Welt am Sonntag August 2016

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Welt am Sonntag August 2016
WELT AM SONNTAG
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1. „ALTSTADT VIENNA“
IN WIEN
Ausgestellt wird alles, was dem Maître,
seinen Töchtern und seinen Mitarbeitern gefällt. Das „Boutique Hotel Altstadt Vienna“ ist seit 25 Jahren eine Institution im Wiener Bezirk Spittelberg,
nur fünf Minuten vom Museumsquartier entfernt. Es gehört dem leidenschaftlichen Kunstsammler Otto E.
Wiesenthal, der sich damit seinen
Traum erfüllt hat: Ein Ort für Gäste, der
zugleich Wohnung und Galerie ist. Unter den 300 im Hotel verteilten Werken
– teils sind es Leihgaben großer Museen,
teils sind sie im Besitz Wiesenthals – befinden sich Arbeiten von Friedensreich
Hundertwasser, Markus Prachensky, Arne Jacobsen, Ray und Charles Eames,
Andy Warhol. Auch Niki de Saint Phalle
ist mit einer ihrer berühmten „Nana“Figuren (Bild 1) im Hotel präsent.
KUNST als
Betthupferl
VON PATRICIA ENGELHORN
Ein Highlight ist der vom russischen
Künstlerkollektiv Zuk Club und dem österreichischen Maler Alexander Ruthner
opulent gestaltete untere Eingangsbereich. Die neue Lobby befindet sich in
der ersten Etage des 1902 errichteten
Patrizierhauses. Ein Portal aus Messing
empfängt die Gäste und führt sie direkt
zum Check. Alle 45 Zimmer und Suiten
auf fünf Etagen sind unterschiedlich gestaltet. Hier findet jeder Gast seinen Favoriten. Der Südtiroler Designer Matteo
Thun richtetet gleich mehrere Zimmer
im Stil des frühen 20. Jahrhunderts ein,
mit gebeiztem Eichenparkett, Kronleuchtern, Tapeten mit Damastmuster
und rotem Samtmobiliar. Gerade erst
fertig geworden sind die vom türkischen
Modedesigner Atıl Kutoğlu eingerichteten Räume mit orientalischen Elementen sowie die neue Suite in Andenken an
Designpionier Josef Frank – Hingucker
ist der stoffbezogene Schrank „522 Textile Mahagony“ von 1934.
www.altstadt.at, DZ ab 136 Euro
2. „LA COLOMBE D’OR“
BEI NIZZA
Die meisten Besucher kommen der
Kunst wegen in das mittelalterliche
Dorf Saint-Paul-de-Vence im grünen
Hinterland der Côte d’Azur, rund zehn
Kilometer westlich von Nizza. Ernsthaft Interessierte lockt die Sammlung
der Fondation Maeght, ihre fantastische
Architektur, der schöne Garten. Alle anderen wollen das Künstlerdorf sehen,
das malerisch hoch über der französischen Riviera thront. Das Hotel „La Colombe d’Or“ befindet sich an der Dorfeinfahrt, an einem Platz, auf dem Boule
gespielt wird. Vor knapp 100 Jahren
stand hier nur ein Restaurant mit drei
Gästezimmern, eröffnet hatte es Paul
Roux und frequentiert wurde es von
Künstlern, die während des Ersten
Weltkriegs aus Paris in den Süden
Frankreichs geflüchtet waren. Léger
und Braque zählten dazu, aber auch Calder, Picasso, Matisse und Chagall. Sie
arbeiteten auf der Terrasse oder im
Gastraum des Lokals und Paul Roux,
der Gefallen an ihren Werken fand, begann Kost und Logis gegen Kunst zu
tauschen.
