Kirchenlieder – christliches Liedgut – Kulturgut – alter Hut?

Transcrição

Kirchenlieder – christliches Liedgut – Kulturgut – alter Hut?
Kirchenlieder –
christliches Liedgut – Kulturgut – alter Hut?
Titelbild:
Alte Liedertafel in der katholischen Friedhofskirche Neresheim,
Gemeinde Mariä Himmelfahrt
2
Michaela Mokry
Am Jagdstein 30
73450 Neresheim
Kirchenlieder –
christliches Liedgut – Kulturgut – alter Hut?
Arbeit im Rahmen des Wettbewerbs „Christentum und Kultur“
2011/2012
Hellenstein-Gymnasium
Bahnhofplatz 8
89518 Heidenheim
Fachlehrer:
Herr Holger Nagel
3
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
6
2 Begriffsdefinitionen
7
2.1 Definition „Kirchenlied“
7
2.2 Definition „Kultur“
7
3 Geschichtliche Hintergründe des Kirchenliedes
3.1 Musik des frühen Christentums
9
9
3.1.1 Psalmgesang
9
3.1.2 Gregorianischer Choral
9
3.1.3 Hymnus
9
3.2 Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit
10
3.3 Konzil von Trient (1545 – 1563)
11
3.4 Martin Luther und die Reformation
11
3.5 Gegenreformation und Durchbruch des katholischen Kirchenliedes
11
3.6 Aufklärung
12
3.7 Motu proprio über due Erneuerung der Kirchenmusik –
„Tra le sollecitudini“ (22.11.1903)
12
3.8 Das Zweite Vatikanische Konzil und die Liturgiekonstitution Sacrosamctum
Concilium
4 Vergleich eines Neuen Geistlichen Liedes mit einem Lied aus dem „Gotteslob“
13
17
4.1 Das „Gotteslob“
17
4.2 Das Neue Geistliche Lied
17
4.2.1 Der Begriff des Neuen Geistlichen Liedes
17
4.2.2 Entwicklung des Neuen Geistlichen Liedes
18
4.3 Liedanalyse und Vergleich
20
4.3.1 Gemeinsamkeiten der Kirchenlieder
21
4.3.2 Unterschiede der Kirchenlieder
21
4.3.3 Ergebnisse des Vergleiches
22
5 Rolle des Kirchenliedes in der aktuellen Liturgie
23
5.1 Definition „Liturgie“
23
5.2 Musik und Gesang in der Liturgie
23
5.3 Aktuelle Tendenzen des Gemeindegesangs
26
6 Umfrage im Dekanat Ostalb
6.1 Ergebnisse der Umfrage
27
27
6.1.1 Gemeinden mit ergänzenden Liederbüchern
27
6.1.2 Anlässe, zu denen das ergänzende Liederbuch verwendet wird
27
4
6.1.3 Gründe für die Verwendung eines Liederbuches mit
Neuen Geistlichen Liedern
28
7 Gespräch mit Pfarrer Adrian Warzecha
29
7.1 Zur Person
29
7.2 Einführung und Verwendung des Liederbuches „Dir sing ich mein Lied“
29
7.2.1 Gründe für die Einführung von „Dir sing ich mein Lied“
29
7.2.2 Auswahl und Einführung des Liederbuches
29
7.2.3 Verwendung des Liederbuches
30
7.2.4 Resonanz in der Gemeinde
30
7.2.5 Liederauswahl für den Gottesdienst
31
8 Schlussfolgerung
32
9 Anhang
34
10 Erklärung zur Eigenständigkeit
37
11 Quellenverzeichnis
38
11.1 Literaturverzeichnis
38
11.2 Internetquellen
38
11.3 Quellen der Abbildungen
38
11.4 Quellen der Lieder
39
5
1 Einleitung
„Die Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann, und worüber zu schweigen
unmöglich ist.“
1
Dieses Zitat von Victor Hugo drückt aus, welche Wirkung Musik hat und welche Funktionen
sie dadurch oftmals übernimmt. Ich habe dies nicht nur durch vorliegende Arbeit, sondern
auch durch eigenes Musizieren erfahren.
In meiner Freizeit beschäftige ich mich sehr viel mit Musik. Seit meiner Grundschulzeit bin
ich Schülerin der Musikschule und lerne Violine. Heute spiele ich in verschiedenen
Orchestern und Ensembles mit. Außerdem bin ich Mitglied eines Jugendprojektchores, in
dem wir neben weltlichen Liedern auch geistliche Werke, wie beispielsweise in unserem
aktuellen Projekt die Motette „Jesu meine Freude“ von Johann Sebastian Bach einstudieren.
In den letzten Jahren habe ich durch das Spielen im Orchester, den Instrumentalunterricht,
das Singen im Chor und durch den Leistungskurs Musik in der Schule viel Zeit mit Musik
verbracht, wodurch sich mein Wissen auch in der Musiktheorie erweiterte.
Seit meiner Erstkommunion bin ich Ministrantin in unserer Gemeinde und somit durch die
Teilnahme an den Gottesdiensten mit Kirchenliedern vertraut. In den letzten Jahren hat sich
meine Wahrnehmung der Kirchenlieder durch die Erfahrungen, die ich mit Musik in anderen
Kontexten machte, verändert. Ich habe begonnen, die Lieder nicht nur mitzusingen, sondern
mir auch Gedanken über ihre Bedeutung in der Liturgie zu machen. Die Diskrepanz
zwischen neuen und alten Kirchenliedern und die oft wiederkehrenden Diskussionen über
ihre Verwendung, haben mich zu meinem Thema „Kirchenlieder – christliches Liedgut –
Kulturgut – alter Hut?“ inspiriert.
Mir erschien es wichtig, das Thema „Kirchenlied“ zuerst geschichtlich zu betrachten. Danach
habe ich einen konkreten Liedvergleich zweier bekannter Lieder angestellt. Auf die Rolle des
Kirchenliedes in der aktuellen Liturgie bin ich aufgrund der Wichtigkeit für meine Arbeit in
einem gesonderten Kapitel eingegangen. Anhand einer kleinen Umfrage im Dekanat Ostalb
und einem Gespräch mit Pfarrer Adrian Warzecha meiner Heimatgemeinde „Mariä
Himmelfahrt“ in Neresheim habe ich versucht, einen Blick auf die gängige Praxis in meinem
näheren Umfeld zu werfen.
1
http://zitate.net/victor%20hugo.html
6
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Definition „Kirchenlied“
Kirchenlieder werden als Teil der Kirchenmusik für den liturgischen Gebrauch geschrieben.2
Im christlichen Gottesdienst singt sie die Gemeinde.3 Das Lied wird hier als „umfassende
Bezeichnung für „kunstlose“, den Alltag begleitende Gesangsform“4 verstanden. „Die
namenlose Überlieferung, die leichte Ausführung und Erlernung sowie der (nicht schriftlich
fixierte) Ablauf nach einfachen (…) Schemata ordnen es dem Volkslied zu.“5 Kirchenlieder
sind somit meist strophisch aufgebaut und werden in der jeweiligen Volkssprache
gesungen.6
2.2 Definition „Kultur“
Was ist „Kultur“? Der Begriff kann nicht durch eine einheitliche Definition beschrieben
werden. Verschiedene Definitionen von „Kultur“ unterscheiden sich in ihrer Bedeutung und in
ihrem Gebrauch.7
Ich beziehe mich hier auf die weiteste und umfassendste Beschreibung des Begriffes
„Kultur“. Der Begriff „Kultur“ beschreibt wertneutral, alle „Eigenarten und Besonderheiten, die
an einem fremden Volk auffallen.“8 Hierzu zählen nach Hansen beispielsweise das
Brauchtum, die Sitten, die Manieren oder die Religion.9 Im Vordergrund steht die
„Gesamtheit der Gewohnheiten eines Stammes oder Volkes“.10 Kultur bezeichnet folglich
„die besonderen Gewohnheiten, die für eine bestimmte Gruppierung oder einen bestimmten
Bereich typisch sind“.11 Hansen veranschaulicht dies mit dem Bezug auf den amerikanischen
Ausdruck „way of life“.12
Diese Definition beinhaltet nach Hansen die grundsätzliche Beschreibung der „Rolle des
Menschen auf der Erde: Kultur meint die Veränderung der Natur durch menschliche
Tätigkeit, was dazu führt, dass die natürliche Ordnung durch eine vom Menschen
geschaffene ersetzt wird.“13 Laut Hansen beinhaltet diese Definition außerdem, dass diese
2
Vgl. Kaspar 2002, 40.
Vgl. Dietel 2006, 152.
4
Breuser 2009, 23.
5
Breuser 2009, 23.
6
Vgl. Dietel 2006, 152.
7
Vgl. Hansen 2003, 11f.
8
Hansen 2003, 13.
9
Vgl. Hansen 2003, 13.
10
Hansen 2003, 13.
11
Hansen 2003, 13.
12
Vgl. Hansen 2003, 13.
13
Hansen 2003, 15.
3
7
neue Ordnung bei verschiedenen Völkern andersartig ausfällt. Daher sprechen wir auch
ohne jegliche Wertung zunächst von fremder und eigener Kultur.14
14
Vgl. Hansen 2003, 15.
8
3 Geschichtliche Hintergründe des Kirchenliedes
3.1 Musik des frühen Christentums
3.1.1 Psalmgesang
Paulus fordert die Christen in der Heiligen Schrift auf, Gott zu loben:
„Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern (Psalmis, Hymnis et Canticis
spiritualibus) singet Gott dankbar in euren Herzen“.
15
Er zählt dabei die drei Formen frühchristlicher Gesänge auf, die sich bis zum 4. Jahrhundert
ausbildeten und verfestigten. Die Psalmen des Alten Testaments bildeten aufgrund ihrer
intensiven Gebetssprache eine wichtige Grundlage für das Leben der jungen Christen.
Der Psalmgesang entstand aus dem synagogalen Gesang. Die biblischen Texte werden in
der Synagoge stets mit musikalischen Akzenten und Kadenzen singend vorgetragen. Schon
im Alten Testament bewies die Musik ihre übernatürliche Kraft. Ein Beispiel hierfür sind die
Posaunen Josuas, die die Mauern von Jericho zum Einstürzen brachten.16
3.1.2 Gregorianischer Choral
Der Gregorianische Choral entstand in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und ist ein
einstimmiger Solo- oder Chorgesang mit rhythmischer und dynamischer Differenzierung. Er
ist formal gegliedert in Phrasen und Perioden gemäß der Struktur des jeweiligen Textes. 17
Metrum und absolute Tonhöhe sind nicht vorgegeben.
Der Gregorianische Choral ist „die erste große musikalisch-künstlerische Leistung des
Christentums und die älteste, bis heute lebendig gebliebene musikalische Kunstform des
Abendlandes“.18 Er diente der Vereinheitlichung der römischen Liturgie im Gottesdienst.19
3.1.3 Hymnus
Eine weitere Gattung frühchristlicher Gesänge ist der Hymnus. Anfangs unterschied dieser
sich noch nicht deutlich von den Psalmen. In der Antike war der Begriff weit verbreitet und
bezeichnet in der griechischen Dichtung ein Fest- oder Preislied zu Ehren eines Gottes oder
eines Helden. Der Hymnus verbreitete sich schnell und die Hymnensichtung und
