Bericht Landeskonzert „Schulen in Hessen musizieren“

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Bericht Landeskonzert „Schulen in Hessen musizieren“
Bericht Landeskonzert „Schulen in Hessen musizieren“ 5. Mai 2014
Kurhaus Wiesbaden
Lummerland und Lullaby – Wir-Gefühl und Qualität:
Musizieren als Lebensinhalt
Fünfhundert begeisterte junge Musikanten beim Landeskonzert „Schulen in
Hessen musizieren“ im Kurhaus Wiesbaden
„An dieser Abend wird beim gegenseitigen Präsentieren und Erleben von
Musikstücken das Wir-Gefühl gestärkt. Es ist kein Wettbewerb, sondern eine
Begegnung, die alle bereichert und zu Gewinnern macht.“ Wohltuend waren solche
Worte von Dr. Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium, beim
diesjährigen Landeskonzert „Schulen in Hessen musizieren“ am 5. Mai im Friedrichvon-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses. In dem ehemaligen Musiklehrer
Lösel besitzt die Schulmusik einen starken Fürsprecher, der neben der Unterstützung
bewährter Programme und Projekte (Schwerpunkt Musik, Kooperation SchuleMusikschule, „JeKi“) auch die zukünftige Förderung von „Schulen in Hessen
musizieren“ seitens des Ministeriums zusicherte. „Es war mir bewusst, dass es ein
schöner Abend werden würde“, sagte Lösel bei seinen Schlussworten, „aber ich
hatte nicht gedacht, dass ich eine derartige Vielfalt, diese hohe musikalische Qualität
und eine solch stimmungsvolle Atmosphäre erleben würde.“ Für die über fünfhundert
teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und deren Musikerzieher war er des Lobes
voll: „Ihr macht aus einem guten Lehrer einen Lehrer, der seiner Profession mit
Leidenschaft nachgeht.“
Allein der bewegende Abschluss dieses wunderschönen Musikabends hätte den
Besuch gelohnt: In ein klingendes Universum schien sich der Friedrich-von-ThierschSaal des Kurhauses Wiesbaden zu verwandeln, als am Ende eines langen,
ungemein fesselnden und abwechslungsreichen Musikprogramms von „Schulen in
Hessen musizieren“ der Kanon „Da pacem Domine in diebus nostris“ erklang,
gemeinsam gesungen und musiziert von allen Mitwirkenden. Melchior Francks
Weise, fünfhundert Jahre alt, ist allein vom Text her ewig aktuell und fügt sich in ihrer
schlichten, nur aus fünf Tönen geformten Melodie in eindringlicher kanonischer
Verschränkung zu einer musikalischen Dichte zusammen, die den ganzen Abend
bestimmte.
Musikalische Begegnung Gleichgesinnter
Dreieinhalbtausend Schülerinnen und Schüler aller Schulformen und Altersgruppen
hatten sich im Februar und März an neun verschiedenen Orten in Hessen zum
Musizieren getroffen, und zwölf Ensembles wurden für das „Landeskonzert“ in
Wiesbaden ausgesucht, um das Musikleben an hessischen Schulen zu
repräsentieren und einen Einblick in den Leistungsstand des Musikunterrichts und in
den Chor- und Orchester-Arbeitsgemeinschaften zu geben. Diesen Jugendlichen ist
ein Wettbewerbsgedanke fern. Sie wissen, dass „Schulen musizieren“, ein nunmehr
zum 36. Mal veranstaltetes und vom Hessischen Kultusministerium umfassend
unterstütztes Projekt des Verbandes Deutscher Schulmusiker, eine Begegnung
Gleichgesinnter ist, und sie genießen den Abend, der ihnen Gelegenheit gibt, vor
einem großen Publikum und in der großartigen Kulisse des dicht besetzten
Wiesbadener Thiersch-Saals ihr Können zu zeigen, sich gegenseitig zuzuhören und
anzufeuern sowie andere Formen musikalischer Praxis kennenzulernen.
Kein Sonderangebot aus dem Regal
Die Zuhörer, darunter als prominente Gäste neben Staatssekretär Lösel und
Regierungsdirektorin Angela Federspiel die CDU-Landtagsabgeordnete und frühere
Kultusministerin Karin Wolff, Dr. Ursula Jungherr (Präsidentin des Landesmusikrats),
Lothar Behounek (Direktor der Landesmusikakademie), Verbandsvertreter und
Mitglieder des Landeselternbeirats, zeigten sich tief beeindruckt von den
Darbietungen, und auch Volkhard Stahl, Vorsitzender des Schulmusikerverbandes
Hessen, verwies in seiner Begrüßung ebenfalls auf den hohen, die Persönlichkeit
prägenden Wert des Musikunterrichts und des gemeinsamen Singens und
Musizierens. Im Zusammenhang mit der von der Kultusministerkonferenz im Oktober
2013 herausgegebenen Empfehlung zur „kulturellen Kinder- und Jugendbildung“ hob
Stahl hervor, dass bei Kooperationen, die man grundsätzlich begrüße, der
Musikunterricht in seiner Kontinuität und in seinem curricularen Aufbau an keiner
Stelle gekürzt, ersetzt oder in anderer Weise als „Verhandlungsmasse“ in einen
allgemeinen Topf der „kulturellen Bildung“ eingebracht werden dürfe. Musikalische
und kulturelle Bildung ließen sich nicht „im Sonderangebot aus dem Regal nehmen“,
dies müsse in den Schulen gelebt und erfahren werden. Schülerinnen und Schüler
benötigten für ihre Arbeit und ihre Persönlichkeitsbildung einen konstanten Bezug zu
ihren Lehrerinnen und Lehrern.
