Ausgabe 01/2013 Fachliche Mitteilungen für fliegende

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Ausgabe 01/2013 Fachliche Mitteilungen für fliegende
Flugsicherheit
Ausgabe 01/2013
Foto: Steve Urbanczyk, Kommando Strategische Aufklärung
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Flugsicherheit
Heft 1 April 2013 – 50. Jahrgang
Flugsicherheit
In this issue
Article overviews in English by Lt Col Jeff “Otter” Anderson, USAF Exchange Officer and member of the German Armed Forces
Flight Safety Directorate. [email protected]
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
Okay, so where do they fly? // Ja, wo fliegen sie denn?
So what is the difference between a remote controlled model aircraft and an unmanned aircraft? Where, how high, how fast, and
in what airspace can they fly? This article answers all these questions and more. Some of the answers might make you a little uneasy,
but knowledge and good visual lookout habits are your best defense.
Titelfoto:Steve Urbanczyk
Kommando Strategische Aufklärungung
Death in the Morning // Tod am Morgen
At rotation during takeoff roll, the F-15 flipped over and crashed, killing the pilot, Major Donald Lowry. The accident in 1995 was
caused by cross-connection of control rods to the rudders and elevator. The unfortunate chain of events that led to this accident could
have been broken at several points but was not. The article describes key points where the mishap could have been prevented, and the
lessons from this accident remain relevant today.
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
Herausgeber:
Luftwaffenamt
General Flugsicherheit in der Bundeswehr
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203-9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
Stories from the Error Reporting System // Geschichten aus dem Fehlermeldesystem
Editorial 1
Ja, wo fliegen sie denn? 2
Tod am Morgen
10
[email protected]
[email protected]
Geschichten aus dem Fehlermeldesystem
13
Gestaltung:
Hypoxia16
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
Laserblendungen20
dreimonatlich
Faktor Mensch
Manuskripteinsendungen
Operational Test & Evaluation29
sind direkt an die Schriftleitung zu richten.
Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen
nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung
oder des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge
abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren
Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen
(mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher
möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Begrüßen & Verabschieden 23
32
In this issue33
Due to a lower fuel state, number two of the two-ship of single seat fighters was the first to land from the ILS through IMC conditions
at the divert field. On roll-out, Number 2 realized his altimeter showed an incorrect altitude and that he had not set the local altimeter. Nothing bad happened, but the potential was certainly there. Thankfully, he reported this in the anonymous Error Reporting
System and we can all learn from his experience. Can you draw out the right lessons?
Hypoxia
This story details what happened to the wingman of a two-ship of Alpha Jets on their way at 35,000 ft as he slowly came to the realization that he was experiencing symptoms of hypoxia. The pilot’s symptoms and reactions are described in excellent detail. The
flight lead’s clear and direct instructions over the radio definitely helped save his life. This happened in 1988 but could easily happen
today. Are you ready? Do you remember your hypoxia symptoms?
Laser Incidents // Laserblendungen
How often, where, and when are aircraft in the German military being illuminated by handheld lasers? This article describes historical incident rates and provides several graphical representations of how these incidents played out in 2012.
The Human Factor // Der Faktor Mensch
This article describes the role played by human factors in accidents. It discusses the origins of Human Factors as a part of aviation
accidents and a pioneering study conducted by the Royal Air Force in the 1940s. The case of an Eastern Airlines L-1011 crash in
1972, the space shuttle Challenger accident in 1986, and the crash of American Airlines flight 587 in 2001 are reviewed with an
analysis of the human factors involved.
Operational Test & Evaluation
A member of the Toronado Operational Test and Evaluation team describes his experiences as part of the trials for the ASSTA-3
upgrade. He discusses how the team worked together under challenging conditions and an important lesson learned as an in-flight
emergency distracted him from following up on the issue of a missing part.
We say hello, we say goodbye // Begrüßen & verabschieden
01-2013
Editorial
Das Jahr 2012 war das erste Jahr
seit Bestehen der Bundeswehr
ohne Unfall im Flugbetrieb mit
bemannten Luftfahrzeugen.
Zu diesem Ergebnis haben Sie
alle, verehrte Leserinnen und
Leser, mit professioneller Arbeit und guter Flugsicherheitskultur in den fliegenden Einheiten und Dienststellen mit
Flugbetrieb beigetragen. Sie alle
können stolz auf dieses Ergebnis
sein, das natürlich nicht ohne
eine gehörige Portion Fliegerglück möglich gewesen wäre.
Seit dem Absturz eines TIGER
am 4. März dieses Jahres steht
fest, dass 2013 nicht unfallfrei
verlaufen wird. Glücklicherweise wurden die beiden Piloten bei dem Unfall nur leicht
verletzt. Die Untersuchungen
zur Unfallursache dauern an.
In wenigen Tagen wird der Jahresbericht 2012 der Abteilung
GenFlSichhBw veröffentlicht.
Wie in jedem Jahr wird darin
die Flugsicherheitslage eines
Jahres dargestellt und analysiert. Bei einer genaueren Betrachtung des Zwischenfallgeschehens konnten interessante
Erkenntnisse zutage gefördert
werden. Ich rege die Lektüre
des Jahresberichtes und die
Diskussion darüber im Kameradenkreis ausdrücklich an.
Die Gefährdung der fliegenden
Besatzungen durch LASER-
Blendungen nimmt im zivilen
und militärischen Flugbetrieb
beständig zu. Der Artikel „Laserblendungen“ soll zur Ihrer
Information und zur Sensibilisierung in Bezug auf dieses für
viele noch neue Thema beitragen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle
einige Gedanken mit Ihnen teilen, die mit der Einführung der
modernen fliegenden Waffensysteme in der Bundeswehr zu
tun haben. Bei meinen ersten
Flügen in einem TORNADO
mit ASST A3 und bei einem
Mitflug im EUROFIGHTER
wurde mir auf beeindruckende
Weise klar, in welchem Umfang
moderne technische Systeme
den Menschen bei seiner Aufgabenerfüllung an Bord eines
militärischen Luftfahrzeugs
unterstützen können. Gleichzeitig wurden mir aber auch die
Herausforderungen und die
Gefahren überdeutlich, die die
Komplexität dieser modernen
Technik, das Überangebot an
Informationen und der Umgang mit Statusmeldungen der
vielen Systeme mit sich bringen.
Der
sichere
Flugbetrieb
mit EUROFIGHTER und
TORNADO ASST A3, mit
TIGER, CH-53 GA sowie
NH 90 und in Zukunft A 400 M
verlangt von den Menschen,
die diese Luftfahrzeuge führen
und bedienen ein hohes Maß
an Kontinuität und Intensität
in der Handhabung dieser Systeme. Darüber hinaus bin ich
der festen Überzeugung, dass
all die Fähigkeiten, die man unter basic airmanship subsummiert, und die Erfahrung, die
man nur durch Übung erlangt,
durch die technische Auslegung moderner Cockpits nicht
obsolet geworden sind.
Technikhörigkeit stellt in der
Fliegerei mit modernen Luftfahrzeugen eine große Herausforderung in Bezug auf die Flugsicherheit dar. Ich bin überzeugt, dass diese Herausforderung durch die modernen Systeme auch im Flugbetrieb der
Bundeswehr besteht und dass
es der kontinuierlichen Dienstaufsicht auf allen Ebenen und
steter Sensibilisierung aller am
Flugbetrieb Beteiligten bedarf,
um diese zu meistern.
In diesem Sinne:
Always fly safe!
Poth
Brigadegeneral
1
Flugsicherheit
Ja,
wo fliegen sie denn?
von Oberstleutnant Rüdiger Stein,
LwA AbtFlSichhBw
In der vorletzten Ausgabe unserer fachlichen
Mitteilung „flugsicherheit“, Ausgabe 03/2012,
hatten wir unter dem
Titel: „Unbemannte Luftfahrtsysteme – Gefährliche Annäherung im
Luftraum“ einen Beitrag
über unbemannte Luftfahrtsysteme veröffentlicht.
auch darum, tief sitzende Irrtümer und um sich greifendes
Halbwissen (möglichst) zu beseitigen.
Leider kommen wir um die
Konfrontation mit trockenen
Gesetzestexten und anderen
Rechtsnormen nicht herum.
Aber das kann so schlimm
nicht sein, denn wann hat
schon jemals jemand seinen
Cockpitjob gekündigt, weil er
glaubte, im Vorschriftensumpf
zu ertrinken.
In diesem Zusammenhang ist Beginnen wir zunächst mit eiein Untersuchungsbericht der ner Begriffsbestimmung: Ein
Bundesstelle für Flugunfall- Flugzeugmodell ist die verkleiuntersuchung (BFU) von Interesse, der den Zusammenstoß
eines ferngesteuerten Flugmodells mit einem personentragenden Motorsegler darstellte.
Wir nehmen diesen Artikel
zum Anlass, das Zusammenstoßrisiko zwischen unbemannten „Flugobjekten“ und
Luftfahrzeugen (Lfz) etwas näher zu beleuchten. Dabei soll
es um eine Klarstellung von
Begrifflichkeiten gehen, aber
2
nerte dreidimensionale Abbildung eines (in der Regel) personentragenden Luftfahrzeugs.
Im Freizeitbereich ist der hobbymäßige Bau solcher Modelle weit verbreitet. Zahlreiche
Hersteller von Bausätzen haben ein fast unüberschaubares
Angebot an Flugzeugmodellen
im Angebot, wobei überwiegend Polystyrole als Baumaterial zum Einsatz kommen. Beliebte Nachbaumaßstäbe sind
1:72, 1:48 und 1:32, je nachdem, welche Art von Modellen
bzw. welcher Detaillierungsgrad bevorzugt wird.
Flugzeugmodelle
01-2013
Solche Flugzeugmodelle sind
nicht flugfähig und dienen
meist dekorativen Zwecken.
Zweifellos kann dieses Hobby
zum Lebensinhalt werden –
in unseren weiteren Betrachtungen ist es aber ohne Bedeutung.
Ein Flugmodell ist also ein
Luftfahrzeug, das zum Zwecke
des Sports oder der Freizeitgestaltung betrieben wird. Es
handelt sich dabei entweder
um die vorbildähnliche Verkleinerung eines (meist) personentragenden Luftfahrzeugs,
oder um ein reines Zweckmodell, das in dieser Erscheinung
nur im Modellflug vorkommt.
Flugmodelle sind flugfähig und
lassen sich nach vielfältigen
Kriterien voneinander unterscheiden. Es ginge über den
Sinn dieses Artikels hinaus,
eine detaillierte Betrachtung
aller existierenden Arten solcher Modelle anzustellen. Vielmehr ist im Folgenden nur von
jenen Flugmodellen die Rede,
die einige der Lufträume nutzen, in denen auch „echte“ personentragende Luftfahrzeuge
anzutreffen sind, und die ein
Zusammenstoßrisiko darstellen könnten. Diese sind die
folgenden funkferngesteuerten
Varianten:
-Segelflugmodelle,
-motorgetriebene Modelle
(der Antrieb kann durch
Elektromotoren, Verbrennungsmotoren, Strahltriebwerke oder Raketentreibsätze erfolgen),
- H u b s c h r a u b e r m o d e l l e
und Multi-Rotor-Modelle
(Quad-, Sexta- oder Okto-Copter) (in dem oben
genannten Beitrag zur
fachlichen Mitteilung „Flugsicherheit“ 03/12 vereinfacht Copter genannt).
Vorausgeschickt werden muss
noch, dass Flugmodelle allen
anderen Verkehrsteilnehmern
auszuweichen haben und daher
immer in der Sichtweite des
Betreibers zu fliegen sind! Es
gilt das Prinzip: See and avoid.
Die Unterscheidung zwischen
unbemannten Luftfahrtsystemen (ULS) und Flugmodellen gelingt am leichtesten, wenn
man die von der Deutschen
Flugsicherung am 28. Juni
2012
heraus
gegebenen
NACHRICHTEN
FÜR
LUFTFAHRER NfL I 161/12
zurate zieht. Der Titel der NfL
lautet: „Gemeinsame Grundsätze des Bundes und der
Länder für die Erteilung der
Erlaubnis zum Aufstieg von
unbemannten
Luftfahrtsystemen gemäß § 16 Absatz 1
Nummer 7 Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO)“. Dort heißt es
in Ziffer 1: „Dient die Nutzung
des Geräts dem Zwecke des
Sports oder der Freizeitgestaltung, so gelten die Regelungen
für Flugmodelle. Ist mit dem
Einsatz hingegen ein sonstiger, insbesondere gewerblicher
Zweck verbunden (z. B. Bild-
Flugmodell
3
Flugsicherheit
aufnahmen mit dem Ziel des
Verkaufs), so handelt es sich
um ein unbemanntes Luftfahrtsystem, dessen Betrieb unabhängig von seinem Gewicht
… erlaubnispflichtig ist.“ Daraus folgen drei Feststellungen:
1.
Die Abgrenzung ULS –
Flugmodell erfolgt ausschließlich über den Zweck
der Nutzung.
2.Der Aufstieg eines ULS ist
genehmigungspflichtig.