Hymnenkomposition wurde in späteren Jahrhunderten ununterbrochen weitergeführt. 20
15
Vgl. Eph.5,19 und Kol 3,16
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 16f.
17
Vgl. Schaub 2010, 27f.
18
Schaub 2010, 27.
19
Vgl. Schaub 2010, 27.
20
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 25.
16
9
3.2 Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit
Der einstimmige Gregorianische Choral wurde lange Zeit nur mündlich überliefert. Die ersten
Aufzeichnungen durch Neumen stammen aus dem 9. Jahrhundert. Neumen sind Zeichen
(Striche, Punkte, Häkchen), die die Richtung jedoch nicht die exakte Tonhöhe angeben. Sie
waren zunächst Gedächtnishilfen. Die Entstehung des Notationssystems ist Voraussetzung
für die Entwicklung der Mehrstimmigkeit, denn diese ist zu komplex, um sie mündlich zu
verbreiten. 21
Nach dem einstimmigen Gregorianischen Choral entwickelte sich die improvisierte
Mehrstimmigkeit, die als klanglicher Schmuck diente. Zunächst entstand das Parallelsingen
in Oktaven. Es folgte das Parallelsingen in Quinten und Quarten.22 Um 1100 wurden die
Stimmen zunehmend selbständiger. Dies äußert sich in verstärkten Gegenbewegungen,
Stimmkreuzungen und im Wechseln von Konsonanzen und Dissonanzen.23
Auf die improvisierte Mehrstimmigkeit folgte das Melismatische Organum. Über einer
gedehnten Note des cantus firmus erklingt ein Melisma der Oberstimme. Diese Stimme wird
melismatisch und der Satz Note gegen Note wird aufgegeben.24 In der Notre Dame – Epoche
von 1150-1230 treten erstmals Komponisten wie zum Beispiel Leonin oder Perotin in
Erscheinung. Durch die Modalnotation wird eine höhere rhythmische Präzision erreicht.25
In der Epoche Ars Antiqua von 1250-1320 entwickelt Franco von Köln die Mensuralnotation.
Die Epoche gilt hauptsächlich als Übergangszeit. In der darauf folgenden Epoche Ars Nova
wird
die
Mensuralnotation
in
einzelnen
Stimmen
geschrieben.
Dies
Chorbuchnotation genannt. Zudem entsteht die isorhythymische Motette.
26
wird
auch
Die Franko-
Flämische Vokalpolyphonie bildet den Höhepunkt der mehrstimmigen geistlichen und
weltlichen Vokalmusik.27
Die Kirchenmusik erfährt durch Papst Johannes XXII. und sein Dekret „Docta sanctorum
Patrum“(„Die wohlbegründete Lehrmeinung der heiligen Kirchenväter“) von 1324/25 eine
entscheidende Wendung. Das Dekret Papst Johannes‘ XXII. ist ungewöhnlich und einzigartig
zugleich, denn es ist die erste Stellungnahme eines Papstes, die unmittelbar und derart
detailliert auf die Musik in der Kirche eingeht. Der Papst kritisierte die Polyphonie heftig und
verbot diese. Die Musik solle „dem Ohre schmeicheln“ und „Andacht erregen“, die Melodie
erkennbar sein. Deshalb sind nur noch Konsonanzen wie Oktaven, Quinten oder Quarten
erlaubt.
21
Vgl. Schaub 2010, 28f.
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 51.
23
Vgl. Schaub 2010, 30.
24
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 52.
25
Vgl. Schaub 2010, 31.
26
Vgl. Schaub 2010, 31f.
27
Vgl. Schaub 2010, 33.
22
10
3.3 Konzil von Trient (1545-1563)
Das Tridentiner Konzil beschäftigte sich mit dem weltlichen Einfluss auf die Kirchenmusik
und ging näher auf den Gebrauch von Instrumenten im Gottesdienst ein. Des Weiteren
wurden die schlechte Aussprache und das unandächtige Verhalten der Kirchensänger
behandelt. Wesentliche Ergebnisse der Reform waren die Forderung nach Liturgischer
Würde im Musikwerk und im Musikvortrag. Das Weltliche und Unreine in der Kirchenmusik
sowie die andachtslose, rein genießerische Einstellung des Hörens wurden abgelehnt. Dies
hatte die Abkehr vom Parodieverfahren zur Folge. Durch Zurückdrängung der Polyphonie
sollte der Text verständlicher werden. Die frei angewendeten virtuosen Verzierungstechnik
der Sänger wurde verboten und auf Instrumente sollte verzichtet werden. Der a-capella –
Satz wurde zum Ideal der Kirchenmusik. Die Ergebnisse und Entscheidungen des Konzils
wurden stark beeinflusst von dem Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina.28
3.4 Martin Luther und die Reformation
Martin Luther erkannte den außergewöhnlichen Einfluss, den Musik auf die Menschen hat.
Er
kritisierte,
dass
alle
Gottesdienste
auf
lateinisch
waren.
Ein
Großteil
der
Gottesdienstbesucher, das einfache Volk, verstand die Texte der Messe nicht. Luther wollte
die lateinische Messe jedoch nicht abschaffen. Je nach Zielgruppe sollte die Messe auf
lateinisch oder auf Deutsch gehalten werden. In Kathedralen oder Klöstern beispielsweise
auf lateinisch und im normalen Gemeindegottesdienst dagegen auf Deutsch.29
Luther übersetzte dazu die lateinischen Texte der Lieder ins Deutsche. Oftmals blieb die
Melodie dieselbe und Luther orientierte sich weiterhin am gregorianischen Choral. Er
bediente sich außerdem der Parodie. Bei diesem Stilmerkmal der Renaissance ersetzt eine
weltliche Liedmelodie den liturgischen Choral als cantus firmus.30 Daneben griff Luther
einfache Volksmelodien auf und versah sie mit einem geistlichen Text.
Durch den Reformator Martin Luther erhielt das Kirchenlied seinen festen Platz in der
Liturgie. Da die Lieder der Reformation sehr gut aufgenommen wurden, begannen
katholische Geistliche in der Mitte des 16. Jahrhunderts, die evangelischen Liederbücher
nachzuahmen oder zu kopieren. Die Texte wurden dabei nur leicht verändert, damit sie als
katholisch erkennbar waren.31
3.5 Gegenreformation und Durchbruch des katholischen Kirchenliedes
Erst
Jahrzehnte
nach
Luther
erlebte
das
katholische
Kirchenlied
während
der
Gegenreformation seinen Durchbruch. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden
28
Vgl. Schaub 2010, 36.
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 60f.
30
Vgl. Dietel 2006, 221.
31
Vgl. http://www.katholisch.de/5138.html
29
11
massenweise katholische Kirchenlieder. Hierbei wurden nicht nur neue Lieder und Melodien
komponiert, sondern auch beispielsweise mittelalterliche Lieder wiederentdeckt und
verwendet. Im 18. Jahrhundert entstanden und verbreiteten sich viele Marienlieder wie
„Maria zu lieben“. Die Urheber der Lieder sind unbekannt, da sie stets anonym dichteten und
komponierten. Dadurch entstanden oftmals viele unterschiedliche Fassungen eines Liedes.32
3.6 Aufklärung
Die Aufklärung brachte radikale Neuerungen. Der lateinische Wortgottesdienst wandelte sich
zu einer Messe, in der gebetet und gesungen wurde. Hierzu entstanden Messliedreihen, die
das liturgische Geschehen mit deutschen Gesängen begleiteten. Die Liturgie selbst jedoch
blieb bis zum 2.Vatikanischen Konzil (1963-1965) lateinisch. Katholische Kirchenlieder
wurden, im Gegensatz zu den evangelischen Kirchenliedern, über Jahrhunderte mündlich
beziehungsweise über Flugblätter, Liedheftchen, Gesangbuch-Anhänge oder Schulbücher
verbreitet.
3.7 Motu proprio über die Erneuerung der Kirchenmusik –
„Tra le sollecitudini“ (22.11.1903)
In der Instruktion über die Kirchenmusik befasst sich Papst Pius X. (1835-1914) mit dem
„Mißstand auf dem Gebiet des Gesangs und der Kirchenmusik“.33 Er verfasst ein
„Gesetzbuch der Kirchenmusik“34, um den unangemessenen Einfluss weltlicher Musik auf die
Kirchenmusik zu mindern.
Die Kirchenmusik ist „wesentlicher Bestandteil der Liturgie“35 und dient der Ausschmückung
liturgischer Texte. Die Kirchenmusik soll heilig sein und alles Weltliche muss von ihr
ferngehalten werden. Sie soll außerdem einen „allgemeinen Charakter“ haben, der die Musik
der verschiedenen Völker verbindet.
36
Der gregorianische Gesang gilt stets „als höchstes
37
Vorbild der Kirchenmusik“ .
„Eine Kirchenmusik ist um so heiliger und liturgischer, je mehr sie sich im Verlauf,
Eingebung und Geschmack der gregorianischen Melodik nähert; und sie ist um so
weniger des Gotteshauses würdig, als sie sich von diesem höchsten Vorbild entfernt.“
38
Dies zeigt die Bedeutung des gregorianischen Gesangs. Er dient als Vorbild und Maßstab für
die gesamte Kirchenmusik.
32
Vgl. http://www.katholisch.de/5138.html
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 179.
34
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 181.
35
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 181.
36
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 182.
37
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 182.
38
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 182.
33
12
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Kirchenmusik ist die klassische Polyphonie. Besonders
die durch Pierluigi da Palestrina geprägte Römische Schule aus dem 16. Jahrhundert dient
als Vorbild und hat „noch viele Werke von hervorragendem liturgischem und musikalischem
Wert hervorgebracht“.39 Die klassische Polyphonie ist dem gregorianischen Gesang sehr
ähnlich und wird deshalb als würdig befunden, zusammen mit dem gregorianischen Gesang
bei den größten kirchlichen Feierlichkeiten verwendet zu werden.40
Die neuere Musik ist in der Kirche zugelassen. Sie darf aber keine Elemente oder Motive
weltlicher Musik enthalten. Der in Italien entstandene Opernstil ist somit nicht geeignet als
Kirchenmusik, da er den „größten Gegensatz zum gregorianischen Choral wie zur
