Peter Bieri - philosophiekunst eV
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Peter Bieri - philosophiekunst eV
philosophiekunst Peter Bieri Biographie Peter Bieri, 1944 in Bern geboren und in der Schweiz aufgewachsen, studierte Philosophie, Anglistik und Indologie in London und Heidelberg. „Bei uns zu Hause gab es immer um halb eins Mittagessen. Die Leute kamen dann aus dem Büro, gingen wieder ins Büro. Und ich wußte eins ganz sicher: Dass das nicht das Leben war, das ich führen wollte, weil es ein Leben war, in dem es nicht um die wichtigen Dinge ging. Ich bin so in die Philosophie gegangen, wie jemand ins Kloster geht, nämlich um sein Leben mit den wichtigen Dingen zu verbringen.“, sagte Bieri im November 2006 in einem Interview mit der Zeitschrift „Cicero“. Bieri war Mitbegründer des Forschungsschwerpunktes „Kognition und Gehirn“ bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 1993 lehrte er Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er gilt als ein führender Vertreter der Analytischen Philosophie, die sich der nüchternen Sprachanalyse und Begriffsklärung verpflichtet sieht. Bieri fühlte sich in den akademischen Gefilden der Universität nicht immer wohl. Enttäuscht über die Wichtigtuerei unter seinen Berufsgenossen entdeckte er für sich einen neuen Bereich: das Gebiet der Erzählung. Unter dem Pseudonym „Pascal Mercier“ veröffentlichte er bereits mehrere Romane, u.a. 2004 den Bestseller: Nachtzug nach Lissabon. Für Bieri ist seine literarische Tätigkeit kein Gegensatz zur Lehr- und Forschungstätigkeit in der Philosophie. Geht es in der Poesie um die Vergegenwärtigung von Erfahrungen, so in der Philosophie um Klärung von Gedanken. Doch fragt man den Menschen Bieri, wo er sich lebendiger und mehr zu Hause fühlt: in der literarischen Fiktion oder in den Gedankengebäuden der Philosophie, dann würde er sich für die Welt des Erzählens und Dichtens entscheiden. Bieri hat sich frühzeitig aus dem akademischen Wissenschaftsbetrieb zurückgezogen, um sich ganz dem Schreiben zu widmen und seine Sprachkenntnisse (u.a. Arabisch) zu erweitern. Sein neuester Roman „Lea“ ist soeben erschienen, allerdings von der literarischen Fachwelt heftig kritisiert worden. Im Folgenden werden die Kernthesen seines philosophischen Werkes „Handwerk der Freiheit“, erschienen 2001, zusammengefaßt. 1 Das Handwerk der Freiheit Prolog Gehen wir einmal davon aus, dass Philosophen da Probleme sehen, wo andere keine haben, dann sind wir dennoch nicht selten erstaunt, wenn wir uns auf die philosophischen Haupt- und Nebenwege begeben haben, dass wir die Probleme nicht auch schon vorher gesehen haben. Philosophen holen etwas an die Oberfläche, was uns im Alltäglichen normalerweise verborgen bleibt und dies kann dem Denken und Tun durchaus mehr Tiefe und Horizont verleihen. Im Prolog verunsichert uns Bieri zuerst einmal im Blick auf den Begriff der Freiheit: Die Welt ist eine für uns verständliche Welt, d.h. wir können die gesetzmäßigen Zusammenhänge alles Geschehen auf dieser Welt klären, auch die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unseres Handelns. Doch gerade für unser Handeln benötigen wir die Idee der freien Entscheidung, denn sonst könnten wir keinen für sein Tun zur Verantwortung ziehen. Es gibt also diesen Widerspruch zwischen der Bedingtheit allen Geschehens (Die Vergangenheit legt die Zukunft fest.) und der Freiheit, etwas neu und anders zu tun (Es gibt einen offen Raum der Möglichkeiten.). Bieri zeigt, dass dieser Widerspruch im Denken Auswirkungen auf unser Leben hat. Für den Philosophen sind diese Unklarheiten nicht der Endpunkt, sondern der Beginn der Philosophie. Erster Teil: Bedingte Freiheit In diesem ersten Teil zeigt Bieri auf - man kann noch nicht von einem Beweis sprechen - dass der Gedanke einer „bedingten Freiheit“ artikuliert werden kann und keinen Widerspruch enthält. Wie geht Bieri vor? Zuerst holt er die für das Thema relevanten Begriffe: Handlung, Wille, Handlungsfreiheit, aus ihrer „Normalität“ und verfremdet sie. Er „hantiert“ nicht mit den Begriffen, sondern befragt sie auf ihren Beitrag zur Erfahrung und zum Verstehen von Welt. Auf diese Weise erarbeitet Bieri ein erstes Netz von „geschärften“ sprachlichen Begriffen, die alle mit dem Thema Freiheit zusammenhängen, ja den Gedanken der Freiheit tragen. Neben der begrifflichen Analyse entfaltet dieser erste Teil das Gebiet der inneren Wahrnehmung und zeigt, wie eng das Verständnis der Idee der Freiheit mit dem Erleben im Inneren zusammenhängt. Mit vielen Beispielen appelliert Bieri an unsere Intuition und an unser Wiedererkennen: „Ja, so ist auch unsere Erfahrung.