3.Der Aufstieg eines Flugmodells ist nicht immer genehmigungspflichtig (Umkehrschluss). Diesen eher
theoretischen Fall sprechen
wir später noch einmal an.
Ziffer 1 bestimmt noch, in
welchen Fällen die „Gemeinsamen Grundsätze“ überhaupt
Anwendung finden. Es heißt:
„Diese Grundsätze betreffen die Erteilung der Erlaubnis zum Aufstieg von unbemannten Luftfahrtsystemen,
die
- in Sichtweite des Steuerers,
-nicht ausschließlich zum
Zwecke des Sports oder der
Freizeitgestaltung betrieben
werden,
- eine maximale Flughöhe von
100 Metern über Grund
nicht übersteigen und
- deren Gesamtmasse bis zu
25 kg beträgt.“
Die o. a. Kriterien dürften die
große Masse der zurzeit in
Deutschland betriebenen ULS
abdecken. Die NfL I 161/12
macht über den dargestellten
4
Inhalt hinaus im Wesentlichen
Aussagen zu Einzelheiten des
Erlaubnisverfahrens (wie der
Titel schon vermuten lässt).
Bedeutsam ist für uns die Feststellung, dass eine maximale
Flughöhe von 100 Metern in
Sichtweite des Steuerers ein
Kollisionsrisiko mit personentragenden Luftfahrzeugen ausschließen sollte. Nur der Vollständigkeit halber erwähnen
wir noch, dass ein ULS in Einund Abflugschneisen von Flugplätzen nicht betrieben werden
darf, da dies die Sicherheit des
Luftverkehrs gefährden würde.
Aus den bisherigen Darstellungen geht hervor, dass (beispielsweise) ein Copter am
heutigen Tag zum Zwecke der
Freizeitgestaltung auf einem
Modellflugplatz seine Runden
drehen kann und damit als
Flugmodell zu betrachten ist,
während dasselbe Objekt morgen zu gewerblichen Zwecken
einsetzbar ist und dann mit allen Konsequenzen in die Kategorie der Unbemannten Luftfahrtsysteme fällt.
Zum Thema ULS soll noch erwähnt werden, dass es durchaus denkbar ist, dass sich in
Zukunft der Bedarf für den
Betrieb von (nicht militärisch
genutzten) Systemen ergibt,
die beispielsweise höher als 100
Meter fliegen müssen und/oder
die schwerer als 25 kg sind.
Deren Erlaubnisverfahren fiele
dann aus dem Rahmen der
NfL I 161/12 heraus.
Zwischenfazit
-Flugzeugmodelle stoßen –
an Nylonfäden von der Zimmerdecke baumelnd – bestenfalls mit den Köpfen ihrer
Erbauer zusammen, mit
meist glimpflichem Ausgang.
-Unbemannte
Luftfahrtsysteme nutzen nicht den
gleichen Luftraum wie personentragende Lfz, womit
das Risiko eines Zusammenstoßes gegen Null geht.
Nun bleibt noch, das Zusammenstoßrisiko zwischen Flugmodellen und personentragenden Lfz zu beleuchten. Da
ein Risiko per Definition das
Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses
und den möglichen Folgen
darstellt, wollen wir uns der
Gesamtproblematik über die
Beantwortung folgender Fragen nähern:
- Wie groß dürfen Flugmodelle sein?
-Wie schnell darf geflogen
werden?
- Gibt es Gewichtsgrenzen?
- Wie hoch dürfen sie fliegen?
Bevor wir in medias res gehen,
sagt uns ein Blick in das Luftverkehrsgesetz, (hier ist es § 1
Abs. 2 LuftVG), dass Flugmodelle (wie auch unbemannte
Luftfahrtsysteme) Luftfahrzeuge sind. Diese wesentliche
Feststellung hat zur Folge, dass
bindende Regelungen weiterer
Gesetzestexte wie die Luftver-
01-2013
kehrsordnung (LuftVO) und
die Luftverkehrszulassungsordnung (LuftVZO) ebenso
greifen wie Ausführungsgesetze und Richtlinien der zuständigen Behörden.
Um zu verhindern, dass wir
in der Flut der Regulierungsliteratur ertrinken, – die gute
Nachricht zuerst: Selbst ein
intensives Studium aller o. a.
Veröffentlichungen führt zu
der Erkenntnis, dass die Größe
von Flugmodellen nicht begrenzt ist. Das ist in zweierlei
Hinsicht gut. Erstens fliegen
große Modelle in der Regel ruhiger und stabiler als kleinere
Modelle. Zusätzlich ist ihre
Lage im Raum leichter zu erkennen. Dies alles macht dem
fernsteuernden Piloten das
Leben leichter. Zweitens sind
große Modelle auch von anderen Teilnehmern am Luftverkehr einfacher zu erkennen,
d. h. visuell aufzufassen. Unabhängig davon wäre es auch
wenig sinnvoll, eine Größenbegrenzung
vorzunehmen,
da juristisch nicht begründet
werden kann, warum ein Flugmodell mit beispielsweise fünf
Metern Spannweite keine Gefährdung darstellt, während ein
sechs Meter Modell dies tut.
Eines der größten handelsüblichen Flugmodelle ist zurzeitder maßstabsgetreue Nachbau
eines Segelflugzeuges vom Typ
ASG 29 im Maßstab 1:2, womit das Modell eines deutschen
Herstellers aus den neuen Bun-
desländern eine Spannweite
von neun Metern aufweist.
Stellt sich als zweites die Frage
nach der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Die Anlage 5
zur LuftVO begrenzt die
Höchstgeschwindigkeit unterhalb von Flugfläche 100
(10.000 Fuß über N. N. bei
Standardhöhenmessereinstellung) auf maximal 250 Knoten,
umgerechnet etwa 463 km/h.
Allein schon die Tatsache,
dass die Dimension Knoten in
einem deutschen Gesetzestext
auftaucht, legt den Verdacht
nah, dass sich diese Begrenzung
ausschließlich an den personentragenden Luftverkehr richtet. Das stimmt nicht ganz –
dieses Limit gilt auch für
Flugmodelle. Es wäre ja auch
verwunderlich, wenn ausgerechnet den Betreibern ferngesteuerter Flugmodelle erlaubt
wäre, schneller zu fliegen. Nun
ist zugegebenermaßen diese
Grenze den wenigsten Modellfliegern bekannt und spielt
auch in deren täglichen Leben
keine auffällige Rolle, da solche
Geschwindigkeiten mit handelsüblichen Modellen nicht
zu erreichen sind. Lediglich
einige Speedjunkies stoßen mit
gasturbinengetriebenen Spezialkonstruktionen in diesen
Bereich vor und müssen Sondergenehmigungen einholen,
wenn sie sich auf solche Weise
ihren Adrenalinkick verschaffen wollen. Allerdings erreicht
auch das Jetmodell „von der
Stange“ leicht 350 km/h, womit – um im Jargon der Jugend
zu bleiben – die Post abgeht.
Da in eine Berechnung der kinetischen Energie der Faktor
„Geschwindigkeit“ mit der 2.
Potenz eingeht, wird klar, welcher Schaden bei einem Zusammenstoß (gleich womit)
angerichtet werden kann.
Deutlich präsenter sind die
Gewichtsgrenzen für Flugmodelle. Bis zu einem Startgewicht von unter 25 kg ist der
Spaß für Modellflieger ziemlich unproblematisch, obwohl
ein 24,999 kg Modell schon ein
ordentlicher „Brummer“ ist.
Unproblematisch deshalb, weil
kein Nachweis über die Lufttüchtigkeit erbracht werden
muss und weil der Steuerer seine fliegerischen Fähigkeiten an
keiner offiziellen Stelle unter
Beweis stellen muss. Beides ändert sich völlig, wenn die 25 kg
Grenze überschritten wird.
Bevor ein solches „Dickschiff“
zum ersten Mal abhebt, muss
der Erbauer einen anerkannten
Sachverständigen (der Zulassungsbehörde) von der Lufttüchtigkeit überzeugen. Ist das
gelungen, erfolgt nach einer
bestandenen
theoretischen
Prüfung des künftigen Piloten
der Erstflug, ebenfalls vor den
Augen der Zulassungsbehörde.
Hat alles geklappt, erhält der
Pilot (und nur er) die Erlaubnis, dieses Modell steuern zu
dürfen; also so eine Art Musterberechtigung light. Selbst5
Flugsicherheit
verständlich muss zuvor noch
der Nachweis erbracht werden,
dass das Modell Haftpflicht
versichert ist. Übrigens fordert
der Gesetzgeber eine spezielle
Halterhaftpflichtversicherung
für alle Flugmodelle. Die nächste Gewichtsgrenze für Flugmodelle liegt dann bei einem Startgewicht von 150 kg und mehr.
Für solche „Brocken“ gelten die Regeln der Ultraleichtflugzeuge im vollen Umfang.
Erwähnenswert ist noch, dass
der Betrieb eines >25 kg-Modells nur auf Modellflugplätzen
erfolgen darf, die dafür extra
zugelassen sind. Damit kommen wir noch einmal kurz auf
die obige Andeutung zu sprechen, wonach der Aufstieg von
Flugmodellen nicht immer
genehmigungspflichtig ist. Die
Vielzahl rechtlicher Auflagen,
aber auch rein praktische
Überlegungen sorgen dafür,
dass der Betrieb von Flugmodellen in nennenswerter Größe
in Deutschland nahezu ausnahmslos auf dafür zugelassenen, vereinseigenen Modellflugplätzen erfolgt. De facto
liegt damit eine „erlaubnisbedürftige Nutzung des Luftraumes“ vor, wie sie im § 16
LuftVO detailliert beschrieben
wird. Die Erlaubnis gilt pauschal als erteilt, wenn der Flug
auf einem solchen Modellflugplatz im Luftraum „G“ erfolgt. Weder muss das Modell
< 25 kg eine Zulassung haben
noch muss für jeden einzelnen
6
Flug eine Erlaubnis eingeholt
werden.
Jetzt sind wir noch die Antwort
auf die erlaubten Flughöhen
schuldig. Vielerlei Ortes ist die
Ansicht verbreitet, Flugmodelle dürften nicht höher als 100
Meter fliegen. Wir erinnern
uns, dass maximale 100 Meter
ein Zulassungskriterium für
ULS ist – für Flugmodelle gilt
das nicht! Möglicherweise ist
die im § 16 LuftVO angesprochene maximale Seillänge von
100 Metern für den erlaubnisfreien Aufstieg von Drachen
und Schirmdrachen (eher als
Kastendrachen bekannt) der
Auslöser für manche Diskussionen unter Unkundigen.
Tatsächlich dürfen Flugmodelle den unkontrollierten Luftraum der Klassifizierung „G“
in Gänze nutzen. Nun beginnt
dieser Luftraum am Boden –
endet an den Untergrenzen des
darüber liegenden Luftraumes
„E“.
Dessen Untergrenze kann bei
1.000 Fuß (über Grund) liegen, bei 1.700 oder bei 2.500
Fuß. Grundsätzlich ist der Einflug in den Luftraum „E“ für
Flugmodelle nicht verboten;
er ist aber genehmigungspflichtig und stellt eine absolute
Ausnahmesituation dar. Dem
Autor, der auf eine 40- jährige
modellfliegerische Praxis zurückblickt, ist kein einziger
Fall bekannt, bei dem ein
Modellflieger wissentlich in
den Luftraum „E“ eindringen
wollte und sich dies zuvor genehmigen ließ. Es steht jedoch
außer Zweifel, dass die Sorgfaltspflicht eines Modellfliegers es erfordert, sich kundig
zu machen und festzustellen,
wie hoch er genehmigungsfrei
fliegen darf. Der oberhalb des
Luftraumes „E“ liegende Luftraum „C“ mit seiner Untergrenze von Flugfläche 100 ist
eine modellfliegerische Tabuzone und wird daher hier nicht
weiter beleuchtet.
Wenn also der Betrieb von
Flugmodellen im Luftraum „G“
an Grenzen stoßen kann, dann
gilt das erst recht beim Fliegen
in Kontrollzonen (Luftraum
„D“). Hier greift der § 16a
der LuftVO, der erfordert,
dass bei Inanspruchnahme des
kontrollierten Luftraums eine
Flugverkehrskontrollfreigabe
bei der zuständigen Flugverkehrskontrollstelle einzuholen ist. Einzelheiten regeln
die Vereine in schriftlichen
Betriebsabsprachen mit den
jeweiligen
Kontrollstellen.
Das Verfahren stellt sich in
der Regel dann so dar, dass ein
anwesender Modellflieger vor
Beginn des Flugbetriebs über
eine ortsfeste Telefonleitung
die Freigabe für alle folgenden
Flüge des Tages einholt. Lässt
die Verkehrslage es zu, wird die
Erlaubnis erteilt und ggf. mit
Auflagen verbunden, z. B. mit
einer maximalen Flughöhe von
150 Metern. Nach der letzten
Landung wird der Flugbetrieb
01-2013
Luftraumstruktur in Deutschland
abgemeldet. So einfach ist das!