klassischen Polyphonie“41 darstellt.
Die Sprache der Kirche ist die lateinische. Der Gesang in der Volkssprache ist bei der
feierlichen liturgischen Handlung grundsätzlich verboten.42 Die Musik ist lediglich „ein Teil der
Liturgie und deren schlichte Dienerin“.43 Die liturgischen Texte dürfen nicht verändert werden
und müssen gesungen werden. Der Text muss stets so vorgetragen werden, dass der
Zuhörende ihn verstehen kann.44
3.8 Das Zweite Vatikanische Konzil und die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum
Concilium“
Das Zweite Vatikanum verursachte Veränderungen, die eine wesentliche Bedeutung für
meine Arbeit haben. Das Zweite Vatikanische Konzil fand von 1962 bis 1965 statt und
beschäftigte sich hauptsächlich mit der Anpassung der Kirche an die säkularisierte Welt und
den aktuellen Zeitgeist. Viele Menschen standen dem Konzil hoffnungsvoll gegenüber.45
„…Sie alle spürten, dass (…) etwas angestoßen worden war, das auf die tiefsten
Sehnsüchte der Menschen (…) eine Antwort zu geben vermochte.“46 Insgesamt nahmen
3044 stimmberechtigte Mitglieder, Bischöfe und Vertreter aus aller Welt am Zweiten
Vatikanischen Konzil teil. Außerdem wurde das öffentliche Interesse am Konzil
berücksichtigt.47
Die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ war das erste und eines der wichtigsten
Dokumente des Zweiten Vatikanums.48
39
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 183.
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 183.
41
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 183.
42
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 184.
43
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 188.
44
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 184.
45
Vgl. Breuser 2009, 13.
46
Breuser 2009, 14.
47
Vgl. Breuser 2009, 14.
48
Vgl. Breuser 2009, 13.
40
13
„Obwohl die Liturgie (…) wichtiger Gegenstand der schon frühesten Konzilen und
Synoden war, hatte es dazu in der gesamten Kirchengeschichte niemals ein so
umfassendes Dokument gegeben.“
49
Das „Sacrosanctum Concilium“ brachte zahlreiche Änderungen in der Liturgie mit sich. Eine
besondere Beachtung fand die musikalische Gestaltung der Liturgie, wobei das sechste
Kapitel ausschließlich die Kirchenmusik behandelt. Neben dem Gregorianischen Choral wird
die „aktive Beteiligung der Gemeinde“ hervorgehoben. Dem gottesdienstlichen Gesang wird
jetzt mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Wie bereits in Kapitel 3.1.1 erwähnt wurde, wird die
Bedeutung des Gemeindegesangs schon in der Heiligen Schrift deutlich.50 Paulus fordert die
Christen auf, Gott zu loben: „Sprecht einander in Psalmen, Hymnen und geistlichen Oden
zu.“ Dies soll nun ganzheitlich in der Liturgie verwirklicht werden. Aufgrund dessen soll nach
der Konstitution auf die musikalische Ausbildung der Geistlichen Wert gelegt werden und
Kirchenchöre sollen gefördert werden.51 Außerdem erlaubt die Konstitution die Verwendung
der Volkssprache im Gottesdienst.52 Dadurch sollen die musikalischen Traditionen der
verschiedenen Länder gewahrt und respektiert werden:
„Da die Völker mancher Länder (…) eine eigene Musiküberlieferung besitzen, und diese
in ihrem religiösen und sozialen Leben große Bedeutung hat, soll dieser Musik
gebührende Wertschätzung entgegengebracht und angemessener Raum gewährt
werden…“
53
Um dies zu erreichen, wurden Kirchenmusiker ermutigt und aufgefordert, unter den neuen
Umständen Vertonungen zu schaffen, die eine aktive Teilnahme der Gemeinde erlaubten.54
Diese Beschlüsse wirkten sich auf Gemeinden in der ganzen Welt aus. Da sich auf der
ganzen Welt, vor allem jedoch in Afrika und Lateinamerika,
bereits eine Stilvielfalt
christlicher Musik gebildet hatte, war die Konstitution in manchen Gebieten nur eine
Bestätigung und „Legitimierung“ dessen, was durch neue Entwicklungen bereits entstanden
war. In Europa hingegen führte die Annahme der Grundsätze zu „schnellen und stürmischen
Veränderungen“. Durch das Lateinische und die traditionellen Formen war die Liturgie und
deren Gesangskultur in Europa überholt und der Unterschied zwischen der Liturgie und dem
Alltagsleben der Menschen war sehr groß. Nicht alle Gläubigen nahmen die Veränderungen
durch die Konstitution jedoch mühelos an. Traditionalisten betrachteten sie beispielsweise
mit Sorge.55
Die Gottesdienste wurden sehr rasch in der Volkssprache gehalten, um sie den Gemeinden
nahe zu bringen. Das Konzil gestattet dies, es war aber keineswegs eine Forderung, die
49
Breuser 2009, 13.
Vgl. Eph 5,19 und Kol 3,16
51
Vgl. Breuser 2009, 16.
52
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 223.
53
Wilson-Dickson, 224.
54
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 224.
55
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 224.
50
14
Liturgie auf Latein abzuschaffen. Als Folge waren auch die lateinischen Lieder „unbrauchbar“
geworden. Fast die gesamte, für lateinische Texte komponierte Musik wurde fallengelassen.
„Zwangsläufig geriet das einzigartige Erbe des Kirchengesangs und der Polyphonie in
Vergessenheit.“56 Dies hatte zur Folge, dass sich eine Gruppe der Befürworter und eine
andere der Gegner der Entwicklungen bildeten. Sie standen oft in einem scharfen Gegensatz
zueinander. Die Befürworter lehnten den mehrstimmigen Gesang ab, da er nicht für die
Gemeinde geeignet war. Daraufhin wurden massenweise einfachste christliche Lieder
produziert. Diese waren meist beeinflusst durch die Tanzmusik, moderne Folklore,
Popballaden und Rockmusik. An diesen Liedern wurde jedoch auch Kritik geübt, da sie
oftmals zu viele „ekstatische Elemente“ enthielten.57
Der Psalmgesang erhielt erneut große Bedeutung und Beachtung. Joseph Gélineau gab ihm
einen
neuen
Anstoß.
Die
Psalmvertonungen
eng
ans
Hebräische
angelehnter
Übersetzungen seines Werkes „Vingt-quatre Psaumes et un Cantique“ bildeten einen
Vorschlag mit Vertonungen, die zugleich melodiös und doch einfach genug waren, dass eine
Gemeinde sie singen konnte. Durch die vorgesehene Antiphon war es auch möglich, die
Psalmen responsorisch zu singen. Gélineaus Musik ist „ausgesprochen schlicht, sie
verwendet nur die unkompliziertesten Tonwechsel von einer betonten Silbe bis zur
nächsten“.58 Gélinaus Psalmen wurden sehr beliebt und seine Methode der Psalmvertonung
wurde vielen Komponisten zum Vorbild und exzellenten Beispiel.
Der Komponist Gélinau äußerte sich, im Gegensatz zu vielen Musikwissenschaftlern, in den
späten siebziger Jahren positiv über die kirchenmusikalische Situation in Frankreich:
„…die Gemeinden singen! ... viel mehr als sie das vor einem Vierteljahrhundert taten.
Damals waren fast alle Sonntagsmessen, vor allem in den Städten, „Stille Messen“ ohne
Gesang. (…) Heute ist das Gegenteil der Fall. In den meisten Sonntagsmessen wird
gesungen (…) Und der Gesang kommt entscheidend von der Gemeinde. Die
Veränderung geschah nicht durch eine allgemeine Veränderung der Kultur, sondern
durch die Konzeption der liturgischen Erneuerung: „Die ideale Form für die Teilnahme der
ganzen Gemeinde an der liturgischen Handlung ist der Gesang.“…
Er
ist
ein
Ergebnis
Organisatoren.“
der
Lebendigkeit
der
Gemeinden,
oder
jedenfalls
ihrer
59
Dies spiegelt die positiven Veränderungen wider, die durch das Konzil hervorgerufen
wurden. Die musikalische Gestaltung der Liturgie hat sich grundlegend verändert. Laut
Gélinau profitiert hiervon sowohl die Gemeinde als auch die Kirche insgesamt.
Als erstes verabschiedetes Dokument beeinflusste das „Sacrosanctum Concilium“ auch die
weiteren Themen des Konzils. In der Konstitution wird die Liturgie als „eine Säule der Kirche,
56
Wilson-Dickson 1994, 224.
Vgl. Wilson-Dickson 1994, 225.
58
Wilson-Dickson 1994, 226.
59
Wilson-Dickson 1994, 226.
57
15
die feiernde Gemeinde ist ein sehr bedeutender Teil der Kirche“60 dargestellt und begriffen.
Die Liturgie wurde verändert, die Traditionen werden jedoch weiter erhalten und somit kann
man sagen, dass keine vollkommen neue Liturgie entstanden ist. Johannes Paul II.
kommentierte die Beschlüsse des Konzils 1988 folgendermaßen: „Diese Reform der
gesamten Liturgie entsprach einer allgemeinen Erwartung der ganzen Kirche.“61
Das Zweite Vatikanische Konzil hat jedoch auch Gegner und Kritiker. Dies äußerte sich
beispielsweise durch Abweichungen von den Konzilsbeschlüssen in der römischen Kurie.62
„Theoretisch hat die universale römische Weltkirche seit dem Konzil an Universalität
verloren, denn durch die Zulassung der verschiedenen Sprachen sind individuelle
Kirchen entstanden, wie hierzulande die römisch-deutsche, je mit ihren eigenen
Entwicklungen.“
63
Dieser negativen Sichtweise der Liturgiekonstitution, kann man zahlreiche positive
Veränderungen und Argumente entgegen setzen. Durch die neue Liturgiekonstitution hat
sich die Kirche an die bereits vorhandenen Unterschiede der Völker und Kulturen angepasst.
Die einheitliche Liturgiepraxis stellt sich nun nicht mehr gegen die Individualität der
Menschen aus verschiedenen Kulturen und Völkern. Die Beschlüsse des Konzils waren
folglich wichtige Einschnitte für viele Gläubige.