“ philosophiekunst e.V., Clevischer Ring 99, 51063 Köln, Tel: 0221 9646076, Mail: [email protected] philosophiekunst Es handelt sich jedoch nicht um willkürlich gewählte Beispiele, sondern es sind im Blick auf die Idee der Freiheit „notwendige“ Erzählungen. Zusammen mit der begrifflichen Analyse stecken diese den Rahmen des Verstehens ab. Jede Handlung hat einen Urheber, der von einem Willen geleitet wird, dem wiederum ein Spielraum von Möglichkeiten zur Verfügung steht. In diesem Spielraum der Entscheidung liegt für Bieri die Idee der bedingten Freiheit. Indem er das Terrain des Entscheidens sondiert, zeigt er die beiden Hauptkomponenten des Entscheidens auf: Phantasie und Selbsterkenntnis. Dies bedeutet, dass man in der Lage sein muss, sich mögliche Szenarien in seiner Phantasie auszumalen und von sich selbst Abstand zu nehmen, d.h. sich selbst gegenüber ehrlich und kritisch zu sein. In einem sehr interessanten Durchgang durch die Erfahrungen der Unfreiheit und der damit verbundenen Erfahrungen von Zeit erhärtet Bieri das bisher Gesagte. Erstes Intermezzo: Ideen verstehen - Erfahrungen verstehen Bieri zeigt auf, wie er bisher vorgegangen ist und setzt ein erstes Fazit: Die Freiheit des Willens verlangt seine Bedingtheit. Zweiter Teil: Unbedingte Freiheit Im folgenden Teil geht es um ein tieferes Verstehen für das Missverständnis der Idee einer unbedingten Freiheit. Zuerst werden zwei Motive für die Annahme einer unbedingten Freiheit genannt, die miteinander aufs engste verflochten sind. 1. Es gehört zu unserer Idee des Personseins, den freien Willen zu setzen. In mehreren Kapiteln werden nun Aspekte des Personseins zur Sprache gebracht. Jede Argumentation endet mit einem Syllogismus, z.B. zum Thema Urheberschaft: „Echte Urheberschaft im Tun und Wollen gehört zur Idee des Personseins. Dann gehört zu dieser Idee auch, dass Personen in ihrem Willen unbedingt frei sind, denn die bloße bedingte Freiheit gibt uns keine echte Urheberschaft. Und daher gilt: Wenn sich jemand als Person versteht, muss er sich in seinem Willen für unbedingt frei halten...“ (Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit, S. 199) Besonders die Argumentation in Bezug auf die Verantwortlichkeit einer Person liefert wesentliches Material für die Annahme einer unbedingten Freiheit. 2 2. Wir denken uns nicht nur, sondern erfahren uns in bestimmten Situationen als in unserem Willen freie Wesen. Hier wird auf das Erlebnis einer Distanzierung von uns selbst verwiesen und der damit verbundenen Intuition einer unbedingten Freiheit. In dem nun folgenden Abschnitt wird die Idee einer unbedingten Freiheit auf ihren Gehalt hin untersucht, d.h. es wird die Frage gestellt: Ist die Idee einer unbedingten Freiheit eine in sich stimmige und gehaltvolle Idee oder eine bloße Chimäre? Bieri kommt zu dem Ergebnis, dass der Begriff der unbedingten Freiheit unstimmig ist, keinen Gehalt hat und logisch falsch benutzt wird. Doch er zeigt weiter auf, dass diese Irrtümer nicht einfache Denkfehler sind, sondern eng mit bestimmten Formen unseres Umgangs mit der Sprache und dem Verständnis unseres inneren Dialogs zusammenhängen. Die Ausführungen über die Dramatisierung von Begriffen durch assoziative Aufladung sind besonders aufschlussreich. Bieri verweist hier auf unser unbewusstes Aufladen bestimmter Begriffe z.B. die Idee der Entscheidung mit der Assoziation der Ohnmacht. Die Annahme eines „reinen Subjekts“ als zweite innere Person rührt von einer Übertragung des Verstehens äußerer Phänomene auf die innere Erfahrung des Dialogs mit sich selbst. In einem weiteren Durchgang wird noch tiefer nach dem Grund des Irrtums einer unbedingten Freiheit gefahndet. Bieri beschreibt sehr genau die Erfahrung der inneren Entscheidungsfindung, z.B. das Versunkensein der Phantasie in die Szenarien