Heute führen Paul Rouxs Enkel François und dessen Frau Danièle das Hotel,
das bei allem Luxus eine echte provenzalische Auberge geblieben ist. Es gibt
dort weder ein Spa noch ein GourmetRestaurant, dafür 25 ländliche Zimmer
und Suiten – und Kunst, wohin man
blickt. Am Pool steht ein Calder-Mobile,
anderswo ziert ein Braque-Mosaik eine
Steinmauer, die Räumlichkeiten schmücken Bilder Braques, Mirós und Picassos – von Letzterem hängt auch ein Foto im Speiseraum (Bild 2). Dazwischengeschummelt sind die Gemälde von
Paul Roux, dem das Hotel seinen Kunstschatz zu verdanken hat. Es heißt, es sei
Matisse gewesen, der ihn zum Malen
überredet hat.
www.la-colombe-dor.com, DZ ab 250 Euro
3. „ONE ALDWYCH“ IN
LONDON
Am Empfang steht Spencer und begrüßt
die Gäste. Wedeln kann er nicht, denn
Spencer ist ein Hund aus Pappmaschee,
ein innovatives und freches Kunstwerk
der Londoner Künstlerin Justine Smith.
Der bunte Vierbeiner mag zwar das erste Kunstwerk sein, das man im Hotel
„One Aldwych“ im Stadtteil Covent
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Um Werke von Andy Warhol, Jeff Koons oder
Damien Hirst zu sehen, kann man in Galerien
gehen. Oder in eines dieser Hotels, die fast
Museen sind – voller Kunstwerke und manchmal
sogar mit eigenem Kurator
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Garden zu sehen bekommt, aber es ist
bei Weitem nicht das einzige. In der
Lobby, die zugleich als Bar genutzt wird
und in der sich ab dem späten Nachmittag eine bunt gemischte und glamouröse Gesellschaft auf ein paar Drinks
trifft, steht die wuchtige Holzskulptur
„Boatman with Oars“ von André Wallace (Bild 3). Rund 350 Arbeiten von international etablierten Künstlern wie
Cecilia Vargas und Richard Walker, aber
auch von aufstrebenden jungen Talenten wie Joost Beerents und Emily Young
sind im 1907 errichteten ehemaligen
Verlagsgebäude der Londoner „Morning Post“ ausgestellt, sowohl in den öffentlichen Bereichen als auch in den 105
klassisch und komfortabel eingerichteten Zimmern und Suiten.
Im Restaurant „Indigo“, das sich auf
einer Galerie mit Blick in die Lobby befindet, hängt ein Werk von Tracey Davidson: „Toast for Breakfast, Toast for
Lunch, Toast for Tea and More …“ ist eine Montage aus 192 verbrannten und in
Wachs gebadeten Toast-Scheiben. Was
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ALTSTADT VIENNA/STROMBERGER PR; DAVID MAUPILE/LAIF; MAURITIUS IMAGES/ALAMY; ESPEN RASMUSSEN/VISUM; KUNSTHOTEL ALDIER
72 REISEN
NR. 34
21. AUGUST 2016
im demnächst eröffnenden zweiten Hotelrestaurant „Eneko at One Aldwych“
alles an Kunst gezeigt wird, ist noch ein
Geheimnis. Ebenso neugierig sind die
Londoner darauf, was ihnen der mit
drei Michelin-Sternen ausgezeichnete
Baske Eneko Atxa servieren wird.