Der Gedanke des „Partipatio actuosa“, der in den 60er Jahren aufkam, wurde nun realisiert.
Der Opfercharakter ist in den Hintergrund getreten, die Seelsorge „diaconia“ steht im
Mittelpunkt. Dies wird zum Beispiel auch visualisiert, da es keine optische Trennung
zwischen Gemeinde und Altarraum mehr gibt.
64
Es sind „…neue Dimension des Glaubens
und damit eine individuelle Möglichkeit der Teilnahme am kirchlichen Leben sichtbar.“65
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Kirche insgesamt geöffnet hat. Sie ging
„neuartig mit den gesellschaftlichen Entwicklungen um“. Sie wahrt jedoch ihre Traditionen
und Prinzipien und passt sich nicht vollständig dem neuen Zeitgeist an. „…die Kirche wollte
und musste sich den Problemen und Sorgen der Menschen annehmen“.66
60
Breuser 2009, 17.
Vgl. Breuser 2009, 17.
62
Vgl. Breuser 2009, 17f.
63
Breuser 2009, 18.
64
Vgl. Breuser 2009, 18.
65
Breuser 2009, 18.
66
Breuser 2009, 18.
61
16
4 Vergleich eines Neuen Geistlichen Liedes mit einem Lied aus dem „Gotteslob“
4.1 Das „Gotteslob“
Das „Gotteslob“ ist das erste Gebet- und Gesangbuch für alle
deutschsprachigen
katholischen Bistümer mit Ausnahme der Schweiz. Das 1975 erschienene Liederbuch
enthält Texte und Lieder für die Liturgie, aber auch für das Gebet allein oder in
Gemeinschaft. Das einheitliche Gesangbuch entstand nach der Liturgiekonstitution des
Zweiten Vatikanischen Konzils. Da die Liturgie nun in der Volkssprache, also auf Deutsch,
gehalten werden konnte, mussten auch die Kirchenlieder ins Deutsche übersetzt werden.
Außerdem entstanden viele neue deutsche Kirchenlieder. Mit dem einheitlichen Gesangbuch
sollte die aktive Gottesdienstteilnahme der Gemeinde ermöglicht werden.
Im Jahre 1996 wurde eine modernisierte Ausgabe des „Gotteslob“ veröffentlicht. Die Texte
wurden an den neuen Zeitgeist angepasst. So wurden beispielsweise die Wörter „Brüder“
und „Söhne“ aus Texten des 20. Jahrhunderts durch geschlechtsneutrale oder andere dem
Sinn entsprechende Formulierungen ersetzt.67
Mehr als 21 Millionen Exemplare des „Gotteslob“ wurden seit dem Erscheinen des
Gesangbuches verkauft. Das kirchliche Leben und die „persönliche Frömmigkeit“68 haben
sich seither sehr verändert. Aufgrund dessen wird seit 2001 an einem neuen Gesangbuch
gearbeitet, das wieder den Namen „Gotteslob“ tragen soll. Dabei soll die Liedauswahl
vielfältiger
sein,
Kirchenliedern“
69
alle Epochen
abdecken und
damit
der
„Schatz an
deutschen
an die folgenden Generationen weitergegeben werden. In ausgewählten
Gemeinden fand bereit eine Erprobungsphase statt. Aus Teilen des neuen „Gotteslob“ wurde
in diesen Gemeinden ein Jahr lang gesungen.70 Zum Advent 2013 soll das neue Gotteslob in
allen Gemeinden eingeführt werden.
4.2 Das Neue Geistliche Lied
4.2.1 Der Begriff des Neuen Geistlichen Liedes
Es gibt verschiedene Definitionen des Begriffs „Neues geistliches Lied“. Folgende Definition
soll hier verwendet werden. Das Wort „neu“ bezieht sich auf den Stil, der stark von der
Popmusik beeinflusst ist. Besonders betrifft dies die Rhythmik. Es werden beispielsweise der
Off-Beat, Synkopen, schnelle Achtelläufe oder die „Swing-Punktierung“ verwendet. Des
67
http://www.afk-freiburg.de/kmm/kmm_59/gotteslob.php
http://wir-sind-kirche.de/?id=393&id_entry=3832http://
69
http://wir-sind-kirche.de/?id=393&id_entry=3832http://
70
Vgl. http://www.afk-freiburg.de/kmm/kmm_59/gotteslob.php
68
17
Weiteren waren neben der Musik auch die Texte neuartig. Laut Breuser sprechen sie
„zeitgerechte Probleme der Menschen an und treffen ihre Gedanken im Geist der Zeit.“71
Das Wort „geistlich“ grenzt das Lied von der profanen Musik ab, verordnet sich im
Religiösen. Eingeschlossen werden Lieder, die im Gottesdienst oder bei kirchlichen
Veranstaltungen gesungen werden. Sie müssen nicht explizit für die Liturgie komponiert
sein.
Das Wort „Lied“ weist auf den Zusammenhang zwischen Musik und Text hin. 72 Die Definition
des „Kirchenliedes“ entspricht dem Wort „Lied“ des Neuen Geistlichen Liedgutes.
„Es gibt vier Merkmale, die ein NGL in der Regel aufzuweisen hat, um als solches zu
gelten:
1. Ein religiöser Text
2. Zugehörigkeit zur Gattung Lied (im erweiterten Sinn, vgl. oben)
3. Stilistisch beeinflusst durch Popularmusik
4. Für die Liturgie geschrieben (Ausnahmen: Konzertante Formen, doch sogar diese
laden oft zum Mitsingen ein.)“
Wie
die
traditionellen
Lieder
73
dienen
Neue
Geistliche
Lieder
hauptsächlich
als
Gemeindelieder zur Verwendung im Gottesdienst.
Textlich befassen sich Neues Geistliches Liedgut mit Gott und seiner Beziehung zu den
Menschen, Nächstenliebe, Schöpfung oder Hoffnung. Es kann auch Danksagungen,
Bittstellungen und Lobpreise enthalten.
4.2.2 Entwicklung des Neuen Geistlichen Liedes
Wie auch allen anderen Gattungen der Musik, kann dem Neuen Geistlichen Lied kein
exaktes Datum der Entstehung zugeordnet werden.„Seit Beginn der 60er Jahre wurde nach
neuen musikalischen Formen für den Gottesdienst gesucht.“74 Auslöser hierfür war laut
Breuser „der allgemein herrschende Zeitgeist“.75 Durch zahlreiche Bewegungen, hier ist vor
allem die Liturgische Bewegung zu nennen, kam es zu einer Aufbruchsstimmung und einem
Verlangen nach „Neuem“.
Das Zweite Vatikanische Konzil widmete sich dann Neuerungen der Kirchenmusik. Es wurde
nach Musik gesucht, die auch jüngere Menschen anspricht. Breuser beschreibt das Ziel des
Neuen Geistlichen Liedgutes wie folgt:
71
Breuser 2009, 22.
Vgl. Breuser 2009, 23f.
73
Vgl. Breuser 2009, 25.
74
Breuser 2009, 31.
75
Breuser 2009, 32.
72
18
„In den Liedern sollen die Menschen mit ihren Nöten und Hoffnungen angesprochen
werden
und
widerspiegeln.“
ihre
Ausdrucksformen
und
ihr
Lebensgefühl
sollen
sich
darin
76
Zunächst wurden Gospels adaptiert, wobei die Melodien mit deutschen Texten versehen
wurden.
77
Eine der bekanntesten Adaptionen ist „Er hält die ganze Welt in seiner Hand“ zu
„He’s got the whole world“. Die deutschen Texte passten jedoch oft nicht zu den
amerikanischen Gospelmelodien oder verfälschten sogar die ursprünglichen Aussagen der
Lieder. Hegele beispielsweise kritisiert diese Adaptionen:
„Ungeschickte Dixieland-Begleitung tat hierzulande das ihre dazu, die Lieder doch
noch auf Schlager-Niveau abzusenken, so daß schließlich weder Ausführende, noch
Lieder, noch gottesdienstliche Verssammlungen dazu paßten.“
78
1960 veranstaltete die Evangelische Akademie Tutzing einen Wettbewerb, bei dem neue
religiöse Lieder eingesendet werden sollten, „die dem vom Jazz und der Unterhaltungsmusik
geprägten musikalischen Resonanzvermögen der Jugend entsprachen“.79 An den folgenden
Ausschreibungen nahmen auch Kirchenmusiker teil, so dass das musikalische Niveau
gesichert werden konnte und anfänglicher Kritik ausgeräumt werden konnte.
Andere Entwicklungen des Neuen Geistlichen Liedes waren beispielsweise die Versuche,
Jazz in den Gottesdienst einzubringen. Es wurden beispielsweise Liturgien komponiert, die
erste Elemente der Popmusik aufwiesen oder eine „Messe mit Jazzmusik“ gefeiert. Diese
Versuche, des Jazz und andere Musikrichtungen in die Messe zu integrieren, waren im
Gegensatz zum Tutzinger Wettbewerb an der Liturgie orientiert. Die Lieder wurden für die
Verwendung im Gottesdienst und als Gemeindegesang komponiert sowie konzipiert.80
Es wurde heftige Kritik am Neuen Geistlichen Lied ausgeübt. So zitiert Breuser
beispielsweise:
„Kitsch, lauter Abschaum modernen Reklamemethoden, primitiv, Gotteslästerung, Poesie
für Gartenzwerge, Einbruch unterschwelliger Sexualität in der Kirche, miese Süße,
kommunistische und nationalsozialistische Tonart, Musik für liturgische Playboys…“.
81
Die Befürworter des Neuen Geistlichen Liedgutes wiesen die Kritik zurück: „Man wollte eine
Theologie für und mit dem Volk, die niedrigschwelliger war in dem Sinne, dass ein jeder sie
verstehen, sie einem jeden helfen und jeder Teil von ihr sein konnte“. 82
Während der 1970er Jahre wurden das Neue Geistliche Lied immer beliebter. Zur
Verbreitung trugen besonders Veranstaltungen wie die Tage der Katholischen Jungen
Gemeinde oder die Liturgische Nacht auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag bei. Die
76
Breuser 2009, 32.
Breuser 2009, 33.
78
Breuser 2009, 33.
79
Breuser 2009, 33.
80
Vgl. Breuser 2009, 35.
81
Breuser 2009, 34.
82
Breuser 2009, 35.
77
19
Liturgische Nacht sollte damals alternative Feierformen aufzeigen. Sie geriet jedoch stark in
Kritik wie beispielsweise durch Heinz Zahrnt: „…man könne sich das Evangelium nicht
ertanzen“.83
Die Tage der Katholischen Jungen Gemeinde von 1972 stellen ein sehr wichtiges Ereignis
für die Entwicklung uns Verbreitung des Neuen Geistlichen Liedes dar. „In dem
progressiveren Jugendverband fand das Neue Geistliche Lied ein Forum, in dem es
schneller Fuß fassen konnte, als in anderen Gruppierungen und in der Kirche insgesamt.“84
Die Organisatoren maßen der Musik in der Vorbereitung der Messen eine große Bedeutung
zu. Die Liturgien sollten neue Musik enthalten und als Vorbilder dienen, allerdings nicht
provokativ sein. Es wurden Texte geschrieben, die Peter Janssens vertonte.85 Die