Wie groß ist denn nun die
Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes zwischen einem
Flugmodell und einem bemannten Luftfahrzeug? Bevor
wir diese Frage beantworten,
muss klar gestellt werden, dass
es uns nur um ungeplante und
ungewollte
Vorkommnisse
geht, also um Ereignisse, die
per Definition als Unfall betrachtet werden können. Dann
lautet die Antwort, dass die
Wahrscheinlichkeit statistisch
gesehen verschwindend gering
ist. Diese Aussage wird damit
belegt, dass der ganz zu Anfang
genannte Untersuchungsbericht des Zusammenstoßes
auf das einzige Ereignis dieser
Art zurückgeht, dass sich bisher im deutschen Luftraum
zutrug und das, obwohl geschätzt mehr als 100.000 (fast
80.000 davon im Deutschen
Modellfliegerverband
organisierte) Modellflieger dieses
Hobby ausüben. Dementgegen
fällt der in dem Artikel „Unbemannte Luftfahrtsysteme –
Gefährliche Annäherung im
Luftraum“ genannte Copter
aus dem Rahmen, da klar bescheinigt werden muss, dass er
sich unrechtmäßig dort aufhielt, wo er angetroffen wurde,
unabhängig davon, ob er als
ULS oder als Flugmodell un7
Flugsicherheit
terwegs war. Solche und ähnliche Ordnungswidrigkeiten
entziehen sich einer Berechenbarkeit, denn wie bitte soll
man vorausahnen, wann und
wo selbsternannte Luftfahrtpioniere auf die Idee kommen,
neue Rekorde aufzustellen und
dabei leichtfertig bestehende
Regelwerke außer Acht lassen?
Die überwiegende Anzahl der
Modellsportler verhält sich
dementgegen regelkonform, allein schon aus reinem Modellerhaltungstrieb. Dafür sorgen
mehrere Faktoren, die alle in
die gleiche Richtung wirken
und sich somit positiv verstärken. Zunächst einmal ist klar
festzustellen, dass die Mehrzahl der „alltäglichen“ Flugmodelle geringe Spannweiten
aufweist (Motormodelle überwiegend so um die 160 cm
Spannweite;
Hubschrauber
mit etwa gleich großem Rotordurchmesser; Segler warten
selten mit mehr als drei Meter
Spannweite auf). Solche Modelle vereinigen die Vorteile
geringer Anschaffungskosten,
einfachen Transports und
Handlings, sind aber für Flüge
in großen Höhen ungeeignet,
da sie schnell die Sichtgrenze
erreichen. Zudem macht es
einfach mehr Spaß, mit motorgetriebenen Modellen tief zu
fliegen, da sie so wesentlich besser präsentiert werden können.
Das trifft auch auf die Turbinen getriebene Jets und Hubschraubermodelle zu. Segel8
flugmodelle sind in großen
Höhen nicht nur von starken
Winden gefährdet, die zu einer strukturellen Überlastung
führen können, sondern auch
von thermischen Aufwinden,
die durchaus geeignet sein können, ein Modell auf Nimmerwiedersehen im Orbit verschwinden zu lassen. Wie auch
immer – ein Verlust ist stets
eine ärgerliche Angelegenheit,
auch wenn nur ein paar hundert Euro futsch sind. Daher
manövriert man bevorzugt in
Höhen, die garantieren, alles
unter Kontrolle zu haben, was
den meisten Piloten ohnehin
gut gefällt. Insgesamt ist also
festzustellen, dass sich eine
günstige Höhenstaffelung zur
„Konkurrenz“ der personentragenden Lfz quasi von allein
ergibt. Und die Riesenvögel?
Klar – ein Segelflugmodell mit
neun Metern Spannweite kann
ohne Schwierigkeiten in 700
Metern Höhe geflogen und
dabei noch deutlich vom Boden aus erkannt werden. Aber
Modelle der Superlative sind
selten, dafür sind sie ja Superlative. Superlativ ist dann auch
der Preis. Hier muss erst eine
fünfstellige Eurosumme gezahlt werden, bevor der Jungfernflug in Sichtweite kommt.
Folglich hat der stolze Besitzer
einer solchen „Orchidee“ selbst
das größte Interesse, den Vogel
wieder heil nach Hause zu
bringen, und wird daher jedes
vermeidbare Risiko meiden.
Nun könnte dennoch ein besonders ängstlicher Privatpilot
auf die Idee kommen, bei der
Vorbereitung eines Überlandfluges die Lage von Modellflugplätzen zu berücksichtigen, um
bloß nicht darüber hinweg zu
knattern. Hier muss es bei der
guten Absicht bleiben, denn
Modellfluggelände sind in keiner für die Streckenplanung
nutzbaren Luftfahrtkarte eingezeichnet. Werfen wir nun
aber einen Blick in das von der
Deutschen Flugsicherung herausgegebene Luftfahrthandbuch VFR und schlagen ein
paar Sichtflugkarten auf, so
gelangen wir zu der Erkenntnis, dass Modellflugplätze dort
sinnvollerweise sehr wohl vermerkt sind und zwar solche
innerhalb und außerhalb von
Kontroll- und Flugplatzschutzzonen.
Während wir die vertikale
Komponente der Frage „Ja, wo
fliegen sie denn?“ bereits weiter oben beantwortet hatten,
liefern diese Karten zumindest
für die Nahverkehrsbereiche
die Antwort bezüglich der horizontalen Verteilung (siehe
VAD Köln/Bonn auf der folgenden Seite).
Schlusswort
Der Volksmund neigt zu der
Aussage, dass für die Teilnahme
am Luftverkehr alles geregelt
sei und dass demzufolge eigentlich nichts passieren könne.
Jawoll – dem Regelungsbedarf
01-2013
ist Rechnung getragen worden
mit Gesetzen, Paragraphen,
Verordnungen, Anweisungen
etc. Daran halten sich (fast)
alle, und deshalb ist die Fliegerei
eine recht sichere Angelegenheit, wie es dieser Artikel darstellt. Nun ist das Wörtchen
„eigentlich“ ein viel benutztes
Füllsel und verkehrt eine Aussage oft ins genaue Gegenteil.
Hier bedeutet es, dass sehr
wohl etwas passieren kann
und dann auch noch etwas
Unangenehmes, das wehtun
kann und im schlimmsten Fall
das Leben frühzeitig beendet.
Wer will das schon? Daher gilt
mehr denn je: Augen auf zum
SEE AND AVOID. Auch das
ist eine Regel, aber darüber
hinaus ein lebenserhaltender
Grundsatz, ein Motto, wenn
nicht sogar Gesetz, also immer
gültig, ausnahmslos. Verfahren
wir danach!
Holm- und Rippenbruch!
Modellflugplatz
Modellflugplatz
Modellflugplatz
VAD Köln/Bonn
9
Flugsicherheit
Tod am Morgen
von Hauptfeldwebel
Steffen Werking-Eckes,
WtgWaStff/JaboG 33,
TE Ausbildung & Standardisierung
„Tiger 01 and Tiger 02, you
are cleared for Take-off”.
So ertönte die Freigabe
zum Start zweier F-15 C
Eagle der USAFE in Spangdahlem um 8:26 Uhr, an
einem durchwachsenen
Morgen des 30. Mai 1995,
auf der Spangdahlem Air
Base in der Eifel.
F-15 C Eagle
Major Donald Lowry und sein
Wingmann rollten nach erfolgter Startvorbereitung aus
ihren Sheltern auf die Startbahn
in Spangdahlem. Nach erfolgreicher Freigabe des Towers
schoben beide Piloten der
Zweierformation ihre Leistungshebel in die vorderste
Position, um die Triebwerksleistung auf maximalen Schub
zu erhöhen. Beide F-15 beschleunigten zur sogenannten
„Rotation“, um das zu dieser
10
Zeit leistungsfähigste Kampfflugzeug der US-Luftwaffe in
die Luft zu bewegen. Was sich
in jenem Moment ereignete,
ließ alle Beobachter in eine
Schockstarre verfallen. Tiger
02 zog wie gehabt seine F-15 in
den morgendlichen Himmel.
Tiger 01 hingegen driftete,
brach nach dem Abheben nach
links aus und überschlug sich.
Die F-15 brannte fast völlig
aus. Major Lowry verlor bei
diesem Unglück sein Leben.
01-2013
Flugunfall am 30. Mai 1995
Wie bei der Bundeswehr begannen nun auch bei der US-Luftwaffe die Recherchen zum Unfallhergang und zur Ermittlung
der Unfallursache. Untersuchungen und Recherchen dieser Art sind sehr umfangreich
und können sich über Monate
erstrecken. Dies wurde mir erst
richtig nach meinem FSMLehrgang in Fürstenfeldbruck
bewusst. Bei derartigen Ermittlungen in der Bundeswehr besteht ein Grundsatz als oberstes
Gebot: Bei der Unfalluntersuchung wird die Ursache ermittelt und nicht die Schuldfrage.
Bei tödlichen Unfällen muss
die Staatsanwaltschaft ermitteln, die eventuelle Schuldfrage
ist dann ihre Angelegenheit.
In diesem Fall, wenn man den
Recherchen glauben mag, hat
man den Verdacht, dass die Ermittler unter allen Umständen
einen Schuldigen für diese Tragödie finden mussten. Diesen
hatte man während der insgesamt eineinhalbjährigen Untersuchung schnell gefunden.
Als Unfallursache wurden vertauschte Gestänge für Höhenund Querruder der verunglückten Maschine festgestellt.
Um eine Inspektion der Tankanlage durchzuführen, hatten
zwei Techniker die besagten
Gestänge vor Abflug gelöst.
Nach erfolgreicher Inspektion
des Tanks wurden die Gestänge wieder von denselben Technikern montiert. Fataler Weise
falsch herum! Dieser Fehler
wurde von beiden Technikern
nicht bemerkt bzw. erkannt,
begünstigt dadurch, dass sich
die Gestänge weder farblich
noch baulich voneinander unterscheiden. Dieser Umstand
bringt mir direkt den Flugunfall
mit der CH-53 in Mendig ins
Gedächtnis. Bei diesem Unfall
verloren drei Bundeswehrsoldaten ihr Leben. In diesem
Fall wurden zwei Hydraulikleitungen vertauscht.
Jeder kennt das Sprichwort
„Aus Fehlern lernt man“, auch
wenn sie noch so tragisch sind.
Im Jahre 1986 und 1991 ereigneten sich bei der US-Luftwaffe
zwei Zwischenfälle, die dem
tragischen Flugunfall in Spang11
Flugsicherheit
dahlem fast bis ins kleinste
Detail glichen. Bei zwei unterschiedlichen Verbänden mit
F-15C wurden die besagten
Steuergestänge vertauscht. Man
erkannte schnell, das hier
dringender Handlungsbedarf
bestand. Um eine sichere Lösung zu finden, fasste man die
Erkenntnisse umgehend in
einem High Accident Potential
Report zusammen. Dieser HAP
wurde nie umgesetzt bzw. weiterverfolgt. Dann geschah der
tragische Flugunfall in Spangdahlem.
Einige Beweismittel der Flugunfalluntersuchung wurden
den besagten Technikern aus
Spangdahlem vorgeführt. Ein
Beweismittel war für einen der
beiden Technikern offensichtlich so niederschmetternd, dass
er der folgenden Militärgerichtsverhandlung in Spangdahlem fern blieb. Die Tragödie verschlimmerte sich, als
man die Militärpolizei auf den
ferngebliebenen
Techniker
ansetzte. Die Militärpolizei
fand ihn schließlich nach einiger Zeit in einem Waldstück
unweit der Spangdahlem Air
Base. Der mittlerweile aus den
USA angereiste Vater sowie die
anderen Angehörigen konnten
nur noch informiert werden,
dass sich der Vermisste das Leben genommen hatte.
Es war erwiesen, dass beide
Techniker die Steuergestänge
verwechselten und ihre – fehlerhafte – Arbeit mit Taschen12
lampe und Spiegel anschließend eigenständig prüften.
In der deutschen Luftwaffe stellt dies eine unzulässige
Arbeitsfolge dar, da bei uns
die durchgeführten Arbeiten
speziell von ausgebildeten
Prüfern des jeweiligen Fachbereichs überprüft und abgenommen werden. Die abgenommenen Arbeiten werden
üblicherweise nach erfolgreicher Prüfung dokumentiert.
Im Laufe der Ermittlungen
kamen weitere niederschmetternde Erkenntnisse ans Tageslicht. Während der Startvorbereitung von Tiger 01 im
Flugzeugschutzbau machte keiner der anwesenden Techniker
den Piloten darauf aufmerksam, dass die Steuerausschläge
seines Flugzeugs nicht korrekt
waren. Für uns Luftwaffentechniker in Deutschland
wiederum ein eigentlich undenkbarer Vorgang. Während
der Startvorbereitung wird
ein sogenannter „FCS-Check“
durchgeführt. Hierbei werden
alle Steuerflächen des Luftfahrzeugs in die vorgeschriebenen
Stellungen gefahren und dies
von einem Techniker visuell
von außen überprüft und dem
Piloten über Funk mitgeteilt.
