, wie etwa den Oakland Motorcycle Club - Familienclubs, mit denen man mit Frau
und Kindern zum Picknick hinausfahren konnte. Das paßte überhaupt nicht zu mir. Ein anderer Club von Bikern in Oakland hieß
Piano Boys. Viele der Mitglieder waren Ex-GIs, die im Koreakrieg
oder im Zweiten Weltkrieg gedient hatten.
Hell's Angel
37
Eine Gruppe Testpiloten aus den 40er Jahren nannte sich »Hell's Angels«.
Während dieser beiden Kriege hatten sich Bombergeschwader
und Divisionsangehörige zu eigenen festen Gruppen zusammengeschlossen. Gruppen junger Freiwilliger und Dienstpflichtiger
dachten sich Namen für ihre Clubs aus und entwarfen gefährlich
aussehende Embleme und Logos, um zu zeigen, was für zähe und
tödliche Kämpfer sie waren. Patches wurden auf die ledernen
Bomber Jacken des Militärs aufgenäht. Die Berufsmilitärs nahmen
keinen Anstoß daran. Auf den Schnauzen der Flugzeuge prangten
wohlgerundete Mädchen und finster aussehende Maskottchen.
Eine Bombereinheit aus dem Zweiten Weltkrieg, die auf den Philippinen stationiert war, nannte sich Bomber Barons und hatte ein
scharfes Logo, ein Skelett in einer Air-Force-Pilotenjacke mit einercoolen Flieger-Sonnenbrille.
Ralph »Sonny« Barger
38
Der Name »Hell's Angels« existierte beim Militär schon seit
dem Ersten Weltkrieg, damals nannte sich ein Jagdgeschwader so. In
den 20er Jahren taufte sich ein Motorradclub in Detroit, der zur
American Motorcyclist Association gehörte, ebenfalls Hell's
Angels. Im gleichnamigen Schwarzweißfilm aus dem Jahre 1930
von Howard Hughes wurde Jean Harlow zum großen Star. Eine
Gruppe Söldner, die als Kampfflieger bei den Chinesen im Einsatz
waren, hieß Flying Tigers, und eines ihrer Schwadrone nannte sich
Hell's Angels. Im Zweiten Weltkrieg gab es ein paar Einheiten, die
Hell's Angels hießen, darunter ein amerikanisches Bomberkommando, das in England stationiert war, die 358th Bomber Squadron, sowie ein Torpedo-Geschwader der Navy, ich glaube, es war
die 109th und die 188th Airborne, eine Fallschirmspringer-Einheit
aus dem Koreakrieg.
Motorräder spielten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
eine große Rolle. Ebenso wie die Polizeikommandos und HighwayPatrouillen Verbrecher in Autos lieber mit Motorrädern verfolgten,
hatte ja auch General John J. Pershing den berüchtigten Banditen
Pancho Villa und seine Reiter an der mexikanisch-amerikanischen
Grenze mit einer Schwadron Harleys gejagt. Die Motorräder waren
ihm per Eisenbahn auf einem Tieflader geliefert worden.
Schon 1917, während des Ersten Weltkriegs, nutzten die Infanterien der Deutschen und der Amerikaner Motorräder erfolgreich
für ihre Meldegänger, Aufklärer und Kuriere. Deshalb bekam die
Harley-Davidson
Motorcycle
Company
umfangreiche
Regierungsaufträge für den amerikanischen Kriegseinsatz in Europa und lieferte an die 20 000 Motorräder an die Army. In den
30er und 40er Jahren bildete die Nazi-Wehrmacht Hitlers Motorradfahrer zu aktiven Frontkämpfern aus, die auf technisch
hochwertigen BMW-Rädern fuhren. Hitlers Panzerdivisionen in
Polen und Generalfeldmarschall Erwin Rommels Afrikakorps
stützten sich weitgehend auf gut ausgebildete Kradkämpfer. Statt
lediglich als Aufklärer und Melder eingesetzt zu werden, hatten
die Kradschützen Maschinengewehre auf ihre Motorräder
montiert, sie führten Aufklärungsmissionen durch, spähten
Hinterhalte aus, besetzten Brücken und andere wichtige Punkte,
Hell's Angel
39
durchführen verminte Felder und eskortierten Panzer zu ihrem
Einsatz.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß es am Ende des Zweiten
Weltkriegs bereits viele aggressive, waghalsige und furchtlose Biker
gab, die sich begeistert und mit Vollgas in Gefahren stürzten.
Schon damals, zwischen 1948 bis in die frühen 50er Jahre,
wurden die aus dem Krieg heimkehrenden Motorradfahrer als
»Outlaw-Motorradtypen« bezeichnet. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Motorradclubs so etwas wie Gentlemen-Clubs - die
Fahrer trugen tatsächlich Sakkos und Krawatten. Nach dem Krieg
hielten Clubs wie die BoozeFighters an der Aggressivität von
Krieg und Kampf und an ihrem Aussehen fest - lederne Bomberjacken, Piloten-Sonnenbrillen und lange Schals. Einer ihrer Glaubenssätze lautete: »Jesus starb, damit wir fahren können.«
Gelangweilt und ohne Club fuhr ich mit einer neuen Bande
durch die Straßen von Oakland. Wir wollten wieder einen Club
gründen. Einer der Biker, Boots, mit richtigem Namen Don Reeves, hatte ein umgemodeltes Patch, ähnlich den Air-Force-Insignien, die er in Sacramento gefunden hatte: einen kleinen Totenkopf, der eine Pilotenkappe zwischen zwei Schwingen trug. Ich
fand das unheimlich cool. Auf dem Bottom Rocker stand »Sacto«.
(Diese Zeile ist ein eingestickter Rundstreifen unter dem Patch
mit dem Namen der Stadt, in der es den Club gibt.) Später fanden
wir heraus, daß Boots' Patch von einem inzwischen aufgelösten
Club aus Nord-Sacramento stammte. Es war Boots' Idee, unseren
neuen Club nach dem Patch »Hell's Angels« zu taufen. Der Name
gefiel uns allen, und so gingen wir zu einem Trophäen-Laden in
Hayward und entwarfen eine Reihe von Patches, die Boots' Fundstück ähnelten. Das war im April 1957, und wir hatten keine Ahnung, ob es nicht etwa andere Motorradclubs in Kalifornien gab,
die sich ebenfalls Hell's Angels nannten. Fast das ganze erste Jahr
lang stand »Oakland« nicht einmal auf dem Bottom Rocker. Statt
dessen nannten wir uns Nomad Hell's Angels.
Während des Spätsommers 1957 fuhren Ernie Brown und ich
mit unseren neuen Patches auf dem Rücken nach Gardena in Südkalifornien. Als wir nach SoCal kamen, ging mein Getriebe in den
Arsch. Ernie und ich hatten jeder ein Mädchen (»Doppelpak40
Ralph »Sonny« Barger
kung«) dabei, und nun war ich mit einem kaputten Bike rund 1000
Kilometer von zu Hause gestrandet. Was für eine Scheiße! Wenigstens hatten wir Mädchen dabei.
Aber Scheiße, das passiert nun mal. Wie aus dem Nichts brauste
plötzlich ein Motorrad herbei, stoppte neben meiner Mühle, um zu
sehen, was ihr fehlte. Zu meiner Überraschung trug der Fahrer er
ein Hell's Angels Patch! Sein Name war Vic Bettencourt. Und in
Gardena gab es einen südkalifornischen Hell's Angels Club. Vic
nahm Ernie und mich mit in sein Clubhaus, gab uns die Ersatzteile,
die wir brauchten - Bettencourts Bruder hatte eine Harley-Werkstatt
in Massachusetts - und half mir, mein Getriebe zu reparieren.
Die anderen aus dem Club versorgten uns zwei Tage lang mit
Essen und einem Schlafplatz. Vic erzählte mir, daß die anderen
Hell's Angels aus dem San Gabriel Valley, aus Fresno, Berdoo (San
Bernardino) und Frisco seien und daß der allererste Hell's Angels
Club schon 1948 in Berdoo gegründet worden sei. Dieser Club war
eine Abspaltung von einer Rebellengruppe aus Fontana, California,
genannt Pissed Off Bastards. Er war unmittelbar nach dem Hollister-Krawall entstanden. Aus Berdoo stammende Weltkriegsveteranen - die zu den Pissed Off Bastards gehörten - seien immer mit
ihren Bikes vorbeigedonnert. Die Leute hätten ihnen nachgeschaut
und gesagt: »Da fährt wieder einer von diesen Höllenengeln!«
Die Hell's Angels in San Francisco - nur eben auf der anderen
Seite der Bay Bridge - müssen eine ziemlich kleine Gruppe gewesen
sein. Wir haben sie nie auf den Straßen von Oakland gesehen. Sie
gehörten zu einem Club, der sich Market Street Commandos nannte
und sich später mit den Fontana Hell's Angels vereinte, um der
zweitgrößte Hell's Angels Club zu werden. Frank Sadilek war
damals Club-Präsident in Frisco, er fuhr zuerst eine Triumph und
wechselte in den späten 50er Jahren über zu einer Harley Sportster.
Vic machte mir klar, wie ein Motorradclub zu funktionieren
hatte. Er war ein Organisationstalent und wußte genau, wie ein Club
geführt werden mußte. Wir sprachen über Meetings, Clubbeiträge,
Regeln und Vorschriften, und all das erinnerte mich sehr an meine
Zeit in der Army. Während Ernie und ich zurück nach Hause
fuhren, dachte ich darüber nach, was wir tun müßten, um
Hell's Angel
41
unseren ersten Oakland-Club aufzubauen. Ein paar der SoCal
Hell's Angels besuchten uns bald darauf in Oakland. Ein paar Jahre
nach unserem ersten Treffen geriet Vic auf einem Interstate
Highway unter ein Auto und starb.
Die Hell's Angels in SoCal, San Francisco und - bevor sie sich
auflösten - in North Sacramento waren nur locker miteinander
verbunden. Rein technisch gesehen müßte - nach den heutigen
Regeln - der Oakland-Club als illegal betrachtet werden. Es gab
nie eine Abstimmung unter den anderen existierenden Charters
über unsere Zulassung. Als wir wieder nach Süden fuhren, um die
anderen HAMC-Charters in SoCal zu besuchen, beschlossen wir,
unser Charter in Form zu bringen, die Aufnäher zu besorgen und
unser Charter-Einzugsgebiet zu bestimmen. Damit wurden wir das
einzige Hell's Angels Charter in der East Bay, und niemand konnte
uns nun mehr an den Karren fahren.
Im Vergleich zu anderen Angels-Charters waren wir eine sehr
junge Gruppe. Die meisten von uns in Oakland waren zwischen 18
und 21 Jahre alt, während das Durchschnittsalter in den SoCalCharters eher bei 26 lag. Nur einer von uns, Barf, war 29. Er war in
unseren Augen steinalt. Was uns am meisten interessierte und Spaß
machte war, die Sau rauszulassen. Dann kannten wir uns aus, und
das taten wir auch.
Die meisten von uns waren vorzeitig aus der Highschool abgehauen oder rausgeflogen, Anfang zwanzig und hatten kaum mehr
als ein paar Cents in der Hosentasche. Wir wohnten in den Garagen
von Freunden, und das einzige, was wir besaßen, waren die
Klamotten auf unserem Leib und das Motorrad unter unserem
Hintern. Wer zwei Paar Hosen besaß, trug sie im Winter übereinander. Einer von uns ging einmal in ein Schuhgeschäft und stahl
einen ganzen Haufen Stiefel für den Club. Als wir sie anprobierten,
merkten wir, daß es lauter rechte Stiefel waren! Entscheidend war,
daß wir alles riskierten und alles gemeinsam durchstanden.
Unsere ersten Chartermeetings hielten wir genau nach dem
parlamentarischen Verfahren ab, das Vic uns beigebracht hatte.
Boots wurde zum Präsidenten gewählt. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben mir Boots, Cody, Junior Gonsalves, Er-nie
Brown, AI Jayne, der eine BSA fuhr, und ein Tattoo-Künstler
42
Ralph »Sonny« Barger
namens Big Red, der mir meine erste Charter-Tätowierung machte.
Cody und AI traten nach einer Weile aus dem Charter aus, um in
Oakland und Alameda Polizisten zu werden. Einige Monate nach
seiner Wahl zum Präsidenten verließ uns Boots, um eine Karriere
als Western- und Country-Sänger im Mittleren Westen zu beginnen.
Im Jahr 1958 übernahm ich dann die Präsidentschaft des Charters,
mit großen Ideen und Plänen für die Zukunft.
Die Regeln und Vorschriften des Charters erschienen mir gut und
sinnvoll. Damals war es verboten, bei Meetings zu fluchen oder
Prügeleien anzufangen. Wer fluchte, mußte Strafgeld in einen Topf
werfen. Wir beschlossen schon früh, daß alle dieselben Patches
tragen sollten und für alle dieselben Vorschriften galten. Um unser
Gebiet klar abzugrenzen, legten wir taktische Regeln fest.
Beispielsweise durfte es innerhalb eines Umkreises von 80 Kilometern immer nur ein Charter geben. Oakland und Frisco bildeten
Ausnahmen, da sie nur etwa zehn Kilometer voneinander entfernt
lagen. Als kurze Zeit später Charter in San Jose, Sonoma, Daly City
und Vallejo auftauchten, hoben wir diese Vorschrift für Nordkalifornien auf. Nur die Charter in SoCal hielten noch länger an der
Regel fest, was allerdings von Nachteil war, denn es gibt dort viele
kleine Städte, die weniger als 80 Kilometer voneinander entfernt
sind. Durch den Einfluß der Mitglieder in Oakland konzentrierten
sich alle Heils Angels in Kalifornien bald auf ihre Gemeinsamkeiten,
statt nur ein Haufen Charter zu sein, die zufällig dieselben Patches
trugen. Die einzelnen Charter bewahren zwar ihre eigenen
Identitäten, sie bekennen sich aber alle zu den wichtigsten
Wertvorstellungen der Hell's Angels.
Manche Hell's Angels hatten feste Arbeitsplätze, andere nicht.
Viel Geld haben wir nie gebraucht. In den Anfangsjahren galt man
schon als reich, wenn man fünf Dollar in der Tasche hatte. Wir
fuhren gemeinsam zum Haus der Freundin, Ehefrau oder Mutter
eines unserer Kumpel, jeder gab 50 Cents, und sie kaufte dafür
Hamburger und Nudeln oder kochte Spaghetti für uns, und davon
wurden alle satt. Nach ungefähr einem Jahr konnten wir es uns
leisten, ein Clubhaus zu mieten. Dort zogen wir dann ein.
Wir nannten unser Clubhaus »Snake Pit« - Schlangengrube. Das
Haus war groß, alt, im viktorianischen Stil und lag um die
Hell's Angel
43
Ecke von einer Bar namens 400 Club, wo wir oft becherten. Mitglieder, die in der Schlangengrube wohnten, mußten sich an der
Miete beteiligen. In manchen Nächten lagen überall schlafende
Kumpel herum, sogar auf dem Garagenboden. Die Schlangengrube
war zeitweise das Zuhause für Angels wie Skip Workman, Johnny
Dum Dum, Ray Flint und eine Menge anderer. Wir hatten dort viel
Spaß miteinander; Partys rund um die Uhr, Tanzfeten und Treffen
aller Art. Auch unsere Führungsmeetings - die OMs (Officers
Meetings) - wurden dort abgehalten.
In der ersten Zeit unseres Oakland-Charters waren die Death
Head Patches, die alle auf dem Rücken ihrer Kutten trugen, viel
kleiner als die heutigen. Die größeren Patches führten wir 1959 bei
einer Halloween-Party in San Francisco ein. Als die Jungs aus Oakland in Frisco mit den neuen Death Head Patches eintrafen, waren
die anderen Hell's Angels aus Sacramento und Richmond total begeistert. Die älteren Gruppen - Berdoo, SoCal und San Francisco wollten aber nichts davon wissen und blieben lieber bei den ursprünglichen kleineren Emblemen. Als aber die Mitgliederzahlen in
Nordkalifornien immer weiter anstiegen, entschieden sich mehr und
mehr Angels in NoCal für die größeren Patches. Bald wurde die
»Barger Larger« eher die Regel als die Ausnahme.
Mit dem Zuwachs an Gruppen in Kalifornien änderten wir auch
die Bottom Rocker auf den Patches der Jacken, so daß nicht mehr
die Stadt des Charters dort stand, sondern einfach nur Kalifornien.
Alle außer Berdoo übernahmen diese neue Bezeichnung, und mit
den Berdoo-Leuten hatten wir sowieso immer mal kleine
Scherereien, weil sie nun einmal selbstherrlicher waren. Es kam
zwischen den Oakland-Mitgliedern und den Berdoo-Leuten sogar
zu Rangeleien auf den Straßen wegen der Patches. Ich selbst bekam
Krach mit SoCal-Leuten, weil sie meinten, unsere größeren Patches
lächerlich machen zu müssen. Wir hatten wahrlich eine Menge
Krach zwischen den verschiedenen Gruppen, besonders mit der aus
Frisco.
Es gab ziemlich oft Ärger mit anderen Clubs. Besonders mit
einem, den Gypsy Jokers. In den 60er Jahren kamen die Jokers
meist aus San Francisco, Oakland und San Jose. Dummerweise
waren die Frisco Angels und die Gypsy Jokers miteinander be44
Ralph »Sonny« Barger
Bei einem Meeting der Charter (der zweite von links bin ich}. Die FriscoPatches sind deutlich kleiner als das Patch (rechts) eines Angels aus
Nordkalifornien.
freundet. Wenn Oakland Ärger mit den Jokers hatte, stellte sich
Frisco sofort auf deren Seite. Für die Oakland-Brüder bedeutete das
aber einen absoluten Regelverstoß gegen die Philosophie der
Angels. Als es in Oakland zu einer Auseinandersetzung kam, weil
die Freundin eines Mitglieds verprügelt worden war, machten wir
ein Chapter der Gypsy Jokers richtig zur Sau. Aus Rache griffen
sich die Jokers zwei Daly City Angels im Golden Gate Park und
schlugen sie mit Baseballschlägern wüst zusammen. Wir warnten
Frisco davor, weiter Ärger zu machen, und vertrieben die Jokers
aus Kalifornien. Bis vor kurzem durften sie in Kalifornien nicht
einmal mit unseren Patches fahren. Inzwischen halten sie sich nicht
mehr in Kalifornien auf.
Im Jahr 1966 waren die Hell's Angels bereits über den Staat Kalifornien hinausgewachsen. Wir nahmen Clubs in unsere Dachorganisation auf, die unseren Ruf bewunderten und gern dazugeHell's Angel
45
hören wollten. Omaha, Nebraska, war das erste Charter außerhalb
Kaliforniens, das wir akzeptierten. 1967 fuhr ich nach Massachusetts, um mir in Lowell ein weiteres Prospect-Charter anzusehen.
Wir hatten sogar ein Charter in Australien, das wir »das vergessene
Charter« nannten. Der Frisco-Club hatte denen in früheren Jahren
eine Lizenz erteilt und danach nie mehr etwas von ihnen gehört.
Die erste Lizenz an einen europäischen Club ging in meinen
Präsidentenjahren an die Schweiz. Von da an breiteten wir uns aus
wie ein Lauffeuer.
Wenn wir Charter in neuen Staaten aufmachen, geschieht das
jedesmal durch eine landesweite Abstimmung. Wenn ein Club uns
mitteilt, daß er gern zu den Hell's Angels gehören möchte, dann
prüfen wir deren Mitglieder erst einmal genau, um herauszubekommen, ob das auch verläßliche Leute sind. Wir schicken
unsere Vorstandsmitglieder dorthin, und die Clubs wiederum
schicken Leute zu uns. Manchmal laden wir sie auch zu ein paar
Runs ein, und umgekehrt nehmen Kumpel von uns an deren Partys
teil. Irgendwann stimmen wir dann darüber ab, ob wir den anderen
Club als Prospect bei uns zulassen wollen. Dann wird auch über ihre
Vollmitgliedschaft entschieden. Dieses Verfahren gilt sowohl für
Einzelmitglieder als auch für ganze Clubs.
Bis in die Mitte der 60er Jahre, als wir in Kalifornien noch die
einzigen waren, leiteten die Berdoo Hell's Angels die Charter in
Südkalifornien, während die nordkalifornischen Charter vom
Oakland Club geleitet wurden. Berdoo und Oakland standen in
engem Kontakt miteinander bezüglich der Zulassung neuer Charter
in unserer Organisation. Als sich die Hell's Angels über das ganze
Land ausbreiteten, unterteilten wir sie in Ost- und WestküstenAbteilungen. Wenn ein neues Charter, sagen wir in Colorado,
beitreten wollte, mußte es sich mit der kalifornischen Kontaktstelle
in Verbindung setzen, weil Colorado näher an der Westküste liegt.
Wenn es aber noch überhaupt keine Gruppe in ganz Colorado gab,
dann mußte die gesamte Mitgliedschaft in den USA über die
Zulassung abstimmen.
Mitte der 60er Jahre begannen wir, kräftig zu wachsen. Wenn
wir erst einmal ein offizielles Hell's Angels Charter zugelassen
hatten, dann lag es von da an in dessen Verantwortung, dafür zu
46
Ralph »Sonny« Barger
sorgen, daß sich in seinem Teil des Landes keine illegalen Gruppen
gründeten. Einige Biker in Lowell, Massachusetts, formierten ein
illegales Charter und fragten uns, was sie tun müßten, um ihren
Club legal zu machen. Bevor wir nach Lowell fahren konnten, um
deren alte Patches einzusammeln, meldete sich bei uns ein anderer
Club namens Disciples, der auch zu den Hell's Angels gehören
wollte. Okay, sagten wir, fahrt nach Lowell und sammelt deren
Patches ein, wenn ihr durchaus Hell's Angels sein wollt. Das
versuchten die Disciples auch, allerdings ohne Erfolg. So wurde
also aus dem ursprünglichen Renegaten-Club in Lowell ein Hell's
Angels Charter und die Disciples wurden Outlaws.
Eine Zeitlang herrschten noch ziemlich laxe Regeln, da konnte
man bei einem Charter erscheinen, zu dem man von seinem bisherigen
Charter übertreten wollte, und ein Schreiben mitbringen, in dem
stand, man sei cool und ein angesehenes Mitglied. Daraufhin wurde
über die Aufnahme abgestimmt. Aber weil es damals eine Menge
Verräter und Informanten gab, mußten wir die Vorschriften des
Wechsels von einem Charter in ein anderes verschärfen. Heute muß
jedes Mitglied mindestens ein Jahr lang seinem Charter angehört
haben, wenn es von einem zum anderen wechseln will. Wir
verschärften die Regeln, als sich herausstellte, daß Red Bryant ein
Denunziant war. Red hatte in Frisco angefangen, ließ sich dann
nach Santa Rosa und danach zu den Nomads überweisen, und das
alles in kürzester Zeit. Als er sich dann als Informant entpuppte,
steckte auf einmal eine ganze Anzahl Kumpel tief in der Scheiße.
Die Bullen behaupteten, wir gäben Clubs unser o.k. nur, wenn deren
Mitglieder über Fähigkeiten und Erfahrungen bei Drogengeschäften, Einbrüchen, Straßenraub und Sprengstoffen verfügen
würden. Das war natürlich nur Polizei-Bullshit, um den Verkauf
von den Büchern der Informanten zu fördern.
Folgende Clubs nannten die Behörden die Großen Vier: Hell's
Angels, Bandidos, Outlaws und Pagan's. Die Hell's Angels sind die
größte Gruppe und die ersten, die sich weltweit ausbreiteten. Die
anderen drei großen Clubs entstanden in den 50er und 60er Jahren
und standen unter dem Einfluß der Hell's Angels.
Die US-Bundesregierung nennt die Hell's Angels den größten
Outlaw-Motorradclub. Von uns gibt es Tausende in der ganzen
Hell's Angel
47
Welt und Hunderte aktiver Charter, von denen etwa ein Drittel in
den USA beheimatet sind. Die Hell's Angels Motorcycle Corporation
ist Eigentümerin der berühmten Embleme und erteilt Lizenzen für
sie an die einzelnen Charter. Das Apostroph wird nur im Namen
des Charters und der Corporation benutzt, nicht aber auf den
Patches. HAMC-Charter gibt es in Dänemark, Australien,
Deutschland, Kanada, Großbritannien, der Schweiz, Brasilien,
Südafrika und einigen anderen Ländern.
Der Outlaws Motorcycle Club ist der zweitgrößte Club. Er
startete 1959 in Joliet, Illinois, und breitete sich in der Mitte und
im Südwesten der USA und in Ontario, Kanada, aus. Die Outlaws
haben mindestens 43 Chapter - dreißig in den USA, acht in Kanada,
vier in Australien und eins in Frankreich. In Kalifornien gibt es keine
Outlaws Clubs, aber 1994 gründeten sie ein Chapter in Brockton,
Massachusetts, in der Nähe unseres Lowell Clubs. Um das
auszugleichen, formierten wir Hell's Angels Charter in Chicago,
South Bend und Rockford. Wir wollten die Outlaws ebensowenig
in Massachusetts haben wie sie uns im Mittleren Westen.
Texas ist das Gebiet der Bandidos. Der drittgrößte Club hat außerdem Chapter in Mississippi, New Mexico, North Dakota, South
Dakota, Wyoming und im Staat Washington. Die Bandidos
gründeten ihren Club 1966 in Galveston Cdunty, Texas, und sie
haben inzwischen weltweit etwa 28 Chapter - in Australien, Dänemark und in Frankreich. Sie versuchen nun, sich auch in Osteuropa auszubreiten.
Der Pagan's Motorcycle Club hat sein Territorium hauptsächlich
an der US-Ostküste, er hat Chapter in New York, New Jersey,
Pennsylvania, Maryland, Virginia, Ohio und West Virginia. Es
gibt aber auch Chapter im Süden, in North und South Carolina und
in Florida. Die Pagan's entstanden in Prince Georges County,
Maryland, im Jahr 1959.
Neben den Großen Vier gibt es noch Hunderte weitere Motor
radclubs in den ganzen USA. Die Hessians beispielsweise sind ei
ner von vielen Clubs im Süden und in Südkalifornien. Ehemalige
Mitglieder eines anderen Clubs der Großen Vier werden bei den
Hell's Angels nicht aufgenommen. Nur selten wechseln Mitglie
der von einem Club der Großen Vier zu einem anderen Haupt48
Ralph »Sonny« Barger
club, speziell ein Hell's Angel nicht, denn das bedeutet Krawall.
Ein Mitglied eines anderen Clubs der Großen Vier bei uns aufzunehmen ist gefährlich und schwierig. Das haben wir bitter erfahren müssen.
Mit zunehmender Mitgliederzahl sahen wir allmählich einer
Armee immer ähnlicher. Weil wir keine eigenen Clubanstecker
oder Gürtelschnallen hatten, schuf ich völlig unbeabsichtigt die
Verbindung zwischen Nazi-Emblemen und unserem Club. Dabei
fing alles ganz harmlos an. Ende der 50er Jahre holte unser Vizepräsident Ernie Brown einen seiner jüngeren Brüder zu den Hell's
Angels, damals arbeiteten seine drei Brüder zusammen mit mir in
den NACO-Werken. Als wir eines Tages zusammensaßen, sagte
ich, daß ich mir gern einen Gürtel mit einem tollen Koppelschloß
kaufen wollte. Darauf erwiderte einer von Ernies jüngeren Brüdern: »Wart mal, Sonny, ich hab so was, das mein Vater aus dem
Zweiten Weltkrieg mitgebracht hat. Das geb ich dir!«
Es war ein prima Koppelschloß der deutschen Wehrmacht, ein
Adler mit einem Hakenkreuz zwischen den Krallen und einer
deutschen Inschrift »Gott Mit Uns«. Ich trug das Schloß an
meinem Gürtel, und die Leute fragten mich ständig nach seiner
Bedeutung. Ich wollte damit keineswegs eine politische Ansicht
äußern, sondern trug es nur, weil ich es geschenkt bekommen
hatte.
Ich habe damit eine Lunte an einem Pulverfaß angezündet.
Die Oakland Tribüne veröffentlichte Fotos von der Schlangengrube, als J. J. Thomas und seine Bande Oakland Bullen eine Razzia
bei uns machten. Ein Foto zeigt die Bullen beim Hochhalten einer
großen Hakenkreuzfahne, die wir ins Clubhaus gehängt hatten, um
die Leute zu erschrecken und zu ärgern. Bis zum heutigen Tage führt
die Bundespolizei immer wieder Razzien in unserem Haus durch,
und jedesmal bringen die Bullen Pressefotografen und Fernseh
Kamerateams mit, um die Abendnachrichten ,ein bißchen
aufregender zu machen. Razzien sind inzwischen beinah ein
alltägliches Ereignis für uns. Heute beschlagnahmen die Bullen statt
Waffen und Drogen allerdings eher die Festplatten unserer
Computer und unsere Akten und Papiere.
Dieser Nazi-Krempel nahm bald Überhand. Andere Mitglieder,
Heils Angel
49
die mein Koppelschloß sahen, besorgten sich auch etwas mit einem
Hakenkreuz oder einem Eisernen Kreuz. Damals war es leicht,
Nazi-Kriegsmaterial auf Flohmärkten oder in Schußwaffenläden zu
finden. All das erschreckte und verärgerte die Leute gewaltig, aber
genau das war ja eine unserer Grundabsichten, also: Warum nicht?
Bald trugen wir Helme, Orden, Tätowierungen und
Lederarmbänder im Nazi-Stil. Es gibt ein berühmt gewordenes
Foto, das in einem großen Magazin erschien und Skip aus
Richmond zeigt, der einen verchromten Wehrmachtshelm trägt.
George Lincoln Rockwell von der American Nazi Party setzte
sich mit mir in Verbindung. Auch er war einem völlig falschen Eindruck erlegen, als er mich bat, für ihn und seine Partei ein Nazi-Motorradcorps aufzubauen. Mann, das Zeug, das wir trugen, waren
Biker-Klamotten, aber sie drückten doch nicht unsere politischen
Ansichten aus! Ich sagte Rockwell ab und erklärte ihm, daß ich an
seiner Idee überhaupt nicht interessiert sei, aber er kam trotzdem
von Virginia bis nach Oakland angereist. Bei unserer Zusammenkunft versicherte er mir, daß er von uns ganz begeistert sei und sich
ein Motorradkorps für seine Partei wünschte. Rockwell wurde
schließlich von jemandem aus seiner eigenen Organisation ermordet.
Der Mörder war ein Mann, den sie ausgestoßen und wieder
aufgenommen hatten. Er stieg danach sogar bis zur zweithöchsten
Position in der Partei auf - ein Riesenpatzer von Rockwell. Leute
wie Malcolm X begingen später denselben Fehler.
Wegen unserer deutschen Charter haben wir aufgehört, Hakenkreuze oder SS-Runen zu tragen, denn das ist in der Bundesrepublik Deutschland streng verboten. Aufgrund einer Abstimmung im Jahr 1997 haben wir auch die SS-Blitze von unseren
Filthy Few Patches entfernt. Ich hab sie aber immer noch als Tattoos auf meinem Rücken und denke gar nicht daran, sie entfernen zu
lassen.
Die Filthy Few Patches bedeuten, »bei Partys die ersten und die
letzten« zu sein. Einmal hatte jemand gesagt: »Mann, bis der allerletzte von euch gegangen ist, seid ihr aber verdammt dreckig« - so
kamen wir auf den Namen: die »Filthy Few« - die paar Dreckigen.
Eine Zeitlang gab es die Filthy Few nur in Oakland, und angeblich
hatte jedes Mitglied ein Mordverfahren am Hals. Die Bullen be50
Ralph »Sonny« Barger
haupteten nämlich damals, wenn man ein Hell's Angel sei und ein
Filthy Few Patch trage, gehöre man zur Elitetruppe der Killer und
habe für den Club schon mal jemanden kaltgemacht.
Bis heute kann man den Filthy Few nur auf ausdrückliche Einladung beitreten. Zu Beginn der 70er Jahre schlössen sich die Filthy
Few auch anderen Clubs an. Es gab aber noch einen Neben-Club,
der sich Wrecking Crew nannte. Manche Kumpel tragen auch
Dequelo-Patches, was auf Spanisch so etwa »No Mercy« -»Die
Gnadenlosen« - heißt. Nach den Protokollen der Polizei sind es die
Wrecking Crew und die Dequelo, die Bullen verprügelt haben - auch
nur eine Scheißerfmdung der Polizei.
»One on all, all on one« - Einer für alle, alle für einen - das
bedeutet, wenn man sich mit einem Hell's Angel anlegt, dann hat
man uns alle am Hals. Wir wissen aber auch alle, was wir zu tun
haben, wenn einer von uns auf die Nase bekommt, was immer
wieder geschieht. Arschlöcher besaufen sich und meinen dann, sie
wären die Größten, und es gibt eine Menge Leute draußen in der
normalen Welt, die sich zu gern mit einem Hell's Angel anlegen
würden. Wenn wir stets Mann gegen Mann kämpfen würden, dann
müßten wir uns rund um die Uhr prügeln. Statt dessen ist es besser,
nur einen derartig zur Sau zu machen, daß die nächsten zehn Typen
sich gar nicht erst an uns herantrauen.
Wenn wir uns einen schnappen und er Gruppenkeile kriegt, finden
die Leute das nicht fair. Aber wir stehen unseren Leuten bei, ob sie
recht haben oder nicht. Das sollte man bedenken. Wenn dein eigener
Bruder den Arsch versohlt bekommt, denkst du dann darüber nach,
ob er im Recht oder im Unrecht war? Scheißegal, ob er was falsch
gemacht hat; scheißegal, ob er recht hatte; du stehst ihm bei. Wenn er
es den anderen besorgt - cool. Wenn er es von den anderen besorgt
kriegt, zum Teufel mit dem fairen Kampf. So ist es am leichtesten,
die Einstellung der Hell's Angels zu begreifen. Wenn dein Bruder
erwischt wird, weil er ein Auto geklaut hat, würdest du dein Haus
verpfänden und die Kaution für ihn zahlen, damit er aus dem Knast
rauskommt? Wir machen das.
Die American Motorcycle Association rümpfte über die kämpfenden Hell's Angels die Nase, um sich zu schützen und den Ruf
von Motorradfahrern sauber zu halten. 1948, nachdem der HolHell's Angel
51
Die Hölle auf Rädern: mein langjähriger Freund und Partner Johnny Angel.
lister-Krawall dunkle Schatten über alle Motorradfahrer geworfen
hatte, nannte die AMA die wilden »Outlaw«-Biker die Einprozenter. Nach den Vorstellungen der AMA beschmutzt also nur ein
Prozent der Motorradfahrer den Ruf der ganzen Zunft, während die
restlichen 99 Prozent gute, altmodische, arschkriechende, gesetzestreue Bürger sind.
Ich war noch kein Jahr lang Chef des Oakland-Clubs, als folgende Geschichte passierte: Wir waren in die kleine Stadt Angels
Camp, Kalifornien, gefahren, um an dem von der AMA veranstalteten Gypsy-Run teilzunehmen. Während mehr als 3700 Fahrer an
diesem Run teilnahmen, betrachtete man uns als störende Außenseiter. Im Verlauf des Gypsy-Run rasten zwei Hell's Angels aus
Sacramento mit mehr als 160 Sachen aus der Stadt hinaus auf eine
Anhöhe. Als sie oben ankamen, hoben ihre Bikes ab, flogen hoch
durch die Luft und krachten in eine Gruppe von MotorradfahRalph »Sonny« Barger
52
rern, die von der anderen Seite den Berg hinauffuhr. Beide SactoAngels kamen dabei ums Leben, und der ganze Unfall war ein
ziemlich grausiger Anblick.
Die AMA sah relativ schlecht aus, als die Zeitungen über diesen
Zwischenfall berichteten. Daraufhin beschlossen sie, auf ähnliche
Events in Zukunft zu verzichten. Obwohl danach der Ruf der AMA
ziemlich beschädigt war, wurden auch die Hell's Angels anschließend
von der Öffentlichkeit noch mehr geächtet.
Von da an betrachteten wir es als eine unserer Aufgaben, der
AMA immer wieder ans Bein zu pinkeln. Einmal hatten wir ein
riesiges Meeting in San Francisco, bei dem alle Charter aus Südkalifornien mit den Charters aus der Bay Area zusammenkamen, und
das waren keineswegs alles nur Hell's Angels. Dorthin kamen auch
Vertreter anderer kalifornischer Clubs wie die Executioners und die
Galloping Gooses. Damals übernahmen wir voller Stolz den
Namen, den uns die AMA verpaßt hatte: die Einprozenter! Wir
entwarfen sogar ein Einprozenter-Emblem, ein Dreieck mit einem
»l%«-Symbol. Anschließend zogen George Wethern und ich los
und ließen uns noch am selben Abend solche Tattoos machen. Wir
orderten sogar solche Patches. Aber die Harmonie war nur von
kurzer Dauer. Als die anderen Clubs verlangten, gleichberechtigt
behandelt zu werden, verließen die Hell's Angels die übrigen
Einprozenter schleunigst. Wir hielten sie nicht für gleichberechtigt,
und außerdem wollten wir zu ihnen nicht dasselbe Verhältnis haben
wie untereinander. Unsere Regeln besagten zwar, daß man das Bike
eines Einprozenters nicht stehlen und ihn auch nicht angreifen
durfte, aber ansonsten waren wir nicht der Meinung, daß sie es
verdienten, von uns so behandelt zu werden wie Hell's Angels
einander behandelten. Zu den Einprozentern gehörte einfach jeder
Biker, der nicht zur AMA gehörte. Der Haken war eben, daß wir
keine Einprozenter waren - wir waren vor allem Hell's Angels und
sonst nichts.
Ich werde zu vielen Neuaufnahmen eingeladen, zur Einführung
neuer Mitglieder. Und da schwirren eine Masse wilder Spekulationen über uns in der Öffentlichkeit herum. Um nur eine von
ihnen zu nennen: Angeblich kann man nur ein Hell's Angel werden, wenn man jemanden umgebracht hat! Um bei den Hell's AnHell's Angel
53
gels aufgenommen zu werden, hat es noch nie besondere Riten
gegeben, außer, daß jeder Neue erst einmal eine Zeitlang als Prospect dienen muß, ehe er Vollmitglied wird. Ein Prospect ist erst
einmal eine Art Laufbursche oder dienstbarer Geist für den Club; er
muß vor einem Meeting dafür sorgen, daß Tische und Stühle
bereitgestellt und Kaffee und Essen für den Vorstand vorhanden
sind. Nach den Veranstaltungen muß er das Clubhaus in Ordnung
bringen. Diese Pflichten müssen so lange erfüllt werden, bis ein
neuer Prospect kommt und man nicht länger das neueste Mitglied ist.
Prospects können aber auch die schlimmsten Rowdys von allen
sein, so wie in Altamont: Als erste vor Ort, als letzte abgehauen,
nachdem sie bewiesen hatten, was sie können. Mitunter haben
Prospects auch den meisten Spaß.
Die Hell's Angels sind ein Club, der versucht, mit so wenig Regeln und Vorschriften wie möglich auszukommen. Die Sonderbestimmungen in Kalifornien waren eine Liste von Regeln, die in
den späten 60ern gedruckt wurden. Nach einem Meeting in Kalifornien wurden sie an die Mitglieder verteilt. Ich weiß nicht genau,
wie es passiert ist, aber jemand muß diese gedruckten Regeln auf
dem Heimweg verloren haben, jedenfalls waren sie am nächsten Tag
im San Francisco Chronicle abgedruckt!
Hier sind einige dieser abgedruckten Bestimmungen. Es gibt
auch noch andere Regeln, die aber nicht öffentlich und nur für
unsere Augen bestimmt sind.
»Jede Woche finden Meetings an einem bestimmten Ort und zu
einer festen Zeit statt.«
Unsere ersten Meetings fanden im Keller von Junior Gonsalves'
Haus statt.
»Eine Geldstrafe von zwei Dollar wird erhoben, wenn jemand
ohne Angabe gewichtiger Gründe einem Meeting fernbleibt.«
Es überrascht mich, daß die Strafe so hoch war, damals war das
eine Menge Geld. Heute sind es höchstwahrscheinlich eher fünfzig
oder hundert Dollar.
»Mädchen sind bei Meetings nicht zugelassen, es sei denn, daß
dazu eine spezielle Veranlassung besteht.«
Ganz selbstverständlich.
»Die Aufnahmegebühr beträgt 15 Dollar für jedes neue Mit54
Ralph »Sonny« Barger
glied. Der Club stellt das Patch, das aber Eigentum des Clubs
bleibt«
Die Patches gehören nicht den Mitgliedern; sie gehören dem
Club (jetzt eingetragene Gesellschaft). Wir hatten viele Probleme
mit dieser Bestimmung, weil Denunzianten und Verräter ihre Patches
oft der Polizei aushändigten. Wenn Informanten das tun, erheben wir
Klage, um die Patches zurückzubekommen. Nach unseren
Vorschriften bleibt ein Patch Eigentum des Clubs, doch im allgemeinen bekommen wir sie von den Abtrünnigen nie zurück.
Unsere Patches sind unser Symbol, deshalb kämpfen unsere
Mitglieder auch auf Leben und Tod um sie. Wenn jemand sein
Patch verliert, ist das ein schlimmer Ehrverlust, deswegen versuchen die Bullen auch, uns die Patches wegzuschnappen. Die
Polizei versucht außerdem ständig, Beschlagnahmungen zu erwirken,
um andere Insignien und Gegenstände des Clubs zu requirieren.
Manchmal wurden sogar unsere Bikes beschlagnahmt, nur weil
unsere Symbole daraufgemalt waren.
Als Rudolph Giuliano Generalstaatsanwalt in New York City
war, trug er einmal bei einem PR-Auftritt eines unserer Patches, das
er aus den Beweisstücken des Gerichts entwendet hatte, die einem
Hell's Angel namens Bill abgenommen worden waren. Giuliano in
weißem Hemd und Slacks trug unser Patch, während eine KameraCrew ihn und den früheren Senator Alfonse D'Amato filmte, wie
sie versuchten, auf der Straße Drogen zu kaufen. Bis heute sagt
Giuliano, dies sei eine der Handlungen gewesen, die er am meisten
bedauern würde. Meiner Meinung nach hätte er aus seinem Amt
entlassen werden müssen, weil er sich widerrechtlich ein
Beweisstück aneignete. Ich habe Giuliano auch mal im Kleid
gesehen, und wenn man mich fragt, finde ich, daß er als Drag
Queen viel überzeugender wirkt.
»Zwischen Clubmitgliedern sind Schlägereien verboten. Zuwiderhandlungen werden mit fünf Dollar je Schläger bestraft.«
Bis heute kostet eine Prügelei zwischen Mitgliedern fünf Dollar
Strafe, was kaum eine abschreckende Wirkung hat.
»Neue Mitglieder werden durch Abstimmung aufgenommen.
Zwei Neinstimmen gelten als Ablehnung. Eine Neinstimme muß
erläutert werden.«
Hell's Angel
55
Wenn etliche Mitglieder Jastimmen abgeben und nur einer mit
Nein stimmt, dann kann dieses eine Nein die Aufnahme eines neuen
Mitglieds verhindern. Der Grund für diese eine Neinstimme muß
angegeben werden, falls es irgend etwas gibt, wovon die anderen
Stimmberechtigten nichts wissen. Oder vielleicht wissen wir etwas,
was der Neinstimmer nicht weiß. Wenn es den anderen nicht gelingt,
den Ablehnenden umzustimmen, ist die Aufnahme abgelehnt. Bei
zwei Neinstimmen wird keine Erläuterung verlangt.
»A lle neuen Mitglieder müssen ihr eigenes Motorrad besitzen.«
Es gibt aber keine Vorschrift, daß es eine Harley sein muß.
»Mitglieder, die Ersatzteile haben, sollen diese an andere Mitglieder ausleihen. Die Teile müssen entweder zurückgegeben oder
bezahlt werden.«
Das ist der Grundsatz, daß die Brüder füreinander Sorge tragen.
»Mitglieder dürfen einander nicht bestehlen. Wer es dennoch tut
und erwischt wird, fliegt aus dem Club.«
Diebstahl ist wie Lügen - unehrlich, und er steht ganz oben auf
der Liste der Verfehlungen - er wird nicht geduldet.
»Mitglieder können nicht gleichzeitig auch zu anderen Clubs
gehören.«
Natürlich gehört niemand von uns noch einem anderen Motorradclub an, aber es gab schon sehr früh die Regel bei uns, daß keiner
AMA-Mitglied sein durfte.
»Neue Mitglieder müssen bei drei Meetings mit ihren Motorrädern erscheinen. Über ihren Beitritt wird dann beim vierten Meeting
entschieden. Die Abstimmung erfolgt schriftlich.«
Heute dauert es mindestens ein Jahr, und es kann bis zu vier
Jahren dauern, bis die Aufnahme durch Abstimmung erfolgt. Wir
warten mit der Entscheidung, bis wir der Ansicht sind, daß der
Prospect wirklich reif genug für den Club ist. Statt für seine Aufnahme zu stimmen und dann feststellen zu müssen, daß er es noch
nicht schafft, zu uns zu gehören, geben wir dem Prospect eben
etwas mehr Zeit. Denn jeder, der abgelehnt wird, muß sechs Monate
warten, bis er erneut die Aufnahme beantragen kann.
»Jeder, über dessen Aufnahme noch abzustimmen ist, unterliegt
den Clubvorschriften.«
Diese Vorschrift bezieht sich auf Prospects; selbst wenn man
56
Ralph »Sonny« Barger
noch nicht in den Club aufgenommen ist, muß man sich an seine
Regeln halten.
»Zur Abstimmung über die Aufnahme in den Club muß der
Prospect von einem Mitglied bei einem Meeting vorgeschlagen
werden.«
Nur Mitglieder mit hohem Ansehen können jemanden zur Wahl
vorschlagen. Zunächst wird man als Prospect gewählt. Derjenige,
der einen Prospect zur Wahl vorschlägt, wird auch der Sponsor des
Prospects während des ganzen Aufnahmeverfahrens, bis der Prospect
als Vollmitglied aufgenommen ist. Ich für meinen Teil habe in all den
Jahren noch nie als Sponsor für jemanden füngiert, ausgenommen
für Joby beim Cave Creek Club in Arizona, nachdem ich dorthin
gezogen bin.
»Mitglieder, die ausgeschlossen worden sind, können nicht erneutaufgenommen werden.«
Diese Regel ist inzwischen geändert worden. Man kann wieder
aufgenommen werden; das geschieht allerdings nur sehr selten.
»Bei >Doppelpackungen< darf ein Mitglied das Mädchen das
Patch tragen lassen.«
Zu Anfang legten wir Wert darauf, daß die Patches gesehen
wurden, also ließen wir unsere Freundinnen die Patches tragen. Das
ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Nur Mitglieder dürfen Hell's
Angel Patches tragen. Wer das Patch eines Mitglieds unrechtmäßig
trägt, riskiert eine Tracht Prügel.
»Jeder, der sein Patch verliert oder dessen Patch von einem Vorstandsmitgliedgefunden wird, zahlt eine Strafe von 15 Dollar, um
das Patch zurückzubekommen.«
Wenn wir in der Öffentlichkeit wären und ich würde mein Patch
irgendwo hinlegen und ein Hell's Angel Vorstandsmitglied findet
es, ohne daß ich es bemerke, könnte es schließlich auch jemand
anders aufheben. Also muß ich Strafe zahlen.
»Bei Runs in Kalifornien dürfen Schußwaffen nur zwischen
6.00 und 16.00 Uhr abgefeuert werden.«
Dies bezieht sich auf unsere Schieß-Runs - wie nach Squaw Rock
- ins Land hinaus, wo man innerhalb festgelegter Bereiche
Schußwaffen abfeuern darf. Bei Squaw Rock lag dieses Gebiet in
den Bergen oberhalb eines Strandabschnitts. Wenn viele MenHells Angel
57
sehen am Strand waren und man seine Waffe zur verkehrten Zeit
abfeuerte, mußte man eine hohe Geldstrafe zahlen.
»Die Spirituosen des Clubs dürfen nicht mit Rauschmitteln gemischtwerden.«
Terry the Tramp machte das einmal. Immer wenn eine Regel oder
Vorschrift erlassen wurde, hatte es vorher einen bestimmten Anlaß
dazu gegeben. Manche Leute mögen nicht beschwipst sein oder
einen in der Krone haben, wenn sie es nicht selbst darauf anlegen, das
gilt besonders für Mitglieder, die auf Bewährung draußen sind und
damit rechnen müssen, auf Drogen untersucht zu werden.
»Munition darf bei Runs nicht in Lagerfeuer geworfen werden.
«
Einige Typen warfen gern Patronen ins Feuer. Heute gehört alles
dazu, was explodieren kann, auch ungeöffnete Cola- und Bierdosen.
»Keine Techtelmechtel mit den Frauen anderer Mitglieder.«
Diese Regel ist sehr wichtig. Ehefrau, Freundin oder Lebensgefährtin, wer immer das weibliche Wesen sein mag - sie ist für die
anderen unantastbar. Wer mit der Frau eines anderen etwas anfängt,
fliegt aus dem Club. Es gibt Abermillionen Frauen auf der Welt, die
paar tausend Frauen von Hell's. Angels sind nun einmal tabu.
»Es ist verboten, dem Mitglied eines anderen Clubs sein Patch
abzureißen.«
Jemand anderem sein Patch abzunehmen ist eine gefährliche
symbolische Handlung, die einer Niederlage oder einer Kapitulation
gleichkommt. Angenommen, jemand in San Jose kriegt Krach mit
einem Nomad, prügelt sich mit ihm und gewinnt. Dann darf er dem
anderen keinesfalls das Patch abnehmen. Jede schwere Übertretung
dieser Regel wird vor den Clubvorstand gebracht. Nur weil mich
einer zusammenschlagen kann, heißt das noch lange nicht, daß er
mir mein Patch nehmen darf. Wenn mich jemand verprügelt und mir
dann noch mein Patch abnimmt, dürfte ich ihn umbringen, selbst
wenn er Mitglied ist.
»Keine Drogen während der Clubmeetings.«
Bei den Meetings in Oakland darf noch nicht einmal geraucht
werden.
58
Ralph »Sonny« Barger
»Mindestens zwei Fübrungsmitglieder müssen alle zwei Monate
an einem Kalifornien-Meeting teilnehmen.«
Weil es inzwischen so viele Führungsmitglieder gibt, haben wir
die Zahl inzwischen auf einen verringert. Treffen der Clubchefs
finden alle sechs Monate statt.
Und hier nun - last, not least - kommt die schlimmste Vorschrift,
die wir je aufgestellt haben:
»KeineDiebstähle von Drogen.«
Diese Bestimmung haben die Bullen oft gegen uns verwendet.
Das Verbot haben wir erlassen, nachdem zwei Mitglieder bei den
Nomads in Kalifornien eingetreten sind. Sie waren feine Kerle,
aber auch kleine Ganoven. Sie hatten bei einem Dealer Hasch bestellt, ungefähr ein Kilo. Als der Typ ihnen das Zeug übergab,
rückten sie nicht mit der Knete raus, und als der Dealer daraufhin
wütend wurde, prügelten sie ihn windelweich.
Anfangs war uns das egal, es hatte ja nichts mit dem Club zu tun.
Aber für die Leute waren es nicht nur diese beiden. Weil sie das
Patch trugen, hieß es plötzlich, daß alle Hell's Angels solche
Dinger drehen und die Leute betrügen würden. So könnte es passieren, daß irgendein anderer Hell's Angel den Highway entlangfuhr
und einfach von seinem Bike abgeknallt würde. Dann müßten wir
untersuchen, wer das getan hatte, und hinter den Scheißkerlen her
sein, um es ihnen heimzuzahlen. Ein Haufen Arger. Wir stellten diese
Regel nicht auf, um Drogengeschäfte unserer Mitglieder zu
verhindern oder zu verdammen. Eigentlich erklärten wir damit ja
nur: Wenn ihr einen Deal machen wollt, dann macht ihn, aber so
wie vereinbart. Aber die Bullen und Staatsanwälte benutzten diese
Regel vor Gericht, und wir bekamen einen gewaltigen Haufen
Ärger. Wenn wir heute verhaftet werden, halten uns die Bullen
immer noch diese alte Vorschrift vor. Sie klingt inzwischen wie ein
schlechter Witz, und es gibt sie längst nicht mehr.
Wir hätten diese Regel damals auch auf Motorräder erweitern
sollen, denn einige Clubmitglieder klauten viel mehr Bikes als
Drogen. Und die Bikes sind schließlich das Herz und die Seele des
Clubs.
Im November 1959. Ich mit Spitzbart, langen Koteletten und Tätowierungen
auf einer 1946er Harley Stroker, die mir kurz nach der Aufnahme des Fotos
um die Ohren geflogen ist.
HARLEYS, CHOPPER,
FULL DRESSERS UND
GEKLAUTE BIKES
Wenn irgendwer in der gesamten bikefahrenden Welt einen
Orden verdient hat, dann ist das Sonny. Er hat Zeichen
gesetzt. Heute sieht man Leute mit diesen verdammten
Patches »Fahren um zu leben, Leben um zu fahren«. Yeah,
das stimmt schon. Aber wenn's mal hart wird, dann ist ihr
Bike das erste, was sie verkloppen. Sonny ist derjenige, der
den Lifestyle der Biker eingeführt hat. Es gab keinen
Outlaw-Typ mit dem Lifestyle, wie er heute existiert, ehe er
ihn nicht eingeführt hat. Cisco Valderrama, Präsident der
Oakland Hell's Angels
I
ch war schon immer verrückt nach Motorrädern. Als ich noch ein
kleiner Junge war, parkten die Motorradbullen von Oakland ihre
Bikes immer vor unserem Haus und paßten auf, ob nicht jemand
das Stoppschild an der Ecke überfuhr. Die Polizei von Oakland
fuhr Harleys und Indians, die Letzteren als V-Twin Flathead.
Mann, war ich beeindruckt von diesen Maschinen! Obwohl ich
Bullen nicht leiden konnte, quatschte ich sie oft an, nur um ihre
Bikes aus der Nähe betrachten zu können. Einmal, als einer der
Motorrad-Cops seine Maschine antrat, bekam mein
Hell's Angel
61
Hund King einen Schrecken und biß dem Bullen ins Bein. Aus
Angst, der Bulle würde sich nun meinen Hund schnappen und ihn
in einen Zwinger stecken, packte ich King und rannte mit ihm
davon. Abends klingelte die Polizei an unserer Haustür. Glücklicherweise konnte mein Vater die Geschichte einvernehmlich regeln, und wir durften den Hund behalten. Allerdings mußten wir
versprechen, ihn nicht aus dem Haus zu lassen, bis seine TollwutQuarantäne abgelaufen war.
Motorräder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg das beliebteste
Fahrzeug in Kalifornien. Viele GIs, die aus dem Krieg im Pazifik
zurückkehrten, hatten keine Lust, ihr langweiliges Leben in Indiana
oder Kentucky wieder aufzunehmen; sie blieben einfach in
Kalifornien. Ein Motorrad war ein verhältnismäßig billiges
Transportmittel, ein bißchen gefährlich und einfach ideal für Rennen
und zum Herumfahren. Außerdem konnte man auf den »heißen
Ofen« auch gemeinsam losfahren, was für die GIs in ihrer Militärzeit
zur Gewohnheit geworden war. Das sonnige Kalifornien wurde
zum Zentrum der Motorradkultur, und jahrelang waren in
Kalifornien mehr Bikes zugelassen als in allen anderen US-Staaten
zusammen.
Ich bekam meinen ersten Motorscooter, eine Cushman, als ich
13 Jahre alt war. Die Cushmans hatten kleine Räder, und ihre Motoren waren wie bei Rollern in Profilrahmen montiert. Eine ovale
Box oben auf dem Rahmen diente als Sitz. Sie hatten einen Kickstarter und nur zwei Gänge. Mit diesen Babys konnte man bis zu
60 km/h fahren, wenn man ordentlich auf die Tube drückte. Die
Mustangs sahen wie Miniatur-Motorräder aus, hatten einen Biggs&-Stratton-Motor und einen ziemlich kleinen Benzintank. In den
frühen 50er Jahren waren Cushmans und Mustangs sehr beliebt.
Eine fabrikneue Mustang kostete ein paar hundert Dollar, eine
gebrauchte Cushman bekam man schon für 20 Dollar. Kein
Wunder, daß wir Cushmans fuhren.
Die Schule langweilte mich zu Tode. Ich wollte nur noch fahren.
Ein Typ namens Joe Maceo fuhr bei Demolition-Rennen Hardtops
für eine Signal-Tankstelle in meiner Nähe. Joe war 21 und hatte
Verständnis für Vierzehnjährige wie mich. Damals nannten sie ihre
Wagen Hardtops. Das waren die schicken kleinen
62
Ralph »Sonny« Barger
'32er Fords. Wir schweißten einen Überrollbügel über das Dach
eines dieser Fords, und es war völlig wurscht, ob die Wagen hinterher Wracks waren oder nicht. Joe und sein Freund Marty ließen
mich Nummern auf die Hardtops malen, und an Samstagabenden
gingen wir alle zum Cow Palace nach San Francisco und sahen zu,
wie Joe die Karren zu Schrott fuhr.
Mein Schwager Bud, der Mann von Shirley, kaufte gebrauchte
Autos und brachte sie wieder in Schuß, um mit ihnen Profit zu
machen. Bud und Shirley hatten hinter dem Haus einen großen Hof,
m dem lauter ausrangierte, alte Wagen herumstanden, die sie billig
aufkauften. Wir arbeiteten an den Vehikeln, um sie wieder
fahrtuchtig zu machen. Ich hatte viel Spaß an dieser Arbeit, aber
noch lieber fummelte ich an Motorrädern herum. Im Vergleich zu
einem Auto ist ein Motorrad etwras viel Persönlicheres. Man kann
den Motor ausbauen und in all seinen Einzelteilen auf dem Montiertisch ausbreiten, ohne ständig seinen Kopf unter die Motorhaube eines großen Blechkastens stecken zu müssen.
Direkt neben unserem Haus machte ein Anhänger-Verleih auf,
und der Typ, dem der Laden gehörte, hatte auch ein Motorrad. Ich
durfte für ihn arbeiten, und er nahm mich oft auf seiner Norton mit.
Wenn ich bei ihm mitfuhr, spurte ich, wieviel mehr Kraft dahinter
steckte als auf einer Cushman oder Mustang.
Von meinem Sold kaufte ich mir mein erstes Motorrad, als ich
achtzehn und gerade aus dem Militärdienst entlassen worden war.
Damals war der durchschnittliche Motorradfahrer ein bißchen alter
als ich. Ich war immer der Jüngste und fuhr an der Spitze meiner
Freunde, die alle schon Mitte 20 waren. Die großen Motorrad-Hnnen
waren damals B S A, Triumph, Norton, Harlcy-Davidson und
In d i an . Ich fand Harleys geil und kaufte mir bald ein 36er
Modell, Für das ich inklusive Steuer und Zulassung 125 Dollar abdrucken mußte. Benzin kostete 19 Cents die Gallone (etwa 20
P f en n i g pro Liter). So war es ein billiges Vergnügen, durch die
Straßen von Oakland zu fahren. Endlich hatte ich die ersehnte
Freiheit.
Motorrader wurden damals noch mit starrem Rahmen gebaut.
Deshalb vibrierten die Maschinen auch stark beim Fahren. Auf
holprigen Straßen oder bei Schlaglochern gaben diese Rahmen so
Hell's Angel
63
gut wie gar nicht nach. Die ständige Vibration führte dazu, daß
sich immer wieder Teile lösten und abfielen, manchmal sogar
während der Fahrt. Laufend mußte man an der Maschine nachschrauben und alles festdrehen, um die Kiste in Schuß zu halten.
An Motorrädern zu basteln, herumzuschrauben und sie zu reparieren gehört zu den Dingen, die ich am allerbesten kann. Als
hätte ich mein ganzes Leben lang an Motorrädern gearbeitet, sie
getunt, frisiert und nach meinen Wünschen umgemodelt. Oft fiel
mir dabei plötzlich wieder etwas Neues ein, dann nahm ich das
Bike wieder auseinander und fing das Ganze von vorne an.
Die ursprünglichen Harleys hatten Seitenventil-Motoren Flatheads. Das bedeutet, daß die Zylinderköpfe oben flach sind
und die Ventile sich wie bei einem alten Fordmotor an deren Seiten
befinden. Meine 1936er Harley hatte einen obengesteuerten
Motor, bei dem die Ventile sich oben und nicht an den Seiten bewegten. Solche Motoren hießen Knuckleheads, denn sie hatten
seitlich Zylinderköpfe, in denen die Ventile untergebracht sind
und die wie Knöchel aussehen. 1948 wechselte Harley zu Blechabdeckungen der Zylinder - Panheads genannt - 1966 zu Aluminium-Abdeckungen, den sogenannten Shovelheads. Verschiedene
Motorenkonstruktionen überlappten einander niemals bei Harleys; wenn Änderungen vorgenommen wurden, dann durch die
gesamte Modellreihe. Ab 1984 benutzte Harley eine neuartige
Motorenform, den Evolution-Engine.
Auf dem großen Motorradmarkt erfreute sich Harley eines bedeutenden Marktanteils. Bei Tourenrädern kontrollierte Harley
etwa 50 Prozent der Verkäufe, die andere Hälfte wurde von den
japanischen Marken beherrscht. In Folge dieser Vormachtstellung
benahmen sich die Harley-Leute oft ihren Kunden gegenüber sehr
hochnäsig.
Einer der Chefs bei Harley erklärte einmal: »Genug Bikes sind zu
viele, und wenn wir reichlich davon herstellen, verliert die Marke
ihre Mystik.« Diese Leute betonen zwar, daß ihre Produktion von
Jahr zu Jahr steigt, aber bis vor ein paar Jahren hat Harley die
Produktion nach meiner Einschätzung absichtlich gedrosselt, um
die Nachfrage zu steigern. Jetzt gibt es schon Firmen wie Titan,
American Eagle und American Illusion, die das Softail-Mo64
Ralph »Sonny« Barger
dell von Harley imitieren. Dabei handelt es sich um das im 50erJahre-Stil gebaute Bike, das alle neuen Fahrer kaufen möchten.
Softail-Bikes sehen wie alte Räder mit dem starren Rahmen aus,
sind dabei natürlich viel moderner, aber »soft« ist das Fahren auf
ihnen auch nicht gerade. Sie haben zwar Stoßdämpfer, doch wenn
man mit ihnen auf dem Highway mehr als 90 km/h fährt, fühlt
sich das nicht besonders weich an. Der Motor ist nicht in Gummi
gelagert, im Grunde sind diese Maschinen nicht viel anders als die
1936er Modelle in ihren Fahreigenschaften. Sie neigen zu Motorschäden und vibrieren stark, wenn man sie zu schnell fährt. Für
Fahrer, die nur jeden Samstagabend mal eben zu ihrer Kneipe fahren
wollen, sind sie genau das richtige. Das Softail-Bike ist Harleys
meistgekauftes Rad in jüngster Zeit, und vom Design her hat es
auch den coolen Look des Choppers. Im Jahr 2000 kam Harley
mit dem 88B-Motor heraus, der gut ausbalanciert ist und nicht
vibriert.
Titan, American Eagle und American Illusion stellen, wie sie
selbst sagen, »Clone Bikes« her, von denen die meisten in den
USA gebaut werden und die oft nicht einmal mit eigenen Motoren
ausgestattet sind.
Die Hell's Angels aber entschieden sich für Harley-Davidsons,
weil sie damals - im Gegensatz zu heute - kaum eine andere Wahl
hatten. Man konnte sich 1957 entweder eine Harley kaufen oder
mußte sich mit einer Triumph oder einer BSA zufriedengeben.
Indians wurden zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr gebaut.
Wichtig war für die Hell's Angels, daß sie in Amerika hergestellte
Maschinen fuhren. Was die technische Perfektion angeht, mag ich
persönlich gar keine Harleys. Ich fahre sie, weil ich im Club bin
und sie zum Image des Clubs gehören, aber wenn ich die Wahl
hätte, würde ich mich eher für eine Honda ST 1100 oder eine
BMW entscheiden. Irgendwie haben wir etwas verpaßt, indem wir
nicht auf japanische Bikes umstiegen, als die Japaner anfingen,
größere Maschinen zu bauen. Ich sage meistens: »Zum Teufel mit
Harley-Davidson. Kauf dir eine ST 1100, dieser Ofen fährt schon
vom Hersteller aus den ganzen Tag lang seine 180 Sachen auf dem
Highway.« Die neuesten »Reis-Raketen« bringen 140 PS aufs
Hinterrad und können ohne weiteres
Hell's Angel
65
bis zu 270 Sachen Höchstgeschwindigkeit fahren. Jetzt ist es
wahrscheinlich zu spät, aber es wäre toll gewesen, wenn wir japanische Bikes genommen hätten, denn die sind viel billiger und
auch technisch besser. Dafür haben die japanischen Motorräder
lange nicht so viel Persönlichkeit.
Ich fahre jetzt eine Harley FXRT, das beste Modell für Leute,
die sehr viele Kilometer abreißen. Harley baut diesen Typ nicht
mehr, doch er ist das Beste, was es gibt - ein gutes Rad für lange
Strecken, das sich aber auch auf kurzen Strecken gut handhaben
läßt. Die FXRT ist nicht so schwer wie andere Parademodelle, dafür
ist sie schneller und hat geräumige Satteltaschen für lange Runs.
Meine FXRT schafft gerade mal 150 Sachen, wenn ich sie richtig
aufmotze. Dann wird sie aber auch ein wenig unzuverlässig. Je
schneller eine Harley ist, um so weniger kann man sich auf sie
verlassen. Neue Triumphs schaffen 400 Meter in zehn Sekunden.
Wenn man ein Tourenrad von Harley dazu kriegt, so schnell zu
fahren, hat man eine Bombe unter dem Hintern. Das schlimmste ist,
daß man eine Harley, die so schnell fährt, schlecht stoppen kann.
Momentan sind die Hell's Angels nun mal auf Harleys festgelegt,
aber eines Tages werden wir hoffentlich gescheit genug sein, um
uns anders zu entscheiden.
Die Harley FXR ist heute die meistgefahrene Maschine der
Hell's Angels. FXRs haben einen in Gummi gelagerten Motor in
einem Rahmen mit Doppelschwingen. Das bedeutet, daß der Rahmen hinten auf beiden Seiten Stoßdämpfer zur besseren Straßenanpassung besitzt. Harley entwickelte dieses Modell als Reaktion
auf Fahrer wie die Hell's Angels, die ein vereinfachtes - »strippeddown« - Bike bevorzugen. Die FXR und die FXRT sind praktisch
derselbe Typ. Die FXR ist die einfachere Version, während die
FXRT als Tourenrad mit Satteltaschen und einem Fairing ausgestattet ist. Ein Fairing ist ein Plastikstück, an dem die Windschutzscheibe befestigt ist.
Die FXR ist ein zuverlässiges Rad, was Schnelligkeit und Reichweite angeht. Jahrelang fuhren die meisten Hell's Angels Bikes mit
Starr-Rahmen. Inzwischen sind sie fast alle zu FXRs übergegangen,
weil sie weite Runs durchs ganze Land machen und dabei ein
höheres Tempo haben wollen.
66
Ralph »Sonny« Barger
Was die Hersteller bei Harley angeht, so produzierten sie lange
Zeit in erster Linie FXRs, weil die am besten zu handhaben waren
und am meisten gekauft wurden. Nach 1993 aber stoppte Harley
die Herstellung der FXRs. Als 1999 deren limitierte Serie herauskam, kosteten die FXRs laut Listenpreis 17 000 Dollar, aber wegen
der großen Nachfrage verkauften die Händler sie für bis zu 25 000
Dollar. Seitdem hat das Dyna Glide die FXR weitgehend ersetzt.
Meiner Ansicht nach ist das Dyna Glide nicht so gut wie die FXR,
weil sie sich nicht so gut führen läßt.
Worum es aber bei den Harley-Davidsons vor allem geht, ist
der geile Donnerklang der Bikes - jeder liebt dieses dumpfe
Rumpeln. Eine weitere Sache, die Harley-Besitzer an ihren Maschinen lieben, ist das hohe Drehmoment, jene rohe Kraft gleich
in den niedrigen Drehzahlen. Das verliert sich natürlich, wenn
man schneller als 150 km/h fährt. Den meisten Harley-Fahrern
liegt nicht viel an Höchstgeschwindigkeiten, wichtiger ist ihnen
dieses hohe Drehmoment, diese Kraft, die dir im Bauch brummt
und dir das Gefühl von Macht gibt. Die japanischen Maschinen
haben zwar auch Kraft, aber aus irgendeinem Grund geben sie
einem nicht dasselbe Gefühl von Macht. Eine Harley kann ohne
weiteres einen Mack-Truck abschleppen. Mit einem japanischen
Modell funktioniert das nicht. Selbst wenn sie stark genug ist ihre Kupplung würde glatt kaputtreißen.
In den frühen 60er Jahren warb Honda mit dem Spruch »Die
nettesten Leute trifft man auf einer Honda«. Das war natürlich
nichts für Hell's Angels, brachte aber Harley in Absatzschwierigkeiten bei den durchschnittlichen Motorradkäufern. Honda
hatte anfangs winzige Maschinen wie die 50 ccm und die 100
ccm, die größte von ihnen hatte gerade mal 450 ccm. Später
produzierte Honda 900, 1100, 1200 und sogar diese riesigen 1500
ccm Kisten, Mann, das waren wirklich Maschinen, mit denen
Harley nicht mehr mitkam. Kawasaki und viele japanische
Sportmaschinen haben bessere Bremsen, mehr PS und sind
leichter zu fahren.
Was eine Harley auszeichnet, ist ihre brutale Kraft. Eine nagelneue Harley bringt zwischen 49 und 52 PS aufs Hinterrad. Wenn
Hell's Angel
67
ich an meiner Harley ein bißchen herumtune, kann ich das bis auf
81 PS hochpowern.
Bis 1984 waren Harley-Davidsons bekannt dafür, daß Öl aus
ihnen herausleckte. Selbst nagelneue Maschinen tropften schon,
und die Händler mußten im Showroom Pappstücke unter sie legen.
Die frühen Harleys hatten Öl-Leckstellen, weil die Metallgehäuse
nur schlecht mit Kork abgedichtet waren. Manchmal lag es auch
einfach an der Motorenkonstruktion. Wenn man sein Motorrad eine
Woche lang nicht gefahren war, sammelte sich das Öl in der
Ölpumpe so an, daß es in das Kurbelgehäuse überlief. Beim Starten
spritzte das Öl dann nur so heraus. Nach genaueren Qualitätskontrollen, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beseitigte
Harley-Davidson das Problem endgültig mit der Entwicklung des
Evolution-Motors.