entstandenen Lieder sind heute sehr bekannt, wie etwa „Die Sache Jesu braucht
Begeisterte“, „Unser Leben sei ein Fest“ und „Heilig, heilig, heilig, Hosanna in der Höhe“.
Nach den Tagen der Katholischen Jungen Gemeinde wurden die Lieder in Notenheften
gesammelt und verbreiteten sich weitgehend selbstständig.“86
Ab 1981 ging die Nachfrage nach dem Neuen Geistlichen Liedgut deutlich zurück. Heute
entstehen nicht mehr so viele neue Lieder. Es sei kein großer Bedarf mehr an neuen
Liedern.87 Da das Angebot an Neuen Geistlichen Liedern sehr groß ist, haben es neue
Lieder schwer, Anklang zu finden und sich zu verbreiten. Nur qualitativ sehr gute Lieder
können sich durchsetzen und verbreiten.88
4.3 Liedanalyse und Vergleich
Die beiden Loblieder „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ (Neues Geistliches
Lied) und „Lobe den Herren“ (Gotteslob) werden nun analysiert und miteinander verglichen.
Zur besseren Vergleichbarkeit habe ich zwei Lieder ausgewählt, die den gleichen Inhalt und
somit dieselbe Funktion in der Liturgie haben. Das Gloria folgt in der Liturgie auf das Kyrie.
„Gloria“ ist lateinisch und bedeutet auf Deutsch „Ehre“. Es ist ein seit dem 9. Jahrhundert
vorliegender altchristlicher Hymnus, in dem auf feierliche Weise das Lob Gottes gesungen
wird. Der Jubel der Engel vor den Hirten (Lk 2,14) in der Weihnachtsnacht bildet die
Einleitung.89
Anhand der beiden Lieder sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den
neueren Liedern und den Liedern aus dem Gotteslob aufgezeigt werden. Der Text des
Neuen Geistlichen Liedes „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ wurde von
83
Breuser 2009, 36.
Breuser 2009, 36.
85
Breuser 2009, 36f.
86
Breuser 2009, 38.
87
Breuser 2009, 39.
88
Breuser 2009, 39.
89
Vgl. Youcat, 128.
84
20
Hans-Jürgen Netz 1979 verfasst und im selben Jahr komponierte Christoph Lehmann die
Melodie. „Lobe den Herren“ aus dem Gotteslob wurde 1680 von Joachim Neander
geschrieben und komponiert.
4.3.1 Gemeinsamkeiten der Kirchenlieder
Zunächst sollen die Gemeinsamkeiten der beiden Lieder betrachtet werden. Das Neue
Geistliche Lied ist in G-Dur und „Lobe den Herren“ in F-Dur komponiert. Sowohl nach dem
neueren als auch dem älteren Musikempfinden wird Dur gewählt, um Gott zu loben. Das
helle, klare Tongeschlecht Dur unterstreicht den Lobpreis.
Beide Lieder weisen die typische Schlusswendung Dominante – Tonika auf. In dem Lied „Ich
lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ wird dies durch eine Durchgangsnote
unterbrochen und bei dem Lied aus dem Gotteslob durch eine Tonleiter in C-Dur, der Tonart
der Dominante, gestaltet. Die Lieder enden jedoch nicht nur auf der Tonika, sie beginnen
auch auf ihr. Somit ist es einfacher für den Sänger, die Tonart zu erfassen.
Sowohl im Neuen geistlichen Lied als auch im Lied aus dem Gotteslob sind keine großen
Intervallsprünge zu finden. Ein Quintsprung ist auch für einen Laien noch problemlos
singbar. Dies zeigt, dass die Lieder für eine Gemeinde komponiert sind und nicht nur für
ausgebildete Sänger.
Jeder soll der Melodie und dem Text folgen können. Aus diesem Grund handelt es sich beim
Kirchenlied meist um ein Strophenlied. Sowohl „Ich lobe meinen Gott der aus der Tiefe mich
holt“ als auch „Lobe den Herren“ sind Strophenlieder. Das Strophenlied ermöglicht es der
Gemeinde, zu einer Melodie verschiedene Texte zu singen. Sie muss also nur eine Melodie
lernen, um ein ganzes Lied zu singen. Den Gegensatz hierzu bildet das durchkomponierte
Kunstlied, welches sich aus genannten Gründen nicht für den Gemeindegesang eignet.
4.3.2 Unterschiede der Kirchenlieder
Im Folgenden werden die Unterschiede der Lieder dargestellt. „Ich lobe meinen Gott, der aus
der Tiefe mich holt“ enthält viele Tonrepetitionen. Außerdem ist der Tonumfang klein. Er
beträgt nur eine Sechste. Eine Oktave ist relativ leicht zu singen. Der Tonumfang in „Lobe
den Herren“ hingegen beträgt eine None, ist also größer als eine Oktave. Im Gegensatz zum
Neuen Geistlichen Lied gibt es aber keinen Tonartenwechsel. Im Refrain des neueren Liedes
wechselt die Tonart von D-Dur zu F-Dur und endet auf dem Schlusston in D-Dur.
„Lobe den Herren“ ist in einem 9/4 Takt komponiert. Diese Taktart ist recht ungewöhnlich
und nicht sehr überschaubar, da die einzelnen Takte sehr lang sind. Das Neue Geistliche
Lied hingegen ist im 4/4 Takt geschrieben, einer gängigen Taktart. Hier sind im Gegensatz
zu „Lobe den Herren“ viele Synkopen und Sechzehntel zu finden. Die rhythmischen
Strukturen im Lied aus dem Gotteslob sind deutlich einfacher, es besteht fast nur aus
21
Vierteln und punktierten Halben. Beide Lieder haben eine einfache Melodie, jedoch ist das
Neue Geistliche Lied weitaus rhythmischer und das Einfache der Melodie ist durch den
geringen Tonumfang und die Tonrepetitionen zu begründen.
„Lobe den Herren“ ist in veralteter Sprache geschrieben, die nicht mehr dem heutigen
Sprachgebrauch entspricht. Viele Wörter sind veraltet, wodurch der Text für viele
Gemeindemitglieder unverständlich wird. Beispiele hierfür sind die Wörter „Psalter“ aus
Strophe eins oder „Adelers Fittichen“ aus Strophe zwei. Zudem wird die Wortstellung oft als
sonderbar empfunden, wie beispielsweise „der künstlich und dich bereitet“ in der dritten
Strophe. „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ hingegen ist in einfacher
Sprache geschrieben und leicht verständlich. Auch Kinder können den Text mühelos
verstehen. Darüber hinaus ist im Liedtext ein konkreter Bezug zum Alltagsleben der
Menschen. Dies wird zum Beispiel in der dritten Strophe deutlich: „Ich lobe meinen Gott, der
meine Tränen trocknet, dass ich lache.“ Der Text ist an den heutigen Sprachgebrauch
angepasst.
4.3.3 Ergebnisse des Vergleiches
Die Lieder „Ich lobe meinen Gott der aus der Tiefe mich holt“ und „Lobe den Herren“ haben
einige grundlegende Gemeinsamkeiten. Dies bezieht sich vor allem auf ihre musikalische
Grundstruktur. Auf musikalischer Ebene unterscheiden sich neue und alte Kirchenlieder
folglich kaum. Neuere Lieder sind meist beeinflusst durch den neuen Musikstil, der vor allem
von der Popmusik geprägt wurde. Unterschiede sind vor allem in der Sprache zu finden.
Der Sprachgebrauch unserer Gesellschaft ändert sich, wie sich auch unsere Gesellschaft
ständig verändert und entwickelt. Grundvoraussetzung für die Verbreitung von neuen
Entwicklungen oder Veränderungen ist die Sprache und Kommunikation der Menschen.
Diese muss sich an Neues anpassen und sich verändern. Die Erweiterung und Veränderung
des Wortschatzes ist notwendig und geschieht in jeder Gesellschaft. Aufgrund dessen hat
sich auch die Sprache der Kirchenlieder verändert. Sie hat sich angepasst, um den Inhalt
und die Botschaft so zu übermitteln, dass sie dem heutigen Zeitgeist entsprechen und
verstanden werden.
22
5 Rolle des Kirchenliedes in der aktuellen Liturgie
Die Liturgie hat sich im Laufe der Kirchengeschichte oftmals verändert und entwickelt. Als
wichtiger Teil des kirchlichen Geschehens wurde sie oftmals reformiert. Die letzten
Veränderungen der Liturgie erfolgten durch das Zweite Vatikanische Konzil. Im Folgenden
wird die Rolle der aktuellen Liturgie behandelt. Für meine Arbeit ist nur die aktuelle Liturgie
primär relevant, da die Geschichte und Entwicklung der Liturgie sehr vielschichtig und
weitreichend sind.
5.1 Definition „Liturgie“
Liturgie (von griech. Liturgia = öffentliches Werk, Dienst, Leistung des Volkes und für das
Volk) bedeutet in der christlichen Überlieferung, dass „das Volk Gottes teilnimmt am „Werk
Gottes“.90 Im Mittelpunkt der Feier steht die Heilige Eucharistie, ihr sind alle anderen
Sakramente, Segnungen, Prozessionen und dergleichen zugeordnet. Die Liturgie stellt die
Begegnung mit Jesus Christus dar. In seiner Kirche ist er bis ans Ende der Tage
gegenwärtig. Somit ist der Gottesdienst die tiefste Begegnung mit Jesus auf Erden.91 Das
Zweite Vatikanische Konzil beschreibt die Liturgie wie folgt:
„Die Liturgie ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die
Quelle, aus der all ihre Kraft strömt.“
92
Laut dem Katechismus müssen irdische Gottesdienste Feste voller Schönheit und Kraft sein.
In diesen Festen des Vaters, der uns und unsere Umwelt geschaffen hat, spielen die Gaben
der Erde wie das Brot, der Wein, Öl und Licht, Weihrauchduft, göttliche Musik und herrliche
Farben eine wichtige Rolle.93
5.2 Musik und Gesang in der Liturgie
Der Gesang in der Liturgie ist weit mehr als Ausschmückung, Verzierung und Verschönerung
von festlichen Gottesdiensten. Was man nicht durch Worte verdeutlichen kann, vermag die
Musik laut Bretschneider auszudrücken:
„Wenn der Mensch herausgefordert ist, dem Unsagbaren und Geheimnisvollen eine
Stimme zu geben, sein Woher, Wozu und Wohin zu verorten, dann merkt er sehr bald,
dass gewöhnliche Worte und Reden nicht ausreichen. Er greift zum intensivsten Mittel,
das ihm zur Verfügung steht: dem Gesang.“
94
Ein Beispiel hierfür ist der Lobpreis Gottes. Der Jubilus beinhaltet etwas, das sich nicht mit
Worten sagen und verkünden lässt95: „Wo Worte nicht genügen, um Gott zu loben, kommt
