Vor fünf Jahren schnitt ein radikaler Muslim dem

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Vor fünf Jahren schnitt ein radikaler Muslim dem
Vor fünf Jahren schnitt ein radikaler Muslim dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh auf offener Straße die Kehle durch. Der Mord markierte den Durchbruch der Rechten und das Ende des liberalen Idylls aus Tulpen, Joints und Rasta-­‐Locken. Immerhin: Seit 2008 regiert ein Muslim Rotterdam. Von Sibel Sen Ahmed Aboutaleb war 15 Jahr alt, als seine Mutter 1976 mit ihm und seinen Brüdern in die Niederlande kam. Inzwischen gilt der Sohn eines Imams aus einem kleinen marokkanischen Bergdorf als "Obama von Rotterdam". Denn seit Oktober 2008 ist der mittlerweile 48-­‐jährige Aboutaleb Bürgermeister der niederländischen Hafenmetropole und das Paradebeispiel gelungener Integration -­‐ ein Erfolg, mit dem in den Niederlanden nach dem 2. November 2004 kaum noch jemand zu rechnen wagte. An diesem Tag um kurz vor neun Uhr morgens war der Filmemacher Theo van Gogh morgens auf dem Weg zur Arbeit ermordet worden. Der Täter hatte dem Regisseur des islamkritischen Streifens "Submission" aufgelauert, auf ihn geschossen, seinem Opfer dann die Kehle durchgeschnitten und ihm mit einem Messer eine Morddrohung an die islamkritische Politikerin Ayaan Hirsi Ali an den Brustkorb geheftet. Mit der Blutat im Amsterdamer Westen endete die Ära der scheinbar uneingeschränkten niederländischen Toleranz, die schon mir dem Mordanschlag auf den Rechtspopulisten Pim Fortuyn 2002 einen schweren Rückschlag erlitten hatte. Es begann eine kältere Ära, in der Ahmed Aboutalebs Einzug in das Rotterdamer Bürgermeisterbüro wie ein kleines Wunder wirkt. "Wer ist der nächste?", fragten niederländische Revolverblätter nach dem Mord an Theo van Gogh. Über Wochen hinweg wütete in dem 16-­‐Millionen-­‐Staat ein Kulturkampf, im Wortsinn: Zwanzig Kirchen und Moscheen wurden beschädigt, Schulen brannten, das ganze Land wurde von Anschlägen beider Seiten, rechter Ausländerfeinde wie radikaler Islamanhänger, heimgesucht. Viele Niederländer fühlten sich durch religiöse Fanatiker in ihrer Freiheit und Sicherheit bedroht -­‐ zugewanderte Muslime sahen sich plötzlich nie dagewesenem Hass gegenüber und fürchteten täglich die große Vergeltung für den symbolträchtigen Mord. Das Bilderbuchland der Toleranz hatte seine Unschuld verloren und geriet in eine tiefe Identitätskrise. Ende des Kuschelkurses Nach Umfragen aus den Tagen nach van Goghs Tod hielt über die Hälfte der Befragten den Islam für die große Bedrohung und die Niederlande für unangebracht liberal. Mit dem alten Kuschelkurs sollte endgültig Schluss sein -­‐ mit Coffee-­‐Shops und liberalen Drogengesetze, aktiver Sterbehilfe und Homo-­‐Ehe. Kurz: Der 2. November 2004 versetzt die Niederlande in den absoluten Ausnahmezustand, vergleichbar nur mit den USA nach dem 11. September 2001. Wenn ein scheinbar gut integrierter und gebildeter junger Mann wie der 26-­‐jährige van-­‐Gogh-­‐
Mörder Bouyeri, Sohn marokkanischer Eltern, einen Intellektuellen auf offener Straße regelrecht hinrichtet, dann geschieht das nicht im Affekt -­‐ etwas ist grundlegend schiefgelaufen. Hätte man die sich abzeichnenden Entwicklungen ernster nehmen müssen, fragten sich schockierten Niederländer. Es war das Mordopfer van Gogh gewesen, das davor gewarnt hatte, Muslimen in Holland unter Berufung auf die Meinungsfreiheit all zu viele Zugeständnisse zu machen. Und es hätte durchaus nahegelegen, sich Gedanken über Reaktionen auf van Goghs radikale Provokationen zu machen -­‐ spätestens nachdem der Regisseur angefangen hatte, von Muslimen als "geitenneuker" zu sprechen, als Menschen, die sexuelle Handlungen an Ziegen ausführen. Aber das liberale "laissez-­‐faire"-­‐Image war für die Niederländer gerade im weltoffenen Amsterdam, wo der Mord geschah, ein willkommene Ausrede, um Konflikten auszuweichen. Der Fluch des Imam Zugespitzt hatte der Konflikt sich bereits in den Monaten vor dem 2. November 2004. Zusammen mit der gebürtigen Somalierin und