Wenn man an einer älteren Harley geschickt genug arbeitet und
herumschraubt, kann man diese Lecks beseitigen. Unter meiner
Harley würde niemand auch nur einen einzigen Tropfen Öl finden, denn ich weigere mich zu glauben, daß Motorräder lecken
müssen. Ich bringe nur absolut sichere Dichtungen an und sorge
dafür, daß alles fest abgedichtet ist. Wenn trotzdem noch irgendwo
Öl herauskommt, wasche ich alle Teile gründlich und ersetze die
Dichtungen. In dem Punkt bin ich wohl ein Fanatiker. Man sieht
nur dann Öl unter meiner Maschine, wenn ich längere Zeit hohes
Tempo gefahren bin. Ein Tropfen leckt mitunter aus dem
Luftansaugstutzen, wenn es da drin nach dem Anhalten zur Kondensation kommt. Wahrscheinlich könnte ich auch das verhindern, wenn ich dort ein Ventil einsetzen würde, das nur den Lufteintritt in den Motor erlaubt und auslaufendes Öl stoppt. Aber ich
lasse lieber dieses bißchen Öl weiter herauslecken als meinen Motor
am »Ausatmen« zu hindern.
Nachdem jetzt in den gesamten USA Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt sind, habe ich ein RevTech-SechsgangGetriebe in mein Motorrad eingebaut, das Custom Chrome, Inc.,
anbietet. Statt eines normalen Fünfgang-Getriebes sechs Gänge zu
haben, ist wie ein Overdrive und macht richtig Freude. Man kann
150 km/h fahren, ohne die Maschine hochzupuschen. Das schont
den Motor ganz erheblich. Wenn man auf dem
68
Ralph »Sonny« Barger
Highway mit 150 km/h fährt und dabei 5000 Umdrehungen pro
Minute braucht, kann man mit dem Sechsgang-Getriebe das selbe
Tempo mit nur 3500 Umdrehungen schaffen. Mein 88 cubic-inchCCI-RevTech-Motor hat sich schon bestens an die sechs Gänge
gewöhnt.
Harley-Davidson hat sich bisher noch nicht auf Sechsgang-Getriebe umgestellt, während einige japanische Maschinen schon
Siebengang-Getriebe eingeführt haben. Ich glaube, die meisten
Harley-Fahrer hätten gerne sechs Gänge. Als es drei Gänge gab,
wollten sie vier. Als Harley den Viergang baute, träumten die Fahrer
von fünf Gängen. Daher sind Sechsgang-Harleys wohl nur noch
eine Frage der Zeit.
Auch wenn die durchschnittlichen Harley-Enthusiasten das
Softail-Bike lieben und vor allem kurze Runs machen, wollen sie
meistens dasselbe, was die Hell's Angels sich wünschen schnellere Bikes und bessere Overdrive-Getriebe. Motorräder
bekamen immer stärkere Motoren (von 80 Kubikinch = ca. 1300
ccm auf 88 Kubikinch = ca. 1450 ccm - bis zu 90 Kubikinch =
ca. 1475 ccm), denn Fahrer wie die Hell's Angels drängten auf
mehr und mehr. Und wenn wir richtig Stoff geben, wollen das die
Yuppies und die RUBbers (rich urban bikers = reiche
Großstadtbiker) natürlich auch.
»Chopper« der Hell's Angels kamen auf, als wir anfingen, die
Dievorderen
Schutzbleche von unseren Maschinen zu ent-fernen,
die hinteren Schutzbleche abzuschneiden und die Lenkstangen zu
verändern. Man muß sich nur mal die Karren in dem Film The Wild
One ansehen. Lee Marvin und seine Crew fuhren Harleys und
Indians mit abgeschnittenen Vorderschutzblechen. Damals hatten
sie noch nicht die kleineren Tanks und die anderen Räder
eingeführt. Als dann die Hell's Angels kamen, fingen wir an,
unsere Motorräder auseinanderzunehmen, sie zu verbessern und an
den Formel-Designs von Harley herumzubasteln.
Jedes fabrikneue Motorrad ist mit allen Standards ausgerüstet.
Wir nahmen als erstes die Windschutzscheiben ab, dann die Satteltaschen und ersetzten die riesigen, alten, häßlichen Sättel (mit
Sprungfedern) durch einen kleineren, dünneren Sattel. Auch die
Hell's Angel
69
ganzen Lampen und Scheinwerfer brauchten wir nicht. Wir
tauschten den übergroßen Hauptscheinwerfer gegen einen kleineren aus, ersetzten den Normlenker durch hochgezogene
Lenkstangen und die vergrößerten Benzintanks durch kleinere
tropfenförmige Tanks. Bis in die Mitte der 50er Jahre benutzten
wir die alten Tanks der Mustang Bikes, danach wechselten wir zu
den schmalen Sportster Tanks. Die Tanks veränderten wir wegen
des Looks, denn die breiten, dicken Tanks verdecken an einer
Harley den oberen Teil des Motors. Unsere Maschinen wurden so
viel stromlinienförmiger, sie wurden schlanker und schmaler. Vorn
sahen sie cooler aus, weil sie durch das dünnere Vorderrad noch
länger wurden. Außerdem konnte man so den ganzen Motor sehen,
was für ein Tourenrad außergewöhnlich war.
Als nächstes bauten wir das vordere Schutzblech komplett ab,
dann verkleinerten wir das hintere Schutzblech oder ersetzten es
durch das noch schmalere Blech der Radabdeckung eines 1936er
Ford. Bei einer Harley mit 16-Zoll-Reifen sah das großartig aus
und war auch noch praktischer.
Die Standardfarbe der Harley-Rahmen war damals immer
schwarz. Nur die Benzintanks und die Schutzbleche hatten eine
andere Farbe. Als wir unsere eigenen Maschinen zusammenbauten,
bekamen die Rahmen dieselbe Farbe wie die Benzintanks, und wir
verschweißten alles so, daß keine Schweißnähte zu sehen waren.
Wir verchromten jedes Teil, das sich verchromen ließ, und bauten
Doppelvergaser ein. Durch die ganzen Sonderausstattungen
bekamen wir eine Menge Trophäen bei Wettrennen.
Ich malte mich selbst orange wie einen Kürbis an, um in der
Halloween-Nacht 1968 im Fillmore zur Farbe meiner Harley zu
passen. Jemand, der an der Bay Bridge arbeitete, brachte mir ein
paar Dosen orangefarbene Sprühfarbe, so daß ich mein Motorrad in
dieser Farbe lackieren konnte, die bald allgemein als »Oakland
Orange« bekannt wurde. Es war ein richtig grelles RennbikeOrange. Während der Oakland Hell's Angels Tage in den 60er
Jahren wurde orange eine sehr populäre Farbe, und eine ganze
Menge Mitglieder der Oakland-Gruppe bemalten ihre Bikes anschließend mit dieser Farbe. Mit Symbolik hatte das nichts zu tun,
es war einfach eine kostenlose Farbe.
70
Ralph »Sonny« Barger
u
Wir malten unsere Totenköpfe und Embleme auf die Benzintanks. Tommy the Greek, ein alter Autolackierer aus Oakland, war
dafür genau der richtige Mann. Man erkannte seine Entwürfe
sofort, weil er immer diese lodernden Flammen malte. Auch Big
Daddy Roth übernahm diesen Stil. Von Dutch war ein weiterer
Künstler, dessen Arbeiten besonders in SoCal sehr bewundert
wurden. Es gab aber auch noch andere Künstler wie Len Barton in
der Bay Area, Gil Avery in Fresno, Art Hemsel und Red Leo, die
für ihre coolen Designs an den Benzintanks bekannt und beliebt
waren. Arien Ness, heute einer der führenden MotorradErsatzteilhändler, fing auch einmal als Bike-Maler an. Wenn die
Harley frisch aus der Fabrik kam, nahm Arien sie total auseinander
und bemalte jedes Teil in zueinander passenden Farben, wobei er so
verrückte Farben wie Liebesapfelrot benutzte.
Im Gegensatz zu den Choppern sind die »Full Dressers« - Paradebikes - Motorräder, an denen sämtliche Originalteile des
Herstellers erhalten bleiben und an die noch besonders schicke
Windschutzscheiben aus Plexiglas, Schmutzfänger, lederne Satteltaschen, Antennen für die Radios mit Waschbärschwänzen,
verbreiterte Schutzbleche mit viel Chrom und jede Menge
Scheinwerfer angebracht 'wurden. Verdammt viel sinnloses Zeug,
Mann! In der Straßensprache heißen die Full Dressers auch
»Müllwagen«, und in früheren Tagen hätte man nie einen Hell's
Angel auf so einem Monstrum gesehen. Der Wochenend-Fahrer,
der seine Schwiegermutter besuchen fährt, saß meistens auf einem
Full Dresser. Manchmal fuhren auch Bullen in ihrer Freizeit solche
Paradebikes.
Wenn ich heute ein reiner Langstrecken-Biker wäre, würde ich
mir eine Harley-Davidson Road King zulegen. Auf Langstrecken ist
die Road King besser als die Harley Dyna Glide. Die Road King
hat einen in Gummi gelagerten Motor und ist eigentlich eine
sparsamere Version des Full Dressers. Sie hat zwar noch Satteltaschen und Seitenverkleidungen, aber kein Radio und auch keinen
extragroßen Beifahrersattel.
Die Hell's Angels schufen einen völlig neuen Typ Motorrad.
Ebenso wie Corvette und Thunderbird den Sportwagen-Look für
Ford und Chevrolet kreierten, erfanden wir den Chopper-Look
Hell's Angel
71
Cisco Valderrama, der Präsident des Oakland Clubs, auf einer 1965er
gechoppten Harley Panhead.
Cisco Valderrama personal Collection
mit unseren Harley-Davidsons. Hell's Angels kauften selten Ersatzteile. Wir machten sie uns selbst. Ich baute mir meinen ersten
Hochlenker aus den Stühlen, die zu den alten Resopal-Chromtischen der 50er Jahre gehörten. Ich besorgte mir solche Stühle, deren
Rahmen ja schon gebogen und einen Zoll dick waren, schnitt die
Rahmen auf die passende Länge zurecht, und schon hatte ich einen
Hochlenker.
Wir bauten uns auch verlängerte Frontgabeln, indem wir die
Vorderradgabel einer Maschine nahmen, sie mit einem Stück der
Gabel einer anderen Harley zusammenschweißten, und schon hatte
man vorne 15 Zentimeter mehr Gabellänge. Durch die Strek-kung
des Lenkkopfs lag der ganze Rahmen des Bikes niedriger. Dann
montierten wir noch schmalere Schutzbleche, Haltegriffe und
»Sissy Bars« - Rücksitze mit extrahoher Lehne für Beifahrerinnen,
auch »Heulsusen-Halter« genannt. Wir bauten unsere eigenen Sissy
Bars und Fußrasten, formten sie aus Metall und bogen und
schweißten sie nach unseren Vorstellungen an die Maschinen. In den
späten 60er und frühen 70er Jahren »choppten« wir unsere
72
Ralph »Sonny« Barger
Bikes so zusammen, daß sie eine tiefere Lage hatten. Aber wir veränderten fast nie etwas am Rahmen, auch wenn es oft so aussah,
weil wir die Sättel so weit nach hinten und direkt über das hintere
Schutzblech verlegten.
Die einzigen Teile, die wir kaufen mußten, waren welche für die
Motoren und die Getriebe. Ich habe wahrscheinlich mein halbes
Leben in einer Garage verbracht und habe eine ganze Garage voll
mit Ersatzteilen. Auch die Schwungräder an der linken Seite verkleinerten wir, um das Motorrad leichter zu machen und es
schneller starten zu lassen. Für lange Strecken waren schwerere
Schwungräder besser, aber uns kam es darauf an, beim Start mehr
Tempo zu gewinnen.
Natürlich war es eine Macho-Masche, Sachen einzubauen, die
wir Selbstmord-Kupplungen und Jockey-Schaltungen nannten und
bei denen man mit der linken Hand die Gänge schalten und mit
dem linken Fuß kuppeln mußte. Bevor die Motorräder elektronische Zündungen hatten, bauten wir Magnetzündungen ein, um
auf Batterien und Zündspulen verzichten zu können. Ein Magnet
liefert beim Antreten Elektrizität für die Zündkerzen. Das alles
gehörte dazu, damit die Chopper noch leichter wurden.
Für den schnelleren Start bauten wir außerdem noch neue
Nocken und stärkere Nockenwellen ein, größere Ventile und neue
Kolben, wir vergrößerten die Vergaser und verkürzten die
Schaltwege in den Getrieben mit größeren Zahnrädern, um die
Beschleunigung unserer Motorräder zu vergrößern. Und das alles
nur, um den Start schneller zu machen.
Wir wechselten die Hinterräder in 18-Zoll-Räder, vorn verwendeten wir 21-Zoll-Räder. Von der Achse abwärts sind es bei einer
18-Zoll-Felge mit einem 450 x 18-Reifen viereinhalb Zoll von der
Felge bis zum Boden. Bei einem 21-Zoll-Rad verbleiben da nur
zweieinhalb Zoll Reifen bis zum Boden. Dadurch wird das Motorrad
zwar kaum höher oder niedriger, aber der 18-Zöller macht das Rad
erheblich schlanker und schneller, weil weniger Gummireifen den
Boden berührt.
Am günstigsten waren die gebrauchten Harley-Davidsons, die
von der Polizei abgestoßen wurden. Solche Maschinen werden
übrigens noch bis zum heutigen Tag versteigert. In den 60er JahHell's Angel
73
ren bekam man für 200 Dollar im Gegenwert etwa dasselbe, wofür
man heute 6000 bis 7000 Dollar für Motorräder oder Ersatzteile
zahlen müßte. Die Highway-Patrouille - damals noch mit Shovelhead-Maschinen ausgerüstet - fuhr ihre Harleys bis zu 32000 Kilometer, bevor sie generalüberholt wurden.
Hatten sie 64 000 Kilometer auf dem Tacho, kamen sie zu den
Polizeiakademien. Man war der Ansicht, daß die Motorräder dann
schon Materialermüdung aufwiesen. Wenn sie auch an der
Akademie nicht mehr benutzt wurden, gingen sie zur Versteigerung. Und da kauften wir sie. Einer der Gründe, weshalb die Hell's
Angels den Harley-Davidsons treu geblieben sind, ist die Tatsache,
daß man eine Harley immer wieder generalüberholen oder neu
zusammenbauen kann, ganz egal, was mit ihr los ist - es sei denn,
sie ist in Flammen aufgegangen. Deshalb sieht man auch heute
noch immer 1936er Harleys auf der Straße. Sie sind einfach
unverwüstlich, wenn man sie richtig wartet.
In den frühen 60er Jahren hatten die Seriennummern an einem
Motorrad keine Bedeutung. Sie standen auf der linken Seite des
Motorblocks, und wenn die Nummer mit der auf deiner Zulassung
übereinstimmte, war alles in Ordnung, ob es nun eine Fabriknummer war oder eine später eingravierte Nummer. Die Bullen
achteten damals auch nicht auf korrekte Beleuchtung oder
Nummernschilder. Aber als dann die Motorraddiebstähle anfingen,
wurde die Polizei genauer. Die Zulassungsvorschriften wurden
strenger, und lauter neue Regeln wurden eingeführt. Jetzt haben
sogar die Rahmen Registriernummern.
Viele in unserem Club experimentierten mit den verschiedensten
Sachen. Einige verlegten die Bremsen in die Mitte ihrer Maschinen
und ersetzten die alten durch hydraulische Bremsen. Har-leyDavidson übernahm das später und stattete alle Motorräder
serienmäßig damit aus. Wir verlegten auch den Kickstart-Fußhebel
von vorn weiter zur Mitte. Daraufhin machte Harley das auch bei
ihren Sportsters und später auch bei den Big Twins. Beim KickstartMechanismus nahm ich immer das Pedal ganz ab und ersetzte es
durch einen vier Zentimeter längeren Fußhebel, um so das Starten
leichter zu machen. Um ein Motorrad zu starten, muß man den
Motor in ausreichende Umdrehungen bringen, und je
74
Ralph »Sonny« Barger
schneller man den Motor dabei dreht, um so leichter springt die
Maschine an. Wenn man wie ich nur 160 Pfund wiegt und das Pedal
niedertritt, bringen vier Zentimeter mehr an Pedallänge schon einen
Unterschied. Wer allerdings mehr als 280 Pfund wiegt wie Junkie
George oder Big AI, bei dem springt der Motor auch so mühelos
an.
Wir bauten uns Motorräder zusammen, die verdammt mühelos
und glatt liefen, wenig Ersatzteile brauchten und enorm unbequem
waren. Wenn wir unsere Kisten erst mal so überarbeitet hatten, dann
waren sie sicherlich nicht besonders leicht zu fahren, aber was
soll's? Wir sahen einfach cool auf ihnen aus. Es gehörte auch immer
eine »Bitch Bar« (»Sissy Bar«) zum Stil und zum Look, damit
sich dein Mädchen bequem darauf zurücklehnen kann. Wenn wir
die Straßen entlangfuhren, starrten uns die Leute nach - und
daraufkam es uns ja hauptsächlich an.
Die Behörden wurden langsam nervös wegen der wachsenden
Zahl von Motorradclubs, die ihre Maschinen zu Choppern
umbauten. Gesetze und Verordnungen wurden erlassen, und als
die Clubmitglieder anfingen, ihre Räder zu tunen und lange
Vordergabeln anzubauen, setzte sich die Highway-Patrouille
dafür ein, Vorschriften für die Lenkerhöhe durchzusetzen. Eine
Zeitlang fuhren wir unsere Motorräder ohne Vorderradbremsen.
Wir brauchten keine. Eine kleine Radnabe mit extra langen
Speichen und ohne Bremstrommel - das sah richtig toll aus. Dann
wurde ein Gesetz erlassen, das Vorderbremsen vorschrieb. Etliche
unserer Lenker reichten weit über Schulterhöhe. Und wieder gab
es eine neue blödsinnige Vorschrift, daß die Lenker höchstens
Schulterhöhe haben dürften. Die Polizei behauptete, man könne
ein Motorrad nicht sicher fahren, wenn der Lenker zu hoch sei,
was völliger Unsinn ist. Wir versuchten, den Gerichten
klarzumachen, daß hohe Lenker bei langen Runs bequemer sind.
Aber die blöden Politiker dachten noch nicht einmal darüber nach,
daß schließlich auch Autos so gefahren wurden. Man brauchte sich
doch nur die Leute am Steuer in den Autos anzusehen und zu
beobachten, wo sie ihre Hände am Steuerrad haben: oben auf dem
Lenkrad! Weit über Schulterhöhe! Das ist ganz natürlich. Ich
glaube, sie mußten etwas
Hell's Angel
75
finden, was sie uns anhängen konnten, nur weil wir Hell's Angels
waren.
In den frühen Tagen des Motorradfahrens dachte kein Mensch
daran, einen Helm zu tragen. Inzwischen gibt es natürlich in vielen
Staaten der USA Helmvorschriften. Als ich 1991 im Knast saß,
verabschiedete endlich auch Kalifornien das Helmgesetz. In den
60er Jahren hatte ich mich sehr darum bemüht, ein Gesetz über
das Helmtragen zu verhindern. Es gab einen Abgeordneten aus San
Francisco, John Foran, der sich unablässig für eine Helmvorschrift
einsetzte. Ich kämpfte genauso energisch gegen ihn an, und drei
oder vier Jahre lang gelang es mir, seine Absichten zu
durchkreuzen. Beim letzten Mal kam er zu mir und sagte: »Weißt
du was, Sonny, nächstes Jahr werde ich einen Gesetzentwurf
einbringen, in dem es heißt, daß nur du einen Helm tragen mußt.«
Für uns Clubmitglieder war die Helmfrage ein persönliches
Anliegen, und deshalb fuhren wir auch nach Sacramento, um gegen
die geplanten Gesetze auf den Stufen des Capitols, dem Gebäude
des Staatsparlaments, zu demonstrieren. Es kamen immer viele
Pressefotografen, wenn die Hell's Angels gegen das Gesetz zum
Tragen von Helmen kämpften, denn die Motorradindustrie war zu
feige, um einen offenen Kampf gegen das Repräsentantenhaus von
Kalifornien zu führen. Sie befand sich damals in einem
schwierigen Public-Relations-Dilemma. Einerseits hatte auch sie
kein Interesse an dem Helmgesetz, andererseits wollte sie nicht
den Anschein erwecken, als sei ihr die Sicherheit der Fahrer
gleichgültig. Die Motorradhersteller lehnten das Gesetz ab, weil
das Tragen von Helmen den Eindruck erweckte, daß Motorräder
gefährlich und unsichere Fahrzeuge seien. Den Hell's Angels war
es völlig egal, ob die Öffentlichkeit sie als schlimme Typen
brandmarkte, falls das Gesetz in Kraft trat. Daran waren wir
gewöhnt.
76
Ralph »Sonny« Barger
ist schon irgendwie witzig, wenn man heute darüber nachEsdenkt
- um cool auszusehen und unseren eigenen Look zu
haben, motzten wir die Harleys dermaßen auf, daß die HarleyHändler uns nicht einmal mehr in ihrer Nähe sehen wollten. Wir
zerstörten das ursprüngliche Harley-Design und ihr typisches
Image, indem wir Einzelteile »ihrer« Maschinen entfernten und
durch unsere eigenen Teile ersetzten. Es gab sogar Harley-Shops,
die sich weigerten, uns irgend etwas zu verkaufen. Unsere Clubmitglieder mußten ihre Frauen oder Freundinnen schicken, wenn
sie Ersatzteile brauchten.
In den Augen der Firma Harley-Davidson machten wir aus dem
Fahren von Motorrädern etwas Schlimmes oder Böses. Selbst wenn
da etwas dran sein sollte, haben wir der Firma dennoch Unsummen
eingebracht, weil wir ihre Marke so bekannt machten. In den 50er
Jahren waren viele Leute von unseren Harleys so eingeschüchtert,
daß wir mitunter in Restaurants nicht bedient wurden oder in
Motels keine Zimmer bekamen.
Ich bin davon überzeugt, daß viele Designs und Einzelheiten bei
der Herstellung heutiger Motorräder den Hell's Angels zu verdanken
sind. Wenn man sich die modernen Softail-Bikes (nicht die Full
Dressers) ansieht, entdeckt man an ihnen viele Neuerungen, die die
Hersteller von uns übernommen haben. Unsere Chopper haben
sogar die Hersteller von Kinderfahrrädern beeinflußt, wie zum
Beispiel das Schwinn Sting Ray mit seinem Bananensattel und dem
Gooseneck-Lenker. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis
alle Hersteller auf den Trichter kamen, mit Spe-zialteilen für
Motorräder eine Menge Geld zu verdienen. Sonderanfertigungen
für Motorräder und Motorradzubehör sind zu einem Riesengeschäft
geworden. Das ist ein Verdienst der Hell's Angels.
Motorräder waren von Anfang an ein großes ProGestohlene
blem für Clubs wie den unseren. Die Hell's Angels haben eine
feste Regel, die für alle Fahrer gilt, die zu uns kommen und mit
uns Partys feiern: Es ist absolut verboten, ein Motorrad zu stehlen,
das vor unserem Clubhaus oder vor dem Haus eines Clubmitglieds
geparkt ist. Das ist doch nur fair, oder? Im Jahr
Hell's Angel
77
..
1967 stahlen drei Angels, Big AI Perryman, Fu Griffin und Cisco
Valderrama, an einem einzigen Tag 27 Motorräder. Das muß eine
Art Weltrekord sein. So wie die Geschichte erzählt wird, waren 27
Biker eines namenlosen Clubs aus Kalifornien an einem Wochenende zu einer Party mit den Richmond Hell's Angels gekommen.
Die Polizei machte im Clubhaus eine Razzia und steckte alle Anwesenden in Untersuchungshaft. Cisco brauchte ein 21-Zoll-Vorderrad der extraschmalen Sorte, aber er wußte, daß die Regel lautete,
keine Motorräder oder Teile zu stehlen, die vor dem Clubhaus
geparkt waren. Cisco wußte auch von der Party und den
Verhaftungen und dachte sich: Wer wird schon ein Vorderrad
vermissen? Aber Satzung ist Satzung. Da kamen Big AI und Cisco
auf die Idee, einfach sämtliche 27 Motorräder zu klauen. Zum
Teufel mit dem Vorderrad, jetzt wollten sie den ganzen Fuhrpark.
Sie schoben sämtliche Motorräder einen Häuserblock weit weg
und parkten sie dort über Nacht. Am nächsten Morgen betrachteten
sie die Maschinen als »vogelfrei« — sie standen ja nicht mehr vor
einem Clubhaus der Angels und niemand anders hatte sie über
Nacht gestohlen. Fu lud die Bikes Stück für Stück auf Ciscos 65er
Impala Kabriolett, der brachte immer jeweils zwei davon nach
Oakland hinüber und versteckte sie im Haus von Fu. Nachdem sie
alle dorthin gebracht hatten, besaßen sie auf einmal einen
Motorradladen mit 27 Motorrädern, und alles wegen eines einzigen Vorderrades. Sie nahmen die Bikes komplett auseinander
und hatten mit einem Schlag ein riesiges Ersatzteillager.
Dann kam ich dahinter.
Cisco und Big AI kriegten einen Mordsärger. Sie hatten Scheiße
gebaut. Ich sagte ihnen, sie hätten die dünne Grenzlinie zwischen
Recht und Unrecht überschritten, und brachte sie dazu, die Räder
an die Besitzer zurückzugeben. Weil alle Bikes aber schon
auseinandermontiert waren, mußte jeder der bestohlenen Besitzer
kommen und sich sein geklautes Motorrad in einem Karton
abholen.
Aber wie es so geht - ein Jahr später, 1968, war ich selbst das
Opfer. Mein Bike, meine Geliebte, mein Stolz und meine Freude
wurde mir geklaut und, Mann, verdammt war ich sauer!
Sweet Cocaine. Ich konnte es einfach nicht fassen, daß jemand
78
Ralph »Sonny« Barger
meine bildschöne, handgefertigte Maschine gestohlen hatte. Sweet
Cocaine war auf dem Cover des Soundtracks zum Film Hell's Angels
'69. Ich hatte die Maschine komplett selbst zusammengebaut, und an
ihr war keine Schraube ohne den süßen Duft von Kokain festgedreht
worden. Als mein Bike fertig war, baute ich davon eine MiniaturSportster-Version für meine Freundin Sharon und nannte ihr Bike
Little Cocaine.
An dem Tag war ich in Hayward im Laden eines Juweliers, um
für meine Schwester einen Ring zu kaufen, als ich plötzlich die
beiden Frauen, die dort bedienten, miteinander reden hörte.
»Er muß mit seinem Wagen gekommen sein, denn ich habe sein
Motorrad nicht gesehen.«
»Sprechen Sie von mir?« fragte ich die beiden. »Meine Maschine
steht doch draußen vor der Tür.«
Ich ging raus, und - tatsächlich - Sweet Cocaine war weg! Die
beiden Frauen hatten schon die Polizei angerufen, aber als die Bullen
kamen, behauptete ich, sei zu Fuß in den Laden gekommen zu sein,
da müsse ein dummer Irrtum vorliegen. Ich raste innerlich vor
Wut, ließ mir aber äußerlich nichts anmerken, denn ich wollte nicht,
daß sich die Bullen in den Diebstahl einmischten. Ich blieb ganz
ruhig und gelassen. Aber dann schnappte ich mir das Telefon und
beraumte eine Notsitzung unseres Clubs an.
»Jeder hält die Augen offen und versucht, meine Maschine zu
finden«, ordnete ich wutentbrannt an. »Niemand - und ich meine
das ganz wörtlich - niemand wird in dieser Stadt ein Motorrad
fahren, bis ich meine Sweet Cocaine wiederhabe.«
Sharon paßte zu Hause auf die Anrufe auf, während alle anderen
ausschwärmten und suchten. Dann kamen die ersten Anrufe, und
jemand berichtete, ein rosafarbener Cadillac sei in der Nähe des
Juweliers gesehen worden. Ich ging von Bar zu Bar und fragte die
Leute aus - nach meinem Motorrad, nach dem Cadillac, nach
jedem Hinweis. Ich wollte mein gottverdammtes Bike zurück
haben - und das sofort! In der Zwischenzeit riefen alle bekannten
Motorraddiebe an. Rick Motley, einer der bekannteren
Motorradhehler - mittlerweile tot - rief bei Sharon an und
versicherte ihr, er hätte lieber die Army, die Navy, die Marines
und die Green Berets in seinem Nacken als ausgerechHell's Angel
79
net Sonny Barger von den Hell's Angels, der nach seiner Sweet
Cocaine sucht.
Endlich bekamen wir den richtigen Tip. Der Cadillac-Hinweis
war nur dünne Luft gewesen, aber irgendein Bote hatte gesehen,
wie vor dem Juweliergeschäft ein Typ auf einem Bike davongefahren
war, der eine Weste mit einem Emblem auf dem Rücken trug.
Anhand der Beschreibung des Westen-Patches führte uns diese
Spur bald zu einem Club, der sich »The Unknowns«, die Unbekannten, nannte. Wir kannten die Bar, in der sich die Mitglieder oft
aufhielten, also rasten wir dorthin, schnappten uns zwei Typen aus
dem Club und fragten sie, was ihre Mitglieds-Prospects so planten.
Diese Prospects sind Biker, die einfach alles, auch das
Verrückteste, tun würden, um im Club aufgenommen zu werden.
Ich fragte aus gutem Grund nach solchen Leuten, denn das waren
meistens hirnlose Ganoven ohne einen Funken Verstand, völlig
verkommene Gestalten. Einer der beiden meinte, ein paar Prospects
nähmen gerade ein Bike auseinander, das sie gestohlen hatten. Ich
sagte nur: »Das ist mein Bike, du Drecksack, und ihr werdet mir jetzt
helfen, es wiederzubekommen!«
Die Prospects, die das Bike gestohlen hatten, wußten nicht, wem
es gehörte. Die Kerle, die ihnen befohlen hatten, es zu stehlen,
wußten wahrscheinlich sehr wohl, daß es mein Bike war. Die
Zulassung für das Rad hatte ich in einem Glasröhrchen neben dem
Nummernschild hinten am Bike stecken. Die Burschen, die in der
Nacht nach dem Diebstahl meine Maschine auseinanderschraubten,
fanden dabei das Glasröhrchen mit meiner Zulassung. Da wußten sie
auf einmal, daß sie sich tief in die Scheiße hineingeritten hatten. Statt
mir schleunigst das Bike zurückzugeben, schmissen sie es einfach in
die Flußmündung bei Oakland.
Wir stöberten alle Typen auf, die mit dem Diebstahl zu tun hat
ten, fesselten sie und brachten sie in mein Haus an der Golf Links
Road. Sharon sollte auf sie aufpassen, und es war gut, daß wir sie
gefesselt hatten, denn es wurde so spät, daß sie mit der Pistole in
der Hand einschlief. Alle halbe Stunde warfen wir einen weiteren
Verdächtigen durch die Tür ins Haus. Als wir den letzten auf
getrieben hatten, fing die Bestrafung an. Wir verprügelten einen
nach dem anderen mit der Lederpeitsche, droschen mit Stachel80
Ralph »Sonny« Barger
Hundehalsbändern auf sie ein und brachen ihnen mit Hämmern die
Finger. Einer von ihnen schrie zwischendurch: »Warum hört ihr
nicht endlich damit auf und bringt uns einfach um?«
Anschließend nahmen wir ihnen ihre Motorräder weg, verkauften
sie und lösten ihren Club auf.
Und die Moral von der Geschichte? Klaut niemals einem Hell's
Angel sein Motorrad, schon gar nicht, wenn es ihrem Präsidenten
gehört!
Ein offizielles Gruppenfoto des Oakland Hell's Angels Clubs aus den
frühen 80er Jahren.
5
DIE HELL'S ANGELS
ie Geschichte des Hell's Angels Motorcycle Clubs ist die
Geschichte einer sorgsam ausgesuchten Bruderschaft von
Männern, die bereit sind, füreinander zu kämpfen und zu
sterben, ganz gleich, worum es geht. Bei den Oakland Hell's Angels
dreht sich - genau wie in allen anderen solcher Clubs - alles um die
Individualität seiner Mitglieder. Kumpel sind gekommen und
gegangen, haben gelebt und sind gestorben - und viele dieser
Männer sind heute noch immer da und lassen es zusammen mit
den jüngeren Angels knallen und krachen und hauen auf den Tisch.
Es stimmt schon, daß einige dieser Männer so seltsam sind, daß
sie die kühnsten Phantasien übertreffen. Aber sie sind alle aus
demselben Holz geschnitzt. Man braucht sie neben sich, wenn man
in der Scheiße steckt, die Fäuste fliegen oder die Kugeln pfeifen.
Unsere Spitznamen haben wir wegen der Presse, die uns Hell's
Angels zu Straßenberühmtheiten machte. Als sich die Reporter
einmal um uns drängten, hielt einer von ihnen sein Mikrofon John
Terence Tracy vor den Mund. »Und, Sir, wie heißen Sie?« Ohne
Zögern mischte sich Marvin Gilbert ein: »Das ist Terry the
Tramp!« Da drehte sich der Reporter um und fragte Marvin:
»Und, Sir, wie lautet Ihr Name?« Diesmal fuhr Terry dazwischen:
»Das ist Marvin, Mouldy Marvin!« Diese Namen - ganz spontan
ausgedacht - blieben für immer haften. Was mich betrifft, so werde
ich wohl immer »Sonny« genannt werden, nur einige der ganz alten
Mitglieder nennen mich »Chief«.
Eines der allerersten Oakland-Clubmitglieder war Skip Work man. Als Skip - mit bürgerlichem Namen Clifford Park Workman
D
Hell's Angel
83
Skip Workman zu der Zeit, als er Vizepräsident des Oakland Hell's Angels
Clubs war.
Czsco Valderrama personal collection
- seine Zeit bei der US-Navy abdiente, kam er zu uns in die Bay
Area. Er stammte aus New Harbor, Maine. Seine Mutter stammte
aus einer reichen Familie. Während seiner Highschool-Zeit war Skip
ein Wrestling Champion. Er kannte mehr Würgegriffe und Tricks
als Hulk Hogan und konnte sich in Bars wie ein betrunke84
Ralph »Sonny« Barger
ner Seemann herumprügeln. Aber eine Sache liebte Skip wirklich:
ein Hell's Angel in Oakland zu sein. Während der ganzen 60er und
bis in die 70er Jahre war Skip bei uns, einige Jahre lang war er sogar
mein Stellvertreter als Vizepräsident.
Als ich Skip kennenlernte, fuhr er eine »Full Dresser«, eine
1956er Harley mit dem klassischen Look. Er hatte sie nagelneu
gekauft, frisch aus der Fabrikation: mit 16-Zoll-Rädern, ausladenden
Schutzblechen, Satteltaschen, Windschutzscheibe, riesigem Sattel
und einem gerade gezogenen Rahmen (statt eines gebogenen). Als
er eines Tages tollkühn durch die Schlammfelder bei Oakland raste,
überschlug sich seine Maschine, und Skip blieb bewußtlos und
verletzt liegen. Im Oak Knoll Naval Hospital konnten die Ärzte und
Krankenschwestern kaum glauben, daß Skip ein aktiver NavyAngehöriger war. Denn vor ihnen auf der Trage lag ein Mann, der
am ganzen Körper tätowiert war, einen schmuddeligen Bart und
lange Haare hatte und dann noch ein Hell's Angels Patch trug.
Während Skip im Krankenhaus lag, machte ich aus seinem
Paradebike einen Chopper.
Skip arbeitete in der General Motors Fabrik in Fremont und
wohnte am Ende der 79th Avenue, dort wo sie in den Foothill
Boulevard einmündet. Da gab es eine kleine Nebenstraße, in der
Skips Haus das letzte Gebäude war. Damals hieß es bei der Polizei
von Oakland, wenn man zum Sergeanten befördert werden wolle,
brauche man nur an Skips Tür zu klopfen und ihm sagen, daß er
wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit verhaftet und ins Gefängnis gebracht werden soll. Damals galt es nur als Ordnungswidrigkeit, wenn man Polizisten tätlich angriff. Deshalb konnte
Skip auch jede Menge Polizisten von seiner Haustür wegprügeln.
Später wurden Angriffe gegen Bullen strafrechtlich streng verfolgt,
aber davor machte es Skip einen Heidenspaß, auf Bullen einzuschlagen.
Skip hatte noch eine ganz besondere Verrücktheit an sich: seinen
Vorgarten. Skips Haus war seine »Burg«. Er hatte zahllose bunte
Steinchen sorgfältig in seinem Garten zu Mustern angeordnet. Ich
habe ihn nie dabei gesehen, aber er muß tage-, wochen-oder
monatelang daran gearbeitet haben, all diese kleinen bunten
Steinchen zu legen. Manchmal, wenn ich ihn besuchte, nahm er
Hell's Angel
85
eine Handvoll dieser Steinchen, mixte sie in allen Farben durcheinander und warf sie in seinen Garten.
In einer Sache war Skip sehr streng: Seine Kumpels durften in
seinem Garten kein Hasch rauchen. Wer damals mit Marihuana
erwischt wurde, dem drohten nach den Betäubungsmittelgesetzen
sehr harte Strafen, und Skip hatte vor nichts mehr Angst als davor,
daß man ihm sein Haus wegnehmen könnte.
Einmal rief Skip unser Oakland-Clubhaus an und tat, als sei er
völlig durchgedreht. Er behauptete, eine Gruppe von Frauen habe
ih n entfuhrt. »Ich bin gekidnappt worden«, schrie er ins Telefon,
«und die ficken mich halb zu Tode. Sie verlangen Lösegeld für
mich, Mensch!« Sicher...
Während ich in den frühen 70er Jahren im Gefängnis saß, kehrte
Skip zurück an die Ostküste. Er wurde für eine Weile in unsere
Ortsgruppe in Massachusetts überwiesen, aber wregen eines Rükkenleidens und aus Eamilicngründen verließ er die Hell's Angels
kurze Zeit später für immer.
n e r der frühen Präsidenten der Berdoo Hell's Angels war
EiBobby
Zimmerman. Auf unserer Heimfahrt vom 1964er Bass
Eake Run fuhr Bobby wie immer ganz vorn links an der Spitze
unserer Kolonne, als ihm der Auspuff vom Motorrad abfiel. Bob-by
wollte einfach umdrehen und den Auspuff aufheben, also machte er
eine Kehrtwendung. Im selben Moment kam ein Hell's Angel aus
Richmond, Jack Egan, herangeprescht, um sich an die Spit/e
unserer Gruppe zu setzen. Er erwischte Bobby voll. Bobby war
sofort tot. Wir zogen den leblosen Mann an den Straßenrand. Es gab
nichts, was wir hatten tun können, außer jemanden in den nächsten
Ort zu schicken, um Hilfe zu holen.
Als der Krankenwagen mit Bobbys Leiche davonfuhr, kam ein
Hell's Angel aus dem San-Gabriel-Valley-Charter zu uns. Er war
o f f e n k u n d i g über Bobbys Tod entsetzt, nannte Jack Egan einen
»fuckmg Punk« und gab ihm die Schuld. Daraufhin mischte sich
"Hi Ho« Steve, der gerade zu uns nach Oakland überwiesen
worden war, ein.
"Einen Moment mal! Er ist kein Punk! Er ist ein Hell's Angel,
genau wie ihr alle. Genau wie Bobby. Genau wie ich. Kapiert?«
S6
Ralph »Sonny« Barger
Einer der San Gabriel Angels wollte es damit nicht bewenden
lassen. Er beschimpfte Egan weiter als Punk. Da holte Hi Ho aus
und knallte ihm die Faust ein paarmal ins Gesicht. Der Typ stand
wieder auf und griff sich eine Kette. In böser Vorahnung packte
ich ein Reifen-Montiereisen, haute ihm aufs Handgelenk, brach es
und riß ihm die Kette weg. Ein weiterer San Gabriel Angel griff
ein, um mich zusammenzuschlagen. Skip Workman trat dazwischen und schlug ihn mit einem einzigen Hieb zu Boden. Skip
hatte mich dadurch vor Schlimmem bewahrt und einen gefährlichen Zwischenfall auf dem Highway zu Ende gebracht.
Die Angels des San-Gabriel-Charters waren zwar zu Recht wütend
darüber, daß ein SoCal-Präsident tödlich verunglückt war, aber sie
hätten niemals einen von uns einen »fucking Punk« nennen dürfen,
ohne damit zu rechnen, daß es gewaltige Prügel setzt. Wenn man
einen Hell's Angel beschimpft und der Betreffende sich nicht
wehrt, dann ist dies ein Grund, ihn aus dem Club auszuschließen.
Da gibt es bei uns keine Ausrede. Clubmitglieder werden - durch
Abstimmung - ausgeschlossen und zusammengeschlagen, wenn
sie sich gegen solche Angriffe nicht energisch wehren.
Unser Standpunkt ist in dieser Hinsicht sehr hart und unerbittlich. Wir erwarten von einem Hell's Angel, daß er für sich
(und für den Ruf des Clubs) seinen Mann steht und sich nicht
einfach umdreht und fortgeht, wenn er allein in der Öffentlichkeit
beleidigt oder angegriffen wird. Wenn einer verdroschen wird,
okay. Wenn einer angegriffen wird, nun gut, das passiert. Aber
niemals darf ein Hell's Angel ungestraft eine Beleidigung
einstecken. Und wenn er dann Prügel bezieht, weil er sich verteidigt, kann er sich immer darauf verlassen, daß seine Clubfreunde
an denen Rache nehmen werden, die ihm das angetan haben.
Diese Regeln gelten zu jeder Zeit, ob man mit anderen Hell's
Angels zusammen oder allein ist. Denn wenn einer seinen Mann
nicht vor den Augen der anderen Mitglieder stehen kann, wie soll
man dann wissen, daß er sich wehrt, wenn er allein ist? Angels
sind keine Freunde von allzu vielen Vorschriften und Regeln,
aber ein paar grundsätzliche Bestimmungen haben den Club seit
über 50 Jahren am Leben erhalten.
Hell's Angel
87
Zusammenkünfte der Oakland Hell's Angels
Beihauteeineresdermirerstensämtliche
Vorderzähne raus, als ich von irgendeinem Arschloch auf seinem Motorrad überfahren wurde.
Unser Club feierte an dem Abend eine wilde Party im Haus von AI
Jayne, und zwei besoffene Typen donnerten mit ihren Motorrädern
immer wieder vor dem Haus auf der Straße hin und her. Die Idioten
gingen mir nicht nur auf die Nerven, ich befürchtete außerdem, daß
sie mit ihrem Krach die Polizei auf unsere Party aufmerksam
machen könnten. Also gingen Joe Maceo und ich hinaus und
versuchten, sie aufzuhalten und von ihren Maschinen
runterzuzerren, als die beiden das nächste Mal vorbeirasten. Ich
erwischte den ersten, aber dabei zog er mich voll in den anderen
Fahrer hinein, und ich kriegte dessen Lenkstange mit voller Wucht
ins Gesicht. Dabei verlor ich das Bewußtsein. Joe bekam den
anderen Biker zu fassen und haute ihn von seinem Rad. Dann
kamen auch schon die Bullen und verhafteten die beiden wegen
Trunkenheit am Steuer. Als ich im Krankenhaus wieder zu mir
kam, hatte ich eine gebrochene Nase und einen zerschmetterten
Kieferknochen. Mein Gesicht war auf doppelten Umfang angeschwollen, die halbe Nase hing runter, und alle meine Vorderzähne
waren weg. Shirley meinte, ich sähe aus wie jemand aus einem
Monsterfilm.
the Tramp war für viele von uns der ultimative Hell's
Terry
Angel. Er war laut, machte tierisch viel Krach und war immer für
jeden Spaß zu haben. Terry war eigentlich ein rechter Herumtreiber, obwohl er in einer bürgerlichen Mittelklasse-Familie in
Sacramento aufgewachsen war. Tramp gehörte zunächst einem
Motorradclub in Sacto an, der sich »Hell Bent for Glory« (Um's
Verrecken berühmt sein) nannte und sich 1961 in den North
Sacramento Hell's Angels Club umtaufte. Danach wechselte er zu
Berdoo und landete schließlich wieder bei NoCal, wo er als Oakland
Hell's Angel erst richtig berühmt - oder berüchtigt - wurde. Terry
the Tramp bekam sogar eine Sprechrolle in dem Film Hell's Angels
'69, und er kam auch in Hunter S. Thompsons Buch über den Club
groß heraus.
Es war nicht schwer, in Tramp das »ausgeflippteste« Mitglied
88
Ralph »Sonny« Barger
des Oakland Hell's Angels Clubs zu sehen. Er war damals derjenige,
den man wohl unseren »Trendsetter« nennen konnte, er verkörperte
einen Typ zwischen Beatniks und Hippies. Tramp trug seine Haare
besonders lang, er hatte einen Vollbart, und Brust und Schultern
waren voller Tattoos. Außerdem hatte er immer eine lange
Lederpeitsche dabei, wenn man die knallen hörte, war klar, daß er
in der Nähe war. Tramp und ich verbrachten viel Zeit miteinander in
unseren Lieblingskneipen, vor allem im Sinner's Club in West
Oakland, der der Sinner-Familie gehörte.
Terry war es auch zu verdanken, daß aus dem etwas schmierigen
Image unseres Clubs der angesagte Langhaar-Look der späten 60er
Jahre wurde. Er trug fast nur schwarze Lederklamotten, gemischt
mit grellen, psychedelischen Farben, und hatte beim Gehen dieses
typische Schlurfen der Häftlinge im Gefängnis von San Quentin.
Tramp gab sich sehr selbstsicher. »Paßt auf mich auf, Brüder, ich
bin zu fucking cool für die Schule!« war einer seiner Sprüche.
An Terry the Tramp erinnere ich mich besonders im Zusammenhang mit unseren Bass Lake Runs. Es galt als uncool, auf diesem Run eine warme Jacke oder gar einen Schlafsack mitzunehmen. Wir pennten einfach da, wo wir hingefallen waren. Vorher
schluckten wir meistens »Reds«, eine Barbiturat-Pille, nach den
allnächtlichen Partys waren wir dann schnell weggetreten und
schliefen auf dem Boden ein. Diese Schlaftechnik hatte sich Tramp
ausgedacht. Und sie funktionierte!
Tramp schlenderte meistens nur mit seinem Hell's Angels Patch
und seinen silberbeschlagenen Stiefeln bekleidet in unseren Camps
herum. Eines Morgens, als wir neben einem ländlichen Highway
campierten, stellte Tramp sich völlig nackt und nur mit seinem
Patch am Leibe an den Straßenrand. Total unbekümmert hielt er
wie ein Anhalter seinen Daumen hoch. Familien und Truck-Fahrer
fuhren vorüber und sahen diesen splitternackten Hell's Angel mit
baumelndem Gemächt, der mitgenommen werden wollte. So war
Tramp.
Immer wenn wir unterwegs waren und irgendwo am Rande des
Highways oder in der Nähe einer Ortschaft übernachteten, wurden
wir von den Bewohnern und Vorbeifahrenden beglotzt und
Hell's Angel
89
Stinkfinger-Parade: Bass Lake Run 1965. V.l. n. r.: Zorro, Sweezy, Bob
Delgato, unbekannt, Jimmy Hewitt (mit erhobenem Finger), Clean Cut
Bob, NorCal Animal (mit Stirnband), Mother Miles, NorCal Bob, ich,
Magoo und Terry the Tramp in Unterhosen.
angestarrt. Die Mädchen aus der Stadt schlichen sich nachts zu uns,
um zu sehen, was für Typen wir wohl sein mochten. Tramp
beschwatzte die Mädchen oft, von zu Hause Decken, Bettzeug und
Handtücher zu holen und uns am Lagerfeuer Gesellschaft zu
leisten. Er brachte sie sogar oft dazu, sich mit uns gemeinsam nackt
auszuziehen.
Nachdem wir in Nordkalifornien unseren Mitgliedern strikt
verboten hatten, sich Drogen zu spritzen, ging Tramp zusammen
mit einigen anderen nordkalifornischen Angels, denen dieses Verbot
nicht paßte, zurück nach Berdoo. Zu der Zeit hatte SoCal noch kein
derartiges Verbot erlassen. Tramps Drogenabhängigkeit wurde
immer schlimmer, und eines Tages wurde er mit einer
90
Ralph »Sonny« Barger
Überdosis Seconal tot aufgefunden. Das war unmittelbar nach der
Premiere des Films Hell's Angels '69. Bis heute weiß niemand, ob
jemand anders ihm die Dosis verpaßt hat oder ob er wieder einmal
völlig außer Rand und Band geraten war. Wir begruben ihn in der
Bay Area, aber später ließen seine Eltern ihn exhumieren, ohne
uns davon zu informieren, und begruben ihn in Sacramento. John
Terence Tracy, alias Terry the Tramp - RIP (»Rest in Peace«), Ruhe in
Frieden, Bruder.
AI Perryman ist seit über 30 Jahren Hell's Angel. Er ist auBigßerdem
einer meiner engsten Freunde. Mit 18 trat er in seinem
Heimatstaat Missouri in die Army ein. Während seines ersten
Urlaubs überfiel er eine Tankstelle und wurde gefaßt. Er landete
mit einer Strafe von zehn Jahren in einem Gefängnis von New
Mexico. Nach sieben verbüßten Jahren wurde er entlassen, zog
nach Sacramento, lernte ein Mädchen kennen und heiratete sie.
Albert kaufte sich eine 750 ccm Harley-Davidson, fuhr damit eines
Abends zu seinem ersten Hell's Angels Clubmeeting und ging nie
wieder nach Hause. Er fand es bei den Hell's Angels von
Sacramento schöner und wurde Clubmitglied.
Irgend jemand im Sacramento Club war Heroindealer. Nach
einem Meeting ging er zu Albert und bat ihn um einen Gefallen.
»Hey, Albert«, bat er, »würdest du dieses Päckchen bei einem meiner
Freunde vorbeibringen?«
Albert hatte keine Ahnung, was in dem Päckchen war, und
sagte zu. Auf seinem Heimweg klopfte er an der angegebenen
Adresse und lieferte das Päckchen ab. Der Empfänger war aber
ein Informant, der für die Bullen arbeitete. So kam es, daß Big AI
wegen Drogenbesitzes verurteilt wurde, obwohl er völlig clean
war.
Später wurde Albert tatsächlich drogenabhängig. Er spritzte
Heroin und alle möglichen anderen Drogen. Als wir in Nordkalifornien das Spritzverbot einführten, ging Albert sofort mit Terry
the Tramp nach Berdoo, damit er weiter Drogen spritzen konnte.
Albert landete schließlich in einem Rauschgift-Reha-Knast in
Kalifornien. Während er dort einsaß, begannen er und ich einen
lebhaften Briefwechsel.
Hell's Angel
91
»Wenn du rauskommst, Albert«, schrieb ich ihm, »mußt du zu
allererst nach Oakland kommen und mit mir sprechen. Wir müssen
miteinander reden. Es ist sehr wichtig.«
Ich hatte bereits alles für Alberts Überweisung vom SoCal-Club
nach Oakland eingeleitet. AI hatte keine Ahnung davon, aber ich
wußte einfach genau, daß er durch und durch ein Hell's Angel war,
und ich wollte ihn nun auf die Probe stellen.
»Albert, wir haben hier in Oakland gerade ein Meeting gehabt.
Wenn du auch nur ein einziges Mal wieder Heroin spritzt, dann
fliegst du sofort aus dem Club.«
Wir nahmen ihn im Oakland-Club auf, um ihn auf diese Weise
von den Drogen fernzuhalten. Seitdem ist er bis heute clean geblieben. So sehr liebt Big AI den Club. Während manchen Mitgliedern
als Bewährungsauflage vorgeschrieben wird, während ihrer
Bewährungszeit jeglichen Kontakt zum Club zu meiden, ist es bei
Alberts Bewährungsauflage genau umgekehrt - er soll mit unserem
Club in Kontakt bleiben.
der 1960er Jahre testeten illegale Drogenmixer ihr Zeug
Während
an uns, denn wir waren ja Typen, die alles ausprobierten.
Charlie Magoo war immer das erste Versuchskaninchen dieser
Leute. Ich lernte Charlie Magoo - der in Wirklichkeit Charles
Tinsley hieß - kennen, als er von den Richmond Angels zu uns
überwiesen wurde. Wir nannten ihn Magoo, weil er besonders dicke
Brillengläser trug. Dieser Bursche war unfaßbar großzügig. Er hätte
mir sein letztes Hemd geschenkt, wenn ich ihn darum gebeten hätte aber niemals sein Patch! Als Charlie in Pennsylvania aus der Navy
entlassen wurde, kaufte ihm seine Mutter einen Eiswagen, damit er
sich eine Existenz aufbauen konnte. Aber Charlie war einfach zu
gutherzig. Wenn die Kids kein Geld hatten, schenkte er ihnen einfach
das Eis. Natürlich ging sein Eiskrem-Geschäft pleite, und der
Wagen wurde versteigert. Magoo kaufte sich von seinem letzten
Geld ein Motorrad, fuhr nach Kalifornien und wurde ein Hell's
Angel.
Eines Nachts gab ihm ein Mädchen in einer Biker-Bar eine seltsame Pille, und Magoo wachte zwei Tage später total verwirrt auf
dem Boden irgendeiner Garage auf. Er hatte seine falschen Zähne
92
Ralph »Sonny« Barger
Charlie Magoo ohne seine dicken Brillengläser.
verloren und wußte weder, wo er war, noch, wie er dorthin gekommen war und was er da geschluckt hatte. Nach diesem Zwischenfall kaufte er sich das Buch Pysicians' Desk Reference (Ärztliches
Handbuch) und nahm von da an nie mehr irgend etwas ein, von dem
er nicht ganz genau wußte, was es war. Er las das PDR von vorn bis
hinten und hatte es immer bei sich. Seit dieser Zeit trug Magoo
einen weißen Laborantenkittel unter seiner Jacke und seinem Patch
und hatte außerdem ständig eine Arzttasche bei
Hell's Angel
93
sich. Ganz gleich, was für eine Pille man ihm zeigte, er konnte uns
immer genau sagen, wofür oder wogegen sie war, welche Nebenwirkungen sie hatte, was ihre legalen pharmazeutischen Indikationen waren und was man tun mußte, wenn man zuviel davon
geschluckt hatte.
Einmal geriet ich in einen handgreiflichen Streit mit Magoo.
Wir waren im Norden auf der Nut Farm, einem Nußbaumgarten,
und feierten Silvester. Alle amüsierten sich großartig, und Magoo
hatte ein Mädchen mit zu der Party gebracht, mit dem er sich aus
irgendeinem Grund die ganze Zeit zankte. Ständig drohte er ihr
und nervte auch uns alle schwer. Nach zwei Tagen hatte ich sein
Benehmen satt und stellte ihn zur Rede.
»Hey, Magoo«, fing ich an, »warum gehst du nicht einfach woandershin? Niemand will dein ewiges Geschimpfe hören. Wenn du
das verfluchte Weib umbringen willst, dann hau mit ihr ab und mach
sie woanders kalt. Aber hör auf, sie hier vor uns herumzuschubsen,
denn wir haben die Schnauze voll.«
Daraufhin schrie er mich an: »Verpiß dich! Ich mache, worauf
ich Lust habe!«
Magoo war ein ziemlich kräftiger Typ, und ich war viel kleiner
als er. Als wir uns am Boden wälzten, lag ich auf einmal flach auf
dem Rücken und Magoo auf mir drauf. Ich sah, wie er mit seiner
Faust ausholte. Whoops! Ehe er wußte, wie ihm geschah, war ich
unter ihm weggerutscht und schlug ihn nun meinerseits zu Boden.
Jetzt saß ich auf ihm, was er überhaupt nicht begreifen konnte.
»Laß mich los!« schrie er, während ich ihn zu Boden drückte.
»Ich laß dich nicht los, du Schweinehund! Du wirst mich nicht
mehr schlagen, Idiot!«
Ich habe noch eine Narbe an meiner Nase von dieser Schlägerei.
Einmal hatte Magoo eine Pille, auf die er besonders stolz war,
und er zeigte sie einem anderen Typ. Der riß ihm die Pille aus der
Hand und verschluckte sie.
»Hey, du Motherfucker«, brüllte Magoo, »ich habe fünf Dollar
dafür bezahlt!«
Der Typ lachte nur: »Na gut, dann hättest du sie mir nicht an94
Ralph »Sonny« Barger
bieten sollen.« Es war irgendeine Art synthetisches Heroin oder
Dilaudid, aber dem Typen war das völlig egal. Wenn man ihm irgendwas anbot, nahm er es, egal, was es war. Er war einer von denen, die der Welt ständig beweisen mußten, daß Drogen ihnen
nichts anhaben können. Wegen seiner Drogen flog er schließlich
auch aus dem Club. Soviel Glück hatte Magoo nicht.
Tagsüber arbeitete Magoo als Hilfsarbeiter, er belud und entlud
Trucks, genau wie mein Vater. Eines Tages um die Mittagszeit ging er
zum Lunch, legte sich danach in einen Truck, schlief ein und starb.
Magoo hatte einen Herzanfall erlitten. Die Gerichtsmedizin stellte
fest, daß sein Herz aussah wie das eines Siebzigjährigen -kaputt
von zu vielen Speed-Pillen.
Als wir einmal zu einer Party nach Richmond in der Nähe von
Oakland fuhren, bretterte Big AI auf seinem Motorrad voraus und
stieß mit einem Auto zusammen, er fiel von seinem Rad und
stürzte in den Straßengraben. Weil er so unglaublich dick und rund
war, rollte er buchstäblich quer über den Highway bis in den
Graben.
Magoo eilte zu der Stelle, wo Big AI liegengeblieben war, machte
seine schwarze Arzttasche auf und fand darin sofort einige Medikamente, mit denen er Big Als Schmerzen lindern konnte. Er
kriegte ihn mit seiner »medizinischen Hilfe« wieder soweit auf die
Beine, daß er mit uns zu der Party kommen konnte.
Die Polizei traf bald danach am Unfallort ein und fand nur Big
Als demoliertes Bike im Graben. Die Vorderradgabel war total
verbogen und kaputt.
»Wo ist die Leiche?« fragten die Polizisten die Umstehenden.
Winston McConnelly, ebenfalls ein Mitglied des Oakland-Clubs,
stieg aus seinem Cadillac aus, mit dem er uns begleitete.
»Das ist meine Maschine«, erklärte er den Bullen. Winston war toll
angezogen, er trug lilafarbene Lederhosen und ein T-Shirt aus goldener
Seide. Todernst versuchte er, die Polizisten davon zu überzeugen, daß er
gerade sein Bike zu Schrott gefahren hatte. Die Bullen guckten einander
nur schweigend an und schüttelten die Köpfe. Sie glaubten nicht, daß
der elegant gekleidete Winston tatsächlich der Fahrer des
verunglückten Motorrads gewesen sein konnte. Wir nahmen das Rad
von Big AI mit zurück nach Oakland, wo ich es reparierte.
Hell's Angel
95
Winston war ein sehr »schillernder« Hell's Angel. Tramp war
auch »schillernd«, aber auf seine Weise, er war ein Rebell und ein
echtes Tier und schockierte ständig die Leute. Winston hingegen
glänzte durch seine Eleganz, seine teuren Klamotten und seinen
Reichtum. Er trug immer viel Goldschmuck und hatte etliche
Goldzähne. Winston war ein richtiger Frauentyp. Ich schickte oft
Mädchen hinunter zu Winstons Haus, wenn ich keine Lust mehr
hatte, mit ihnen auszugehen. Dann wurden sie für eine Weile
Winstons »Old Ladies«, und davon hatte er immer mehrere
gleichzeitig. Winston hatte eine Löwin namens Kitty Kitty, die er
mit lebenden Hühnern fütterte. Oft lud er mich zu sich ein, um
Kitty Kitty zu besuchen, aber die Raubkatze wurde mit der Zeit so
groß, daß ich mich bald nicht mehr in ihre Nähe traute. Die Löwin
brüllte dermaßen laut in seinem Hinterhof, daß man dachte, er
hätte einen ganzen Zoo. Winston lachte immer darüber und sagte
manchmal: »Kennt ihr den Unterschied zwischen einer großen
und einer kleinen Katze? Eine große Katze kratzt euch die Augen
aus, aber ein bißchen Muschi kann keinem was schaden.«
Das sind Weisheiten aus Winstons Leben.
wir Charlie Magoo, Michael »Mother« Miles aus
Nachdem
Sacramento und Chocolate George aus Frisco verloren hatten,
wurden die Hell's Angels durch ihre Riesenbeerdigungen berühmt.
Wenn ein Mitglied stirbt, geht jeder von uns zur Beisetzung.
Damit erweisen wir ihm und seiner Gruppe unseren Respekt. Zum
Teil ist es allerdings auch eine Demonstration unserer Stärke. Ich bin
bei Beerdigungen von Mitgliedern gewesen, die ich überhaupt nicht
kannte, aber sie waren eben Hell's Angels. Für mich war das eine
Pflicht.
Die Polizeibehörden machten sich oft über die Beerdigungen
von Hell's Angels lustig, bei denen wir in kilometerlangen Konvois
neben und hinter dem Sarg herfuhren. Die Bullen nannten uns
einen Haufen Clowns. Aber es dauerte gar nicht lange, da machten
sie genau dasselbe, wenn einer von ihnen beerdigt wurde. Inzwischen
ist es total üblich, ja fast eine Vorschrift für Polizisten.
96
Ralph »Sonny« Barger
den frühen Tagen des Oakland-Clubs, lange bevor wir unser
InClubhaus
kauften, hielten die Oakland Hell's Angels ihre Meetings
und Partys im Keller von Junior Gonsalves ab. Damals kamen
Johnny Angel, Clmt George, Jerry Pruchky, Junior, Dale Malen, GUS
Pimental und sein Vetter Waldo - und ganz besonders Jerry Jordan
- zusammen.
Jerry war Schichtarbeiter in der Peter Paul Mounds Schokoladenfabrik. Jerry war ein rechter Schlauberger und Fuchs.
Manchmal umhüllte er kleine Blöcke Balsaholz mit SchokoladenKuvertüre und verzierte sie mit Mandeln. Dann wickelte er sie in
echtes Mounds-Schokoladenpapier und ließ sie irgendwo herumliegen. Jerry starb bei einem Motorradunfall Ende 1959 und war
damit der erste Oakland Hell's Angel, der als Oakland Hell's Angel
starb. Er hatte an diesem Tag sein Baby besucht, das gerade geboren
worden war, und auf dem Rückweg stieß er mit einem Zug
zusammen, als er von der 29th Avenue Brücke kam. Jerry hatte in
rasendem Tempo versucht, den Zug noch vor der Kreuzung zu
überholen. Er schaffte es nicht und hinterließ nur eine acht Meter
lange Rutschspur.
war eines der allerersten Mitglieder des Oakland-Clubs
Waldo
und einer der riesigsten Männer, denen ich je im Leben
begegnet bin. Er war auch derjenige, der vorschlug, keine Heroinsüchtigen im Club zu dulden. Als Waldo Clubmitglied wurde,
war er selbst auf Heroin, das war, bevor wir unser Verbot aussprachen. Eines Tages erklärte er uns, er trete aus dem Club aus, weil er
heroinsüchtig war und nicht gleichzeitig ein Hell's Angel und
drogenabhängig sein dürfte. Sein Bike ließ er drei Wochen lang
mit einem platten Reifen stehen, weil er lieber sich selbst zupumpte,
statt seine Reifen aufzupumpen.
Vor unserem Drogenverbot hatte Waldo mich dazu überredet,
mit Heroin zu dealen. Von den späten 60ern bis in die frühen 70er
Jahre verkaufte ich Heroin an Junkies. Manchmal ließ ich auch
andere Junkies das Zeug für mich verkaufen. Eines Tages fragte
mich Waldo: »Hey, wieviel Geld hast du im Moment?«
»Ich weiß nicht genau, so um die 400 Dollar.«
Hell's Angel
97
»Gib sie mir, und ich zeig dir, wie man daraus noch mehr Geld
machen kann.«
»Kommt nicht in Frage. Du hast mir doch selbst geraten, niemals einem Junkie zu trauen.«
»Nee, da meinte ich andere Junkies, nicht mich.«
Ich gab ihm die 400 Dollar, und Waldo fuhr damit nach Mexiko
und kam mit einer Unze Heroin wieder zurück. Als wir das Zeug
verkauft hatten, hatten sich die 400 Dollar in eine ganze Zigarrenkiste voll Geld verwandelt - mindestens 2000 Dollar. Waldo hatte
ein Geschäft gemacht und besaß nun reichlich Knete.
Da gab ich ihm die Zigarrenkiste mit dem Geld.
»Fahr noch mal runter«, sagte ich zu ihm.
Scraggs gehörte auch zu den ersten Mitgliedern unseres
Jimmy
Clubs. Scraggs, mit richtigem Namen Jim Stephenson, war ein
großer Hillbilly-Sänger. Außerdem war er Sparring-Partner eines
kalifornischen Boxers namens Bo Bo Olsen. Scraggs hatte eine
Country-Band, »Jim Long and His Tennessee Playboys«, mit der
er in Oakie John's Bar in Alvarado auftrat. Die Hell's Angels
besuchten Oakie John's, wenn Scraggs mit seiner Band dort spielte.
Die Bar war rechteckig und hatte einen langen Gang, auf dem man
immer mit irgendwem zusammenstieß und dessen Drink
verschüttete. Deshalb kam es oft zu Schlägereien. Die Bühne mit
der Band \var mit Maschendraht umgeben, so daß keiner von der
Band getroffen werden konnte, wenn Flaschen flogen. Scraggs
brachte immer drei Gitarren zu einem Gig mit, denn ein bis zwei
gingen meistens auf irgendeinem Schädel zu Bruch.
Scraggs reinigte 1973 seine 25er Automatik-Pistole, in der noch
eine Patrone steckte, als er den Clip einschob und abdrückte. Der
Schuß ging ihm glatt durch den Kopf. Eine seiner Töchter, sie war
damals sieben Jahre alt, fand ihren toten Daddy. Das kluge Kind
wußte, daß ihr Vater vorbestraft war und keine Schußwaffe besitzen
durfte, also schaffte die Kleine die Pistole beiseite, bevor die
Polizei eintraf. Die Bullen glaubten lange, daß Scraggs ermordet
worden war, bis das kleine Mädchen dann endlich mit der Wahrheit - und der Pistole - herauskam.
98
Ralph »Sonny« Barger
Hi Ho Steve Vaughan war ein totaler Irrer, ohne jeden Respekt vor
der »Obrigkeit« oder den Behörden. Als er einmal vor Gericht
erscheinen sollte, malte er sich vorher eine Gesichtshälfte grasgrün
an. Der Richter war stocksauer und warnte Steve: »Mr. Vaughan,
Sie werden hier in meinem Gericht um ein Uhr nochmals
erscheinen, und hüten Sie sich, wieder in diesem Aufzug zu
kommen.« Hi Ho Steve ging aus dem Saal und kam nach einer
Weile zurück: Diesmal war die andere Gesichtshälfte grellgelb
bemalt! Als Hi Ho einmal Zahnschmerzen hatte, versuchte er, sich
den Zahn mit einer Flachzange zu ziehen. Das machte er so
gründlich, daß er gleich ein Stück seines Kieferknochens mit
herausriß. Wenn wir mit ihm eine unserer Hell's Angels Runs
machten, kochte Hi Ho Steve gern ein Stew aus dem Fleisch irgendeines Coyoten, den er mit seiner Maschine überfahren hatte.
Die armen Kerle, die das Zeug aßen, wurden davon sterbenskrank
und fühlten sich vermutlich wie der Coyote kurz vor seinem Ende.
Norton Bob fuhr eine Harley und eine BSA, aber ursprünglich hatte
er eine Norton, daher bekam er auch seinen Namen. Er wurde zu
uns nach Oakland als hochangesehenes Mitglied der Gruppe in San
Diego überwiesen. Während heftiger Kämpfe mit einer
rivalisierenden anderen Hell's Angels Gruppe richtete er einen
Gegner so zu, daß er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Bei
seiner Entlassung bekam er - eine Seltenheit - vom Gouverneur
eine Resozialisierungs-Bescheinigung übergeben. Danach machte
er mit Erfolg eine Pilotenausbildung und wurde ein anerkannter und
gefragter Testpilot. Norton entwickelte später einen besonderen
aerodynamischen Fallschirm und gründete dann seine eigene
Fluggesellschaft.
Als er einem Kunden seiner Firma in Neuseeland eine Spezialanfertigung eines zweimotorigen Flugzeugs abliefern wollte, kam er
ums Leben. Die Maschine besaß zusätzliche Treibstofftanks, um
die lange Strecke über den Pazifik zu bewältigen, aber als einer der
beiden Motoren ausfiel, war das Gewicht der Maschine zu groß.
Das Flugzeug stürzte ins Meer und zerschellte in der Brandung.
Wir erhielten noch den letzten Funkspruch zwischen NorHell's Angel
99
Norton Bob war einer der angesehensten Hell's Angels von Oakland.
ton und der Küstenwache. Norton hatte offenbar schnell an Höhe
verloren und war abgestürzt.
ist seit über 30 Jahren ein Hell's Angel. Sein richtiger
Cisco
Name ist Elliot Valderrama. Er ist zum Teil philippinischer
Abstammung und wuchs in Los Angeles mit knallharten LatinoStraßengangs auf. Cisco kam Anfang 1960 mit einem Bauunternehmer nach Oakland, der seine Leute hierher brachte, wo sie Kamine und Schornsteine bauten. Cisco arbeitete damals als Maurer.
Während er arbeitete, sah er eine Gruppe Hell's Angels auf ihren
Motorrädern vorbeifahren und an einer Tankstelle anhalten. In
diesem Moment wußte er genau, was er für den Rest seines Lebens sein wollte. Er War zwar bis dahin noch nie Motorrad gefahren,
aber wenn das nun mal dazu gehörte, um ein Hell's Angel zu
werden, wollte er es lernen. Cisco verließ East L. A. und zog nach
Nordkalifornien.
Als ich Cisco zum ersten Mal begegnete, kam er in die Star Bar
und erklärte mir, er wolle ein Hell's Angel werden. Zu dem Zeit100
Ralph »Sonny« Barger
Cisco auf einer seiner umgebauten Maschinen. Hinter ihm an der Wand steht
»Befreit Sonny!«. Damals saß ich im Knast.
Cisco Valderrama personal collection
punkt gehörte er noch zu einem Club im Sonoma County, der sich
»Misfits« nannte. Pete Knell und Chocolate George hatten Cisco zu
mir nach Oakland gebracht. Gleichzeitig wollten die beiden mit mir
besprechen, ob die Misfits nicht eine Ortsgruppe der Hell's Angels
in Nordkalifornien werden könnten.
Cisco war ein sehr extrovertierter Typ. Als er mich zum zweiten
Mal in Oakland besuchte, kam er in einem Batman-T-Shirt und
hatte seine Freundin dabei. Während wir in der Bar miteinander
redeten, wandte er sich an seine Freundin und sagte ihr, sie solle
draußen im Wagen auf ihn warten.