www.onealdwych.com, DZ ab 430 Euro
4. „THE THIEF“ IN OSLO
Tjuvholmen steht zu Oslo wie die Hafencity zu Hamburg: ein urbanes Neubauprojekt, modern, kühl, leicht steril
und durchgestylt. Als Attraktion der
Halbinsel gilt das vom Star-Architekten
Renzo Piano gestaltete Astrup Fearnley
Museum of Modern Art mit seiner
Sammlung von Werken großer zeitgenössischer Künstler wie etwa Jeff
Koons, Damien Hirst oder Matthew
Barney. Das Hotel steht gleich nebenan,
und weil dessen Besitzer zu den Sponsoren des Museums gehört, darf es sich
wechselnde Werke ausleihen. Dazu
kommt eine permanente Kunstausstellung, für die das Hotel den ehemaligen
Direktor des Osloer Nationalmuseums
Sune Nordgren als Kurator verpflichtete. Er hat für jedes des 120 Zimmer Arbeiten von bekannten Künstlern ausgewählt, etwa die gigantische Lithografie
„Cowboy, The Horse Thief“ von Richard Prince, die die Lobby ziert (Bild
4). Auch sonst wurden keine Kosten gescheut, um den Gästen ein luxuriöses
Wohnerlebnis zu bescheren. Mobiliar
von Antonio Citterio, Tom Dixon oder
Patricia Urquiola, Pantoffel von Runa
Klock und Wolldecken der lokalen Designer Maggie Wonka und Røros Tweed
machen das „The Thief“ zu Skandinaviens teuerstem Hotel und schaffen ein
zugleich zeitgeistorientiertes wie zeitlos elegantes Ambiente. Wer sich zwischendurch mal nicht mit Kunst und
Design beschäftigen möchte, geht auf
die begrünte Dachterrasse des Hotels
und genießt die fantastische Aussicht
auf den Fjord und auf Oslo.
www.thethief.com, DZ ab 269 Euro
5. „PENSIUN ALDIER“
IM ENGADIN
Jeder hat schon einmal von Saint Moritz
gehört, vielleicht auch von Pontresina,
Samedan oder Scuol – aber Sent? Dabei
befindet sich dieses zauberhafte 900Einwohner-Dorf auch im schweizerischen Engadin, allerdings im Unterengadin, wo es deutlich bescheidener zugeht
als im berühmten Oberengadin. Gleich
beim Brunnen am Dorfplatz von Sent
steht die „Pensiun Aldier“. Der Name ist
bewusst tiefgestapelt, denn in diesem
Haus von 1865 mit Holzbalkonen und
Treppengiebel-Dach befindet sich eines
der feinsten Hotels der Region und sicher das ungewöhnlichste. Es gehört
dem Schweizer Carlos Gross, einem ehemaligen Unternehmer und Kunstliebhaber, der schon als Student mit dem Sammeln begann und eine besondere Leidenschaft für die Arbeiten des gebürtigen Graubündners Alberto Giacometti
entwickelte. Inzwischen besitzt er fast
das komplette grafische Werk des Künstlers und ein Hotel – eben das „Aldier“ –
in dessen Keller diese auf ihre Art einzigartige Sammlung zu sehen ist.
Doch Kunst hängt nicht nur an den
Gewölben unter der Erde, sondern
überall: In den 16 schlicht-schönen,
holzvertäfelten und in schnörkellosem
Alpenschick gestalteten Zimmern und
Suiten schläft man unter Original-Drucken von Hans Arp, Miró und Chillida.
In der britisch geprägten „Honesty Bar“
nimmt ein Gemälde des amerikanischen Künstlers Mark Beard fast eine
ganze Wand hinter tabakbraunen Ledersesseln ein (Bild 5). Im Foyer sind
Tier-Bronzen von Alberto Giacomettis
jüngerem Bruder Diego in Vitrinen ausgestellt. Neben den beiden Giacomettis,
die in großem Stil im „Aldier“ vertreten
sind, prägen die Arbeiten des Schweizer
Fotografen Ernst Scheidegger die Optik
der Räume. Der Anfang dieses Jahres
verstorbene Scheidegger war mit Carlos
Gross und mit den Giacomettis befreundet. Er hat die beiden Brüder, aber
auch andere Künstler wie Dalí, Miró,
Chagall oder Varlin, abgelichtet und viele dieser Porträts dem Hotelier überlassen. Carlos Gross hat sein Hotel übrigens seinen drei Lieblingskünstlern gewidmet. Der Name „Aldier“ ist aus der
Kombination von deren Vornamen entstanden: ALberto, DIego und ERnst.
www.aldier.ch, DZ ab 254 Euro

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