Kurz nach dem Gerichtsverfahren in Spangdahlem wurde
ein solches Verfahren auch bei
der USAF eingeführt. Ebenfalls wurde festgestellt, dass
während der morgendlichen
Startvorbereitung im Flug-
zeugschutzbau 25 % der Beleuchtung ausgefallen war. Zu
diesem Zeitpunkt in den frühen Morgenstunden ist dies
ein mehr als kritischer Aspekt.
Eine Verkettung unglücklicher
und vermeidbarer Umstände
führte wie so oft auch zu diesem Flugunfall im Mai 1995.
Dieser Flugunfall und die
nachfolgende Tragödie hätte
mit großer Wahrscheinlichkeit
verhindert werden können.
Folgende Faktoren waren entscheidend:
- Es gab bereits zwei identische
Vorfälle mit vertauschten
Steuergestängen, die durch
einen „Potentiellen Gefahrenhinweis“ aufgezeigt, aber
nicht weiterverfolgt wurden.
-Durchgeführte
Arbeiten
wurden von derselben Person geprüft. Hier sollte die
Überprüfung durch eine
dritte Person vom Fachbereich (Prüfer) erfolgen.
- Ein sogenannter FCS-Check,
der Falschausschläge der
Steuerorgane
aufgedeckt
hätte, war nicht vorgeschrieben.
- Ausfall der Beleuchtungsanlage im Flugzeugschutzbau.
Hier ist gerade in der Dämmerung und bei Nacht eine
ausreichende Beleuchtung
sicherzustellen.
01-2013
Geschichten
aus dem
Fehlermeldesystem
High to low – too low?
Zeichnung von OSFw Ingo Paul Dierkes
In der Sprache der Piloten gibt
es eine ganze Reihe von Merksätzen, die von teils Poesiebegabten geschaffen wurden, um
einfache fliegerische Sachverhalte anhand eingängiger Formeln verinnerlichen zu können. Ob sie immer sprachliche
Meisterwerke sind, sei dahin-
gestellt. Aber sie dienen der Sicherheit und haben damit ihre
Existenzberechtigung.
Wir alle kennen beispielsweise
die Formel: Dead foot – dead
engine! Sie wendet sich an die
Luftfahrzeugführer, die Starrflügler mit mehreren Triebwerken fliegen dürfen, und
erinnert schlicht daran, das Seitenruderpedal auf der Seite des
Triebwerksausfalls zu entlasten
(tot zumachen), um gleichzeitig das andere Pedal umso
kräftiger zu treten, damit das
Giermoment neutralisiert werden kann. Nun lässt sich diese
Formel zugegebenermaßen nur
13
Flugsicherheit
äußerst holprig in die Sprache
der Dichter und Denker übersetzen, und das tut ja auch nicht
Not, weil alle Luftfahrzeugführer das Englische aus dem Effeff beherrschen. Ein anderer
Merksatz lautet: From high to
low – watch below! Hier bleibt
in der künstlerisch freien deutschen Übersetzung sogar der
Reim erhalten, wenn auch aus
dem bloßen Vorsichtshinweis
(watch below) eine unheilvolle
(typisch deutsche) Prophezeiung wird: „Vom Hoch ins Tief
gehts schief!“ Es muss nicht
schiefgehen, kann aber, wenn
die Besatzung oder der Pilot
im Single Seater vergisst, die
Standardhöhenmessereinstellung von 1.013 Hektopascal
(hPa) auf einen örtlichen tieferen Luftdruck umzustellen.*
Pro 1 hPa Differenz ergibt sich
* Ganz vereinfacht dargestellt verhält es sich so, dass bei Flügen in
Höhen von mehr als 5.000 Fuß
über dem Meeresniveau der Höhenmesser auf den Standardluftdruck von 1.013 hPa eingestellt
wird. In größeren Höhen verliert
die Gefahr, mit Hindernissen zusammenzustoßen, an Bedeutung.
Dafür wird es wichtiger, einen
sicheren vertikalen Abstand zu
anderen Luftfahrzeugen einzuhalten. Dies ist wesentlich einfacher
und damit auch sicherer, wenn alle
hoch fliegenden Luftfahrzeuge die
gleiche Bezugsgröße verwenden,
eben die Höhenmessereinstellung
von 1013 hPa.
14
eine Abweichung von ca. 30
Fuß zwischen der barometrisch
angezeigten und der tatsächlichen Flughöhe; der Höhenmesser zeigt also eine größere
Höhe an als die tatsächlich
geflogene. Natürlich tritt eine
Abweichung im umgekehrten
Fall auch auf, wenn der örtliche
Luftdruck über 1.013 hPa liegt
und keine Höhenmesserumstellung erfolgt. Dann fliegt
man höher als angezeigt. Das
klingt nicht ganz so schlimm,
kann es aber doch sein, da die
vertikale Staffelung zu anderen Luftfahrzeugen nicht mehr
korrekt ist. Low to high – look
into the sky!
Nun zum Kern der Sache: In
den vergangenen Monaten ist
es in der Bundeswehr in auffälliger Häufigkeit vorgekommen,
dass Luftfahrzeugführer (LFF)
einsitziger Luftfahrzeuge vergaßen, eine erforderliche Höhenmesserumstellung vorzunehmen. Besonders anfällig für
diesen Fehler sind LFF, die von
zweisitzigen Luftfahrzeugen
kommend umgeschult wurden.
Wir glauben, dass dies damit
erklärt werden kann, dass die
LFF die gewohnte Arbeitsteilung im Cockpit noch nicht
vollständig „abgeschüttelt“ haben und an sich bewährte Verhaltensmuster in den Single
Seater übertragen. Nun ist es
dort aber so, dass ein Einziger
alles allein machen muss – dazu
kommt noch, dass der zweite
Mann (oder Frau) als Korrek-
tiv oder „Erinnerer“ schlicht
nicht mehr vorhanden ist und
Fehler somit leichter unentdeckt bleiben.
Folgendes war geschehen: Eine
2-Formation musste zur Landung einen Ausweichflugplatz
in Deutschland anfliegen, der
von ausländischen Streitkräften betrieben wird. Dabei ergab sich die Notwendigkeit, die
taktische Nummer 2 zuerst anfliegen (und landen) zu lassen,
da dieses Luftfahrzeug nur
noch über eine geringe Restkraftstoffmenge verfügte. Der
Landeanflug erfolgte mit Unterstützung des InstrumentenLandesystems (ILS). Während
des Anfluges teilte die zuständige Flugverkehrskontrollstelle
der Formation dreimal den
aktuellen örtlichen Luftdruck
(QNH 998) mit, den die taktische Nummer 1 auch korrekt
wiederholte. Die Nr. 2 verpasste jedoch die Höhenmesserumstellung und bemerkte
den Fehler erst kurz nach dem
Aufsetzen auf der Landebahn.
Dort hätte die Anzeige etwa
auf 781 Fuß stehen müssen –
das hätte richtigerweise der
Flugplatzhöhe über Normal
Null (NN) entsprochen. Tatsächlich zeigte der Höhenmesser ein um 450 Fuß höheren
Wert an, also so um die 1.230
Fuß.
Der LFF gab später an, eine
hohe Arbeitsbelastung, einseitige Konzentration auf den
01-2013
ILS-Anflug und eine Abweichung von der Routine (Ausweichen zum Ausweichflugplatz) hätten zu dem Fehler
geführt.
Glück gehabt – nix passiert!
Aber vielleicht nur, weil ein Präzisionsanflug gewählt wurde,
wobei die Informationen über
das ideale Anflugprofil vom
Boden geliefert werden und
völlig unabhängig von Höhenmessereinstellungen sind.
Dennoch hätte im Verlauf des
Anfluges auffallen müssen,
dass irgendetwas nicht stimmt,
denn selbstverständlich ist die
Information, die der Gleitwegsender liefert, mit dem barometrischen Höhenmesser
auf Plausibilität zu prüfen und
das Ganze in Abhängigkeit von
der Entfernung zum Aufsetzpunkt. Wenn das Anflugprofil
also beispielsweise fordert, bei
einer Entfernung von sieben
Meilen zum Aufsetzpunkt eine
(barometrische) Höhe von
2.700 Fuß zu passieren, dann
kann bei einem halbwegs sauber geflogenen ILS eine Anzeige von 3.150 Fuß nie und nimmer ins Bild passen. Fällt der
Fehler bis zum Erreichen der
Entscheidungshöhe nicht auf,
dann hilft auch der Blick auf
den Radarhöhenmesser nicht,
denn der zeigt die erwarteten
200 Fuß (über Grund) an. Ist
die Landebahn nun in Sicht,
erfolgten die letzten Sekunden
vor dem Aufsetzen nach Sicht
und alles schien OK.
Bei einem Nichtpräzisionsanflug hingegen beschert eine
falsche Höhenmessereinstellung wie oben dargestellt eine
brandgefährliche Situation und
liefert drehbuchartig die Voraussetzungen zu einem Controlled Flight Into Terrain
(CFIT). Bedenkt man, dass bei
einem straight-in approach die
Minimum Obstacle Clearance
(MOC) zwischen Final Approach Fix und Missed Approach
Point (MAP) nur 245 Fuß**
(75 Meter) betragen muss,
dann wird klar, wie schnell
diese Sicherheitsmarge aufgebraucht sein kann. Es leuchtet
zwar noch ein, dass niemand
mit einem fröhlichen Lied auf
den Lippen gegen ein Hindernis fliegt, das bei guten Sichtbedingungen klar zu erkennen
ist. Aber unter Instrumentenflugbedingungen ist eben
nichts zu erkennen, und es
gibt keinerlei Feedback, das die
Besatzung auf den Fehler aufmerksam macht. Die Anzeige
des Radarhöhenmessers wäre
nur über flachem Gelände,
idealerweise bei einem Anflug
über Wasser sinnvoll zu nutzen und scheidet damit in der
Praxis oft aus. Nun liegt die
Mindestsinkflughöhe (Minimum Descend Altitude, MDA)
für Luftfahrzeuge der Bundes-
wehr bekanntermaßen deutlich über der MOC; das macht
den Anflug aber auch nur mit
der korrekten Höhenmessereinstellung sicher. Interessant
ist noch zu erwähnen, dass mit
einem Fehler von 450 Fuß bei
einem
Standardanflugprofil die MDA etwa 1,5 Meilen
vor dem festgelegten MAP erreicht wird, wenn man so weit
kommt!
Wie kann verhindert werden,
dass die Höhenmesserumstellung vergessen oder eine
falsche Einstellung vorgenommen wird?
- Sitzen zwei Besatzungsangehörige im Cockpit, ist eine
gegenseitige Überwachung
relativ leicht sicherzustellen.
- Bei Formationsflügen kann
sich der Lead das QNH von
den anderen Formationsfliegern bestätigen lassen.
- Ist das QNH nicht verstanden worden, sollte der Controller gebeten werden, es zu
wiederholen.
- Nach Umschalten auf Tower-Frequenz sollte man
sich das QNH zumindest
bei Nichtpräzisionsanflügen
noch einmal bestätigen lassen.
Wenn Sie weitere Vorschläge
haben, teilen Sie sie anderen
** Quelle: ICAO DOC 8168, Pro- mit!
cedures for Air Navigation Services-Aircraft Operations (PANS
OPS)
15
Flugsicherheit
Hypoxia
von Major Peter Maurer,
überarbeitet von
OSFw d. R. Karl Heinz Weiß,
LwA Abt FlSichhBw
Im Frühjahr des Jahres
1988 befanden sich zwei
Alpha Jet des JaboG 43 auf
einen Überlandflug von
Montijo/Portugal nach
Cameri/Italien. In zwölf
Kilometern Höhe, tief
im spanischen Luftraum,
stellte der Rottenflieger die ersten Anzeichen
für Sauerstoffmangelerscheinungen fest. Durch
den
Sauerstoffmangel
bestand die akute Gefahr
einer Ohnmacht.
16
Nachdem ihm die Probleme
seines Rottenfliegers bekannt
waren, leitete der Rottenführer unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ein. Durch
die umsichtige Unterstützung
und Mobilisierung letzter eigener Kräfte gelang es dem
Rottenflieger die Flughöhe von
35.000 ft zu verlassen und auf
dem 50 km entfernten Flugplatz Getafe bei Madrid sicher
zu landen.
Der Flugzeugführer erinnerte
sich an diesen Zwischenfall.
Seine Erinnerung daran wurden in der Geschwaderzeitung
„MOIN“ des JaboG 43, Ausgabe 27, unter den Titel „Gedanken zu einem Überlandflug“
veröffentlicht, den wir im Folgenden zitieren:
Blau und diesig spannte sich
der Himmel über Montijo bis
hin nach Lissabon, das fast im
Dunst verschwand. Kaum ein
Lufthauch wehte über dem
portugiesischen Militärflugplatz, der genau gegenüber Lissabon liegt.
01-2013
Obwohl es erst März war, betrug die Lufttemperatur schon
morgens um 11.00 Uhr 25°C.
Was für ein Unterschied zu
Deutschland, wo wir am Vortag losgeflogen waren. Den
Vorabend verbrachten wir in
Albacete bei recht niedrigen
Temperaturen und nun waren
wir hier in Portugal. Diese wenigen Wochen im Jahr, wo es
hier unten grünt und blüht, bevor der heiße Sommer die Erde
verbrennt und fast alles verdörren lässt. Hier, direkt am Tejo,
war der Frühling voll durchgebrochen, die Luftfeuchtigkeit
relativ hoch.