»Ich komme nach, sobald ich verprügelt worden bin.« Als es dann doch
länger dauerte, wurde seine Freundin ungeduldig, kam zurück in die Bar
und sagte zu Cisco: »Beeil dich bitte und laß dich endlich verprügeln, damit
wir zurückfahren können.«
Hell's Angel
101
Cisco war fest entschlossen, unserem Club beizutreten. Er fragte
mich, was er tun müsse, um ein Hell's Angel zu werden. Damals
gab es etliche Biker, die wir schon lange zu fassen kriegen wollten,
weil sie mit gefälschten Hell's Angel Patches in der Gegend von
San Rafael im Marin County herumgurkten. Im Gegensatz zu dem,
was Cisco über uns gehört hatte, waren diese Typen nur ein
Haufen Arschlöcher. Wenn er mit ihnen auf dem Schulhof
gewesen wäre, dann hätte er sie verprügelt und ihnen ihr LunchGeld abgenommen, erklärte Cisco. Diese Mistkerle sagten zu
Cisco: »Wenn du ein San Rafael Hell's Angel sein willst, dann laß
dir doch einfach das Patch machen und trage es.« Ein bißchen
hochnäsig machte ich Cisco folgenden Vorschlag: »Geh und
schnapp dir eins von den San Rafael Patches und bring es mir her.
Dann können wir drüber reden. Aber weck mich nicht vor Mittag.«
Nach unserem Treffen fuhren Cisco und ein paar von seinen
Misfits nach San Rafael und hämmerten an die Tür des sogenannten Präsidenten. Als der die Tür aufmachte, schlug Cisco ihn
windelweich. Seine Freundin schrie wie am Spieß, aber einer von
den Misfits ohrfeigte sie und zwang sie, sich auf den Fußboden zu
legen. Danach nahm Cisco dem Pseudo-Präsidenten sein Patch ab.
»Du bist kein Hell's Angel, du mieses Dreckschwein, und wenn
du für deine Scheiße mit dem Ballermann kämpfen willst, nur zu damit haben wir kein Problem!«
Cisco zwang ihn, die sieben anderen Mitglieder des Betrügerclubs herbeizurufen. Als einer nach dem anderen ankam, wurden
sie alle zusammengeschlagen und in einer Ecke des Hauses
festgehalten. Alle gefälschten Patches wurden ihnen abgenommen
und verbrannt — ausgenommen das Patch des Präsidenten. An
diesem Abend wurden die San Rafael Hell's Angels offiziell
aufgelöst.
Am nächsten Morgen fuhr Cisco zurück nach Oakland. Als er an
meinem Haus eintraf, war es acht Uhr morgens, deshalb blieb Cisco
in seinem Truck sitzen und wartete bis Viertel vor zwölf. In dem
Moment kam Fu, der damals zu den Hell's Angels von Fres-no
gehörte, an meinem Haus an. Als Fu zu meiner Haustür ging,
102
Ralph »Sonny« Barger
brüllte Cisco ihn an: »Hey! Es ist noch nicht zwölf Uhr! Weck ihn ja
nicht auf!«
Fu lachte. »Mann, Sonny steht jeden Tag sehr früh auf. Er ist
wahrscheinlich seit Stunden auf den Beinen.«
Ich ließ Cisco hereinkommen. Er gab mir das gefälschte Patch. In
der Woche daraufschlug ich vor, daß Cisco und 14 weitere Mis-fits
ein Hell's Angels Charter in Santa Rosa gründeten. Der Club
stimmte ohne Einwände dafür. Und deswegen ist Cisco einer der
ganz wenigen Hell's Angels, die nie eine Zeit als Prospect zu verbringen hatten.
Cisco, der damals noch keine 30 war, geriet einmal in eine Auseinandersetzung mit einem Club in einem Nachbarstaat von Kalifornien. Die Kerle nahmen ihm zwar nicht sein Patch weg, aber sie
hielten ihm Pistolen an den Kopf und drohten, ihn abzuknallen. »So
machen wir es hier in unserem Staat, nur damit du Bescheid weißt«,
protzten sie. Als Cisco mir davon erzählte, riet ich ihm aus damals
wichtigen politischen Gründen, sich lieber zurückzuhalten und
nicht mit anderen Clubs in Streit zu geraten.
Kurz danach informierte Bobby »Durt« England, ein Oakland
Hell's Angel, Cisco darüber, daß ein Biker aus jenem anderen Club
des Nachbarstaates im Hause seiner Mutter zu Gast sei. Bobby
meinte, er müßte Cisco davon unterrichten. Cisco knallte den
Telefonhörer auf, raste zum Haus von Bobbys Mutter und zog seine
Pistole.
»Hey, motherfucker«, schrie er den Typ an, »jetzt zeig ich dir
mal, wie wir es hier in Kalifornien machen, damit auch du Bescheid weißt!« Er spannte den Hahn seiner Kanone und richtete die
Waffe auf den Kopf des Mannes.
Bobbys Mutter, die genauso aussah wie Tante Bea aus derAndy
Griffith Show im Fernsehen, beugte sich wortlos hinab und rollte
den kostbaren Orientteppich zusammen, damit er keine Blutspritzer
abbekam. Aber bevor Cisco abdrückte, fiel ihm meine Warnung
wieder ein, also ließ er den Typ in Ruhe.
Irgendwann hatte ein Freund die Idee, daß der Partyraum in
Ciscos Haus in West Oakland mit einem Sarg als Kaffeetisch verdammt cool aussehen würde. Am nächsten Tag kam er mit einem
nagelneuen, auf Hochglanz polierten Mahagonisarg an. Seltsam
Hell's Angel
103
war nur, daß das Ding so verdammt schwer war. Als er den Sarg
aufmachte, lag darin noch die einbalsamierte Leiche, die er zusammem mit dem Sarg aus dem Beerdigungsinstitut gestohlen
hatte. Cisco brüllte seinen Kumpel wutentbrannt an: »Schaff mir
diesen Leichnam vom Hals, sonst pack ich dich in den Sarg!«
Cisco wurde Präsident des Oakland-Clubs, während ich im Gefängnis saß. Jetzt arbeitet er im Filmgeschäft und ist ein enger
Freund von Mickey Rourke. Seine große Leidenschaft sind Doowop-Musik und Oldtimer-Autos. Er fährt zwar Motorrad, damit er
zum Club gehört, und er besitzt auch eine ganze Menge Bikes, die
tollsten Maschinen, die man sich nur denken kann. Cisco
schraubt auch gerne an seinen Maschinen herum, nur macht er
sich nicht viel daraus, die Dinger zu fahren. Er fährt sie nur bei
Clubtreffen. Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich fahre jeden Tag
Motorrad.
Angels lieben Faustkämpfe über alles. Und es gibt auch
Hell's
mehr als genug Besoffene und größenwahnsinnige Spinner, die
es darauf anlegen. Sogar zwischen uns Clubmitgliedern kommt
es immer wieder zu Kämpfen. Armand Bletcher war über zwei
Meter groß und wog mehr als 300 Pfund. Er war so stark, daß er
zwei Motorräder gleichzeitig hochheben und auf einen Pickup
laden konnte. In den frühen 70er Jahren konnte Armand über 300
Kilo stemmen. An Wettkämpfen hat er nie teilgenommen, aber er
nahm Steroide und war einfach ein unglaublich gewaltiger Mann.
Nur Johnny Angel traute sich, Armand Bletcher zu einem
Kampf herauszufordern. Eines Tages kam Armand zu mir und bat
mich beinahe flehentlich: »Sonny, bitte, bitte, laß mich doch gegen
ihn boxen!«
Wir hätten Armand vermutlich erstechen müssen, denn niemand hätte ihn in einem fairen Boxkampf besiegen können. Er
hätte uns wahrscheinlich alle umgehauen.
Einmal geriet Armand bei einem Telefongespräch mit einem
Freund in Wut und warnte ihn: »Ich komme gleich rüber und trete dir
in den Arsch!« Als Armand bei seinem Freund ankam, um seine
Drohung wahrzumachen, haute dieser Armand mit einem
104
Ralph »Sonny« Barger
Baseballschläger über den Schädel, was ihn nur noch wütender
machte.
»Jetzt werde ich dir diesen verdammten Schläger in den Hintern
stopfen!« schrie er.
Sein Freund ließ den Schläger fallen, zog seine Pistole und erschoß Armand, der gerade über ihn herfallen wollte.
Hell's Angel in Sonoma County mit Namen Fuck
Es'EmgabUpeinenChuck,
einen Biker, mit dem nicht zu spaßen war.
Wenn Chuck jemanden nicht leiden konnte oder sich über etwas
ärgerte, dann - Bumm! - schlug er sofort zu, was ihm den Namen
Fuck 'Em Up Chuck eintrug. Er lernte in Marin County ein
kleines Hippie-Mädchen kennen und fragte sie, ob sie ihm einen
Fingerring mit einem Death Head machen könnte. Sie einigten
sich auf ein Design, und als der Ring fertig war, brachte sie ihn
Chuck. Er wurde stinkwütend, als er den Ring sah. »Warum hast
du >Oakland< auf den Ring geprägt? Ich bin aus Sonoma!«
»Das tut mir wirklich leid«, antwortete sie. »Ich dachte, alle
Hell's Angels kämen aus Oakland.« Chuck wollte den Ring nicht
haben und gab ihn einem Mitglied der Oakland-Gruppe.
»Fu« Griffin war ein Oakland Hell's Angel, der vom
James
Fresno-Club an uns überwiesen worden war. Nach einer
Durchsuchung seines Hauses wurde Fu ins Gefängnis gesteckt.
Die FBI-Leute waren mit gezogenen Pistolen schießend ms Haus
eingedrungen, und Fu hatte sofort mit seiner Kanone zurückgeschossen. Die Bullen trieben Fu mit ihren Maschinenpistolen
aus dem Haus, und eine Kugel traf ihn am Arm. Als Cisco ihn im
Knast von San Quentin besuchte, trug Fu seine Armverletzung
wie eine Trophäe durch die Gegend. Solange wir sein Haus für
ihn versorgten, ließen wir als Erinnerung an Fu die Einschüsse der
Maschinenpistolen in den Wänden, Vorhängen und Türen.
E
s gab einen Typen aus Hawaii in unserem Oakland-Club, den
wir Pi nannten. Sein richtiger Name war Alan White, und Pi
war einer der gewalttätigsten Typen, die man sich denken konnte.
Einer, dem man lieber aus dem Weg ging. Pi war unglaublich stark
Hell's Angel
105
und hatte keine Hemmungen, andere Leute zu verletzen. Er gehörte
zu der Sorte Hell's Angels, von denen man sich fernhielt, wenn man
als Outsider zu Gast im Club war.
Als wir einmal auf einem Run ins Gold County waren, brach ein
Rad an meinem Bike. Glücklicherweise gab es in der nächsten
kleinen Stadt eine Motorradwerkstatt. Wir beschlossen, daß ich
zusammen mit Pi dorthin fahren und wir uns erst mal von der
weiterfahrenden Gruppe trennen sollten, während mein Bike repariert wurde. Einer der anderen Fahrer - kein Mitglied unseres
Clubs - t ragte, ob er mit uns kommen könne. Kein Problem. Dann
sah der »Neue«, wie Pi aus dem Truck eines Prospects eine Uzi
holte, lud, in ein Handtuch wickelte und sie neben den Sattel seiner
Maschine schnallte.
»Was willst du denn damit, Mann?«
»Ich begleite Sonny«, erwiderte Pi ganz nüchtern und trocken,
während er die Maschinenpistole anschnallte.
Da überlegte es sich der Neue noch einmal. »Fahrt ruhig ohne
mich. Ich bleibe lieber bei der Gruppe.« Wo ich auch war, ich fühlte
mich immer geschützt, wenn Pi in meiner Nähe war.
Doug »the Thug« Orr war ein schwieriges Mitglied des
Auch
Clubs. Zuerst war er bei den Daly City Hell's Angels, dann ging
er zu den Nomads und schließlich kam er zu den Hell's Angels nach
Oakland. Doug war in der Gegend von Daly City in der Nähe von
San Francisco aufgewachsen. Von Natur aus war er ein
außerordentlich gewalttatiger Bursche, ein richtiger Gangstertyp.
Die längste Zeit, die er nicht im Knast saß, war er Mitglied bei uns in
Oakland. Danach wanderte er erneut hinter Gitter, nach San
Quentin wegen bewaffneten Straßenraubs und weil er seine
Freundin in den Kopf geschossen hatte. Doug the Thug war so
stark, daß er mit bloßen Händen Handschellen aufbrechen konnte.
Seine Mitgefangenen in den Zellen von San Quentin mieden ih n
beim Freigang. Während seines Aufenthalts in »Q« befand man
ihn als dermaßen gefährlich und unberechenbar, daß man ihn ins
Irrenhaus von Napa Valley steckte. Man wrollte dort mit einer
Lobotomie Dougs Neigung zur Gewalt wegoperieren. Jemand, der
im Napa State Hospital mit Doug zusammengewesen und in106
Ralph »Sonny« Barger
Doug »the Thug« Orr (links) konnte Handschellen aufbrechen.
zwischen entlassen worden war, erzählte seinen Freunden von der
geplanten Operation.
Diese Freunde halfen Doug, aus dem Irrenhaus zu entkommen.
Als er draußen war, stand er so stark unter Drogen, daß es fast fünf
Tage dauerte, bis er wieder richtig zu sich kam. Doug the Thug
hatte fast sein ganzes Leben in Anstalten verbracht. Irgendwann
sperrte man ihn dann doch wieder ins Gefängnis, wo er in seiner
Zelle an einer Überdosis Heroin starb.
Hell's Angel
107
des Höhepunkts des LSD-Rausches in den 60ern
Während
waren Terry the Tramp und George Wethern die besten
Bezugsquellen für LSD und andere psychedelische Drogen in
Haight-Ashbury während des »Summer of Love«. Wenn es sich
um »Acid« aus dem Labor des berühmten LSD-Pioniers Owsley
Stanley handelte, dann konnte man es mit Sicherheit über Tramp
und George bekommen. Georges Spitzname war Baby Huey, und
wenn er nicht gerade mit LSD dealte, arbeitete er als Tischler oder
Maurer. Wethern war einer der ersten Hell's Angels, die sich gegen
den Club wandten und zu Verrätern und Spitzeln der Justiz wurden.
Alles, was er getan hatte, schrieb er in einem Buch auf, das 1978
erschien. Wayward Angel war das erste von vielen gefährlichen
»Enthüllungsbüchern« über die Hell's Angels, die auf den Markt
kamen. George war auch der allererste Hell's Angel, den die Justiz
in das Schutzprogramm für Kronzeugen aufnahm.
Aber George war alles andere als ein verdammter Heiliger. Er
war ein gewalttätiges, brutales Biest. Wenn er genug PCP - Angel
Dust - intus hatte, verlor er jeglichen Sinn für die Wirklichkeit.
Georges bester Freund in unserem Club war Billy Mitten. Billy
wrar ein schlanker, gutaussehender Mann, dessen Eltern Brasilianer
waren. Er trug seine Haare pomadisiert und nach hinten gekämmt
und sah so ähnlich aus wie der spanische Schauspieler An-tonio
Banderas. Egal, wie heiß es draußen war, Billy trug stets
schwarze Lederhosen und ein schwarzes, vorne geschnürtes Lederhemd. Er fuhr ein grell »Oakland Orange« lackiertes, gechopptes Bike. Jeder im Club nannte ihn Zorro.
Zorro war ein schlimmer Gauner und Betrüger. Da konnten
fünf Typen im Clubhaus um ihn herumsitzen, von denen jeder
glaubte, Zorro habe ihm gerade eine Sportster verkauft und er
habe dabei die anderen überboten. Am Ende haute Zorro mit all
dem ergaunerten Geld ab, und die anderen guckten in die Röhre.
Zorro war ein solcher Lügner, daß er am Ende sogar seine eigenen
Schwindeleien glaubte. Einmal verhafteten ihn die Bullen für irgendeinen Scheiß, den er gar nicht begangen hatte. Aber Zorro
überzeugte sogar den Lügendetektor vom Gegenteil.
George Wethern und Zorro waren sowohl Freunde als auch Ge108
Ralph »Sonny« Barger
Zorro mit zwei Gewehren in den Händen, womit er sich naturlich nicht an seine
Bewährungsauflagen hielt.
schäftspartner. Eines Abends hatten die beiden einen bösen Streit.
Zorro hatte eine freche 'Andeutung gemacht, daß George Steuergelder unterschlagen hätte, die für ein Unternehmen bezahlt werden
sollten, an dem beide beteiligt waren. Wethern geriet darüber in
rasende Wut, und weil er mit Angel Dust vollgepumpt war, griff er
sich seine 45er Pistole und pumpte sieben Schüsse in Zorro. Zorros
Körper war von den Einschüssen und den Austritten der Kugeln so
durchlöchert, daß er fast wie ein Sieb aussah.
Völlig durchgedreht und verwirrt packte George Zorros Körper
und fuhr mit ihm zum Fairmont Hospital, wo er den Ärzten
erzählte: »Ich habe meinen Freund ins Bein geschossen!« Georges
Frau rief mich voller Panik an, und ich raste mit meinem Motorrad
zum Spital, wo George in einem der Korridore stand, und 15 Ärzte
versuchten, Zorro wieder zusammenzuflicken. George, der ein
ziemlich großer, bulliger Mann war, benahm sich auf diesem Gang,
wo ihn die Polizei in Schach hielt, wie ein Irrer. Sie wollten nicht auf
ihn schießen, aber George wollte sich auch nicht festnehHell's Angel
109
Deacon mit seinem eisernen Pferd, einer Harley.
men lassen. Also mußte ich ihn beruhigen.' Die Bullen erklärten
mir, sie würden ihn abknallen, wenn er sich nicht verhaften ließe.
Endlich gelang es mir, George dazu zu bringen, runterzukommen
und sich Handschellen anlegen zu lassen. Als man ihn ins Gefängnis
abführte, war er immer noch total high von dem ganzen PCP.
Erstaunlicherweise überlebte 'Zorro die vielen Einschüsse und
Operationen.
Als die Geschichte zur Verhandlung kam, weigerte sich Zorro,
gegen seinen Freund George auszusagen, und stellte die Schießerei
als einen Unfall dar. Zorro ließ sich später um jede Einschußnarbe
in seinem Körper Ringe tätowieren. Auf einem dieser Tattoos
stand: »45er Kugeln sind kein Scheiß«. Ein paar Jahre später starb
Zorro jedoch an den Nachwirkungen der Schüsse.
110
Ralph »Sonny« Barger
Hell's Angels 'waren meine Familie, sie bestand aus
Dieall Oakland
diesen Typen wie Skip, Magoo, Tramp, Big AI, Cisco,
Scraggs, Winston, Johnny Angel, Jerry Jordan, Norton Bob,
Amand, Pi, Fu, Hi Ho Steve, Bert Stefanson, Doug the Thug,
Michael Malve, Gary »GP« Popkin, Fuzzy, Stork, Deacon, Marvin,
Guinea, Flash, Fook und Zorro. Sie wurden noch mehr, als mein
Vater im Januar 1971 starb. Er starb nur ein paar Tage nach Magoo.
Seine Trunksucht war immer stärker geworden, und als er dann
ernsthaft krank wurde, weigerte er sich, mit einem Krankenwagen
ins Spital gebracht zu werden. Er wollte einfach niemandem zur
Last fallen. Meine Schwester ließ ihn trotzdem ins Krankenhaus
bringen, sie blieb dort drei Tage und Nächte in seiner Nähe und
schlief in der Eingangshalle des Hospitals. Am vierten Morgen
schloß er für immer die Augen. Ralph Barger Sr. starb an
Leberzirrhose und anderen alkoholbedingten Krankheiten.
Am Tag nach der Beisetzung von Magoo begrub ich meinen
Vater in einem Kirschbaumsarg, den ich eigentlich für mich selbst
gekauft hatte. Ich hatte ernsthaft geglaubt, noch vor meinem Vater
auf dem Friedhof zu landen. Die ganzen neuen Klamotten, die wir
meinem Vater zu Weihnachten geschenkt hatten, gaben wir nun
an ein neues Clubmitglied weiter, Pop Linderman, der gerade vom
Militär entlassen worden war. Meine Tante holte Dads Bibel von
seiner Gewerkschaft ab, wo er sie aufbewahrt hatte. Meine
Schwester Shirley bekam von der Versicherung gerade genug
Geld, um die Beerdigungskosten und die Grabstätte zu bezahlen.
Ich erbte Vaters Schußwaffen.
Nach der Beerdigung ging ich allein an Vaters Grab, verbrachte
dort drei Tage und Nächte und holte mir in dem strömenden Winterregen eine schwere Lungenentzündung. Ich litt am meisten unter
dem Tod meines Vaters und war zutiefst betroffen. Ich hatte
versucht, für ihn zu sorgen, aber als er älter wurde und nicht mehr
arbeiten konnte, hatte er von dem wenigen Geld, das er besaß,
immer wieder anderen Familienangehörigen, die in Not waren,
ausgeholfen.
Abgesehen von ein paar Monaten, die er wegen Haschbesitzes in
Santa Rita im Knast saß, hatte mein Vater niemals den Ärger,
Hell's Angel
111
Mouldy Marvin stand im Mittelpunkt bei der Vergewaltigungsaffäre von
Monterey und bei den Kämpfen zwischen den Clubs von Oakland und Frisco.
Jetzt gehört er zu einem Nomad-Charter im Staat Washington.
Steve Bonge
den ich mit der Justiz hatte. Aber er war stolz auf mich und den
Club. Die Mitglieder behandelten ihn höflich und mit Respekt. Er
war einfach stolz darauf, mein Vater zu sein, ganz gleich, in welche
Scheiße ich hineingeriet und was die Zeitungen und Magazine wie
Time und Newsweek über mich schrieben. Für ihn war das alles nur
prima Gesprächsstoff m seinen Kneipen.
egal, wie kriminell und verrückt sich manche Typen im
Ganz
Club aufführten, ich meinte immer, ich könnte ein wenig auf sie
aufpassen und sie vor dem Schlimmsten bewahren. Wenn es die
Bullen oder meine Bewährungshelfer ärgerte, daß ich mich um
sogenannte unverbesserliche Verbrecher kümmerte - das war mir
scheißegal.
Ralph »Sonny« Barger
112
Ich habe nun einmal ein Herz für diese Männer und ihre Motorräder und glaube, sie zu verstehen. Aber Frauen ... na ja, das ist
etwas ganz anderes. Was Beziehungskisten angeht, so brachte mich
nichts mehr aus dem Gleichgewicht als die Old Ladies in meinem
Leben.
Der inzwischen verstorbene Jim »Mother« Miles, ein HAMC Nomad aus
der Gegend von Sacramento, zusammen mit seiner Old Lady, seiner
Ehefrau Ann.
Wayne Miller/Magnum
6
OLD LADIES
UND ANDERE CHICKS
F
rauen, Old Ladies, Babes, Mädchen. Ohne sie kann man nicht
leben, aus ihren Knochen kann man keine Suppe kochen. Wo
immer Hell's Angels sind, da sind ganz todsicher auch
Mädchen, Old Ladies und Bräute auf Zeit. Je mehr die Old Lady
hermacht, um so besser ist der Ruf des Hell's Angels. Eine Old
Lady zu haben, der es nichts ausmacht, zuzusehen, wie ihr Mann
Spaß hat, kann den Unterschied zwischen einem guten und einem
exzellenten Hell's Angel bedeuten. Wir tun alles Erdenkliche, damit
sich unsere Frauen absolut sicher fühlen, ob sie nun mit uns
ausfahren, zu Partys ins Clubhaus kommen oder einfach nur mit uns
zusammenleben. Wenn jemand der Old Lady eines Hell's Angels zu
nahe tritt oder sie anmacht, muß er damit rechnen, daß er sich nicht
nur den Zorn des einen, sondern den aller anderen Hell's Angels aus
dem Club zuzieht.
Ich habe in meinem Leben nichts anbrennen lassen, aber im
Grunde bin ich ein Mann, der sich immer nur für eine Frau zur Zeit
interessiert. Ihr könnt mir glauben, ich bin alles andere als ein
Experte, was Frauen angeht. Frauen sind für mich seit meiner
Kindheit eine Art Fragezeichen gewesen, das fing schon mit meiner
Mutter an.
Nachdem sie mich als Baby verlassen hatte, schrieb mir meine
Mutter immer wieder Briefe und versuchte, mit mir in Verbindung
zu kommen. Ich warf die Briefe ungeöffnet weg. Daß ich nicht
antwortete, beunruhigte sie so, daß sie auf dem Polizeirevier anrief
und den Sheriff bat, nachzusehen, ob wir noch lebten. Die
Heils Angel
115
Bullen fragten mich, ob ich die Briefe meiner Mutter denn nicht
bekommen hätte. »Yeah, aber ich habe sie weggeschmissen, na
und?« Die Bullen rieten mir, die Briefe lieber zu beantworten, ansonsten könnte meine Mutter dafür sorgen, daß ich ins Jugendheim
gesteckt werde. »Von mir aus!« erwiderte ich, »steckt mich ins
Heim!« Ich wußte, daß mein Vater das niemals zulassen würde.
Als meine Schwester Shirley sich mit 16 Jahren dann doch mit
meiner Mutter traf, hielt ich mich bewußt von ihnen fern. Als
Vierzehnjähriger fand ich: Wenn eine Mutter ihr Baby aufgibt, hat
man hinterher nicht mehr das Geringste mit ihr zu tun. Ich dachte
einfach nicht mehr ernsthaft über sie nach. Ich hatte ja meine
Schwester, die auf mich aufpaßte. Und bald, da war ich sicher,
würde ich mich sowieso völlig frei auf den Straßen von Oakland
herumtreiben können.
In dem Jahr hatte ich auch zum allerersten Mal ein sexuelles
Erlebnis. Als ich eines Morgens noch im Bett lag, schlich sich ein
Mädchen aus unserer Nachbarschaft zu uns herüber und klopfte an
mein Fenster. Wir waren gleichaltrig, und sie sah gar nicht übel aus.
Ich ließ sie in mein Zimmer, sie stieg zu mir ins Bett.
des Hell's Angels Motorradclubs war ein Mitglied
InvonderunserstenallesZeitandere
als ein wünschenswerter Partner für eine
schicke Lady oder ein intelligentes Karriere-Girl der 50er Jahre.
Abgesehen von Tommy Thomas, der verheiratet war, und mir, der
eigentlich immer eine feste Beziehung zu einem Mädchen hatte,
konnte man bei den anderen Angels, wenn einer von ihnen bei
einem Girl landete, davon ausgehen daß sie die Stadtnutte war und
sich von jedem vögeln ließ, der sie anmachte.
Wenn einer von uns in den 50er Jahren behauptete, ein Mädchen
gefunden zu haben, war das entweder gelogen, oder er hatte einen
Abstecher nach Tijuana gemacht. Mit Beginn der 60er Jahre änderte
sich das radikal. Es lag wohl am Zeitgeist, daß auf einmal alle
Drogen und Sex kennenlernen und ausprobieren wollten. Nicht
etwa, daß die Hell's Angels alle Töchter Amerikas vernascht hätten,
aber wir standen auf einmal im Mittelpunkt des allgemeinen
Interesses in den Medien und im Kino. Das brachte uns auch das
Interesse der Mädchen und Frauen ein. Viele Typen in den
116
Ralph »Sonny« Barger
Clubs hatten eine Freundin nach der anderen, mit denen sie zeitweise zusammenlebten.
Eine ganze Menge »respektabler« Frauen gierte heimlich nach
den wüsten und wilden Macho-Typen, während die sogenannten
kultivierteren und empfindsameren »Normalo«-Männer nicht mehr
»in« waren und mit ihrem Schwengel in der Hand ins Abseits
gerieten. Bei einer Menge Weiber liegt das wohl in ihrer erotischen
Natur, die rauheren Typen machen sie scharf.
Rudelbumsen und Gruppenvögeln waren an der Tagesordnung.
Ich wollte, ich hätte einen Dollar für jede Frau bekommen, die bei
unseren Partys zu mir kam und fragte, ob es im Clubhaus nicht ein
Extraschlafzimmer gebe, wo sie mit einem Haufen geiler Typen
mal für 'ne Weile verschwinden könnte. Für eine bestimmte Sorte
Mädchen galt es als eine besondere Ehre, sich von einem Rudel
Hell's Angels ficken zu lassen. Viele Frauen, die uns auf den Straßen
vorbeidonnern sahen, waren keineswegs erschreckt oder abgestoßen. Im Gegenteil, sie wollten nur zu gern dabei sein, selbst
wenn das hieß, daß sie sich hinter einem wildfremden Hell's Angel
aufs Bike schwingen mußten. Bobby Durt stand oft in vollem
bunten Hell's Angels Outfit vor einer Bar und hielt als Anhalter den
Daumen hoch. Wenn dann ein »Chick« vorbeifuhr und ihn
mitnahm, weil er unverkennbar ein Hell's Angel war, fragte sie ihn
kaum danach, wohin er eigentlich wollte. Dann wollte sie meist nur
wissen, wo sie sich von ihm vernaschen lassen könnte. Er war ja ein
Angel, und das hieß: Für sie war alles drin!
rote und schwarze Schwingen zu verdienen, war für uns
Sich
Angels ein Ritual, das in den 50er und 60er Jahren aufkam. Man
bekam seine roten Schwingen dafür, wenn man mit einem
Mädchen während ihrer Periode Oralverkehr hatte, und schwarze
Schwingen gab es, wenn man dasselbe mit einem schwarzen Girl
machte. Manche Kumpel aus unserem Club verdienten sich beide
Schwingen auf einmal. Als Bobby Durt einmal im Sinner's Club
soff, schnappte er sich ein schwarzes Girl und verschwand mit ihr
auf dem Klo. Wir gingen hinterher, rissen die Tür auf, guckten zu
und bestätigten seine Leistung. So bekam er seine schwarzen
Schwingen.
Hell's Angel
117
Manchmal geriet das Verhältnis zwischen der Öffentlichkeit und
den Angels so außer Rand und Band, daß aus einer unserer
Verrücktheiten eine völlig übertriebene Kontroverse entstand. Das
beste Beispiel dafür ist die Vergewaltigungsgeschichte von
Monterey, eine Riesenstory in der gesamten Presse des Landes
über die Hell's Angels. Zu der Zeit saß ich gerade wegen dieser
beschissenen Haschgeschichte im Gefängnis von Santa Rita. Sonst
wäre ich bestimmt auch dabei gewesen.
Die Hell's Angels waren in einer riesigen Gruppe am Labor-DayWochenende 1964 nach Monterey gefahren, wo sie eine Party feiern
wollten. Die Einwohner waren völlig aus dem Häuschen, weil wir in
ihrer Stadt herumgurkten, und die Handelskammer von Monterey
war auch nicht gerade begeistert, weil klar war, daß wir nicht viel
Geld zum Ausgeben hatten. Deshalb wurden die Angels aus der
Stadt gedrangt, nach Marina Beach am Pazifik in der Nähe der
Militärgarnison Fort Ord. Sie kampierten dort draußen und feierten
Partys mit reichlich Drogen. Aber auch andere Biker aus Monterey
versammelten sich in Marina Beach, und rund 30 Girls waren dabei,
um mitzufeiern. Es wurde eine sehr ausgelassene gemeinsame
Party. Gegen Abend hatten Terry the Tramp und Mouldy Marvin
Gilbert Riesenspaß und vögelten wild herum. Alle gingen im Meer
schwimmen, und die Mädchen trugen ihre winzigen Bikinis oder gar
nichts. Es waren auch zwei sehr junge Mädchen dabei -eine schwarz,
die andere weiß -, die am Strand entlangspazierten. Eine trug nur ein
Hemdchen, und die andere war völlig nackt.
Mouldy Marvin pinkelte gerade hinter einem geparkten Auto, als
er einen Polizeiwagen neben den beiden Girls halten sah. Die
Bullen drehten ihr Fenster herunter, redeten mit den Girls, setzten
sie dann auf den Rücksitz und fuhren mit ihnen davon. Am
nächsten Tag kam eine ganze Flotte von Polizeiwagen zu unserer
Party. Etwa 60 Personen waren zu dem Zeitpunkt am Strand, etwa
doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Bullen reihten die Männer
an einer Seite auf und die Mädchen und Frauen auf der anderen.
Dann fuhr ein Polizeiwagen langsam durch die beiden Reihen. Auf
dem Rücksitz des Wagens saßen die beiden Mädchen vom Vortag.
Sie deuteten mit ihren Fingern auf einige von uns, um sie zu
identifizieren.
118
Ralph »Sonny« Barger
Ein Angel aus Richmond stand am Ende der Reihe, und eines
der beiden Mädchen zeigte auf ihn. Die Bullen befahlen ihm, zu
ihnen hinüber zu kommen, und ehe der Typ zu ihnen ging, drückte
er sein Bier Jim »Mother« Miles, dem Chef des Sacramento Clubs,
in die Hand. Die Bullen gaben auch Miles ein Zeichen: »Sie auch!«
Marvin fing an zu lachen, da schnappten sich die Bullen auch ihn.
Dann brüllte Terry the Tramp, Marvins Freund, den Bullen etwas zu,
woraufhin auch er festgenommen wurde. Die beiden Mädchen im
Polizeiwagen hatten auf die letzten vier Männer in der Reihe
gezeigt.
Die Bullen von Monterey brachten die vier in eine Zelle des Bezirksgefängnisses. Die Anklage lautete auf Vergewaltigung. Am
nächsten Morgen erschienen die Zeitungen im ganzen Land mit den
Schlagzeilen VERGEWALTIGUNGEN IN MONTEREY! HELL'S
ANGELS VERHAFTET! Die sogenannte Hell's Angels Vergewaltigungsaffäre von Monterey war überall auf Seite eins, von der Westbis zur Ostküste der USA. Jetzt waren wir landesweit berüchtigt.
Ein naher Verwandter von Terry the Tramp war ehemaliger Bezirksstaatsanwalt aus Monterey (er wurde später katholischer
Priester). Er übernahm die Verteidigung. Marvin, Tramp, Mother
Miles und der Typ aus Richmond wurden gegen Kaution auf freien
Fuß gesetzt, und als sie zur Anklageerhebung vor Gericht erschienen, wurde die Anklage fallengelassen. Die Staatsanwaltschaft und die Bullen wußten, daß ihre Argumente auf schwachen
Füßen standen. Die ganze Affäre um die sogenannte Vergewaltigung von Monterey kam nie mehr vor den Kadi. Auch daß sich der
ganze Skandal in Luft aufgelöst hatte, wurde auf den Titelseiten der
Presse landesweit berichtet. Wir waren gefährlich. Wir waren im
ganzen Land berüchtigt. Und wir waren unschuldig.
Im Jahr darauf händigte der Justizminister von Kalifornien,
Thomas C. Lynch, der Presse und dem Parlament ein umfangreiches
Dossier über die angeblichen kriminellen Delikte der Hell's Angels
aus. Daraufhin spritzte die Scheiße voll über uns. Es war das erste
Mal, daß die höchsten Staatsbehörden uns als zersetzenden Einfluß
und eine Gefahr für die Gesellschaft bezeichneten. Jetzt konnten die
Nachrichtenjäger loslegen! Nachdem die Regierung uns den Krieg
erklärt hatte, überhäuften uns die Reporter
Hell's Angel
119
der Zeitungen und Zeitschriften mit Bitten um Interviews. Jeder,
einfach jeder wollte mit uns reden.
erste Frau, Elsie, und ich lernten uns 1962 kennen. Sie war
Meine
ein fabelhaftes Mädchen. Ich hatte eine Schwäche für
besonders hübsche Mädchen und kannte sie schon lange, bevor sie
meine Freundin wurde. Ursprünglich war sie mit einem Hell's
Angel namens Rick Risner befreundet. Rick gehörte ein paar Jahre
zu unserem Club, den er aber nach einer Weile verließ, um nach
Kentucky zu ziehen. Damals machte er auch mit Elsie Schluß, und
dann kamen Elsie und ich zusammen. Sie war ein wirklich prima
Girl, die für jeden Spaß zu haben war und gern mit mir auf der
Maschine fuhr. Sie hatte lange, braune Haare und wunderhübsche
Augen, und alle im Club mochten sie gern. Elsie hatte zwei Kinder
- einen Jungen und ein Mädchen -, die ihr ein und alles waren. Eines
Abends bekam meine Schwester Shirley in SoCal einen Telefonanruf
von der kichernden Elsie.
»Hallo, hier spricht deine neue Schwägerin. Dein Bruder und ich
haben gerade geheiratet.« Wir wurden 1965 in Reno getraut,
nachdem wir zusammen mit einem anderen Paar auf unseren Motorrädern nach Nevada gefahren waren.
Unsere Ehe war von Anfang an ziemlich problematisch. Wir
trennten uns 1966 für eine Zeitlang, kamen aber doch wieder zusammen und planten, uns ein Haus zu kaufen. Ich fand ein kleines
einstöckiges Brownstone-Häuschen auf der Golf Links Road in
Oakland, ganz in der Nähe des Zoos. Eine ganze Menge Clubmitglieder folgte uns in diese Gegend, um dort zu wohnen - Winston,
Fat Freddy und später auch Jim Jim Brandes, Sergey Walton und
Kenny Owen.
Elsie wurde kurz nach Neujahr 1967 schwanger. Weil sie schon
zwei Kinder hatte, sprachen wir eingehend darüber und entschieden, daß wir keine weiteren Kinder haben wollten. So oder so
paßten Kinder nicht in meine Pläne. Im Februar, als ich in Boston
war, um dort bei der Gründung eines neuen Charters zu helfen,
versuchte Elsie auf eigene Faust eine Abtreibung, indem sie Luft in
ihre Vagina pumpte. Eine Luftblase geriet dabei in den Blutkreislauf, und Elsie starb fast sofort an einer Embolie.
120
Ralph »Sonny« Barger
Meine erste Frau Elsie.
Obwohl meine Ehe mit Elsie mitunter auf sehr wackeligen Füßen
stand und oft schwierig war, hatten wir doch zusammen wunderbare
Zeiten auf meiner Maschine verbracht. Elsies Tod haute mich völlig
um. Ich war verzweifelt über den Verlust. Ich ließ mir das Abbild
ihres Grabsteins - ein Kreuz - auf meinen rechten Arm tätowieren.
Der Tod meiner Elsie fiel in eine seltsame Zeit meines Lebens,
gerade als die Hell's Angels Clubs begannen, sich über die ganzen
USA auszubreiten. Ich hatte das Haus an der Golf Links Road
gekauft. Es stand für unseren Einzug bereit. Nach ihHell's Angel
121
rem Tod stürzte ich mich noch tiefer als zuvor in die Angelegenheiten und Verantwortungen des Clubs.
1s die Hell's Angels sich in Kalifornien formierten, gab es Charter,
in denen sogar Frauen Mitglieder waren, besonders in San
Francisco und in San Bernadino. Ich habe ein paar alte Fotos von
Girls gesehen, die Hell's Angels Patches trugen.
Frank Sadilek war in den späten 50er Jahren Präsident des Hell's
Angels Charters in San Francisco. Seine Frau Leila war Mitglied der
Frisco-Gruppe und Clubsekretärin. Als Bobby Zimmerman Präsident von Berdoo war, hatte er stets seine Old Lady, Keata, hinter
sich auf dem Bike sitzen. Eine Weile nachdem Bobby gestorben
war, kam auch Keata ums Leben. Als sie auf einem Highway mit
ihrem Bike dahinflitzte, löste sich der Lenker ihres Motorrads. Ich
bin mir nicht sicher, ob Keata je durch Abstimmung zum Hell's
Angel gewählt worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon
alle Frauen aus unserem Club ausgeschlossen.
Als ich Präsident des Oakland-Clubs wurde, wurden Frauen bei
uns nicht mehr zugelassen. Meiner Meinung nach brauchten wir
keine Girls im Club. Die Hell's Angels sind ein Eliteclub für
Männer. Vielleicht sind wir sexistisch oder Chauvinisten, aber da
wir von den Behörden keinerlei finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen, kann man uns auch nicht zwingen, Frauen aufzunehmen oder unsere Satzung entsprechend zu ändern. Die Tatsache, daß sie keine Clubmitglieder werden dürfen, bedeutet aber
nicht, daß sie bei unseren Runs fehlen. Eine ganze Menge Frauen
nehmen an unseren Aktivitäten teil, aber keine von ihnen wird je in
den Club hineingewählt werden.
In der ersten Zeit der Gründung unserer Clubs war das Patch
etwas, das man verteidigen mußte. Wir hatten eine Menge Kämpfe
mit anderen Clubs auszustehen. Wir verprügelten andere und
nahmen ihnen ihre Patches weg. Die anderen versuchten, sich an
uns zu rächen und uns die Patches wegzunehmen. Frauen könnten
keine Patches verteidigen. Es ist eine Sache der Standhaftig-keit,
sowohl als Faustkämpfer als auch als Biker durchzuhalten. Wir
haben Frauen, die genauso gut Motorrad fahren können wie die
Mitglieder des Clubs. Manche fahren sogar besser als ich. Aber
Ralph »Sonny« Barger
122
wenn es darum geht, an einem einzigen Tag Hunderte von Kilometern zu fahren, dann kann man nicht mit ihnen rechnen.
In den späten 50er Jahren hatten wir eine Regel, nach der ein
Mädchen dein Patch tragen durfte, wenn sie hinter dir auf deinem
Bike saß, damit die Leute beim Vorbeifahren das Patch sehen
konnten. Aber wenn sie vom Bike abstieg, mußte sie dir das Patch
sofort zurückgeben. Diese Zurschaustellung war wichtig als Werbung für den Club. Eine solche Regel gibt es heute nicht mehr.
Jeder, der ein Hell's Angel Patch trägt und kein Mitglied ist -Mann
oder Frau -, riskiert, halbtot geschlagen zu werden.
Mit Sharon, meiner zweiten Frau, war ich mehr als 20 Jahre lang
zusammen. Wir wurden - zumindest nach Ansicht der Polizei -auch
Partner bei angeblichen Verbrechen. Ich lernte Sharon Marie
Gruhlke im Sommer 1969 nach Elsies Tod kennen. Damals war sie ein
bezauberndes 19jähriges Teenie-Girl, das Maid of Livermore gewesen
war. Als sie 15 war, wollte sie Model werden und durfte den
Unterricht in der Highschool abbrechen, um die Modelling School zu
besuchen. In dem Sommer, als sie sechzehn wurde, nahm ihre
Lehrerin in der Modelling School sie beiseite und warnte sie, daß
sie nicht mehr als 113 Pfund wiegen dürfe. Da Sharon aber 119
Pfund wog, drehte sie beinahe durch und ging zu einem Arzt, der ihr
einmal in der Woche eine Spezialmischung injizierte, die auch Speed
enthielt. Das war Sharons erste Bekanntschaft mit Drogen. Sie hatte
noch nicht einmal gewußt, was in den Spritzen war, die sie bekam und
zu denen ihr noch allwöchentlich kleine blaue Pillen gegeben
wurden, um sie mit Kraft und Energie zu versorgen. Mit 17 verließ
Sharon das Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in Livermore,
um 1968 nach San Francisco zu ziehen. Ihr Körpergewicht hielt sie
auf »professionellem Level«, sie aß eine Menge halbfetten Quark
und machte jeden Morgen Gymnastik nach den Fernsehanweisungen
des »Jack LaLanne«-Übungsprogramms.
Sharons Umzug in »die City« war ebenso aufregend wie erfolgreich. Anfangs bekam sie 25 Dollar pro Stunde, aber als ihre Verpflichtungen zahlreicher wurden und Fotosessions, ModeschauAuftritte und Fernsehjobs dazukamen, erhöhte die Agentur ihr
Honorar um weitere zehn Dollar. Obwohl sie nun als Berufsmodel
arbeitete, fühlte sie sich immer als Außenseiterin unter den anderen
Hell's Angel
123
Sharon Gruhlke wurde 1960 als Highschool-Schülerin zur Maid of
Livcrmorc eekront.
Girls der Agentur. Sharon entstammte einer Familie der Mittelklasse
aus der Fast Bay und war von ihrer Mutter erzogen worden. Die
meisten anderen Girls jedoch kamen aus reicheren Familien und
wohlhabenderen Gegenden jenseits der Golden Gate Bridge wie
Sausalito, Marin County oder den feineren Vierteln von San Francisco. Sie hatte die gleichen Probleme, die ich früher hatte, als ich
mit acht Jahren auf dem Fahrrad durch San Francisco fuhr. Die anderen gegen uns, es war eine Art Kampf: Oakland gegen Frisco.
Ralph »Sonny« Barger
124
Nachdem Sharon nach San Francisco gezogen war, gewöhnte sie
sich schnell an das Donnern der Motorräder in ihrer Nachbarschaft.
Ihre Zimmergenossin fing an, mit einem Prospect der Daly City
Hell's Angels auszugehen, worüber Sharon zunächst entsetzt war.
Sie warnte ihre Freundin: »Gail, paß lieber auf dich auf! Du weißt
doch, daß du Ärger kriegen kannst, wenn du mit einem von diesen
Motorradtypen ausgehst!«
Der Prospect brachte einen Freund aus seinem Club mit in die
Wohnung von Gail und Sharon. Alle im Club nannten ihn Nigger
Rick, weil er als Portugiese olivfarbene, dunkle Haut hatte. Sharon
verabredete sich ein paarmal mit Rick zum Ausgehen. Dann war
Schluß damit, aber Rick kam trotzdem öfter bei den Girls vorbei,
und die beiden blieben Freunde. Manchmal nahm Rick Sharon auf
seinen Motorradfahrten mit.
Vom Daly-City-Charter wollte sich ein Teil der Mitglieder abspalten
und sich dann als San-Jose-Charter neu gründen, und Rick hoffte, von
einem der neuentstehenden Charter als Präsident gewählt zu werden.
Rick kam zu uns nach Oakland herüber, um mit mir über den Plan
der San-Jose-Neugründung zu sprechen, und er brachte Sharon mit.
Als Rick und Sharon an meinem Haus ankamen und klingelten,
öffnete jemand das Gartentor und sagte ihnen, sie sollten ganz schnell
zur Haustür rennen. Mein großer Dobermann war nämlich aus
seiner Hundehütte geschossen, um »seinen« Vorgarten zu beschützen.
Rick und Sharon schafften es gerade bis ins Haus.
Wie üblich war mein Haus an der Golf Links Road auch an diesem
Tage die Partyzentrale. Das Haus war proppenvoll mit Leuten. Tiny
lungerte an der Haustür herum, und Johnny Angel leistete ihm
Gesellschaft. Alle redeten von nichts anderem als von der
bevorstehenden Gründung des San-Jose-Charters. Die meisten
Jungs und deren Old Ladies machten es sich in einem der
Schlafzimmer bequem und plauderten. Ich war noch im Bett, zusammen mit einem wohlgerundeten, kleinen blonden Bargirl aus
meiner Straße. Wir fuhren beide Corvettes und verbrachten für
gewöhnlich die Nacht von Freitag auf Samstag miteinander. An
diesem Samstag versteckte sie sich unter der Bettdecke, als sich
das Zimmer mit Clubmitgliedern und deren Freunden füllte, denen
es scheißegal war, ob sie da war oder nicht.
Hell's Angel
125
Bevor sie als Neunzehnjährige bei mir einzog, war Sharon ein
erfolgreiches Model in der Bay Area von San Francisco.
Als Rick mich mit Sharon bekannt machte, wirkte sie nervös und
verlegen auf mich. Sicherlich kam sie sich ein wenig seltsam vor, wie
sie da mit Rick und den anderen Old Ladies an der Schlafzimmertür
stand und versuchte, die kleine Blonde in meinem Bett zu überRalph »Sonny« Barger
126
sehen. Sharon war jünger und wesentlich hübscher als das blonde
Corvette-Girl. Ich war sofort neugierig und gespannt: Wer mochte
diese junge, blonde Schönheit sein, die Rick mitgebracht hatte?
An dem Abend fand ein großes Wohltätigkeitskonzert in der
Longshoreman's Hall in San Francisco statt, der Eintritt kostete
einen Dollar. Ich fragte Sharon, ob sie auch zu dem Konzert ginge.
Als sie nein sagte, wandte ich mich an Rick: »Du - ich laß 'nen
Dollar für sie springen, wenn du keine Lust hast!«
»Danke für das Angebot«, schnaubte Sharon, drehte sich um und
verließ mein Haus.
Danach hielt ich eine Weile Kontakt mit Rick, weil ich hoffte,
auf diese Weise Sharons Telefonnummer herauszubekommen. Ich
bat ihn auch, bei ihr ein gutes Wort für mich einzulegen, weil sie
an dem Tag in meinem Haus so verlegen gewesen war. Als Rick sie
deswegen in dem Fitneßstudio anrief, wo sie arbeitete, schien sie
nicht sehr interessiert an mir.
»Warum ruft er mich denn nicht selbst an?« fragte sie Rick.
Sharon zögerte davor, mit mir auszugehen, deswegen plante Rick
eine Party in seinem Haus in Daly City, um ihr auf diese Weise seinen
Schutz und seine Begleitung anzubieten. Ich rief Sharon an und
machte ein Doppel-Date mit ihr und ihrer Mitbewohnerin und
einem Freund aus meinem Club, Fat Freddie, aus. Als ich sie an
dem Abend abholte, hatte sie sich richtig aufgedonnert - mit
falschen Wimpern und einem falschen Lockenhaarteil, das zu ihren
blondgebleichten Haaren paßte. Sharon schien auch auf der Party
nicht gerade relaxt zu sein, darum rauchten wir (zum ersten Mal) ein
paar Joints zusammen, während das Telefon fast unablässig klingelte.
Die meisten Anrufe waren für mich, und die meisten von ihnen
waren von anderen Mädchen.
Einer der Anrufer war ein Freund, der mich bat, so schnell wie
möglich zum Haus von Fat Freddie zu kommen. Eines von Fat
Freddies Girls war gerade aus dem Frauengefängnis von Fontera
entlassen worden und wollte ein paar Pistolen verkaufen, die sie
versteckt hatte, bevor sie in den Knast gewandert war. Da ich Ricks
Party sowieso verlassen wollte, bat ich Sharon, mit mir zusammen
nach Oakland zu fahren. Ich war mir nicht klar darüber, ob sie von
den Joints ein bißchen high war, aber sie hatte offenHell's Angel
127
sichtlich immer noch Angst vor mir. Rick beruhigte sie und versicherte ihr, es sei cool, mich zu begleiten, und so verließen wir
seine Party zusammen. Auf der Fahrt rauchten wir noch einen Joint,
und Sharon klammerte sich hinter mir auf dem Motorrad an mich.
Gleichzeitig versuchte sie verzweifelt, ihr Lockenhaarteil
festzuhalten, das der Fahrtwind wegzupusten drohte. Wir rasten
über die Bay Bridge nach Oakland und hielten zwischendurch ein
paarmal an. Ich hatte gerade einige der angebotenen Pistolen gekauft, als eines unserer Mitglieder völlig verstört und verängstigt
bei Freddie auftauchte.
»Hey, Sonny, wa-wa-was macht man nur, wenn 'ne Old Lady
versucht, sich mit Seconal auszuknocken?«
Ich dachte einen Moment lang nach.
»Kommt drauf an, wer sie ist.«
»Sie ist die Mutter meiner Kinder.«
»Hau ihr Speed rein, das wird sie aufwecken.«
Damals wußte ich nicht, daß man auf diese Weise auch jemanden
töten kann. Unser Freund drehte völlig durch. Er brauchte Hilfe, das
war klar.
»Okay«, sagte ich und griff mir meine Jacke. »Schluß mit der
Party. Laß uns versuchen, sie wieder auf die Füße zu bringen.«
Wir mußten zuerst einen Drogensüchtigen finden, der uns seine
Spritze samt Zubehör lieh. Kein Problem. Wir verließen Fred-dys
Party und rasten zum Haus des Mannes an der 82nd Avenue.
Sharon war völlig überfordert. An mein Tempo war sie noch nicht
gewöhnt, und sie hatte keine Ahnung, was für Überraschungen ihr
sonst noch bevorstanden. Sie war schließlich noch so jung und wußte
nicht, was es hieß, wenn sich jemand »ausknocken« will. Leise
betraten wir das Haus durch die Hintertür und sahen uns nach einer
Leiche um.
Alles war ruhig, aber voll Spannung. Dann entdeckten wir den
Körper einer Frau. Sie sah verdammt tot aus! Ich bat Sharon, mir
einen Waschlappen zu holen. Anschließend versuchte Sharon, den
Puls der Frau zu fühlen, während ich prüfte, ob sie noch atmete. Sie
konnte keinen Puls spüren. Wir dachten beide, die Frau sei tot. Wir
gaben ihr trotzdem eine Spritze mit Speed, und wundersamerweise
kam sie daraufhin zu sich. Keiner von uns beiden hat128
Ralph »Sonny« Barger
te auch nur die leiseste Ahnung, was wir da eigentlich taten. Später
an diesem Abend sagte mir Sharon, sie fühle sich nun sicher mit
mir, egal, ob Leute um uns starben oder nicht.
Als Hell's Angels lebten wir in unserer eigenen Untergrundwelt,
die kaum etwas mit der normalen Welt gemeinsam hatte. Mit
bürgerlichen Leuten wollten wir so wenig wie möglich zu tun haben.
Ob es um Leben oder Sterben ging, wir handhabten unsere Probleme
auf unsere Weise. Bei Überdosen kam es niemals in Frage, einen Arzt
zu rufen. Die Bullen hatten uns ohnehin ständig auf dem Kieker, also
sorgten wir in allen Notfällen ohne Polizei oder Sanitäter für unsere
Leute. Die Frau überlebte jene Nacht, und höchstwahrscheinlich
hatte ich ihr mit der riskanten Spritze das Leben gerettet. Das war
mein erster Abend mit Sharon. Ein seltsames Date mit Pistolenkauf
und einem Selbstmordversuch.
All diesen Aufregungen zum Trotz bestand Sharon darauf, noch in
der Nacht nach Hause zu fahren, weil sie am nächsten Tag wieder
zur Arbeit mußte. Ich versuchte alles, um sie zu bewegen, in
meinem Haus zu übernachten, aber sie ließ sich nicht umstimmen.
Einer meiner Freunde fuhr sie zurück nach Frisco. Sharon hielt mich
für leicht bekloppt, weil ich so hartnäckig auf ihrem Bleiben
bestand, aber das war nun mal meine Art, ihr zu sagen, daß ich sie
vermissen würde.
Sharon und ich verloren uns in diesem Sommer dann für eine
Weile aus den Augen. Ich war gerade mit den Dreharbeiten zu Hell's
Angels '69 fertig, und die Hell's Angels planten einen großen
gemeinsamen Run. Ich wußte nicht, daß Sharon ihren Job im Fitneßstudio aufgegeben hatte und nur darauf wartete, daß ich sie
anrufen würde, um sie zu dem Run mitzunehmen. Sie hatte sich in
Erwartung meiner Einladung weiße Plastik-Schaftstiefel ä la Nancy
Sinatra und einen Webpelzmantel gekauft. Aber ich fuhr ohne sie
los. Das nächste, was ich von ihr hörte, war eine Glückwunschkarte
zum Geburtstag, die sie mir per Eilboten schickte. In der Karte lag
auch ein Brief von ihr. Sie schrieb, daß sie sehr ärgerlich auf mich
sei, weil ich überhaupt nichts von mir hören ließ, sie sei sich nun
völlig im unklaren über meine Gefühle ihr gegenüber, aber sie
räumte ein, mich immer noch gern zu mögen. Ich hätte wohl andere
Vorstellungen vom Leben als sie. Dann
Hell's Angel
129
wünschte sie mir »ein schönes Weiterleben«. Schon ein bißchen
seltsam, so etwas einem Hell's Angel zu wünschen.
Als ich die Karte in der Hand hielt, rief ich sie sofort an. Terry
the Tramp hatte an diesem Abend eine große Geburtstagsparty für
mich in seinem Haus vorbereitet. Es war schon spät, als ich sie
anrief, die Party hatte bereits begonnen, aber ich sagte ihr, ich
würde in meinem Haus auf sie warten. Sie solle sich ein Taxi nehmen und zur Golf Links Road kommen. Als sie dem alten italienischen Taxifahrer, der sie im Missionviertel abholte, die Adresse in
Oakland nannte, die fast jeder aus den Zeitungen kannte, warnte der
Alte sie:
»Warum sollte ich so ein hübsches junges Mädchen wie Sie zu
diesem verrufenen Haus fahren?«
Sharon kam an diesem Abend in mein Haus in der Golf Links
Road und - fuhr nie wieder weg.
Johnny Angels Freundin kam ganz durcheinander wegen der
vielen Mädchen, die ich zur Party von Terry the Tramp mitbrachte.
Als ich einige Zeit zuvor in Buffalo war, um dort ein neues Hell's
Angels Charter zu gründen, hatte ich Sally kennengelernt, und als
ich nach Oakland zurückfuhr, nahm ich sie einfach mit. Eigentlich
hatte ich sie gar nicht für mich mitgebracht. Aber gute Club-Girls
waren damals schwer zu finden, und ich dachte, Sally würde
vielleicht eine gute Old Lady für jemand anderen im Club sein.
Sally packte dann auch bald ihre Sachen, zog aus meinem Haus aus
und bei einem anderen Clubmitglied ein. Als Sharon in mein Haus
an der Golf Links Road einzog, half ihr Bruder beim Umzug, und er
lud gerade Sharons Sachen ab, als Sally auszog.
Sharon saß am liebsten bei mir in der Garage und sah zu, wie ich
an meinem Bike herumschraubte und es reparierte. Statt im Haus
sauberzumachen und für uns zu kochen, sammelte sie lieber
Schrauben und Muttern vom Garagenfußboden auf. Weil Sharon
noch unter 21 Jahre alt war, nahm ich sie nie mit zu unseren
»Hangouts« in die Biker-Bars. Ich wollte kein schlechtes Beispiel
für die anderen Mitglieder abgeben.
Als der Film Hell's Angels '69 herauskam, nahm ich Sharon mit
auf die Werbetour. Wir machten in den verschiedensten Städten im
ganzen Land halt, von Texas bis nach New York und Kalifor130
Ralph »Sonny« Barger
nien. Es war wirklich ein Run mit Klasse; überall wurden wir in
fetten Limousinen abgeholt. Manchmal stellte man mir auch ein
Motorrad, auf dem ich dann zur Filmpremiere fuhr, um dort Autogramme zu geben. Als wir in Dallas waren, ging ich mit Sharon
zum Department Store Neiman Marcus, drückte ihr fünf Hundertdollarscheine in die Hand und gab ihr eine Viertelstunde Zeit,
um sie auszugeben. Kein Problem für sie: Sie kaufte sich coole
Lederhosen, die sie als Beifahrerin auf meinem Bike tragen wollte.
Meine neue Old Lady Sharon bat mich oft, ich möchte doch
öfter einmal lächeln. Elsie war erst vor zwei Jahren gestorben, und
ich behielt meine Trauer und meinen Kummer um sie lieber für
mich. Wir sprachen fast nie über Elsie. Zwischen Elsie und Sharon
hatte ich eine Menge Freundinnen, eine endlose Parade von Old
Ladies. Ich kann mich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern
oder daran, wie sie aussahen.
Unser Haus war ein einziges Chaos, es war voll von Geschenken
aus allen neuen Gruppen im Lande - Fotos und Plaketten, die wir an
die Wände lehnten, anstatt sie aufzuhängen. Mein Haus war ein
Zoo - ganz in der Nähe des Oakland Zoos - mit orangefarbenen
Wänden, der Farbe unseres Clubs. Statt den Tod meiner ersten Frau
zu betrauern, hatte ich mich in einen Strudel von zahllosen Partys
gestürzt.
Bei einem meiner Runs besuchten Sharon und ich das BuffaloCharter der Hell's Angels, das gerade gegründet worden war. Den-ny
McKnight war zum Präsidenten des Charters gewählt worden, und
während wir ihn in seinem Haus besuchten, nahmen Sharon und
ich LSD. Anschließend ging Sharon ins Badezimmer und wusch
ihr Gesicht wieder und wieder mit Noxzema. Als sie schon eine
Ewigkeit im Bad war, klopfte ich an die Tür: »Komm doch raus,
Mädchen, und mach uns mal Kaffee!« Noch mit der Noxzema im
Gesicht kam sie heraus und verbrachte dann eine weitere Ewigkeit
in der Küche. Es stellte sich heraus, daß sie noch nie in ihrem Leben
Kaffee gekocht hatte, darum ging Thief, ein anderer Biker, zu ihr
und brachte ihr das Kaffeekochen bei, während sie auf einem LSDTrip war. Unsere Old Ladies sind ohnehin nicht gerade für ihre
hausfraulichen Fähigkeiten berühmt.
Als wir aus Buffalo zurückkamen, stellte ich mein Bike so ungeHells Angel
131
schickt ab, daß es umfiel - genau auf meinen Fuß. Mein Fuß
schwoll sofort stark an, zumal er sowieso schon verletzt war. Ich
war bei einem Run nach Bass Lake in eine Prügelei mit Hi Ho
Steve geraten, und er hatte mich dabei in den Fuß gebissen. Die
Bißwunde war noch immer nicht richtig verheilt. Es ist ja allgemein
bekannt, daß Menschenbisse ebenso gefährlich sein können wie die
von Tieren, und ein Biß von Hi Ho Steve war noch viel gefährlicher.
Also mußte ich in den nächsten Wochen mit einer Krücke herumhumpeln. Sharon hatte sich eine schlimme Bronchitis eingefangen, deshalb schlug ich ihr vor, für ein paar Tage zu ihrer Mutter
zu ziehen, um wieder ganz gesund zu werden. In der Zwischenzeit
bekam ich einen schlimmen Anruf aus Buffalo. Denny McKnight
war mit seinem Motorrad gegen eine Mauer gerast und auf der Fahrt
ins Krankenhaus gestorben. Danach war mir mein schlimmer Fuß
egal. Ich fuhr quer durch das ganze Land zu seiner Beerdigung.
Sharon war stocksauer, weil ich sie wegen ihrer Bronchitis nicht
mitnahm.
Nachdem sie zu mir nach Golf Links gezogen war, klopfte es
eines Tages an meine Haustür. Ich öffnete, und vor mir stand eine
kleine, ältere Dame: Sharons Mutter Barbara. Wir waren uns noch
nie begegnet.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte nur mal sehen, mit wem meine Tochter zusammenlebt
und ob sie vielleicht in einer Garage wohnen muß.«
Ich sagte ihr, Sharon brauche natürlich nicht in der Garage zu
wohnen. Darauf drehte sich die Dame einfach um und ging davon.
Später wurden wir beide doch noch gute Freunde.
Sharon hatte sich sehr verändert, seit ich sie mit 19 kennengelernt hatte - die ehemalige »Maid of Livermore«. Einmal stand ich
wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht. Die Pistole gehörte
aber in Wirklichkeit Sharon.
Im Gerichtssaal hielt mir der Staatsanwalt beim Kreuzverhör die
Pistole vor die Nase.
»Mr. Barger, ist dies Ihre Pistole?«
»Nein, sie gehört Sharon.«
Sharon war im Saal, und der Ankläger ließ sie prompt in den
132
Ralph »Sonny« Barger
Zeugenstand kommen. Er hielt ihr die Waffe vor und fragte sie:
»Was haben Sie über diese Pistole zu sagen?«
»Nun«, antwortete sie, »zunächst, daß das Magazin noch drinsteckt. Seien Sie vorsichtig, die Waffe könnte geladen sein.«
Der dämliche Staatsanwalt ließ daraufhin beinahe die Kanone
fallen, als er sie ihr überreichte. Sharon fing sie geschickt auf, zog
den Lauf zurück, nahm das Magazin heraus, steckte es wieder hinein
und gab das Schießeisen zurück an den Ankläger.
»Keine Sorge«, sagte sie, »sie ist nicht geladen.«
Da knurrte der Richter unwillig und sah zum Staatsanwalt: »Die
Waffe gehört ganz offenkundig ihr. Entlassen Sie sie aus dem
Zeugenstand!«
Sharon und ich mochten es gern, zu Hause mit Acid high zu werden. Wir verbrauchten eine ziemliche Menge LSD in den frühen
70er Jahren. In dieser Zeit wurde ich oft verhaftet und leistete mir
haufenweise gefährliche Verstöße gegen die Gesetze. Meine schwankenden Stimmungen unter Kokain brachten mir eine Menge kriminelle Scheiße und schließlich eine Freiheitsstrafe im Gefängnis von
Folsom ein. Sharon nahm in jener Zeit viel Speed, aber ich hatte nie
größeres Interesse an Metamphetamin. Ich hing vor allem an Kokain, viel stärker als Sharon. Sharons Drogenkonsum war ganz anders
als meiner. Sie hatte schon während ihrer Zeit als Model »Up-pers« Glückspillen - genommen. Um die Zeit zu überstehen, die ich im
Knast saß, gab Sharon das Koksen fast vollständig auf und nahm
statt dessen immer mehr Speed. Damit konnte sie ihre Depressionen
wegen meines Einsitzens vorübergehend überwinden.
Was Sharon aber vor allem über die schweren und einsamen
Zeiten hinweghalf, war ihr Spaß am Motorradfahren. Dabei bekam
sie immer einen klaren Kopf. Ich hatte ihr beigebracht, mit solchen
Bike-Experten wie »Flash« Gordon Grow und Fu Griffin
auszufahren. Ich hatte ihr auch ihr erstes Motorrad, eine BSA 650,
gekauft. Diese Maschine suchte ich für sie aus, weil sie sich auf
derselben Seite schalten ließ wie eine Sportster. Danach baute ich
ihr das kleine Spezialbike, das wir Little Cocaine nannten. Sharon
machte liebend gern Runs mit dem Club. Also gab ihr Deacon
jedesmal, wenn die Oakland-Angels einen Trip planten, rechtzeitig
Bescheid, damit sie mit den anderen mitfahren konnte.
Hell's Angel
133
Eine meiner verrücktesten Auseinandersetzungen mit den Gerichten hatte ich, als Sharon und ich beschlossen zu heiraten. Damals saß ich meine Zeit im Gefängnis von Folsom ab. Ehe ich ins
Gefängnis mußte, hatten wir noch nie über eine Heirat gesprochen.
Als ich auf meine Überstellung aus dem Bezirksgefängnis von
Alameda in den Staatsknast von Folsom wartete, rief ich eines
Abends bei Sharon an und fragte sie, ob sie mich heiraten wollte.
Sie war sofort Feuer und Flamme, ließ sich am nächsten Tag die
vorgeschriebenen Blutproben abnehmen und sich ein Tattoo auf
den Rücken stechen: »Sonny« stand da in einer kleinen Sonne. Ich
hatte ihr nie erlaubt, sich Tätowierungen machen zu lassen, aber ich
saß ja hinter Gittern und hatte nicht den geringsten Einfluß darauf,
was sie tat oder nicht.
Die Knast-Ärzte machten auch bei mir die Blutuntersuchungen,
und als wir alle Formalitäten erledigt hatten, mußten wir feststellen,
daß nicht ein einziger Friedensrichter im Bezirk von Alameda bereit
war, uns zu trauen. Alle hatten Angst, in unsere Angelegenheiten
verwickelt zu werden. Jeder von ihnen erklärte uns: »Unter gar
keinen Umständen!«
Als man mich aus dem Bezirksknast nach Vacaville schickte, um
mich für die Überweisung nach Folsom durchzuchecken, konnte
sich Sharon, wenn sie mich besuchte, ohne weiteres als meine Ehefrau
eintragen. Sie wurde dann sofort eingelassen. Als ich dann in
Folsom saß, beantragte Sharon wiederum Besuchserlaubnis. Aber
dort wußte man, daß wir nicht rechtskräftig verheiratet waren, und
als man prüfte, ob sie vorbestraft war, stellte sich heraus, daß sie
noch ein Verfahren wegen Besitz von Metamphetamin laufen hatte.
Sharon war nämlich einmal auf dem Freeway in einen Unfall
geraten, und dabei fanden die Bullen in ihrer Tasche Speedpillen.
Als ich im Sommer 1973 nach Folsom kam, durfte ich keinen Besuch von einer »Komplizin« bekommen.
Schließlich fanden wir aber doch noch eine Gesetzeslücke, die es
uns ermöglichte, zu heiraten, und danach konnte Sharon mich als
meine Ehefrau besuchen. Wir hatten einen Gesetzesartikel gefunden, in dem es hieß, man müßte nicht unbedingt »zur selben
Zeit am selben Ort« sein, um rechtskräftig getraut zu werden. Wenn
man eine bestimmte Zeit lang in einer eheähnlichen Verbin134
Ralph »Sonny« Barger
dung als Mann und Frau zusammengelebt hatte - was wir ja
schließlich vor meinem Knastaufenthalt getan hatten, dann konnte
man einen Trauschein bekommen, selbst ohne die vorgeschriebenen
Bluttests vorweisen zu können.
Mein Rechtsanwalt wurde so zum Geistlichen oder Friedensrichter einer Ferntrauung. Die Gefängnisleitung erlaubte zwar
nicht, daß ein Friedensrichter persönlich im Knast eine Trauung
vornahm, aber sie konnte es nicht verhindern, daß mich mein Anwalt besuchte und diese Trauung separat vollzog. Sharon hatte diese
Prozedur eingeleitet, also traute der Anwalt sie zunächst mit mir. Zehn
Tage später kam er nach Folsom, traute mich mit Sharon und machte
damit das Ganze rechtskräftig. Nach den Gesetzen des Staates
Kalifornien waren wir beide seit dem 16. Dezember 1973
verheiratet, aber die Leitung von Folsom erlaubte Sharon trotzdem
keinen Besuch bei mir. Sie war der Meinung, wir hätten sie übertölpelt, was in gewisser Weise ja auch stimmte.
Die Old Lady eines Hell's Angels Officers zu sein war alles
andere als einfach. Sharon und ich mußten weitaus mehr
Schwierigkeiten überwinden als jedes andere Paar aus unseren
Reihen, aber wir waren auch viel länger voneinander getrennt. Ich
war insgesamt 13 Jahre lang nicht mit ihr zusammen: Entweder
mußte ich mich um Club-Angelegenheiten kümmern, oder ich saß
im Knast oder in Untersuchungshaft, lebenslängliche Strafen vor
Augen. Jedesmal, wenn ich verhaftet wurde, holte mich Sharon
gegen Kaution wieder raus und plante meine Verteidigung mit
meinem Pflichtanwalt. Sie ließ sogar T-Shirts mit der Aufschrift
»Free Sonny« bedrucken und verteilte sie, während ich
»brummte«.
Sharon und ich waren zusammen ein starkes Paar, aber bald
zeigten sich erste Risse in unserer Beziehung. Als ich aus dem
Knast von Folsom entlassen wurde, nahm ich kein Kokain mehr.