90
Youcat 2010, 102.
Vgl. Youcat 2010, 102.
92
Youcat 2010, 103.
93
Vgl. Youcat 2010, 104.
94
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 44.
95
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 45.
91
23
uns die Musik zu Hilfe.“96 Die Engel singen, weil im Jubel die Sprache zum Gesang wird. Die
Musik im Gottesdienst soll das Beten schöner und inniger werden lassen. Sie muss die
Herzen der Anwesenden tief erfassen und so zu Gott hin bewegen. Der Gottesdienst soll ein
Fest der Töne für Gott sein.97
Schon in der jungen Kirche waren Lieder und Hymnen im Gottesdienst verankert. Jesus und
seine Jünger pflegten eine uralte Tradition der Psalmen und Cantica. Zu dieser Tradition
gehören auch Lob- und Preislieder sowie Klagegesänge.98
Der Gesang nimmt in allen Religionen einen überaus hohen Stellenwert ein. Die Musik und
der Gesang bilden einen wesentlichen Bestandteil der christlichen sowie jüdischen
Verkündigung. Die „theologische Bedeutung der Musik liegt nicht in ihrem Wesen, sondern in
dem, was sie andeutet, symbolisiert, ahnen und ersehnen läßt.“99 Bretschneider verdeutlicht
hiermit, dass die Musik als Sprache zu sehen ist. Gerhards unterstreicht, dass diese Sprache
neben den Texten der Liturgie wichtiger Bestandteil ist:
„Zwar ist es richtig, dass der Text (wenn auch nicht ausschließlich) im Vordergrund
steht, aber Liturgie ist von ihrem Wesen (nicht unbedingt von ihrer faktischen
Realisierung) niemals bloßer Textvollzug, sondern Verlautung, Klangrede.“
100
Die Liturgie besteht folglich nicht nur aus Texten, vielmehr aus dem musikalischen Vollzug
dieser Texte. Liturgie setzt sich aus dem gesprochenen sowie dem gesungenen Wort und
aus Zeichenhandlung und Symbolen zusammen. In den Blickpunkt der Theologie tritt somit
der Klang, also die Musik.101 Das Wort hat in der Liturgie eine dreifache Funktion, welche am
Vollzug erkennbar wird: die (erzählende) Anamnese, die (bittende) Epiklese sowie die
(preisende) Doxologie. In allen diesen Bereichen hat die Musik eine Schlüsselstellung.102
Somit sind die Kirchenmusik und der Gesang in der Liturgie laut Gerhards „nicht autonom im
neuzeitlichen Sinn“.103 Die Musik ist stets in einen Kontext eingebunden.104 Kirchenmusik und
Liturgie sind also keine „Rivalinnen“. Der Kirchenchor, der Organist oder gar die Gemeinde
vollziehen mit der Kirchenmusik keinen liturgischen Dienst. Laut Gerhards ist dies „seit Pius
X. und erst recht seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil anders geworden“.105
Wie oben schon erwähnt gibt es in der Liturgie viele sprachliche und symbolische Ebenen.
Das Wort und die Musik stehen dabei im Vordergrund. Die Funktion der Musik wird jedoch
oft unterschätzt. Folglich wird dem Wort mehr Bedeutung bemessen. Laut Kaspar wird „viel,
96
Vgl. Youcat 2010, 110.
Vgl. Katechismus der katholischen Kirche 1993, (1156-1158, 1191).
98
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 45.
99
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 43 f.
100
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 37.
101
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 32.
102
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 32.
103
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 32.
104
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 32.
105
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 33.
97
24
üppig und nicht immer sprachmächtig geredet.“106 Deshalb ist eine hochwertige und
sparsame Sprache nötig, damit die Worte mehr Gewicht haben und besser wirken können.
Aufgrund dessen muss auch die Musik gewählter und vorbereiteter sein. Dabei muss
beachtet werden, dass die festliche Gestalt von Musik nicht nur durch Soli, Chor, Orchester
und Orgel ausgedrückt werden kann. Es gibt auch viel geistliche Musik mit einfacher
Besetzung.107
Kaspar verdeutlicht die wichtige Funktion der Musik im Gottesdienst:
„Die Sprache der Zeichen und Symbole, vor allem aber die Sprache der Musik hat
gegenüber dem Verbalen einen gewichtigen Vorteil. Die Musik entzieht sich jeder
Rechthaberei, die steht abseits der Präzision theologischer und philosophischer Diskurse
und Definitionen. Musik kann weder Recht haben noch irren. Wo das Wort seine
Kompetenz verliert – bei der Rede von Gott – kann die Musik das „umspielen“, was man
nicht mehr „bereden“ kann. Im Schweigen der Sprache kommt die Musik zu Wort.“
108
Sprache kann unterschiedlich gestaltet werden. Ein monoton gelesener Text hat eine
vollkommen andere Wirkung als ein durch einen begabten Sänger ausdrucksvoll gestaltetes
Lied. Kaspar fasst dies zusammen:
„Die Rhetorik macht den Text zum Erlebnis, zur sinnlichen Erfahrung. (…) Und diese
Rhetorik arbeitet mit den Elementen musikalischen Gestaltens.“
109
Kaspar begründet dies dadurch, dass die wesentlichen Elemente, die die Musik ausmachen,
in der Sprache zu finden sind. So finden wir in der Sprache Melodie, Rhythmus, Klangfarbe,
Schattierungen von laut und leise, hoch und tief oder schnell und langsam.110 Laut Kaspar ist
Gesang „musikalisch überhöhte Rhetorik“.111 Diese Klangrede macht die erste musikalische
Form des Abendlandes, den gregorianischen Choral, aus. Der Gesang hat im Vergleich zu
anderen Gebieten der Musik einen klar erkennbaren Vorteil. Er entsteht aus der direkten und
verbalen Kommunikation und der Körper des Sängers ist das Instrument. Dadurch bringt der
Sänger sich selbst viel mehr zum Ausdruck, als es mit einem Instrument möglich wäre. 112
Die Kirchenmusik wurde theologisch aufgewertet. Sie ist zum Wesensausdruck der Liturgie
geworden und dient nicht mehr nur als Dekoration. Dies hatte zur Folge, dass „die Gemeinde
nicht nur stumme Zeugin bleibt, sondern Mitspielerin im Heiligen Spiel wird“.113 Die
Gemeinde nimmt also aktiv durch die Kirchenmusik an der Liturgie teil. In seiner Instruktion
über die Kirchenmusik „Tra le sollecitudini“ drückt Papst Pius X. dies durch die „tätige
106
Kaspar 2002, 39.
Vgl. Kaspar 2002, 40.
108
Kaspar 2002, 41.
109
Kaspar 2002, 43.
110
Vgl. Kaspar 2002, 43.
111
Kaspar 2002, 43.
112
Vgl. Kaspar 2002, 44.
113
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 33.
107
25
Teilnahme“ der Gemeinde aus.114 Gerhards begründet: „Kirchenmusik ist also ein
wesentlicher Faktor des Gottesdienstes als Begegnungsgeschehen.“115
Die neue Liturgie fordert eine größere Verständlichkeit und Transparenz. Der alte Ritus
stellte laut Gerhards eine Art Verhüllung dar, „an die sich eine „schöne“ Kirchenmusik wie ein
zusätzliche Hülle problemlos anschmiegte“.116 Diese Verhüllung eignet sich für jede
symbolische Handlung. Jedoch muss ein „vernünftiger Gottesdienst“ (logike latreia) gewährt
werden.117
Die Musik spricht nicht nur den Geist und den Verstand an. Gesang und Musik können
Menschen ganzheitlich erfassen. Bretschneider begründet daher:
„Wo im Gottesdienst nur noch der Verstand angesprochen wird, wird der Glaube stumpf
und versandet.“
118
Der Gemeindegesang hat großen Einfluss. Dies ist nach Bretschneider an den zahlreichen
Diskussionen und Debatten um den Gesang der Gemeinde zu erkennen:
„Welch explosive Kraft in den Gesängen der Gemeinden steckt, demonstrieren die
zahlreichen Streitereien um neue Gesangbücher.“
119
5.3 Aktuelle Tendenzen des Gemeindegesangs
Obgleich der großen Bedeutung des Gemeindegesangs innerhalb der Liturgie sind folgende
Tendenzen zu erkennen: „Man lässt eben singen in der so schmackhaften Konsumwelt.“120
Laut Bretschneider nimmt der Gemeindegesang im Gottesdienst in ganz Europa ab. Die
liturgische Gesangskultur in den Gottesdiensten sei in einem „desolaten Zustand“.121 In den
Gemeinden wird zu wenig gesungen, mancherorts sind es nur noch die Jugendgruppen, die
immer wieder dieselben Lieder spielen.122
Im Kontrast hierzu steht das hohe Musikinteresse der Jugendlichen. Viele junge Menschen
hören in ihrer Freizeit Musik und oft hört man den Ausspruch „Ohne Musik kann ich nicht
mehr leben!“.123 Nur wenige Jugendliche werden jedoch selbst musikalisch aktiv. Vor allem
im vokalen Bereich nimmt die Zahl der jungen Menschen ab.124
114
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 29.
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 34.
116
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 35.
117
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 35.
118
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 45.
119
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 47.
120
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 39.
121
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 40.
122
Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 40.
123
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 40.
124
Vgl. Kirchenmusik im 20. Jahrhundert 2005, 40.
115
26
6 Umfrage im Dekanat Ostalb
Im Folgenden wird die Praxis der Kirchenlieder betrachtet. Immer mehr Gemeinden führen
ein ergänzendes Gesangbuch neben dem „Gotteslob“ ein. Auch in unserer Gemeinde wird
ein Gesangbuch mit Neuem Geistlichen Liedgut im Gottesdienst verwendet. In vielen
Gemeinden des Dekanats Ostalb ist dies der Fall. Mich interessierten folgende Fragen:

Wird in den Gottesdiensten ausschließlich aus dem „Gotteslob“ gesungen?

Oder werden noch andere Gesangbücher verwendet
Wenn ja,
a) seit wann?
b) zu welchen Anlässen
c) aus welchem Grund?
Aus diesem Grund habe ich eine Umfrage in der Diözese mit oben genannten Fragen
durchgeführt.
6.1 Ergebnisse der Umfrage
Die Ergebnisse fasse ich im Folgenden zusammen:
6.1.1 Gemeinden mit ergänzenden Liederbüchern
Gemeinde/SE
Sankt Vitus
St. Albanus Herlikofen
Heilig Kreuz Hüttlingen
Dewangen
Lorch
Mutlangen
St. Maurutius Westhausen
St. Katharina Lippach
Leintal
Alfdorf
Abtsgmünd
Untergröningen
neues Liederbuch
seit wann?
"Dir sing ich mein Lied" (davor: "unterwegs")
"Andere Lieder wollen wir singen"
1990
eigenes Liederbuch mit NGL; "Dacapo"; "Herr geh mit
2010
uns"
"Dir sing ich mein Lied"
2007
"Erdentöne Himmelsklang"
2004
"Erdentöne Himmelsklang"
1997
"Erdentöne Himmelsklang"
"sing mit"
2005
"sing mit"
2005
"Dir sing ich mein Lied"
2006
"Erdentöne Himmelsklang"
"Herr geh mit uns.Lieder der frohen Botschaft"
1992
"Troubadour"
1987
6.1.2 Anlässe, zu denen das ergänzende Liederbuch verwendet wird