der Möglichkeiten als ein Erleben des Überschreitens und der Unbedingtheit. Doch die Art und Weise des Erlebens dieser Form der Innerlichkeit, die hier zwar als der intuitive Hintergrund aller anderen Irrtümer ausgewiesen wird, ist kein Kennzeichnen der Freiheit. Zuletzt führt Bieri die Argumentation des Fatalisten an und entlarvt diese als falsch. philosophiekunst e.V., Clevischer Ring 99, 51063 Köln, Tel: 0221 9646076, Mail: [email protected] philosophiekunst Die nun folgende Explikation des Irrtums einer unbedingten Freiheit bezieht sich auf den Aspekt der Moralität, die in der Idee des Personseins verankert ist. In diesem Kapitel verwendet Bieri den Schreibstil des Dialogs, geführt als ein Gespräch zwischen Richter und Angeklagtem. Zuerst wird eine gemeinsame Sprachebene zwischen den Sprechenden hergestellt als Voraussetzung für jedes sinnvoll geführte Gespräch. Der engagierte Dialog zwischen Richter und Angeklagtem endet in der Gewissheit, dass auch im Rahmen einer bedingten Freiheit Verantwortung für die Entscheidungen gefordert werden darf und damit der Handelnde der allgemeinen Praxis des Richtens unterworfen ist. Zweites Intermezzo: Ideen missverstehen - Erfahrungen missverstehen Bieri trägt noch einmal das Gesagte zusammen und macht die Grundlagen philosophischen Denkens deutlich: sprachanalytische, argumentative und diagnostische Genauigkeit. Unser Sprechen über die Dinge wird präziser und das Erlebte erhält mehr Tiefe. Dritter Teil: Angeeignete Freiheit Im ersten Teil wurde die Idee des bedingten Willens als Freiheit der Entscheidung bereits artikuliert. Im zweiten Teil setzte Bieri neu an und entwickelte die Idee der Freiheit als gebunden an die Idee eines unbedingten Willens. Die Argumentation stellte sich als unstimmig und nicht gehaltvoll heraus. In dem dritten Teil werden die Thesen des ersten Teils weiterentwickelt und durch wesentliche Aspekte angereichert. Bieri geht davon aus, dass man sich Freiheit aneignen, d.h. erarbeiten muß. Drei Dimensionen der Aneignung werden unterschieden: die Artikulation des Willens, das Verstehen und schließlich die Bewertung des Willens. Durch die Artikulation des Willens wird der Wille äußerlich und dies hat wieder Rückwirkungen auf den Willen selber. Dies ist eine permanente Anstrengung, die ein immer größeres Terrain der Willensbildung eröffnet. Auch durch das Bemühen um ein richtiges Verstehen des Willens, seiner Bilder, Träume und Wünsche führt zu einem Zuwachs an Freiheit. Die Dimension des Bewertens ist geprägt von dem Bewußtsein davon, welche Person ich sein kann und will. denschaft zu einer Sache oder einem Tun, die mein Selbst bestimmt. Auch die Prägung durch ein übernommenes Klischee, von Bieri als Willenskitsch bezeichnet, kommt zur Ausführung. Frei sein heißt: eigenwillig sein. Dies setzt einen Eigensinn der Phantasie und einen sprachlichen Eigensinn voraus. Die Art und Weise, wie wir die Welt erfahren, ist von der Textur unserer Phantasie abhängig. Erst die Einbildungskraft verleiht den Erfahrungen Dichte und Tiefe. Hinzu kommt das Gespür für Sprache, für ihre Klarheit und den Gehalt der Begriffe. Sich darin ständig zu üben gehört zum Handwerk der Freiheit. Epilog Bieri verweist noch einmal auf den Ursprung der Philosophie: das philosophische Staunen. Solange wir in alltäglichen praktischen Zusammenhängen leben, scheinen bestimmte Ideen nicht problematisch. Erst wenn wir einen anderen Blickwinkel, eben den philosophischen Blickwinkel, den Begriffen und Gedanken gegenüber einnehmen, gerät alles durcheinander. „Und dies kann - in den seltenen Augenblicken, da die Einsätze gemacht sind - in der Tat Katastrophen verhindern, mindestens für das Selbst.“ (Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes, Das Denken, S.192) Die von Bieri skizzierte Aneignung des Willens erfolgt fließend. Es gibt Brüche und Krisen. Die Aneignung gleicht eher einer geologischen Umschichtung, als einem planvollen Spiel mit einem Regisseur im Hintergrund. Im Folgenden erörtert Bieri einige Facetten der Selbstbestimmung. Es können die Anderen sein, die meinen Willen bestimmen oder es ist die Lei- 3 philosophiekunst e.V., Clevischer Ring 99, 51063 Köln, Tel: 0221 9646076, Mail: [email protected]