Sharons Speedkonsum hingegen war im Laufe der Jahre immer
stärker geworden. Ich bin, weiß Gott, alles andere als perfekt und
mache genug eigenen Mist. Mein Leben lang bin ich leichtfertig
gewesen, und daran kann ich nichts mehr ändern. Aber es ist verdammt schwer zu erklären, was es bedeutet, Tag für Tag mit jemandem zusammenzuleben, der ewig voll auf Speed ist. Es wurde
Hell's Angel
135
San Francisco im August 1980: Sonny und Sharon werden von einem
Bundesgericht von der Anklage wegen Betrugs freigesprochen.
AP/Wide World Photos
immer unerträglicher, und eines Tages hatte ich plötzlich die Nase
voll. Ich sagte Sharon, daß sie verschwinden müsse.
1996 trafen wir Vorkehrungen, um Sharon zum Entzug in ein
Krankenhaus in SoCal zu bringen, das von den Adventisten geleitet
wurde. Ich besuchte sie dort und sagte ihr: »Wenn du clean bist und
zurück nach Hause kommen willst, ist alles wieder in Ordnung!«
Ich persönlich bin durchaus für ein normales Leben mit einer
Frau auf Dauer. Als unsere Ehe kaputtzugehen drohte, habe ich
alles versucht, um sie zu kitten und mit Sharon zusammenzubleiben.
Aber Sharon mußte über ein Jahr in der Klinik bleiben, um clean zu
werden. So eine lange Unterbrechung unserer Beziehung konnte ich
nur schwer ertragen.
Ralph »Sonny« Barger
136
Bevor Sharon in die Klinik ging, hatte sie eine Freundin gebeten,
während ihrer Abwesenheit für unseren Haushalt zu sorgen. Noel
Black war vorher schon einige Male bei uns im Club gewesen. Ich
weiß nicht, woher Sharon und Noel sich kannten, obwohl ich Noel
gelegentlich im Club gesehen hatte. So richtig hatte ich Noel noch
gar nicht wahrgenommen, bis sie nach Sharons Einzug in die Klinik zu
mir ins Haus kam. Eines Tages war sie da und hatte saubergemacht
und aufgeräumt. An dem Abend fragte sie mich, wo sie denn
Wolldecken finden könne. »Was für Decken?« fragte ich sie.
»Ich will auf der Couch übernachten«, erwiderte Noel, »denn ich
habe keine Lust, heute nacht noch den ganzen Weg nach Sonoma
County zurückzufahren.«
»Du brauchst nicht auf der Couch zu schlafen«, entgegnete ich
und deutete auf mein Bett. »Schlaf doch hier!«
Sharon und ich hatten noch immer unsere Vereinbarung, daß sie
wieder nach Hause zurückkommen könnte, wenn sie clean wäre. Als
sie aus der Klinik entlassen werden sollte, fragte ich sie: »Wie
geht's nun weiter?«
Sharon erwiderte mir, sie sei zwar jetzt clean, aber sie könne
nicht zu mir zurückkommen. »Ich kann nicht mit dir zusammenleben, ohne Drogen zu nehmen.«
Weihnachten 1996 schrieb ich Sharon einen Brief. Ich schlug ihr
vor, daß wir uns trennen und unser beider Wege allein weitergehen
sollten, wenn wir beide glücklich und gesund bleiben wollten. Wir
reichten die Scheidung ein, und unsere lange Beziehung war zu
Ende. Aber selbst heute noch sind wir in Verbindung. Sharon und
ich sind immer noch Freunde. Sie hält sich weiterhin von Drogen
und Alkohol fern und wohnt glücklich und zufrieden in
Südkalifornien. Noel und ich haben am 8. Oktober 1999 in Las
Vegas geheiratet und wohnen jetzt zusammen mit unserer kleinen
Tochter Sarrah in einem Haus in der Wüste des Sonnenstaates
Arizona. Noel züchtet Pferde. Früher besaß sie einen Deckhengst,
der Welt-Champion wurde. Jetzt besitzt sie mich. Zu meinem Leben
gehören heute ein Kid und eine wunderhübsche Old Lady sowie
drei Stuten draußen auf dem Gestüt. Noel besitzt außerdem ein
Motorrad und ist eine ausgezeichnete Bikerin. Was könnte ich mehr
vom Leben erwarten?
Hell's Angels Officers 1965 bei einer Pressekonferenz, auf der sie sich gegen die
Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen aussprachen. V. L n. r:: Treasury
(Schatzmeister) Skip Workman, Sergeant of arms (Exekutive, auch für die
Einhaltung der Disziplin im eigenen Club) Tiny Walters, ich als Präsident,
Secretary Ron Jackson und Vizepräsident Tommy Thomas.
Gene Anthony
LSD-GETRÄNKTE
SECHZIGER
Die Angels änderten sich niemals«, schrieb der FolkloreProfessor der Universität von Kalifornien in Los Angeles,
UCLA, Donald Cosentino in einer Dokumentation von
1999 über die Hell's Angels. »Alle anderen in ihrem Umkreis änderten sich. Jedesmal, wenn wir sie zu bestimmten Dingen überreden wollten, jedesmal, wenn die Linken sie als Helfer der Arbeiterklasse haben wollten, jedesmal, wenn die Hipster wollten, daß
sie sich wie Hippies benehmen, jedesmal, wenn die Drogenkultur
sie zu ihren Verbündeten zu machen versuchte, ging es schief!«
Die Hell's Angels sind eine unpolitische Organisation. Aber
als in den 60er Jahren die Friedensmärsche begannen, gab es
Clubmitglieder, denen die Einstellung der Antikriegs-Radikalen
aus der Oberklasse uns Veteranen gegenüber nicht paßte. Eines
Nachmittags beschlossen wir, unserer Meinung Ausdruck zu geben
und gegen diese Friedensschwätzer des linken Flügels aufzutreten.
»Laßt uns dahin fahren und denen mal zeigen, mit wem sie es zu
tun haben.«
Am 16. Oktober 1965 fand eine Anti-Wehrpflicht-Demo des
Vietnam Day Committee (VDC) an der Stadtgrenze zwischen
Oakland und Berkeley in der Adeline Street statt. Am Abend zuvor
hatten die Organisatoren des VDC in letzter Minute eine Demonstration abgesagt, weil sie Zusammenstöße mit der Polizei
von Oakland befürchteten. Am nächsten Tag aber waren die Demonstranten da. Die Antikriegs-Maschine wurde kräftig angeHell's Angel
139
heizt. 8000 VDC-Marschierer aus Berkeley knallten mit einer
Schwadron von Bullen aus Oakland zusammen, die die Straße
blockierten, um eine Fortsetzung des Marsches Richtung Stadt zu
verhindern.
Als ich beschloß, zu der Demo zu fahren, kamen sieben weitere
Hell's Angels vom Oakland-Club mit mir, um den Rummel noch zu
steigern. An diesem Tag waren insgesamt über 100 verschiedene
Anti-Vietnam-Protestmärsche in den ganzen USA geplant. Die
Antikriegs-Snobs vom Berkeley Campus der University of California sahen auf viele von uns aus Oakland hinab, als seien wir ein
Haufen Verrückter aus Alabama. Es gab auch keineswegs einen
großen Auftritt der Hell's Angels mit ihren Choppern und donnernden Motoren. Wir waren statt dessen in einige Autos gestiegen
und parkten ein paar Straßenzüge entfernt.
Als die Bullen und die Demonstranten einander gegenüber
standen und keiner wußte, wie es weitergehen sollte, schoben wir
uns von hinten durch die Polizeireihen. Die Zeitungen berichteten
hinterher, die Polizei von Berkeley hätte die Demonstranten
geschützt, während die Polizei von Oakland uns durchgelassen
hätte. Ich glaube nicht, daß überhaupt irgendwer Hell's Angels
bei der Demo erwartet hatte. Die Bullen .waren genauso überrascht wie alle anderen, als wir auftauchten und durch die Menschenmenge gingen. Wir waren ja nur gekommen, um zu sehen,
was die Demonstranten eigentlich forderten.
Allerdings waren wir nicht zu übersehen. Michael »Tiny« Walters
war immerhin 1,98 Meter groß und wog mehr als zweieinhalb
Zentner. Er sah unheimlich gefährlich aus. Zorro und Freddie
waren auch mit von der Partie. Wir trugen unsere Colors. Diese
Demo fand lange nach den Krawallen von 1963 in Porter-ville und
1964 in Monterey statt, also waren wir inzwischen wohlbekannt.
Wir acht Hell's Angels verteilten uns in der Menschenmenge
und drängten zu den Demonstranten, die Schilder und Transparente trugen und Slogans brüllten. Zu Beginn jubelten die Menschen uns zu, weil sie annahmen, wir stünden auf ihrer Seite. Aber
mich überkam langsam eine fürchterliche Wut. Ich war ein Veteran,
und ich liebte mein Vaterland. Außerdem war ich sauer, daß
140
Ralph »Sonny« Barger
unsere Regierung es nicht schaffte, diesen blöden Krieg zu gewinnen.
All dies Geschrei und Gebrüll hier und all die Reden nützten unseren
Soldaten in Übersee einen Scheißdreck. Was sollte diese
Versammlung überhaupt? Irgend etwas in mir knallte durch, und
ich reagierte auf die einzige Art und Weise, die mir vertraut war:
Ich schlug zu! Ich griff mir blindlings ein paar von diesen CollegeKids und drosch auf sie ein.
»Haut ab und geht nach Hause, ihr Arschlöcher! Was wollt ihr
hier?« brüllte ich und kämpfte mich durch die VDC-Demonstranten.
Frauen und Kinder rührten wir nicht an, aber es gab ja reichlich
von diesen Typen mit ihren Blumenkinder-Kettchen und buntbedruckten Hemden, auf die wir einschlagen konnten. Etliche von
ihnen hauten ab, aber einige wehrten sich. Zu Diskussionen oder
politischen Debatten kam es erst gar nicht. Wir ließen nur unsere
Fäuste und Stiefelspitzen sprechen.
»Diese Leute haben schließlich auch ihre verfassungsmäßigen
Rechte«, ermahnte ein Polizeioffizier aus Oakland die Demonstranten, als sie sich über die Hell's Angels beschwerten.
Nachdem wir uns durch die Polizeikette gedrängt hatten, gelangten wir ganz nach vorne, wo Jerry Rubin, radikaler Kriegsgegner,
Schriftsteller und Organisator der Demo, seine Ansprache hielt.
Rubin trug einen Ring, über den ich in der Zeitung gelesen hatte.
Rubin behauptete, der Ring sei aus den Trümmern eines unserer
Jagdflugzeuge geschmiedet, das über Nordvietnam abgeschossen
worden war. Als er auf einem Lautsprecherwagen stand und seine
Rede hielt, dachte ich: »Scheiß auf diesen Idioten! Ich werde mir
seinen Ring holen!«
Also ging ich auf ihn los.
Ich kam ziemlich nah an ihn ran, sprang auf den Truck und hatte
ihn schon fast im Griff. Aber während ich auf Rubin zurannte, holte
mich eine Gruppe Bullen ein, die sich durch die Menge gedrängt
hatte. Jetzt gerieten die Demonstranten total außer sich. In den
Zeitungen prangte am nächsten Tag ein Foto von mir, auf dem rund
20 Bullen zu sehen waren, die mit Schlagstöcken auf mich
einprügelten. Die Polizisten aus Berkeley schlugen in dem Gedränge sogar aufeinander ein. Als erfahrener Randalierer wußte
Hell's Angel
141
ich, wenn mehr als drei Kerle gleichzeitig auf jemandem herumhauen, kommen sie sich höchstwahrscheinlich gegenseitig in
die Quere und verletzen sich selbst. Und derjenige, den sie zu fassen
kriegen wollen, kann meistens entwischen. Jeder Hell's Angel kann
es bestätigen: Es ist eine Kunst, als Gruppe auf einen einzelnen
loszugehen, und die Bullen beherrschten diese Kunst an jenem Tag
nicht.
Während ich mich meiner Haut wehrte, bekam Tiny mit den
Bullen Probleme. Als ein Sergeant der Polizei von Alameda Tiny
mit seinem Schlagstock auf den Kopf drosch, gingen bei dem bulligen Tiny alle Lichter aus, und er fiel wie ein gefällter Baum zu
Boden. Bei seinem Sturz brach er dem Sergeanten ein Bein. Inzwischen stürmten die übrigen Hell's Angels gegen die Bullen an, um
mich zu befreien. Am Ende schafften wir es davonzukommen. Nur
Tiny wurde von der Polizei aus Berkeley verhaftet, weil er dem
Sergeant das Bein gebrochen hatte. Er war der einzige Hell's Angel,
den sie schnappten.
Wir hatten den Friedenskämpfern, den Bullen und allen anderen
im Land klargemacht, auf welcher Seite wir beim Vietnam-krieg
standen. Wir waren für den Krieg.
Als wir zum Gefängnis kamen, um Tiny gegen Kaution frei zu
bekommen, hatten die Bullen das Polizeirevier von Berkeley umzingelt.
Der gesamte Bereich war abgesichert. Blöde Bullen. Wir kamen
ungehindert durch. Als die Polizisten sich umsahen, waren wir
schon da. In Panik verhafteten sie uns alle. Die Nachricht von der
Demonstration hatte sich schon über alle Medien verbreitet. Die öffentliche Meinung stand auf unserer Seite. Shirley hatte in ihrer
Wohnung in Los Angeles im Fernsehen gesehen, wie mir auf den
Kopf gehauen wurde. Viele Leute riefen das Polizeirevier in Berkeley
an, um unsere Kautionen zu stellen, so daß die Bullen uns gehen lassen
mußten. Anschließend stellten wir die Kaution für Tiny, der sich
später in einer weitaus geringeren Anklage für schuldig erklärte und
keine Haftstrafe bekam. Wir hatten unseren Standpunkt klargemacht
und erreicht, was wir wollten. Allerdings wäre es mir noch lieber
gewesen, wenn wir auch diesen beschissenen Weichling Jerry Rubin
erwischt hätten. Ich hätte diesem Bastard sogar den Finger
abgehackt, um seinen verfluchten Ring zu bekommen.
142
Ralph »Sonny« Barger
Als Militärveteran fand ich, daß wir unbedingt zu Amerika halten
mußten. Solange es mindestens zwei Menschen auf dieser Welt
gibt, wird es auch immer Krieg geben. Wenn man etwas nicht
friedlich beilegen kann, muß man eben kämpfen. Wenn man nicht an
einem Krieg teilnehmen will, ist das auch okay, aber man sollte die
Männer, die in einen Krieg ziehen müssen, nicht auch noch
beschimpfen und in den Dreck ziehen.
Die Kämpfe zwischen den Hell's Angels und den Friedens-Demonstranten endeten an diesem Oktobertag 1965. Danach erhielt
ich vor jedem Protestmarsch eine gerichtliche Verfügung mit der
Aufforderung, der Demonstration fernzubleiben. Diese Anordnung
an mich gehörte bald zu jedem Verfahren, mit dem die VDC ihre
Versammlungen genehmigen ließ.
Als einen Monat später wieder eine größere Kundgebung angekündigt wurde, gaben wir eine Erklärung an die Presse, in der wir
unsere Abwesenheit erläuterten.
Erklärung der Hell's Angels zur sofortigen Freigabe:
Wir haben diese Pressekonferenz einberufen, um unsere Haltung
gegenüber den Straßenaufmärschen des VDC durch Oakland am
morgigen Tag darzulegen.
Obwohl wir unsere Absicht deutlich gemacht haben, gegen
diese verabscheuenswürdigen, amerikafeindlichen Aktivitäten zu
demonstrieren, sind wir im Interesse der öffentlichen Sicherheit
und der Wahrung des guten Namens von Oakland der Ansicht,
daß wir das VDC nicht auch noch durch unsere Gegenwart
legitimieren sollten.
Wir beabsichtigen, uns vom Veranstaltungsbereich fernzuhalten, und
fordern alle anderen auf, ebenso zu verfahren. Wir sind aus
folgenden Gründen zu diesem Schluß gekommen:
1. Wegen unserer patriotischen Sorge darüber, daß diese Leute
uns mit dem, was sie unserer großen Nation antun, zu Gewalttätigkeiten provozieren könnten.
2. Obwohl die Mehrheit der US-Bürger mit unserer Meinung
übereinstimmt, glauben wir, daß eine gewalttätige AuseinHells Angel
143
andersetzung nur dazu dienen könnte, Sympathie für diese
Bande von Verrätern hervorzurufen.
3. Wenn es zu Krawallen kommt, wollen wir klarstellen, daß die
Hell's Angels nicht das Geringste damit zu tun haben.
Jedwede Rechtsübertretung muß dem VDC angelastet werden. Diese Leute sind die veranwortungslose Gruppe in unserem Gemeinwesen.
Wir haben diese Angelegenheit mit einigen verantwortlichen,
leitenden Persönlichkeiten der Stadt besprochen, und sie stimmen alle mit unserer Haltung überein.
Für die meisten Amerikaner wurden wir plötzlich zu Helden.
Kleine Kinder kamen auf uns zu und wollten uns anfassen, Rentner
wollten unsere Hände schütteln, und noch viel, viel mehr Frauen
wollten auf einmal von uns gevögelt werden. Nach dieser VDCDemo und der landesweiten Fernsehberichterstattung bekam ich
säckeweise Post von Leuten, die mir rieten, wie ich mich kleiden
und wie ich mich benehmen sollte. Man stellte sich zwar hinter uns
und unsere Haltung, wollte uns aber gute Ratschläge erteilen, wie
wir uns in der Öffentlichkeit zu verhalten hätten, nachdem wir nun
im Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses standen. In Briefen
von Amerikanern aller Schattierungen wurde ich, weil ich ihren
Standpunkt vertrat, gefragt, ob ich mich nicht rasieren und mir die
Haare schneiden lassen wolle.
Scheiß drauf. So weit wollte ich nicht gehen.
Ich hatte als Freiwilliger in der Army gedient, und obwohl ich an
keinem Krieg teilgenommen hatte, gab es während meiner Militärzeit
durchaus Krieg. Ich hätte mich gern an die Front schicken lassen oder meinetwegen auch direkt dahinter. Nach einigen
Überlegungen schickte ich ein Telegramm an Präsident L. B.
Johnson im Weißen Haus und bot ihm die Dienste der Hell's Angels
im Vietnamkrieg an.
Sehr geehrter Herr Präsident!
In meinem und im Namen meiner Freunde biete ich Ihnen eine
Gruppe vaterlandstreuer Amerikaner zu Diensten hinter den
Linien in Vietnam an. Wir glauben, daß eine schlagfähige
144
Ralph »Sonny« Barger
Gruppe gutausgebildeter Guerillas den Vietcong wirksam demoralisieren und der Sache der Freiheit dienen könnte. Wir
stehen zur Ausbildung und zum Dienst unverzüglich bereit.
Hochachtungsvoll,
Ralph Barger
Oakland, California
Präsident der Hell's Angels
Ich bekam einen Antwortbrief von einem Offizier, in dem stand,
wir müßten uns freiwillig zur Army melden, wenn wir kämpfen
wollten. Das war natürlich unmöglich, weil die meisten von uns
vorbestraft waren.
Nach dieser ersten Demo in Berkeley baten die Linken uns um
ein »Sit-down«, ein Gespräch. Ken Kesey, der Subkultur-Schriftsteller, der auch Einer flog übers Kuckucksnest geschrieben hatte,
rief mich an. Wir verabredeten ein Treffen in meinem Haus an der
12th Avenue zwischen den Organisatoren des VDC und den Hell's
Angels. Ich kannte Kesey schon, ich hatte Sachen von ihm gelesen
und war von den Frisco Hell's Angels mit ihm bekannt gemacht
worden. Kesey vereinbarte das Treffen zwischen Alan Ginsberg,
Neal Cassady und mir gleich nach unserem ersten Eingreifen in eine
Antikriegsdemonstration. Als die Gruppe vor dem »Sit-down« in
meinem Haus eintraf, holte Ginsberg seine silbernen tibetanischen
Gebetsglöckchen hervor und fing an, in fernöstlicher LotusSitzposition ein buddhistisches Gebet zu singen. Über Ginsberg
wußte ich schon Bescheid, aber es kam mir doch reichlich seltsam
vor, einen bärtigen Juden im Talar in meinem Wohnzimmer
meditieren und singen zu hören. Der erste Punkt der
Gesprächsagenda war: Warum hatten wir ihre Leute verprügelt?
Wir dagegen wollten wissen, warum sie unsere amerikanischen
Militärs nicht in diesem Krieg kämpfen und sich verteidigen lassen
wollten. Ein Resultat brachte dieses Meeting allerdings: Ihre Leute
wurden bei den weiteren Demos nicht mehr verhauen. Auf alle
Fälle kannten sie jetzt unseren Standpunkt. Am Ende kamen Bier
und Drogen auf den Tisch, und wir hörten alle die Songs von Bob
Dylan »Gates of Eden« und »It's All Over Now, Baby Blue«, was in
Ordnung war, obwohl der Typ gar nicht
Hell's Angel
145
singen kann. Dafür mochte ich diese kleine, dürre Joan Baez und
ihre Musik ganz gern.
Die Hell's Angels hatten 1965 nicht nur die Linken bei ihren
VDC-Demos durcheinander gebracht, auch den Rechten hatten wir
ganz schön Angst gemacht. Der kalifornische Justizminister
Thomas C. Lynch veröffentlichte, wie schon erwähnt, auf den
Druck anderer Politiker hin einen Report, in dem die Hell's Angels
als eine Bedrohung der Gesellschaft gebrandmarkt wurden. Der
16seitige Bericht bezeichnete uns als »verrufen« und erklärte, man
könne Hell's Angels zwar an ihren Patches, vor allem aber an ihrem
Gestank erkennen. »Ihr größter gemeinsamer Nenner«, hieß es, »ist
höchstwahrscheinlich ihr ungepflegtes, dreckiges Aussehen.«
S. Thompson schrieb in The Nation, in der Ausgabe vom
Hunter
17. Mai 1965, einen Artikel über die Hell's Angels, in dem er
uns als eine »Motorrad-Gang von Verlierern und Außenseitern«
bezeichnete. Mir gefiel dieser Artikel sogar, auch wenn einige
Fakten darin übertrieben waren. Die Reaktionen auf den Artikel
waren positiv. Dann kam Thompson nach Oakland und war
häufiger in den Lieblingsbars unseres Clubs. Schließlich begegneten wir uns zum ersten Mal persönlich. Er erzählte mir, daß er
gern mit mir zusammen an unseren Runs teilnehmen und ein Buch
über uns schreiben wolle. Weil mir der Stil seiner Schreibe gefiel,
ließen ihn die Clubs von Oakland und Frisco mit dabeisein - für
einen »Preis« allerdings: zwei Fässer Bier. Mit der Zeit zeigte sich,
daß Hunter ein echtes Weichei und ein elender Feigling war. Man
las über ihn, daß er in seinem Haus mit geladenen Pistolen
herumlief und aus den Fenstern schoß, um die Reporter zu beeindrucken, die ihn interviewen wollten. Thompson ist nur ein ShowMann und sonst nichts. Wenn er bei uns den wilden Mann spielen
wollte, endete das jedesmal damit, daß er es mit der Angst bekam.
Schließlich konnte ich ihn nicht mehr ausstehen. Für mich war er am
Ende nur noch ein großer, dürrer und typischer Hinterwäldler aus
Kentucky. Eine einzige Attrappe. Mit einigen Clubmitgliedern kam
er jedoch besser aus als mit mir.
Tramp, Tiny, Magoo, Buzzard von Berdoo, Zorro, Gut, Skip
146
Ralph »Sonny« Barger
und ich fuhren 1966 wieder einmal nach Bass Lake. Thompson
folgte uns in seinem Wagen. Wie bei den meisten Treffen der Hell's
Angels braute sich auch hier wieder ein Zusammenstoß mit den
Bullen zusammen. Da hüpfte Hunter schnell in den Kofferraum
seines Wagens, zog von innen die Klappe zu und versteckte sich
vor der Polizei. Danach sprach ich kaum mehr ein Wort mit dieser
Memme.
Als Thompsons Zeit gekommen war, bekam er sein Fett ab. Er
wurde von den Hell's Angels so verdroschen, daß er zu Recht
schreiben konnte: »Ich traf sie, ich fuhr mit ihnen, und ich wurde
von den Hell's Angels fast umgebracht.« Es war eine richtig lächerliche Scheiße, wegen der er seine Tracht Prügel bekam.
Thompson war eine ganze Weile nicht mehr mit uns zusammen
gewesen, während er sein Buch zu Ende schrieb. Als es fertig war,
fragte er uns, ob er mit auf einen Run nach Squaw Rock kommen
dürfe. Als wir dort waren, geriet Junkie George mit seiner Old
Lady in Streit und gab ihr eine Ohrfeige. Na ja, so was passiert
schon mal. Anschließend biß ihn sein eigener Hund ins Bein, und
Junkie George wurde darüber so wütend, daß er den Hund trat.
Daraufhin ging Hunter zu George und meinte: »Nur Punks schlagen
ihre Frauen und treten ihre Hunde!«
Da rastete George völlig aus und schlug Hunter nieder, anschließend traten wir anderen auf Thompson ein. Er blutete, war
völlig fertig und heulte. Wir sagten ihm, er solle in seinen Wagen
einsteigen und abhauen. Hunter fuhr zum nächsten Polizeirevier,
aber auch da schmiß man ihn raus. Die Bullen hatten keine Lust,
sich von Hunter die Bude vollbluten zu lassen.
Ich las das Buch Hell's Angels: A Strange and Terrible Saga (Hell's
Angels: Ein seltsames und schreckliches Epos), als es 1967 herauskam. Reiner Schrott. Das schlimmste daran war, daß es zu einer
Art Leitfaden über den Club für die Polizei wurde. In dem Buch
standen blödsinnige Übertreibungen und unter Drogen und Suff
zusammengeträumte Kommentare. Thompson behauptete, Angels
würden auf ihre Patches pissen oder müßten ihre Hosen vor dem
Anziehen mit Öl und Pisse tränken. Und angeblich sei unser Motto:
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Den Scheiß glaubten die Bullen
noch jahrelang. Dieser blöde Mythos stammt allein aus
Hell's Angel
147
Junkie George, der Hell's Angel, der Hunter S. Thompson in den Hintern trat,
nachdem Tompson seinen Bestseller über den Club geschrieben hatte.
Hunters Buch. Außerdem hatte Thompson, dieser schäbige Geizhals, nie die beiden vereinbarten Fässer Bier abgeliefert. Alle Hell's
Angels hielten das Buch für genau das, was es war: weitgehend
erstunken und erlogen und billige Effekthascherei.
W
ir veranstalteten 1966 unseren Memorial Day Kalifornien-Run
nach La Honda, um uns mit Kesey und seinen Merry
Pranksters zu treffen. Sie lebten da in einer richtigen Kommune.
Irgendwie waren die Merry Pranksters uns ähnlich - im Unter-
148
Ralph »Sonny« Barger
grund lebende Freigeister -, nur fuhren sie keine Motorbikes, und
sie waren auch nicht so gewalttätig. Kesey war ein guter Typ, und er
war in Ordnung, also brachte ich ihm ein halbes Pfund Hasch mit
nach La Honda. Auf dem Run stoppte ich bei El Adobe, wo sich
acht oder zehn andere Hell's Angels unserem Run anschlössen. El
Adobe liegt rund 80 Kilometer südlich von Oakland und westlich
von San Jose in Richtung Küste. Kesey erwartete uns zwar, aber er
hatte vermutlich keine Ahnung, wie sich unsere Ankunft bei ihm
gestalten würde.
Auf halbem Weg, unweit von La Honda, fingen die Bullen an,
uns zu verfolgen. Das Röhren der Auspuffe donnerte durch den
Canyon, und die Pranksters konnten uns schon von weither hören.
Aber wir hielten nicht, sondern rasten weiter und flitzten
schließlich um die Kurve vor der Einfahrt zu Keseys Kommune.
Das Tor stand weit offen, wir rauschten hinein, und die Pranksters
knallten das Tor sofort hinter uns zu. Die Bullen kamen nach,
konnten aber nicht herein. Wir pöbelten sie noch eine Weile an, bis
sie schließlich aufgaben und davonfuhren.
Kesey verwahrte das Hasch, das ich ihm mitgebracht hatte, an
einem sicheren Platz, und wir feierten mit ihm und seinen Pranksters
vier Tage lang Partys.
Die Pranksters hatten eine Taube als Haustier, die meinetwegen
umkam. Die arme, halbverrückte Taube lebte in einem Käfig, sie
ernährte sich von Marihuanasamen. Als Tierliebhaber, der ich nun
einmal bin, holte ich die Taube aus ihrem Käfig. Da sie aber nicht
richtig fliegen konnte, schnappte sich der Hund der Pranksters,
Lion Dog, die Taube und fraß sie einfach auf.
Damals lernte ich auch Neal Cassady kennen, der mir sehr gefiel.
Cassady war der einzige Mensch, der mir je begegnete, der mit
fünf Leuten gleichzeitig eine Unterhaltung führen konnte, ohne
auch nur ein Wort zu verpassen. Er war einfach beeindruk-kend.
Ich glaube immer noch, daß er unten in Mexiko Selbstmord
begangen hat. Kesey hatte seine Pranksters später einem Typen
namens Babs übergeben und diesen zu ihrem neuen Häuptling
gemacht. Neal war darüber wohl enttäuscht, weil er erwartet hatte,
daß man ihn zum Boss machen würde. Er fuhr nach Mexiko und
nahm sich dort in einem Anfall von Depression das Leben.
Hell's Angel
149
Nach einer Weile bei den Pranksters brachten wir eine richtig
tolle Party in Gang. Wir verstanden einander wunderbar. Auch die
Hippie-Mädchen, mit denen wir viel Spaß hatten, waren in Ordnung. Mit Babs wurde ich sofort vertraut, und uns verband später
eine lange Freundschaft.
Ein paar Hell's Angels kamen mit mir zu Keseys berühmtem
Electric Kool Acid Test Schließlich war LSD etwas, das wir alle
liebten.
Ich weiß nicht, wie ich meine große Vorliebe für LSD richtig
beschreiben soll. Ich hatte mit dem Zeug niemals einen schlechten
Trip. Zum ersten Mal nahm ich es 1965 - legal! - zusammen mit
meiner ersten Frau Elsie. Ich hatte zwei Würfel zu je fünf Dollar
gekauft und zu Hause in den Kühlschrank gelegt. Eines Morgens
beschlossen wir, weil sonst nichts Besonderes los war, das Zeug
einmal zu probieren, um zu sehen, was passieren würde. Etwa eine
Stunde später merkten wir immer noch nichts, deswegen sagte ich zu
Elsie: »Ich fahr mal rüber zu dem Typ, der mir das verkauft hat. Ich
glaube, er hat uns beschissen.«
Elsie fand das in Ordnung, und ich ging noch kurz ins Badezimmer. Als ich vor der Toilette stand und pinkelte, sah ich nach
oben und entdeckte auf dem Regal eine Schachtel mit »Yogi Bär«Schaumbad. Und ich sah, wie Yogi Bär eine Katze um die
Schachtel herumjagte. Ich kriegte einen tierischen Schreck, so daß
ich beinahe auf den Fußboden pinkelte. Ich rief nach Elsie, damit
sie ins Bad kam. »Mach dir keine Sorgen«, erklärte ich ihr, »wir
sind nicht betrogen worden. Das wirst du in ein paar Minuten
selbst sehen.«
Mir war so verrückt komisch zumute, das mußte ich unbedingt
Skip erzählen. Es war noch früh am Morgen, also stieg ich auf
mein Motorrad und fuhr auf dem Highway in die Richtung von
Skips Haus. Ich fuhr so schnell, daß die Straße senkrecht vor mir zu
stehen schien, während das Vorderrad meines Bikes immer wieder
versuchte, den Asphalt herunterzudrücken. Als ich zu Skip kam,
war ich froh, vom Highway runter zu sein, denn ich war
überzeugt, daß ich gerade lebensgefährlich schnell gefahren war.
Aber als ich während der Fahrt auf den Tacho geguckt hatte,
standen dort nur 50 km/h. Ich versuchte, Skip zu erzählen, was
150
Ralph »Sonny« Barger
mir gerade passiert war, aber ich fürchte, alles was ich sagte, machte
keinen rechten Sinn. Dann kam Waldo vorbei, und wir drei mußten
irgendwohin fahren. Ich saß mit Skip und Waldo im Wagen, und wir
fuhren in die Nähe von Oakland zum Lake Merritt. Wir hielten an
einem Stopschild, da hörte ich plötzlich einen überlauten,
rauschenden Wasserfall aus dem See kommen. Es gab aber gar
keinen Wasserfall; nur ein Rinnsal Wasser, das in den Abflußkanal
tropfte.
Das war mein erster LSD-Trip, und ich fand ihn herrlich! Mir
war klar, daß ich nicht jeden Tag solchen Scheiß machen konnte
und nicht allen erzählen durfte, wie klasse ich das fand. Denn sonst
wäre bald der ganze Club permanent auf LSD gewesen, was eine
ziemlich gruselige Vorstellung war.
Im November 1965 steckten Tramp und George »Baby Huey«
schon tief im Drogenbusineß auf der Haight-Ashbury-Szene, und
die Blumenkinder schufen einen ansehnlichen Marktplatz für den
Drogenhandel. George schreibt in seinem Buch, daß er und Owsley
Stanley das meiste LSD für Haight-Ashbury herbeischafften. Es gab
immer reichlich Vorrat an Acid, und ich kaufte eine Menge davon.
Das beste LSD, das wir damals bekamen, stammte aus der Schweiz
und war reines Sandoz. Das Zeug gab es in 25-MilligrammTabletten. Davon konnte man bis zu vier Stück nehmen, je
nachdem, wie »aufgeladen« man sein wollte.
60er Jahre waren die besten Zeiten, die die Hell's Angels je
Dieerlebten.
Jeder Hippie war nur allzugern bereit, dir seine Old
Lady zum Ficken zu überlassen, manchmal wollte er als Gegenleistung ein bißchen Motorradfahren. Es gab einen Riesenunterschied
zwischen den Hippies in San Francisco und den Anti-kriegsRadikalen in Berkeley. Die Hippies in San Francisco waren liebe,
nette Typen, die einfach nur keine Lust hatten, zu arbeiten oder zur
Schule zu gehen. Sie wollten lieber high sein, vögeln und Partys
feiern. Die Leute in Berkeley waren idealistische Studenten, die
klare linksgerichtete politische Ansichten hatten und
dementsprechend handelten. Einige von ihnen waren auch gewalttätig, aber keine echten Schlägertypen. Sie schlichen eher herum,
jagten Gebäude in die Luft und verursachten Chaos.
Hell's Angel
151
Wir hatten tatsächlich viel mit den Hippies gemeinsam, aber ob es
der kalifornische Justizminister Thomas C. Lynch nun glauben mag
oder nicht: Wir wuschen uns öfter. Wir hingen auch gern auf der
Haight Street herum, und viele Hell's Angels hatten schon lange
Haare, bevor die Hippies ihre wachsen ließen. Als er 1962 ums
Leben kam, hatte Bobby Zimmerman, der Präsident der Hell's
Angels von Berdoo, seine Haare bis zur Taille hängen. Terry the
Tramp hatte in der ersten Zeit ganz lange Haare, und sein Kleidungsstil war eine Mischung aus den Lederklamotten der Motorradfahrer von 1950 und den psychedelischen Harley-Bikern von
1960. Das war ein Look, den sehr viele Hippies und auch die meisten
Rock'n'Roll-Bands übernahmen. Es war der Look, der Amerika im
Magazin Life vorgeführt wurde. Ich ließ mir nie die Haare wachsen,
denn meine Haare sind kraus, und das wäre mir zu unpraktisch
gewesen. Außerdem fuhr ich die meiste Zeit Motorrad, und dabei
hätten sich meine Haare unentwirrbar verzottelt. Statt dessen trug
ich lieber einen langen Kinnbart, einen »Goatee«, also einen Ziegenoder Spitzbart. Das jagte einigen Leuten mehr Angst ein.
Etliche Hell's Angels trieben sich gern in der Hippieszene herum.
Es gab zum Beispiel einen Angel namens Gut, der nach Oakland
kam und dort die Band Blue Cheer gründete, eines der lautesten
Power-Rock-Trios, die es je gab. Als Chocolate George Hendricks,
ein Mitglied der Hell's Angels von San Francisco, starb, feierten wir
zu seinem Gedächtnis eine Riesenparty im Golden Gate Park. Die
Hippies liebten und verehrten Chocolate George. Er sah aus wie
einer von ihnen, war aber durch und durch ein Hell's Angel.
Während der »Flower Power«-Zeit wurde er gerade aus dem Knast
entlassen. Er traute seinen Augen kaum, als er zum ersten Mal die
Szene auf der Haight Street sah. Es gibt ein berühmtes Poster von
Chocolate George auf seinem Motorrad an der Spitze einer Parade,
bei dem hinter ihm ein Hippie-Mädchen auf seinem Bike steht.
Wegen dieses Posters wurde er sogar einmal verhaftet. Die Bullen
sahen darin eine Übertretung seiner Bewährungsauflagen und
schickten ihn zurück in den Knast.
Wir verstanden uns auch gut mit den Jungs von Grateful Dead,
die wir bei den Frisco Hell's Angels kennenlernten. Mir war, als
152
Ralph »Sonny« Barger
Die Hippies hebten Chocolate George Hendricks, einen Hell's Angel aus
San Francisco, hier in Haight-Ashbury fotografiert.
Gene Anthony
hätte ich Jerry Garcia schon mein ganzes Leben lang gekannt. Er
war ein Mann nach meinem Geschmack. Ich vermisse ihn. Er
mochte und respektierte die Hell's Angels. Wenn man als Hell's
Angel zu einem Konzert der Grateful Dead kam, brauchte man
niemals Eintritt zu bezahlen. Während des sogenannten »Summer of
Love« 1967 kamen viele Hell's Angels zu dem großen »Be-In« im
Golden Gate Park, weil die Frisco-Gruppe der Angels und Tramp
und Fu mit den Musikern befreundet waren. Bill Graham
Hell's Angel
153
schenkte uns immer Freikarten für seine Gigs im Fillmore und in
der Longshoreman's Hall. Einmal stand irgendein Arschloch als
Türsteher vor so einem Konzert und wollte mich nicht hineinlassen.
Erst als ich drohte, das ganze Haus abzufackeln, ließ er mich durch.
Die Hell's Angels veranstalteten auch eigene Wohltätigkeitskonzerte und Jahrespartys in der Longshoreman's Hall, bei
denen Grateful Dead, Janis Joplin, Big Brother and the Holding
Company sowie Blue Cheer und Gold Blood auftraten.
den späten 60er und frühen 70er Jahre begann ich, mit FilmInleuten
zusammenzuarbeiten. Für ein Honorar von 5000 Dollar
durften sie meinen Namen in ihren Drehbüchern benutzen. Das war
damals ein Jahreslohn. Nachdem wir Hell's Angels on Wbeels
gedreht hatten, brachte der Produzent Joe Solomon eine ganze
Reihe Biker-Filme heraus. Wir wurden gute Freunde. Er bezahlte
mich als technischen Berater bei jedem Biker-Film, den er drehte,
und er schickte mir immer das Drehbuch; ich las es durch und
empfahl ihm einige Änderungen. Dann setzte er meinen Namen in
die Credits und zahlte mir ein Honorar als Fachexperten. Damals
zahlte die Filmgesellschaft allen HAMC-Charters - San Bernardino, San Diego, Frisco, Richmond, Oakland und den Nomads
von Sacramento - je 25000 Dollar. Das war ein Haufen Geld. In den
60er Jahren drehten plötzlich alle möglichen Studios Biker-Filme.
Peter Fonda drehte mit Nancy Sinatra The Wild Angels, und in der
Werbung hieß es, der Film basiere auf echten Hells-AngelsErlebnissen. Peter Fonda war mit Hunter Thompson in dieselbe
Schule gegangen - »Chickenshit High«. Wir verklagten den
Produzenten Roger Corman auf fünf Millionen Dollar
Schadenersatz und drohten ihm, ihn zum Krüppel zu schlagen. In
einem Vergleich einigten wir uns auf 10 000 Dollar und nahmen
unsere Drohung mit Bedauern zurück. Bis heute haben wir die
Vorschrift in unserer Satzung, daß keine Filmgesellschaft ein Hell's
Angels Patch benutzen darf, wenn sie dafür nicht die Erlaubnis der
Mitglieder bekommen hat.
Easy Rider, angeblich der beste Biker-Film, der je gedreht wurde,
war eigentlich gar kein Biker-Film, sondern ein Film über zwei
Drogendealer, die zufällig auf Motorrädern durch das Land fuh154
Ralph »Sonny« Barger
ren. Und wieder war »pretty boy« Peter Fonda mit von der Partie.
Joe Solomons Film Hell's Angels on Wheels kam 1967 - noch vor
Easy Rider - heraus. Solomon war der erste Produzent, der an uns
herantrat, um unsere Genehmigung für den Film zu bekommen. Er
bezahlte uns dafür, und obwohl weder das Honorar noch der Film
besonders gut waren, hatten wir etwas zu tun, etwas, das wir machen
konnten, ohne uns besonders anzustrengen. Biker-Filme waren
billig produzierte Streifen für Drive-in-Kinos. Hell's Angels on
Wheels war der erste Film mit einer ernsthaften Rolle für Jack
Nicholson. Nicholson spielte einen gelangweilten jungen Tankwart
namens Poet, der mit dem Club in Kontakt kommt und sich Hals
über Kopf entschließt, bei den Hell's Angels mitzumachen: Poet
kämpft mit den Angels gegen einen rivalisierenden Club und wird als
Mitglied aufgenommen.
Während der Dreharbeiten paßte sich Nicholson den Angels
wunderbar an, was dem Hauptdarsteller Adam Roarke wesentlich
schwerer fiel. Am Drehort glaubten einige aus der Filmcrew, Nicholson sei Mitglied einer Hell's Angels Gruppe, weil er seine Rolle
so überzeugend spielte. Selbst einige unserer Mitglieder hielten Jack
für einen echten Angel.
Nachdem Hell's Angels on Wheels in Oakland abgedreht war,
trafen wir uns alle im Hangover Club, um zu feiern. Die Bar lag
direkt um die Ecke von Skip Workmans Haus. Wir waren zu zwölft
in der Bar und betranken uns, als ein Sergeant der Polizei von
Oakland mit einigen Rekruten hereinkam. Sie sahen uns und hauten
sofort wieder ab. Wir ahnten nichts Gutes bei ihrem Verschwinden.
Nach einer Weile kam der Sergeant mit noch mehr Bullen zurück.
Der Sergeant zog seine Handschuhe an und spielte den wilden
Mann. Mit zehn anderen jungen Bullen hinter sich ging er auf Skip
zu und brüllte ihn an: »Du bist besoffen!«
Skip sah langsam von seinem Bier zum Sergeanten und sagte
nur: »Fuck you!«
Es wurde ein fairer Kampf. Keine Pistolen. Keine Schlagstöcke.
Nur Stühle, Hocker, Gläser und Fensterscheiben gingen zu Bruch.
Dann forderten die Polizisten Verstärkung an, und kurze Zeit später
waren rund 40 Bullen im Hangover Club. 29 von ihnen landeten im
Krankenhaus. Neun von uns wurden verhaftet. Zum ersten
Hell's Angel
155
Mal in meinem Leben entwischte ich ihnen - völlig ungewöhnlich
für mich, weil ich normalerweise immer bleibe, bis der letzte
Fausthieb ausgeteilt ist. Mitten in dem Aufruhr ging ich einfach in
den Hinterhof, schwang mich auf mein Bike und fuhr davon. Niemand hielt mich auf. Am nächsten Tag rief mich Joe Solomon an
und las mir die Schlagzeile in der Zeitung vor: ANGELS FÜHREN
KRIEG GEGEN DIE POLIZEI VON OAKLAND. Er nannte das den
»Traum eines Produzenten«. Wir hatten das wirklich nicht geplant.
Aber so was passiert nun mal zwischen den Bullen und den Hell's
Angels.
Als Hell's Angels on Wheels in den USA in die Kinos kam, reiste
ich auf Werbetour durch das ganze Land. Damals hatten Filme
nicht in vielen Städten gleichzeitig Premiere wie heute, sondern sie
hatten nur in wenigen Orten Premiere und erst danach wieder in
anderen. Ich flog in alle Städte, um für den Streifen Werbung zu
machen. Da lieh ich mir dann ein Motorrad und fuhr mit meinem
Hell's Angels Patch zur Premiere. Manchmal hielt ich auch eine
kleine Ansprache. Auch in Drive-in-Kinos tauchte ich auf einem
Motorrad auf. Einer unserer Biker-Filme eröffnete in Texas in derselben Woche wie Paint Your Wagon mit Lee Marvin aus The Wild
One in der Hauptrolle. Wir schlugen mit unseren Einnahmen seinen
Film. Tut mir leid, Chino!
Nachdem Hell's Angels on Wheels gelaufen war, setzte sich das
Produktionsbüro von Dick Clark wegen eines weiteren Films mit
uns in Verbindung. Clark, ein netter Kerl, kam nach Oakland, um
mit uns über den Film zu sprechen. Damals fuhr ich eine umgestylte schwarz-blaue Corvette, die in einer Auto-Show einmal den
zweiten Preis geschafft hatte. Clark fuhr einen »frisierten« Ford. Er
wollte unbedingt mit mir den Wagen tauschen, weil ihm meine
Corvette so gut gefiel. (Nebenbei gesagt: Diese Corvette brachte
mich mal in Schwierigkeiten mit dem Finanzamt. Ich hatte den
Wagen bei einer Sportwagen-Ausstellung angemeldet, und der
Designer des Flitzers sagte mir, es habe 12000 Dollar gekostet, ihn
umzubauen. Der Finanzamt-Arsch, der gerade meine Einkommenserklärung geprüft hatte, sah den Wagen, erfuhr von den 12
000 Dollar und fragte mich daraufhin, wieso ich nur 6 000 Dollar
Einkommen für das ganze Jahr deklariert hatte.)
156
Ralph »Sonny« Barger
Nachdem Clark wieder abgereist war, fuhren wir mit seiner
Filmcrew nach Half Moon Bay in eine Gegend, die wir Stumble
Creek nannten, weil die Hell's Angels dort gern »Reds« - Roten
Afghanen - rauchten und dann im Rausch durch die Gegend stolperten. Ich rauchte auch an diesem Tag eine ganze Menge »Reds«,
und als ich aus meinem Rausch erwachte, war die Filmcrew schon
wieder abgereist. Sie hatten etliche Szenen gedreht und wollten
noch weiter drehen, aber im Drehbuch stand, daß am Ende ein
Hell's Angel erhängt werden sollte. Die Angels, die noch bei Bewußtsein waren, erlaubten das nicht. Die Filmcrew bestand aber
darauf. Am Ende hauten die Filmleute einfach ab, und der Film
wurde nie fertig gedreht.
1968 machten wir einen weiteren Film. Die Clubhaus-Szenen für
Hell's Angel '69 wurden im Clubhaus der Angels in Daly City
gedreht Diesmal hatten einige prominente Mitglieder der Angels
aus unserer Gruppe sogar Sprechrollen, darunter Tramp, Skip und
ich. Die Wüstenszenen wurden in der Mojave-Wüste in der Nähe
von Red Rock Mountain gefilmt. Für das Dirtbike-Rennen besorgten wir uns ein paar Geländemaschinen, die wir normalerweise
nicht anrühren würden. Aber sie gehörten nun mal zum Drehbuch,
und das Ganze machte uns außerdem einen Riesenspaß. Ich muß
sagen, daß dieser Film ziemlich stimmig ist in der Weise, wie wir
gezeigt wurden und uns benahmen und welche Harleys wir zu jener
Zeit fuhren.
Die Szenen in Hell's Angel '69, in denen wir bei einem Casino in
Las Vegas vorfahren, wurden in Wirklichkeit in Kalifornien gedreht, und zwar vor der Teamsters Union Hall, einem Gewerkschaftshaus in Mountain View. Es bekam für die Dreharbeiten eine
neue Fassade verpaßt und sah aus wie eine Miniatur von Caesar's
Palace. Wir wollten nicht nach Las Vegas gehen, um dort zu filmen.
Wenn man bei der Szene, in der die Hell's Angels ins Casino
hineinfahren, genau hinguckt, erkennt man, daß mein Double eine
Sportster fährt. Bei den Nahaufnahmen aber sitze ich auf Sweet
Cocaine, meiner Harley 74, die ich extra für diesen Film gebaut hatte.
Tramp sorgte am Set für Rummel und Bewegung. Er kennt nun
mal keine Zurückhaltung und stellte mitunter die verrücktesten
Hell's Angel
157
Hell's Angels '69 zeigte das rauhe und wilde Leben des Clubs besser als jedes
andere Biker-Movie aus der Zeit.
Sachen an. Einem Mädchen, das in dem Film eine Nebenrolle
spielte, gab er ohne ihr Wissen LSD. Als er sie dann anbaggerte,
rastete sie völlig aus. Er versuchte trotzdem, sie in ihrem Wohnwagen zu Ficken, und als sie nein sagte, konnte Tramp einfach nicht
begreifen, warum.
Ich wurde für die Sprechrollen in diesen Filmen ausgesucht, weil
ich nun einmal der Präsident des Oakland-Charters war. Wäre ich
nicht Officer gewesen, hätten die Filmleute wahrscheinlich jemand
anders genommen, jemanden, der mehr aus sich herausging und ein
besserer Schauspieler war als ich, vielleicht Johnny Angel, Hi Ho
Steve, Winston oder Magoo. Hell's Angels '69 ist der einzige Film,
der wirklich und authentisch das wilde, rauhe
158
Ralph »Sonny« Barger
Leben des Clubs zeigte. Während der 60er Jahre machten wir tatsächlich nur, was wir wollten und was uns paßte. Wir kombinierten
die damalige »Peace and Love«-Stimmung mit unserer eigenen,
privaten Gegenkultur, und das klappte wunderbar. Infolge all der
Bücher, Filme, Wochenschauen und Zeitungsberichte über uns
entwickelten wir eine regelrechte Haßliebe zu den Medien und der
Öffentlichkeit. Wir waren eben weit mehr als nur Outlaws jedenfalls gefährlicher als liebenswert -, aber wie ich schon gesagt
habe: Gar keine Publicity ist schlechte Publicity.
Die Bücher, Filme, Magazine und Zeitungen beschrieben uns als
Wilde, die nicht nur Polizisten durch die Gegend prügelten,
sondern auch Normalbürger und sogar unsere Mütter - oder jedenfalls beinahe ...
Als die Hollywood-Western an Attraktivität verloren, übernahmen die Biker-Movies, diese B-Pictures, ihre Rolle und wurden
überall im Lande gezeigt - auch in den Kleinstädten und den Driveins, wo die Kids einmal richtig wilde Action bestaunen konnten.
Nachdem Roger Cormans 1967er FilmWild Angels zur Eröffnung
der Biennale in Venedig gezeigt worden war, setzte in Amerika
eine richtige Flut von billigen Motorradfilmen ein, von denen
fürchterlich viele das Wort »Angels« im Titel hatten: Naked Angels,
Angels Unchaineä, Angels Die Hard, Angels from Hell und Black
Angels. In den Drive-ins wurden Triple-Feature-Filme gezeigt, zu
denen solche Streifen wie The Glory Stompers, The Mini-skirt Mob,
The Losers und Werewolves on Wheels gehörten.
Es war total überdreht und übertrieben. Wir wurden dargestellt
wie Wikinger unter LSD, die quer durch Kalifornien reihenweise
Mädchen und Frauen vergewaltigten und auf Motorrädern herumrasten, die in der Hölle geschmiedet waren. Dieses Bild wurde
den Menschen verkauft und eingetrichtert, und das war kostenlose
Publicity für uns. Und es gibt schließlich nichts an Publicity
auszusetzen, besonders wenn Geld, Girls und Bikes dazugehören.
Titelblatt eines im Februar 1966 erschienenen Magazins, das wahrheitsgetreu viele haarsträubende und schlimme Begebenheiten aus dem Leben
des Hell's Angels Clubs enthüllte.
8
PORTERVILLE
I
n der ersten Zeit der Hell's Angels machten wir mit unseren
Maschinen keine großen Runs. Wir fuhren kaum einmal über die
Staatsgrenzen von Kalifornien hinaus. Meist blieben wir in der
Gegend um Oakland. Ein Trip nach San Jose - das sind etwa 80
Kilometer - und zurück galt schon als großer Run. 800-Kilo-meterRuns wie nach San Bernardino in den späten 50er Jahren -Mann,
das war ein richtiges Abenteuer! Damals war man auf den
Highways ein ganz besonderer Anblick und traf nur selten einen
anderen Motorradfahrer. Wenn mal einer auftauchte, dann winkte
man einander zu. So wenig Biker gab es zu der Zeit, als ich den
Club gründete.
Heute ist der USA-Run eines der alljährlichen Ereignisse bei den
Hell's Angels. Jedes Mitglied, das sich für zwei Wochen freimachen
kann, versucht, dabei zu sein. Es dauert für gewöhnlich eine
Woche, quer durch das ganze Land zu fahren, und eine weitere
Woche, um wieder zurückzukommen, plus ein paar Tage am
Zielort. Bei den USA-Runs treffen sich die Clubs immer in der
Mitte des Landes. Die Clubs an der Ostküste wechseln sich alljährlich mit den Clubs an der Westküste als Sponsoren ab. Es gibt
aber auch Weltfahrten, die abwechselnd in Europa und in den USA
abgehalten werden. Manchmal finden sie auch in Australien, Kanada
oder Brasilien statt. Wenn der Run in den USA gesponsert wird,
versuchen wir, den USA-Run mit der Weltfahrt zu verbinden.
Bass Lake war einer unserer Lieblings-Zielorte. 20 Kilometer
von der Einfahrt des Yosemite Parks liegt Bass Lake nur zehn Kilometer vom geographischen Mittelpunkt Kaliforniens entfernt.
Hell's Angel
161
Dadurch ist die Strecke von San Francisco fast genauso weit wie
von Los Angeles und damit der ideale Ziel- und Treffpunkt in der
Wildnis für alle örtlichen Gruppen der Hell's Angels.
Während unserem ersten Run nach Bass Lake fuhren wir mit
leichtem Gepäck. Keine Schlafsäcke - ein Sack hinten auf dem
Bike sah einfach nicht cool aus. Und wenn man eine Old Lady
hinter sich sitzen hatte - wo wäre da noch Platz für einen Schlafsack gewesen? Es gab auch keine Zelte oder gar Proviant, und in
einem Motel zu übernachten - das konnte man vergessen. Selbst
wenn wir das Geld dafür gehabt hätten, wer würde schon einem
Haufen Hell's Angels Unterkunft gewähren? Also hielten wir
abends einfach am Straßenrand, feierten eine Party und schliefen
einfach dort ein, wo wir hinfielen. Nachts zündeten wir große Lagerfeuer an und wachten dann morgens von Asche berieselt und
nach Holzfeuer stinkend wieder auf.
Wir klärten bei den Runs nach Bass Lake auch viel böses Blut
zwischen unseren Mitgliedern. Wenn mit irgendeinem anderen
Mitglied ein Konflikt gärte, der noch nicht beigelegt war, dann
wußte man, daß es am Bass Lake Gelegenheit gab, das auszufechten. Eine bessere Möglichkeit dafür gab es gar nicht. Keine Bullen
weit und breit, nur Angels auf allen Seiten, allzeit bereit, die Waffen
zu kreuzen.
weitere Lieblingsbeschäftigung der Oakland Hell's Angels
Eine
waren die Bakersfield-Treffen. Andere Clubs hatten auch ihre
Patches, und es gab eine Menge Motorradclubs in Kalifornien - ganz
besonders in der Umgebung von Los Angeles -, die auch zu
solchen Treffen fuhren, aber wir waren vollkommen anders. 40 oder
50 unserer Mitglieder trafen sich mit ihren Motorrädern beim
Clubhaus und fuhren los. Wenn wir in Bakersfield ankamen, drehten
die Normalo-Einwohner durch. Sie konnten unser Auftreten und
unser Aussehen einfach nicht fassen. Etliche von uns trugen ihre
Haare bis zu den Hüften und hatten wallende Barte. Wir fuhren
»abgespeckte« Harleys und keine Full Dressers und waren auch
nicht wie die anderen Motorradfahrer von Kopf bis Fuß schick in
Leder gekleidet. Unser Erkennungszeichen waren unsere
Tätowierungen. Wo immer Hell's Angels auftauchten, sof162
Ralph »Sonny« Barger
fen sie alle anderen unter den Tisch, vögelten rum und schlugen bei
Prügeleien alle anderen krankenhausreif. Wenn sie uns nur von
weitem sahen, drehten sich die Leute um und gingen in die andere
Richtung. Sie hatten ganz einfach Angst vor uns. Wir machten die
Show.
Meistens waren wir viel zu pleite, um irgendwo Eintritt zu zahlen,
also kampierten wir immer am Straßenrand. Die Bullen wurden jedes
Mal fast irre und benahmen sich wie ängstliche Schulmädchen. Das
war noch vor der Zeit, als die Rechtshilfevorschriften erlassen
wurden, deshalb konnten die Bullen nicht im Nachbarbezirk Verstärkung anfordern.
In den Bars von Bakersfield gab es für gewöhnlich Streit zwischen Hell's Angels und den Okies. Cowboys und Biker sind einander seit eh und je spinnefeind. Wenn man sie in einen Raum
zusammensteckt, gibt es immer Randale. Viele dieser Cowboytypen arbeiteten auf den Ölfeldern oder bei den Farmern, und eine
Menge von ihnen war in den 30er Jahren aus der Oklahoma Dust
Bowl hierhergekommen. Mann, die liebten Schlägereien geradezu,
und sie waren beinharte Kerle. Wir waren ihnen in vielerlei Hinsicht
wohl ähnlich, nur daß die Bakersfield Okies Trucks fuhren oder auf
Pferden kamen. Wir Angels fuhren unsere Motorräder.
Am liebsten prügelten wir uns in den Bars. Und genau wie die
Hell's Angels riefen auch die Okies nie nach der Polizei, wenn es
richtig heftig zur Sache ging. Wenn Scraggs dort unten in den Bars
musizierte, dann stellten wir immer die ganze Bude auf den Kopf.
Wir mochten Countrymusik gern, und wenn die Randale vorüber
war, dann setzten wir uns alle gemütlich zusammen und soffen, bis
wir total behämmert waren.
Die Okies waren nicht die einzigen, die uns Angels herausforderten. Auch die Bullen glaubten immer, sie könnten uns fertigmachen. Von Anfang an sahen es die Oakland-Bullen als ihre Aufgabe an, den Hell's Angels das Leben schwer zu machen. Das ging
mit Strafzetteln oder anderen lächerlichen Anschuldigungen los.
Wenn Polizisten in Pension gingen oder versetzt wurden, versuchten
ihre Nachfolger - meist Polizeirekruten - erst einmal ihr Mütchen an
uns zu kühlen. In mittlerweile 40 Jahren habe ich drei
Hell's Angel
163
oder vier Generationen Bullen erlebt, die uns allesamt ums Verrecken zur Strecke bringen wollten. Das ist bis jetzt nicht geschehen,
und es wird auch niemals passieren.
In den 50er und 60er Jahren war Oakland ein ziemlich rauhes
Pflaster, eine Arbeiterstadt, die kaum von der Glitzeratmosphäre
von Frisco-by-the-Bay beeinflußt wurde. Damals gab es Bullen in
Oakland wie zum Beispiel Tommy. Wenn er in Zivil erschien und
man nicht gerade besoffen war, dann prügelte man ihn windelweich. Wenn er einen zusammenschlug, dann war man volltrunken
und richtete groben Unfug an und wanderte deshalb für ein paar
Stunden in den Knast. Für 15 oder 20 Dollar Kaution war man
kurze Zeit später wieder auf freiem Fuß.
Es gab einen Bullen der Sittenpolizei namens Bob, der war so ein
typischer Oakland Cop alten Stils. Bei Randale nahm der sein Polizeiabzeichen ab und kämpfte Mann gegen Mann, natürlich »außerdienstlich«. Die Oakland-Bullen verloren auch nicht viele solcher
Kämpfe; das waren ziemlich kräftige Burschen. In den frühen Tagen
der Hell's Angels gab es eine ganze Menge Oakland-Bullen wie
Tommy und Bob. Das waren Männer, die ihre Patrouillengänge
machten und sich in Form hielten. Sie fuhren nicht in klimatisierten
Polizeiwagen herum, aßen Doughnuts und telefonierten mit ihren
Freunden oder Freundinnen wie heute. Einmal kam eine Gruppe
Oakland-Bullen an der Biker-Bar »Frank's Place« vorbei, griff sich
einen Trupp unserer Mitglieder, verprügelte sie erbärmlich und
steckte sie dann in Arrestzellen. Hinterher sagten diese Bullen zu mir:
»So - nun sind wir quitt für vorigen Monat.«
Wir hatten jede Menge Bars und Kneipen als Treffpunkte in der
gesamten Fast Bay. Der Sinner's Club lag ganz in der Nähe des
Hauses, in dem ich in East Oakland aufgewachsen war. Damals
gab es auch noch das El Cribbe, das inzwischen abgebrannt ist. Ein
weiterer Hell's-Angel-Hangout war das Tail's End, und wir gingen
auch immer noch ins Circle Drive-In, wo wir zu unserer
Highschool-Zeit rumgehangen hatten. Ein Durchschnittstyp hätte
sehr wahrscheinlich ein paar an die Backen bekommen, wenn er
zufällig in eine unserer damaligen Kneipen gestolpert wäre. Gelegentlich schlugen wir uns auch mit »Normalbürgern« herum; meistens mit den Säufern unter ihnen. Ich bin vermutlich viel häufiger
164
Ralph »Sonny« Barger
wegen meines Nicht-Trinkens mit Leuten aneinandergeraten als
andere Krach kriegen, weil sie besoffen sind. Das lief meist so ab:
Jemand lud mich zu einem Drink ein; dann sagte ich, okay, ich
nehme eine Cola.
»Ach, Du willst nicht mit mir trinken?«
»Ich trinke keinen Alkohol.«
»Na gut - fuck you!«
Dann ging die Keilerei los, und der Barkeeper trat ein paar
Schritte zurück und sah zu, wie Scheiße und Fäuste flogen.
Wir hatten mal eine Riesenschlägerei in der El Adobe-Bar. Sowas gab es da zwar häufiger, aber diese Prügelei war ganz besonders. Das El Adobe war zu der Zeit praktisch unser Clubhaus. Es
lag ein wenig abseits und hatte einen dreieckigen Parkplatz. Ein
riesenhafter Schwarzer - mehr als zwei Meter lang und einfach
gigantisch mit seinen gewaltigen Armen und Fäusten so groß wie
Schreibmaschinen - kam ins El Adobe, wohl wissend, daß es die
Stammkneipe der Hell's Angels war. Er kippte auf die Schnelle
sieben oder acht Drinks und fing dann an zu prahlen, wie er jeden
Hell's Angel durchprügeln würde, der sich an ihn herantraute. Er
war schon ein knallharter Motherfucker und schwer zu schlagen,
aber er bekam trotzdem seine Ladung ab. Wir brauchten sechs
Leute von uns, um ihn fertigzumachen. Bei so einem Klotz von
Kerl muß man schon verdammt hart zuschlagen, wenn man ihn
umhauen will. Jedenfalls verließ er das El Adobe auf allen vieren
und schwor dabei, noch am selben Abend zurückzukommen und
Rache zu nehmen. Vorsichtshalber postierten wir zwei Leute auf
dem gegenüberliegenden Dach mit AR-15-Gewehren. Aber der
schwarze Riese kam nie wieder.
1962 waren acht oder zehn von uns in La Val's Pizza Parlor,
der genau am Nordende des Campus der Berkeley-Universität
liegt. Da kam eine Gruppe Football-Spieler der University of California nach dem Training dort herein und spielte sich auf wie
sonst was. Sie waren etwa in unserem Alter, aber es waren College-Boys, die sich einbildeten, besonders tough zu sein. Die Bubis
führten sich auf wie verwöhnte Kinder aus reichem Haus, die
dringend eine Lektion brauchten. Einer von ihnen wurde frech
zu LittleJoe.
Hell's Angel
165
20. November 1968 : Eine typische Beisetzungsparade der Heil s Angels m
Napa, Kalifornia, für ein verstorbenes Mitglied, Tex Hill, der bei einem
Autounfall ums Leben gekommen war. Rund 250 Clubmitglieder erwiesen
ihm die letzte Ehre.
Photograph Courtesy of Oakland Tribüne
»Laß dir das nicht gefallen«, sagte ich zu Joe. »Knall ihm doch
einfach eine!«
Little Joe schlug hart und heftig zu, und auf einmal hatten wir die
schönste Massenschlägerei mit dem Cal-Footballteam. Foot166
Ralph »Sonny« Barger
ballspieler sind zwar kräftige Jungs, aber sie bekamen ihre Pakkung von uns. Wir boxten einander quer durch das Lokal, die
Treppen rauf und hinaus ins Freie. Als die Bullen angefahren kamen
und sahen, daß wir Hell's Angels waren, verhafteten sie uns nicht.
Sie schickten vielmehr die Footballkids zurück in ihre Schlafsäle.
Nachdem wir die College-Boys geschlagen hatten, waren wir damit
einverstanden, ebenfalls davongeschickt zu werden. Als wir
aufbrechen wollten, konnte einer von uns sein Bike nicht starten.
Johnny Angel trat immer wieder auf seinen Kickstarter, aber sein
Motor wollte ums Verrecken nicht anspringen. Da wurden die
Bullen ärgerlich und frech. Jeder von uns, dessen Motor lief, habe
sich sofort zu verpissen, hieß es.
Ich erwiderte einem Polizisten, wir würden erst dann wegfahren,
wenn der letzte von uns sein Bike in Gang gebracht hat -nicht eine
Sekunde eher.
Der Berkeley-Bulle wollte nichts davon hören. Wir sollten unverzüglich die Stadt verlassen. Ein Bulle wies auf meine Maschine:
»Deine läuft doch, also hau ab!«
Da stellte ich meinen Motor ab und sagte ihm, der Motor würde
nun wahrscheinlich nicht wieder anspringen.
Wir tauschten harte Worte und böse Blicke. Dann sagte ich zu
den Bullen: »Paßt auf, ihr Arschlöcher, wir fahren weg, wenn mein
Kumpel seinen fucking Motor gestartet hat - und nicht vorher!«
Daraufhin verhafteten sie mich. Die Anschuldigung: Widerstand
gegen die Staatsgewalt und schmutziges Fluchen vor Frauen und
Kindern.
Man brachte mich in das Untersuchungsgefängnis von Berkeley,
aus dem mich meine Freunde gleich wieder gegen Kaution
herausholten. Keine größere Sache. Am nächsten Tag war ein Bericht in den Zeitungen über die Schlägerei zwischen den Hell's
Angels bei La Val's. Wenn ich mich schuldig erklärte, hieß es, würde
ich wohl mit einer Geldstrafe davonkommen. Ich bestand jedoch
auf einer Gerichtsverhandlung und nahm mir einen Anwalt, der
damals noch ein blutiger Anfänger war. Und ich war ein ziemlich
grüner, rebellischer Junge und Angeklagter. Bei der Verhandlung
sagte der Staatsanwalt den Geschworenen, daß ich trotz der
Aufforderung zu verschwinden den Polizisten folgendes geantHell's Angel
167
wortet hätte: »Ich werde erst dann verschwinden, wenn mein fukking Bike anspringt.« Damals war es per Gesetz verboten, solche
Flüche vor Frauen und Kindern zu benutzen. Das Gericht hatte die
Anklage wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt bereits
fallenlassen, aber die Anklage wegen Fluchens stand noch zur Verhandlung, und ich hätte dafür einige Monate Gefängnis bekommen
können. Die Polizei und der Ankläger hatten ihre Beschuldigungen
vorgetragen, verzichteten auf die Anhörung von Zeugen und
verließen sich auf die Aussagen der Polizei. Die Geschworenen
berieten und kamen dann mit einer Frage an den Richter zurück in
den Gerichtssaal. Eine ältere Dame von etwa 70 war die Sprecherin
der Jury.
»Wir haben eine Frage, Euer Ehren.«
»Und welche ist das?«
»Wo sind die Frau und das Kind, vor deren Ohren der Angeklagte angeblich geflucht hat?«
Mein Anwalt begann zu lächeln und flüsterte mir zu: »Jetzt haben
wir's geschafft!«
Eine halbe Stunde später verkündete die Jury ihren Spruch:
Nicht schuldig! Ich war selig; es war mein erster Prozeß und der
erste Konflikt mit dem Gesetz, den ich erfolgreich bestanden hatte.
Die Verhandlung war eine wertvolle Erfahrung und mein erster
juristischer Sieg; ich hatte vor Gericht gewonnen!
Was diese College-Boys des Footballteams von La Val's und die
Staatsanwaltschaft nicht begriffen, war, wie verbissen Hell's Angels kämpfen. Wir kämpfen um unser Leben, und das haben all die
Okies, Muskelmänner, besoffenen Cowboys, Ölfeldarbeiter, andere
Einprozenter und die Polizei niemals geschnallt. Wenn wir neue
Mitglieder in unseren Club aufnehmen, wollen wir ganz genau
wissen, mit wem wir es zu tun haben. Viele andere Clubs mögen
vielleicht jeden aufnehmen, der will, aber wenn es hart auf hart
kommt und man in der Minderheit ist, werden die Typen abhauen,
die in einem Club sind, nur um drin zu sein. Bei der Auswahl neuer
Hell's Angels suchen wir nur Kerle aus, die das bringen, woran wir
glauben: Wir verteidigen uns bis zum letzten, und ein Hell's Angel
darf niemals aufgeben und davonrennen.
Dazu gehören auch Kämpfe unter den eigenen Leuten. Am
168
Ralph »Sonny« Barger
Bass Lake hörten wir, daß einige SoCal-Mitglieder eine nagelneue
Fahne der California Hell's Angels (mit dem neuen Design) aufgehängt und mit einer Pistole darauf geschossen hätten. Ich glaube,
es paßte ihnen nicht, daß wir das alte Design durch ein neues,
größeres ersetzt hatten. Wir fragten ein paar SoCal-Mitglieder, ob
das der Grund war. Sie gaben das zu, meinten aber, es ginge mich
einen Scheißdreck an. Also fragte ich bei Grubby Glen nach, der
eigentlich nichts damit zu tun hatte. Er gab mir keine Antwort.
Nach einer Sekunde flogen die Fäuste, und wir wälzten uns auf dem
Boden.
Einmal gab es einen Kampf zwischen Cisco und Wayne. Da griff
ich ein. Wayne zog ein Messer, als ich ihn schlug, also zog ich auch
meines. Dann packte ich ihn am Genick und warf ihn in den See.