Wir planten unseren Flug zurück ins nachwinterliche Europa, nämlich nach Cameri in
Norditalien, direkt neben Mailand.
Viele Freunde hatten wir in
Montijo getroffen, alles alte
Bekannte aus den vielen Jahren
zuvor. Vor allem Piloten der
G.91-Staffel waren fast schon
Intimfreunde, die man vier- bis
fünfmal pro Jahr regelmäßig
traf. Wir wurden zum Flugzeug
begleitet und herzlich verabschiedet. Man sah sich ja in drei
Monaten wieder beim großen
Tiger Meeting in Italien.
Im Cockpit war es warm.
Durch die Glaskanzel fielen die
Sonnenstrahlen senkrecht auf
den Körper. Das Kabinendach
hatte ich einen spaltbreit geöffnet, bis endlich die Clearance
kam und wir Startfreigabe erhielten.
Es war kurz nach 15.00 Uhr,
als der erste von zwei Alpha
Jets abhob. Zehn Sekunden
nach dem Anrollen meines
Rottenführers löste ich die
Bremsen zum Start zu einem
Flug, den ich sicherlich niemals
in meinem Leben vergessen
werde.
Lissabon hatte uns eine Flugfreigabe bis Flugfläche 350 erteilt. Nach dem Start schloss
ich zu meinem Rottenführer
auf und flog eine sogenannte
Loose formation, etwa vier bis
fünf Flugzeugbreiten links neben ihm.
Links unter uns tauchte Alcochete Range auf. Wie oft waren wir hier unten schon von
Beja aus zum Luft-Boden-Schießen gewesen. Keine Wolke
weit und breit. Der Himmel
wurde mit zunehmender Höhe
dunkelblauer, die Sicht war fast
unendlich. Leise summte der
Alpha Jet, mit dem ich schon
zwei Flüge auf dieser Überlandstrecke absolviert hatte, vor
sich hin. Alle Systeme arbeiteten perfekt. Das Navigationssystem gerade dieser Maschine
war äußerst genau. Bei den
letzten beiden Flügen war die
Navigationsablage gleich Null.
Ich kontrollierte den Kurs des
Rottenführers, der nach den
Informationen meines Systems
exakt und präzise den geplanten Weg und Kurs einhielt. Zwischen den beiden
Maschinen wurde kaum gesprochen, wir kommunizierten
durch einfaches Kopfnicken
miteinander.
Nach zwanzig Minuten hatten wir unsere Reiseflughöhe
und auch fast gleichzeitig den
Grenzübertrittspunkt
nach
Spanien erreicht.
Es war ruhig im Cockpit. Die
Maschine arbeitete zuverlässig
wie immer. Die Ruhe wurde
durch die Übergabe an Madrid
Control unterbrochen. Zwei,
drei Sätze, den nächsten Anflugpunkt, dann war wieder
Stille. Die Ruhe übertrug sich
auch auf den Körper. Zu phantastisch und eindrucksvoll war
wieder einmal das Panorama
von hier oben. Flüsse, Täler,
Berge, der dunstige Horizont,
der fast nicht wahrnehmbar
war, gab einem das Gefühl von
Erhabenheit und auch Stolz, so
etwas erleben zu dürfen.
Wie lange hatte ich so gesessen
und sinniert? Der Arm lag auf
dem Oberschenkel, der Körper
war ganz ruhig und entspannt.
Ich musste meinen Arm mal
bewegen, er kribbelte leicht.
Ich hob ihn an und nahm die
Gashebel wieder in die Hand.
Ich musste sowieso leicht aufholen, da ich etwa in einem
45°-Winkel zu meinem Rottenführer flog. Kabinendruck
16.000 Fuß, Sauerstoffvorrat
acht Liter. Der kleine weiße
Blinker bewegte sich. Ein Routine-Check. Was war denn mit
dem linken Arm? War er etwa
tatsächlich vorhin auf dem
Oberschenkel eingeschlafen?
17
Flugsicherheit
Die Finger der linken Hand
bewegten sich, ich spielte mit
dem Air-to-Air-Knopf, der im
Head-Up-Display die Symbologie veränderte. Ich schaltete
verschiedene Funktionen, ließ
mir mal die Machzahl, mal den
Groundspeed, mal die Indicated
Airspeed anzeigen. Im Declutter
Mode verschwanden die Horizontlinien, im Standby-Visier
konnte ich die Absenkungen in
MILS beobachten. Verdammt!
Das Kribbeln hätte doch längst
aufhören müssen. Die linke
obere Handfläche war ganz
heiß!
Ich rieb mir die Hand, die Finger der rechten Hand waren
taub, fühlten sich pelzig an.
Das gab es doch nicht!
Die Erkenntnis der Ursache
trieb mir den Schweiß ins Gesicht. Ein Schweißtropfen lief
ins rechte Auge, salzig brennend.
„Alex!“ Ich funkte den Rottenführer an.
„Was ist los?“
„Alex, ich muss runter!“
Meine Hand fuhr zum Sauerstoffregler und schaltete alles
nach vorne.
„Was ist los?“
„Ich habe Sauerstoffprobleme,
ich muss sofort landen!“
Ich hatte endlich eine Entscheidung getroffen. Wie lange
war es her, dass ich fast unbewusst den oben angesprochenen Routine-Check durchgeführt hatte? Warum war er
mir so deutlich im Gedächtnis
18
geblieben? Hatte ich ganz tief
in meinem Innern schon eine
Vermutung wegen des zu jenem Zeitpunkt leichten Kribbelns gehabt?
„Power 82 %, let’s start the descent! Bist du in 100 % und
Emergency?”
„Klar!“
„Wie geht es Dir?“
Ich schaute nach draußen. Da
war kein Blau mehr, sondern
Grau. Die Maschine des Rottenführers erschien unscharf
in diesem Grau. Langsam bewegte ich den Kopf nach innen. Ich konnte die 82 % nicht
mehr ablesen. Der künstliche
Horizont war noch einigermaßen klar. Ich freute mich, dass
er in der oberen Hälfte auch
grau war.
„Wie geht es Dir?“
„Schlecht, ich muss landen, lies
mir die Checkliste vor!“
„Power idle, speed brakes go!”
Meine Maschine senkte sich
nach vorne durch. Ganz ruhig
hatte ich den Gashebel zurückgenommen und die Luftbremsen gesetzt. Meine Gedanken
unterhielten sich miteinander:
„Wie sollte ich denn noch
landen können, wo ich doch
so müde war?
Wenn Du nicht landen
kannst, musst du dich als
letzte Konsequenz eben hinausschießen. Nein, ich schieße mich nicht hinaus.
Hinten im Kofferraum ist
noch mein elektrischer Rasierapparat, der mir bisher immer
so wertvolle Dienste geleistet
hat! Wo waren wir nicht
schon überall? Malaga, Murcia, Kleine Brogel. Sogar kanadischen Strom verträgt er.“
„Pit zieh den Green Handle!“
„Allerdings ließ er in letzter
Zeit doch etwas nach. Wenn
er ganz mit Strom aufgefüllt
ist, kann man sich nur noch
zweimal mit ihm rasieren.
Früher hat er eine Woche
durchgehalten.“
„Pit, zieh den Green Handle!“
Meine linke Hand schlug gegen
das Kabinendach: Ich hatte irgendetwas weiches, wabbeliges
in der Hand. Ein eisiger Luftstrom fuhr mir ins Gesicht,
strömte an meinen Ohren
vorbei und schlug hinten im
Nacken zusammen. Was war
denn das? Ich sah meinen Rottenführer rechts vor mir. Seine
Maschine hob sich klar und
deutlich gegenüber der Erde
ab. Ich atmete tief durch. Die
Erkenntnis, was geschehen
war, traf mich wie ein Keulenschlag.
„Pit, pull!“
Ich sah die Nase des Führerflugzeuges nach oben gehen.
Mechanisch tat ich dasselbe.
Die Belastung von 2 g war
zuviel für mich. Benommen
sackte ich im Sitz zusammen.
Was war jetzt los? Jetzt benimmst du dich so, wie du
es immer gelernt hast! Jetzt
kann nichts mehr sein, du
weißt es doch! Es ist nicht so,
wie ich es immer gelernt habe.
01-2013
Bei einer kleinen Linkskurve
trat sofort ein Taumelgefühl
auf. Der Audio-Warnton riss
mich aus den Gedanken. Fast
automatisch drückte ich ihn
aus.
„Pit, wie geht es Dir?“
„Nicht gut. Ich muss sofort
landen!“
„Ram air open, mask disconnect!“
Gehorsam befolgte ich die Anweisungen des Rottenführers.
Seit wir den neuen Helm hatten, funktionierte das mit der
Maske nicht so, wie es in der
Checkliste mit der alten Maske stand. Man musste erst die
Visiere hochfahren, um die
Maske entfernen zu können.
Gleißendes Licht drang in
meine Augen. Ich klappte das
Sonnenvisier wieder herunter.
„Siehst Du Getafe?“
„Nein!“
Bei der erneuten Linkskurve
wurde mir wieder taumelig. Ich
riss mich zusammen, konzentrierte mich. Wir schwenkten
in einer Rechtskurve auf das
Initial von Getafe ein.
„Easy left break, dann Landing!“
Ich schwenkte mit etwa 45°
Schräglage nach links ab und
setze die Speed Brakes. Links
unter mir sah ich die Landebahn von Getafe und die Häuser der Stadt, die bis fast an den
Flugplatz herangehen. Fahrwerk, Klappen, brake check,
BIP check und dann in einer
leichten Linkskurve Richtung
Landebahn. Das Aufsetzen,
Abbremsen und Ausrollen geschah wie immer.
Überall blinkten die Warnlichter der Feuerwehr und
Krankenwagen, viel Personal
stand an der Abzweigung, an
der ich von der Landebahn
rollte.
Auf der zugewiesenen Abstellfläche vor dem Tower stand
kein Wart. So ließ ich die
Triebwerke laufen, machte
ganz automatisch den Afterlanding check und öffnete das
Kabinendach.
Plastisch, wie eine Narbe, hatten sich die letzten zehn Minuten in mein Gehirn gefressen.
Keinen einzigen Gedanken
dieser zehn Minuten werde ich
je in meinem Leben vergessen.
Die Möglichkeit zu sterben
war gerade eben zur Gewissheit
geworden. Diese Erkenntnis
schockierte mich. Ich machte
mir Vorwürfe. Wie konnte mir
das passieren? Warum hatte
ich in der kritischen Phase an
meinen Rasierer und nicht an
die Familie gedacht?
„Pit, stell die Triebwerke ab!“
Ich schaute nach rechts. Die
Maschine meines Rottenführers rollte neben meinen Alpha Jet. Tiefe Dankbarkeit
überkam mich. Dieser Mann
da drüben hatte mir gerade das
Leben gerettet. Triebwerke
abstellen, abschnallen, rausklettern. Schon standen wir
uns gegenüber, klopften uns
gegenseitig auf die Schultern,
und es folgte das erste Lachen.
Ich nahm den Kopf leicht zur
Seite, dann stärker und immer
stärker. Das Taumelgefühl
war weg! Mein Rottenführer
schaute mich etwas merkwürdig an. Ich stellte mich auf
ein Bein und schloss die Augen. Ich fiel nicht um, meine
Sinnesorgane funktionierten
wieder. Als ich die Augen wieder öffnete, schaute ich in die
Sonne. Tief und fest saugte ich
diese warmen Strahlen, dieses
Leben in mich hinein.
Anmerkung
Die Ursache für die Hypoxia
konnte nicht ermittelt werden.
Die Untersuchungen der Sauerstoffanlage des Flugzeuges
einschließlich des Sauerstoffconverters wie auch der Atemmaske und des Sauerstoffes
waren ohne Befund.
Dieser Vorfall zeigt eindringlich, wie wichtig es ist, die
Symptome einer Hypoxia zu
kennen und richtig zu deuten.
Die „Kammerflüge“ im Flugmedizinischen Institut haben
schon ihren Sinn.
Gerade in einem Einsitzer gibt
es kein weiteres Regulativ, das
unterstützen kann oder seinerseits die Symptome erkennt.
Das Stöbern im Archiv der
Dienststelle bringt oft „alte
Kamellen“ zum Vorschein, die
jedoch an Aktualität nichts
verloren haben.
19
Flugsicherheit
Laserblendungen
von
LtCol Jefferey Anderson,
LwA Abt FlSichhBw
Anzahl der Laserangriffe
Im vergangenen Jahr
2012 wurden 33 Mal Luftfahrzeugbesatzungen
bzw. Luftfahrzeuge der
Bundeswehr von Lasern
angestrahlt. In 31 von
33 Fällen wurde ein grüner Laser benutzt. Alle
Blendungen bis auf eine
geschahen innerhalb des
deutschen Luftraums.