Familiengottesdienste

Kinder – und Schülergottesdienste

Erstkommunion und Firmung

Jugendgottesdienste und Jugendkreuzweg

Zu allgemeinen Gottesdiensten
27

Repertoire des Familienchores und der Schola

Taufe

Regelmäßige Verwendung des neuen Liederbuches, z.B. ein Mal im Monat
6.1.3 Gründe für die Verwendung eines Liederbuches mit Neuen Geistlichen
Liedern

Kinder und Jugendliche singen gerne „moderne Lieder“, die sie schon im
Kindergarten lernen.

Die Gesangbücher mit Neuem Geistlichen Liedgut sind für die jeweilige Altersgruppe
eine sinnvolle Ergänzung zum „Gotteslob“ und die Gemeinde wird mit neueren
geistlichen Liedern vertraut gemacht. Durch die Bücher wird außerdem eine lose
Blattsammlung vermieden.

Um die Vielfalt zu erhöhen und moderne Lieder zu singen

Als Ergänzung und Aktualisierung, da das „Gotteslob“ schon etwas älter ist

Das Liederbuch „Dir sing ich mein Lied“ beispielsweise verbindet traditionelles und
neues Liedgut sehr gut
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7 Gespräch mit Pfarrer Adrian Warzecha
7.1 Zur Person
Pfarrer Adrian Warzecha wurde 1969 in Heilbronn geboren. Nach seinem Studium der
Katholischen Theologie in Tübingen und Münster wurde er 2004 in Schwäbisch Gmünd zum
Priester geweiht. Seit 2008 ist er Pfarrer der Seelsorgeeinheit Neresheim.
Als Leiter der Seelsorgeeinheit ist er für die Mitarbeiter verantwortlich. Mit einem
Schwerpunkt in den Gemeinden Neresheim, Elchingen und Stetten ist er für die Seelsorge
und die Gottesdienste zuständig. Pfarrer Warzecha gibt außerdem Religionsunterricht am
Gymnasium. Weitere Aufgaben liegen in den Bereichen Kindergärten, Sozialstation,
Arbeitskreis Caritas, Ökumene sowie in der geistlichen Begleitung.
7.2 Einführung und Verwendung des Liederbuches „Dir sing ich mein Lied“
Um einen genaueren Einblick in die Verwendung von Kirchenliedern in meiner Gemeinde zu
bekommen, habe ich ein Gespräch mit Herrn Pfarrer Adrian Warzecha geführt.
7.2.1. Gründe für die Einführung von „Dir sing ich mein Lied“
Warum brauchen wir ein weiteres Liederbuch neben dem Gotteslob?
Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Früher hatte jede Gemeinde unserer Seelsorgeeinheit einen Ordner mit gesammelten
Liedern. Dies ist jedoch rechtlich umstritten. Bis jetzt wurde bei der Kirche hierbei eine
Ausnahme gemacht. In den letzten Jahren wurde manchen Gemeinden jedoch wegen
urheberrechtlichen Gründen mit einer Klage seitens der Musikverlage gedroht. Die
Komponisten und Autoren wollen ihre Lieder nicht einfach kostenlos zur Verfügung stellen.
Die Einführung des neuen Liederbuches hat aber auch einen praktischen Grund. Jede
Gemeinde unserer Seelsorgeeinheit hatte ihren eigenen Ordner mit Liedern. Diese
Liedersammlungen stimmten nicht überein. Oft kam es zu
beispielsweise
gemeinsame
Gottesdienste
wie
Schwierigkeiten, wenn es
Familiengottesdienste
oder
die
Erstkommunion gab.
Wir
haben
uns
also
für
ein
einheitliches,
ergänzendes
Liederbuch
für
unsere
Seelsorgeeinheit entschieden.
7.2.2 Auswahl und Einführung des Liederbuches
Wann wurde das Liederbuch „Dir sing ich mein Lied“ in unserer Gemeinde eingeführt?
Wir haben das Kinder- und Familiengesangbuch vor einem Jahr angeschafft.
Im Bereich der neuern Lieder gibt es viele verschiedene Liederbücher. Wie wurde unser
Liederbuch „Dir sing ich mein Lied“ ausgewählt?
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Um dies zu organisieren hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet. Zunächst wurde überlegt, ob
ein eigenes Liederbuch für die Seelsorgeeinheit erstellt werden kann. Dies wäre jedoch zu
teuer für uns gewesen. Wir haben uns auch bewusst gegen die Verwendung einzelner
Liedblätter entschieden, da dies unpraktisch, nicht umweltfreundlich und im Gottesdienst
auch nicht sehr schön ist.
Die Arbeitsgruppe hat dann sieben Liederbücher in die engere Auswahl genommen und
verglichen. Dabei wurde auf Verschiedenes geachtet. Es wurde verglichen, wie viele
Übereinstimmungen es mit den Liedern der bisherigen Ordner gibt und ob sich das
Liederbuch für verschiedene Gottesdienste eignet. Ein wichtiges Kriterium war außerdem, ob
sich das Liederbuch für unsere Gemeinden eignet. Dabei wurde vor allem auf den
Schwierigkeitsgrad der Lieder geachtet, aber auch ob es zum Beispiel überwiegend kindliche
Lieder oder alte Lieder gibt.
Am Ende hat sich die Arbeitsgruppe auf das Liederbuch „Dir sing ich mein Lied“ geeinigt. Es
ist sowohl für die jüngeren als auch für die älteren Gemeindemitglieder eine Bereicherung,
da es eine gute Mischung zwischen neueren Liedern und Liedern aus dem Gotteslob
darstellt. Das Liederbuch hat jedoch auch seine Grenzen, da es beispielsweise auch Liedgut
gibt, das zu kindlich ist.
Wer hat zuerst angesprochen, dass ein Liederbuch nötig sei?
Ich habe zuerst angesprochen, dass ich ein ergänzendes Liederbuch für nötig halte. Es
wurde dann aber im Pastoralteam besprochen und beschlossen.
7.2.3 Verwendung des Liederbuches
Wann wird „Dir sing ich mein Lied“ genutzt?
Wir nutzen das Liederbuch bei Familiengottesdiensten, Feiertagen und sogar im
ökumenischen Schülergottesdienst.
Im Nachrichtenblatt wird vorher immer angesagt, wenn wir das neue Liederbuch verwenden.
Ich habe auch schon bemerkt, dass manche Familien immer kommen, wenn wir aus „Dir
sing ich mein Lied“ singen. Dies bedeutet meist auch, dass der Gottesdienst etwas anders
gestaltet wird als sonst und das spricht die Familien an.
7.2.4 Resonanz in der Gemeinde
Welche Rückmeldungen gibt es von der Gemeinde?
Es gibt eine hohe Akzeptanz in der Gemeinde, da das Liederbuch sowohl jüngere als auch
ältere Gemeindemitglieder anspricht. Es gibt viele neuere Lieder aber auch alte Lieder, die
nicht mehr im Gotteslob zu finden sind wie beispielsweise einige Weihnachtslieder tauchen
wieder auf. Außerdem wird die Gestaltung positiv bewertet. Das Liederbuch ist handlich,
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farbig illustriert und klarer gedruckt als das Gotteslob. Dies schätzen vor allem die älteren
Gottesdienstbesucher.
Wie empfinden Sie die Bereitschaft unserer Gemeinde, neue Lieder zu lernen?
Ich mache vor dem Gottesdienst immer eine kleine Probe, wenn ein neues Lied gesungen
werden soll. Die Gemeinde kann es hören, ansingen und später im Gottesdienst leichter
mitsingen. Wenn man der Gemeinde eine Hilfe anbietet und ihnen eine Chance gibt, neue
Lieder zunächst kennenzulernen um sie später im Gottesdienst zu singen, ist prinzipiell eine
Bereitschaft da.
7.2.5 Liederauswahl für den Gottesdienst
Wie wählen Sie die Lieder für den Gottesdienst aus?
Es gibt Arbeitshilfen, in denen Vorschläge zum jeweiligen Lesungstext gemacht werden. Ich
überlege aber hauptsächlich, was die Gemeinde gerne singt und welche Lieder auch mir
gefallen. Ich versuche mit den Texten der Lieder an die Lesung anzuknüpfen und diese für
ein besseres Verständnis zu ergänzen.
Bei uns wird zudem ein Liederplan für mehrere Wochen erstellt, damit Organisten gesucht
werden können und diese gegebenenfalls üben können. Nicht jeder Organist kann
beispielsweise auch die Lieder aus dem neuen Liederbuch spielen und das Repertoire der
Lieder, die eine Gemeinde kennt kann sich außerdem sehr unterscheiden. Dies versuchen
wir bei der Liederauswahl zu beachten.
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8 Schlussfolgerung
Für die Beantwortung meiner Fragestellung, sind Kirchenlieder Kulturgut oder ein alter Hut,
näherte ich mich dem Thema Kirchenlieder von verschiedenen Seiten her. Um als Kulturgut
bezeichnet werden zu können müssten Kirchenlieder folgende Bedingungen erfüllen: Ihre
Funktion muss durch den Kulturbegriff gedeckt sein. Sie müssten im Leben der Menschen
verankert sein, was vor allem durch eine lange Bestandszeit erfüllt wird. Sie müssen sich
jedoch auch weiter entwickeln und an den aktuellen Zeitgeist anpassen, damit sie nicht an
Bedeutung verlieren.
Kirchenlieder stellen einen wesentlichen Teil der Liturgie dar, welche sich wiederum direkt
der Religion zuordnen lässt. Der Kulturbegriff schließt Religion mit ein. Musik und Gesang
sind in der Liturgie weit mehr als Ausschmückung, Verzierung und Verschönerung von
festlichen Gottesdiensten. Die Liturgie setzt sich aus dem gesprochenen und dem
gesungenen Wort sowie aus Zeichenhandlung und Symbolen zusammen. Das Unsagbare,
was nicht mit Worten ausgedrückt werden kann, vermag die Musik zur Sprache zu bringen.
Die Musik ist stets in einen Kontext eingebunden. Durch ihre wichtige Funktion in der Liturgie
ist sie zu einem Wesensausdruck dieser geworden. Der Gesang ermöglicht es der
Gemeinde, aktiv an der Liturgie teilzunehmen. Die Kirchenmusik ist somit ein wesentlicher
Faktor des Gottesdienstes als Begegnungserscheinung. Durch die Musik wird nicht nur der
Geist sowie der Verstand der Menschen angesprochen, vielmehr kann der Mensch
ganzheitlich erfasst werden.
Die geschichtlichen Hintergründe verweisen auf eine sehr lange Tradition des Kirchenliedes.
Schon Paulus fordert die Christen in der Bibel auf, Gott singend zu loben. In den
verschiedenen Epochen haben sich die Kirchenlieder immer wieder verändert und
weiterentwickelt, wobei auch die profane Musik die Kirchenlieder beeinflusste. Dabei sind
Kirchenlieder nicht nur aus musikalischen Gesichtspunkten heraus interessant, sondern
spielen auch eine wichtige Rolle in der Geschichte der Katholischen Kirche. Musik und
Gesang im Gottesdienst waren oftmals wichtige (Streit-)Themen für die ganze Kirche. Dies
ist an den zahlreichen Auseinandersetzungen und ihnen folgenden gesetzlichen Änderungen
zu erkennen. Das Tridentiner Konzil, die Reformation, das Motu proprio und das Zweite
Vatikanische Konzil sind Beispiele hierfür.
Danach analysierte ich die heutige Stellung der Kirchenlieder. In einigen Gottesdiensten
werden sowohl Lieder aus dem Gotteslob als auch Neue Geistliche Lieder gesungen. Die
neuen und alten Lieder werden folglich nicht immer strikt voneinander getrennt, sondern sind
häufig gleichgestellt. Mich interessierte, worin die wesentlichen Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen Neuen Geistlichen Liedern und Liedern aus dem Gotteslob
bestehen. Eine musikalische Analyse und Gegenüberstellung von „Lobe den Herren“ und
„Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ ergab folgendes: Vor allem in der
musikalischen Grundstruktur weisen die älteren und neueren Lieder grundlegende
Gemeinsamkeiten auf. Es sind in beiden Liedern beispielsweise keine großen
Intervallsprünge zu finden und es handelt sich um Strophenlieder. Diese einfache Liedform
ermöglicht es der Gemeinde, im Gottesdienst mitzusingen. Die Unterschiede beschränken
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sich größtenteils auf die Sprache. Die Sprache des Liedes „Lobe den Herren“ ist in veralteter
Sprache geschrieben, die dem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr entspricht. Es sind zum
Beispiel Wörter wie „Psalter“ im Liedtext zu finden. „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe
mich holt“ hingegen ist in einfacher und verständlicher Sprache geschrieben, die dem
heutigen Sprachgebrauch angepasst ist und die es ermöglicht, einen konkreten Bezug zum
Alltagsleben der Menschen herzustellen. Der Sprachgebrauch unserer Gesellschaft
verändert sich mit der Zeit, wie sich auch die Verhaltensweisen, Gewohnheiten oder
Denkweisen unserer Gesellschaft verändern. Diese Veränderung ist Teil unserer Kultur und
geschieht vollkommen selbständig. Aufgrund dessen verändert und entwickelt sich auch die
Sprache der Kirchenlieder, damit die Botschaft der Lieder dem heutigen Zeitgeist
entsprechend vermittelt werden kann.
Viele Gemeinden singen sowohl Lieder aus dem „Gotteslob“ als auch Neue Geistliche
Lieder. Aufgrund dessen setzen viele Gemeinden ein ergänzendes Liederbuch mit Neuem
Geistlichen Liedgut in den Gottesdiensten ein. Somit werden ältere und neuere Kirchenlieder
gleichermaßen im liturgischen Gesang gepflegt.
Dem gegenüber stehen aktuelle Tendenzen des Gemeindegesangs. In den Gemeinden
werden traditionelle Kirchenlieder oftmals als „alter Hut“ empfunden. Dies äußert sich in der
Abnahme des Gemeindegesangs im Gottesdienst. Überdies sind die Tendenzen durch
Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu begründen. Es wird immer weniger gesungen, die
Zahl der Jugendlichen, die selbst musikalisch aktiv sind, nimmt stark ab.
Kirchenlieder sind durch ihre wichtige Funktion in der Liturgie in unserer Religion verankert.
Die Funktion wird folglich durch den Kulturbegriff gedeckt. Da eine lange Tradition des
Kirchenliedes besteht, ist dieses im Leben der Menschen verankert. Auch die letzte, oben
genannte Bedingung, wird erfüllt. Kirchenlieder entwickeln sich kontinuierlich weiter und
passen sich dem Zeitgeist an. Obgleich der aktuellen Tendenzen des Gemeindegesangs
können Kirchenlieder somit als Kulturgut betrachtet werden.
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9 Anhang
Lobe den Herren
CD: Titelnummer 1
2. Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, / der sich auf Adelers Fittichen sicher
geführet, / der dich erhält, / wie es dir selber gefällt. / Hast du nicht dieses verspüret?
3. Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet, / der dir Gesundheit verliehen, dich
freundlich geleitet. / In wieviel Not / hat nicht der gnädige Gott / über dir Flügel gebreitet!
4. Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen. / Lob ihn mit allen, die seine
Verheißung bekamen. / Er ist dein Licht; / Seele, vergiss es ja nicht. / Lob ihn in Ewigkeit.
Amen.
Abb.1
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Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
CD: Titelnummer 2
Abb.2
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Inhalt der CD
Titelnummer 1: Lobe den Herren
Titelnummer 2: Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt
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10 Erklärung zur Eigenständigkeit
Hiermit erkläre ich, dass ich vorliegende Wettbewerbsarbeit selbständig und nur mit Hilfe der
im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen verfasst habe.
Neresheim, den 12. September 2012
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11 Quellenverzeichnis
11.1 Literaturverzeichnis
Bretschneider, Wolfgang. 2005, „Dem Sprachlosen eine Stimme geben“ – Verstummt das
Singen im Gottesdienst? In: Gerhards, Albert.: Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Erbe und
Auftrag, LIT Verlag, Münster, 39-50.
Breuser, Daniel. 2009: Das Neue Geistliche Lied. Entstehung-Erfahrungen-Perspektiven,
Tectum Verlag, Marburg.
Dietel, Gerhard. 2006: Wörterbuch Musik, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
München.
Gerhards, Albert. (Hg.) 2005: Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Erbe und Auftrag, LIT
Verlag, Münster.
Gerhards, Albert. 2005, „Heiliges Spiel“- Kirchenmusik und Liturgie als Rivalinnen oder
Verbündete? In: Gerhards, Albert.: Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Erbe und Auftrag, LIT
Verlag, Münster, 28-38.
Hansen, Klaus P. 2003: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung, Francke, Tübingen.
Kaspar, Peter Paul. 2002: Ein großer Gesang. Musik in Religion und Gottesdienst, Verlag
Styria, Graz.
Katechismus der Katholischen Kirche. 1993, Oldenbourg München.
Schaub, Stefan. 2010: Erlebnis Musik. Eine kleine Musikgeschichte, Deutscher Taschenbuch
Verlag GmbH & Co. KG, München.
Wilson-Dickson, Andrew. 1994: Geistliche Musik. Ihre großen Traditionen; Vom
Psalmgesang zum Gospel, Brunnen Verlag, Gießen.
Youcat. Jugendkatechismus der Katholischen Kirche. 2010, Pattloch, München.
11.2 Internetquellen
http://zitate.net/victor%20hugo.html (11.09.12)
http://www.katholisch.de/5138.html (18.08.12)
http://www.afk-freiburg.de/kmm/kmm_59/gotteslob.php (11.08.12)
http://wir-sind-kirche.de/?id=393&id_entry=3832http:// (11.08.12)
11.3. Quellen der Abbildungen
http://www.lieder-archiv.de/lieder/noten/300780.gif (8.09.12)
http://minimalist.mi.funpic.de/flexibel/Sonntagsmorgens/Ich%20lobe%20meinen%20Gott,%2
0der%20aus%20der%20Tiefe%20mich%20holt.gif (8.09.12)
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11.4 Quellen der Lieder
Lieder aus dem Gotteslob. 2009: Weltbild, Augsburg.
Erdentöne – Himmelsklang. 1997: Schwabenverlag, Ostfildern.
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