Ich wollte nicht auf ihn einstechen, darum schlug ich ihn mit dem
Messergriff auf den Kopf. Wir fielen beide ins Wasser. Wayne war
bewußtlos. Als ich ihn losließ, wußte ich, daß ich einen schweren
Fehler machte. Ich konnte nämlich nicht schwimmen und wäre
beinahe ertrunken, wenn nicht ein paar Kumpels ins Wasser
gesprungen wären, um mich zu retten. Andy Holley aus der SanFrancisco-Gruppe, der damals ein gebrochenes Bein hatte, holte
mich raus. Darüber machen wir heute noch unsere Witze. Die Frisco
Angels, die immer noch wegen des Streits um das Patch wütend auf
mich waren, wollten Andy rausschmeißen, weil er mich gerettet
hatte. Andy ist zwar nicht mehr im Club, aber er ist immer noch
einer meiner guten Freunde.
Neben den Streitigkeiten um unser Patch hatten die Oakland
Hell's Angels 1961 einen größeren, lang andauernden Krach mit
San Francisco, der zu einem regelrechten, blutigen Krieg wurde.
Die Oakland/Frisco-Kriege sind ein bedeutender Meilenstein in der
Geschichte der Hell's Angels, ein Teil der Entwicklung unseres
Clubs. Es fing alles mit einer Tanzparty der Frisco-Gruppe in einer
Getriebewerkstatt an, die wir Box Shop nannten. French, ein
Frisco-Mitglied, der bei Runs ein Trike fuhr, leitete die Werkstatt
und benutzte sie nachts für Partys und Tanzabende der Hell's Angels.
Ein anderer Motorradclub, The Presidents, war an jenem Abend
auch mit dabei.
Kemp, ein Typ vom Berdoo-Club, war gekommen. Er saß mit
Hell's Angel
169
In dieses Lagerfeuer bei einer Fahrt nach Bass Lake wurde keine Pistolenmunition geworfen.
ein paar Oakland-Leuten zusammen, darunter auch Mouldy Marvin
Gilbert, und sie tranken gemeinsam ihr Bier. Da kam Kemps Old
Lady, die neues Bier geholt hatte, und sagte ihm, ein FriscoMitglied, Howdy Doody, hätte sie an den Hintern gegrabscht.
Kemp ging wütend zu Howdy Doody und fragte ihn, ob er seiner
Old Lady an den Arsch gegangen wäre.
»Yeah«, sagte der zu Kemp. »Und was zum fuck ist dabei?« Kemp
holte aus und schlug Howdy Doody nieder. Daraufhin schoß
jemand auf Kemp. Mouldy Marvin drehte sich um und feuerte auf
Howdy Doody. So fing alles an. Der Präsident von Frisco, Pete
Knell, war an diesem Abend nicht im Box Shop, aber ich war da und
stellte fest, daß die Lage zwischen Frisco und Oakland immer
gespannter wurde.
Papa Ralph aus Frisco ging zu Charlie Magoo und sagte: »Ich
170
Ralph »Sonny« Barger
würde gern wissen, wie stark du eigentlich bist, du Arschloch, laß
uns mal nach draußen gehen.« Sie prügelten sich draußen, und
Charlie Magoo schlug den Motherfucker nach allen Regeln der
Kunst zusammen. Mouldy Marvin legte sich mit einem der Presidents an, und die beiden wurden ebenfalls handgreiflich. Wenn einer
von uns aus Oakland kämpft, greifen natürlich alle anderen aus
unserem Club ein. Also gingen die Oaklands auf die Presidents los.
Danach griffen auch die Frisco Hell's Angels ein, weil sie damals gut
Freund mit den Presidents waren. Kämpften die nun für die Presidents und gegen die Oakland Angels? What the fuck? Mann, das ist
doch die goldene Regel: Wenn ein Hell's Angel gegen einen Normalobürger oder gegen ein Mitglied eines rivalisierenden Clubs
kämpft, eilen alle anderen an seine Seite. Das geschah hier aber
nicht, und damit begann der Krieg zwischen Oakland und Frisco.
Wir kämpften ein ganzes Jahr lang anhaltend und verbissen, und
das war alles andere als schön. Die Hell's Angels aus Oakland und
Frisco machten sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit zur Sau.
Manchmal fuhren wir nach San Francisco, zu ihren Lieblingsplätzen,
fanden sie dort, verprügelten alle nur greifbaren Frisco Angels und
räumten ihre Bars leer. Wer dabei niedergeschlagen wurde, hatte
Pech, er bekam die Stiefelspitzen der anderen zu spüren, und sein
Gesicht wurde zu Brei getreten. Wir machten es mit denen genauso.
Bald ging es nicht mehr nur Oakland gegen Frisco, bald hieß es:
alle nordkalifornischen Gruppen kontra Frisco. Alle waren stinksauer, daß Frisco für einen von außerhalb des Clubs eintrat, und
statt den Schuldigen herauszufinden, stellte sich der gesamte Frisco-Club hinter ihn.
Ich garantierte Pete Knell Schutz und Sicherheit, damit er nach
Oakland kam und wir über diesen »Krieg« sprechen konnten. Pete
kam, und er war gewaltig nervös. Er befand sich schließlich im
Feindesland. Wir trafen uns in einem Coffee Shop, um über die
Regeln dieses Krieges zu debattieren. Über eines wurden wir uns
einig: Keine Pistolen und keine Messer! Ketten, Flaschen, Bretter,
Rohre und Stiefel - der ganze Scheiß war cool. Nicht drin war, daß
man zum Haus eines Typen ging und ihn dort vor den Augen der
Familie - Frau, Kinder, Mutter und Vater - zur Sau machte. Auch
Hell's Angel
171
auf der Arbeitsstelle sollte nichts laufen; ein Mann mußte schließlich
für sich und seine Familie Geld verdienen.
Bei allem anderen hieß es: Paßt auf euch auf! Ob man in einer
Bar oder sonstwo Party feierte, irgendwo in einer Werkstatt war
oder im Park spazierenging und an den Blumen roch ... paßt auf die Kacke ist am Dampfen!
Es gab einen Hamburger-Imbiß, Doggie Diner, wo Zorro, ein
anderes Mitglied und ich aßen, als die Frisco-Jungs vorbeikamen.
Zwei Autos voll, und sie waren auf Krach aus. Als sie uns entdeckten,
fuhren sie um die Ecke, parkten dort und gingen zum Diner
zurück. Ich war gerade gegangen, Zorro und der andere Angel
hatten Pech. Sie wurden übel zugerichtet.
Nach etwa einem Jahr klärten wir den Streit. Bei mir zu Hause in
der 12th Avenue klingelte eines Tages das Telefon. Zwei Frisco
Angels seien in unserer Bar, wurde mir mitgeteilt, in der Star Bar
and Cafe, einem Restaurant mit Taverne, das Skip Workman gehörte. Ich sprang auf meine Maschine und raste zum Star. Richtig:
Da saßen zwei Frisco Angels, die gerade aus dem Knast entlassen
waren, und tranken. Ich ging zu ihnen.
»Was zur Hölle macht ihr hier in unserer Bar?«
»Wir trinken da, wo es uns paßt!«
»Aber nicht in unserer Bar!«
Wir mischten die beiden kräftig auf, aber nach diesem Zwischenfall war der Krieg mit Frisco auf einmal vorbei. Pete Knell,
Junkie George, Puff und Norm Greene - alles Frisco Angels kamen nach Oakland. Zunächst legten wir die Einzelheiten eines
Friedensvertrages fest, dann besoffen wir uns und lachten herzlich
über das Ende des Krieges.
Etwa zur selben Zeit gab es Zoff zwischen Oakland und einem
anderen Motorradclub. Wir schössen oder stachen niemanden
nieder, aber jedesmal, wenn wir ein Mitglied aus dem Club sahen,
verprügelten wir ihn und schnitten ihm seine Patches mit unseren
Jagdmessern ab. Jemand anderem das Patch abzunehmen gilt als
sehr ernsthafter Vorteil im Kampf. Manchmal gab einer vor lauter
Angst sein Patch freiwillig her, in dem Fall schmissen wir es hinterher einfach weg. Damals aber behielten wir meistens die Patches
als Siegestrophäe, doch das führte dann nur dazu, daß Riva172
Ralph »Sonny« Barger
lenclubs unser Clubhaus überfielen, um sich ihre Patches zurückzuholen. Wenn ein anderer Club einen Hell's Angel allein traf,
machte er mit ihm genau dasselbe. Ein Hell's Angel, der sich zwingen
läßt, sein Patch kampflos aufzugeben, wird automatisch aus dem
Club ausgeschlossen.
erster Run nach Porterville war eines der ersten großen,
Unser
halborganisierten Outlaw-Motorradtreffen in Kalifornien.
Damals war ich 25 Jahre alt. Wir entschieden uns für Porterville,
weil die Stadt in der Mitte zwischen den nordkalifornischen und
südkalifornischen Clubs lag. Dort wollten wir uns am Labor-DayWochenende 1963 treffen. Dieser Run festigte den Ruf Oaklands als
starker Arm und laute Stimme für den gesamten Hell's Angels
Motorcycle Club. Das Treffen wurde auch zu einer der ersten großen
Schlachten zwischen HAMC und den LEOs (Law Enforce-ment
Officers - Polizeioffizieren).
Porterville kam auch der Presse sehr gelegen, so konnte sie Sensationsberichte über die »außer Rand und Band geratenen« Motorradclubs schreiben, die »über eine hilflose Stadt herfallen«,
ähnlich wie seinerzeit 1947 in Hollister. Newsweek schrieb über
Porterville am 29. März 1965:
Ein donnernder Schwärm von 200 schwarzgekleideten Motorradfahrern fiel in der kleinen, verschlafenen südkalifornischen
Stadt Porterville ein. Sie randalierten durch die örtlichen Bars,
wozu sie die obszönsten Flüche ausstießen. Sie stoppten Automobile, rissen deren Türen auf und versuchten, weibliche Insassen zu belästigen. Einige ihrer gestiefelten Freundinnen legten
sich mitten auf die Straßen und machten eindeutige
Beckenbewegungen.
Nun waren aber keineswegs nur Hell's Angels an diesem Wochenende in Porterville. Auch andere Clubs waren erschienen, darunter
die Satan's Slaves, Gallopin' Gooses, Comancheros, Stray Satans und
die Cavaliers. Jeder, der in der Motorradwelt einen Namen hatte,
kam nach Porterville.
Richtig verrückt wurde es, als Charlie Magoo in einer der Bars
Hell's Angel
173
von Porterville ein Bier trank und irgendein beschissener Arsch in
der Bar etwas Blödes zu ihm sagte. Magoo knallte ihm eine und
brach ihm dabei das Nasenbein. Wütend über die Blamage ging
der Typ nach Hause, griff sich seine Pistole, ging zurück in die Bar
und zielte auf Magoo.
Kin noch schlimmerer Fehler.
Magoo und die Angels nahmen dem Typen die Kanone weg und
drohten, ihm die Pistole in seinen Arsch zu rammen. Nach
einigem Hin und Her bekam er eine solche Tracht Prügel, daß er
ins nächste Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Zufällig kamen aber auch ein paar Hell's Angels, die auf dem Highway einen
Unfall gehabt hatten, in die Notaufnahme der Klinik. Der verprügelte Typ sah sie und schrie sofort nach der Polizei, weil er glaubte,
die Angels seien hinter ihm her. Die Bullen kamen, und dann
wurde aus dem Ganzen eine sehr häßliche Szene. Nichts ist ausgeflippter als eine Massenschlägerei in einem Krankenhaus.
Mit tortschreitender Stunde feierten wrir alle in Porterville Partys
und hatten Riesenspaß. Motorräder rasten die Straßen der Stadt rauf
und runter. In den Saloons gab es Wet-T-Shirt-Wettbewerbe auf
den Bartresen, und Schnaps (und Drogen) gab es so reichlich wie
Saft und Schokolade auf einem Kindergeburtstag. Es war der
verdammte Himmel auf Erden. Die Hell's Angels veranstalteten
gemeinsam mit den Leuten aus der Stadt und den anderen Bikern ein
wildes, rauschendes Gelage.
Der Polizeichef von Porterville geriet in Panik. Ihm war klar,
daß er und seine Manner in der Unterzahl waren, deshalb alarmierte er die Polizei in drei benachbarten Landkreisen und forderte
Unterstützung an. Es dauerte keine Stunde und mehr als 250
Bullen, Feuerwehrleute und Straßenpolizisten (wahrscheinlich
kamen auch noch etliche neugierige Forstbeamte hinzu) fielen m
Porterville ein. Feuerwehrwagen bespritzten die Hauptstraßen
mit Seifenschaum, so daß es unmöglich wurde, sie mit Motorrädern
zu befahren. Biker, die es trotzdem versuchten, wurden mit
Wasserwerfern von ihren Maschinen heruntergeholt. Als die Feuerwehrwagen auftauchten, stiegen die Kids auf die Dacher der
Häuser und schmissen Backsteine herunter. Wir blieben da, wo
wirklich was los war.
174
Ralph »Sonny« Barger
Die Bullen bauten ihre Fahrzeuge und Feuerwehrwagen in einer
Reihe auf und befahlen allen Motorradfahrern, die Stadt in einund diesselbe Richtung zu verlassen. Wir hatten die Wahl: die Stadt
zu verlassen oder vom Motorrad geholt zu werden. Hunderte
verließen Porterville. Und es war erst ein Tag des Labor-DayWochenendes vorüber.
Die Hell's Angels trafen sich ein paar Kilometer außerhalb der
Stadt vor einer Rollschuhbahn. Verärgert fuhren wir an den Straßenrand, um die Lage zu besprechen. Einer unserer Männer fehlte.
Ein Biker behauptete, er habe gesehen, wie der fehlende Mann von
einem Wasserstrahl getroffen und von seinem Bike heruntergeschossen wurde. Den Galloping. Gooses fehlte ebenfalls ein
Mann. Ein Berdoo-Mitglied und ein Slave-Angehöriger waren verhaftet worden. Das machte zusammen vier Kumpel, die uns fehlten
und die in der Stadt festsaßen. Ich hielt es für meine Aufgabe, etwas
zu tun.
Zum Henker, alles, was wir gemacht hatten, war doch nur, ein
bißchen Spaß zu haben.
Einige der anderen Clubs fanden, sie hätten genug davon. Für
sie war die Party vorbei. Ihnen fehlten keine Leute, also war es für sie
an der Zeit, Porterville zu verlassen. Ich aber war entschlossen, erst
abzufahren, wenn wir alle wieder beieinander waren. Wir mußten
zurück in die Stadt - die Oakland Hell's Angels zusammen mit ein
paar Mitgliedern der Berdoos und der Slaves.
Also drehten wir unsere Bikes um und fuhren gen Süden in
Richtung auf Porterville - mit Rachegedanken im Kopf!
Die Bullen hatten die Hauptbrücke blockiert, und an ihrer Sperre
kamen wir nicht vorbei. Also blockierten wir die andere Seite der
Brücke - wenn die Bullen niemanden in die Stadt hineinlassen wollten,
dann würden wir auch niemanden aus der Stadt herauslassen. Die
Bullen drohten, uns zu verhaften, und wir waren bereit, es auf einen
Kampf mit ihnen ankommen zu lassen. Dann ging es hin und her mit
Flüchen und Beschimpfungen, Pöbeleien und gegenseitigem
Auslachen - wie bei einer Auseinandersetzung in Mexiko.
Dann kam ein Officer von der Highway-Straßenwacht zu uns
herüber. Er hatte so viele Sterne an seinem Uniformkragen, wie
ich noch nie an einem Bullen gesehen hatte. Er wollte mit mir,
Hell's Angel
175
i
Sonny Barger, sprechen. Wieso ausgerechnet mit mir? Ich war wütend, aber beherrscht und sagte dem Officer, daß die Polizei von
Porterville noch immer vier von unseren Leuten festhalten würde.
Wir wollten sie zurückhaben, sonst nichts. Mein Vorschlag lautete:
Ich würde 25 Dollar Kaution für unsere Kumpel stellen, das Geld
natürlich verlieren, aber dafür so schnell wie möglich verschwinden.
»Komm in den Wagen, Sonny«, erwiderte er, »wir müssen das
miteinander besprechen.«
Nach dem Gespräch fuhren ein Berdoo Angel, einer von den
Slaves und ich mit dem Polizeiwagen nach Porterville, um mit dem
Polizeichef der Stadt zu verhandeln. Wir erklärten ihm unseren
Standpunkt, und ich bot ihm 25 Dollar Kaution für alle vier
Kumpel an. Der Polizeiboss sagte, er hätte eher mit 50 000 Dollar
Kaution gerechnet. Da wurde ich sauwütend.
»Bringt mich in Teufels Namen hier raus!« brüllte ich und rannte
aus der Tür.
Der Highway-Polizeichef mit den vielen Sternen wollte aber
unbedingt eine friedliche Lösung des Problems. Ich erinnerte ihn an
mein Angebot von 25 Dollar. Er zog sich für eine Weile zurück und
sprach mit den anderen Bullen. Dann kam er wieder und fragte mich:
»Wie war's mit 50 Dollar?«
Okay, einverstanden.
Wir ließen einen Hut die Runde machen, bezahlten die Kaution
für die vier Kumpel und fuhren aus der Stadt heraus zu der
Rollschuhbahn, wo die anderen auf uns warteten. Wir waren ganz
zufrieden mit dem, was wir erreicht hatten. Inzwischen war die
Sonne schon aufgegangen, und alle machten sich für die Rückfahrt
bereit. Wie üblich warteten überall schon wieder die Bullen auf
uns, sie winkten uns an den Straßenrand und verpaßten uns
Strafzettel - für zu hohe Lenker, Auspuffmanipulationen und lauter
solch kleinen Scheiß. Wenn sie damit fertig waren und wir
weiterfuhren, wiederholte sich dieser Quatsch ein paar Kilometer
weiter. Immer mehr Bullen tauchten auf und stoppten uns.
Inzwischen waren an die 250 Bullen in der Gegend, und sie alle
spielten ihre dämlichen Spielchen mit uns. Die Lage spitzte sich
176
Ralph »Sonny« Barger
erneut zu. Ich stoppte mein Bike in der Nähe einer Stelle, an der
diese Polizei-Idioten schon wieder Strafzettel an unsere Leute
verteilten.
Ich stellte mich auf den Sattel meiner Maschine und verkündete
allen in Hörweite:
»Die Oakland Hell's Angels fahren nach Norden. Jeder, der mit
uns kommen will, kann sich uns anschließen, aber wenn wir hier
losfahren, werden wir nicht noch einmal wegen eines fucking Tikkets anhalten. Wenn man uns stoppen will, werden wir kämpfen!
Jeder, der nicht kämpfen will, kann ja hierbleiben.«
Wir fuhren langsam in Gruppenformation los, aber wir ließen
unsere Motoren den ganzen Weg nach Norden donnern. Es war
ohrenbetäubend. Wenn die Bullen uns jetzt noch einmal anhalten
wollten, müßten sie massive Straßensperren errichten oder uns von
unseren Motorrädern schmeißen. In der Rückschau auf diesen Moment glaube ich, daß die Oakland Hell's Angels von dem Augenblick an, als ich auf meinem Bike stand, eine Macht wurden, mit
der gerechnet werden mußte. Wir ließen uns nichts mehr gefallen.
Die Oakland-Gruppe hatte eine Führungsposition innerhalb aller
Hell's Angels Clubs übernommen. Und ich verstand in dem Moment: Wenn man sich gegen die Bullen auflehnt, dann wird denen
auch klar, daß es sich nicht lohnt, sich mit uns herumzuschlagen.
1965 saßen Elsie und ich eines Abends zu Hause, als
ImichDezember
einen Telefonanruf von der Freundin eines Clubmitglieds
bekam. Sie klang ein wenig angetrunken und durcheinander und rief
aus einer Bar in Oakland an. Ein Hell's Angel sei in der Bar,
flüsterte sie, und allem Anschein nach sei er kurz davor, in einen
Krawall verwickelt zu werden. Ich ließ mir den Namen der Bar
geben, schnappte mir meine 25er Automatik-Pistole und fuhr
dorthin. Es war Freitag abend und es sah danach aus, daß ganz
Oakland im Begriff war, sich vollaufen zu lassen und Randale zu
machen. In der Bar saß ein Mann, dem die Chrom-Werkstatt gegenüber gehörte und der fünf oder sechs seiner Angestellten bei
sich hatte. Der Kerl kloppte unverschämt freche Sprüche, und der
Angel gab ihm kräftig Kontra. Die Atmosphäre war gespannt,
gleich würde es zum Krawall kommen.
Hell's Angel
177
Als ich den 400 Club betrat, konnte ich es sofort riechen, wer
hier das Arschloch war. Der Typ machte sich vor seinen Leuten
wichtig und spielte den wilden Mann.
Ich zog den Angel beiseite und sagte nur: »Komm, laß uns hier
schnell die Fliege machen!«
Aber dann wurde der Chrom-Shop-Mann frech zu mir. Ich
drehte mich um, schnappte ihn mir und schob ihm den Lauf meiner
Pistole in den Mund,
»Hör zu, du Motherfucker, setz dich lieber wieder hin und halt
die Fresse, bevor du richtig was abkriegst.«
Das tat er dann auch. Zusammen mit meinem Kumpel und seiner
Freundin, die mich angerufen hatte, marschierte ich aus dem 400
Club. Draußen fiel ihr ein, daß sie ihre Handtasche drinnen
vergessen hatte, und sie ging zurück. Wir warteten eine Weile bei
unseren Maschinen, und als sie nicht zurückkam, ging ich in die
Bar. Jetzt hatte der Chrom-Shop-Typ sie am Wickel. Da riß mir der
Geduldsfaden. Ich schlug ihn mit dem Pistolengriff auf den Kopf,
wobei sich ein Schuß löste und ihn in den Kopf traf. Dieser Schuß
war wirklich nicht eingeplant, aber wo er nun schon mal angeschossen war, warf ich ihn auf den Billardtisch und schoß noch
einmal auf ihn. Dann drehte ich mich um und verließ die Kneipe.
Später erfuhr ich, daß der Barkeeper mich kannte und bei der
Polizei angeschwärzt hatte. Ich dachte, der Typ sei tot, aber am
nächsten Tag las ich in der Zeitung, daß er die Schüsse überlebt
hatte. Die Kugeln aus der 25er Pistole sind recht klein; der Mann
hatte nur vorübergehend das Augenlicht verloren. Die Bullen
wußten zwar, wo ich wohnte, aber sie kamen nicht, daher dachte
ich, alles sei cool. Nach einer Woche war ich noch immer nicht
verhaftet worden.
Kurz darauf bekam ich wieder einen Notruf. Terry the Tramp
war im Sinner's Club in einen Streit geraten und tobte dort wie ein
Besessener. Die Leute, mit denen er sich anlegte, wohnten neben
der Bar.
Die Barkeeperin aus dem Sinner's Club rief bei mir an, weil Terry
draußen auf der Straße stand und versuchte, die Leute aus ihrem
Haus zu holen. Ich fuhr zu der Bar und sah Terry vor dem Haus
stehen.
178
Ralph »Sonny« Barger
»Hey, laß uns einfach die Tür eintreten und reingehen!« Und
genau das taten wir dann auch.
Nachdem wir die Haustür eingetreten hatten und überall Glassplitter lagen, gingen wir in das Haus und verdroschen die Leute,
auf die Terry es abgesehen hatte. Blut, Tränen und Schweiß flössen in
Strömen.
Natürlich kam die Polizei angerast und verhaftete uns beide. Ein
Kriminalbeamter drohte, mir den Arm zu brechen, und warnte mich
davor, seine Zeugen einzuschüchtern.
Als ich am nächsten Tag gegen Kaution entlassen wurde, fuhr
ich anschließend mit meiner Maschine allein auf dem MacArthur
Freeway. Ich nahm die Ausfahrt High Street, sah mich dabei um
und stellte fest, daß eine ganze Gruppe von Bullen mir folgte. Außerdem war die High-Street-Ausfahrt von Bullen blockiert, die mit
gezückten Pistolen auf mich warteten. Sie wollten mich dort
schnappen und hatten einen Haftbefehl wegen versuchten Mordes
gegen mich.
»Fuck you, ihr Arschlöcher!« rief ich in der Annahme, es gehe
um die Sache mit Tramp. »Ich bin gestern gegen Kaution auf freien
Fuß gekommen!«
Ich zog meine Kautionsbescheinigung hervor, aber plötzlich
wurde mir klar, daß es gar nicht um die Sache mit Tramp ging,
sondern um die Schießerei am Billardtisch. Die Polizei hatte den
Zeugen mein Foto gezeigt, und sie hatten mich wiedererkannt. Nun
hatte ich eine Anklage wegen Mordversuchs und unerlaubten
Waffenbesitzes als Vorbestrafter am Hals. Die Geschichte mit der
Vorstrafe rührte noch von einem Urteil wegen Marihuanabesitzes
aus dem Jahr 1963 her.
Bei dem Gerichtsverfahren gegen mich wurde die Klage wegen
Waffenbesitzes fallengelassen, aber die wegen des Überfalls mit
einer tödlichen Waffe aufrechterhalten. Der Staatsanwalt und ich
handelten einen Vergleich aus, nachdem die Geschworenen zu
keinem Schuldspruch gekommen waren.
B
ei wahrscheinlich mehr als einer Million Meilen auf den
Straßen war ich bis 1993 verhältnismäßig unfallfrei gefahren.
Eines Tages kamen wir von einem USA-Run zurück nach Mis-
Hell's Angel
179
souri und fuhren in Richtung Sturgis, South Dakota, wo eine »Big
Show« geplant war. Wir hielten in einer kleinen Stadt, um dort zu
übernachten und am anderen Morgen weiter nach Sturgis zu
fahren. Aber an der Maschine von Johnny Angel ging die
Lichtmaschine kaputt, deshalb wollten Johnny, Michael Antho-ny
und ich frühmorgens zu einer Harley-Werkstatt nach Pierce,
South Dakota, fahren, um Ersatzteile zu kaufen und Johnnys
Motorrad zu reparieren. Wir reparieren unsere Maschinen immer
selbst.
Um acht Uhr am nächsten Morgen fuhren wir drei zu einer
Highway-Kreuzung, von der aus man nach Pierce weiterkommt.
Wir unterbrachen an Johnnys Maschine den Kontakt zum Scheinwerfer, so daß er mit dem Strom aus der Batterie und ohne die
Lichtmaschine fahren konnte. Mit der Reparatur von Johnnys
Bike hatten wir bis zum Sonnenuntergang Zeit. Ich fuhr bis zur
Kreuzung vor und hielt an einem Stopschild an. Alles frei. Als ich
nach links abbog, kam eine Frau in einem Pickup-Truck mit einem
Affentempo über eine Anhöhe auf mich zu. Sie fuhr gegen die
blendende Sonne etwa 110 km/h. Ich sah sie heranrasen und dachte:
Ooh, Scheiße! Schnell versuchte ich, ihr noch auszuweichen, da
trat sie auf die Bremse und rutschte voll auf mich und meine
Maschine.
Meine Satteltasche war proppenvoll gepackt und fing den Aufprall etwas ab. Ihre Stoßstange verfehlte zwar mein Bein, aber der
Zusammenstoß wirbelte mich herum. Der Truck traf mein Motorrad
unten, und deshalb knallte es mich nicht auf die Straße, sondern
schleuderte mich hoch in die Luft. Als ich auf das Straßenpflaster
fiel, rutschte der Truck von der Straße und knallte gegen einen
Pfosten. Totalschaden.
Der Chef ist tot, dachten Johnny und Michael, als sie zu mir
gerannt kamen. Aber nachdem ich auf die Straße geflogen war,
hatte ich mich wieder aufgerappelt und meine Maschine von der
Straße geschoben. Die beiden trauten ihren Augen nicht: Ich hatte
nur eine Hautabschürfung am Arm. Auf den Foto im Polizeibericht konnte man die Rutschspur meiner Maschine sehen - fast 50
Meter!
Die Fahrerin war zu Tode erschrocken, als Michael Anthony
180
Ralph »Sonny« Barger
ihr sagte: »Lady, Sie haben soeben beinahe einen Führer der Hell's
Angels getötet!«
Nach dem Unfall schafften wir es noch bis Pierce. Ich verpflasterte alle betroffenen Plastikteile an meiner Maschine mit Tape
und fuhr mit ihr sogar noch zurück bis nach Kalifornien. Nach einer
Weile bat mich die Truckfahrerin in einem Schreiben, ob ich ihr ein
Hell's-Angel-T-Shirt aus meiner Werkstatt schicken könnte, das sie
gern ihrem Bruder schenken würde, der auch eine Harley fuhr.
Natürlich schickte ich ihr eines. Es gibt nicht viele Leute, die einen
Hell's Angel überfahren und lange genug leben, um davon zu
erzählen. Nun hatte sie das T-Shirt, um zu beweisen, daß sie eine
der wenigen war, die das lebendig überstanden haben.
mit der Polizei und der Medienkrieg gegen
DieunsZusammenstöße
- die Vergewaltigungen in Monterey, die Demonstration
gegen das Vietnam Day Committee und der schlimme Run nach
Porterville — führten zu einer Haßliebe zwischen uns und der
»normalen« Welt. Wir hatten uns mit der Zeit an die Tatsache
gewöhnt, daß überall, wo wir hinkamen, Krawall drohte. Doch ich
war in keiner Weise auf das Chaos und den Wahnsinn vorbereitet,
die sich bei dem Gratiskonzert der Rolling Stones am Altamont
Raceway abspielten.
Macht's Spaß? Hell's Angels Prospects mit Billardstöcken bewaffnet beim
Konzert der Rolling Stones am Altamont Raceway.
Michael Ochs Achives, California
LET IT BLEED DIE STONES UND WIR
G
egen Ende November 1969 setzten sich die Rolling Stones in
den Kopf, in der Nähe von San Francisco ein Konzert zu
geben. Damals hieß es, sie wollten ihr eigenes Woodstock
haben, aber im Mick-Jagger-Stil. Aus diesem Grund planten sie ein
gigantisches eintrittsfreies Konzert zum Abschluß ihrer amerikanischen Let it Bleed-Tour.
Der Rolling-Stones-Vertreter Sam Cutler, ein San-FranciscoHippie namens Emmett Grogan und Rock Scully von den Grateful
Dead traten an die Parkverwaltung von San Francisco heran, um
die Erlaubnis für ein Konzert im Golden Gate Park zu bekommen.
Als Reporter der Los Angeles Free Press und des San Francisco
Chronicle davon erfuhren und das Vorhaben pu-blik machten,
drehte die Bevölkerung der Stadt durch. Eine Alternative wäre das
Fillmore gewesen, aber diese Idee wurde fallengelassen, weil das
Fillmore zu klein war und der Plan mit dem Golden Gate Park
inzwischen an Zustimmung gewonnen hatte. Das Problem am
Golden Gate Park war die Sicherheit. Da kam Grogan auf den
Gedanken, die Hell's Angels als Ordner zu verpflichten.
»Wir werden die Rolling Stones von 100 Hell's Angels auf ihren
Maschinen in den Golden Gate Park eskortieren lassen«, schlug
Grogan vor. »Niemand wird den Hell's Angels zu nahe kommen.
Das traut sich einfach niemand.«
So kam offenbar eine Vereinbarung zwischen den Leuten von
den Stones und den Angels von San Francisco zustande. Für Bier
Hell's Angel
183
im Gegenwert von 500 Dollar versprach Pete Knell, der Vorsitzende
der Frisco Angels, mit seinem Ehrenwort absolute Sicherheit für
die Stones. Pete war ein Frisco Angel von hohem Ansehen. Wir
respektierten einander sogar während des Krieges zwischen Oakland
und San Francisco. In den späten 60er Jahren hatten die beiden
Gruppen ihren Zwist längst beigelegt und alles zwischen ihnen war
cool.
monatlichen Hell's Angels OM (Officers Meeting = VorBeim
standstreffen) platzte Knell mit der Nachricht heraus: Ein
großes, eintrittsfreies Rolling-Stones-Konzert würde stattfinden
statt, und alle Hell's-Angels-Gruppen aus der Nachbarschaft waren
dazu eingeladen. Die Vereinbarung war ganz einfach: Wir sollten
zusammen mit den Frisco Angels auf der Bühne sitzen, auf die
Massen der Fans aufpassen und dazu Freibier trinken. Die Stones
merkten bald, daß die kalifornischen Hell's Angels sich ziemlich
von ihren damaligen Clubgenossen in England unterschieden. Der
Stones-Gitarrist Mick Taylor meinte: »Die Typen hier in Kalifornien
sind die echten Angels. Die sind sehr gewalttätig.«
Der Plan, die Stones im Golden Gate Park spielen zu lassen,
wurde bald wieder fallengelassen. Der Park war nicht groß genug
für die erwarteten Menschenmassen. Daher verweigerte die Parkverwaltung von San Francisco schließlich die Erlaubnis.
Als nächstes wurde der Sears Point Raceway, nördlich von San
Francisco in Sonoma County, ausgesucht. Dort war genug Platz
für die Fan-Massen. Aber als die Verwaltungsbeamten des
Landkreises auch hier ihre Zustimmung verweigerten, wurde der
bereits begonnene Bühnenaufbau gestoppt und die Verhandlungen
zwischen den Rolling Stones und »Filmways«, den Eigentümern
des Sears Point Raceway, abgebrochen. Filmways waren auch die
Eigentümer von Concert Associates, die die Stones Konzerte in
Los Angeles promoteten, und als die Stones sich weigerten, dort
noch ein Extra-Konzert zu geben, flog auch der Plan mit dem
Sears Point Raceway auf. Filmways hatte angeblich eine
Haftpflichtversicherung, 100000 Dollar Miete für den Platz plus
einen Anteil an den Einkünften, die bei der Verfilmung des
Konzerts herauskämen, gefordert. Diese Forderun184
Ralph »Sonny« Barger
gen gefielen niemandem. Die örtlichen Rundfunksender, die TVNachrichten und die Lokalpresse, die das Konzert schon lauthals
angekündigt hatten, standen plötzlich mit leeren Händen da.
Dick Carter hatte Drag-Rennen auf seinem AltaEinmontgewisser
Raceway im Livermore Valley veranstaltet; genau zwischen den beiden Kleinstädten Tracy und Livermore und etwa 50
Kilometer von Oakland entfernt. Carter bekam von einem Studenten der Stanford University den Tip, auf seinem Gelände auch
Rockkonzerte zu veranstalten. Und er griff zu. Durch den Anwalt
Melvin Belli aus San Francisco setzte Carter sich mit Sam Cutler
und den Stones in Verbindung und bot sein Gelände für das Konzert
an, nachdem die Verhandlungen mit Sears Point schiefgegangen
waren. Innerhalb von zwei Tagen stand die Sache. Das Gratiskonzert
der Stones fand in Altamont statt.
Die Frisco-Mitglieder und einige Angels aus Clubs der Bay
Area fuhren am Samstag morgen, den 5. Dezember, in einem
gelben Schulbus der Frisco-Gruppe nach Altamont. Andere kamen noch früher auf ihren Bikes dorthin. Der Schulbus hielt etwa
100 Meter vor der Bühne, die von den Roadies der Stones in der
Nacht aufgebaut worden war. Zusätzlich zu den Hell's Angels
schickte die Stones-Organisation noch sechs New Yorker
Security-Ordner, die Golfjacken und sehr kurze Haare trugen. Als
Mick Jagger nachts herauskam, um zu sehen, wie Chip Monk (der
auch die Woodstock-Bühnen im Sommer aufgebaut hatte) die
Bühne fertigstellte, war hinterher auf einmal der Benzintank seiner
Limousine leer.
sammelten sich schon auf den Kuhweiden
DievonMenschenmengen
Altamont, als wir noch bei unserem Vorstandstreffen in
Oakland miteinander verhandelten. Ich fuhr nach Hause, um
Sharon abzuholen und dann am Nachmittag auf dem Speed-way
nach Altamont zu kommen. Als wir an Hayward und Livermore
vorbeikamen, waren bereits Zehntausende auf dem Weg zu dem
Konzert. Es gab nirgendwo Parkplätze, und der Freeway war
weitgehend noch eine Baustelle. Viele Fans stellen ihre Wagen einHell's Angel
185
fach auf den Landstraßen in der Nähe der Speedway-Ausfahrten
ab. Von dort kamen sie entweder als Anhalter oder zu Fuß nach
Altamont. Volkswagen-Busse voller Kids nahmen immer wieder
Gestrandete vom Rand des Freeways mit.
Um Verkehrsstaus zu umgehen, nahmen wir eine Abkürzung,
die wir schon lange kannten. Ich signalisierte den übrigen von
unseren Motorradfahrern, durch die Berge zu fahren, an der
Hauptstraße vorbei zum Raceway und am besten von den Hügeln
über Altamont runter auf das Gelände zu fahren. An dem Abend
war ich verhältnismäßig »clean«, sprich, ich hatte keine stärkeren
Drogen genommen. Sharon und ich genossen den Run nach
Altamont. Als wir dort eintrafen, war das Konzert schon seit
einigen Stunden in Gange, und als wir in das Tal hineinfuhren,
sahen wir zahllose Kids an zwei oder drei Berghängen auf
Wolldecken und Schlafsäcken sitzen. Sofort mußte ich darüber
nachdenken, wie man in das überfüllte Gelände hinein- und wieder
herauskommen könnte. Irgend jemand bot Sharon und mir einen
Krug Wein an. \Vir hatten Glück, daß der Wein nicht mit Drogen
gemischt wrar.
wir ankamen, hatte es auf der Bühne schon eine handBevor
greifliche Auseinandersetzung zwischen Marty Baiin von Jefterson Airplane und einem Hell's Angel namens Animal gegeben.
E.ine Gruppe Hell's Angels hatte sich einen schwarzen Jungen geschnappt. Als Baiin dazwischenging und zu Animal sagte »Fuck
you!«, schlug Animal ihn einfach nieder - und das mitten während des Konzerts von Jefferson Airplane. Als der Airplane-Manager Bill Thompson Animal zur Seite nahm und ihn fragte, warum
er den Sänger seiner Band ausgeknockt habe, erhielt er die
Anwort: »Weil er respektlos mit einem Angel gesprochen hat.«
Paul Kantner, ein anderes Bandmitglied von Airplane, gab den
Zuhörern bekannt, daß ein Hell's Angel gerade seinen Sänger zu
Boden geschlagen habe. Darauf gab es keine Reaktionen im Publikum.
Als Sharon und ich zusammen mit einigen anderen Bikern an
die Stelle auf der Talsenke kamen, wo die Buhne stand, parkten
wir unsere Motorräder einen Meter vor dem Bühnenrand. DaRalph »Sonny« Barger
durch entstand da eine Art Pufferzone. Mir fiel sofort auf, wie
niedrig die Bühne war - kaum einen Meter hoch! Als wir parkten,
spielten gerade Gram Parsons and the Flying Burrito Brothers,
danach kamen Crosby, Stills, Nash & Young. Als einige Leute aus
der Menge anfingen, uns anzupöbeln, trat Crosby für uns ein. Wir
hätten die Aufgabe, bei all dem organisierten Chaos einigermaßen
für Ordnung zu sorgen.
der Nacht vor dem Konzert hatte Keith Richards einen Zaun
Inbegutachtet,
der von übereifrigen, zu früh gekommenen Fans
niedergerissen worden war, und hatte dabei die ominösen Worte
gesprochen: »Aha - die erste Gewalttat!« Als später am Nachmittag
ein Hubschrauber die Rolling Stones einflog, war jemand auf
Jagger losgegangen, hatte geschrien »Ich bring dich um, ich hasse
dich!« und auf ihn eingeschlagen. Jagger, an Kinn und Ego verletzt,
war davongerannt und hatte sich in einem Trailer neben der Bühne
versteckt.
Terry the Tramp, einer der leitenden Hell's Angels, und ich
wurden zum Backstage-Bereich eskortiert und mit den Rolling
Stones bekannt gemacht. Sie kamen in ihren affigen Klamotten und
mit Make-up in den Gesichtern aus ihrem Trailer, wir schüttelten
einander die Hände, und dann verschwanden sie wieder im
Wohnwagen. Sie wirkten auf mich wie kleine Kinder, die zurück
ins Haus rennen, um sich zu verstecken oder was auch immer.
Keiner von ihnen sagte ein einziges Wort zu uns.
Nachdem alle Bands ihr Vorprogramm absolviert hatten, war es
Zeit für den Auftritt der Stones. Die Sonne schien noch, und es war
noch hell genug. Die Massen von Fans hatten den ganzen Tag
daraufgewartet, die Stones auf der Bühne zu sehen, aber die Herrschaften saßen noch immer in ihrem Trailer und benahmen sich
wie die Primadonnen. Die Menge wurde langsam ärgerlich; im
übrigen becherten sie während des Wartens heftig und warfen
Drogen ein. Langsam wurde es dunkel.
Selbst nach Sonnenuntergang kamen die Stones noch nicht auf
die Bühne. Mick Jagger und seine Band schienen es darauf anzulegen, daß die Menge immer erregter und durchgedrehter wurde. Ich
glaube, sie wollten um ihr Herauskommen angebettelt werHell's Angel
187
den. Dann wurden endlich ihre Instrumente aufgestellt. Aber
selbst danach dauerte es noch eine volle Stunde, bevor sich die
Stones herabließen aufzutreten. Inzwischen blies ein kalter Wind
durch das Tal.
Niemand von der Stones-Organisation gab mir irgendwelche
Instruktionen. Also saßen wir nur herum, tranken Bier und sahen
zu, wie die Masse immer verrückter spielte. Nun war es völlig
dunkel. Die Stones forderten mich und die Hell's Angels auf, sie
auf die Bühne zu eskortieren. Ich weigerte mich, weil es mich ärgerte, daß sie nicht schon früher herausgekommen waren. Mir war
die Vorstellung zuwider, daß die Hell's Angels die Leibwächter
für einen Haufen eingebildeter, hochmütiger Primadonnen spielen
sollten. Als sie dann endlich auf der Bühne erschienen, mißfiel mir
auch, wie sie sich aufführten. Sie hatten tatsächlich erreicht, was
sie gewollt hatten: Die Fans waren stocksauer, und der Wahnsinn
begann auszuarten.
Egotrip der Stones war zu unserem Problem geworden. Die
Derallerschlimmsten,
mit Drogen vollgepumpten Typen in der
Menge waren die, die als allererste nach Altamont gekommen
waren - die sogenannten Freitagnacht-Kampierer -, einen Tag vor
dem Konzert, um die besten Plätze zu ergattern. Sie hatten
stundenlang in der Sonne vor der Bühne herumgesessen. Als wir
auf unseren Maschinen ankamen, wollten sie nicht von den
Plätzen rücken, die sie sich reserviert hatten. Aber... es blieb ihnen
nichts anderes übrig. Dafür sorgten wir schon. Wir schoben diese
Leute etwa zwölf Meter zurück. Als die Stones dann auf der
Bühne erschienen, schoben und drückten sich diese Leute wieder
in den Bereich vor, wo hinter Absperrungen jetzt unsere Bikes
standen. Viele von ihnen versuchten, auf die Bühne zu springen.
Wir reagierten, indem wir sie von der Bühne zurückstießen.
Außerdem fingen sie an, an unseren Motorrädern herumzufummeln.
Julio, ein Frisco Hell's Angel, hatte sein Bike neben meinem
abgestellt. Die Batterie an Julios Bike war neben dem Öltank, so
daß die Metallfedern seines Sattels genau über dem Tank zu beiden
Seiten der Batterie befestigt waren. Irgendein Fan hatte sich
188
Ralph »Sonny« Barger
auf den Sattel der Maschine gekniet. Sein Gewicht drückte die
Stahlfedern gegen die Batteriekontakte und verursachte einen
Kurzschluß. Ich sah, daß Qualm aus der Batterie kam, und schrie
ihn an, er solle sich von Julios Bike wegscheren. Doch er
kümmerte sich einen Dreck um das, was ich ihm zurief, deshalb
sprang ich von der Bühne und stieß ihn von dem Motorrad. Einige
Hell's Angels waren mit mir zusammen von der Bühne gesprungen und drängten sich nun in die Menge. Sie wußten zwar
nicht, was ich vorhatte, aber sie wollten die Fans wegschieben, um
Platz für mich zu schaffen, damit ich das brennende Motorrad
löschen konnte. Dieser Zwischenfall führte zu einer noch größeren
Spannung zwischen den Hell's Angels und dem Publikum.
Während wir die Bühne absicherten, fingen einige Fans, die von
uns gestoßen und weggeschoben worden waren, damit an, voller
Wut mit Flaschen nach uns zu werfen. Außerdem machten sie sich
nun wirklich in böser Absicht an unseren Motorrädern zu
schaffen. Das hätten sie nicht tun sollen. Denn jetzt langten wir
voll in die Menge, griffen uns die Arschlöcher, die unsere Bikes
kaputtmachen wollten, und prügelten sie windelweich.
die Situation nun völlig außer Kontrolle geraten war,
Nachdem
quatschten die Stones diese Hippie-Scheiße von »Brüdern und
Schwestern«. Jeder, der die Bühne zu stürmen versuchte, wurde von
uns heruntergeschmissen. Ein großes, fettes Mädchen versuchte auf
die Bühne zu kommen. Sie war barbusig und wahrscheinlich
vollgepumpt mit Drogen. Ein paar Angels wollten sie stoppen und
von der Bühne drängen, ohne ihr wehzutun. Da beugte sich Keith
Richards zu mir und meinte: »Mann, es braucht doch sicher keine
drei oder vier großen, starken Angels, um diesen schrägen Vogel
von der Bühne zu kriegen!« Da ging ich einfach zum Bühnenrand
und trat ihr gegen den Kopf.
»Na, wie gefällt dir das?« fragte ich ihn danach.
Nachdem die Band »Love in Vain« gespielt hatte, kam Richards
zu mir und erklärte, die Band würde nicht weiterspielen, wenn
wir diese Gewalttätigkeiten nicht sofort beendeten. »Entweder
diese Katzen werden cool, Mann, oder wir hören auf!« rief er der
Hell's Angel
189
Mick Jagger (links) und Keith Richards spürten die Hitze der Atmosphäre auf
der überfüllten Altamont-Bühne im Dezember 1969.
Robert Altman/Michael Ochs Archives, Venice, California
Menge durchs Mikro zu. Ich stand neben ihm, drückte ihm den Lauf
meiner Pistole zwischen die Rippen und zischte, er solle seine
Gitarre spielen, ansonsten würde ich abdrücken.
Danach spielte er wie ein Motherfucker.
Ich habe nicht gesehen, wie Meredith Hunter erstochen wurde,
aber ich erinnere mich genau an ihn. Hunter trug einen grellgrünen
Anzug und fiel richtig auf in der Menge. Als er auf die Bühne
stürmte und dabei einen großen schwarzen Revolver zückte, ging
alles rasend schnell. Jagger sang gerade »Under My Thumb«, als
sich die Hell's Angels unerschrocken auf den Revolverhelden
stürzten. Während wir von der Bühne sprangen, hörte ich, wie sich
ein Schuß aus dem Revolver löste. Alles, woran ich mich erin190
Ralph »Sonny« Barger
nern kann, ist, daß Hunter auf der Bühne stand und niedergeschlagen wurde; dann blitzte ein Revolver auf und ein Schuß
ging los. Danach wurde auf Hunter eingestochen. Er war in der
Nähe der Bühne, als wir ihn stoppten. Als ich bei Hunter ankam,
war er bereits erstochen. Wir trugen ihn zu den Sanitätern hinüber.
Meredith Hunter hatte auf einen Hell's Angel geschossen. Weil
dieser Angel damals von der Polizei gesucht wurde, konnten wir
ihn nicht zu einem Arzt oder in die Notaufnahme einer Klinik
bringen. Außerdem war es sowieso nur eine Fleischwunde.
Hinterher war ich völlig durcheinander wegen all der Sachen,
die sich bei dem Konzert abgespielt hatten. Ein weiterer Tag im
Leben eines Hell's Angels. Es war ein Glück, daß nicht noch mehr
Menschen oder gar die Rolling Stones von Hunter angeschossen
oder getötet worden waren. Aber ich fand, die Hell's Angels hatten
ihre Aufgabe erfüllt.
Die Presse schrieb, Hunter hätte einen »Schock und zahlreiche
blutende Wunden im Rücken, an der linken Seite seiner Stirn und an
der rechten Seite seines Nackens« gehabt. Selbst wenn er auf der
Türschwelle einer Klinik oder eines Arztes gelegen hätte, wäre er
an seinen Verletzungen gestorben.
Die Hell's Angels blieben in Altamont, bis alles vorbei war.
Eine Zeitlang mischten wir uns unter die Fans, tranken Wein und
rauchten Marihuana wie die meisten. Die Stones-Tour Let it Bleed
war wahrhaftig blutig zu Ende gegangen.
Egal, was die Leute erzählen: Meiner Meinung nach waren die
Stones selbst schuld an dieser Scheiß-Szene. Sie hatten die Fans in
Rage gebracht, die Bühne war viel zu niedrig, und dann hatten sie
auch noch uns benutzt, um die Volksseele am Kochen zu halten.
Sie hatten bekommen, Was sie schon immer gewollt hatten - ein
düsteres, gefährliches Umfeld, um »Sympathy for the Devil« zu
spielen.
Schwer zu sagen, was wir hätten tun können, um die Lage zu
beruhigen, falls wir darum gebeten worden wären, aber wir waren
von vornherein in einer Scheiß-Position. Wenn ich gewußt hätte,
wie jämmerlich die Sicherheitsvorkehrungen waren und wozu die
Hell's Angel
191
Hell's Angels dann auch noch herhalten mußten, hätte ich der
ganzen Sache niemals zugestimmt. Wir hätten das Ganze völlig
anders aufgezogen und eine viel professionellere Rolle als Sicherheitskräfte übernommen.
Wir sprachen noch jahrelang über das Altamont-Abenteuer.
Ich finde, daß die Stones eine gute Band sind, und ich weiß, wie
beliebt sie sind. Aber nur, weil jemand gut singen kann, heißt das
noch lange nicht, daß er sich vor all seinen Fans wie ein Riesenarschloch benehmen darf - aber das war genau das, was die Stones in
jener Nacht in Altamont getan hatten.
Kurz vor Mitternacht schwangen wir uns auf unsere Maschinen
und fuhren querfeldein bis zum Highway 5, in der Nähe der Kreuzung mit der Route 680, und dann weiter nach Oakland. Es ist
seltsam: Ich bin seitdem noch viele Male in dieser Gegend gewesen,
aber ich weiß einfach nicht mehr, wie wir damals gefahren sind.
dem Highway waren, stellte Terry the Tramp fest,
AlsdaßwirseinaufTank
leer war. Wir beschlossen, Terry nach Hause zu
»schleppen«, das bedeutete, daß ich mein Bein ausstreckte und
meinen Fuß auf seine Fußraste stellte und so seine Maschine
schob, während er sein Bike gegen meins lehnte, so daß die beiden
Motorräder irgendwie zusammensteckten. Marcy saß hinter Terry
und Sharon saß hinter mir auf dem Sattel. Keiner von uns bedachte, wie gefährlich dieses Manöver bei dem Terrain war, dem
starken Verkehr und der hohen Geschwindigkeit, die wir vorlegten.
Ich »schob« Terry etwa 40 Kilometer bis zu unserem Haus, und
wir hielten nicht einmal zum Tanken an. Als wir angekommen
waren, gestanden die beiden Mädchen, welche Angst sie auf dem
Run gehabt hätten. Wir machten ein Feuer in unserem Kamin, und
das Telefon klingelte immer wieder, weil Freunde gehört hatten, was
in Altamont passiert war.
Am nächsten Tag gab es jede Menge Kommentare zu den Geschehnissen, und es hieß, Rassismus hätte bei dem Tod von Meredith eine entscheidende Rolle gespielt. Der schwarze Hunter war
mit einem weißen Mädchen zum Konzert gekommen, und
anscheinend hatte es deshalb den ganzen Tag Probleme gegeben.
192
Ralph »Sonny« Barger
Man kann das auch auf den Fotos im Look oder Life-Magazin
erkennen. Er war offensichtlich gekommen, um Arger zu machen.
Der Untergrund-Rock-'n'-Roll-Radiosender KSAN veranstaltete
am nächsten Abend eine Show mit Höreranrufen, um herauszukriegen, was tatsächlich passiert war. Viele Leute riefen nach
dem Altamont-Desaster bei KSAN an. Sam Cutler von den Stones
erklärte in der Sendung, wie die Stones die Vorgänge beurteilten.
Bill Graham gab Mick Jagger die Hauptschuld. Wir hatten uns nie
besonders gut mit Graham verstanden, aber dieses Mal vertrat er
dieselbe Meinung wie wir. Mick Jagger war verantwortlich dafür,
daß aus dem Konzert eine Tragödie wurde. Das war ganz allein
sein Ding.
rief mich an und forderte mich auf, ebenfalls bei KSAN
Jemand
anzurufen. Also rief ich bei dem Sender an und verlangte, daß
KSAN für die Hell's Angels eintreten sollte. Ich nahm das gesamte
Kokain, das wir im Wohnzimmer hatten, mit nach hinten ins
Schlafzimmer und rief beim Sender an. Dessen Leute wollten mir
anfangs nicht glauben, bis ich sie von meiner Identität überzeugen
konnte. Dann ließen sie mich »live« sprechen vollgedröhnt mit
Koks.
»Die Blumenkinder sind keinen Deut besser als die Schlimmsten von uns«, erklärte ich. »Es wird langsam Zeit, daß die Leute
das in ihre Köpfe kriegen. Man hatte uns gesagt, wir könnten auf
der Bühne sitzen und Bier trinken, das der Stones-Manager uns
spendieren würde. Ich finde es total beschissen, was da passiert ist.
Wir sollten schließlich auf der Bühne sein, um die Fans auf
Abstand zu halten. Deshalb haben wir unsere Motorräder auf den
uns angewiesenen Plätzen geparkt ... Ich bin nicht dorthin gekommen, um mich zu prügeln. Ich kam, um mich an dem Konzert zu
freuen und auf der verfluchten Bühne zu sitzen.«
Ich wußte nichts davon, daß in Altamont Leute mit Billardstöcken zusammengeschlagen wurden. Was mich betrifft, ich benutze einen Axtstiel oder einen Baseballschläger, wenn ich jemanden
niederknüppeln will. Ein Billardstock ist eine sehr miese Waffe,
denn er bricht fürchterlich leicht entzwei.
Hell's Angel
193
Ich sprach auch davon, daß einige Leute unsere Motorräder
umgeworfen hatten. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr glaubt,
wir zahlen nur 50 Dollar für unsere Bikes oder klauen sie. Die
meisten von uns fahren klasse Harley-Chopper, die ein paar 1000
Dollar kosten. Niemand darf an meiner Maschine herumfummeln.
Vielleicht hatten sich diese Leute ja eingebildet, nur weil sie zu
einer Menschenmenge von 300 000 Leuten gehören, könnten sie
sich das ungestraft leisten. Aber wenn man dasteht und zusieht, wie
etwas, das dein ganzes Leben bedeutet, etwas, das dir mehr wert ist
als alles andere im Leben, wo du dein ganzes Geld reingesteckt hast,
von irgendwem zusammengetreten wird... dann schlägt man sich
auch durch 50 Leute durch, um den Idioten zu fassen zu kriegen.
Den schnappt man sich.«
»Das alles macht die Geschichte zu einer sehr persönlichen Sache
für mich. Wißt ihr was? Ich kann ein ziemlich gewalttätiger Typ
sein, wenn es sein muß. Niemand darf etwas, das mir gehört, einfach
nehmen und zerstören. Und dieser Mick Jagger gab die ganze
Schuld den Angels. Der hat uns doch nur wie nützliche Idioten
behandelt. Nach meiner Meinung haben wir uns alle von diesem
Idioten verarschen lassen.«
daß Altamont das Ende einer Ära markiert, ist
AlldochdiesernurStuß,
intellektuelle Scheiße. Das Ende von Aquarius.
Bullshit! Es war das Ende von gar nichts. In einem Artikel hieß es,
die Polizei komme mit ihren Ermittlungen wegen des Todesfalls in
Altamont nicht weiter, weil die Hell's Angels ein stillschweigendes
Übereinkommen mit der Polizei getroffen hätten, nachdem sie bei
der Friedenskundgebung des VDC 1965 auf deren Seite standen. Es
gab in der Presse sogar ein Gerücht, daß nach dem Zwischenfall
von Altamont die Mitgliederzahl der Hell's Angels rapide gesunken
sei.
Das ist beides absoluter Quatsch.
Für die Hippies mag Altamont eine Katastrophe gewesen sein;
für die Hell's Angels war es ein Tag wie jeder andere. Eine Menge
Leute wandte sich danach gegen uns, aber die Hippies, die Journalisten und die Liberalen konnten uns sowieso nicht leiden. Wenn es
darauf ankommt, den richtigen Leuten zur richtigen Zeit gefäl194
Ralph »Sonny« Barger
lig zu sein, haben die Hell's Angels das noch nie geschafft. Was
mich betrifft, standen mir zu Beginn der 70er Jahre wahrhaft noch
wildere Zeiten bevor, im Vergleich zu denen Altamont der reinste
Kindergeburtstag war.
Ein Blatt aus dem Fahndungsbuch der Polizei über Ralph Hubert Barger, alias
»Sonny« und »Chief«. »Barger ist wohl der mächtigste und bekannteste OutlawMotorradfahrer des ganzen Landes«, erklärte die Bundespolizei. »Er hat Einfluß
auf alle Motorradclubs der gesamten Nation.«
r
10
MORD, CHAOS,
GESETZLOSES LEBEN
W
enn man mit dem Gesetz in Konflikt gerät, muß man sehr gewitzt
sein. Das ist wie ein Wettkampf. Die Gesetzeshüter, also die Polizei
und die Staatsanwaltschaften, wenden ihre verrückten Vorschriften
und vertrackten Strategien an, um dich einzusperren, und du mußt
all dein Können gebrauchen, damit du einen Ausweg findest.
Diejenigen von uns, die lange nach ihren eigenen Gesetzen gelebt
haben, wissen sehr wohl, wie schwierig und problematisch es
werden kann, wenn das Vorstrafenregister immer weiter anwächst.
Im Knast zu sitzen ist eine Sache, aber sich gegen Anschuldigungen
schwerer Verbrechen zu wehren, die man nicht begangen hat, oder
ansehen zu müssen, wie sich die Verleumdungen gegen einen
häufen, verlangt einen ruhigen, klaren Verstand. Der ultimative Preis
im Leben ist deine persönliche Freiheit.
Als ich noch ein kleiner Junge war, kamen einmal zwei Bullen zu
unserem Haus und ballerten gegen die Tür. Sie sagten, sie kämen
meinetwegen. Ich zögerte einen Moment. Dann ließ ich sie rein. Sie
wollten wissen, ob ich Ralph hieße, und ich nickte. Kein Mensch in
der Schule oder in der Nachbarschaft nannte mich jemals Ralph,
aber offensichtlich hatte jemand den Bullen erzählt, ein Kid namens
Ralph hätte ein Haus in der Nachbarschaft angezündet. Es war ein
anderer Ralph. Ich wußte zwar genau, nach wem die Bullen
suchten, aber ich zuckte nur mit den Schultern und schwieg mich
aus. Schon damals wollte ich niemanden verraten, schon gar nicht an
die Polizei.
Hell's Angel
197
Wenn man sich am Rande der Gesetze bewegt, häuft sich die
Scheiße manchmal so hoch auf, daß man Flügel braucht, um hoch
genug darüber bleiben zu können. Als Hell's Angel bin ich oft in
kriminelle Geschichten verwickelt gewesen; Clint Eastwoods Phantasie
würde nicht ausreichen, sich auch nur die Hälfte der Scheiße
auszudenken, die ich auszustehen hatte. Selbst eine Routine-Verhaftung
kann dich in deinem späteren Leben wieder übel einholen.
Da war zum Beispiel meine erste Marihuana-Verhaftung.
1963 wohnte ich in einem kleinen Haus an der Arthur Street in
Oakland. Meine Freundin war gerade aus Vallejo bei mir eingezogen, und ein Freund namens GUS Pimental (inzwischen verstorben)
wohnte als Untermieter bei uns. Eines Tages hatte GUS einem
Zivilfahnder in Oakland ein Päckchen Marihuana verkauft, und der
Bulle war ihm bis zu unserem Haus gefolgt. Die Bullen kamen mit
einem Haftbefehl bei unserem Haus an und brachen die Tür auf,
hatten aber keine Ahnung, daß es mein Haus war. Sie waren
ziemlich überrascht, mich dort zu sehen. Weil ich vorher schon ein
paar Zusammenstöße mit der Polizei von Oakland hatte, kannte ich
einige der Bullen.
»Hey, Sonny!« rief einer, nachdem sie die Tür aufgebrochen
hatten, »was machst du denn hier?«
»Ich wohne hier, Mann! Und was, zur Hölle, wollt ihr hier?«
Die Bullen waren relativ cool. Sie schnappten sich GUS in seinem
Zimmer, wo sie auch ein paar Pfund Gras fanden. Ich hatte, ehrlich
gesagt, keine Ahnung, daß GUS das Zeug vertickte. Wenn ich gewußt
hätte, daß er Dealer war, hätte ich ihm niemals erlaubt, das Zeug ins
Haus zu bringen. Es war total dämlich von ihm, denn in jenen Tagen
war die Polizei wie verrückt hinter Marihuana-Dealern her. In
Anbetracht der Umstände haben sich die Bullen mir und meiner
Freundin gegenüber ganz o.k. verhalten. Wenn sie sonst nichts im
Haus finden würden, sagten sie, dann würden sie uns nichts
anhängen, denn das Gras hatten sie ja im Zimmer von GUS gefunden.
Na ja, fast.
Als die Bullen den Koffer meiner Freundin untersuchten, fanden
sie darin 15 Gramm Marihuana. Sie erklärten mir, entweder
würden wir beide verhaftet, oder ich könnte die Sache allein auf
198
Ralph »Sonny« Barger
mich nehmen. Ich entschloß mich, für uns beide geradezustehen,
ging mit aufs Revier und legte dort ein Geständnis ab.
1963 waren solche Verhaftungen wegen Narkotika keine Kleinigkeit; der Besitz von Marihuana brachte einem damals zwischen
fünf Jahren und lebenslänglich Gefängnis ein. Als ich mich vor
Gericht für schuldig bekannte, hätte ich nach dem Gesetz also
zwischen fünf Jahren und lebenslänglich verurteilt werden können.
Ich rechnete damit, offiziell verurteilt zu werden, aber nach einer
Zeitlang auf Bewährung aus dem Knast zu kommen. Seltsamerweise bekam ich keine rechtsgültige Gefängnisstrafe. Statt
dessen klopfte der Richter mit seinem Hammer aufs Pult und erklärte: »Ich verurteile Sie hiermit zu sechs Monaten in der KreisHaftanstalt und zu sechs Monaten Bewährung.«
Die sechs Monate Bewährungszeit sollten gleichzeitig mit der
Zeit im Knast laufen. Mit anderen Worten: Wenn ich mich gut
führte und in vier Monaten und zwanzig Tagen (eine Sechsmonatsstrafe mit vorzeitiger Entlassung wegen guter Führung) aus
dem Knast gelassen würde, wäre auch meine Bewährungsfrist
erledigt gewesen. Nach geltendem Verfahrensrecht hätte mir diese
Anordnung im Gericht laut vorgelesen werden und in meine
Strafakte geschrieben werden müssen, um mir damit zu verstehen zu
geben, daß diese Verurteilung wegen Marihuanabesitzes trotz
Bewährungsfrist zu meinen Vorstrafen zählte. Diese blöde Marihuana-Geschichte war 1963 zwar scheußlich lästig, erwies sich aber
neun Jahre später als Vorteil.
Im Jahr 1968 trieb ich mich viel mit Tiny Walters herum. Damals
war Kokain meine Lieblingsdroge, ich nahm so viel davon, daß ich
einen Haufen Ärger bekam. Wenn ich nachts nicht nach Hause kam,
war ich meist mit Tiny unterwegs und baute irgendwo Mist.
Manchmal waren wir tagelang verschwunden, und wenn Sharon sich
Sorgen um mich machte, schaltete sie den Polizeifunk an, um zu
hören, ob die Bullen mich und Tiny irgendwo gekrallt hatten. Sie
konnte nichts anderes tun, als den Kurzwellenfunk abzuhören. Mit
all dem Kokain, den schnellen Autos und Motorrädern war ich
immer in Gefahr, etwas anzurichten, und ich hatte auch einen
Zusammenstoß nach dem anderen mit den Bullen.
Mit dem Kokain kamen auch die Schußwaffen. Den Hell's AnHells Angel
199
gels ist stets vorgeworfen worden, Schußwaffen zu horten. Sehr
viele Amerikaner - besonders die Hell's Angels - sind regelrecht
vernarrt m Schußwaffen. Als ich in der Army war, brachte man
mir die Liebe zu Schießeisen förmlich bei.
Ich besaß eine kleine Kollektion von Waffen, bevor ein Bundesgesetz erlassen wurde, das Vorbestraften den Besitz von Waffen im
Haus verbot. Somit war ich in eine Grauzone geraten, als das Gesetz
1968 in Kraft trat. Da gab es meine blöde Verhaftung wegen der
Marihuana-Geschichte, und wenn man - nach Gesetzestext -eine
Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bekommen könnte — ganz
gleich ob man sie tatsächlich bekam oder nicht - und für schuldig
befunden wurde, war das Recht des Betreffenden, Waffen zu tragen,
eingeschränkt. Der Besitz von Waffen war für einen Vorbestraften im
Staat Kaliforien ein absolutes »No-No«.
Im Juni 1968 veranstaltete die Polizei in meinem Haus eine
Hausdurchsuchung. Die FBI-Bullen beschlagnahmten ein Theodore-Roosevelt-Erinnerungs-Gewehr und mein Lieblingsstück,
eine AR-15, das tollste Scharfschützengewehr auf dem Markt, ein
richtiges Sammlerstück. Die Polizei von Oakland legte sich 25
Stück davon zu, nachdem sie mein Gewehr gesehen hatte. Danach
duchsuchte auch noch die Staatspolizei mein Haus und nahm mir
meine Mossberg-Schrotflinte weg, eine Waffe, die jeder normale
Amerikaner zu seinem Schutz im Haus haben sollte.
Aufgrund der Gesetzeslage zu jener Zeit war mir ganz einfach
nicht klar, ob ich eine Waffe besitzen durfte oder nicht. Wenn ich
mir eine Waffe für meine Sammlung kaufte, bekam ich nie irgendwelche Schwierigkeiten in dem Laden bei mir um die Ecke. Ich
unterschrieb alle erforderlichen Formulare und hatte keine Ahnung, daß ich legal keine Waffen mehr besitzen durfte. Das FBI
hängte mir deswegen schließlich drei Klagen an.
Die Bullen hatten gerade erst angefangen, mich wegen meiner
Waffen auf dem Kieker zu haben. In den folgenden Jahren stand
meine gesamte Nachbarschaft unter ständiger Beobachtung, und
die Bullen waren scharf darauf, bei vorbestraften Hell's Angels
Waffen zu finden. Sie hofften, uns auf diese Weise fertigmachen zu
können. Kriminalbeamte der Regierung schafften es, eines unserer
Mitglieder von der San-Jose-Gruppe umzudrehen und als De200
Ralph »Sonny« Barger
nunzianten zu gewinnen. Und er »sang« den Bullen ins Ohr, daß
ich eine Riesenmenge Marihuana zu Hause hätte. Als sie daraufhin
nach Golf Links kamen, fanden sie keine Grastüten zum Verkauf,
sondern nur zwei lausige fertiggedrehte Joints
Dann nahmen die Dinge eine bizarre Wendung.
Als ich wegen der beiden Joints verhaftet wurde, kam ein Bodybuilder, den ich kannte und der Don hieß, mit einer Aktentasche
durch das Gartentor in meinen Hof. Die Bullen filzten zu dem
Zeitpunkt auch gerade das Haus von Fat Freddie gegenüber. Mann,
die Golf Links Road wimmelte nur so von Bullen, und als Don an
meine Tür kam, sah er sofort, was los war, drehte sich um und rannte
weg. Don sah in seinen feinen Klamotten absolut unverdächtig aus,
und die Bullen dachten zuerst, er sei ein Zivilfahnder. Aber als er
flüchtete, kam ein Polizist von gegenüber, um zu sehen, was los
war. Während Don um die Ecke hinters Haus flitzte, schmiß er seine
Aktentasche in meine Garage. Die Bullen packten ihn und
verhafteten ihn sofort. Dann brachten sie Don in Handschellen und
mit der beschlagnahmten Aktentasche ins Haus. In der Tasche
waren ein halbes Pfund Heroin und mehr als ein Viertelpfund
Kokain.
»Guck mal, was wir gefunden haben!« sagten die Bullen zu mir
und legten mir auch noch Dons Drogen zur Last.
Allmählich geriet ich ernsthaft in die Klemme. Alle möglichen
Anklagen schwebten über meinem Kopf. Kurz vor Beginn meiner
Verhandlung wegen Waffenbesitzes vorm Bundesgericht nahm
mich mein Anwalt beiseite und erklärte mir, daß es ein Problem
damit gebe, mich gegen die Bundesklagen (im Gegensatz zu den
Staats- und örtlichen Klagen) zu verteidigen. Er fürchtete, mich in
dem Fall nicht gut verteidigen zu können, und meinte, ich müsse
mit einer erheblichen Freiheitssstrafe rechnen.
Scheiße! Hier saß ich nun ohne Anwalt und mit einem Prozeß
vor Augen, also tat ich das einzig Mögliche: Ich ließ die Kaution
sausen und haute ab, um mir einen Anwalt für Bundesgerichtsprozesse zu suchen und die nächsten Schritte zu planen ...
Als Flüchtling vor dem Gesetz.
Während ich mich vor den Bullen versteckte, beraubten zwei
Schlauberger zwei Männer von der Drug Enforcement Agency
Hell's Angel
201
(DEA) - Drogenfahndung -, von denen die DEA Leute hinterher
behaupteten, es seien Hell's Angels gewesen. Sie hatten zwar keine
Death Head Patches getragen, aber einer von ihnen hätte irgendeine
Art von Totenkopf-Tätowierung auf seinem Arm gehabt. Als die
DEA Männer bei den beiden Typen einen Scheinkauf von Drogen
einfädeln wollten, hatten die beiden angeblichen Hell's Angels den
Spieß umgedreht und den Agenten ihre Waffen, Ausweise und ein
Bündel markierter Geldscheine geraubt.
Die DEA war stocksauer und mit Recht in einer peinlichen Situation, weil ihre Agenten angeschmiert und beraubt worden waren.
Die Leute von der DEA waren überzeugt, daß ich in die Sache
verwickelt war. Deswegen wurde ab sofort mein Haus überwacht, in
der Hoffnung, daß die beiden Clowns irgendwann bei mir auftauchen würden und man sie verhaften könnte, wenn sie beladen
mit Marihuana, Drogen und Geld aus meinem Haus kämen. Natürlich passierte das nicht, denn diese beiden Knallköpfe gehörten ja
nicht zu den Hell's Angels. Als Flüchtiger vor dem Bundesgesetz
wegen Waffenbesitzes war ich schon daran gewöhnt, daß Bullen
vor meinem Hause herumlungerten. Ich hatte schon genug Ärger mit
dem Gesetz, als diese beiden Arschlöcher mir noch zusätzlich die
Polente auf den Hals hetzten.