Insgesamt hat sich zwar die
Anzahl von Laserblendungen
verringert, die Rate jedoch hat
sich aufgrund der geringeren
Gesamtflugstunden leicht erhöht. Die gleiche Tendenz
zeichnet sich im zivilen Flugbetrieb in Deutschland wie auch
weltweit ab. Ein Hauptgrund
für diese Entwicklung ist darin
zu sehen, dass leistungsstärkere
Laser immer einfacher und billiger erworben werden können.
20
Anzahl der
Laserangriffe
Flugstunden Bw
Rate
2012
2011
2010
2009
2008
33
34
16
3
1
97.616
104.005
128.998
140.339
152.416
3,7
3,3
1,2
0,2
0,1
Wie bereits in den Vorjahren erfolgte die Mehrheit von Laserblendungen beim Flug in niedrigen Höhen, nachts unter
Sichtflugbedingungen,
mit
einem relativ nahen Abstand
zu besiedelten Gebieten. Lediglich bei drei Zwischenfällen,
zweimal während des Sonnenaufgangs und am Vormittag so-
01-2013
wie einmal in einer Höhe von
34.000 Fuß im internationalen
Luftraum, wichen die Blendungen von dieser Charakteristik ab. Diese drei Beispiele verdeutlichen, dass die fliegenden
Besatzungen jederzeit und
überall einer Laserblendung,
auch zu ungewöhnlichen Tageszeiten und in allen Höhen,
ausgesetzt sein können.
Folgende Diagramme fassen
die Laserblendungen im Jahr
2012 bezogen auf den Wochentag, den Luftfahrzeugtyp und
die Tageszeit sowie in Bezug
auf Sonnenuntergang und das
Ende der Dämmerung zusammen. Eine Karte verweist auf
die Orte, von denen die Laserblendungen ausgingen, ausgenommen der Fall im Internationalen Luftraum, der sich in
der Nähe von Kreta ereignete.
Orte der Laserangriffe 2012
Laserblendung
grüne Laser - stark
grüne Laser - schwach
rote Laser - stark
rote Laser -schwach
21
Flugsicherheit
Das Diagramm in Bezug auf
die Tageszeiten rechts unterstreicht, dass sich die Mehrheit
von Blendungen innerhalb
einer Stunde vor und nach
der Dämmerung ereigneten.
Es weist aber auch auf eine
Konzentration der Laserblendungen im Frühjahr und
Herbst hin, deutlich weniger
Fälle ereignen sich in den
Hochsommermonaten. Ein
später Sonnenuntergang und
damit auch ein spätes Ende
der Dämmerungsphase verringern nicht nur die Nachtflugaktivitäten der Bundeswehr
in diesen Monaten, auch das
Interesse für gezielte Laserblendungen verringert sich
offenbar bei den Tätern. Die im
Frühsommer und im Winter
2012 häufig vorherrschenden
Instrumentenflugbedingungen
reduzierten zudem noch zusätzlich die Gelegenheiten für
Laserblendungen.
Damit die Täter von Laserblendungen gefasst werden können,
ist eine enge Zusammenarbeit
mit den Strafverfolgungs- und
den Zivilluftfahrtbehörden erforderlich. Luftfahrzeugbesatzungen sollten jederzeit vorbereitet und in der Lage zu sein,
einer Laserblendung angemessen zu begegnen. Da derzeit
noch kein technischer Schutz
vor Laserblendungen zur Verfügung steht, beschränken sich
die Hinweise zur Minimierung
von Gefahren auf die richtige
22
Anwendung von Schutzhand- - das sofortige Melden an die
lungen.
aktuelle Flugsicherungskontrollstelle mit der Angabe
Zurzeit werden folgende grunddes eigenen Standortes und
legende Maßnahmen empfohder Laserquelle.
len:
- Zügiges Abwenden von der Die Bundeswehr steht im enLaserquelle (diese Hand- gen Kontakt zu nationalen und
lungen müssen bewusst trai- internationalen Forschungsniert werden, da der Mensch gremien, die an einem besseren
instinktiv in Richtung einer Schutz vor Laserblendungen
Lichtquelle sehen will!),
arbeiten. Gleichzeitig beteiligt
- eine Richtungsänderung ent- sich GenFlSichhBw zusammen
gegengesetzt der Laserquelle mit den Polizeien des Bundes
einleiten (wenn möglich),
und der Länder an einer Wei-der zügige Abbruch an- terentwicklung und Verbessespruchsvoller Flugmanöver, rung der Meldewege und In- das Warnen der anderen Be- formationsweitergabe an die
satzungsmitglieder,
Strafverfolgungsbehörden.
- die Übergabe der Steuerung
an ein nichtbetroffenes Besatzungsmitglied (wenn dies
möglich und nötig ist),
- die Augen abschirmen,
- die Cockpit-Beleuchtung auf
eine höhere Stufe einstellen
und
01-2013
Der Faktor Mensch
in der Unfall- und Zwischenfalluntersuchung
von
OSFw d. R. Karl Heinz Weiß,
LwA Abt FlSichhBw
mit freundlicher Unterstützung vom
Bundessprachenamt SMD 11 LwA
Spaceshuttle Challenger am 28. Januar 1986
Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „The origins of Human
Factors in aviation incident and accident investigations” by David
Adams, der in der Ausgabe 02/09 der australischen Flugsicherheitszeitschrift „Aviation Safety Spotlight“ veröffentlicht wurde.
Der Begriff Human Factors (menschliche Faktoren) hat seine Wurzeln
in der Fliegerei. Obwohl
er bereits in Unfalluntersuchungsberichten
der Royal Air Force in den
1940er Jahren auftaucht,
wurde er 1957 erstmals
formell verwendet und
ist in der jüngeren Vergangenheit in unser Bewusstsein eingetreten.
Es ist ein Irrglaube, dass die
ausdrücklich zur Verbesserung
der Flugsicherheit vorgenommenen Unfall- und Zwischenfalluntersuchungen eher auf die
Identifizierung und Bestrafung
der Personen abzielen sollen,
um die Schuld an der Verursachung dieser Vorkommnisse
festzustellen. Ebenfalls ist es
falsch, dass moderne Untersuchungen von menschlichen
Faktoren lediglich den Schul-
digen dabei helfen, sich vor der
Verantwortung für ihr Handeln zu drücken.
Diese Vorstellungen widersprechen völlig dem Zweck einer
Unfall-/Zwischenfall-Untersuchung, deren Ziel es ist, derartige Vorkommnisse zukünftig zu verhindern und damit die
Flugsicherheit zu verbessern.
Durch die Untersuchungen
von menschlichen Faktoren
wird in vielen Fällen bestätigt,
23
Flugsicherheit
dass die Menschen, die Unfälle
bzw. Zwischenfälle verursacht
haben, Opfer ihrer eigenen
menschlichen Schwächen wurden. Die Untersuchungen sollen dabei helfen, die Beziehung
zwischen dem menschlichen
Bediener, der Technik und der
Umwelt zu optimieren. Ziel
ist es, die besten Eigenschaften von Menschen mit den
besten Eigenschaften der Entwicklung und Konstruktion,
Erhaltung, Handhabung und
Bedienung von Systemen (Gerät, Ausbildung, Verfahren,
Management etc.) mit der Absicht zu koppeln, Bedienfehler
zu verhindern oder zumindest
zu reduzieren.
Während des Ersten Weltkriegs dokumentierte das britische Royal Flying Corps, dass
von jeweils 100 beim Fliegen
zu Tode gekommenen Fliegern
nur zwei durch Feindeshand
getötet wurden, acht aufgrund
mechanischer oder struktureller Ausfälle ihres Luftfahrzeugs starben und neunzig als
Folge von etwas umkamen,
das als persönliche Unzulänglichkeit bezeichnet wurde.
Das führte dazu, dass die militärische Führung sich recht
bald entschloss, dieses krasse
Missverhältnis zu ändern.
Während bereits in einem sehr
frühen Entwicklungsstadium
der Luftfahrt erkannt wurde,
dass nicht alle Menschen gleichermaßen fähig dazu waren,
ein Luftfahrzeug erfolgreich zu
24
fliegen, befand sich das Wissen um die Eigenschaften und
Beschränkungen menschlicher
Leistungsfähigkeit auf keinem
hohen Niveau.
Infolge intensiver Beobachtung der großen Vielfalt an
Menschen und dementsprechend an menschlicher Leistung wurden Methoden entwickelt, mit denen Menschen
mit den für das Fliegen von
Luftfahrzeugen
geeigneten
Fertigkeiten und Einstellungen
ausgewählt werden konnten.
Auf der Grundlage zahlreicher
unterschiedlicher
Kriterien
stellen diese Auswahlverfahren
heute einen mehr denn je wichtigen und wissenschaftlichen
Vorgang dar. Es wurde aber
auch festgestellt, dass selbst
nach einer Auswahl derjenigen
Kandidaten, die über die für
erforderlich gehaltenen Eigenschaften verfügten, diese trotzdem noch Fehler machten,
die zu Unfällen bzw. Zwischenfällen führten.
Viele dieser Vorfälle wurden
auf einen Mangel an Ausbildung zurückgeführt, und so
wurde die Pilotenausbildung
ein Schwerpunkt in der Eingrenzung menschlicher Leistungsvariabilität,
besonders
als die Luftfahrzeuge größer,
schneller und komplexer wurden.
Im gleichen Zeitraum verfeinerten die Ingenieure ständig
das Design und die Konstruktion ihrer Luftfahrzeuge. So
wurden Piloten und Luftfahrzeuge in ihren Leistungsbeschränkungen eher miteinander kompatibel. Während
sich die Human Factors in den
Bereichen der Ergonomie, Pilotenselektion und Ausbildung
weiterentwickelten, wurde immer deutlicher, dass menschliches Versagen und Unfälle in
der Luftfahrt mit Vorgängen
wie dem Urteilsvermögen, der
Erkenntnis und den Sinneswahrnehmungen der Piloten
zusammenhingen. Aufgrund
dieser Tatsache machten die
Human Factors zunehmend
starken Gebrauch von einem
Bereich, der heute allgemein
unter der Bezeichnung „Luftfahrtpsychologie“ bekannt ist.
Mitte der siebziger Jahre verlagerte sich das Hauptaugenmerk bei den Human Factors
hin zur Betrachtung weiter
gefasster Bereiche. Beispiele
für die umfassendere Ausrichtung bei den menschlichen
Faktoren lassen sich in den
Nachwirkungen einer Reihe
von Flugunfällen in den frühen
siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts erkennen, wie z. B.
bei dem Unfall eines Lockheed
L-1011 TriStar der US Eastern Airlines am 29. Dezember
1972. Hierbei war die gesamte
Cockpit-Crew damit beschäftigt, die Ursache für das Aufleuchten einer Fahrwerkwarnleuchte herauszufinden, ohne
auf den Warnton zu hören, der
01-2013
sie darauf hinwies, dass die Sicherheitshöhe unterschritten
wurde. Die Besatzung unterließ es, die Fluginstrumente
während der letzten vier Minuten des Fluges zu überwachen.
Das Flugzeug schlug auf dem
Boden auf. 99 der insgesamt
176 Menschen an Bord kamen
dabei ums Leben.
Wie konnte es geschehen,
dass eine erstklassig ausgebildete und erfahrene Besatzung
unabsichtlich ein voll funktionstüchtiges Flugzeug in den
Erdboden steuerte, ohne zu
bemerken, was passierte? Die
einfache Antwort (die im National Transportation Safety
Board-Bericht gegeben wird)
lautet, dass die Besatzung durch
die Fahrwerkwarnleuchte abgelenkt war. Aus dieser Erklärung
ergeben sich aber weitere Fragen. Wieso waren alle drei Besatzungsmitglieder abgelenkt?
Und welche Maßnahmen
könnten ergriffen werden, um
zu verhindern, dass Besatzungen zukünftig abgelenkt
werden? Der Unfall der TriStar-Maschine und andere
ähnliche Unfälle führten erst
zu wissenschaftlichen Untersuchungen und nachfolgend zur
Entwicklung eines Ausbildungsprogramms, das ursprünglich als Cockpit Resource
Management (CRM) bezeichnet wurde.
Wenn man den bereits angesprochenen Unfall der TriStarMaschine betrachtet, so hätten
die Flugzeugführer definitiv
über genügend Human Ressources verfügen sollen, um sicherzustellen, dass das Problem
der Landeleuchte untersucht
wurde, während gleichzeitig
das Flugzeug sicher an sein Ziel
geflogen wurde. Es gab jedoch
keine klare Aufgabenverteilung. Deshalb versuchten alle,
das Problem der Landeleuchte
zu lösen. Niemand kümmerte
sich um das eigentliche Fliegen
des Flugzeugs.
25
Flugsicherheit
Bei der Entwicklung der CRMAusbildung lag der Schwerpunkt ursprünglich auf der
Cockpit-Crew. Die Kommunikation und ein gutes Ressourcenmanagement im Cockpit
ist von entscheidender Bedeutung. Die Probleme zwischen
der Cockpit-Crew und den
übrigen Besatzungsmitgliedern
sind jedoch von ebenso großer
Bedeutung. Ein großes, modernes Passagierflugzeug kann
mehr als 20 Flugbegleiter an
Bord haben, von denen jeder
eine kritische Rolle im Betrieb
des Luftfahrzeugs einnehmen
und heikle Informationen über
den Zustand des Flugzeugs erkennen kann. Darum entwickelte sich das Cockpit Resource
Management weiter zum Crew
Resource Management.