christdemokratischen Politikerin Hirsi Ali hatte Theo van Gogh im August 2004 den Film "Submission" produziert -­‐ er führte Regie, das Drehbuch war ein Gemeinschaftswerk. Der elfminütige Kurzfilm lief nur ein einziges Mal. Er zeigt eine junge Muslima, die dem Zuschauer die Rolle der Frau im Islam ausbreiten soll. Während des gesamten Films werden Koran-­‐Suren auf den transparent verschleierten Körper des Mädchens projiziert. "Submission" sorgte für Aufsehen und rief sofort heftig Kritik auf den Plan. Keinen Monat später verfluchte ein radikaler Imam in Den Haag die beiden Verantwortlichen -­‐ Bouyeri, van Goghs späterer Mörder, wohnte dieser Predigt bei. Der Filmemacher und sein Mörder lebten im gleichen Viertel: Amsterdam-­‐West, wo fast nur Zuwanderer wohnen. Am Morgen der Tat war van Gogh auf dem Weg ins Studio, um einen Film fertig stellen über einen Mann, den er in gewisser Hinsicht bewunderte: Pim Fortuyn. Der Rechtspopulist war am 6. Mai 2002 erschossen worden; genau 911 Tage später -­‐ für rechte Verschwörungstheoretiker seither Anlass für Spekulation über einen Zusammenhang mit den Anschlägen am 11. September 2001 -­‐ stirbt van Gogh. Sein Fortuyn-­‐Film lief später im niederländischen Fernsehen und bescherte dem toten Ausländerfeind eine zweifelhafte Welle posthumer Anerkennung. Anders als Fortuyn, der sich während seines politischen Lebens mit allen großen niederländischen Parteien überwarf und deswegen im Februar 2004 seine eigene Partei gründete, war van Gogh kein Rechtsaußen, kein Fanatiker, kein Mann des Hasses. Der Filmemacher war nur ein glühender Anhänger der Freiheit des Wortes, der uneingeschränkten Redefreiheit -­‐ koste sie, was sie wolle. Aus ganz unterschiedlichen Motiven wollten Fortuyn und van Gogh keine Rücksicht auf Tabus, Religion oder soziale Codes nehmen. Beide mussten deshalb sterben. Abschiebung statt Aufwertung Der Tod Theo van Goghs hat die Niederlande verändert. Bis heute steht er für den schmerzhaften Abschied von einem lange gepflegten gesellschaftlichen Ideal. Zwei Wochen nach van Goghs Ermordung sollten die Zuschauer einer Fernsehshow den größten Niederländer aller Zeiten küren. Volkshelden wie Rembrandt oder Johan Cruijf verloren gegen einen Mann, der noch Wochen zuvor nicht den Hauch einer Chance auf einen der vorderen Plätze gehabt hätte: Pim Fortuyn. Die hoch emotionale Debatte über Leitkultur, Zuwanderung und Integration, die auf van Goghs Tod folgte, stellte alles in Frage, was in Holland bis dahin als Konsens gegolten hatte. Auf die Politik für selbstbewusste Minderheiten, die Zuwanderer in der Tradition ihrer Kultur und Sprache förderte, folgte nun die große Abschiebungswelle. Lange vor Deutschland führten die Niederlande einen Einbürgerungstest und das ausdrückliche Bekenntnis zu Staat und Verfassung vor, forderte die umstrittene Integrationsministerin Rita Verdonk ein Burka-­‐Verbot und die Abschiebung aller Ausländer, denen es an Geld und gutem Willen mangele. Im Oosterpark in der Nähe des Tatorts erinnert seit zwei Jahren ein Denkmal an die Ermordung Theo van Goghs. Ein halbes Jahrzehnt nach dem Jahrhundertschock für die Niederländer haben sich die Wogen etwas geglättet. Aber es ist nichts mehr wie früher -­‐ die Gräben von damals sind geblieben. Hier und da blüht eine zarte Pflanze der Verständigung, Geschichten die Hoffnung machen, wie die des Rotterdamer Bürgermeisters Ahmed Aboutalebs. Der ausgebildeter Journalist hatte damals, in der schwärzesten Stunde der jüngsten niederländischen Vergangenheit etwas getan, was in jenem Moment niemand sonst einfiel: Er versuchte, die überhitzen Gemüter zusammenzubringen ohne die Probleme kleinzureden und warb für das Unabdingbare: Verständnis. Sein Einsatz bescherte ihm eine beispiellose kommunalpolitische Karriere. In Rotterdam, der Hochburg der niederländischen Rechten, hat man mit der Herkunft des neuen Stadtoberhauptes heute hauptsächlich ein Problem: Als langjähriger Wahl-­‐Amsterdamer ist der Sozialdemokrat Anhänger von Ajax, dem Erzrivalen des Lokalmatadors Feyenord.