Die DEA wollte in dieser Geschichte unbedingt zu Ergebnissen
kommen, also fuhren sie zu Deacons Haus, brachen seine Tür auf,
schmissen sein Motorrad um und machten sein Schlagzeug kaputt.
Während sie Deacons Haus auf den Kopf stellten, entwischte ich
den beiden Agenten, die vor meinem Haus parkten, und schlich
mich zu Deacons Haus. Ich nahm an, daß ich dort sicher sein
würde, schließlich waren die DEA Agenten schon "wieder weg.
Dicker Fehler, Sonny! Als Oakland-Bullen an Deacons Tür
ballerten, machte ich die Fliege durch die Hintertür, sprang über
den Zaun, blieb bei dem Sprung irgendwie hängen und stürzte. Ein
Oakland-Bulle raste mir hinterher, zog seine Kanone und drückte
sie mir auf die Stirn. Ich lag flach auf dem Rücken, hatte meine
Pistole gezogen und zielte auf ihn. Wir bepöbelten und beschimpften uns gegenseitig, und bevor die Lage noch gefährlicher
werden konnte, wurden wir vernünftig und steckten beide unsere
Waffen wieder ein. Es zeigte sich, daß die Bullen sowieso nicht
202
Ralph »Sonny« Barger
hinter mir her waren. Sie suchten die beiden Irren, die den DEAAgenten so böse mitgespielt hatten. Nachdem wir unsere Schießeisen eingesteckt hatten, setzten wir uns alle zusammen und redeten
miteinander. Das heißt, eigentlich redeten die Bullen, und ich hörte
zu. Nach allem, was ich von ihnen über die Geschichte mit den
DEA-Agenten zu hören bekam, und nach den Beschreibungen der
beiden Typen kam ich ziemlich schnell dahinter, wer die beiden
falschen Hell's Angels waren.
Nachdem die Bullen weg waren, fuhr ich los und fand tatsächlich
die beiden Typen. Wir nahmen sie erst einmal in die Mangel und
verprügelten sie gründlich. Dazu klemmten wir ihre Hände in
Schraubstöcke und schlugen sie mit Lederpeitschen und Holzknüppeln bis zur Besinnungslosigkeit. Nachdem sie uns das Geld,
die Ausweise und Polizeimarken ausgehändigt hatten, ließen wir sie
laufen. Einer der Blödmänner war so übel zugerichtet, daß die
Bullen ihn noch nicht einmal verhafteten, als sie ihn erwischten. Ich
gab die Ausweise und das Geld einem Oakland-Bullen, den ich
kannte und der dann die »Beute« an die DEA-Agenten zurückgab.
Technisch gesehen arbeiteten wir nicht mit der Polizei zusammen.
Aber die beiden Trottel hatten sich als Hell's Angels ausgegeben und
dafür Prügel bezogen. Außerdem gaben uns die Oakland-Polizisten,
denen wir die DEA-Sachen aushändigten, als Gegenleistung den
Führerschein eines Clubmitglieds wieder, den sie eingezogen hatten.
Altamont war das Leben eine einzige kriminelle KataNach
strophe nach der anderen. Sharon schimpfte mit mir herum, weil
ich zuviel Clubangelegenheiten am Hals hatte. Ich täte viel zuviel
für die Hell's Angels. Die anderen Mitglieder sähen in mir schon
fast so etwas wie einen Gott. In deren Augen könne ich einfach
nichts falsch machen. Ich war zwar ständig gut mit Kokain
gepudert, aber wegen meines hohen Ansehens im Club rückte mir
niemand von den anderen Angels den Kopf zurecht, so wie wir es
damals taten, als wir die Vorschrift erließen, daß Drogenspritzen im
Club verboten war. Ich schnupfte so viel Koks, daß ich gar nicht
mehr mitbekam, was ich eigentlich tat. An einem Wochenende im
Clubhaus von Brookdale, an dem ich
Hell's Angel
203
T
ununterbrochen Koks schnupfte, wollte ich einmal ausprobieren,
wie lange ich wachbleiben konnte. Ich schaffte es neun Tage lang
und war am Schluß fast wahnsinnig. Danach war mir klar, daß ich
die Kontrolle über das Zeug total verloren hatte. Kokain galt zwar
allgemein als gesellschaftsfähige Droge, aber ich hatte inzwischen
doch arge Zweifel, was mich und meine Gesundheit anging. Danach
zog ich mich an ein paar Wochenenden allein zurück, um auf eigene
Faust einen Entzug zu versuchen, aber daraus wurde nichts. Ich hatte
ein schweres Problem mit meiner Nase und dem Koks.
Abends fuhr ich mit zwei Angels in einem uralten Cadillac
Eines
auf dem Skyline Boulevard über die bewaldeten Hügel am
Stadtrand von Oakland. Wir folgten einigen anderen Hell's Angels,
die in einem aufgemotzten Pontiac vor uns fuhren. Plötzlich setzten
sich zwei Park Rangers mit ihrem Polizeiwagen zwischen uns. Nach
ein paar Kilometern merkten die Ranger, daß das Heck des Pontiac
sehr tief hing, und sie vermuteten, daß die Leute in dem Wagen im
Park gewildert hatten. Die Ranger signalisierten dem Pontiac zu
stoppen, aber statt dessen gaben die Kumpel Vollgas, und die Ranger
rasten hinterher.
Der Pontiac und die Ranger wirbelten bei ihrer Fahrt so viel
Staub auf, daß wir in unserem Cadillac kaum noch etwas sehen
konnten und die beiden Wagen aus den Augen verloren. Auf der
Suche sahen wir den Pontiac als Wrack im Straßengraben liegen.
Die Ranger hatten einen Reifen des Wagens durchschossen, und der
Pontiac Fahrer mußte die Gewalt über das Auto verloren haben.
Inzwischen hatten die Ranger Verstärkung angefordert. Die Angels
aus dem Pontiac waren auf und davon gerannt. Als die Ranger den
Kofferraum des Pontiac öffneten, lagen darin zwei gefesselte Männer.
Einer hatte eine Schnittwunde an der Kehle, wo ihn die Stiefelspitze
des anderen verletzt hatte. Wir kannten die beiden. Es waren
Prospects auf Clubmitgliedschaft. Außerdem entdeckten die Ranger
auch ein kleines Arsenal Waffen im Kofferraum.
Da wir in unserem Cadillac auch alle bewaffnet waren, fuhren
wir so schnell wie möglich an dem Pontiac vorbei. Mit Blaulicht
und heulender Sirene nahm ein anderer Bulle unsere Verfolgung
auf. In Panik warfen wir unsere Waffen aus den Fenstern. Ich hatte
204
Ralph »Sonny« Barger
ein Patronenmagazin an meinem Gürtel. Ich riß das Magazin vom
Gürtel und warf es raus, schnallte den Gürtel ab und legte ihn auf
den Boden. Bevor wir an den Straßenrand fuhren, griff sich mein
Beifahrer den Gürtel und warf ihn ebenfalls ins Freie. Es war mein
Hell's Angel Gürtel, auf dem mein Name stand. Noch ein dummer
Fehler. Als die Bullen sahen, wie Gürtel und Waffen aus den Fenstern flogen, hielten sie und sammelten die Sachen auf. Die Polizisten
vermuteten naturlich sofort einen Zusammenhang: Da waren die
Hell's Angels mit den beiden gefesselten Männern im Kofferraum
des Pontiac und ein paar andere Hell's Angels, die ihnen in ihrem
verbeulten, alten Cadillac folgten. Daran mußte etwas faul sein. Wir
wurden sofort verhaftet.
Die Bullen brachten die Typen aus dem Kofferraum zum Highland Hospital. Derjenige mit der Wunde am Hals war ein gesuchter
Delinquent auf der Flucht vor der Polizei, also gab er im Krankenhaus einen falschen Namen an, die Leute fielen darauf herein und
nahmen ihn in die Klinik auf. Er entwischte durch einen Hinterausgang und schlich sich zum Haus eines Freundes ganz in der Nähe.
Blutend klopfte er an die Tür und sank dann ohnmächtig zu Boden.
Völlig verwirrt rief der Freund einen Krankenwagen, der ihn wieder
ins Highland Hospital brachte. Inzwischen hatten die Bullen
festgestellt, daß ihr Verletzter auf der Flucht vor der Polizei war.
Ich wurde wegen Kidnapping, Körperverletzung und Waffenbesitzes verhaftet. Kidnapping war ein Kapitalverbrechen (mit
eventueller Todesstrafe), deshalb flogen wir alle ins Gefängnis ohne die Möglichkeit, gegen Kaution freizukommen. Während wir
einsaßen, wurde durch Beschluß des Obersten Gerichtshofes der
USA die Todesstrafe in Kalifornien abgeschafft. Richter Lio-nel
Wilson (der später lange Zeit Bürgermeister von Oakland war)
erlaubte unsere Freilassung gegen Kaution.
Bis zum Februar 1972 hatten sich mehr und mehr Anklagen
gegen die Oakland Hell's Angels angesammelt. Einige Tage nachdem
wir gegen Kaution entlassen worden waren, gerieten zwei OaklandMitglieder in eine Mordaffäre um einen Schwarzen namens Bradley
Parkhurst, dessen Milz durch einen Fußtritt schwer verletzt worden
war. Parkhurst hatte sich, wie ich erfuhr, bei einer Begegnung mit
den Angels wie ein Verrückter aufgeführt und wie
Hell's Angel
205
ein Voodoo-Anhänger mit den Händen herumgestikuliert. Ein
Angel hatte zu ihm gesagt: »Schüttel' uns die Hände wie ein weißer
Mann!« Daraufhin hatte Parkhurst die Angels angeschnauzt: »Fuck
you!« Er wurde zu Boden geworfen und getreten, wobei seine
geschwollene Milz platzte. Nachdem unsere Kumpel gegangen
waren, fanden ihn seine Freunde bewußtlos am Boden liegen. In der
Annahme, er sei mit Drogen abgefüllt, versuchten sie, ihn mit
irgendwelchem Hokuspokus wieder auf die Beine zu bringen, was
allerdings mißlang. Parkhurst starb im Krankenhaus.
Im Herbst 1972 stand fast jeden Tag etwas über die Hell's Angels in
den Zeitungen. Für uns war das Chaos ausgebrochen. Sharon hatte
sich bei einem Motorradunfall auf dem Oakland-Freeway im
Sommer ein Bein gebrochen und bekam noch eine Anklage wegen
illegalen Besitzes von Methamphetamin angehängt. Im September
erhielten zwei Angels wegen des Todes von Bradley Parkhurst Gefängnisstrafen von fünf Jahren bis lebenslänglich aufgebrummt.
Ende September meldete die Frau von Tiny, einem unserer Stars
bei der 1965er VDC-Antikriegs-Demo, ihn als vermißt, nachdem er
urplötzlich verschwunden war. Sie geriet in Panik und rief die Bullen
an. Von Tiny haben wir nie wieder etwas gehört oder gesehen.
Vorher hatten wir schon Terry the Tramp verloren.
Aber nichts von alldem ließ sich mit dem Ärger vergleichen, den
uns der sogenannte »Agero-Badewannenmord« einbrachte -ein
Dreifach-Mordprozeß. Dieser Prozeß wurde eines der langwierigsten Strafverfahren in der Rechtsgeschichte von Oakland.
Natürlich wurde ich in das ganze Debakel hineingezogen.
Am Sonntag morgen des 21. Mai 1972 wurden drei Männer in
einem Haus an der Sol Street in San Leandro erschossen. Die drei
Opfer, alle Mitte zwanzig, wurden als Kelly Patrick Smith, Willard
Thomas und Gary Kemp identifiziert. Kemp hatte gegenüber
gewohnt und war mit Thomas und Smith befreundet. FBI-Agenten
fanden in Kemps Wohnung drei Pistolen, die in einem anderen Staat
als gestohlen gemeldet worden waren. Die Leichen wurden um
18:35 Uhr gefunden; Nachbarn sagten aus, sie hätten einen etwa 35
Jahre alten langhaarigen Mann und eine dunkelhaarige Frau von
etwa 25 Jahren an dem Sonntag gegen 9:30 Uhr aus dem Haus
kommen gesehen - nach Schätzung der Pathologen etwa
206
Ralph »Sonny« Barger
eine halbe Stunde vor der Todeszeit der drei Männer. Neben dem
geheimnisvollen Mann und der Frau suchte die Polizei auch noch
nach einem Richard Rounder (geänderter Name), der mit Smith und
Thomas zusammengewohnt hatte.
Am selben Sonntag wurde, nur ein paar Kilometer entfernt, auch
der Kubaner Severo Agero in einem Haus in den Oakland Hills
erschossen aufgefunden. Er war regelrecht hingerichtet worden. Man
fand ihn barfuß, aber ansonsten voll angezogen in der Badewanne.
Sein letzter Wohnort war in McAllen m Texas eingetragen. Der oder
die Täter hatten das Haus in den Oakland Hills mit Benzin bespritzt
und anschließend die Küche angezündet. Die Polizei stufte es als
Mord und Brandstiftung ein. Die Todeszeit wurde auf 11:30 Uhr
geschätzt, etwa zwei Stunden nach dem dreifachen Mord im
benachbarten San Leandro.
Die kleinkalibrigen Tatwaffen aus San Leandro waren auch bei
dem Mord in Oakland benutzt worden. Die Polizei fand heraus, daß
Agero mit Kemp in Drogengeschäfte verwickelt war.
Ich bin weder Willard Thomas, Kelly Smith noch Severo Agero
jemals begegnet, aber ich kannte Richard Rounder und seinen
Freund Gary Kemp. Damals dealte ich mit kleinen Mengen Heroin.
Meistens kaufte ich etwa sechs bis sieben Gramm Heroin von
Kemp und verschnitt den Stoff anschließend, um etwa 25 Gramm
straßenverkäufliches Zeug daraus zu bekommen. Außerdem druckte
ich gefälschte Führerscheine für meine Freunde, denen man ihre
Scheine abgenommen hatte.
Im Zusammenhang mit unseren Drogengeschäften hatte ich gefälschte Ausweise und Fuhrerscheine für Kemp und die beiden anderen, Kelly Smith und Willard Thomas gedruckt. Ein paar Abende
vorher hatte ein Freund von Kemp mir einige Polaroid-Portraitfotos und die entsprechenden Informationen für die Personalien gebracht. Da ich ja außerdem ein kleines Waffengeschäft mit den Bullen
hatte, gab er mir auch noch ein paar Fotos von Waffen, die Kemps
Freund verkaufen wollte. Ich hatte zum Drucken von falschen
Ausweisen eine geheime Dunkelkammer in meinem Haus. Sie war
in die Wand einer Schrankkammer eingebaut. Dort bewahrte ich auch
die Fotos auf, die mir Kemps Freund gebracht hatte. Auch Rounder
wußte von meiner Dunkelkammer.
Hell's Angel
207
Am Abend des Mordes schlief ich in meinem Haus in der Golf
Links Road. Irgend jemand brachte Rounder zu meinem Haus. Drei
Oakland-Clubmitglieder - Gary Popkin, Sergey (ausgesprochen wie
Sir-Gay) Walton und Whitey Smith - waren bei mir, als Rounder
kam. Es wurde spät, und wir wollten ihn nach Hause bringen. Wir
stiegen alle in Garys Wagen, um Rounder zu seiner Wohnung in
der Sol Street zu fahren. Als wir dorthin kamen, waren alle Straßen
in der Nachbarschaft abgesperrt und überall standen Bullen herum.
Ich wurde nervös und sagte Gary, er solle schnell weiterfahren.
Wir fuhren zu Kenny Owens Haus in der Bartlett Avenue in
Oakland. Ich sprang aus dem Wagen und ging hinein zu Kenny,
der sofort fragte: »Chief, hast du gehört, was mit Rounder passiert
ist?« Kenny wußte, daß wir befreundet waren.
»Erzähl mir's!« erwiderte ich.
»Er ist gerade ermordet worden.«
Da lachte ich. »Bullshit. Er sitzt draußen im Wagen!«
Kenny widersprach: »Nein! Rounders Mutter hat gerade angerufen und uns gesagt, daß er ermordet worden ist.«
»Kenny, wie zum Teufel kann er ermordet worden sein, wenn er
draußen in meinem verdammten Wagen sitzt?«
Ich ging raus und holte Rounder.
»Bei dir zu Hause wimmelt es von Bullen, und deine Mutter ist
überzeugt, daß du ermordet worden bist.«
Auf diese Weise erfuhren wir, daß in der Sol Street Leute erschossen worden waren, aber nicht genau, wer und - noch wichtiger
- warum. Ich befahl Rounder, er solle seine Mutter anrufen, wählte
die Nummer und übergab Rounder den Hörer. Es kam mir schon
komisch vor, daß er dabei zögerte.
»Sag deiner Mutter, du bist am Leben und daß alles in Ordnung
ist, du Blödmann!«
Da lagen also drei Tote in seinem Haus, und wir wußten alle,
daß die Polizei ihn dazu vernehmen mußte.
»Noch eins, Mann. Erzähl den Bullen nicht, daß du mit mir zusammen warst!« Ich nahm an, daß die Bullen mich auch vernehmen
würden, wenn Rounder mich erwähnte. Da ich schon die
Kidnapping- und die illegale Waffenscheiße am Hals hatte, spürte
208
Ralph »Sonny« Barger
ich kein Verlangen danach, mich mit irgendwelchen Bullen zu unterhalten. Rounder war ziemlich durcheinander und wußte nicht,
was er tun sollte.
Zwei Tage danach schnappten sich die Bullen Rounder, um ihn
wegen des Mords an Severo Agero zu verhören. Die Polizei ging
davon aus, daß Agero mit derselben Waffe erschossen worden war
wie die Männer in dem Haus in der Sol Street.
Ich lag zu Hause in meinem Bett, als der Mord passierte, und ich
ging davon aus, daß Rounder nichts mit dem Badewannenmord an
Agero zu tun hatte. Wenn Agero am selben Tag mit derselben
Pistole wie das Trio in der Sol Street erschossen worden war und
wenn Rounder in der Zeit bei mir war, dann konnte er es nicht
gewesen sein ... Jemand hatte ihn zu mir nach Hause gebracht, und
ich weiß bis heute nicht, wer das gewesen ist.
Die Bullen wurden immer neugieriger. Jetzt wollten sie wissen,
was Rounder über Agero wußte. Rounder behauptete, er wisse von
nichts, er sei noch nie in dem Haus am Mountain Boulevard gewesen
und er habe keine Ahnung, wer Agero erschossen und das Haus
angesteckt haben könnte. Der Brand hatte alle Fingerabdruckspuren
im Haus zerstört, aber die Polizei fand vor der Tür einen Müllbeutel
mit Bierdosen, auf denen Fingerabdrücke waren.
Rounder hatte uns offenbar angeschwärzt. Er bestand darauf,
Agero nicht erschossen zu haben. Statt dessen wies er die Bullen
auf Whitey, Sergey, Gary und mich und erzählte ihnen, wir seien
bei ihm im Haus gewesen. Er behauptete, ich hätte Agero mit einer
Pistole mit Schalldämpfer erschossen, die ich in einer Perücke
versteckt hatte. Er behauptete sogar, er habe Rauch aus der Mündung meiner Pistole kommen sehen.
Ich hatte nicht nur keinen umgebracht, es gab zu der Zeit auch
nur rauchlose Patronen. Also konnte es keinen Fall der sprichwörtlichen »rauchenden Pistole« geben!
Die Polizei schleppte Rounder vor den Untersuchungsrichter zu
einer Aussage ohne eidesstattliche Erklärung und sagte dem
Richter nicht, daß Rounder sich schon in mehrere widersprüchliche
Aussagen verwickelt hatte. Danach wurde Haftbefehl gegen Gary,
Whitey, Sergey und mich erlassen. Rounder wurde zum Informanten
und zu ihrem möglichen Starzeugen gegen uns.
Hell's Angel
209
An dem Tag, an dem Rounder uns anschwärzte, war ich bei meiner
Schwester zur Hochzeitsfeier ihrer Tochter. Als ich wieder zu Hause
war, kamen Sergey, Anita Walton und Gary Popkin bei uns vorbei.
Sharon war gerade damit fertig geworden, ein Patch für eines unserer
Mitglieder zu nähen. Ich wollte nur noch ins Bett.
Wer auch immer als letzter aus dem Haus gegangen war, er hatte
die Hoftür nicht ordentlich geschlossen.
Wir sahen uns gerade eine Wiederholung von Annie Oakley im
Fernsehen an, als es an die Tür klopfte - viel lauter als sonst. Es lag
etwas Unheimliches in der Luft. 39 Polizisten hatten das Haus umstellt. Aus ihren Megaphonen dröhnten die Stimmen der Bullen.
»Kommen Sie raus! Wir haben einen Haftbefehl!«
Ich hatte keine Ahnung, wie ernst die Lage war. Ich forderte die
Bullen auf, mir den Haftbefehl unter der Tür hereinzuschieben. Das
machte sie noch wütender. Als ich sah, daß es sich bei dem
Haftbefehl um Mord handelte, dachte ich zuerst, es ginge vielleicht
um jemanden, den wir verprügelt hatten. Man kann ja nie wissen.
Ich hatte keinen blassen Schimmer, um was es hier eigentlich ging,
also öffnete ich schließlich die Tür. Die Bullen richteten ihre
Pistolen auf uns, und wir mußten uns auf die Wohnzimmercouch
setzen, dann begannen sie das Haus zu durchsuchen.
Rounder hatte ihnen von meiner Dunkelkammer erzählt, wo
angeblich nicht nur Drogen, Waffen und Fotos von Waffen, sondern auch die Fotos von den Mordopfern versteckt seien. Die Bullen
brauchten eine ganze Weile, bis sie die Dunkelkammer fanden, weil
ich sie sehr gut getarnt hatte. Wenn Rounder die Kammer nicht
gekannt hätte, wären die Bullen nie darauf gekommen. Sie war
hinter einer Wandverkleidung sauber und unsichtbar versteckt. In
der Dunkelkammer waren Fotos von Rounder, Kemp und diesem
erschossenen Typ Kelly Patrick Smith, außerdem Namen und
Personalien, und jede Menge Fotos von Gary, Sergey, Whitey, mir
und anderen - ein ganzes Sortiment von den ermordeten Leuten aus
der Sol Street und von einer Menge Hell's Angels. Die Bullen
verließen das Haus durch die Hintertür mit allem, was sie im Haus
und in der Dunkelkammer gefunden hatten. Wir saßen auf der
Couch und hatten keine genaue Vorstellung davon, welches
Beweismaterial nun in den Händen der Polizei war.
210
Ralph »Sonny« Barger
Ich steckte wirklich tief in der Scheiße, zumindest nach Ansicht
der Bullen. Sergey, Anita, Gary und ich wurden von der Polizei
mitgenommen, während Sharon zurückblieb, um das Chaos im
Haus wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte ungefähr 2000 Dollar
in bar im Haus rumliegen. Nach dem Gesetz muß die Polizei
vorgefundenes Geld vor deinen Augen zählen, bevor sie es beschlagnahmt und mitnimmt. Während der Bulle das Geld vor Sharon
abzählte, nickte sie immer wieder vor Müdigkeit ein. Um das Maß
voll zu machen, rissen die Bullen auch noch die ganze Couch
auseinander und fanden darin noch mehr Drogen und Waffen.
Daraufhin wurde auch Sharon verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Die Kaution für sie wurde auf 16 000 Dollar festgesetzt sehr viel Geld im Jahre 1972.
Unser Plan war, Sharon als erste gegen Kaution frei zu bekommen. Dann könnte sie mit einem Ermittler zusammenarbeiten und
die ganze Sache für das bevorstehende Verfahren vorbereiten. Wir
anderen waren die Angeschissenen. Die Kaution für uns wurde auf
150000 Dollar festgesetzt - viel zuviel, als daß einer von uns diese
Summe hätte aufbringen können, um auf freien Fuß gesetzt zu
werden. Wir waren vorerst im Bezirksgefängnis Alameda
eingelocht.
Sharon war nur wegen Drogenbesitz verhaftet worden, und die
Bullen wollten ihren Fall streng getrennt von unserer Anklage wegen
Mordes halten. Anfangs wollte ich das unbedingt verhindern.
Sharon würde zwar eine Verurteilung riskieren, aber ich fand, es
sähe besser für uns vier aus, wenn sie gemeinsam mit uns vor Gericht erschiene. Die Geschworenen könnten dadurch verunsichert
werden. Sharon war einverstanden. Aber am Ende entschied ich
mich doch dagegen. Das Risiko war einfach zu groß. Dann wurden
die Verfahren gegen Sharon und mich wegen der Drogen doch
noch völlig von dem Mordprozeß getrennt. Erst wenn die
Mordanklage abgeurteilt war, sollten Sharon und ich zusammen
wegen Besitz und Verkauf von Drogen angeklagt werden.
Die Staatsanwaltschaft behauptete, wir hätten das Haus in
Oakland mit Benzin vollgesprüht, nachdem ein Kokaingeschäft mit
Agaro schiefgelaufen war. Eine Zündflamme in der Küche habe
dann die Explosion und den Brand ausgelöst. Keiner von
Hell's Angel
211
uns hatte jedoch irgendwelche Verbrennungsmale. Nach Rounders Aussage bewahrte Agaro sein Kokain in einer blauen Aktentasche auf. Genau so eine blaue Aktentasche fand sich praktischerweise in meinem Haus, als wir verhaftet wurden.
Das Ganze wurde noch verrückter, als ein fünfter Mord entdeckt
wurde! Dieser Mord lieferte dem Ankläger auch das Motiv. Eine
Frau wurde im Kofferraum eines Schrottautos tot aufgefunden. Die
Presse berichtete kurz darauf, daß es sich bei der Ermordeten um
die Kusine von Sergey Walton handeln würde! Bei der Anklage gegen
Sergey, Whitey, Gary und mich behauptete die Staatsanwaltschaft
nun, ein Motiv für den Mord an Agaro zu haben. Es gebe einen
Zusammenhang zu einem Kokainhandel im Wert von 90 000 Dollar,
und der dreifache Mord sei eine Racheaktion der Hell's Angels für
den Mord an dieser Frau. All diese Geschichten erzählte Rounder
der Polizei drei, vier Tage nach den ersten Morden. Wir waren
längst inhaftiert, als wir von dem fünften Mord erfuhren. Während
auch die Presse behauptete, wir hätten die drei Männer in der Sol
Street aus Rache ermordet, weiß ich bis heute nicht, ob die ermordete
Frau wirklich Sergeys Kusine war.
Vor Prozeßbeginn dachte ich eingehend über meine Verteidigung nach. Was hatte ich eigentlich getan? Klar — ich war sehr
stark involviert, ich war ein Hell's Angel, und das Gericht würde
mich bestimmt wegen irgend etwas drankriegen. Ich beschloß,
auszusagen, daß ich zwar mit Heroin gehandelt, aber niemanden
ermordet hatte.
Der Prozeß war von Anfang an der reinste Zirkus. Die Staatsanwaltschaft hatte wohl gehofft, als sie uns alle zusammen vor Gericht stellte, wir würden auf die Geschworenen einen besonders
gefährlichen Eindruck machen - eine bedrohliche Mörderbande,
Ein Informant im Bezirksknast behauptete, ich hätte Sergey
eine Anzahl von Notizzetteln zukommen lassen, die für uns sehr
belastend seien. Mein Verteidiger beugte sich zu mir und fragte,
warum ich ihm kein Wort von diesen Zetteln gesagt hatte. In
Wirklichkeit hatte ich nur einen einzigen Zettel an Sergey geschrieben. Der Ankläger aber hatte einen ganzen Stapel solcher
Zettel vor sich. Als wir die Zettel prüften, stellten wir fest, daß sie
noch nicht einmal in meiner Handschrift geschrieben waren.
212
Ralph »Sonny« Barger
Der einzige Zettel, den ich tatsächlich geschrieben hatte, bezog
sich auf die Waffen, die wir der Oakland-Polizei hatten zukommen
lassen. Ich sagte dazu aus, wir hätten den Bullen diese Waffen in der
Hoffnung gegeben, damit Gefängnisstrafen anderer Angels zu
verringern.
Obwohl ein Zeuge der Oakland-Polizei bestritt, daß es eine
derartige Vereinbarung gegeben habe, war der Richter stocksauer,
daß die Bullen überhaupt solche Waffengeschäfte mit uns gemacht
hatten. Kein Gericht, so verkündete er, dürfe unter solchen
Umständen die Zahlung von Kautionen gutheißen, und er wünsche
zu erfahren, wer aus der Gerichtsbarkeit in diese Sache verwickelt
gewesen war.
Ein weiterer Zeuge der Anklage war so verängstigt, daß er im
Zeugenstand buchstäblich zitterte. Der Richter sah auf ihn hinab
und fragte: »Mein Sohn, haben Sie Angst?«
»Euer Ehren, ich habe Todesangst.«
»Sind Sie von irgend jemandem in diesem Gerichtssaal bedroht
worden?« fragte der Richter und blickte auf uns vier Angels.
»Ja, Sir, ich bin bedroht worden.«
»Von wem?«
»Von einem Sergeanten im Revier des Sheriffs, Euer Ehren. Er
hat gesagt, wenn ich nicht ganz genau das aussage, was er mir gesagt
hat, dann würde ich den Rest meines Lebens im Gefängnis
verbringen.«
Der Richter wies den Zeugen daraufhin aus der Verhandlung.
Der Prozeß dauerte vier Monate, und es schien wirklich alles
dabei schief zu gehen. Die Mordwaffe wurde zwar niemals gefunden, aber sie wurde als eine in England für die CIA angefertigte
Pistole mit einem Linksgewinde identifiziert, ein sehr seltenes
Stück. Bei dieser Pistole bekommt die Kugel einen Drall gegen den
Uhrzeigersinn, statt rechtsherum wie normalerweise. Statt die
Mordwaffe beim Prozeß als Beweisstück vorzulegen, hatte die
Anklage das Smithsonian Institut in Washington um ein Exemplar
ersucht, das sie den Geschworenen zeigte. Ich habe nie in meinem
Leben eine solche Pistole besessen.
Zu den Indiz-Beweisen gehörte auch die blaue Aktentasche, in
der Kemps Freund mir die Drogen geliefert hatte. Man behaupteHells Angel
213
te, ich hätte einen Schlüssel, der mit dem Schlüssel identisch war,
der bei Ageros Leiche gefunden worden war und mit dem man die
Aktentasche aufschließen konnte. Mein Verteidiger legte dem Gericht Dutzende von Schlüsseln vor, mit denen sich die blaue Aktentasche ebenfalls öffnen ließ. Er sagte, im Gerichtssaal säßen bestimmt noch andere Leute mit Schlüsseln, mit denen sich die
Tasche genausogut öffnen lasse. Die Jury schien das zu glauben.
Als sich die Geschworenen schließlich zur Beratung zurückzogen, machten sie eine vorläufige Abstimmung und kamen dabei zu
dem Votum: Nicht schuldig im Sinne der Anklage. Danach hockten
sie aber noch tagelang zusammen in Klausur und prüften die
Beweislage, um dann endgültig abzustimmen. Wahrscheinlich
dachten sie, daß ein neuer Prozeß anberaumt würde, wenn sie uns zu
schnell für nicht schuldig befanden.
Gary, Whitey, Sergey und ich wurden im Anklagepunkt Mord
für nicht schuldig befunden. Als ich das »nicht schuldig« hörte,
wischte ich mir Tränen der Erleichterung ab und dankte den Geschworenen persönlich. Der Richter war sichtbar verärgert.
Die Staatsanwaltschaft war so sauer über den Freispruch wegen
Mords, daß sie mich nun unter allen Umständen kleinkriegen
wollte. Weil ein erheblicher Teil meiner Verteidigung auf meinem
ehrlichen Eingeständnis beruhte, daß ich mir in meinen KokainJahren viel Ungesetzliches erlaubt hatte, verfolgte der Ankläger
mich nach meinem Mord-Freispruch wegen meiner drogenbezogenen Eingeständnisse im Zeugenstand. Der Richter beraumte auch
sofort ein neues Verfahren deswegen an.
Mir war klar, daß ich ganz schön in der Scheiße steckte. Mann, da
lag eine ellenlange Liste von Beschuldigungen gegen mich vor. Man
hätte eine Rechenmaschine gebraucht, um das alles zusammenzuzählen. Jetzt stand ich nicht nur wegen der Drogen, sondern
auch wegen dieser Kidnapping-Geschichte mit dem Pontiac vor
dem Kadi. Außerdem legte mir das FBI auch noch drei Fälle von
illegalem Waffenbesitz zur Last. Ich saß verdammt fest. Jetzt war es
wirklich Zeit für Let's Make a Deal im Sonny-Barger-Stil. Am Ende
kam folgendes dabei heraus: Ich wurde für schuldig befunden wegen
des Besitzes von 37 Gramm Heroin, wofür es in Kalifornien fünf
bis fünfzehn Jahre gibt. Aufgrund meiner Mari214
Ralph »Sonny« Barger
huana-Vorstrafe von 1963 (Besitz von 19 Joints) würde sich das auf
zehn Jahre bis lebenslänglich erhöhen. Das bedeutete, daß ich
mindestens zehn Jahre absitzen müßte, ehe ich Entlassung auf Bewährung beantragen könnte. Der Besitz von nur einem Gramm
Kokain bedeutete eine Strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren,
aber wegen der Marihuanavorstrafe würde sich das ebenfalls auf
fünf bis 15 Jahre erhöhen, wobei ich in jedem Fall fünf Jahre vor
einer Begnadigung auf Bewährung absitzen müßte.
Nachdem ich wegen der Drogenanklage für schuldig befunden
worden war, zog der Richter alle einzelnen Heroin-, Marihuana-,
Seconal- und Kokainverbrechen zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren
bis lebenslänglich zusammen. Die Anklage wegen Kidnapping
wurde zu Freiheitsberaubung verringert, die Anklagen des FBI und
des Staates Kalifornien wegen illegalen Waffenbesitzes auf zwei
Zweijahresstrafen verringert, die gleichzeitig abzusitzen waren - mit
anderen Worten: Alle Freiheitsstrafen wurden als »gleichzeitig«
anerkannt, so daß ich sie nicht alle nacheinander absitzen mußte.
Das FBI war mit dieser Lösung einverstanden, vermutlich gingen
sie davon aus, daß sie mich nie mehr auf einem Motorrad auf einem
Highway sehen würden. Nach der Ansicht des FBI würde ich zunächst einmal mindestens 15 Jahre absitzen müssen, bevor ich ein
Gnadengesuch einreichen durfte. Der früheste Zeitpunkt, zu dem ich
mit einer Entlassung auf Bewährung rechnen durfte, wäre wohl in 30
Jahren - also im Jahre 2002.
Nun glaubten alle tatsächlich, sie hätten mich total abserviert. Das
Gericht und die Bullen klopften sich damals, 1973, gegenseitig vor
Genugtuung auf die Schultern. Sie feierten die Nachricht, daß der
Gründer des Hell's Angels Motorcycle Clubs von Oakland hinter
Gitter ging und wahrscheinlich den Rest seines schäbigen Lebens in
einer Hochsicherheitszelle verbringen mußte. Die Nachricht, daß ich
nun für immer hinter Schloß und Riegel steckte, verbreitete sich wie
ein Lauffeuer. Vermutlich würde ich den Rest des Jahrhunderts
eingesperrt bleiben. Zum ersten Mal in meinem Leben landete ich
nicht im Bezirksknast, sondern war auf dem Weg in ein
Staatsgefängnis.
Oben: Voller Muskeln und eingesperrt. Ganz links bin ich beimGewichtheben im
Folsom Gefängnis
Unten: Mein Highschool-Abschluß hinter Gittern wird gefeiert
(vordere Reihe, dritter von links).
11
IM KNAST -ANGELS
AUF EIS
I
m Jahr 1957 landete ich zum ersten Mal im Gefängnis. Ich fuhr
auf einem Motorrad von einer Party in Alameda zurück nach
Oakland und war ziemlich angetrunken. Dabei knallte ich auf
einen geparkten Wagen. Der Besitzer, war ein gutmütiger Mensch. Er
kam aus seinem Haus, um mir zu helfen, aber dummerweise war ich
so besoffen, daß ich ihm die Schuld dafür gab, seinen Wagen genau
da geparkt zu haben, wo ich langfahren wollte!
Am nächsten Morgen wachte ich in einer Zelle auf.
So betrunken wie nach der besagten Party war ich in meinem
ganzen Leben nur drei- oder viermal, und jedes Mal endete es
schlimm für mich. Da saß ich nun morgens in der Zelle, bis ein
Bulle reinkam und mich fragte: »Hey, bist du Sonny und hast eine
Schwester, die Shirley heißt?«
»Ja.«
Er schubste mich in einen kotzgrünen Raum mit einem Telefon.
»Hier - ruf deine Schwester an!«
Am Abend vorher hatte Shirley ein paar Mal im Gefängnis angerufen und nach mir gefragt. Die diensthabenden Bullen hatten ihr
gesagt, sie könnten mich nicht ans Telefon bringen, ich sei zu
betrunken und redete sowieso nur wirres Zeug.
Bei meiner Verhaftung hatten die Bullen sofort mein Motorrad
beschlagnahmt. Mit den paar Dollar, die Shirley besaß, konnte sie
erst einmal nur mein Bike gegen Kaution frei kriegen. Ich mußte im
Knast bleiben. Sie wußte aber, daß ich, sobald ich wieder nüchtern
war, schon rauskommen würde.
Hell's Angel
217
Nach zwei Tagen entließ man mich aus der Haft, anschließend
mußte ich mich vor dem Kadi wegen Trunkenheit am Steuer verantworten, und ich erfuhr zum ersten Mal, wie bekloppt Gerichte
manchmal sein können. Der Typ, der vor mir wegen einer ähnlichen Anschuldigung verurteilt wurde, war in der Navy. Er erklärte
sich schuldig. Daraufhin erhielt er vom Richter eine Haftstrafe auf
Bewährung und konnte gehen. Also rechnete ich mit demselben
Urteil und bekannte mich ebenfalls schuldig. Ich kam aber nicht
so leicht davon wie der Navy-Typ. Mir brummte der Richter 90 Tage
und eine Geldstrafe von 250 Dollar auf. 60 Tage davon setzte der
Richter zur Bewährung aus, und so mußte ich immer noch 30 Tage
absitzen. Ich sollte nach Santa Rita überstellt werden.
Santa Rita ist nicht weit von Oakland entfernt, dort, wo inzwischen die Vororte liegen und in der Nähe vom Highway 50, der
jetzt Interstate 580 heißt. Der Knast gehört zur Justizvollzugsanstalt des Kreises Alameda und ist eine offene Strafvollzugs-Einrichtung für männliche und weibliche Straftäter. Bekannt wurde das
Haus, weil einige Studenten der UC Berkeley University während
der Krawalle auf ihrem Campus um die Free-Speech-Bewe-gung
dort landeten. Etliche Hell's Angels haben diese Mauern schon
von innen gesehen.
Auf dem Run nach Santa Rita stoppten wir am Gerichtsgebäude
des Landkreises Alameda, wo ich zwei Tage lang in einem Sondergefängnis untergebracht wurde, weil die Bullen irgendwie
Scheiße gebaut hatten. Normalerweise steckte man jemanden wie
mich - einen Ersttäter - niemals in einen solchen Knast. Aber da
saß ich nun als 18jähriger in einer Vier-Mann-Zelle zusammen mit
zwei anderen Typen, denen jeweils ein Doppelmord zur Last gelegt
wurde. Einer von ihnen war ein Schwarzer auf dem Weg zur
Gaskammer. Er hatte seine Freundin und deren neuen Freund
kaltgemacht. Die beiden fragten mich, wofür ich sitzen mußte. Als
ich ihnen sagte, daß ich wegen Trunkenheit auf dem Motorrad
eingebuchtet war, trauten sie ihren Ohren nicht. Das meine ich
damit, wenn ich den Justizapparat bekloppt nenne.
15 Jahre später landete ich in genau demselben Knast. Diesmal
saß ich dort wegen des Agero-Mordes in U-Haft, und in meiner
Zelle saßen wieder zwei Typen wegen Mordverdacht.
218
Ralph »Sonny« Barger
Und wieder steckte man einen 18jährigen zu uns in die Zelle.
Ich fragte ihn, warum er im Knast war. Er hatte die Kreditkarte der
Mutter seiner Freundin gestohlen und war damit nach Hawaii
geflogen. Anschließend fragte er mich, wofür ich saß.
»Mord«, antwortete ich ihm.
»Mord?«
Genau wie ich damals versuchte dieser Junge zu verbergen, daß er
große Angst hatte. Er war total verängstigt. Wenn man ihn am
nächsten Tag entlassen hätte, wäre er nach meiner Überzeugung für
den Rest seines Lebens nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt
geraten. So aber schickte ihn der Richter für 90 Tage zur Beobachtung nach Vacaville. Ich saß noch immer im selben Knast, als er
nach drei Monaten als knallharter Gangster zurückkam. Hätten sie
ihn laufenlassen, wäre er in diesen 90 Tagen nicht zum Verbrecher
geworden. Aber wenn man erst einmal im Knast war, seine Zeit
abgesessen und sich an das System gewöhnt hat, dann macht einem
keine Haftstrafe mehr Angst.
Als ich bei meiner ersten Strafe schließlich nach Santa Rita kam,
zitierte mich der Captain der Wachmannschaft zu sich, um mir zu
sagen, daß ich nicht anders als alle anderen Gefangenen behandelt
würde, nur weil ich ein Hell's Angel war. Daraufhin fragte ich ihn:
»Bestellen Sie jeden Gefangenen zu sich, um ihm so etwas zu sagen?« Er antwortete: »Nein.« Also erwiderte ich: »Dann behandeln
Sie mich doch anders als alle anderen Gefangenen!« Da wurde er
stocksauer.
Meine erste Knastzeit in Santa Rita war nicht besonders
schlimm. Ich arbeitete in den Garagen und wartete und reparierte die
motorisierten Rasenmäher, weil ich mit Bikes Bescheid wußte. Das
System machte mich nicht zum Gangster, ich hatte die Entscheidungen für mein weiteres Leben bereits getroffen: Ich wollte
nur Motorrad fahren und Spaß haben. Trotz allem war ich wegen
dieser Haftstrafe schon für die normale Welt gebrandmarkt. Dabei
fuhr ich ja nur Motorrad mit den »Freewheelers«, den Kumpels, die
nur wenig arbeiten und gerade genug verdienen, um Spaß zu haben.
Ich war gut befreundet mit Typen, denen es absolut scheißegal war,
was andere von ihnen dachten, und die sich einen Dreck darum
scherten, ob ich im Knast gewesen war oder nicht.
Hell's Angel
219
h war wegen aller möglichen Delikte im Gefängnis, aber HaftIcstrafen
konnten mich anfangs nicht erschüttern. Erst als ich zu
vielen Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nachdem ich im
Agero-Prozeß gestanden hatte, Drogen verkauft zu haben, begann
das Gefängnissystem, auch mich zu verschlucken. Die Aussicht,
den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen,
empfand ich als bittere - aber nicht unmögliche - Pille.
Nach dem Urteil und der Verkündung des Strafmaßes wurde ich
zunächst in die Vacaville Correctional Facility überstellt, einer
Zwischenstation der California Medical Facility. Wenn man in
Nordkalifornien lebt, wird man erst einmal dorthin verfrachtet und
klassifiziert und danach wird entschieden, in welchem Knast man
endgültig landet.
Aus irgendeinem Grund gab es in Vacaville mehr »Mädchen«
als in jedem anderen Knast Kaliforniens. Ich war zwar inzwischen
32 Jahre alt, aber es haute mich beinahe vom Stuhl, als ich zum
ersten Mal so einen Haufen Transvestiten hinter Gittern sah. Mann,
ich hatte schon einiges im Leben gesehen, aber diese Männer sahen
wirklich haargenau so aus wie Frauen. Es war einfach zu verrückt ...
Ich war auf alles vorbereitet, was man dort mit mir anstellen
würde und hielt mich für einen zähen Burschen. Im Gefängnis zu
sitzen ist nicht das Allerschlimmste auf der Welt. Sie können dich
einschließen, aber sie können dir nicht deine Gedanken nehmen.
Meine Gedanken konnten sich allem anpassen. Jedenfalls konnte
ich nicht herumsitzen und weinen, weil ich kein Motorrad mehr
hatte. Außerdem wußte man schließlich nie, was noch alles im
Busch war. Heute mochte man vielleicht noch lebenslang einsitzen,
aber morgen konnte man schon wieder frei sein. Ich kämpfte vor
Gericht genauso wie in den Biker-Bars.
Man steckte mich ins Folsom Gefängnis.
Folsom wird auch »das Lagerhaus« genannt. Wenn man erst einmal
im Gefängnis von Folsom landet, dann sitzt man meistens tief in der
Scheiße. Praktisch alle Insassen von Folsom sind Lebenslange mit
verschärften Strafen, und die Sträflinge werden nur sehr selten wenn überhaupt - auf Bewährung entlassen. Wenn einer dort nur
fünf bis zehn Jahre abzusitzen hat, ist er vorher oft schon
220
Ralph »Sonny« Barger
durch das gesamte Vollzugssystem geschleust worden, und kein
anderes Gefängnis war mehr bereit, ihn aufzunehmen. Weil die
Justizbehörden den berüchtigten Ruf von Folsom fördern wollten,
gaben sie dem Gefängnis den Beinamen »the Last Stop«.
Folsom ist die Zweitälteste Strafanstalt von Kalifornien und
wurde ursprünglich auf einem Terrain gebaut, das der Eisenbahn
gehörte. Die Originalmauern aus Granit, die fünf Zellblöcke umgeben, sind weltbekannt. Der Bauplatz wurde gewählt, weil es in
der Umgebung viele natürliche Felsen gibt, die die allerersten Insassen für den Bau der Mauern kleinklopfen mußten. Der American
River dient nicht nur zur Wasserversorgung, er bildet auch eine
natürliche Abgrenzung der Anstalt. Dieses Gefängnis war ursprünglich für »Langzeit-Verurteilte, Gewohnheitsverbrecher und
Unverbesserliche« gedacht. Das bekannteste Produkt aus den
Werkstätten der Anstalt sind die Nummernschilder für Autos.
Nun war ich ein bestätigter Fünfzehn-Jahre-bis-Lebenslanger im
kalifornischen Strafvollzugssystem. In Vacaville hatte ich 90 Tage
abgesessen, inklusive eines Siebzehn-Stunden-Einschlusses. Ich war
Präsident der Hell's Angels; also mußte ich in den Hochsicherheitsknast von Folsom.
Während meiner ersten Woche in Folsom prasselten noch weitere
Klagen und Verfahren auf mein Strafkonto. Das FBI beschuldigte
mich der Steuerhinterziehung sowie drei weiterer WaffenbesitzFälle. Ich bekannte mich schuldig und machte einen »Deal«: Der
Richter erlaubte mir, die zuzüglichen Strafen gleichzeitig mit den
anderen abzusitzen, und die Bundesstaatsanwälte waren damit
einverstanden. Wenn ich also eine bestimmte Zeit meiner
Staatsurteile abgesessen hätte, würden diese auf meine
Bundesstrafen angerechnet werden. Auf Dauer gesehen erwies sich
diese Regelung als echter Vorteil für mich. Normalerweise stimmen
die Bundesbehörden solchen Vereinbarungen nicht zu, aber sie
gingen davon aus, daß ich so oder so für immer im Knast sitzen
müßte. Und daß ich mich in allen Fällen für schuldig erklärt hatte,
ersparte ihnen viele langwierige Strafverfahren.
Bis ich nach Folsom kam, war ich noch nie in meinem Leben in
einer Strafanstalt gewesen, sondern nur in den Knasts der Bezirksverwaltungen. In Bezirkshaft saß ich immer 24 Stunden in der ZelHell's Angel
221
le, sieben Tage die Woche. In der Strafanstalt mußte es nach meinem
Ermessen besser sein. Ich war schließlich in der Army gewesen, also
rechnete ich auch in Folsom mit einer ganzen Reihe von
Vorschriften, Regeln und Anordnungen. Daß ich ein Hell's Angel
war, machte meine Zeit in der Anstalt nicht gerade leichter. Der
Staat Kalifornien ging besonders hart gegen die Motorradclubs vor.
Ich lernte an die 100 Insassen von Folsom kennen, und davon waren
50 bis 75 eingeschworene Biker. Wir hielten fest zusammen.
Der Sicherheitsgrad einer Strafanstalt bestimmt die Bewegungsfreiheit ihrer Insassen. Die Sträflinge in San Quentin dürfen
zu verschiedenen Intervallen aus ihren Zellen heraus. Nächtliche
Freigänge gab es in Folsom nicht. Aufschluß war um acht Uhr
morgens, da konnte man in den Hof, und um 15:00 Uhr war Einschluß, was das Ende des Tages bedeutete.
Folsom war damals der einzige Hochsicherheitsknast im Staat.
San Quentin war zwar auch eine Strafanstalt, aber kein Hochsicherheitsgefängnis, dort gab es andere Methoden, um mit schwierigen
Sträflingen umzugehen. Wenn man in Q Unruhe stiftete, wurde man
in seine Zelle gesperrt, und die Zellentür wurde zugeschweißt. Erst
Monate später frästen sie die Tür wieder auf.
Ich hing meistens mit den anderen Motorradfahrern im Knast
herum. Unter all den Bikern in Folsom waren immer fünf oder sechs
Hell's Angels. Es half enorm, mit anderen Hell's Angels im Knast zu
sein. Natürlich ist es schlimm, seine Brüder hinter Gittern zu sehen,
und man freut sich, wenn sie wieder entlassen werden, aber daß sie
mit einem zusammen sind, freut einen selbstverständlich auch. Wir
sahen uns jeden Tag, ausgenommen natürlich während des
Einschlusses. Fu, Marvin, Grubby Glen und Whitey saßen ebenfalls
in Folsom. Doug the Thug kam und ging; man schickte ihn
zwischen San Quentin und Folsom hin und her. Andere Biker wie
Billy Maggot und Brutus kamen ebenfalls aus San Quentin. Man
nannte das »Bus-Therapie«. Wenn es in San Quentin Probleme gab Rassenkämpfe, Drogen, Gewalttätigkeiten oder anderen Ärger -,
dann wurden die Schuldigen einfach zu uns geschickt und ihr
Aufenthaltsort vorläufig in bürokratischer Schwebe gelassen. »BusTherapie« war der Name für ein Problem, das man nicht löste,
sondern vor sich herschob.
222
Ralph »Sonny« Barger
Die Motorradfahrer setzten sich aus Clubmitgliedern und individuellen Bikern zusammen. Es gab in Folsom Angehörige aus etlichen Clubs: Satan Slaves, Gipsy Jokers - aus jedem Club saß irgendwer in Folsom. Im Gefängnis miteinander auszukommen ist
für jeden wichtig. Rivalisierende Clubmitglieder gibt es nicht hinter
Gittern.
Nach drei Uhr nachmittags wurde man nur aus der Zelle herausgelassen, wenn man irgendwo gebraucht wurde. Und selbst
dann wurde man eskortiert, denn keiner von uns durfte nach 15:00
Uhr allein im Hof sein.
Zu Beginn meiner Zeit in Folsom kam es im Hof zu heftigen Zusammenstößen zwischen Weißen und Schwarzen. Dabei flogen die
Kugeln nur so durch die Gegend. Ich hatte keine Ahnung, auf wen
oder was die Wachen schössen, deshalb nahm ich volle Deckung,
weil ich nicht angeschossen werden wollte. Ich lernte meine Lektion
schnell. Wenn zwei feindliche Gruppen im Hof aufeinandertreffen,
tut man gut daran, sich entweder schnell einer Gruppe anzuschließen oder sich hinzuwerfen und Deckung zu suchen.
Wer immer sich nachts allein im Hof aufhielt, wurde niedergeschossen. Wenn man in den Hof hinausrannte, pfiffen einem sofort
die Kugeln um den Kopf. Wenn man sich im Hof mit jemandem
prügelte, wurde ohne Vorwarnung auf beide Schläger geschossen.
Wenn in Folsom irgendein Krawall ausbrach, wurden die
Streithähne sofort erschossen. Gründe und nähere Umstände des
Zoffs wurden erst hinterher überprüft. Das war nun einmal Teil
des grausamen Rufs der Anstalt.
1973 durfte man dort noch keine Playboy-Magazine haben, und
es gab auch kein Fernsehen. Kleine Radioapparate mit Kopfhörern
waren gestattet, wenn sie batteriebetrieben waren. Im Gebäude l,
wo ich saß, gab es kein heißes Wasser. Jeden Morgen bekam man
heißes Wasser in einem Eimer zum Waschen und Rasieren.
Im Sommer 1975 wurden die Bestimmungen ein wenig gelokkert. Die Kleidungs- und Zeitschriftenvorschriften wurden gelokkert und sogar Fernseher waren erlaubt.
»Du wirst es nicht glauben: Lange Haare und Schnauzbärte sind
jetzt in Folsom gestattet. Wenn meine Haare doch nur
Hell's Angel
223
schneller wachsen würden; aber eines weiß ich ganz sicher: kein
Haarschnitt mehr, so lange ich hier drin bin!
8.Juli 1975, Brief an Sharon
Weil ich Präsident der Hell's Angels war, behandelten die Wächter
mich anders als die anderen. Sie redeten ein bißchen freundlicher
mit mir. Es gab die Vorschrift, daß niemals mehr als fünf Leute in
einer Gruppe beisammen sein durften. Einmal w^aren wir im Hof,
und acht oder zehn von uns lagen auf dem Boden und quatschten
miteinander. Der Wächter kam zu uns und nahm alle
Ausweiskarten an sich. Ich pöbelte ihn deshalb an, und nach einer
Weile kam er schließlich wieder und gab uns die Karten zurück.
Einer meiner Freunde arbeitete im Gefängnisbüro, wo sowohl
Insassen als auch das Knastpersonal beschäftigt waren. Er fragte
mich, ob ich wisse, warum wir unsere Ausweiskarten so schnell
zurückbekommen hatten. Ich erfuhr, daß die Bullen Anweisung
hatten, niemals im Hof und in Gegenwart anderer Sträflinge Auseinandersetzungen mit mir zu haben. Wahrscheinlich fürchtete
man meinen »Einfluß« auf andere Insassen und glaubte, ich könnte
einen Aufstand inszenieren. Ich bemühte mich, so cool wie
möglich zu sein, aber trotzdem wurde ich auch in Folsom als eine
Art Führer angesehen.
Als ich einmal in der Werkstatt arbeitete, schmiedete ich einen
silbernen Club-Ring, und ich trug ihn auch im Hof am Finger, als
einer der Wächter auf den Wachtürmen etwas Metallisches an
meiner Hand aufblitzen sah. Er alarmierte sofort die Wächter auf
dem Hof. Statt mich nun auf dem Hof zu untersuchen, brachten sie
mich ins Haus und durchsuchten mich nach einem Messer. Sie
wollten mir den Ring wegnehmen, aber ich wollte ihn nicht ohne
Quittung hergeben. Der einzige, der mir eine Quittung hätte geben
können, war der Leiter des Wachpersonals, also wurde ich ins
Meldebuch eingetragen, weil ich einen Club-Ring trug. Später beklagte ich mich darüber bei einer Beschwerdeanhörung, weil mir
das Rohmaterial verkauft worden war, ich den Ring in der Werkstatt
schmieden durfte und in den Vorschriften nichts darüber zu finden
war, was das Tragen des Rings verbot. Statt den Ring zu
vernichten, legte man ihn bis zu meiner Entlassung zu meiner per224
Ralph »Sonny« Barger
sönlichen Habe. Zumindest in dieser Auseinandersetzung hatte ich
gewonnen.
Bevor ich nach Folsom kam, hatte ich noch nie in eine Flasche
pinkeln müssen, nicht einmal, als ich wegen Drogenmißbrauchs im
Bezirksknast saß. Aber hier wurde behauptet, man mache
stichprobenartige Urinuntersuchungen, aber mein Name tauchte
mindestens zwei- bis viermal im Monat auf. Na ja, mir war es egal,
ich war clean und hatte mich schon im Bezirksknast von einem Tag
auf den anderen vom Kokain verabschiedet. Wenn man mich
trotzdem weiter testen wollte, okay, das bedeutete nur, daß ein
anderer in Folsom, der nicht sauber war, ungeschoren blieb.
Rassenprobleme waren in Folsom nicht so groß wie in San
Quentin oder Soledad. Gelegentlich mag es auch hier ein bißchen
Stunk gegeben haben, aber hier saßen eben nur Lebenslange oder
Langzeitsträflinge ein, die versuchten, miteinander auszukommen.
Wir saßen unsere Strafen ab und kümmerten uns dabei nur um
unseren eigenen Kram. Natürlich gab es Gruppenbildungen: weiße
Gangs, mexikanische Gangs, schwarze Gangs und Bikefah-rer,
Gruppen wie Aryan Brotherhood, La Familia und die Black
Guerrilla Family (BGF). Ich hatte Freunde in jeder Gruppe, aber
unseligerweise kommt es im Gefängnis immer auf die Rassenzugehörigkeit an, so daß man unter seinesgleichen bleiben muß.
Das ist das Problem: Im Bau kann man nicht neutral sein!
Mit der Langeweile im Knast wurde ich ganz gut fertig, weil ich
viel las. Außerdem lernte ich Schreibmaschineschreiben und Gitarrespielen. Während meiner gesamten Haftzeit hatte ich immer
eine Einzelzelle. Meine Einstellung lautete: Wenn ihr mich schon
einsperrt, dann sorgt gefälligst auch für mich. Als die Vorschriften
den Familien der Männer erlaubten, ihnen Schuhe und Kleidung
von zu Hause mitzubringen, bestand ich darauf, die miesen Klamotten zu tragen, die einem im Knast zugeteilt wurden. Die
schwarzen Schuhe der meisten anderen Gefangenen waren blitzblank poliert; ich hingegen trug immer die schäbigen, braunen,
roßledernen Schuhe der Anstalt.
Um sechs Uhr morgens gab es Frühstück, danach ging es zurück in
die Zelle. Um acht Uhr wurden die Zellen- und Werkstattüren
geöffnet. Da mußten sich die Männer, die in der NummernschildHells Angel
225
Werkstatt arbeiteten, melden. Man brauchte die Einstufung als
»Minimum-Sicherheits«-Gefangener, um im Hof oder draußen vor
den Toren von Folsom arbeiten zu dürfen. Es gab nicht gerade viele
Arbeitsmöglichkeiten, und um einen bezahlten Job zu kriegen,
mußte man eine Lohnnummer haben, die ich während meiner ganzen
Zeit in Folsom nie bekam. Ich brauchte aber auch gar keine.
Denn zum Glück kannte ich einen langjährigen Sträfling namens
Zeke.
Ich hatte Zeke im Bezirksknast von Alameda kennengelernt, und
wir verstanden uns gut. Zeke war ein besonders hartgesottener
Gewohnheitsverbrecher. Das letzte Mal hatte ich ihn vor Folsom bei
der TV-Show America's Most Wanted gesehen. Damals war er gerade
einmal wieder auf der Flucht. Zeke war ein »Drehtür-Gefangener,
immer wieder rein und wieder raus. Als ich nach Folsom kam, war
er gerade mal wieder drin.
Zeke gab mir eine Kurzanleitung, wie ich mich in diesem Riesenknast verhalten mußte, um zu überleben. Anschließend ging er in
die Schreibstube und verschaffte mir den besten Job von allen. Statt
in der Werkstatt eingesperrt zu sein und Nummern- und
Stopschilder zu stanzen, in der Färberei oder der Schlosserei zu
schuften, konnte ich die meiste Zeit draußen verbringen, ein prima
Job, wenn man die scharfen Sicherheitsbeschränkungen von
Folsom bedenkt. Es war der coolste Gig der ganzen Anstalt, und
irgend jemand mußte ihn schließlich machen. Warum also nicht
Zeke und ich?
Tag für Tag warf jeder Häftling seinen Müll aus seiner Zelle.
Dann kamen die Etagenreiniger, schafften den Müll aus den Gängen
und häuften ihn auf. Eine andere Gruppe warf den Abfall anschließend in große Wannen - einen Meter breit und zweieinhalb
Meter lang - und rollte sie hinaus zum Müllwagen. Dort standen
250-Liter-Tonnen, in die man die Wannen ausleeren mußte. Wenn
der Müllwagen in den Hof fuhr, mußten Zeke und ich die Tonnen
auf den Truck heben. Die Müllmänner auf den Wagen leerten sie
aus und reichten sie uns zurück. Das war alles. Unser Job war in
Minuten getan.
Die Sache mit dem Müllauto hatte gewisse kleine Vorteile. An
regenreichen Tagen oder wenn Nebel herrschte, wurden alle ein226
Ralph »Sonny« Barger
geschlossen, ausgenommen diejenigen, die eine spezielle »NebelErlaubnis« hatten wie wir. Wegen dieser »Nebel-Erlaubnis« konnte
ich nach meiner Arbeit am Müllwagen in den Hof zum Gewichtheben gehen und etwas für meine Fitneß tun.
Sondergenehmigungen bedeuteten viel in Folsom. Während der
Dürrezeiten im Sommer wurde beispielsweise das Duschen stark
eingeschränkt. Weil ich aber mit Müll arbeitete, durfte ich nach
meinem Zehn-Minuten-Job in aller Ruhe duschen. Mit der Zeit
gewährte man mir alle möglichen Privilegien.
Einer meiner Biker-Freunde, Scottie der Baumhüpfer, landete
auch in Folsom. Er war ein berüchtigter, bewaffneter Straßenräuber,
der im »Summer of Love« im Golden Gate Park Leute überfiel und
ausraubte. Scottie saß auf dem Ast eines Baums und wenn Leute
darunter entlangspazierten, sprang er vom Baum auf sie runter und
raubte ihnen ihr Geld. Ich besorgte Scottie die Erlaubnis, mit mir
zusammen den Müll-Truck zu beladen.
Als die Todesstrafe in Kalifornien abgeschafft wurde, kamen 90
Prozent der Kandidaten aus der »Death Row« zu uns nach Folsom in
die Gemeinschaftszellen. Unter den Mördern gab es tatsächlich ein
paar nette Leute. Wie zum Beispiel die beiden Schwarzen Death Row
Slim und Motormouth. Sie waren ziemlich feine Burschen, obwohl
sie in Folsom einen Mitgefangenen gekillt hatten, einen der übelsten
und gefährlichsten Insassen des Knasts - ebenfalls einen Schwarzen.
Er war ein notorischer Denunziant und ein Homosexueller, der Leuten
ins Gesicht spuckte und anschließend fragte, was sie denn gegen ihn
unternehmen wollten. Als er einmal ein Messer in den Bauch bekam,
zog er es heraus, schlug auf den Messerstecher ein, schleppte ihn ins
Wachzimmer und zeigte ihn an. Der Typ war schon ein ganz
schlimmer Motherfucker. Er war so bescheuert, daß er den Rasen
rennend mit der Mähmaschine mähte. Dieser Kerl beleidigte Slim
und Motormouth. Also lauerten sie ihm eines Tages mit
Baseballschlägern hinter einer Tür auf. Sie brachen ihm seine
beiden dreckigen Beine und schlugen ihn tot. Dafür landeten sie in
der Death Row, und nachdem die Todesstrafe abgeschafft worden
war, kamen sie zurück nach Folsom. Beide arbeiteten mit mir am
Müll-Truck, und wir wurden gute Freunde.
Weil ich als Militärveteran galt, besaß ich noch immer einen
Hell's Angel
227
Anspruch auf Bildungsbeihilfen durch die VA - Veteranen-Administration. Freiwillige Lehrer aus dem Cordoba Adult School Distnct kamen nach Folsom, um Gefangene zu unterrichten. Rein
technisch gesehen hatte ich nach meiner Ansicht das Recht auf
staatliche Leistungen nach den Bestimmungen für ehemalige Army-Angehörige. Ich beantragte sie auch, und der Staat Kalifornien
versuchte sie mir mit allen Mitteln zu verwehren. Aber ich behielt in
diesem Streit die Oberhand. Also bekam ich 350 Dollar im Monat,
um im Gefängnis Schulunterricht zu nehmen. Ich schickte das Geld
an Sharon, der es draußen ziemlich mies ging.
Als es an der Zeit war, sich für den Unterricht anzumelden, war
die Klasse, die der Highschool entsprach, schon voll, und es gab
nur noch in der Grundschulklasse Platz. Ich schaffte in zwei Jahren
die vierte Klasse und die College-Unterstufe, errang den AA-Grad
des Sacramento City College Systems - und bekam außerdem noch
meine Veteranenzahlungen! Das Leben hätte wesentlich schlimmer
sein können.
In der nächsten Woche werde ich meine Klassen in US-Geschichte, US-Regierung und Englisch l-A abgeschlossen haben.
Ich glaube nicht, daß ich in all diesen Fächern weniger als eine
B-Note bekommen werde, aber genau werde ich es erst Ende der
Woche wissen. Ich teile Dir dann sofort meine Noten mit. Bei
den nächsten Kursen werde ich Geschichte Kaliforniens,
Kalifornische Regierungslehre und Englisch 1-B belegen. Ich
glaube, ich komme gut klar in der Klasse. Die Gitarrenbücher, die
Du mir geschickt hast, sind eine große Hilfe. Das Dylan-Buch ist
für mich beim gegenwärtigen Stand meines Spiels noch ein
bißchen zu schwer, aber ich werde es später gut gebrauchen
können. Die beiden anderen sind genau richtig. Ich habe eine
Menge der Songs gelernt und spiele jetzt auch mit Hilfe der
Bücher.
2. Januar 1975, Brief an Sharon
Sharon hatte, wie gesagt, draußen schwer zu kämpfen, um durchzukommen. Da sie als meine Komplizin galt, wurden alle Besuchsanträge von ihr abgelehnt. Ich hatte zwar ein paar Dollar bei228
Ralph »Sonny« Barger
seite geschafft, aber das Geld ging schnell zur Neige, also nahm
Sharon alle möglichen Jobs an und arbeitete auch als Zimmermädchen in einem Motel, das einem Freund von mir gehörte, einfach nur um durchzukommen. Als die Telefongesellschaft ihr Telefon sperrte, sorgten Freunde aus dem Club dafür, daß sie ein
Münztelefon ins Haus bekam.
Weißt Du was? Ich habe mir neulich abends den Miss America
Contest im Fernsehen angeguckt, das mache ich jedes Jahr, seit
ich hier bin. Es ist wahrhaft ein Jammer, daß ich Deine Karriere
unterbrochen habe, denn ich habe in all den Wettbewerben noch
kein einziges Mädchen gesehen, das Du nicht mühelos hättest
schlagen können!!! Die Postkarte, auf der Du als Werbung für
Santa Cruz zu sehen bist, würde diese Mädchen vor Neid
erblassen lassen.
19. Mai 1975, Brief an Sharon
Gefängnisse sind sehr, sehr laute Behausungen. Der Geräuschpegel
ist immer sehr hoch. Nur wenn es still wird, weiß man, daß gleich
irgend etwas geschieht oder gerade etwas geschehen ist. Bezirksgefängnisse, City-Knasts, Strafanstalten - jedes Gefängnis, in
dem ich gewesen bin, klingt gleich: eine Kombination aus laufenden
Maschinen, sprechenden Leuten, aus Geräuschen, die durch die
Luftschächte dringen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Wenn das aufhört oder wenn sich die Lautstärke ändert, die
Stimmen schweigen, aber die Maschinen weiterlaufen - dann heißt
es aufpassen! Dann weiß jeder, daß jeden Augenblick etwas
passieren kann.
1977 schaffte es jemand, eine Pistole in die Anstalt zu schmuggeln. Es war fast wie im Kino. Man hatte einen sechsjährigen kleinen
Jungen dazu benutzt, um die Waffe unbemerkt ins Haus zu holen.
Ein Büro-Bulle hatte am Haupttor ausgeholfen, als Trucks mit
Lebensmitteln für die Kantine durchkamen, um in der Nähe des
Besucherbereichs abzuladen. Sträflinge durften niemals in die Nähe
der Lieferfahrzeuge kommen, aber ein Besucher mit einer Pistole
schickte das Kind mit der Waffe zu dem wartenden Truck. Da
niemand auf das kleine Kind achtete, konnte der Sechsjährige unter
Hell's Angel
229
den Truck kriechen und die Waffe unter dem Chassis verstecken.
Als der Truck das innere Tor durchfahren hatte, schlüpfte der Kleine
wieder unter den Wagen und holte die Pistole aus dem Versteck.
Das heiße Schießeisen ging im Knast von einer Hand zur anderen,
bis es bei demjenigen landete, für den es bestimmt war: ein Insasse,
der zwei Highway-Bullen erschossen hatte. Der Mann wußte, daß er
in seinem ganzen Leben nie mehr aus Folsom herauskommen
würde. Nach einigen Tagen sagte er zu einem Wachmann: »Ich habe
hier drin eine Pistole und möchte mich ergeben.«
Der Wachmann blies in seine Trillerpfeife, und schon stürmten
die Wärter mit ihren 30/30-Gewehren heran. Der Typ war ein mieses
Schwein, aber er war für den Abtransport aus Kalifornien in einen
anderen Staat bestimmt und im kalifornischen Justizsystem nicht
mehr sicher. Was er mit der Geschichte angerichtet hatte, war
Einschluß für uns alle und absolutes Chaos.
Der Einschluß war noch nicht alles; die Bullen durchwühlten
jedes Bett und jeden Winkel, jedes Stück Papier und jede Ecke in
jeder Zelle. Sie warfen tonnenweise Papier und Müll aus den Zellen,
und natürlich mußte anschließend wieder jemand die Müllautos
beladen.
Ich bin während des Einschlusses jeden Morgen zwei bis drei
Stunden ins Freie gekommen. Sie lassen mich und Scottie jeden
Morgen um acht raus, damit wir den Müllwagen beladen, aber
der kommt meist nicht vor 10:00 oder 11:00 Uhr, und so haben
wir Zeit, uns ins Gras und in die Sonne zu legen, bis der Truck
endlich kommt. Es ist so schön, mal für eine Weile aus der
Zelle rauszukommen, wenn auch nur ein paar Stunden. Die
geben uns sogar Lunch, weil wir im Freien arbeiten. Während des
Einschlusses bekommt sonst niemand etwas zu essen. Während
des Einschlusses übe ich auch viel Gitarre.