Heute richtet sich der Fokus
der Untersuchung nicht nur
auf die Handlungen Einzelner, sondern auch auf ganze
Personengruppen. So bildete
sich ein neues Konzept und
ein neuer Begriff heraus. Dafür verwendeten die Untersuchungsbehörden den Fachausdruck „Systemische Untersuchungen“. Dabei wird das
gesamte System betrachtet, das
den Betrieb des Luftfahrzeugs
unterstützt und das möglicherweise zu einem Vorkommnis
beigetragen hat oder darin verwickelt war, und nicht nur diejenigen Aspekte oder Personen,
die sich in unmittelbarer Nähe
des Ereignisses befanden. Diese
26
Veränderung hat einen weiteren Begriff hervorgebracht –
„Organisatorische Unfälle“.
Ein Beispiel für einen organisatorischen Unfall ist der Verlust
des Spaceshuttles Challenger
der amerikanischen National
Aeronautics and Space Administration (NASA) am 28. Januar 1986. Bei diesem Unfall
fiel unmittelbar nach dem Abheben ein Gummidichtring in
einem der FeststoffraketenStarttriebwerke aus; dies ließ
Flammen in den Haupttank
durchbrechen, was die Explosion des Shuttles verursachte.
Die Hersteller der Feststoffraketen-Starttriebwerke hatten
das Management der NASA
gewarnt, dass die Dichtringe in
den Starttriebwerken ausfallen
könnten, wenn die Lufttemperatur beim Start unter ein bestimmtes Niveau sinken sollte.
Tatsächlich war die Lufttemperatur am Tag des Unfalls
erheblich unter dem vom Hersteller spezifizierten Wert. Sowohl der Hersteller wie auch
die Ingenieure der NASA
selbst warnten den Chef der
Einsatzleitung davor, mit dem
Start fortzufahren.
Da es nach Meinung des Managements für die Zukunft der
NASA wichtig war, den wirtschaftlichen Erfolg des Spaceshuttle-Programms zu demonstrieren, wurden alle Bedenken
beiseitegeschoben.
Obwohl
die Ingenieure der NASA und
des Herstellers ihre Beden-
Defekter Gummidichtring in einem
der Feststoffraketenstarttriebwerke
ken äußerten, erklärte sich der
Hersteller – durch das Topmanagement der NASA bedrängt
– schließlich bereit, für den
Start zu unterschreiben.
72 Sekunden nach dem Abheben fiel ein Dichtring aus und
der Shuttle explodierte. Alle
Menschen an Bord kamen ums
Leben. Dieser Unfall war nicht
das Ergebnis der Handlungen
der Personen an den Schalthebeln des Shuttle, sondern
der Entscheidungsträger der
NASA-Führungsebene und der
Unfähigkeit der Organisation, ihre Sicherheitsverpflichtungen mit ihrem Betriebsumfeld in Einklang zu bringen.
Wie bereits erwähnt, waren die
Verluste des Royal Flying Corps
während des Ersten Weltkriegs anscheinend lediglich
auf zwei Problembereiche zurückzuführen – Versagen des
01-2013
Luftfahrzeugs und Versagen
des Piloten. Da die überwältigende Mehrheit der Ausfälle
den Piloten zuzuschreiben waren, galt das Hauptinteresse
der menschlichen Faktoren in
Luftfahrtuntersuchungen dem
Versagen der Luftfahrzeugführer, besonders einzelner –
nämlich derjenigen, die das
Pech hatten, in einen Unfall
oder ernsthaften Zwischenfall
verwickelt zu sein. Für die Gesellschaft war der Wunsch erkennbar, jemandem die Schuld
zuzuweisen. Zwar machen Piloten erkennbar Fehler, sie sind
aber nicht die Einzigen. Nur:
Fehler in der komplexen Welt
der Fliegerei führen zu schrecklichen Unfällen.
Als allgemeine Begründung der
meisten Flugunfälle wurde also
menschliches Versagen des Piloten angegeben. Die ausführlichere Erläuterung ging kaum
über Aussagen wie „der Pilot
versäumte es, die zugewiesene
Höhe einzuhalten“ hinaus.
Bis in die frühen 1980er Jahre
hinein erstellten nationale wie
auch internationale Unfalluntersuchungsbehörden solche
Berichte und gaben Informationen in Datenbanken ein,
in denen diese Terminologie
verwendet wurde. Es wurde
der Anschein erweckt, dass ein
Flugzeugführer in einem Vakuum operierte. Es entstand der
Eindruck, dass keine anderen
Personen bzw. Umstände je irgend etwas mit der Abfolge der
Ereignisse zu tun hatten, die zu
dem Unfall führten.
Als gutes Beispiel für eine Veränderung in der Wahrnehmung lässt sich der Unfall des
Airbus A300 vom Flug 587
der American Airlines in New
York City am 12. November
2001 (NTSB-Bericht AAR04/04) betrachten. Bei diesem Unfall brach unmittelbar
nach dem Start in New York
das Leitwerk des Flugzeugs ab.
Dies führte zum Absturz des
Flugzeugs, bei dem alle 260
Menschen an Bord sowie fünf
Menschen am Boden ums Leben kamen.
Im Verlauf der Ermittlungen,
deren Ergebnisse noch immer
stark umstritten sind, stellte
sich heraus, dass der Copilot als
Reaktion auf Luftturbulenzen,
die durch ein anderes Flugzeug
verursacht wurden, die Seitenruderpedale des Flugzeugs in
dem Versuch betätigte, die
Maschine zu stabilisieren. Er
bewegte das Seitenruder fünfmal hintereinander von einer
Endstellung zur anderen – eine
Maßnahme, die als Seitenruderumkehrung bezeichnet wird.
Diese Vorgehensweise ließ das
Leitwerk einfach abbrechen.
Anfangs fiel der Verdacht auf
den Hersteller und das Design
und/oder die Konstruktion
des Leitwerks. Wie konnte es
geschehen, dass das Leitwerk
eines modernen und relativ
neuen Linienflugzeugs einfach
abbrach? Die Untersuchung
ergab, dass die Seitenruderimpulse des Copiloten zur Überschreitung der Belastungsgrenzwerte des Leitwerks
führten. Es erschien vielen
im Luftfahrtgeschäft unmöglich, dass schon die einfache
Seitenruderumkehr in einem
modernen Düsenflugzeug zum
Abbrechen des Leitwerks führen konnte. So richtete sich
der Verdacht gegen den Flugzeughersteller. Der verwies im
Gegenzug jedoch darauf, dass
die Belastungsgrenzwerte für
das Seitenruder des betreffenden Luftfahrzeugmodells
dokumentiert waren. Airbus
seinerseits klagte die Ausbildung von American Airlines
an. Den Cockpit-Crews wurde
beigebracht, das Seitenruder
in Situationen wie derjenigen
von Flug 587 einzusetzen, um
die Flugbahn des Flugzeugs zu
korrigieren.
Die Fluggesellschaft erwiderte
darauf, nie vom Hersteller darauf hingewiesen zu sein, dass
wiederholte Seitenruderausschläge eine kumulative Belastungswirkung hätten, die dann
zu einer Überlastung führen
könnte. Es stellte sich dann heraus, dass dieser entscheidende
Hinweis für beinahe alle großen
Flugzeuge galt, unabhängig davon, wer sie hergestellt hatte.
Von dieser Erkenntnis waren
alle betroffen – die Hersteller,
die Luftfahrzeugzulassungsund Aufsichtsbehörden sowie
die Fluggesellschaften, die die
27
Luftfahrzeuge betrieben und
die Piloten ausbildeten. Inzwischen haben Airbus und
Boeing beide klare Warnhinweise bekanntgegeben, dass
wiederholte und exzessive
Seitenruderausschläge Kräfte
hervorbringen können, die die
Designgrenzwerte des Leitwerks überschreiten können.
Das wahre Ausmaß des Problems wäre möglicherweise
nicht erkannt worden, wenn
die Untersuchung nur zu dem
Schluss gekommen wäre, dass
die Konstruktion unzulässige
Belastungswerte erlaubt. Folglich wurden aber Maßnahmen
eingeleitet, um einen vergleichbaren Flugunfall zu verhindern.
Die meisten Unfälle sind nicht
nur einfach mit menschlichem
Versagen des Piloten zu begründen. Alle Faktoren, die
zu einem Unfall beigetragen
haben, sind zu identifizieren.
Einzelne Faktoren für sich
genommen führen oft zu unvollständigen und deshalb
unrichtigen Untersuchungsergebnissen. Wenn eine Untersuchung unvollständige bzw.
unrichtige Ergebnisse erbringt,
führt sie fast immer zu unrichtigen bzw unvollständigen Lösungen. Der erweiterte Fokus
bei den menschlichen Faktoren
hat jedoch vor allem für die Ermittler eine Reihe ganz eigener
Probleme nach sich gezogen.
28
Cockpit Voice Recorder, Flight
Data Recorder, Bänder der
Flugsicherungskontrolle, Verfahrenshandbücher und Aufzeichnungen von Managemententscheidungen können
zwar Daten liefern, aus denen
ersichtlich wird, auf welcher
Grundlage die verantwortliche
Person ihre Entscheidung getroffen hat.
Wenn derartiges Beweismaterial nicht zur Verfügung
steht, wird die Aufklärung
verschiedener Fragen aus dem
Bereich der Human Factors
jedoch deutlich subjektiver
als dies sonst in angewandten
Analysen der Fall ist. Die
Unfalluntersucher sind in
diesem Fall stärker darauf angewiesen, Anhaltspunkte zu
finden, die einen nachweislichen Zusammenhang von
Ursache und Wirkung zwischen einer Entscheidung oder
Handlung und einem Resultat
herstellen. Strittige Fragen aus
dem Bereich der menschlichen
Faktoren müssen entweder bewiesen werden oder sich zumindest auf Anhaltspunkte stützen, die für eine angemessene
Wahrscheinlichkeit sprechen.
Bestimmte Ereignisse müssen
mit bestimmten Ursachen in
Zusammenhang stehen.
Fazit
Das tiefe Eintauchen in den
Betrieb einer ganzen Organisation bietet großen Interpretationsspielraum. Indem man
systemische Untersuchungen
zu organisatorischen Aspekten
durchführt, die scheinbar weit
von einem bestimmten katastrophalen Ereignis entfernt
sind, kann man deutlich
wertvollere Erkenntnisse für
die Sicherheit gewinnen, als
wenn man sich lediglich auf
die Handlungen von ein oder
zwei Einzelpersonen konzentriert. Deshalb ist es wichtig,
zu untersuchen, warum und
wodurch sich ein Unfall ereignete und nicht nur, durch wen
er verschuldet wurde.
PA200 Tornado mit dem System ASSTA 3
Flugsicherheit
01-2013
Operational Test
& Evaluation
von Hauptfeldwebel
Steffen Werking-Eckes,
WtgWaStff/JaboG 33,
TE Ausbildung & Standardisierung
Im November 2011 wurde
mir die Ehre zuteil, für
das Vorhaben Assta 3 als
Projektunteroffizier
der Wartungs/Waffenstaffel JaboG 33 verantwortlich zu sein. Für
mich persönlich war dies
eine grosse Herausforderung, die ich sehr gerne annahm.
Im Januar 2012 folgte schon
die erste Vorbesprechung bei
der WTD 61, es wurde ein
kurzer Ausblick auf die dementsprechende
Umrüstung,
Auslieferung, Unterstützung
und das Großevent Vidsel in
Schweden gewährt.
Mit diesen Informationen ging
es wieder nach Hause, um das
Personalgerüst und den Materialbedarf für die Unterstützungsleistungen bei der WTD
61 zu planen, eine sehr arbeitsintensive und umfangreiche
Tätigkeit. Die Unterstützungsleistungen bei der WTD 61
waren nötig, um das tech-
nische und fliegende Personal
in das „neue“ System einzuweisen bzw. zu schulen. Für mich
begann die Vorbereitung mit
einer zweitägigen Schulung bei
der Firma Cassidian in Manching, um mich selbst auf das
System und die neue Bewaffnung vorzubereiten.
Einige Wochen später ging es
dann bei der WTD 61 mit den
Unterstützungsleistungen los.
Nach administrativen Dingen
und Einweisungen folgte der
erste Flug mit dem Luftfahrzeug
Tornado 45+57, ausgestattet
mit dem System ASSTA 3,
von uns liebevoll „Pride of the
29
Flugsicherheit
Fleet“ genannt. Nach dem Flug
konnte man die Erleichterung,
aber auch Begeisterung bei den
Technikern und den Besatzungen spüren. Aller Anfang ist
schwer, so hatten wir mit vielen
Verständnisfragen zu kämpfen.