20. Juli 1977, Brief an Sharon
Es war ein warmer Sommer, und das Gefängnis war komplett in
Aufruhr. Der Verkaufsladen machte dicht. Zwei Wochen lang waren
sämtliche Sonderrechte aufgehoben. Nachdem wir den Müll geladen
hatten, lagen Scottie und ich draußen auf der Wiese. Ich
230
Ralph »Sonny« Barger
sah den Knastdirektor mit einer Gruppe von Beamten aus Sacramento auf uns zukommen. Der Zwischenfall mit der Pistole hatte
eingeschlagen wie eine Bombe, die Wachmannschaften waren
stinksauer und guckten sich die Augen aus dem Kopf, ob auch ja
niemand aus der Reihe tanzte. Und nun inspizierten die Justizbeamten das Gelände, und da lagen Scottie und ich in der Sonne
und aßen Beefsandwiches. Ich tat so, als sähe ich den Direktor
nicht, und sagte extra laut zu Scottie:
»Wenn ich erst mein Buch über den 1977er Einschluß schreibe,
dann erzähle ich auch, wie sie uns in Einzelhaft steckten, wie wir
uns auf die Pritschen legen mußten und sie die Scheiße aus uns herausprügelten, um zu erfahren, ob es noch mehr Pistolen gab ...«
Der Direktor blieb stehen und sah zu mir herüber.
»Und weißt du was, Barger, die Leute werden dir das wahrscheinlich auch noch glauben.«
Monate hatte ich schon m Folsom gesessen, als
Einundzwanzig
Sharon endlich die Erlaubnis bekam, mich zu besuchen. Sie
bekam sofort Probleme mit den Wachen, weil sie einen Schlüssel zum
Öffnen von Handschellen an ihrem Schlüsselbund hatte. Sharon
benutzte nämlich Handschellen, um ihr Bike abzuschließen.
Außerdem fanden die Wachen einen Schlüssel, der zu Sharons
Koffer gehörte und von dem sie glaubten, daß Sharon damit die
Fußfesseln aufschließen wollte. Ihre Besuchserlaubnis wurde
daraufhin wieder aufgehoben.
Im Gefängnis von Folsom hatte 1976 ein Besuchsprogramm für
Ehepaare begonnen, dessen Warteliste sehr, sehr lang war. Endlich
kamen wir an die Reihe. Sharon wohnte damals bei ihrem Bruder in
Santa Cruz, dort bekam sie eines Morgens den aufgeregten Anruf
von meinem Rechtsanwalt. Sharon fuhr einen weißen Econo-line
Combi, der auch als fahrbares Anwaltsbüro für meine Berufungsanträge diente, zu diesem Zweck war hinten im Wagen ein
kleiner Schreibtisch verankert.
Auf ihrer Fahrt nach Folsom zerstampfte Sharon ihre Benze-drinTabletten, schüttete sie in ihre Coca-Cola und trank das Zeug, bevor
sie sich am Gefängnistor anmeldete. Am Rückspiegel ihres Wagens
hing ein sexy Wäschestück. Die Gefängnisleitung
Hell's Angel
231
hatte einen kleinen Wohnanhänger für die Ehebesuche eingerichtet,
der nicht gerade wie eine Behausung für Flitterwöchner aussah.
Während wir zusammen in dem Anhänger waren, fing plötzlich eine
Schulglocke an zu läuten, was bedeutete, daß wir heraustreten
mußten, um von den Wachen inspiziert zu werden. Die ganze
Sache war schon ziemlich erniedrigend, aber Sharon und ich ließen
das über uns ergehen und verbrachten dort ein ganzes Wochenende
miteinander. Danach gelang es mir, häufigere Besuche Sharons bei
mir durchzusetzen.
Als Sharon regelmäßig zu Besuch kommen durfte, brachte sie
immer Zettel mit Anfragen mit, wie Dinge, die den Club betrafen,
geregelt werden sollten. Ich antwortete: »Keine Ahnung. Ich sitze
hier drin. Und ihr seid draußen. Überlegt es euch selbst.« Folsom
erwies sich als die schwerste Prüfung für Sharon und für die Mitglieder des Oakland-Clubs. Mehr als die Hälfte der 70er Jahre saß
ich im Knast und konnte mich um nichts kümmern.
Natürlich dachte ich auch über Flucht nach. Ich war schließlich
lebenslänglich im Knast. Meiner Meinung nach mußte ich für meine
Taten nicht länger als fünf Jahre bekommen. Wenn ich erst einmal
fünf Jahre hinter mir hatte, würde ich freikommen, das wußte ich
merkwürdigerweise. Ich wußte nicht genau, wie und wann, aber ich
wußte, daß ich am Ende gewinnen würde. Indem ich mich tadellos
benahm, konnte ich den Grad meiner Sicherungsverwahrung niedriger machen. Als ich in den Knast kam, gehörte ich zur höchsten
Sicherungsstufe. Als ich wieder rauskam, war es die niedrigste. So
hatte ich die Chance, in ein Gefängnis mit mehr Freiheiten verlegt zu
werden. Bald könnte ich in eine Freigänger-Anstalt überwiesen
werden und vielleicht einfach davonlaufen. Wie Timothy Leary.
Ich hatte nie einen Ausbruch geplant. Alles, was ich tun mußte,
war doch nur, die Möglichkeiten des Justizapparats zu nutzen.
Auto-Aufkleber »Befreit Sonny Barger«.
Shirley und Sharon kontaktierten inzwischen den berühmtesten
Anwalt von San Francisco, Melvin Belli. Er sollte versuchen, mich
frei zu bekommen. Die Frauen besorgten sich seine Telefonnummer
und riefen in seiner Kanzlei an. Damals arbeitete in Bellis Kanzlei ein
Anwalt namens Kent Russell, dessen Job es war, schwierige
Bürgerrechtsprobleme zu lösen und die Chancen von kriminellen
Sträflingen auszuloten. Belli warf nur einen Blick auf die
Informationen, die ihm die Hell's Angels lieferten, und entschied,
daß dies eine Aufgabe für Kent Russell war.
Die Tatsache, daß ich erneut angeklagt wurde, nachdem ich gerade erst wegen des Agaro-Mordes freigesprochen worden war, erschien ihm suspekt. Ich durfte zwar nach 15 Jahren einen Begnadigungsantrag stellen, aber das hieß noch lange nicht, daß man mich
entlassen würde, bevor ich nicht mindestens 30 Jahre abgesessen
hatte. Man hätte mich bis ins nächste Jahrhundert festhalten können.
Während meiner gesamten Zeit in Folsom kämpften wir gegen
die Marihuanavorstrafe an. Denn meine Verurteilung in der Marihuanasache bildete schließlich die Grundlage für die Höhe der Strafen
bei den anderen Anklagen. Aber Russell gab die bisherige Taktik auf,
die Urteile anzufechten, die mir aufeinander folgende Strafen
aufgebrummt hatten. Wir benötigten eine andere Strategie, um die
Vorstrafe wegen Marihuanabesitzes aufheben zu lassen.
Russell recherchierte und fand keine Beweise für die Anwendung
des sogenannten »Boykin-Tahl Waiver«, nach dem der Angeklagte
die genauen Konsequenzen seines Schuldeingeständnisses kennen
muß, bevor er auf schuldig plädiert. Als das Gericht mein
Schuldeingeständnis damals annahm, hätte es mir die Bestimmungen dieses »Waivers« vorlesen müssen. Damit hatte Russell
eine Chance gefunden, die Marihuanavorstrafe anzufechten. Als
man mich wegen des Marihuanas verknackt hatte, galt das Urteil als
kriminelle Vorstrafe. Inzwischen - seit den frühen 70er Jahren erfüllte Marihuanabesitz nicht einmal mehr den Tatbestand einer
Übertretung. Somit lieferte die Marihuanaverurteilung uns jetzt die
Grundlage für eine Urteilsanfechtung wegen fehlerhafter
Voraussetzungen, wodurch die Urteile mit den hohen Strafen auch
bald zusammenbrechen müßten.
Hell's Angel
233
Nach der Verabschiedung der Gesetzesvorlage SB 42 war es in
Kalifornien unrechtmäßig, Freiheitsstrafen von unbestimmter
Dauer auszusprechen. Den Forderungen der Öffentlichkeit nach
härteren Strafen folgend, verlangte die Gesetzesnovelle »Senate
Bill 42«, inzwischen »genau bestimmte« Strafmaße auszusprechen,
das heißt, daß die Richter keine Strafen von fünf, zehn oder 15
Jahren bis zu lebenslänglich mehr verhängen durften.
Jetzt waren die Staatsanwälte in großer Bedrängnis. Der Besitz
von 19 Joints war 1977 kein schweres Verbrechen mehr, wie es 1963
der Fall gewesen war. Also hob der Bundesgerichtshof die Marihuanaverurteilung als kriminelle Vorstrafe auf, womit auch die Waffenverurteilung entkräftet wurde, denn nun war ich ja kein Vorbestrafter mehr, als die Waffen bei mir entdeckt wurden. Statt vor
dem Begnadigungsausschuß zu erscheinen, mußte ich vor den Entlassungsausschuß treten, um neu verurteilt werden zu können. Das
war, als bekäme ich ein ganz neues Gerichtsverfahren.
Jetzt bedeuteten alle meine Urteile ein Strafmaß von weniger als
die fünf-plus Jahre, die ich ja schon abgesessen hatte.
Die Staatsanwaltschaft wußte genau, daß wir zwingende juristische Argumente besaßen und daß wir die Revision gewinnen würden, mit der wir das 1964er Urteil in der Marihuanasache umstoßen
konnten. Ohne weiteres Aufheben zog sich die Anklagebehörde aus
der Sache zurück. Auf Beschluß des Entlassungsausschusses konnte
ich nun innerhalb von 120 Tagen entlassen werden, weil ich mein
neues Strafmaß bereits praktisch erfüllt hatte. Ich kehrte in meine
Zelle zurück.
Eine Stunde später teilte mir Lieutenant Buchanan mit, ich
müsse mich unverzüglich im Büro des Sträflingsbetreuers melden.
Dort bat ich darum, meine Frau anrufen zu dürfen, damit sie mir
Zivilklamotten schickte, falls ich entlassen werden würde. Der
Sträflingsbetreuer erklärte mir, dafür sei nicht mehr genug Zeit. Ich
solle Sharon anrufen und ihr sagen, sie möchte am nächsten
Morgen um acht Uhr - allein - in Folsom erscheinen, dann würde
ich entlassen.
Ich schluckte nur einmal hart. Innerhalb eines einzigen Tages
war ich vom Lebenslänglichen zum Entlassungskandidaten am
nächsten Morgen geworden.
234
Ralph »Sonny« Barger
Normalerweise werden in Folsom alle ein- und ausgehenden
Telefonate gesperrt, wenn etwas Aufregendes - in diesem Fall
meine Entlassung - ansteht. Als ich völlig perplex aus dem Büro
des Sträflingsbetreuers kam, sprach mich ein Insasse und Freund,
John, wütend an: »Ich weiß nicht, was hier los ist, aber irgendein
Arschloch wird morgen früh entlassen, und jetzt darf ich nicht
telefonieren.«
Ich war das Arschloch.
Ich war damit einverstanden, in aller Stille am Morgen entlassen
zu werden - am 3. November 1977 -, und auch damit, daß Sharon
mich allein abholen würde, also ohne die donnernden Motoren von
100 Hell's Angels auf ihren Maschinen. Nach meinen fünf Jahren in
Folsom war es mir mehr als recht, ohne großes Aufheben in die
Freiheit zurückzukehren. Unverzüglich entlassen zu werden war in
jedem Fall besser, als die letzten 120 Tage noch abzusitzen, zumal
die letzten Tage sicherlich die schwersten geworden wären.
Sharon holte mich m einer nagelneuen Corvette ab, und sie sah
wirklich blendend aus. Wir verließen Folsom auf Nimmerwiedersehen. Es gilt als schlechtes Omen unter Ex-Insassen, den Knast zu
besuchen, in dem man einmal gebrummt hat.
Wenn ich einmal zu alt bin, ein Motorrad zu fahren oder mit
einem hübschen Mädchen ins Bett zu steigen, dann würde ich eher
ins Gefängnis zurückgehen, als in einem Altersheim für Veteranen zu
leben. Im Knast behandelt man alte Sträflinge mit Respekt. Da
kauft man Zigaretten und Eiskrem für dich und hört deinen
Erinnerungen zu. Das klingt in meinen Ohren viel besser, als mit
klapprigen alten Männern Scrabble zu spielen.
Als ich Folsom als freier Mann verließ, konnte ich mir gut vorstellen, wie stocksauer und frustriert die FBI-Leute sein mußten,
daß ich nun wieder auf meinem Motorrad und mit meinen Clubabzeichen auf den Highways fahren konnte. Innerhalb eines Jahres
bereitete sich das FBI aber heimlich schon auf die zweite Runde vor.
Sie hatten sich eine nagelneue Waffe besorgt, mit der sie den Hell's
Angels Motorclub in einem einzigen Streich zu Fall bringen wollten.
Die Wunderwaffe hieß RICO.
Wir gegen das FBI: Fu Griffin zeigt dem System den Stinkefinger.
12
RICO
I
m Büro des Sheriffs vom Landkreis Solano arbeitete eine Zeitlang
ein Bulle namens William Zerbe. Wegen seiner engen Zusammenarbeit mit der Drogenpolizei DEA und dem FBI benahm
er sich manchmal, als sei er selbst ein FBI-Agent, der den
Mitgliedern des Oakland-Clubs auf den Fersen war.
Zerbe und ich sind uns niemals über den Weg gelaufen, aber
während er im Februar 1978 für seine FBI-Freunde arbeitete, hatte er
einen Hell's Angel namens James »Jim Jim« Brandes im Visier. Aus
Angst vor den Gefahren bei seiner Arbeit ging Zerbe morgens nicht
gleich zu seinem Wagen, sondern stellte sich an einen bestimmten
Platz vor seinem Haus und -startete sein Auto mit einer
Fernbedienung.
Zerbe war schon ein sehr umsichtiger Bulle, bis auf einen Morgen,
als er zum Gericht von Solano fahren wollte, um in einer Drogenund Waffengeschichte gegen Jim Jim auszusagen. Er stand wieder
mit der Fernbedienung an seiner üblichen Stelle, und als er auf den
Knopf drückte, explodierte zwar nicht sein Wagen, aber genau da,
wo er stand, ging eine Bombe hoch. Schwer verletzt, entging Zerbe
nur knapp dem Tod.
Zur selben Zeit wurde auch ein Polizeisergeant namens Kroc auf
einer Straße in San Jose durch eine Bombe verletzt. Kroc hatte
unmittelbar vorher Jim Jim verhaftet.
Im Frühjahr 1978 gab es eine Grand-Jury-Ermittlung wegen des
Bombenanschlags gegen Zerbe. Damals saß ich gerade für vier
Monate im Bezirksgefängnis wegen Übertretung meiner Bewährungsauflagen. Man brachte mich zum Bezirksgericht von Solano,
wo ich vor der Grand Jury aussagen sollte. Ich hatte keine AhHells Angel
237
nung, daß es bei der Verhandlung um den Bombenanschlag auf
Zerbe ging. Aber ich ärgerte mich, daß ich wieder einmal gegen
meinen Willen irgendwohin geschickt wurde, und als ich meinen
Namen nennen sollte, sagte ich nur: »Fuck you!«
Der Staatsanwalt wurde daraufhin ziemlich wütend. Wenn ich
noch einmal so etwas sagen würde, dann müßte ich mit einer noch
längeren Haftstrafe rechnen. Ich trug Beinfesseln mit einer Kette
um die Hüften, Handschellen und war zusätzlich noch an meinen
Stuhl gekettet. Da ich ein erfahrener Folsom-Insasse war, fragte
ich zurück: »Was hüben Sie denn vor - wollen Sie mir noch mehr
Ketten anlegen lassen?« Sogar der blöde Staatsanwalt mußte lachen.
Man schleppte mich vor den Richter, der mir befahl auszusagen, ansonsten würde er mich wegen Mißachtung des Gerichts
einsperren. Ich erklärte ihm, mein zweiter Vorname sei Contempt »Mißachtung« - und er habe keinerlei Grund, mich einzusperren.
Ich sei aus dem Bezirksgefängnis gekidnappt worden, mein
Anwalt wisse nicht, wo ich mich aufhalte, und ich würde kein
Wort aussagen, weil ich das Gericht nicht anerkannte. »Stecken
Sie sich das ganze fucking System in den Arsch!« schloß ich meine
Rede.
Der Richter erkannte auf Mißachtung und ließ mich in den
nächsten Knast bringen. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß ich im Grand-Jury-Saal gewesen war, denn dorthin waren
auch andere Clubmitglieder und Freunde geladen worden. Jemand
hatte gesehen, wie ich in Ketten vor Gericht geführt wurde. Die
Bullen weigerten sich noch immer, meinem Anwalt Kent Russell zu
sagen, wo ich war. Daraufhin gab Russell eine Vermißtenmeldung
bei einem anderen Richter auf. Am nächsten Tag war ich wieder im
Knast von Alameda - ohne Mißachtungsklage. Offiziell war ich
überhaupt nicht aus dem Knast geholt worden.
In der Bombenanschlagsgeschichte kam es nie zu einer Anklage
gegen irgend jemand, aber die Anklagebehörde und die Bullen
waren von der Sache so aufgeschreckt, daß sie nicht einfach darüber hinweggehen konnten. Die örtlichen Bullen und die Staatspolizei hatten die Hell's Angels danach regelmäßig wegen angeblicher Drogen- und Waffenbeschuldigungen auf dem Kieker, aber
238
Ralph »Sonny« Barger
meistens kamen wir mit Hilfe unserer Anwälte ungeschoren davon.
Die Gesetzeshüter reagierten langsam ziemlich frustriert auf unsere
Katz-und-Maus-Spiele.
Außerdem war die Justiz verärgert darüber, daß ich nach meiner
Entlassung aus dem Gefängnis meine Mitgliedschaft zu den Hell's
Angels nicht beendet hatte, doch ich weigerte mich, ihr Spiel
mitzuspielen. Viele auf Bewährung Entlassene hätten sich dem
Willen der Regierung gebeugt und aus Vorsichtsgründen Abstand
von einer derartig im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses
stehenden Gruppe wie die Hell's Angels gehalten. Aber obwohl ich
nun kein Vorstandsmitglied des Oakland-Clubs mehr war, sahen
mich immer noch viele Leute als Galionsfigur der Organisation an.
Wenn ein Mitglied des Clubs ms Gefängnis mußte, versuchten wir,
für seine Kinder und seine Familie zu sorgen. Im Clubhaus wurde
auch jedes Jahr unser Thanksgiving-Dinner gefeiert. Solche
Routine-Aspekte des Clubs paßten der Justiz und der Polizei ganz
und gar nicht.
Da die Polizei den Club mit Verhaftungen und Prozessen nicht zu
Fall bringen konnte, brauchte die Regierung eine neue Methode, um
die gesamte Vereinigung der Hell's Angels als kriminelle
Organisation anzugreifen. Auf diese Weise konnte sie auch Mitglieder anklagen, die selbst gar keine krummen Dinger gedreht
hatten, sondern nur Gesellschaft mit Leuten pflegten, die etwas
verbrochen hatten. Die Regierung war zum Beispiel davon überzeugt, daß die Hell's Angels Methamphetamin-Labors betrieben und
direkt am Ertrag allen Rauschgifthandels beteiligt waren. Deshalb
brauchte sie eine Möglichkeit, uns auch ohne die Beweisführung
traditioneller Verschwörung allein wegen der Zugehörigkeit zum
Club vor Gericht zu bringen.
Und dann kam RICO.
RICO, »Racketeer Influenced and Corrupt Organisations« verbrechergesteuerte und korrupte Organisationen - ist ein Bundesgesetz, das auf einer Gesetzesvorlage gegen das organisierte
Verbrechen beruht, die der US-Kongreß 1970 verabschiedet hatte.
RICO war eine Variante der traditionellen Verschwörungsgesetze
und der Anti-Verbrechen-Gesetzgebung, die aus den Verbrechensbekämpfungsgesetzen der 50er Jahre hervorgegangen waHells Angel
239
ren. All diese Gesetze folgten Beschwerden, daß organisierte Verbrecherbanden oder -gruppen zu große Profite machten und insgesamt zu mächtig geworden waren.
RICO zielte nicht auf einzelne Kriminelle, sondern diente der
Verfolgung von Verbrechergruppen durch den Bundesjustizapparat. Im juristischen Jargon nennt man eine solche Gruppe »das
Unternehmen«. Jede Gruppe - selbst legale Organisationen wie
Gewerkschafts-Ortsgruppen, eine politische Gruppe oder ein
Motorradclub - könnte von der Regierung als »Unternehmen« der
Zielgruppe untersucht werden.
Die frühesten RICO-Fälle richteten sich gegen mafiaartige Organisationen, und die Bundespolizei arbeitete aufgrund dieser
neuen Befugnisse eng mit der Staatenpolizei zusammen. Eine völlig
neue Art der Strafverfolgung war geboren.
Bundesstaatsanwälte kamen mit der Hilfe des FBI, der DEA und
der kalifornischen Behörden zu dem Schluß, daß es ein kriminelles
»Unternehmen« mit der Bezeichnung Hell's Angels Motorrad
»Gang« gab und daß die Aktivitäten sämtlicher Mitglieder eine
kriminelle Verschwörung darstellten. Nach den Bestimmungen von
RICO konnten individuelle Übertretungen von Bundes- und
Staatsgesetzen nun zusammen mit anderen Verbrechen als »typisch
für eine Gang« eingestuft werden. Die Bundesbehörden durften
sich dabei sogar auf frühere und längst abgeurteilte Taten stützen,
um eine Anklage wegen Verschwörung vor Gericht zu bringen.
Diese Strafverfolgungen begaben sich auf den gefährlichen Boden
von
Doppelverurteilungen
und
der
Verletzung
von
Verjährungsbestimmungen. Alle kriminellen Taten, für die wir
nach RICO-Regeln verurteilt würden, konnten jetzt für jeden einzelnen Fall mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden.
Die Reporter eines lokalen Fernsehsenders nannten RICO »das
Gesetz mit dem komischen Namen«. In jedem Fall war es die neue
Trumpfkarte in der Hand der Regierung gegen die »Big Red Machine«, die Hell's Angels.
D
ie sorgfältig geplante Großrazzia der Bundespolizei war ursprünglich für die Morgendämmerung des 14. Juni 1979 vorgesehen. Weil die Polizei aber befürchtete, wir könnten durch Ge-
240
Ralph »Sonny« Barger
währsleute vorher von der Sache erfahren, verlegte sie die Razzia
auf den Vorabend. An diesem Abend fing das Feuerwerk an.
Alle Mitglieder unseres Clubs sollten sich am 13.Juni um 20:00
Uhr beim Clubhaus von Oakland treffen. Wir wollten gemeinsam zu
einem Dinner in ein Restaurant in Alameda fahren, um dort das
zehnjährige Jubiläum von Michael Malve bei den Hell's Angels von
Oakland zu feiern. Um gegen acht Uhr beim Clubhaus zu sein,
mußten wir alle zwischen 19:00 und 19:30 Uhr unsere Wohnungen
verlassen. Als wir beim Clubhaus eintrafen, hatten die Bullen sich
bereits unsere Häuser vorgenommen. Zuerst traten sie die Glastür
von Jim Jims Haus ein. Sie hatten beobachtet, daß er weggefahren
war, und wußten also, daß niemand im Haus sein konnte. Die
Razzien wurden von Fernsehteams begleitet, damit sie in den 23:00Uhr-Nachrichten im Fernsehen gezeigt werden konnten. Daher
veranstalteten die Bullen eine gigantische Show, sie brüllten in das
leere Haus hinein, als einer von ihnen seinen Stiefel durch die
eingetretene Glastür steckte. Das Ganze wurde wie eine Art
Räuber-und-Gendarm-Spiel vorgeführt.
Bis heute würde ich darauf wetten, daß die Bundesbullen davon
überzeugt waren, die Polizei von Oakland hätte uns vor der geplanten Razzia gewarnt. Dabei nahmen gar keine Bullen aus Oakland
daran teil. Denn die Bundespolizei hatte der Polizei von Oakland
bewußt nichts von ihren Absichten mitgeteilt, weil sie glaubten, wir
hätten dort einen »Maulwurf«.
Wir bekamen den ersten Telefonanruf, während wir beim Clubhaus auf die anderen warteten. Die Bullen waren über Sergey
Waltons Haus hergefallen. Er war weder zu Hause noch war er bei
uns. Dann bekamen wir einen zweiten Anruf: Vor laufenden Fernsehkameras durchsuchten die Bundesbullen das Haus von Mouldy
Marvin. Auch Mouldy war nicht zu Hause. Daraufhin riefen wir
alle zu Hause an. Wenn ein Bulle den Hörer abnahm, fuhr der
Betreffende sofort nach Hause. Als ich zu Hause anrief, antwortete
niemand, also fuhr ich nicht zurück. Wir Übriggebliebenen
machten uns auf den Weg zum Dinner für Malve. Ich hatte die
Zehn-Jahres-Gürtelschnalle und die 700 Dollar für das Dinner in
meinen Jackentaschen.
Wir waren erst drei Straßen vom Clubhaus entfernt, als uns die
Hell's Angel
241
Bullen einholten. Ein Schwärm von Polizeiwagen und Zivilfahrzeugen umringte uns. Die Männer sprangen aus ihren Wagen. Einige trugen blaue Jacken mit den großen gelben Lettern - FBI -auf
dem Rücken. Ich konnte kaum glauben, was für ein Theater diese
Bullen aus der Sache machten. Sie steckten in Kampfuniformen und
kugelsicheren Westen und zielten mit ihren Pistolen auf uns. Wir
mußten uns mit gespreizten Armen und Beinen an einen Drahtzaun
stellen. Zwischen jedem von uns postierten sich Polizisten und
zielten mit ihren Schrotflinten auf unsere Rücken.
»Hände hoch in die Luft und keine Bewegung!«
»Was, the fuck, soll ich denn nun tun?« antwortete ich. »Mich
nicht bewegen oder meine Hände hochstrecken?«
Die Bullen fanden das überhaupt nicht komisch.
Sharon und ich wurden in Handschellen auf die Rücksitze eines
weißen Impala ohne Polizeimarkierung geschubst. Statt uns direkt
zum Bundesgebäude in San Francisco zu bringen, fuhr der Wagen
ziellos in Oakland herum. Ich begann, ernsthaft zu befürchten, daß
diese Motherfucker den Nerv hatten, uns einfach irgendwo
niederzuballern. Meine Hände waren hinter meinem Rücken
gefesselt, und ich überlegte, wie ich mich an den Fahrer
heranmachen müßte, um ihn in die Halsschlagader zu beißen.
Ich wollte Sharon gerade meinen Plan zuflüstern, da drehte sich
der Fahrer um und fragte: »Hey, Sonny, wie kommt man denn nach
Government Island?«
Die blöden Bundesbullen hatten sich tatsächlich verfahren!
Schließlich fuhren sie uns zu einem Platz auf Alameda Island,
wo sie eine Art behelfsmäßiges Polizeirevier eingerichtet hatten,
um uns zu verhören. Sharon und ich wurden aus dem Wagen gezogen und zu einer Stelle gebracht, die wie eine Militärkaserne
aussah. Die anderen Verhafteten kamen gruppenweise hinterher.
Wir wurden im Kreis auf Stühle gesetzt.
Die Polizeioffiziere, die zum Teil bunte Hawaiihemden trugen,
fotografierten etliche Leute im Raum - von denen ich einige seit
Jahren nicht mehr gesehen hatte, sie kamen nur gelegentlich zum
Club und waren nun mit uns zusammen verhaftet worden.
Alle fragten, was los sei und was man uns eigentlich vorwerfe.
Aber abgesehen von verschiedenen Anschuldigungen bei meiner
242
Ralph »Sonny« Barger
Lächeln für die Gefängniskamera. Sharons RICO-Schnappschuß.
Verhaftung konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wieso wir
alle hierher geholt worden waren.
Nachdem man uns allen die Fingerabdrücke abgenommen und
uns noch ausgiebiger fotografiert hatte, wurden wir alle gemeinsam
über die Bay Bridge in eine Untersuchunghaftzelle im obersten
Stockwerk des San-Francisco-Bundesgerichts gebracht. Die Männer
mußten auf der einen und die Frauen auf der anderen Seite sitzen.
Wir saßen herum und fragten uns, was in Henkers Namen eigentlich
los war.
Am nächsten Tag brachten die Abendnachrichten - die wir im
Tagesraum sehen konnten - als Aufmacher unsere Geschichte. Wir
sahen, wie die Bundesbullen am Abend vorher unsere Häuser
überfallen hatten. Ich hatte bis dahin nicht gewußt, wie umfangreich
diese Razzien gewesen waren, in wie vielen Häusern Durchsuchungen gemacht wurden und daß man auch in mein Haus eingebrochen war. Auf dem Bildschirm konnte man wunderbar sehen,
wie die Beamten ganze Kisten voller Beweismaterial aus meinem
Haus herausschleppten. Alle meine Sachen - Flaggen,
Hell's Angel
243
Poster, Plakate und sogar Benzintanks, auf die Death Heads gemalt
waren, wurden konfisziert.
Die Kommentatoren beschuldigten die Hell's Angels, eine kriminelle Organisation zu sein, der ich als Chef vorstand. (In Wirklichkeit war ich seit meiner Entlassung aus Folsom 1977 kein
Amtsträger des Clubs mehr.) Weiter hieß es, die Hell's Angels
steckten tief im Methamphetamin-Geschäft - sie stellten Speed her
und verkauften es. Wir seien Drogenhändler und darüber hinaus in
Prostitutionsgeschäfte verwickelt. US-Bundesanwalt G. William
Hunter (wir sagten immer aus Jux, er sei mit jenem Meredith Hunter
verwandt, der in Altamont ums Leben kam) verkündete in einem
Interview: »Dieser Club ist eine Dachorganisation zur Verbreitung
krimineller Tätigkeiten.« Hunter behauptete außerdem, daß wir an
Morden und Erpressungen beteiligt seien. Der Leiter der regionalen
Drogen-Ermittlungs-Agentur (DEA) erklärte: »Dieser Schlag
(gemeint waren die Razzien und Verhaftungen vom Vorabend) ist
von außerordentlicher Bedeutung, weil es dabei nicht nur um
Anklagen gegen Einzelpersonen, sondern um eine Klage gegen die
ganze Organisation geht. Die Organisation der Hell's Angels bricht
bewußt die Gesetze der Vereinigten Staaten von Amerika.«
Die Anklagen und Bezichtigungen gegen uns nahmen kein Ende.
Man warf uns vor, Richter, Staatsanwälte und Polizisten zu bestechen und so ein ganzes Netzwerk von Rechtsanwälten und Kautionsstellern geschaffen zu haben. Wir hätten Handbücher mit den
Funkfrequenzen von Polizeioffizieren, ihren Privatanschlüssen, den
Telefonummern ihrer Freundinnen (oder Freunde) und sogar viele
Geheimnummern. Ein News-Moderator behauptete sogar, wir
beherrschten den Handel mit Methamphetamin in so einem
Ausmaß, daß wir - ebenso wie die großen Ölgesellschaften - die
Preise nach unseren Wünschen diktieren könnten.
Als die Nachrichtensendung vorüber war, wußte ich, daß wir in
großen Schwierigkeiten steckten. Ich hatte keine Ahnung von den
gesetzlichen Bestimmungen der RICO. Anfangs dachte ich, wir
seien wegen Drogenhandels und wegen Prügeleien mit Bullen verhaftet worden. Die Anklage aber, so mußte ich nun erfahren, lautete
gänzlich anders - und war viel ernster. Die Behörden hatten
244
Ralph »Sonny« Barger
einen totalen Krieg angefangen, um unseren Club ein für alle Mal
zu zerschlagen.
Ein Fernsehreporter interviewte mich, und ich mußte im Knast in
einem orangefarbenen Drillichanzug vor den Kameras erscheinen.
»Die Hell's Angels sind eine Organisation von Menschen, die gern
Motorrad fahren, Spaß haben, auf Partys gehen und alles mögliche
gemeinsam tun«, erklärte ich. »Die Tatsache, daß einige Leute aus
Hells's Angels Clubs Verbrechen begangen haben, macht doch die
Organisation noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung.«
Der gefährliche Aspekt von RICO liegt darin, wie die Anklagebehörde die Beweiserhebung als »Verschwörung eines Unternehmens« führen kann - wie sämtliche Mitglieder zu Komplizen
eines Verbrechens gemacht werden können. Selbst Personen, die
nur indirekt mit uns zu tun haben, können festgenommen und in
Zusammenhang mit der Verschwörung gebracht werden. Wenn ich
zum Beispiel jemandem Drogen verkauft hatte und ein anderer Hell's
Angel derselben Person ebenfalls etwas verkauft hatte, wovon ich
keine Ahnung hatte, dann würde man uns als Komplizen einer
Verschwörung ansehen. Die Anklage versuchte zu beweisen, daß,
wenn ein Hell's Angel wegen Mordes verurteilt wurde oder wegen
dieser Beschuldigung vor Gericht stand, wir alle davon gewußt
hätten und mit ihm in dem Mordfall konspiriert hätten. Man wollte
auf Teufel komm raus beweisen, daß wir eine »Gang« waren, die in
Verbrechen verwickelt ist, und daß gerade das der Grund für unsere
Gemeinschaft sei. Das war natürlich ein Haufen Bullshit, aber es
würde schwierig werden, sich dagegen zu verteidigen. Eine Menge
unserer Mitglieder hatten im Laufe der Jahre viele mehr oder
minder zufällige Gewalttaten begangen. Jetzt war die Zeit gekommen,
uns wirklich wie ein Club zu verhalten und zusammenzustehen.
Jetzt ging es um unser im »First Amendment« der US-Verfassung
verbrieftes Recht der freien Versammlung.
Als die Hell's Angels im Oktober 1979 zum Prozeß vor Gericht
erscheinen mußten, hatte sich noch niemand mit Erfolg gegen
RICO wehren können. Niemand. Wenn man verhaftet wurde,
konnte man gleich in Panik geraten, denn dann war man bereits
»schuldig«; dagegen gab es keine Verteidigung. Die Macht, die
Hells Angel
245
RICO ausübte, führte im allgemeinen dazu, sich sofort für schuldig
zu erklären und so schnell wie möglich einen Deal zu machen. Die
Hell's Angels waren die ersten, die sich zur Wehr setzten und es auf
einen Prozeß ankommen ließen.
Unsere ersten RICO-Verhaftungen gründeten sich auf eine Anzahl
von Ereignissen - die als Mordversuch angesehenen Bombenattentate auf Zerbe und Kroc plus jede Tötung im Umkreis des
Clubs, jeden Drogenhandel und sogar die Anklagen, derentwegen
ich in Folsom gesessen hatte. Wenn der Staat einen aufgrund der
RICO-Bestimmungen anklagt, dann kann man wegen allem, wofür
man je verhaftet wurde, erneut vor Gericht gezogen werden - egal
ob man verurteilt oder freigesprochen wurde.
Unser RICO-Fall nannte sich Die Vereinigten Staaten von Amerika
gegen Ralph Barger Jr. und andere (es folgten die Namen von
etlichen anderen Mitangeklagten). Bis zu den letzten Wochen vor
der ersten Razzia stand ich an der Spitze ihrer Liste, entweder aus
rein alphabetischen Gründen oder als Hauptanführer. Von den 28
ursprünglich Beschuldigten bekamen zehn die Chance, sich bei
relativ geringfügigen Anklagen für schuldig zu erklären. Ein Mitglied wurde im Besitz einer Pistole festgenommen. Die Staatsanwaltschaft bot ihm an, die RICO-Anklagen gegen ihn fallenzulassen, wenn er sich des illegalen Waffenbesitzes für schuldig
erklärte. Wir erlaubten ihm den Deal, denn es wäre sinnlos gewesen,
ihn wegen des Besitzes einer Waffe 40 Jahre brummen zu lassen.
Einige der Angeklagten waren keine Hell's Angels, darunter
Sharon, Anita Musick und Burt Stefansons Frau Charlene. Johnny
Angel, Burt, Bobby England, Michael Musick, AI Perryman, Manuel
Rubio und ich gehörten zum Oakland-Club und standen mit den
anderen Angels vor Gericht.
Meine Kaution wurde auf eine Million Dollar festgesetzt und
dann auf zwei Millionen Dollar erhöht. Sharon versuchte noch aus
dem Gefängnis, die Summe aufzubringen; viele meiner Freunde
stellten ihre Immobilien als Sicherheit. Ich sagte Sharon
schließlich, sie müßte sich nicht mehr bemühen, denn ich wußte,
daß ich sowieso nicht freikommen würde. Nach etlichen Monaten
Untersuchungshaft wurde ich endlich dem Untersuchungsrichter
246
Ralph »Sonny« Barger
vorgeführt, der meine Kaution auf 100 000 Dollar herabsetzte, unter
der Bedingung, daß ich mich, während ich auf freiem Fuß war, nicht
mit dem Club in Verbindung setze. Ich erklärte dem Richter, er
könne sich die Kaution in den Arsch schieben. Angesichts all der
Hell's Angels, die im Knast sitzen, wäre es mir lieber, mit ihnen
zusammenzusitzen als draußen frei herumzulaufen. Nach diesem
Ausbruch sagte der Richter zu meinem Anwalt: »Ich wußte doch, daß
ich ihm dieses Angebot nicht hätte machen dürfen.«
Während ich im Knast saß, plazierten die Freunde des Clubs eine
ganzseitige Anzeige im San Francisco Chronicle, in der sie die
Öffentlichkeit vor den Gefahren warnten, die durch die RICOVerfolgung der Hell's Angels heraufbeschworen wurden. Die Anzeige kostete zehn Riesen (10 000 Dollar) und wurde aus Spenden
bezahlt. Die Regierung, so hieß es darin, trete unsere (und damit
auch die aller anderen Bürger) verfassungsmäßigen Rechte mit
Füßen. Sie lasse unsere Türen und Fenster eintreten und uns in
Handschellen davonschaffen. Auf welcher Seite der politischen
Landschaft man auch immer stehe, es müsse jedem klar sein, daß
die Regierung unsere Rechte unter dem Vorwand beschneide, uns
vor sogenannten subversiven Gruppen schützen zu wollen.
Wir beauftragten alle unsere Rechtsanwälte und konzentrierten
unsere Strategien. Viele Anwälte hatten panische Angst vor RICO
und versuchten, Deals mit dem Staat zu machen. Die Regierung bot
jedem von uns fünf Jahre Knast an, damit hätte der Prozeß
vermieden werden können. Aber als wir uns alle zu Rechtsberatungen zusammensetzten, beschlossen wir: Niemand plädiert
auf schuldig, und jeder geht vor Gericht. Wir machten allen Anwälten, die uns in dieser Sache vertraten, klar, daß keiner seinen
Mandanten dazu ermuntern solle, einen Deal mit der Bundesanwaltschaft zu machen oder gar gegen einen anderen Hell's Angel
unter den Angeklagten auszusagen. Keiner unserer Anwälte solle
behaupten, sein Mandant gehöre der Gruppe gar nicht an, oder
versuchen, einen anderen Angeklagten zu belasten. Wir waren
eisern entschlossen, die Sache als Hell's Angels bis zum Ende
durchzufechten. Entweder würden wir alle gewinnen oder allesamt
ins Gefängnis gehen.
Wir arbeiteten verbissen an unserer Sache und hielten uns stänHell's Angel
247
dig in jeder Phase des Kampfs auf dem laufenden. Ich las jeden
Fetzen Papier, der aus dem Gerichtssaal kam. An jedem Sitzungstag
ging es ins Gericht. Gelegentlich hatte ich in dem Verfahren sogar
mit anderen Hell's Angels Probleme. Wenn der Richter und die
Bundesbeamten nicht alle »einsitzenden« Angeklagten bei Abwesenheit der Jury ins Gericht kommen lassen wollten, bestand
ich trotzdem darauf, anwesend zu sein. Damit machte ich gelegentlich andere Angeklagte wütend, die es albern fanden, daß alle
Mann vor Gericht erscheinen sollten. Aber wir hatten einen Beschluß gefaßt, und ich gab nicht nach.
Der Prozeß wurde bald zu einem Fiasko, und inmitten des
ganzen Trubels versuchten wir, so viel Spaß wie möglich zu haben.
Bei 18 Anwälten mit 18 Angeklagten mußten mehrere Sitzreihen
im Saal für uns aufgebaut werden. Tischkarten mit Namen standen
auf den verschiedenen Plätzen. Jeder Anwalt und jeder
Angeklagte mußte jeden Tag auf demselben Platz sitzen, weil der
Richter sonst niemals all die Namen hätte auseinanderhalten
können.
Es gab so viele Angeklagte, daß mancher Anwalt den Namen seines
Mandanten mitunter tagelang nicht hörte. So saßen die armen Kerle
also wochenlang im Gericht und verfolgten die Prozedur, als seien
sie in einem Jura-Seminar und nicht in einem Strafprozeß. Endlich
kamen sie an die Reihe, um vor die Geschworenen zu treten oder
einen Informanten oder Agenten der Justizbehörden ins
Kreuzverhör zu nehmen.
Für den Prozeß war ein riesiger Saal im Gerichtsgebäude ausgewählt worden, ein Raum, der normalerweise für große Versammlungen oder für Einbürgerungsfeierlichkeiten benutzt wurde.
Wenn ein Anwalt ein Kreuzverhör durchführte, mußte er oder sie
einen langen Weg bis vor die Jury laufen; es war beinahe wie im USSenatssaal im Capitol. Unter den Anwälten, die in erster Linie unsere
Belange vertraten, waren Kent Russell, Frank Mangan, Richard
Mazer, Alan Kaplan und Judd Iverson. Ein Team aus vier
stellvertretenden US-Bundesstaatsanwälten unter Roberte Dondero war unser juristischer Gegner.
Vor dem Saal wurden große Metalldetektoren - Sicherheitsschleusen - aufgebaut, Sitze wurden aus dem Saal entfernt, und die
248
Ralph »Sonny« Barger
Gerichtsordner bauten kugelsichere Trennscheiben auf. Zwischen
den Angeklagten und der Richterbank waren allerdings keine solcher Trennscheiben. Die Fenster wurden verhängt, damit niemand
von draußen hereinsehen konnte. Der Sicherheits-»Overkill« der
Regierung ging sogar noch weiter. Jeden Morgen vor der Verhandlung wurden wir durch Sicherheitsschleusen vor den Türen des
Saals geführt, und die Ordner tasteten uns mit metallempfindlichen
Suchstäben ab. Metalldetektoren waren 1979 ein seltener Anblick in
Gerichtssälen.
Die Mitglieder der Jury kamen aus verschiedenen Gegenden, von
San Francisco bis an die Grenzen von Oregon. Die meisten
Prospects wurden wegen der zu erwartenden Länge des Verfahrens
aus ihrer Pflicht zur Mitwirkung bei den Geschworenen entlassen.
Die Prospects hatten im übrigen auch Angst vor unserem
gefährlichen Aussehen. Normalerweise trugen wir im Saal unsere
Zivilklamotten, aber manchmal, wenn wir auffallen und den Richter
ärgern wollten, kamen wir in unseren grell orangefarbenen
Sträflingsklamotten.
Tagsüber brachte man uns zwischendurch in Haftzellen im 16.
Stock, drei oder vier Etagen oberhalb des Gerichtssaals. Man
brachte immer acht oder zehn von uns vor Prozeßbeginn herunter,
und wir hüpften in den Aufzügen immer so wild, daß einer der
Wärter deswegen kotzen mußte. Einmal löste sich eine Aufzugskabine vom Kabel und stürzte eine Etage tief hinab, ehe die
Sicherheitsbremsen faßten. Wir saßen stundenlang in dem Aufzug
fest, und einer der Wärter aus Fresno sagte zu uns: »Würden Sie
das bitte in Zukunft unterlassen? Bei mir zu Hause gibt es nämlich
keine Gebäude, die höher sind als eine Hutschachtel.«
Einige der Biker-Girls dachten sich die verrücktesten Sachen aus,
um ihren Männern im Knast eine Freude zu machen. Als wir im
Alameda-Bezirksknast von Oakland saßen, konnte man durch die
kleinen Fenster der Zellen ein Stück weit sehen. Von meiner Zelle
aus konnte ich bis zum Eingang von Laney College schauen. Sharon
kam mit meinem Hund zu einer bestimmten Stelle und winkte mir
von dort zu. Einmal kam sie sogar auf die Idee, dem Hund einen
Trenchcoat anzuziehen und ihm eine Mütze aufzusetzen. Dann
versuchte sie, den Hund in dieser Verkleidung in
Hell's Angel
249
den Besucherbereich zu schmuggeln. Die Freundin von Gary Popkins mietete ein Ruderboot, und die Mädchen ruderten bis zur Mitte
vom Lake Merritt und entblößten alle ihren Busen für ihre Freunde,
die aus den Knastfenstern zuguckten.
Heute wäre so etwas nicht mehr möglich, aber eines Tages
schmuggelte Bobby Durt eine Videokamera in den Besucherbereich und filmte uns, wie wir in der Durchgangszelle herumtappten. Nicht daß er die Kamera in den Knast schmuggeln
wollte. Dieser Jux sollte nur unsere Stimmung während ernster und
schwieriger Zeiten ein wenig aufhellen.
Die Medien nannten unser Gerichtsverfahren SCHWIERIGSTER
UND TEUERSTER PROZESS IN DER GESCHICHTE VON SAN
FRANCISCO. Es sollte ein sehr langwieriges Verfahren werden, das
war klar, und unsere frechen Tricks und Spaße brachten die Pläne
des Gerichts immer wieder durcheinander. So wurden Wochen zu
Monaten.
Wenn man lange Zeit in Untersuchungshaft sitzt, hat man eigentlich Anspruch auf drei warme Mahlzeiten am Tag. Zu Beginn
des Prozesses bekamen wir morgens einen Napf mit kalten Frühstücksflocken. Wenn die Verhandlung den ganzen Tag über dauerte,
gab es mittags Sandwiches. Als wir nach Tagungsschluß in die
Zellen zurückgebracht wurden, bekamen wir wiederum nur
Sandwiches auf eiskalten Blechtellern. Nach einigen Wochen hatte
ich die Schnauze voll.
»Ich will eine fucking heiße Mahlzeit zum Abendessen, und
wenn ihr mir nur ein lausiges fucking Sandwich gebt, dann will ich
wenigstens eine heiße Suppe dazu haben.«
Als man mir meine Wünsche verweigerte, schmiß ich mein Essen
in der Zelle herum und beschmierte alle Wände damit. Das
Knastpersonal machte Videoaufnahmen von der Sauerei und zeigte
sie dem Richter, der uns dann sagte, wir hätten Glück, daß wir
überhaupt etwas zu essen bekämen. Wenn das Verfahren drei Tage
gedauert hätte und man uns nur Sandwiches gegeben hätte, dann
wäre das in Ordnung gewesen. Aber nach drei Monaten brauchten
wir einfach wieder warme Mahlzeiten.
Schließlich kriegten wir Suppe zum Abendessen - ein bescheidener Sieg, aber im Knast sind solche Dinge wichtig.
250
Ralph »Sonny« Barger
Nach einem besonders hitzigen Tag im Gerichtssaal warnte mich
der Richter, ich solle mich endlich wie ein Angeklagter benehmen.
Ich erwiderte ihm, das würde ich tun, wenn er anfinge, sich wie ein
Richter zu benehmen, und wenn der Ankläger anfinge, sich wie ein
Staatsanwalt zu verhalten.
»Bis dahin - fuck you!«
Mein Anwalt zuckte zusammen.
Irgend jemand im Saal klatschte, was den Richter so richtig in
Fahrt brachte.
Er knallte mit seinem Hammer. »Wer war das? Ich wünsche zu
wissen, wer da geklatscht hat.«
Ein einarmiger schwarzer Motorradfahrer von den Dragons hob
seine eine Hand.
von den RICO-Zeugenaussagen der Regierung grenzten ans
Einige
Bizarre. Einer der Ankläger las einen Brief vor, den Big AI einmal
an ein Mädchen in einem anderen Gefängnis geschrieben hatte,
während er in Folsom einsaß. Big AI ist ein recht verrückter Vogel.
Dieses Mädchen war die Freundin seines Blutbruders, aber das hielt
Big AI nicht davon ab, sie auf die Schippe zu nehmen. In seinen
Briefen erzählte er irgendeine Bullshit-Geschichte über ein Versteck,
in dem er eine Million Dollar aufbewahre.
»Baby«, schrieb er, »wir könnten es uns richtig schön machen.« Er
schrieb von all den tollen Dingen, die sie sich kaufen könnten, und
den Gegenden, in die sie fahren könnten, und den eleganten
Klamotten, die sie sich dann leisten könnte. Am Schluß des Briefs
hieß es dann so ungefähr: »Und für euch blöden Arschlöcher, die
ihr das hier lest: Ich mach nur Spaß! Gezeichnet, Big AI.«
Aber das hielt einen dämlichen Ankläger nicht davon ab, diesen
Brief allen Ernstes den Geschworenen vorzulesen, die ihn verwirrt
anguckten und vermutlich dachten: Na ja, eigentlich ist er der
Blödmann, weil er uns das vorliest.
Nicht genug damit - am Ende des Briefs angekommen, las der
Staatsanwalt auch noch »Gezeichnet, Mr. Biggle«.
Hell's Angel
251
Nachts im Knast brüllte Albert urplötzlich: »Chef, Chef, sie
Eines
bringen mich um! Hilfe! Hilfe!«
Die Bullen rasten zu meiner Zelle.
»Barger, du mußt da runter gehen und das stoppen!«
Es stellte sich heraus, daß ein paar Angels in einer Gemeinschaftszelle Albert kitzelten, der sich schreiend auf dem Zellenfußboden krümmte. Die Bullen begriffen nicht, was da vor sich
ging. Ich sagte ihnen, daß sie mich gefälligst in Frieden lassen sollten.
Das sei ihr gottverdammter Job.
Eines Morgens gegen fünf Uhr herrschte im Knast auf einmal
tödliche Stille, also richtig absolute R-u-h-e. Normalerweise hört
man immer Gerede und Schreie, die natürlichen Knastgeräusche.
Diesmal aber war nicht der leiseste Ton zu hören - Grabesstille!
Dann kam dieser Typ - kein Hell's Angel - an mein Zellengitter.
»Wir haben gerade den Knast in unsere Gewalt gebracht. Soll
ich dich rauslassen?«
»Keinesfalls!« antwortete ich ihm. »Und schließt ja nicht die
Hell's-Angels-Gemeinschaftszelle auf! Ganz egal, was die Kerle da
drin euch sagen! » So sicher war ich, daß wir diesen fucking RICOProzeß gewinnen würden. Knastaufstand oder nicht - mir war es
völlig gleichgültig, ob die Insassen die Gewalt übernommen hatten
oder ob es zu einem Massenausbruch gekommen war. Wir waren
bereits auf der Gewinnerstraße und würden uns das doch jetzt nicht
alles kaputtmachen lassen.
Als nächstes schleppten die Knastmeuterer einen Wächter zu
meiner Zelle und traten und beschimpften ihn.
»Hier, du knallharter Motherfucker. Du liebst es doch, Leute zu
verprügeln und ihnen in den Arsch zu treten - nimm dir diesen mal
vor!«
Dabei bekam der Wachbulle schon wieder einen Tritt in die
Rippen.
Er heulte und bettelte: »Bitte, tötet mich nicht! Ich habe Frau
und Kind zu Haus!«
Die ausgebrochenen Sträflinge hatten offenbar ein paar Pistolen
hereingeschmuggelt, einen Bullen als Geisel genommen, ihm die
Schlüssel entrissen und eine Gruppe von Häftlingen freigelassen. Ich
rührte mich nicht, nicht einmal, als das Chaos begann. Ich
252
Ralph »Sonny« Barger
lag auf der Pritsche in meiner Zelle, hörte mir alles an und war ganz
entspannt. Dann rasten auf einmal etliche Wachen die Korridore
entlang und luden ihre Pumpguns durch. Die Lage schien völlig irre
zu werden. Als sie an meiner Zelle vorbeikamen und mich friedlich
auf der Pritsche liegen sahen, sagte ich still und freundlich: »Guten
Morgen! Was ist denn los?«
Einer der Bullen sah mich an und lächelte: »Barger, du bist sogar
noch schlauer, als ich dich eingeschätzt hatte!«
Gericht weiterverhandelt wurde, ging es immer wieder
AlsumvorWaffen
und Drogen, Waffen und Drogen, Waffen und
Drogen. Die Anklage rollte tonnenweise beschlagnahmte Waffen
und illegale Drogen in den Saal. FBI-Agenten nannten als Zeugen
der Anklage Einzelheiten über die Razzien und die Beschlagnahmungen, die unsere einschlägigen Vorstrafen belegen sollten. Für
uns waren das alles Neuigkeiten von gestern, Fälle, die schon vor
zehn Jahren abgeurteilt worden waren. Unsere Verteidiger fragten
jedesmal: »Ja, und? Wo ist der Zusammenhang mit den Hell's Angels
als kriminelle Organisation?« Es gab keinen Beweis dafür, so sehr
sich die Anklage auch bemühte, diese Dinge als geplante Teile der
Clubtätigkeit darzustellen, und die Regierung konnte auch keine
belastenden Einzelheiten aus unseren Club-Sitzungsprotokollen
vortragen, bei denen es um Drogen und Waffen gegangen
wäre.
Das einzige, was die Anklage vorbrachte, waren unsere Bestimmungen gegen Drogenbetrügereien von damals, als wir unsere
Satzung ausdruckten und die Regeln der Presse zugespielt wurden.
Diese Regel gegen Betrug bei Drogengeschäften hatten wir damals
beschlossen, um unsere Mitglieder ehrlich und »bei der Stange« zu
halten. Die US-Bundesanwälte versuchten, diese alten, gedruckten
Clubsatzungen als Beweis dafür anzuführen, daß wir folglich auch
mit Drogen handelten, was äußerst fadenscheinig war.
Ein weiterer Zeuge der Anklage, ein Chemiker der DEA, sagte
aus, einer von uns habe Drogen hergestellt, die »109prozentig rein«
seien. Als ein Zeuge nach dem anderen und eine Aussage nach der
anderen sich als dünne Luft erwiesen, warnte der Richter
Hell's Angel
253
die Regierung, er werde den gesamten Fall verwerfen, falls die Anklage keine glaubwürdigeren Zeugen aufrufen könne. Nach meinem Eindruck wollte der Richter vermeiden, daß ein Berufungsgericht die Videoaufnahmen sah, die vom Prozeß gemacht wurden,
denn auf ihnen war klar zu erkennen, wie wenig glaubwürdig einige
Zeugen der Anklage waren. Auf dem halben Wege unserer
Verteidigungsbemühungen merkte ich, wie die Presse langsam auf
unsere Seite herüberschwenkte.
kann man voraussagen, was die Regierung plant,
Manchmal
wenn man die Zeitungen liest oder die Fernsehnachrichten
sieht. Vor den Razzien in unseren Häusern gab es jede Menge Geschichten über die Hell's Angels und ihre »Untaten und Possen« zu
lesen, wobei die Fakten nie eindeutige Tatsachen waren, sondern
immer nur Informationen aus »zuverlässigen Quellen«. Nach einem
Monat solcher Pressekampagnen kam dann die große Razzia. Als
Resultat denkt die Öffentlichkeit dann natürlich: »Na ja, jetzt geht's
diesen Schweinehunden endlich an den Kragen.«
Es ist sicher kein Zufall, wenn die Bundespolizei Ereignisse
vorbereitet und die Presse auf Razzien mitnimmt. Denn es macht
sich nun mal gut auf dem Bildschirm, wenn die Bullen und die
Staatsanwälte ihre Arbeit tun und den Abschaum der Menschheit
verhaften, so etwas gefällt der ahnungslosen Öffentlichkeit. Oft
druckt die Presse dramatische Zeugenaussagen ab, veröffentlicht
aber nur selten Fakten, die diese Zeugenaussagen widerlegen. Daher
ist es kein Wunder, daß wir im Fernsehen und in der Presse
schuldig erscheinen. Die Zeitungen drucken regelmäßig alles, was
die Denunzianten behaupten, aber sie berichten fast nie mit demselben Aufwand über die Kreuzverhöre, bei denen die Ungereimtheiten und Falschaussagen von Informanten aufgedeckt werden.
Nachdem die Anklage in unserem Prozeß so viele unglaubwürdige
Zeugen aufgerufen hatte, begann die Presse zu bemerken, daß
irgend etwas faul war. Ein Fernsehreporter namens Mike O'Connor
drehte für den Sender KTVU in Oakland einen zweiteiligen Bericht,
in dem er zeigte, wie verwundbar jede Organisation ist, wenn die
Regierung ihr etwas anhängen will und sie nach den Bestimmungen
von RICO anklagt.
254
Ralph »Sonny« Barger
die Anklagebehörde mit ihrer Beweisführung fertig war, und
Alsnachdem
sie Dutzende von Zeugen aufgerufen hatte, war ich
bereit, als Zeuge in eigener Sache auszusagen. Zunächst wollten
unsere Anwälte das nicht. Verteidiger in Strafprozessen schicken
ihre Mandanten nur sehr selten in den Zeugenstand. Im Gegensatz
zu den Zeugen der Anklage wollte ich in aller Ehrlichkeit und
Klarheit zu den Geschworenen sprechen. Also erklärte ich meinem
Verteidiger: »Aber selbstverständlich sage ich aus!«
Unsere Anwälte (von denen einige ehemalige Staatsanwälte waren)
»impften« mich vor meiner Aussage in einem Konferenzraum und
bereiteten mich auf alle Fragen vor, die der Richter und die
Ankläger mir stellen könnten. In unserem Verteidigungsteam wuchs
die Spannung, aber nichts hätte mich davon abhalten können, in den
Zeugenstand zu treten und die Wahrheit zu sagen. Unsere Verteidiger
waren ziemlich beunruhigt; sie wußten zwar, daß die Sache der
Regierung auf wackeligen Füßen stand, aber sie fürchteten, daß ich
mit meiner Aussage Unheil anrichten könnte.
Im Zeugenstand wurde ich von meinem Verteidiger, den Anwälten meiner Mitangeklagten und natürlich von den Anklägern der
Staatsanwaltschaft befragt. Ein Großteil meiner Aussagen drehte
sich um meinen persönlichen Hintergrund seit meinem 18.
Lebensjahr und darum, daß ich es war, der den Hell's Angels Club
von Oakland gegründet hatte. Ich bestritt, daß es zu den Zielen der
Hell's Angels gehöre, sich kriminell zu betätigen. Und ich betonte,
daß wir eher ein Club als eine »Gang« waren. Es machte uns
einfach Spaß, zusammen Motorrad zu fahren, diesen Punkt betonte
ich immer wieder.
Nach fünf Tagen verließ ich den Zeugenstand, und danach war
unseren Anwälten klar, daß die Show nun vorüber war. Nach meiner
Aussage ließen wir unsere Verteidigung ruhen. Nun kamen nur
noch die Schlußplädoyers. Alles weitere hing von den Geschworenen ab.
Vieles in den Schlußplädoyers war recht vertrackt und weit hergeholt, weil die gesetzlichen Einzelheiten von RICO so verwirrend
waren. Alle 18 Verteidiger brachten ihre Schlußargumente vor, was
die Jury mit der Zeit langweilte. Als Kent Russell an die Reihe kam,
hatte er eine große Schautafel aufstellen lassen, die
Halls Angel
255
sich mit den angeblichen Drogengeschäften zwischen Sharon und
mir und einigen Informanten befaßte. Außerdem brachte er eine
hübsche Angestellte seiner Kanzlei mit, die die Grafiken auf der
Tafel wie bei einer Gameshow im Fernsehen umklappte. Auf diese
Weise konnte Russell sieben einander widersprechende Drogendeals mit sieben völlig verschiedenen Zeugenaussagen vorführen,
von denen kein Mensch annehmen oder glauben konnte, daß sie
sich jemals so abgespielt haben könnten.
Nach der Anhörung aller Schlußplädoyers wurden die Geschworenen hinausgeschickt, um über einen gemeinsamen Urteilsspruch zu beraten. Diese Jury stand beileibe nicht klar erkennbar hinter der Anklage. Die Geschworenen schienen zu keinem
Zeitpunkt gegen uns eingenommen zu sein. Tatsache war, daß wir
nach diesem langen Prozeß fast alle zu einer Familie geworden
waren. Als Hell's Angels benahmen wir uns verhältnismäßig gut,
ganz im Gegensatz zu dem, was man der Jury in diesem
kugelsicheren Gerichtssaal einreden wollte. Allein die Körpersprache
der Geschworenen zeigte uns Tag für Tag, daß sie in uns
keineswegs jene Monster sahen, zu denen die Anklage uns gern
gemacht hätte.
Ende Juni 1980 teilte die Jury dem Richter mit, daß sie bei ihren
Bemühungen, eine einstimmige Entscheidung zu treffen, in eine
Sackgasse geraten war. Der Richter besprach sich daraufhin mit
den Verteidigern, bevor die anderen Angeklagten und ich in den
Saal gerufen wurden. Der Richter wollte die Jury entlassen. Russell
und unser Anwaltsteam waren in einer schwierigen Situation.
Niemand wollte den einjährigen, mühevollen Prozeß noch einmal
von vorne aufrollen, und normalerweise versicherten die Verteidiger
in einem Strafverfahren ihren Mandanten immer, daß eine unentschiedene Jury etwas Positives sei. Weil ich bei diesen Besprechungen nicht anwesend war, konnten sich Russell und Mangan
nicht entscheiden. Darum baten sie den Richter, die Geschworenen
zu weiteren Beratungen aufzufordern - zum Schrecken der anderen
Verteidiger.
Der Richter wies die Jury an, weiter zu versuchen, zu einer Entscheidung zu gelangen. Er erklärte den Geschworenen, daß sie
mich nicht für »nicht schuldig« hinsichtlich der nicht RICO-bezo256
Ralph »Sonny« Barger
genen Straftaten befinden konnten, wenn sie nicht auch alle anderen
für »nicht schuldig« befanden.
Nach den weiteren Beratungen befand die Jury Sharon, Ron
Elledge und mich für »nicht schuldig« im Sinne der RICO-Anklagen; was die anderen Anklagen gegen uns betraf, waren sie noch
immer zu keiner Entscheidung gelangt. Daraufhin wies der Richter
die Jury an, die »Nicht schuldig«-Klausel von den BeschlußFormularen für Sharon und mich zu streichen. Die Geschworenen
hatten keine wesentlichen Verschwörungsklagen gegen uns
bestätigt.
Die Justizbehörden wollten mich nicht sofort entlassen. Wegen
der Beschlußunfähigkeit der Geschworenen wollte man mich und
eine Gruppe von Angeklagten während der zweiten Prozeßrunde
erneut vor Gericht stellen. Man erklärte mir, daß man mich auf
freien Fuß setzen würde, wenn ich mich schriftlich vom Club distanzierte.
Und wieder einmal ging ich nicht auf ihren Handel ein.
Am 2. Juli, während ich noch auf meine Entlassung wartete,
sprach Russell mit der Presse. »Kein Angel ist wegen verbrecherischer Tätigkeit für schuldig befunden worden. Der Hell's Angels
Motorcycle Club ist rehabilitiert worden. Die Regierung konnte
keinen Beweis erbringen, daß der Club ein illegales Unternehmen
ist.«
»Eine Verschwörung ist leicht nachweisbar«, fuhr Russell fort,
»und trotzdem ist dies der Regierung mißlungen - sogar nach
zweijährigen Ermittlungen, Millionen von Dollar und gekauften
Zeugen, denen wir nachweisen konnten, daß sie im Zeugenstand
gelogen haben.«
Kosten des Verfahrens waren auf beiden Seiten erheblich.
DieAllein
unsere Verteidigung kostete uns zwischen einer und
zwei Millionen Dollar, die Regierung mußte eher drei bis fünf Millionen Dollar für unsere Strafverfolgung aufwenden. Bei einer Gelegenheit erklärte ich den Justizbehörden, daß die Hell's Angels so
gut wie eine Gruppe christlicher Pfadfinder geworden wären, wenn
sie diese fünf Millionen Dollar uns gegeben hätten, und sie nie
wieder etwas von uns gehört hätten. Damals - 1979 - waren
Hell's Angel
257
l
wir die größte Angeklagtengruppe in der Geschichte der US-Regierung, und unser RICO-Strafprozeß war der längste seiner Art.
Die ganze Quälerei dauerte länger als ein Jahr. Wir waren im
Juni 1979 verhaftet worden, die Geschworenen traten im Oktober
zusammen, und ihr Urteilspruch kam im Juli 1980. Die Anklagen
wurden im Laufe der Zeit dreimal geändert, und der eigentliche
Prozeß dauerte neuneinhalb Monate.
Die Anklagebehörde war enttäuscht und verärgert und wollte
noch einen zweiten Prozeß anstrengen. Wir beriefen eine Pressekonferenz ein, auf der wir gegen die Kosten und die Dauer dieses
RICO-Fiaskos protestierten. Acht Angels saßen wegen des zweiten
Prozesses noch immer im Knast, und anstatt mich zum zweiten Mal
vor Gericht zu zerren, ließ man die Klagen wegen meiner früheren
Taten fallen. Aber die Hell's Angels Burt Stefanson, Alan Passaro,
Manuel Rubino und Ron Elledge erhielten in einem zweiten,
kleineren Verfahren Geld- und Freiheitsstrafen, vor allem wegen
Waffenbesitzes. Auch wenn man mich im August 1980 entließ, war
die zweite Prozeßrunde nur eine weitere Zeit- und Geldverschwendung.
Wahrscheinlich hätte ich im ersten großen Prozeß gar nicht zu
den Angeklagten gehören sollen. Wie sich herausstellte, wollte die
Regierung mich nur als Frontmann dabei haben, den man mit etwas
Glück vielleicht verurteilen konnte. Es war eine Art Glücksspiel.
Die Staatsanwaltschaft hatte gehofft, wir würden auseinanderbrechen und uns gegenseitig bezichtigen, was in vielen
früheren RICO-Fällen vor Gericht passiert war. Daß man Sharon
und mich in die Sache hineinzog - besonders, weil wir für »nicht
schuldig« befunden wurden - war eine große Hilfe für den Rest der
Angeklagten.
Nach dem Freispruch ging ich zur Führerscheinstelle und ließ
mir einen provisorischen Führerschein geben. Ich wollte einfach
kein Risiko mehr eingehen und für irgendeinen Quatsch festgenommen werden. Ich war dem ganzen Land als der obercoolste
Motorradfahrer vorgeführt worden und hatte noch nicht einmal
einen Führerschein. Das Fernsehen filmte mich, wie ich als freier
Mann auf meinem Bike davonfuhr ... ein freier Mann mit einem
Führerschein.
258
Ralph »Sonny« Barger
Ich nach dem RICO-Freispruch und den 13 Monaten im Gefängnis von San
Francisco.
An meinem ersten Abend in Freiheit trat Willie Nelson mit einer
großen Show im Oakland Coliseum auf. Deacon und Fu machten
mit ihrer Firma Magoo Productions Promotion für das Konzert.
Der gesamte Club war gekommen. Ich trug einen großen
Cowboyhut und trank aus einer kleinen Whiskeyflasche, als Willie
seinen Song »Whiskey River« Sharon und mir widmete. Willie
machte den Reportern gegenüber keinen Hehl aus seiner Freundschaft mit mir und erklärte der Presse, er sei glücklich, daß ich
endlich aus dem Knast heraus war.
Ein paar Monate später hatten die Medien wieder Gelegenheit,
über die Hell's Angels zu berichten. Ich war eingeladen worden, in
einem Restaurant von San Francisco vor einer Versammlung von
Strafprozeßanwälten zu sprechen. Normalerweise wurden bei den
Zusammenkünften dieser Anwälte stets prominente Richter oder
Anwälte als Gastredner eingeladen. Ich nahm Cisco, Deacon, Fu,
Mike und Sharon mit zu dem Lunch. Als wir ankamen, war das
Lokal knallvoll, und die Presse war en masse vertreten. Einer der
Hell's Angel
259
Anwälte erklärte: »So viele Leute haben wir seit dem Auftreten
von F. Lee Bailey nicht mehr hier gehabt.«
Ein Anwalt fragte mich, wie wir neue Hell's Angels für unseren
Club rekrutierten. »Wir rekrutieren nicht«, antwortete ich. »Wir
anerkennen. Wenn wir feststellen, daß jemand so ist wie wir, dann
wird der Betreffende einer von uns.«
Vor dieser Gruppe von Rechtsanwälten in ihren Anzügen und
Krawatten sprach ich nun über RICO. Die Regierung sei niemals
darüber erhaben, zweckdienliche Lügen über ihre Zielscheiben zu
verbreiten. »Die Regierung hat uns mit ihrer Anklage neues Leben
und eine neue Existenzberechtigung verschafft. Sie hat uns als feste
Einheit erlebt und sich mit ihren Bemühungen, uns alle möglichen
Arten von Verschwörung anzudichten, lächerlich gemacht. Ihre
Lügen haben es einfach nicht geschafft.«
wir uns erfolgreich gewehrt hatten, schadete RICO dem
Obwohl
Hell's Angels MC erheblich. Während des Prozesses verloren
wir allein in Kalifornien mehr als 50 Mitglieder. Mitglieder, die die
Bundesgesetze nicht verstanden, ließen sich einschüchtern und
fürchteten, als nächste vor Gericht zu kommen, wenn sie im Club
blieben.
Wer auch immer während des Verfahrens den Club verließ, war
nach meiner Ansicht ein treuloser Feigling und kein echter Bruder.
Ich weigerte mich, mit solchen Leuten etwas zu tun zu haben. Es gibt
zwei Möglichkeiten; man kann ehrenhaft austreten oder man kann
unehrenhaft ausgeschlossen werden. Der Club ließ Mitglieder
austreten, aber in meinen Augen hätte jeder von denen, die austraten,
während treue Freunde wie Johnny Angel und Big AI Perryman
mit den Besten von uns im Knast saßen, unehrenhaft
ausgeschlossen werden müssen.
Und was ist letztlich bei dem RICO-Prozeß herausgekommen?
Ich bin sicher, daß unser Sieg die verfassungsfeindlichen RICOBestimmungen daran gehindert hat, die Bürgerrechte aus dem First
Amendment unserer Verfassung außer Kraft zu setzen. Dabei hatten
sich das die Staatsanwälte so schön in den Kopf gesetzt. Bei diesem
Prozeß hatte die Regierung geplant, eine Anzahl unpopulärer
Gruppen hinter Gitter zu bringen und den Bürgern zu
260
Ralph »Sonny« Barger
verwehren, sich mit gleichgesinnten Leuten zusammenzuschließen.
Die verfassungswidrige Seite von RICO wäre mit Sicherheit
ausgeufert, wenn wir uns nicht dagegen aufgelehnt und gekämpft
hätten.