Kleinere Störungen konnten
uns nicht aus der Bahn werfen. Die Probleme sollten aber
größer werden. Alle Luftfahrzeuge, die das Werk Manching
verlassen, wurden bzw. werden
clean, d. h. ohne Außenlast-träger, LAU etc., an die Truppe
ausgeliefert. Die besagten Träger werden von externen Firmen zugeführt, da auch diese
umgerüstet werden. Es kam,
wie es kommen musste, diese
Träger sind Mangelware. Man
rüstete also das, was verfügbar
war, in Zusatzschichten durch
die Technik ein! Eine Herausforderung, wenn man beachtet, dass wir für diese Arbeiten
30
eigentlich nicht in Manching
waren. So vergingen die Wochen, bis dann im September
das Operational Assessment in
Schweden auf dem Programm
stand, welches dem System
ASSTA 3 den letzten Schliff
und somit die Einsatztauglichkeit verleihen sollte.
Das Vorkommando flog von
Köln/Bonn nach Lulea und
erreichte nach 2:30 Flugzeit
den besagten Ort bei strahlend
blauem Himmel und optimalen Temperaturen. Wir empfingen unsere Autos, entluden
das Material aus dem Airbus
und machten uns auf den Weg
in das 120 km entfernte Vidsel,
welches circa 60 km südlich des
Polarkreises liegt. Nach einer
Fahrzeit von 1:30 h durch unberührte Wälder und Wiesen
erreichten wir unser Ziel. Hier
bezogen wir unsere Unterkünfte für die nächsten sechs
Wochen. Am Folgetag ging
es zum ersten Mal zur Vidsel
Air Base, um unser Material
aus Deutschland, welches per
Landtransport nach Schweden
gebracht wurde, auszuladen
und entsprechend den Verwendungen eine Einsatzsteuerung, Wartungbereiche, die
Elo-Staffel und die Instandsetzungsstaffel einzurichten.
Einige Tage später traf das
Hauptkommando ein, gleich
gefolgt von dem ersten Tornado
mit dem System ASSTA 3 sowie einen Erprobungsträger
der WTD 61, der ein besonderes Equipment verbaut hatte,
um die Einsatzprüfung optimal
auszuwerten. Ein Luftfahrzeug
musste die Anreise aufgrund
technischer Probleme auf die
Folgewoche verlegen.
Besonders bemerkenswert war
die Unterstützung durch die
Soldaten und Angehörigen
der Schwedischen Luftwaffe,
die uns bei allen Fragen oder
Problemen beispielhaft unterstützten und die versuchten,
alles möglich zu machen. Die
Einsatzprüfung konnte beginnen!
Was uns nun in den Folgewochen bevorstand, konnte niemand erahnen. Geplant waren
verschiedene Abläufe/Einsätze
auf der Test Range unweit des
Flugplatzes, um die neue Bewaffnung JDAM/LJDAM zu
testen. Zu diesem Zweck war
die Firma Boeing aus den USA
angereist, um die Zertifizierung
01-2013
der Abwurfmunition zu prüfen. Die folgenden Flüge
sollten verschiedene Aspekte
des ASSTA 3-Programms beinhalten. Nach den ersten Eingewöhnungsflügen warteten
wir bei dem ersten Umlauf
auf unser letztes Luftfahrzeug,
die 45+57. Während dieser
Wartephase kam einer unserer
1. Warte zu mir und teilte mit,
dass an einem Luftfahrzeug,
das vor 30 Minuten gelandet
war, ein Wirbelblech fehlte, ein
kleines Metallteil, welches am
Seitenleitwerk befestigt ist. In
genau diesem Moment ertönte
über Funk die Meldung: „Emergency... Emergency... Emergancy, German Tornado …!“
„Das fängt ja gut an!“, war mein
erster Gedanke. Am Horizont
erschien auch schon die 45+57
mit Problemen an der Fahrwerkanlage. Nach einem Überflug mit ausgefahrenem Fahrwerk machte man sich ein Bild
der Situation. „Kein Problem,
sieht gut aus, Luftfahrzeug
kann landen!“ Ich stand ebenfalls mit meinem Fahrzeug an
der Landebahn, um mir ein
Bild der Situation zu verschaffen. Das Luftfahrzeug landete
ohne Probleme und rollte auf
den zugewiesenen Stellplatz,
alles O.K., kein Grund zur Sorge. Doch irgendetwas plagte
mich, das ich mir hätte besser
notieren sollen, wie sich am
Folgetag herausstellen sollte.
Am Folgetag kam einer unserer
Prüfer zu mir und nahm mich
für ein kurzes Gespräch zur Seite. Er streckte seine Hand aus
und hielt ein kleines Metallteil in der Hand, welches man
beim Abfahren auf der Startbahn gefunden hatte. Dieses
Metallteil passte genau zu der
Beschreibung des fehlenden
Teiles, von dem am Vortag unser 1. Wart gesprochen hatte.
In diesem Moment malte ich
mir aus, was alles hätte passieren können. Die Mitteilung
über das fehlende Teil erfolgte
am Vortag fast gleichzeitig mit
dem Eingang der Luftnotlage.
Es liegt in unserer Natur, dass
unser Hilfedrang Vorrang vor
allem anderen hat. In der Position, in der ich mich befand,
war ich von beiden Situationen
gefordert und hatte es völlig
verdrängt, mir die Mitteilung
des 1. Wartes zu notieren. Eine
Lage, die mich immer daran erinnern wird, Situationen genau
zu bewerten und sie zu notieren. Leassons learned!
Im folgenden Verlauf des
Kommandos standen die ersten Abwürfe an, jedoch spielte
das Wetter nicht mit. Oft
standen unsere Luftfahrzeuge
startklar für ihren geplanten
Einsatz auf der Taxiway oder
Runway, wurden allerdings
vom Tower zurückgerufen, da
das Wetter auf der Test Range
zu schlecht war oder sich auf
der Base verschlechterte. Dies
zerrte an unseren Nerven, da
die Maschinen auch dementsprechend vorbereitet werden
mussten, Schleppvorgang zum
Stellplatz, Inspektion, Tankvorgang, Beladen etc. ... und
nach dem Abbruch das Ganze
zurück! Doch Petrus hatte für
Momente ein Einsehen, wir
konnten unsere ersten scharfen
Abwürfe durchführen, zwar
nicht bei optimalen Wetterbedingungen, aber gerade noch
ausreichend, um den Abwurf
zu dokumentieren. Das Wetter
wurde zunehmend schlechter,
der erste Schnee setzte ein und
im letzten Drittel des Kommandos waren Temperaturen
von -22° C zu verzeichnen.
Die Arbeit gestaltete sich dementsprechend schwierig, hinzu
kamen Störbehebungen und
kleinere Probleme, die ein solches Kommando auch mit sich
bringt. Wir konnten jedoch
aufgrund der Professionalität
des Personals unseren Auftrag
erfolgreich zu Ende führen,
auch wenn nicht alle Szenarien
wegen der besagten Probleme
durchgeführt werden konnten.
Das Zusammenspiel zwischen
Technik und den Besatzungen
war beispielhaft. Trotz der
schlechten Wetterlage und
der besagten Probleme konnte
man merken, dass das Team
Luftwaffe funktionierte. Der
Professionalität und Einstellung des Personals ist es zu verdanken, dass dieses Vorhaben
ein Erfolg wurde. Dennoch:
Meine Leasson learned habe ich
bis heute nicht vergessen!
31
Flugsicherheit
Wir verabschieden ...
Bei Oberstleutnant Joachim Stadler erfolgte nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik die Ausbildung zum LfzTOffz. In dieser Funktion arbeitete er von 1980
bis 1985 beim HFlgRgt 30 in Niederstetten, die letzten beiden Jahre als Leiter der
Prüfgruppe. Im Heeresamt war er vier Jahre lang als Dezernent für das WaSys PAH-2
(heute Tiger) für die Bereiche Flugwerk, Triebwerk und funktionelle Ausrüstung
tätig. Aus dem Süden kommend zog es ihn als Staffelkapitän nach Rothenburg, Wümme zur HFlgInstStff 102 (AL II), anschließend nach Rheine zur WtgStff im HFlgRgt 15
(CH-53). Von 1993 bis 2001 wurde er als Dezernatsleiter im MatAH in Bad
Neuenahr eingesetzt, wo er Versorgungsverantwortlicher für die Luftfahrzeugmuster
CH-53 G und UH-1D war. Als Dezernent im Heeresamt Köln war anschließend sein
Fachwissen in Bezug auf konzeptionelle Grundlagen für querschnittliche Fähigkeiten,
Schwerpunkt „Robotik“ und „Schutz von Kräften im Ausland“ gefragt. Ab dem
1. Januar 2005 war er verantwortlich in der Dienststelle GenFlSichhBw als
LfzTOffz für den Bereich Zelle der Luftfahrzeugmuster CH-53G, BO 105, UH Tiger, Al II und EC 135. Zum
1. April 2013 verlässt er die Bundeswehr nach 39,5 Dienstjahren und beginnt mit seiner Pensionierung einen neuen
Lebensabschnitt. Wir wünschen für die Zukunft alles Gute bei Gesundheit und Zufriedenheit.
Hauptmann Thomas Herrmann ist zum WaSysKdo IV 1 versetzt worden, er arbeitet dort im Kompetenzbereich Elektronische Kampfführung. Beim LwA Abt
FlSichhBw war er im Dezernat d zuständig für die Flugdatenauswertung der verschiedenen Luftfahrzeugmuster. Seit 1992 ist er bei der Bundeswehr, nach seiner
Grundausbildung in Mengen folgte stufenweise die Ausbildung zum 1 LfzRadStörAnlMechMstr (TE EloKa) im JaboG 35 in Pferdsfeld vom Januar 1993 bis Juli 1997
auf dem Luftfahrzeugmuster F-4F. Bis zum August 2000 wurde er nach Laage zum
JG 73 versetzt, wo er weiterhin in der Teileinheit EloKa tätig war, jetzt allerdings
zusätzlich zur F-4F auch für die MIG 29. Für den LaufbahnwechselOffzMilFD besuchte er ab August 2000 die Fachschule Feldafing. Zwei Jahre später wurde er zum
JaboG 33 in Büchel als LfzEloTO (HF-Bereich) versetzt. Zum Juli 2010 wechselte
er zum Luftwaffenamt, AbtFlSichhBw, und übernahm die Planstelle im Dezernat d,
Flugdatenauswertung-Avionik. Wir bedanken uns für die Unterstützung und wünschen für die Zukunft in der neuen Verwendung viel Erfolg und Freude.
32
Flugsicherheit
Heft 1 April 2013 – 50. Jahrgang
Flugsicherheit
In this issue
Article overviews in English by Lt Col Jeff “Otter” Anderson, USAF Exchange Officer and member of the German Armed Forces
Flight Safety Directorate. [email protected]
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
Okay, so where do they fly? // Ja, wo fliegen sie denn?
So what is the difference between a remote controlled model aircraft and an unmanned aircraft? Where, how high, how fast, and
in what airspace can they fly? This article answers all these questions and more. Some of the answers might make you a little uneasy,
but knowledge and good visual lookout habits are your best defense.
Titelfoto:Steve Urbanczyk
Kommando Strategische Aufklärungung
Death in the Morning // Tod am Morgen
At rotation during takeoff roll, the F-15 flipped over and crashed, killing the pilot, Major Donald Lowry. The accident in 1995 was
caused by cross-connection of control rods to the rudders and elevator. The unfortunate chain of events that led to this accident could
have been broken at several points but was not. The article describes key points where the mishap could have been prevented, and the
lessons from this accident remain relevant today.
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
Herausgeber:
Luftwaffenamt
General Flugsicherheit in der Bundeswehr
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203-9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
Stories from the Error Reporting System // Geschichten aus dem Fehlermeldesystem
Editorial 1
Ja, wo fliegen sie denn? 2
Tod am Morgen
10
[email protected]
[email protected]
Geschichten aus dem Fehlermeldesystem
13
Gestaltung:
Hypoxia16
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
Laserblendungen20
dreimonatlich
Faktor Mensch
Manuskripteinsendungen
Operational Test & Evaluation29
sind direkt an die Schriftleitung zu richten.
Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen
nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung
oder des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge
abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren
Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen
(mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher
möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Begrüßen & Verabschieden 23
32
In this issue33
Due to a lower fuel state, number two of the two-ship of single seat fighters was the first to land from the ILS through IMC conditions
at the divert field. On roll-out, Number 2 realized his altimeter showed an incorrect altitude and that he had not set the local altimeter. Nothing bad happened, but the potential was certainly there. Thankfully, he reported this in the anonymous Error Reporting
System and we can all learn from his experience. Can you draw out the right lessons?
Hypoxia
This story details what happened to the wingman of a two-ship of Alpha Jets on their way at 35,000 ft as he slowly came to the realization that he was experiencing symptoms of hypoxia. The pilot’s symptoms and reactions are described in excellent detail. The
flight lead’s clear and direct instructions over the radio definitely helped save his life. This happened in 1988 but could easily happen
today. Are you ready? Do you remember your hypoxia symptoms?
Laser Incidents // Laserblendungen
How often, where, and when are aircraft in the German military being illuminated by handheld lasers? This article describes historical incident rates and provides several graphical representations of how these incidents played out in 2012.
The Human Factor // Der Faktor Mensch
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Flugsicherheit
Ausgabe 01/2013
Foto: Steve Urbanczyk, Kommando Strategische Aufklärung
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände

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