»Es gibt nichts Geringeres auf dieser Welt als ein Mitglied, das zum Verräter
am Club wird ... und zu diesen Ratten gehört auch Anthony Tait.«
13
RATTEN UND VERRÄTER
I
rgendwann einmal haben wir uns zusammengesetzt und das Bild
eines typischen Hells-Angels-Denunzianten skizziert -das Profil
einer »Ratte«, wie wir solche Typen nennen. Die meisten
»Ratten« sind großmäulige Rabauken, die andere herumstoßen und
sich gern lauthals vor den anderen Clubmitgliedern wichtig
machen. Die schlagen sich auf die Brust und tönen herum, wie toll
sie den Club finden und daß sie für den Rest ihres Lebens zu uns
gehören wollen. Aber wenn sie Dummheiten machen und von den
Bullen erwischt werden, dann setzen sie sich nicht zur Wehr,
sondern verraten lieber ihre Brüder, um die eigene Haut zu retten.
Bei einer Organisation wie den Hell's Angels, die sich auf
Bruderschaft, Freiheit und das Wort der einzelnen Mitglieder stützt,
ist eine »Ratte« der schlimmste Feind.
Informanten haben immer den Drang, auf der Gewinnerseite zu
sein.
Wenn man bedenkt, wie lange es die Hell's Angels schon gibt
und wie viele Mitglieder wir haben und weltweit hatten, dann ist
die Anzahl der Abtrünnigen nicht sehr groß. Aber ein Verräter ist
schon einer zuviel. Arschlöcher wie Anthony Tait und George
»Baby Huey« Wethern haben den Club verlassen und Bücher über
uns geschrieben, was mich maßlos ärgert. Jim Jim Brandes, das
Oakland-Mitglied, das den ganzen Ärger mit RICO auslöste, war
eine »Ratte«. Jahrelang hatte er der Polizei Informationen über den
Club zukommen lassen. Als er schließlich aufflog, erhängte sich
Jim Jim in seiner Zelle in der Nacht, bevor sein Urteil gefällt wurde,
um nicht als Informant zurück ins Gefängnis zu müssen.
Wethern und Tait wurden ins Zeugenschutzprogramm aufHell's Angel
263
genommen. Mafia-Informanten haben mir erzählt, daß man sich in
diesem Programm so lange sicher fühlen kann, bis die Bullen
keinen Bock mehr auf ihren Job als Babysitter haben. Danach heißt
es nur noch: Verdrück dich, wenn du Glück hast, und sieh zu, wie
du dich wehrst.
er seinen Kumpel Zorro Anfang der 70er Jahre anNachdem
geschossen hatte, verließ George Wethern den Hell's Angels
Club von Oakland und zog mit Frau und Kindern in das 150 Kilometer entfernte nordkalifornische Städtchen Ukiah. Selbst nach
seinem Austritt war ich noch lange stocksauer auf Wethern. Ich
hatte selbst so viele kriminelle Verdächtigungen auszustehen und
steckte oft bis zum Hals in Schwierigkeiten. Warum hatte ich nur
meine Zeit damit verschwendet, George vor dem Knast zu retten?
Und was würde noch alles auf mich zukommen?
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt kam Whispering (der Flüsterer)
Bill ins Spiel.
Als Wethern 1972 Oakland verließ, gab es bei uns ein Mitglied
namens Bill Pieffer, der im Club Whispering Bill genannt wurde.
Bill hatte zum Club von Richmond gehört, bevor er zu uns nach
Oakland überwiesen wurde. Er hatte Kehlkopfkrebs in fortgeschrittenem Stadium und wußte, daß er bald sterben würde.
Whispering Bill verkaufte einem Typen Drogen, der einen großen
Diesel-Truck besaß und - laut Polizeiermittlungen - Bill einen
Haufen Geld schuldete. Deshalb hatten die beiden einen Plan ausgeheckt, sie wollten den Truck in die Luft jagen, und die Versicherungssumme sollte Bill bekommen.
Doch nachdem der Truck explodiert war, wurde die Versicherungsgesellschaft mißtrauisch. Ihre Schnüffler setzten den TruckInhaber so unter Druck, daß er schließlich gestand, Pieffer Geld zu
schulden. Als die Polizei Pieffer verhaftete, wußte er genau, daß er
höchstens noch ein Jahr zu leben hatte. Whispering Bill wollte nicht
in einem elenden Knast sterben, also bestritt er seine Teilnahme an
der Explosion und schob die Tat einfach auf mich! Die Bullen
hätten ihm nur zu gern geglaubt, aber Bills Story erwies sich bei
näherem Hinsehen als reine Erfindung. Das war eine der sehr
wenigen Ausnahmen, in der die Bullen meine Unschuld
264
Ralph »Sonny« Barger
bewiesen, ohne mich vorher in den Knast zu stecken und dort
schmoren zu lassen.
Whispering Bill gab seine Tat schließlich zu, aber in einem verzweifelten Versuch, dem Gefängnis zu entgehen, bot er der Polizei
einen Leckerbissen als »Deal« an. »Ich kann euch etwas über zwei
Leichen erzählen«, erklärte er den Bullen, »die oben auf dem Gelände von George Wethern m Ukiah verbuddelt sind!«
Und dann erzählte Whispering Bill der Polizei, daß zwei Biker
aus Georgia angeblich in Ukiah vergraben seien. Laut Zeitungsberichten, die ich später las - aus erster Hand hatte ich nämlich
nichts von der Sache gehört -, hatten die zwei Biker eine Party in
Richmond besucht, auf der einer von ihnen getötet wurde. Um die
Tat geheimzuhalten und Zeugen zu beseitigen, brachte jemand
anschließend auch noch den zweiten Biker um.
Auf Bills Tip hin durchsuchten die Bullen Georges Ranch in
Ukiah mit Bluthunden und Schaufeln. Als sie sich sein Haus vornahmen, fanden sie Marihuana. Jetzt steckte George m der Klemme.
Die Polizisten drohten ihm, daß eine Anklage gegen ihn und seine
Frau zur Folge hätte, daß seine Kinder zu Pflegeeltern geschickt
werden müßten. »Du wirst deine Frau nie wiedersehen. Sie wird
genau wie du im Knast verrotten, und keiner von euch beiden wird
je die Kinder wiedersehen.«
George geriet in Panik und machte mit den Bullen einen geheimen
Deal aus. Wenn er ihnen zeigte, wo die Leichen vergraben waren,
würde er mit einer leichteren Strafe davonkommen. Die Zeitungen
in ganz Kalifornien verkündeten mit riesigen Schlagzeilen: DIE
GRÄBER DER HELL'S ANGELS und LEICHEN AUF RANCH IN
UKIAH GEFUNDEN.
Nachdem George und seine Frau festgenommen worden waren,
schickte ich Sharon zur Ranch, damit sie sich um die Kinder
kümmern sollte, aber sie benahmen sich ihr gegenüber mißtrauisch
und feindlich. Ich hatte anfangs gedacht, wir stünden alle auf
derselben Seite, aber jetzt wurde ich langsam mißtrauisch. Dann
bekam ich heraus, daß Wethern und seine Frau ins Zeugenschutz programm gegangen waren und daß sowohl Whispering Bill als
auch George mich beschuldigt hatten, für die Gräber auf der Ranch
verantwortlich zu sein.
Hell's Angel
265
Nach einer Weile kam der Fall vor Gericht, und mit den Aussagen von Wethern als Beweis wurden zwei Hell's Angels aus
Richmond verurteilt. Einem der beiden, Rotten Richard, hatte man
eine leichtere Strafe angeboten, falls er mich in die Geschichte
verwickelte. Er weigerte sich jedoch, und deshalb sitzt er heute noch
im Knast.
Verzweifelt über seinen Gefängnisaufenthalt und wahrscheinlich
auch aus Schuldgefühlen, weil er zur Ratte und zum Verräter
geworden war, hielt sich George zwei angespitzte Bleistifte vor die
Augen und rammte seinen Kopf damit gegen den Tisch. Er
durchstach so zwar seine beiden Augäpfel, doch der Selbstmordversuch mißlang. Danach war George vorübergehend blind.
die schlimmste Ratte von allen bei den Hell's Angels war
Aber
Anthony Tait. Manche Ratten machen sogar Vortragsreisen für
die Strafverfolgungsbehörden, auf denen sie der Polizei von den
Gefahren der »Outlaw Motorcycle Gangs« erzählen. Anthony Tait
versuchte, sich der Regierung als ganz »heiße Nummer«
darzustellen, als jemand, der besser als jeder andere Mensch auf
dieser Welt die tiefsten Geheimnisse der Hell's Angels kennt und
genau weiß, was wir vorhaben.
Tait kam 1982 in Alaska zu den Hell's Angels. Später wurde er
zum Westküsten-Vertreter aller Clubs gewählt. Er wollte unbedingt
für diesen Job kandidieren und schien immer genug Geld zu haben,
um zu uns nach Kalifornien und an die Ostküste zu fliegen und dort
an den Vorstandsmeetings teilzunehmen. Als er WestküstenBeauftragter wurde, kaufte er sich ein nagelneues Bike in Indiana,
ließ es an die Westküste schicken und stationierte es bei uns für
seine Besuche. Nach der Art und Weise, wie er mit dem Geld um
sich schmiß, nahm ich an, daß er im Drogenhandel war. Ich wußte
damals nicht, daß es das Geld der Regierung war, das er so freizügig
ausgab.
Als Westküsten-Beauftragter besuchte Tait mich oft zu Hause. Er
war immer wie ein großkotziger Drogendealer angezogen und trug
jede Menge goldener Ketten und Ringe. Tait fuhr oft auf einer
cremefarbenen Harley Full Dresser und trug dabei hellbeigefarbene
Cowboystiefel, so daß er auf Überwachungsfotos der Bullen
266
Ralph »Sonny« Barger
leicht zu identifizieren war. Sein Bike stellte er für gewöhnlich im
Harley-Shop von Oakland ab. Wenn er von Anchorage zu uns geflogen kam, mußte er nur die kurze Strecke vom Flughafen nach
Oakland zum Clubhaus fahren.
Tait konnte auf dem Motorrad keine längeren Strecken bewältigen. Ihm wurde regelmäßig so übel dabei, daß er kotzen mußte. Ich
weiß noch, wie er einmal auf einem gemeinsamen US-Run einen
anderen sein Bike fahren ließ. Wir glaubten damals, daß er krank
war. In der Rückschau halte ich es für wahrscheinlicher, daß er
einfach eine Höllenangst davor hatte, im Rudel so schnell fahren zu
müssen. Vielleicht hatte er auch nur Angst vor Motorrädern,
punktum. Wir hatten keine Ahnung, daß Tait eine Ratte war, für das
FBI arbeitete und nur auf eine Chance lauerte, den Club kaputt zu
machen. Tait bekam seine Chance, als ein Hell's Angel aus Alaska
namens J. C. Webb bei einer Schlägerei in einer Bar ums Leben kam.
Bevor Webb in den Club von Anchorage eintrat, war er Mitglied
beim Outlaws Motorcycle Club in Kentucky. Wenn wir gewußt
hätten, daß Webb ein Ex-Outlaw war, hätten wir ihn von vornherein
nicht bei den Hell's Angels aufgenommen. Wenn man ein Mitglied
von einem rivalisierenden Club aufnimmt, geht immer irgend etwas
schief. Im Falle von J. C. Webb war es fürwahr eine größere Sache.
Nachdem wir unser USA-Treffen im August 1986 in Colorado
abgehalten hatten, fuhren die meisten von uns gleich zurück nach
Oakland, um an der Trauerfeier und Beisetzung von Doug »the
Thug« Orr teilzunehmen. J. C. Webb und seine Old Lady Lori
hatten jedoch beschlossen, allein nach Kentucky zu fahren, um
seine Eltern zu besuchen, bevor sie wieder nach Alaska zurückfahren wollten.
Webb verschwieg in Kentucky seine Zugehörigkeit zu den Hell's
Angels, weil die Gegend Territorium der Outlaws war. In der Bar
»Frank's Broken Spur« traf er zwei Outlaws, die er von früher kannte.
Offenbar fingen die drei Biker einen heftigen Streit an. Als Webbs
Frau in die Bar kam, merkte sie sofort, daß zwischen den Männern
eine explosive Stimmung herrschte. Vor den Türen der Kneipe
eskalierte der Streit, nachdem J. C. einen von den Outlaws,
Hells Angel
267
Little Ray Müllen - auch Cool Ray genannt - mit einer Pistole bedrohte. Die Outlaws befahlen J. C, sein Angels Patch auf den Boden
zu werfen und schleunigst abzuhauen.
»Fuck you!« erwiderte J.C.
Daraufhin fielen drei Schüsse. Einer davon traf Webb. Die Verletzung war tödlich. J. C. fiel über sein Bike, als er blutend versuchte, die Maschine zu starten, er sank auf dem Parkplatz zu Boden
und starb. Die Outlaws flüchteten, und Webbs Frau griff sich die
Waffe ihres Mannes, um sie zu verstecken.
Als ich einen Telefonanruf mit der Nachricht bekam, daß ein
Outlaw gerade einen Hell's Angel abgeknallt habe, flogen ein paar
unserer Leute nach Kentucky, um vor Ort Näheres zu erfahren. Wir
konnten uns aus den verwirrenden Einzelheiten keinen rechten
Reim auf die Situation machen. Inzwischen hatten die FBI-Bullen
ihre Chance gewittert und ihren Mann Tait angesetzt.
Zu diesem Zeitpunkt wußten wir noch nicht, daß Webb seine
Waffe zuerst gezogen hatte. Fast ein Jahr verging, wir kümmerten
uns um Webbs Beisetzung, und die Polizei ermittelte. Schließlich
kam Tait mit der Frage auf mich zu, was der Club nun tun solle.
Offen gestanden war mir nicht nach Rache zumute, obwohl andere
Clubmitglieder stinkwütend waren. Aber natürlich stand ich als
Ratgeber den anderen Angels zur Seite. Ich ging davon aus, daß
Tait bereits eigene Pläne gemacht hatte. Also lautete meine Antwort
einfach: »Wenn zwei Outlaws in diese Sache verwickelt waren, dann
erschießt ihr eben zwei von ihnen. Damit ist die Sache dann
erledigt. Es kümmert mich einen Scheiß, wer sie sind, denn die
Typen, die es getan haben, werdet ihr ja doch nie zu fassen
kriegen.«
Aus diesen Sätzen zu Tait schnitzte das FBI die Behauptung, die
Outlaws und die Hell's Angels hätten sich den Krieg erklärt. Das
war keineswegs der Fall. Natürlich hatten wir einen Streit mit ihnen, aber von Krieg konnte keine Rede sein. Der Outlaw, der auf
Webb geschossen hatte, legte schließlich ein Geständnis ab, erklärte aber, es sei ein fairer Kampf gewesen. Nachdem sich der
Rauch über der ganzen Sache verzogen hatte und wir wußten, daß
Webb als erster seine Waffe gezogen hatte, fiel bei mir der Groschen, worauf Tait hinausgewollt hatte, als er mich ansprach.
268
Ralph »Sonny« Barger
Inzwischen reiste Tait im ganzen Land von einem Club zum
nächsten. Bei einem Club fragte er nach Sprengstoff, den er dringend brauchte. Einen anderen Club bat er um Schußwaffen. Von
einigen Oakland-Mitgliedern kaufte er Speed. Jedesmal, wenn Tait
und ich eine Besprechung hatten, legte er seinen Beeper zwischen
uns auf den Tisch, als ob er ständig mit einer Message rechnete.
Heute denke ich, daß es ein Mikro für die FBI-Leute gewesen ist.
Wenn tatsächlich ein großer Verschwörungskrieg zwischen den
Angels und den Outlaws geherrscht hätte, warum tigerte Tait dann
von einem Angel zum anderen, anstatt gleich die ganze Organisation anzusprechen? Er war schließlich unser WestküstenVertreter. Ich nehme an, daß er wohl kaum von uns als Gruppe
unterstützt worden wäre, wenn er den gesamten Club angesprochen
hätte. Da Webb Mitglied unseres Clubs in Alaska war, hätte
schlimmstenfalls nur ein Alaska-Mitglied einen Outlaw abknallen
müssen, und die Sache wäre erledigt gewesen.
Etliche Mitglieder aus verschiedenen Clubs im Land (Alaska,
Kalifornien, Nord- und Süd-Carolina und Kentucky) tappten in die
Falle der Regierung. Im Juni 1987 gab das FBI seinem Denunzianten
zu verstehen, daß sein geliefertes Beweismaterial nicht ausreiche,
um mich zu verhaften, zumal ich persönlich mit niemandem Pläne
geschmiedet hatte. Ich hatte Tait nur gesagt, er solle tun, was er
ohnehin beabsichtigte. Allmählich wurde dem FBI die Zeit knapp;
die Regierung brauchte mehr Beweise, um mich einzubuchten.
Sharon und ich waren gerade vom Drag-Rennen in Fremont nach
Hause zurückgekehrt, als Tait bei uns aufkreuzte. Er erzählte mir,
daß er auf dem Wege nach Chicago sei, um dort das Clubhaus der
Outlaws in die Luft zu sprengen. Er zeigte mir auch einige Fotos von
dem Haus der Outlaws. Als er ging, erinnerte ich ihn - instinktiv
oder glücklicherweise - daran, die Fotos mitzunehmen. Sie hätten
später problemlos als Indiz gegen mich verwendet werden können.
Er bat mich inständig um Rat wegen seines Plans in Chicago. Ich
sollte ihm irgendwie helfen - mit Ideen, Tips oder Hinweisen.
»Wenn du das machen willst, dann mach es«, sagte ich ihm.
Hell's Angel
269
»Aber es könnten unschuldige Unbeteiligte im Haus sein«, gab er
zu bedenken.
»Dann kriegen sie das eben dafür ab, daß sie mit solchen Typen
herumhängen.«
Taits heckte schließlich folgende Taktik aus. Er erzählte mir, er
hätte in einem Hotel in der Stadt Oakland ein Zimmer gebucht,
und bat mich nun, in das Zimmer zu gehen und es durcheinander zu
bringen, nachdem er abgereist war, damit es so aussah, als ob er
wirklich dort übernachtet hätte. So könnte ich ihm ein Alibi verschaffen. Das Zimmermädchen könnte dann nämlich aussagen, sie
habe am Morgen sein Bett gemacht.
»Okay, das mach ich«, versprach ich.
Tait reiste ab. Das FBI aber hatte in dem Hotelzimmer Wanzen
und Kameras versteckt und außerdem noch das Zimmer auf der
gegenüberliegenden Seite des Korridors gemietet. Das Problem
war nur, daß ich nicht selbst dorthin ging. Ich schickte unser Oakland-Mitglied Irish O'Farrell ins Hotel, damit er das Zimmer benutzte und die Handtücher feucht machte.
»Paß auf«, erklärte ich meinem guten Freund Irish. »Ich geb dir
Geld. Du nimmst deine Old Lady mit in das Hotel. Bring ein paar
Flaschen Wein mit, bestell was vorn Zimmerservice und amüsier
dich da ein bißchen. Nach einer Weile kannst du wieder abhauen.«
Irish versprach, es zu tun. Tait hatte dafür bezahlt.
Das Clubhaus der Outlaws wurde zwar nicht in die Luft gesprengt, aber ich wurde dafür verhaftet - wegen einer »zwischenstaatlichen« Bombenverschwörung. Weil ich Irish in das Hotel in
Oakland geschickt hatte, wurde er als Mitverschwörer ebenfalls
festgenommen. Bei diesem neuerlichen Versuch, mich einzusperren
und den Club aufzulösen, beschloß das FBI, um ganz sicher zu sein,
unseren Verschwörungsfall in Louisville, Kentucky, vor Gericht zu
bringen - im festen Vertrauen darauf, dort ein Urteil gegen uns zu
erwirken. Rund 35 Personen, darunter 28 Hell's Angels, wurden
unter Anklage gestellt. Sie lautete auf Verschwörung - ausgelöst
durch die Ermordung von J. C. Webb und gestützt auf das
Beweismaterial, das Anthony Tait dem FBI über die geplante Sprengung des Hauses in Chicago geliefert hatte. Irish und ich wurden
im November 1987 verhaftet und nach San Francisco gebracht.
270
Ralph »Sonny« Barger
Michael »Irish« O'Farrell, Mitglied der Hell's Angels in Oakland.
Die schwerste Anklage gegen uns war die der Verschwörung mit
dem Ziel, Sprengstoff über die Staatsgrenze hinweg zu transportieren, in der festen Absicht, Menschen zu töten, zu verstümmeln und zu verletzen. Normalerweise kann man wegen eines
Verbrechens nur dann nach Bundesgesetzen verurteilt werden,
wenn es sich dabei um ein zwischenstaatliches Unternehmen handelt. Nach Auffassung des FBI handelte es sich hier um solch ein
Verbrechen, weil sich im Clubhaus der Outlaws in Chicago auch
Mitglieder aus anderen Bundesstaaten versammelten und dort
übernachteten, so daß das Clubhaus praktisch als zwischenstaatliches Unternehmen angesehen werden müsse. Ein wenig weit hergeholt.
Das Ganze war ein blöder Witz. Ich machte mir nicht einmal die
Mühe, gegen meine Auslieferung anzukämpfen, sondern erzählte
der Untersuchungsrichterin, sie könne sich die Sache in den Arsch
schieben und mich nach Kentucky schicken.
Nach einer Prozeßdauer von fünf Monaten wurden von den 20
angeklagten Hell's Angels 18 freigesprochen. Nur Irish und ich
Hell's Angel
271
wurden der Verschwörung für schuldig befunden, unter Verletzung von Bundesgesetzen einen Mord geplant zu haben.
Nachdem wir gegen Kaution wieder auf freiem Fuß waren, fuhr
ich zurück nach Kalifornien, um unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Irish sollte in ein Hochsicherheits-Bundesgefängnis in Atlanta; und ich sollte mich in der Bundesstrafanstalt in
Englewood, Colorado, melden.
Zwei Wochen vor unserem Strafantritt wollten Irish und ich für
eine Gruppe von uns ein Abschiedsessen veranstalten. Wir hatten
einen Tisch in einem Restaurant reserviert und warteten dort auf
Irish. Da rief seine Freundin an. Sie hatte eine schlechte Nachricht
für uns.
Irish hatte sich an diesem Tag in einer Bar betrunken und war in
einen Streit mit einem Ex-Knacki geraten, den er von früher kannte.
Irish hatte ihn zum Kampf herausgefordert. Offenbar hatten die
beiden früher schon einmal eine handgreifliche Auseinandersetzung
gehabt, und der andere wollte dieses Mal nicht wieder der
Unterlegene sein. Er erstach Irish auf dem Parkplatz mit etlichen
Messerstichen in den Rücken, die Brust und in den Hals. Als Irish
sterbend am Boden lag, jagte der Gangster ihm noch vier Schüsse
aus einer 25-Kaliber-Pistole in den Rücken.
Kurz bevor ich in den Knast ging, begruben wir Irish. Ich hatte
ein komisches Gefühl dabei. Ein weiterer treuer Hell's Angel war
tot.
Bis heute bekomme ich auf meiner Website - sonnybarger.com immer wieder Messages wie »Fuck Tait« wegen dieses Arschlochs
von Verräter.
Ich werde nie begreifen, warum sich die Bullen mit so miesen
Opportunisten einlassen. Wir haben erlebt, wie eiskalte Mörder
aus dem Knast entlassen wurden, weil sie als Zeugen gegen Hell's
Angels auftraten, die möglicherweise in Drogendeals verwickelt
waren. Wo liegen eigentlich die Prioritäten der Regierung? Ein
Typ wurde als Gegenleistung für seine Aussage in einem Prozeß
gegen uns freigelassen. Er hatte wegen mehrerer Morde gesessen,
darunter ein Mord an einem 70jährigen während eines Freigangs
aus dem Gefängnis. Anschließend händigte man ihm nicht nur alle
seine Waffen wieder aus, er bekam am Abend nach seiner Zeugen272
Ralph »Sonny« Barger
aussage auch noch 100000 Dollar in Ein-Dollar-Scheinen in einem Motelzimmer ausgezahlt. Wer ist eigentlich schlimmer? Die
Ratten selbst - oder die Typen von den Justizbehörden, die solche
Rechnungen bezahlen?
Knaststrafen, Motorradunfälle oder brutale Faustkämpfe Harte
immer bin ich wie eine Katze mit neun Leben wieder auf die Füße
gefallen, bin auf mein Bike gestiegen und weitergefahren. Ich konnte
mit harten Richtern, Denunzianten und rivalisierenden Bi-kern
umgehen und ihnen offen in die Augen sehen. Dann aber kam eines
Tages der schwerste Kampf meines Lebens ... gegen einen unsichtbaren Feind in meinem eigenen Körper.
Wieder auf dem Bike - einen Monat nach meiner Krebsoperation im
Jahr1982'
Keith Allende
14
MEIN HÄRTESTER KAMPF
I
ch habe wahrhaftig ein ausreichendes Maß von Kämpfen hinter
mir: Bullen, Old Ladies, die Regierung, feindliche Clubs,
Verräter. Aber kein Kampf war schwerer als der, dem ich 1982 ins
Auge sehen mußte. Als mein 44. Geburtstag heranrückte, kam das
Allerschlimmste noch auf mich zu.
Ich reiste in jenem Jahr nach Cleveland, weil Jack, ein Clubmitglied, dort wegen des Mordes an einem der Outlaws vor Gericht
stand. Während des gesamten Prozesses hatte ich starke Halsschmerzen, aber da es schneite, schob ich es einfach auf das miese
Winterwetter. Nachdem Jacks Prozeß mit seinem Freispruch ausging, blieb ich wegen eines weiteren Gerichtsverfahrens in Akron
noch für eine Weile in der Gegend. Jimmy, ein Hell's Angel, hatte
eine kleine Haftstrafe wegen einer unrechtmäßigen Bike-Zulassung abzusitzen, keine große Sache. Das Dumme daran war, daß er
im Knast steckte, während sein Anwalt sich um die Berufung
kümmerte. Ich fuhr nach Akron, um zu sehen, ob ich etwas für
Jimmy tun konnte.
Akron gehörte zum Einflußgebiet der Outlaws. Während Jimmys Berufungsverfahren wohnte ich in einem »sicheren Haus« der
Hell's Angels und bat Sharon, zu mir nach Ohio zu fliegen. Sie
fuhr vom Flughafen Cleveland zu dem »sicheren Haus«. Aber als
sie zu dem Haus ging, zielten plötzlich aus jedem Fenster Pistolenmündungen auf sie. Ihre erste (und kluge) Reaktion darauf war,
ins Haus hineinzurennen, um aus der Schußlinie zu kommen. Sie
flitzte durch die Haustür herein. Und da saß ich elend und krank
auf der untersten Treppenstufe und hielt mir das Ohr.
Sharon war zu Recht stinksauer.
Hell's Angel
275
»Auf welche Tussi soll ich nun sauer sein, daß sie nicht für dich
gesorgt hat und dich so krank werden ließ?« fragte sie.
Bei unserem Rückflug nach Kalifornien eine Woche später wurden
meine Hals- und Ohrenschmerzen noch schlimmer. Fünf volle
Monate litt ich unter den immer stärker werdenden Schmerzen und
fühlte mich hundeelend. Vielleicht sollte ich kein Motorrad mehr
fahren oder weniger reisen, dachte ich. Irgendein großes Geschwulst
blockierte meine Kehle, aber ich weigerte mich, zum Arzt zu
gehen. Nur um überhaupt sprechen zu können, trank ich jeden Tag
zwei Flaschen Chloraseptic. Nach Besprechungen im Club oder
Vorstandsmeetings konnte ich gar nicht mehr sprechen. Sharon
ging mir aus dem Weg und beschäftigte sich mit Hausarbeit. Den
kleinen Welpen, den ich von meiner Reise mitgebracht hatte, hielt
sie von mir fern. Denn die Stimmungsumschwünge, die ich wegen
meiner Krankheit hatte, wurden langsam gefährlich.
Ich hatte beispielsweise einen neuen Badezimmerschrank anfertigen lassen, den zwei Clubmitglieder auf Sharons Bitten installieren sollten. Als sie damit fertig waren, sah ich mir ihre Arbeit an
und fand, daß der Schrank zu dicht bei den Rohrleitungen hing. In
blinder Wut holte ich ein Beil aus der Garage, hackte den ganzen
Schrank in Stücke und schmiß die Trümmer auf die Veranda.
Ein anderes Mal fand Sharon, als sie nach Hause kam, sämtliche
Küchenschubladen aus den Schränken gerissen und ausgeleert auf
dem Fußboden. Ich hatte in einer Schublade nach etwas gesucht
und mich über die Unordnung geärgert. Im typischen Hell's-Angels-Stil hatte ich daraufhin alle ausgeleert. Sharon hatte hübsche
Keramikdeckel auf den Kochplatten des Herdes liegen. Bei meinem
Wutausbruch zertrümmerte ich sie mit einem Vorschlaghammer.
Und um alles in einem Aufwasch zu machen, haute ich auch gleich
noch den ganzen Herd in Stücke.
Irgend etwas Furchtbares nagte an mir. Ich benahm mich tatsächlich wie ein »Engel aus der Hölle«, der eigentlich gefesselt werden
müßte und mit dem keine Menschenseele zusammenleben konnte.
Aber ich weigerte mich immer noch, zum Arzt zu gehen, denn ich
war sicher, daß die Schmerzen von allein weggehen würden. In
Wahrheit aber wurde es immer schlimmer mit mir.
276
Ralph »Sonny« Barger
Ein mit Sharon befreundeter Apotheker lieh ihr seine medizinischen Fachbücher. Die beiden hatten den Verdacht, daß ich
Kehlkopfkrebs hatte. Schließlich hatte ich 30 Jahre lang CamelZigaretten ohne Filter geraucht - drei Päckchen am Tag. Sharon
rief verschiedene Ärzte an.
»Er will sich einfach nicht untersuchen lassen«, erklärte sie ihnen. »Könnten Sie nicht wenigstens am Telefon mit ihm sprechen
und sich seine Stimme anhören?«
Die Ärzte dachten, sie sei verrückt. »Bringen Sie ihn doch einfach hierher!« erwiderten sie.
Sharon versuchte alles, um mich zu einem Arztbesuch zu überreden. Sie holte sogar Clubmitglieder wie Jim Jim und Tom ins
Haus, die mir gut zureden sollten. Natürlich meinten sie es gut,
aber sie redeten nur albernes Zeug mit mir. »Also, Sonny, wir wären
dir wirklich böse, wenn du tatsächlich Krebs hättest.« Dann
gingen sie wieder, und es ging mir noch schlechter.
Sharon und ihre Freundin Linda suchten schließlich im Telefonbuch einen Hals-, Nasen- und Ohrenarzt heraus, der seine Praxis
ganz in unserer Nähe hatte, und machten einen Termin mit ihm
aus. Sie brachten mich mit einem Trick dorthin. Am Tag des
Arzttermins hübschte Sharon sich richtig sexy auf und erzählte
mir, Linda komme gleich mit ihrem Cadillac vorbei, um uns abzuholen. Ich solle mich auch ordentlich anziehen. Linda sah blendend aus, und auch Sharon hatte sich elegant zurechtgemacht, also
zog ich mich ganz schnell an.
Ich hatte gedacht, wir führen zu Lindas Haus, um dort ein bißchen zu feiern, aber wir hielten auf dem Parkplatz des Arztes. Weil
wir nun schon einmal da waren, gab ich nach und kam mit in die
Praxis. Als ich das Gesicht des Doktors sah, während er mir in den
Hals guckte, wußte ich sofort, daß es etwas Ernstes war. Die ganze
Zeit über hatte ich es stur abgestritten. Wer zum Teufel will denn
schon krank sein?
Am nächsten Tag schickte man mich zu einer Ambulanz-Klinik,
wo mir eine Gewebeprobe entnommen wurde. Zwei Wochen mußte
ich auf das Untersuchungsergebnis warten. Zwei verdammt lange
Wochen ...
Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich.
Hell's Angel
277
Der Arzt erklärte, ich hätte Kehlkopfkrebs in fortgeschrittenem
Stadium. Deswegen hatte ich auch so starke Schmerzen im Ohr.
Die Krebsgeschwulst hatte sich schon so stark vergrößert, daß sie
sich im oberen und unteren Bereich meiner Kehle ausgebreitet
hatte.
»Warum sind Sie nicht schon früher zum Arzt gegangen?« fragte
er mich.
»Ich habe etwas Schlimmes geahnt«, gab ich zu. »Aber meine
Vorstellung von Krebs war, daß er sich überallhin ausbreitet,
wenn man erst einmal eine Operation hatte. Und daß ich dann mit
Sicherheit sterben würde.«
Der Arzt überwies mich an das Medical Center der Universität
von Kalifornien in San Francisco, wo es eine Abteilung mit zehn
Tumorspezialisten gab. Der behandelnde Arzt faßte einen schnellen
Entschluß. Mein Zustand war so ernst, daß er sofort eine Operation
ansetzte. Ich könne die Operation in Raten bezahlen, erklärte er, je
nach meinen finanziellen Möglichkeiten. Sharon sagte ihm, daß ich
ehemaliger
Army-Angehöriger
sei
und
dadurch
Zahlungserleichterungen in Anspruch nehmen dürfe. Daraufhin informierte man sie, daß ich meinen Anspruch mit der Veteran Administration zu regeln habe und nicht mit der Universitätsklinik.
Die Operation würde rund 100 000 Dollar kosten. Man schickte
meine Krankenunterlagen an das Fort Miley Hospital im Presidio
District von San Francisco.
Als Sharon mir erzählte, daß ich in eine VA-Klinik überwiesen
werden sollte, war ich sofort dagegen. Ich stellte mir eine VeteranenKlinik wie ein düsteres Gebäude vor, in dem lauter Amputierte in
Rollstühlen herumsitzen, ein Ort, an den alte Soldaten nur zum
Sterben kamen. Sharon besprach alles mit den Ärzten in Fort Miley
und warnte das Personal der Klinik vor meinen Wutausbrüchen. Ich
verließ die Uni-Klinik und meldete mich in dem Veteranen-Hospital.
Nach einer weiteren Gewebeuntersuchung riet man mir, erst einmal
für ein paar Tage nach Hause zurückzukehren und mich dort zu
entspannen.
»Soll ich mit dem Rauchen aufhören?«
»Das ist jetzt auch egal.«
So wie die Dinge lagen, rechnete man offenbar innerhalb weni278
Ralph »Sonny« Barger
ger Wochen mit meinem Tod. Jetzt war ich richtig stinksauer. Nun
sollte ich also bald sterben und hatte praktisch keine Zeit mehr,
loszugehen und all diejenigen in der Welt abzuknallen, die ich
nicht ausstehen konnte.
Als ich in Fort Miley aufgenommen wurde, hatte sich die Nachricht bereits in den Medien herumgesprochen. HELL'S ANGEL
SONNY BARGER HAT KREBS, lauteten die Schlagzeilen. FBIAgenten schnüffelten in der Klinik herum und versuchten, aus der
Verwaltung so viele Informationen wie möglich herauszuquetschen. Fernsehreporter kamen mit ihren Kamerateams. Der
Klinikdirektor hatte schnell die Nase voll von dem ganzen Rummel
und erteilte den FBI- und Presseleuten Hausverbot. Die VA
respektierte meine Privatsphäre und verweigerte Außenstehenden
jede Einsicht in meine Krankenpapiere.
Mein Arzt erklärte mir die Prozedur der bevorstehenden Operation
und versprach mir, alles Erdenkliche zu versuchen, um meine
Halsmuskulatur intakt zu halten. Wenn ich die Operation überstanden hätte - falls ich sie überstehen würde -, könnte ich meine
Arme wahrscheinlich nicht mehr über den Kopf heben und schon
gar nicht mehr Motorrad fahren, weil die Muskeln in meiner Kehle
und meinen Schultern in Mitleidenschaft gezogen würden. Bei meinem durch den fortgeschrittenen Krebs stark betroffenen Halsbereich sei vermutlich auch meine Lunge schwer beschädigt. Bei
Kehlkopfkrebs-Operationen werde zunächst einmal das betroffene
Gewebe auf der einen Seite entfernt und die Schnittstelle vernäht.
Nach einer Woche komme dann die andere Seite dran.
Ich sprach vor der Operation mit der Diätassistentin. »Sie sollten
bedenken«, erklärte ich ihr, »daß ich ein ziemlich starker Mann
bin, ein Gewichtheber, und daß ich deshalb mehr essen muß.«
Daraufhin setzte sie mich auf Doppelportionen. Als ich in den
Tagesraum der Patienten ging, um Sharon von einem Münztelefon
aus anzurufen, brüllte gerade ein anderer Patient wutentbrannt ins
Telefon. Er war außer sich vor Zorn.
»Der Fraß ist ungenießbar, die Ärzte unerträglich, und wenn ich
den Hörer auflege, haue ich von hier ab. Komm gefälligst sofort
zum Klinikportal und hol mich ab!« Er hatte jede Beherrschung
verloren - genau wie ich in den vergangenen Monaten.
Hell's Angel
279
Als ich diesen Mann beobachtete, wie er beinahe das Telefon
von der Wand riß, dachte ich, Mann, es kommt doch nur darauf an,
wie man zu seinem Leben steht. Plötzlich hatte ich Vertrauen zu
meinen Ärzten. Sie gaben mir doppelte Portionen zu essen, sie
behandelten mich mit Respekt und taten ihr Bestes, um mir zu
helfen. In diesem Augenblick beschloß ich, auch den bevorstehenden
Kampf zu meistern, den Kampf gegen den Krebs - gegen das »große
K«.
Die Narkose machte mir einige Sorgen. Könnte es nicht sein, daß
sich ein FBI-Agent in mein Zimmer einschleichen und mich ausfragen
würde, wahrend ich vollkommen weggetreten war? Deshalb ließ
ich mein Zimmer von jeweils zwei Hell's Angels bewachen, rund
um die Uhr in drei Schichten. Die Angels kamen mit dem Sicherheitspersonal der Klinik gut zurecht und hielten Polizei, Reporter und staatliche Schnüffler von mir fern. Selbst meine Krankenpapiere wurden nie auf normalem Weg durch die Klinik
transportiert. Wenn jemand Einsicht in sie nehmen mußte, wurden
sie von einem Beauftragten zur jeweiligen Untersuchung gebracht.
Ich rauchte eine Camel, als man mich in den üperationssaal
rollte. Achteinhalb Stunden lag ich unter dem Messer. Die Schnitte
wurden mit aller Vorsicht geführt, damit so wenig Muskeln wie
möglich beschädigt wurden, wie man mir versprochen hatte. Nur
meine Stimmbänder und Lymphknoten wurden entfernt. Die
Lymphknoten retteten mir das Leben; sie hatten ihren Zweck erlullt und die Krebszellen abgefangen und zerstört. Was die Arzte
ursprünglich tur einen Tumor gehalten hatten, war m Wirklichkeit ein stark angeschwollener Lymphknoten. Der Krebs hatte
sich nicht über den Rest meines Korpers ausgebreitet. Meine Lunge
war noch immer in Ordnung.
Nach der Operation lag ich in meinem Klinikbett, unfähig zu
sprechen. Lurch schob vor meiner Zimmertur den Wachdienst.
Ich schrieb auf einen Schreibblock:
»Hi, Lurch, wie geht's dir?«
Lurch guckte auf den Block, nahm seinen Bleistift, schrieb etwas
daneben und gab m i r den Block zurück.
»Danke, Chef.« Selbst beim Schreiben war Lurch ein recht
wortkarger Mann.
Ralph »Sonny« Barger
Ich schrieb ihm zurück: »Ich kann hören. Nur sprechen kann
ich nicht.«
der Krebs herausoperiert war, schickte man mich zurück
Nachdem
in die Uni-Klinik von San Francisco zur Bestrahlung. Die
waren auch nicht gerade ein Spaziergang. Im Wartezimmer saßen
kleine Kinder, die durch die Bestrahlungen völlig kahlköpfig
geworden waren und auf deren Glatzen Punkte tätowiert waren,
auf die die Strahlen gerichtet werden mußten. Ich, der sowieso
schon überall Tattoos besaß, bekam nur zwei kleine Punkte an den
Hals gemalt, dort wo die Bestrahlung fortgesetzt werden sollte.
Ich bekam 37 Bestrahlungen. Manchmal streikten die Apparate
und verzögerten die Therapie. Dann saß ich im Wartezimmer und
hörte zu, wie die älteren Leute schimpften und sich beklagten,
während die Kinder, die vielleicht nicht mehr lange zu leben hatten,
in der Lobby herumtobten und lachten. Auch diese Erfahrungen
beeinflußten meine Lebensanschauung. Ich wollte einfach wieder
leben. Weiterleben.
Ein Leben ohne Stimmbänder bedeutete, daß ich vieles von
Grund auf neu lernen mußte: essen, atmen und sprechen. Wenn
man Nahrung aufnimmt oder Luft holt, entscheiden die Stimmbänder, wohin Essen oder Atem gelenkt werden müssen, in den
Magen oder in die Lunge. Bei einem Bissen Nahrung signalisiert
das Gehirn automatisch den Stimmbändern, die Luftröhre zu
schließen. Wenn man einen Schluck Wasser trinkt und sich daran
verschluckt, bedeutet das, daß das Gehirn sein Signal nicht schnell
genug weitergegeben hat und das Wasser in die falsche Röhre geraten ist. Wenn man einatmet, verschließen die Stimmbänder automatisch die Speiseröhre. Nachdem die Chirurgen meine Stimmbänder entfernt hatten, war der Weg zu meiner Speiseröhre
ebenso offen wie der Eingang zu meiner Luftröhre. Ich mußte das
Essen wieder lernen.
Außerdem mußte ich auch eine völlig neue Methode der Kommunikation lernen. Man hatte vorn in meinen Hals ein Loch geschnitten und meine Luftröhre mit dieser Öffnung vernäht. Als
die Operationswunden verheilt waren, schnitten die Ärzte hinten in
meine Luftröhre eine Öffnung und verbanden mit einem EinHell's Angel
281
wegventil aus Plastik die Nahtstelle mit der Speiseröhre. Wenn ich
nun mit einer Fingerkuppe das Loch in meinem Hals zuhalte, kann
die Luft dort nicht herauskommen, sondern fließt durch das
Einwegventil. Dann bewege ich einen Muskel in meiner Kehle und
erzeuge so die Laute, die man hört, wenn ich »spreche«. Das Ventil
muß alle drei Monate ausgetauscht werden, denn es nutzt sich
schnell ab.
Die Leute sagen, ich klänge jetzt wie Marlon Brando in The
Godfather (»Der Pate«). Meine Stimme ist zwar hart und schrill,
aber ich kann wenigstens frei und ohne Schmerzen sprechen. Der
einzige Laut, den ich nicht aussprechen kann, ist das »h«. Jede Unterhaltung ist für mich zu einer Art physischer Reaktion geworden.
Inzwischen fährt meine Hand automatisch an mein Kehlpflaster,
wenn ich darüber nachdenke, was ich sagen will. Einige Leute
meinen, ich hätte eine gewisse Sparsamkeit beim Sprechen entwickelt. "Würde das nicht jedem so gehen?
Niemand hätte auch nur einen Pfifferling darauf gewettet, daß ich
das alles überleben - geschweige denn gesund und stärker werden würde. An dem Tag, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde,
stieg ich auf mein Motorrad und strotzte vor Energie. Ich hatte das
»große K« besiegt. Vor meiner Operation konnte ich zehnmal
nacheinander 150 Pfund stemmen. Als ich aus der Klinik kam,
trainierte ich sofort wieder und stemmte schon bald mehr als 250
Pfund - und das noch bis heute!
Wegen meiner Kehle fing ich an, einen Sturzhelm mit vollem
Gesichtsschutz zu tragen, und ließ mir eine Windschutzscheibe an
mein Bike montieren. Ein Aufkleber an der Scheibe informiert die
Leute, daß mein Kehlkopf wegoperiert ist und ich durch eine
Halsöffnung atme. Auf der Windschutzscheibe meiner Harley
FXRT klebt auch noch der Sticker eines Cartoons des Tasmanian
Devil. Ein paar von den Angels aus meinem Club haben mir einen
neuen Spitznamen gegeben: Taz - wegen der Reibeisenstimme.
Hin und wieder sehe ich alte Aufnahmen im Fernsehen von mir
und höre meine Originalstimme mit dem nasalen, typisch kalifornischen Klang. Aber ob die Leute es nun glauben oder nicht: Die
Qualität meiner Stimme ist heute besser als kurz vor meiner Operation. Sharon und die Tatsache, daß ich zu Verstand gekommen
282
Ralph »Sonny« Barger
bin und gekämpft habe, haben mein Leben gerettet. Das viele Motorradfahren und der ständige Aufenthalt im Freien haben meine
Lungentätigkeit enorm verbessert. Und die Camel, die ich auf
dem Weg in den Operationssaal geraucht habe, war meine allerletzte Zigarette. Punktum. Ende der Durchsage. Finito.
Die Oakland Hell's Angels mit ihren Freunden 1995.
Tina Hager
15
NEUANFANG IN ARIZONA
N
ach der Verurteilung wegen der Bombenverschwörung 1987
wurde ich in das Bundesgefängnis von Englewood, Colorado,
geschickt. Der Bundes Staatsanwalt von Louis-ville schrieb
einen Brief an die Strafvollzugsbehörde und warnte sie davor, daß
ich »der Anführer der Hell's Angels« sei. Als ich nach Englewood
kam, wollten sie mich dort nicht haben. Nach dem Wortlaut des
Briefes sollte mir keine »Country-Club-Atmo-sphäre« geboten
werden, womit man den Knast von Englewood nun wirklich nicht
beschreiben kann. Wer will schon im tiefsten Winter mitten in
Colorado bis zum Arsch im Schnee stecken? Colorado verlegte mich
nach Phoenix, Arizona, in eine andere Bundesstrafanstalt.
Ich hatte nicht gewußt, wie sich das trockene und heiße Klima in
Arizona auf meine Kehle auswirken würde. Ich bekam eine Zelle mit
einem Fenster, das ich offen lassen durfte. Außerdem durfte ich die
Klimaanlage abschalten und statt dessen einen Luftbefeuchter
aufstellen. Ich hatte kaum Probleme mit der Klimaumstellung und
habe inzwischen festgestellt, daß ich ein heißes und trockenes
Klima am besten vertrage.
Während meines ersten Winters in Arizona stieg die Temperatur
auf über 30 Grad an. Gleichzeitig schneite es wie verrückt in Kentucky, wo ich verurteilt worden war. In Arizona dagegen lag ich in
Shorts und tiefgebräunt auf einem bunten Badetuch, sonnte mich
und trank eine Coca-Cola. Ein Freund fotografierte mich. Ich ließ
das Bild vergrößern und schickte es an Cleveland Gamble, den die
Anklage vertretenden Oberstaatsanwalt in meinem Verschwörungsprozeß, im verschneiten Kentucky. Dazu schrieb ich:
Hell's Angel
285
1987, der »Sonny« Schnappschuß, den ich ins verschneite Kentucky schickte.
»Lieber Cleve: Winter in Phoenix. Danke, Sonny Barger.« Meine Zeit
in der Bundesstrafanstalt von Phoenix saß ich ohne Zwischenfälle
ab, und ich war Ende 1992 draußen. Alles in allem hatte ich 59
Monate abgesessen. Danach wurde ich auf Bewährung entlassen.
stoppte 1992 den Bau meines Lieblings-Bi-kes,
Harley-Davidson
der FXRT. Wer nach '92 so eine Maschine haben wollte, mußte
lange danach suchen - diese Bikes waren elend schwer zu finden.
Ein Freund, der einen Harley-Shop in Zentralkalifornien besitzt,
entdeckte eine der allerletzten FXRTs in Los Angeles und brachte sie
mir nach Oakland. Er hatte noch ein paar Extras eingebaut, wie
zum Beispiel einen Screaming-Eagle-Vergaser, aber die Maschine
war nicht richtig getunt und verbrauchte zuviel Sprit. Also fuhr ich
zu Deacon und stellte den Vergaser ein. Vorher rief ich Cisco im
Clubhaus in Oakland an, um ihm zu sagen, daß ich mich verspäten
würde. Wenn der Club irgendwelche besonderen Pläne hätte, dann
sollte er schon mal ohne mich damit anfangen.
286
Ralph »Sonny« Barger
»Zur Hölle, nein!« erwiderte Cisco. »Wir warten auf dich, Chef.«
Bei meiner Ankunft im Clubhaus warteten 100 Kumpels auf
mich - mit meiner neuen FXRT. Sie hatten eine große »Willkommen
zu Hause, Sonny«-Party geplant, die Sharon und mein Oakland
Bruder Guinea Colucci organisiert hatten. Die Feier sollte an diesem
Nachmittag in der Umgebung von Hayward stattfinden. Ich wollte,
ich könnte sagen, daß es eine Überraschung für mich war, aber ich
hatte schon in zwei Bike-Magazinen Ankündigungen für die Party
gesehen. Also stieg ich auf meine neue Maschine, und wir fuhren wie
in alten Tagen alle gemeinsam nach Hayward.
Zu der Party kamen an die 5 000 Leute. Theoretisch gesehen
verletzte ich ja meine Bewährungsauflagen, indem ich mich mit
Leuten traf, von denen viele vorbestraft waren. Aber »Fuck it!«
Ich hatte geschworen, nie wieder auch nur einen einzigen Tag im
Knast zu verbringen. Sogar einer der Wachleute aus dem Knast in
Phoenix rief mich an und bat mich, ihm zwei T-Shirts von der
Party mit dem Aufdruck »Welcome Home Sonny« zu schicken. Es
wurde eine gigantische Party, die größte, die ich je erlebt habe. Die
Presse und die Bullen waren natürlich auch da. Sie kampierten auf
einem Feld in der Nähe, machten Fotos und Videoaufnahmen und
notierten die Nummernschilder unserer Fahrzeuge.
Ich erzählte den Leuten vom Oakland-Club, daß ich nach Arizona ziehen würde, falls dort jemals ein Hell's Angels Charter gegründet werde. Der Dirty Dozen Motorcycle Club stellte 1994 den
Antrag, sich Hell's Angels Club nennen zu dürfen. Die Mitglieder
des Dirty Dozen Clubs waren lauter Freunde und Mitstreiter von uns,
die seit über 25 Jahren auf ihren Bikes durch Arizona kurvten. Ihr
Club besaß keine Charter außerhalb von Arizona, deshalb
unternahmen sie nur selten gemeinsame große Runs. Sie wollten
sich gern auf nationaler Ebene etablieren, daher war es das
einfachste, Teil einer Cluborganisation zu werden, die bereits
weltweit existierte. Und das konnten schließlich nur die Hell's
Angels sein.
Nachdem die Dirty Dozen HAMC-Prospects geworden waren,
hielt ich mich aus der Clubpolitik heraus. Als sie dann offiziell
Hell's Angels wurden, beantragte ich meine Überweisung nach
Arizona. Der Oakland-Club war völlig perplex, als ich bei einem
Hell's Angel
287
Meeting im August 1997 aufstand und ein Überweisungsschreiben
verlangte. Cisco glaubte, ich mache einen Witz, und fragte spaßeshalber, wer denn sonst noch alles überwiesen werden wolle. Johnny
Angel hob die Hand. Weil ich ein Mitglied von tadellosem Ansehen
war, bekam ich das Überweisungsschreiben. Zehn Tage nach
meinem sechzigsten Geburtstag, am 18. Oktober 1998, wurde ich
offiziell ein Arizona Hell's Angel und Angehöriger des Cave Creek
Charters.
Oakland war jetzt Vergangenheit für mich. Mit einem 15 Meter
langen Trailer, der bis zum Dach knallvoll war, schleppte ich meine
gesamte Habe aus der Golf Links Road. Das Golf-Links-Haus, in
dem ich 30 Jahre lang gewohnt hatte, verkaufte ich einem Mitglied
des Oakland-Clubs. So blieb es eine Art »Denkmal« innerhalb der
Hell's-Angels-Familie.
Ich mag die Wüstenlandschaft von Arizona; sie ist für mich wie
ein neues Kalifornien, ein weites und freies Land. Das Clubhaus
von Cave Creek ist nicht weit von meinem neuen Haus entfernt. In
Phoenix und in Mesa gibt es noch andere Charter der Hell's
Angels; in Flagstaff sind es die Nomads. Sie waren früher alle
Chapter der Dirty Dozen. Und eine Menge Biker sind für mich
gleichbedeutend mit einer Menge Spaß.
Der Südwesten ist für die Hell's Angels Entwicklungsgebiet, aber
wir planen bereits, uns auch nach New Mexico und Colorado
auszubreiten. Diese Gegend ist für uns ein neuer Aktionsbereich,
denn wir gehören weder zur Ost- noch zur Westküste. Wir sind
»der Südwesten«, und unsere Anwesenheit hier stellt - wie beim
Four Corners Run während des Labor-Day-Wochenendes - ein
neues Grenzgebiet dar. Um auch nach Colorado und New Mexico
vorzudringen, müssen wir bei Anlässen wie den Four Corners dabei
sein, um den Club größer zu machen. Wir benutzen unsere Runs
und Veranstaltungen, um die Gründung von Regionalclubs
anzuregen. Ich versuche dabei mitzuhelfen.
W
enn ich auf meinem Motorrad in der Gegend herumfahre, in
der ich jetzt wohne, komme ich oft an der Bundesstrafanstalt
vorbei, in der ich fast fünf Jahre eingesperrt war. Ich brauche nur
nach rechts zu sehen, wenn ich den Carefree Highway
288
Ralph »Sonny« Barger
entlangfahre, dann sehe ich den Knast. Es ist ein großartiges Gefühl,
draußen zu sein.
Eines Morgens, als ich diese Strecke fuhr, sah ein Sheriff mein
Angels-Patch und startete sein Motorrad. Er schaltete sein Blaulicht ein und winkte mich an den Straßenrand. Ich gab ihm meinen
Führerschein. Er starrte auf den Ausweis, schüttelte seinen Kopf
und starrte dann wieder mich an. Dabei murmelte er etwas vor sich
hin und ging dann zu seinem Funksprechgerät.
Kurze Zeit später kam ein Motorradbulle aus Phoenix angerauscht. »Zeigen Sie mir mal Ihren kalifornischen Führerschein«,
verlangte er.
»Offizier, ich besitze keinen kalifornischen Führerschein, ich
habe einen aus Arizona.«
Der Phoenix-Bulle nahm seine Sonnenbrille ab. »Wollen Sie
mir weismachen, Sonny Barger, daß Sie jetzt Einwohner des Staates
Arizona sind?«
»Ich habe ein Haus in Arizona, mein Motorrad ist hier angemeldet, und ich habe einen Führerschein aus Arizona. Wenn das
für Sie bedeutet, daß ich hier wohne, dann lautet die Antwort ja!«
Der Bulle ging zu dem Sheriff und besprach sich mit ihm. Dann
kam er zu mir zurück.
»Diesmal lasse ich Sie mit einer Verwarnung weiterfahren.« Im
Weggehen drehte er sich noch einmal zu mir um und sagte: »Und
willkommen in Arizona, Mr. Barger!«
Die Presse brachte ein paar Berichte über meine Ankunft in
Arizona. Kurz darauf kamen Polizisten vom Büro des Sheriffs und
fuhren die Auffahrt zu meinem Haus hoch. Ein Bulle lehnte sich
aus dem Fenster des Polizeiwagens und fotografierte mein Haus,
die Garage und den Hof. Als ich daraufhin beim Sheriff anrief und
fragte, was zum Teufel los sei, behauptete man dort, es sei gelogen,
was ich ihnen erzählte. Also rief ich einen Reporter vom Phoenix
Republic an. Nach ein paar Telefonanrufen bekam er dieselbe Antwort wie ich: Es sei nicht fotografiert worden, es gebe keine Überwachung, und es sei überhaupt nichts geschehen.
Hell's Angel
289
über 40 Jahre HAMC läßt sich seine Entwicklung für
ImmichRückblick
nach Jahrzehnten einteilen. Wir gründeten den Club in den
50er Jahren, um Partys zu feiern und Motorrad zu fahren. Während
der »psychedelischen« 60er Jahre wurden die Hell's Angels zu einem
roten Tuch für die Öffentlichkeit. Normalbürger, Bullen und
Zeitungsfritzen fragten sich, was unsere Patches bedeuteten. Mit
ihren verrückten Phantasien und Vorstellungen dachten sie sich ihre
eigenen Geschichten über uns aus. Im Kino wurden wir als die
wildesten Motherfucker dargestellt, die seit Dschingis Khan und
seinen Horden jemals durch die Welt getobt
waren.
Die 70er Jahre waren unsere Gangster-Ära. Ich dealte mit Drogen
und geriet in einen Haufen Scheiße hinein. Andere Clubs versuchten,
uns ans Bein zu pissen. Die Schwarzen und die Latinos konnten uns
nicht leiden; die Weißen hatten Angst vor uns; die Hippies mochten
uns nicht mehr, und die Rednecks konnten uns sowieso nicht
ausstehen. Alle haßten uns. Wir waren isoliert.
In den 80er Jahren bezahlten wir bitter für jedes beschissene
Verbrechen, das wir je begangen hatten, und auch für ein paar, mit
denen wir nichts zu tun hatten. Mit all diesen Verschwörungsanklagen wurden die 80er Jahre zu einem einzigen wüsten Gewirr
von Gerichtsverfahren. Etliche Informanten, die massiv vom Staat
unterstützt wurden, waren eisern entschlossen, uns mit allen Mitteln
auszurotten. Sie zählten für uns zu den stinkendsten Ratten.
Das fünfzigste Jubiläum des Hell's Angels Clubs feierten wir im
Jahr 1998. Am Geburtsort in San Bernardino fand eine riesige Feier
statt. Hell's Angels von nah und fern kamen zum Clubhaus von
Berdoo. Zwei Dutzend Hell's Angels aus Oakland bretterten den
Highway Nr. 5 hinunter. Sogar Charter aus dem fernsten Nordosten
und Kanada kamen in Massen auf die Party. Internationale Charter
flogen ein und fuhren auf geliehenen Bikes quer durchs Land. Die
Bar des Clubhauses von Berdoo wurde zum Museum, in dem
Plaketten und Geschenke ausgestellt waren. Mitglieder aus aller Welt
tranken gemeinsam ihr Bier. Sogar ein paar Biker-Clubs aus
Griechenland und Italien, die auf eine Mitgliedschaft bei den
Angels hofften, erwiesen uns ihren Respekt. Ich mußte gemeinsam
mit jungen und alten Mitgliedern für unzählige Fotos posie290
Ralph »Sonny« Barger
Ich halte meine Frau Noel in meinen Armen.
Justice Howard
ren. Hunderte von Hell's Angels waren gekommen, und viele weitere
wurden an den Grenzen angehalten oder vom Zoll gestoppt, der
ihnen die Einreise verwehrte. Hinter dem Clubhaus parkten
unzählige Motorräder mit herrlichen Tankbemalungen und blitzendem Chrom.
Hell's Angel
291
Natürlich waren auch die Bullen nicht weit. Die kanadische
Bundespolizei hatte ein Haus gegenüber vom Clubhaus gemietet,
von wo aus sie uns beobachtete und überwachte. Selbst nach 50
Jahren wollten die Bullen noch immer alles über uns in Erfahrung
bringen. Zu Anfang des Jahres hatten die Staats- und Bundesbehörden eine Razzia in unserem Clubhaus in Oakland durchgeführt. Und dieses Mal nahmen sie unsere Computer-Festplatten
und Aktenschränke mit.
Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hatten wir, weiß der Teufel,
eine volle Runde hinter uns. Motorrad zu fahren und Partys zu feiern
ist nach wie vor der Hauptgrund, ein Hell's Angel zu sein. Dazu
kommt die Bruderschaft. Wir haben eine Menge junger Mitglieder,
die schwer in Ordnung sind und die unsere Tradition der MotorradRuns und des knallharten Party-Feierns fortführen wollen. Das
sind schließlich auch die Grundsätze, auf denen unser Club in erster
Linie beruht: Man fühlt sich super, weil man weiß, daß man ein
Zuhause hat und auf der richtigen Spur ist.
1999 schaffte ich es endlich, einen Europa-Run zu machen. Mit
Johnny Angel und Joe Richardson, die beide zum Cave Creek
Club gehören, landete ich in Zürich. Johnny ist unser US-Vertreter
für Europa. Man kann wohl sagen, daß ich als Ehrengast dabei war.
Nach einer großen Party beim Charter in Zürich fuhren wir mit
Harley Full Dressers über die gewundenen europäischen
Highways. Wir fuhren auf Landstraßen und Autobahnen nach
Österreich, Liechtenstein und durch die Schweiz. Als wir an die
Schweizer Grenze nach Italien kamen, versuchte ein italienischer
Grenzer, uns aufzuhalten - wir waren zweihundert Mann! Die
ganze Horde mußte stoppen, und der Verkehr staute sich kilometerlang. Der Vorgesetzte des Grenzbeamten bekam Panik und
befahl dem Mann, uns sofort durchzulassen. Wir fuhren nach Mailand und feierten dort eine weitere Party.
An dem Europa-Run nahmen Hell's Angels aus aller Welt teil.
Dabei zeigte sich auch, wie gering der Unterschied zwischen den
amerikanischen und den internationalen Mitgliedern ist. Ob man in
Kalifornien, Skandinavien, Australien, Kanada, Südafrika, Europa
oder in den Regenwäldern von Brasilien fährt, Biker sind Bi292
Ralph »Sonny« Barger
ker, ihre Motorräder sind die besten, und die Hell's Angels werden
bis ans Ende der Welt weiterfahren. Selbst die Justizbehörden haben
es inzwischen in ihren Direktiven und Staatsanwaltschafts-Berichten
geschnallt:
Über dem Hell's Angels Patch geht die Sonne niemals unter!
Wir fuhren zurück in die Schweiz und hinauf in die Alpen, die
höchsten Bergpässe, auf denen ich je gefahren bin, so steil, daß wir
bis in die Wolken hineindonnerten. So ein Run ist der höchste
Rausch von allen und die weiteste Entfernung - für Körper und
Seele - von Plätzen wie dem Knast von Folsom oder einer trostlosen
Zelle in der Provinz. Als ich durch die Alpen fuhr, ging mir
folgender Gedanke durch den Kopf: Wenn ich etwas in meinen
mehr als 40 Jahren im Club gelernt habe, dann ist es die Tatsache,
daß Freiheit nicht billig zu haben ist. Ich dachte darüber nach, wie
sehr ich die Freiheit der Straße brauchte, einen festen Lenker, einen
harten Sattel und eine Old Lady, die bereit ist, eine lange und
holprige Reise durchzustehen.
Meine Gedanken übertönten dabei den Donner der 200 Harleys
bei ihrem Run durch die Alpen. Ich weiß, daß ich einen
schrecklichen Preis für meine Freiheit zahlen mußte. Aber wenn
ich mein Herz verstehen will, dann muß ich auch das Böse verstehen, das darin lauert. Diese Erkenntnis habe ich auf bittere Weise
lernen müssen. Ich kann mich nicht hinter religiösen Traditionen
und fadenscheinigen Helden verstecken. Es ist unmöglich, von
der ständigen Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber anderen
Menschen erlöst zu werden. Als Kämpfer muß man Schmerz und
Trauer ebenso kennenlernen wie Freude und Einsamkeit. Für all
diejenigen, die Sehnsucht nach der ewig freien Fahrt haben,
schreibe ich diese Worte ... und die Angels werden Könige sein!
Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten: Bei der Arbeit an meiner
Maschine kurz vor meinem Umzug nach Arizona und meiner Überweisung
zum Hell's Angels Charter von Cave Creek.
Tina Hager
Die Knast-Tabelle
Im folgenden habe ich meine »Verbrecherkarriere« aufgelistet, die
ich unlängst aus den Unterlagen der Behörden zusammengestellt
habe. Sie scheint mir ziemlich vollständig, es könnte allerdings
sein, daß ein paar kleinere Übertretungen fehlen.
Datum der
Verhaftung
Verhaftende Behörde und
Urteil
Vorwurf
14/04/57
Polizei von Alameda
Trunkenheit am
Verurteilung
3 Jahre Bewährung
Steuer
Polizei von Oakland
Trunkenheit am
Verurteilung
Steuer
18/03/61
Polizei von Berkeley
Freispruch
Weigerung, eine Demo
zu verlassen
13/11/63
Polizei von Oakland
Drogenbesitz
17/02/58
6 Monate Bewährung
30/04/64
Polizei von Oakland
Besitz von
6 Monate Haft
Marihuana
13/02/65
Polizei von Oakland
Verurteilung wegen
Mordversuchs
Angriff mit eine r
tödlichen Waffe
16/10/65
Polizei von Berkeley
Haftentlassung, keine
Anklageerhebung
Angriff mit einer
tödlichen Waffe
Hell's Angel
295
10/03/66
Sheriff von Alameda 6 Monate Angriff mit einer
Haft
tödlichen Waffe
30/08/68
Polizei von Oakland
Entlassung
Drogenbesitz
26/02/69
Polizei von Norwalk
Entscheidung unbekannt
Illegaler Besitz,
Herstellung oder
Verkauf von
Waffen, Drogenbesitz
06/06/70
Bundespolizei Entscheidung
unbekannt
Illegaler Kauf von
Feuerwaffen
11/06/70
Polizei von Oakland Anklage
abgewiesen
Drogenbesitz und handel
07/10/70
Sheriff von Alameda
Entscheidung unbekannt
Drogenbesitz eines
bewaffneten
Vorbestraften
30/10/70
Bundespolizei Entscheidung
unbekannt
Illegaler-Waffenbesitz
22/03/71
Sheriff von Alameda
Vorbestrafter im
Entscheidung unbekannt
Besitz von Waffen,
Tragen einer
verborgenen Waffe
und Besitz eines
Klappmessers
Polizei von Oakland Anklage
abgewiesen
Entfuhrung, Mordversuch, Angriff mit
tödl. Waffe, Besitz
21/01/72
einer Feuerwaffe
296
Ra lph »Sonny« Barger
14/02/72
Sheriff von Alameda
Verurteilung wegen
Freiheitsberaubung
Unbegrenzte Haft in
Vacaville, gleichzeitig
mit anderen Haftstrafen zu verbüßen
Gefährliche Körperverletzung, Entführung, Waffenbesitz
16/03/73
Justizministerium von
Drogen- und Mari-
Kalifornien, Ermittlungsdienst
Entscheidung unbekannt
In der Akte heißt es:
»Außerstande, die
Absicht mit einer Anklage
zu verbinden«, aber es wird
verwiesen auf Urteile von 5
bis zu 20 Jahren, 2 bis zu 20
Jahren und 6 bis zu 10 Monaten,
alle gleichzeitig laufend, und
10 Jahren bis zu lebenslänglich,
nacheinander zu verbüßen
huanabesitz und
Absicht des Handels
mit gefährlichen
Betäubungsmitteln
02/05/73
Justizministerium von
Freiheits-
Kalifornien, Ermittlungsdienst
Verurteilung wegen Freiheitsberaubung zu 6 Monaten bis zu 10 Jahren und
zu 6 Monaten bis zu 15 Jahren Haft, gleichlaufend.
Entlassung auf Bewährung
in den Landkreis Alameda
beraubung,
Besitz einer
Feuerwaffe
Bundespolizei
Organisierte
Freispruch
Bandenkriminalität
13/06/79
Hell's Angel
von
297
20/06/87
Verhaftende Behörde
Verschwörung
unbekannt
zu Verbrechen
Verurteilung zu 59 Monaten Gefängnisstrafe
abgesessen
Glossar
Charter: (wörtlich: Lizenz) Ableger eines Clubs in weiteren Städten
oder Gegenden. Fährt unter dem Namen und Logo des
Mutterclubs, führt aber eine lokale Selbstverwaltung. Bei allen
anderen Clubs heißt es übrigens »Chapter« (Ortsgruppe). Bei
den amerikanischen Hell's Angels werden die Begriffe nicht
sorgfältig geschieden, wohl aber in Deutschland.
COLOR: Das Wappen eines Clubs. Es besteht bei den Hell's Angels
aus vier Teilen: oberer Schriftzug (Top Rocker) »Heils Angels«,
unterer Schriftzug (Bottom Rocker) mit dem Land des Charters,
in der Mitte das eigentliche Clublogo des Totenkopfs mit
Flügelhelm (Death Head) und rechts daneben die Buchstaben
»MC«.
DEATH HEAD: Der Totenkopf mit Flügelhelm ist das Clublogo des
Hell's Angels MC. Der Death Head darf nur von Mitgliedern
des Hell's Angels MC getragen werden.
EINPROZENTER: Nach den von Bikern verursachten Unruhen im
kleinen amerikanischen Städtchen Hollister versuchte die
American Motorcyclists Association (AMA) die Öffentlichkeit zu
beschwichtigen: Nur ein Prozent der Motorradfahrer sei gewalttätig. Seitdem nennen sich viele MCs in ironischer Verkehrung »Einprozenter«.
MC: Abkürzung für »Motorcycle Club«. Die Buchstaben werden in
Namen und Clublogo getragen und stellen eine selbstverliehene
Auszeichnung dar, die nicht jedem Club zugestanden wird.
M EM B ER: Vollwertiges Mitglied eines Clubs. Auch in Deutschland
gebräuchlicher Begriff, den wir der Verständlichkeit halber mit
»Mitglied« übersetzt haben.
Hell's Angel
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OFFICER:
Mit Führungsaufgaben belehnte Mitglieder eines
Clubs. Bei den Hell's Angels gibt es: President, bei uns mit
Präsident übersetzt, Vice-President, bei uns mit Vizepräsident
übersetzt, Road Captain (zuständig für Planung und Ausführung
von Runs),
Treasury (Schatzmeister, Kassenwart),
Secretary (Sekretär),
Sergeant at Arms (Exekutive, auch zuständig für die Einhaltung
der Disziplin im eigenen Club).
PATCH: Aufnäher. In den meisten Fällen gebräuchlich für den
Rückenaufnäher mit dem »Color« des Clubs.
PROSPECT: Anwärter für die Mitgliedschaft in einem Club. Er trägt
in der Regel keinen vollständigen Rückenaufnäher, sondern nur
Teile davon. Auch ganze Clubs können als »Prospect-Charter«
Anwärter auf die Mitgliedschaft im Hell's Angels MC sein.
RUN : Stehender Begriff für das gemeinsame Anfahren und Feiern
eines Motorradtreffens.
Technische Begriffe
FLATHEAD:
Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit flachem
Zylinderkopf, produziert ab 1929.
KNUCKLEHEAD:
Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit
knöchelförmigem Zylinderkopf, produziert von 1936 bis 1947.
PANHEAD: Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit pfannenförmigem Zylinderkopf, produziert von 1948 bis 1965.
SHOVELHEAD:
Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit
schaufeiförmigem Zylinderkopf, produziert von 1966 bis 1984.
Evo: Motorenbaureihe von Harley-Davidson, benannt nach der
Modelreihe »Evolution«, produziert von 1984 bis 2000.
SPORTSTER: Wendige und leichtgewichtige Baureihe von HarleyDavidson.
STROKER: Motor mit Vergrößerung des Hubraums durch Hubverlängerung.
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Ralph »Sonny« Barger

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