Strahlende Gesichter – strahlende Musik
Ein solcher Bezug, ein intensives, harmonisches Miteinander von Schülern und
Lehrern war beim Landeskonzert hautnah zu erleben: Das Konzert begann mit
Schülerinnen und Schülern der Grundschule „Am Hasenberg“ in Neu-Anspach. Bei
über fünfzig Kindern strahlten die blauen T-Shirts, es strahlten die Gesichter, es
strahlte die Musik. Erstmalig wurden in einem großen Projekt der Chor und die
Musikklassen (Leitung: Nicola Klöckner) zusammengeführt und mehrere Stücke
erarbeitet. Verblüffend ist die Instrumentalbesetzung: Hier ergeben Blockflöten und
zehn Celli (!) reizvolle Klangkombinationen. Glasklar und ohne sich vor hohen Tönen
zu verstecken, singen die Grundschulkinder Beethovens „La Marmotte“. Sie erzählen
fröhlich vom schönen „Lummerland“ und beschließen ihre Reise dorthin mit zwei
lustigen Pfiffen. Beim russischen Volkslied „Katjuscha“ dürfen die Celli sogar im
abwechslungsreich gestalteten Ablauf der Strophen hin und wieder die Melodie
spielen – insgesamt bis hin zur perfekten Verbeugung ein blendender Auftritt.
Nicht minder verblüffend: Die „Elly Singers“ der Elly-Heuss-Schule Wiesbaden
(Leitung: Claudia Puschl). In ihrem „Heimspiel“ beginnen die 24 Mädchen hauchzart,
wie aus großer Ferne, und steigern sich bei „I remember“, von sanft wiegender
Klavierbegleitung getragen, mit feiner dynamischer Differenzierung und
glockenreiner Tongebung mit erstaunlicher Reinheit zu mehrstimmigen Passagen,
wobei sie auch raffinierte Tonartwechsel mühelos meistern. Man merkt, dass an
diesem Wiesbadener Gymnasium beim „Singprofil“ Stimmbildung groß geschrieben
wird. Von ihrer heiteren Seite zeigen sich die „Elly Singers“ mit munterem
„Juchheissassa“ bei ihrem a cappella vorgetragenen Volkslied – ein weiterer früher
Höhepunkt des Abends.
Schnuppern am barocken Glanz und kuschelige Operettenseligkeit
Geeignete Literatur für Anfänger bot anschließend die Orchesterklasse 5 der
Eichendorffschule Kelkheim (Leitung: Olaf Heim): Mutig wagen sich die Kinder,
obwohl noch im instrumentalen Frühstadium, an Arrangements aus Händels
„Wassermusik“. Tapfer bewältigen sie rasche, unbequeme Läufe und schnuppern,
Akkordeon und Keyboard einbeziehend, am barocken Glanz.
Eine wundervolle Verbindung von instrumentalem und vokalem Musizieren bot
danach die Schule am Sportpark Erbach: Unter der Leitung von Sibel Demmel und
Sigrid Konrad waren vom 65-köpfigen Chor und einer Instrumentalgruppe drei
klangschöne, französisch gesungene Lieder von Bruno Coulais zu hören, äußerst
gefühl- und stimmungsvolle Stücke, luftig und diszipliniert begleitet. Vor allem
„Caresses sur l’océan“ verströmte sein besonderes Parfum und gab den
Instrumentalisten in einem längeren Zwischenspiel Gelegenheit zur Profilierung. Das
Schlusslied „Cerf-volant“ schließlich schielte in sanftem Walzertakt unverhohlen mit
kuscheliger Operettenseligkeit.
Würzige Harmonien, erhöhte Schlagzahlen
Matthias Müller, am Flügel sitzend, und sein Chor der Edertalschule Frankenberg
begrüßten mit einem selbst komponierten Willkommens-Kanon das Publikum.
Gehörig räumten die Choristen bei „Knabe und Veilchen“ (aus Peter Schindlers
„Sonne, Mond und Sterne“) mit dem Vorurteil auf, es gebe keine singenden Jungen
mehr: Die jungen Herren schlugen sich im Dialog mit den Mädchen prächtig. Bei
Gershwins „I got Rhythm“ begleitete Matthias Müller wiederum vom Flügel aus –
Bass und Schlagzeug als Rhythmusgruppe könnten hier die Wirkung der Musik noch
verstärken. Gleichwohl fühlten sich die 55 Chorsänger im anspruchsvollen
Arrangement von Mark Hayes mit dessen würzigen Harmonien pudelwohl.
Topfit im Umgang mit dem Jazz erwies sich auch die Big Band der RabanusMaurus-Schule Fulda (Leitung: Robert Klier), mehrfach Preisträger bei „Jugend jazzt“
und vor kurzem gefördert durch einen Workshop mit dem LandesjugendJazzorchester. „Skyfall“ erklang im kompakten Bigband-Sound, mit feierlichem
Zugriff. Der warme Klang des Posaunensatzes und die Trompeten ohne Schärfe
waren ein passender Background für die Gesangssolistin. Diese wurde bei den
erhöhten Schlagzahlen von „Lullaby of Broadway“ ausgetauscht, bevor dann vier
junge Damen Duke Ellingtons „Satin Doll“ Charme und Eleganz verliehen.
Faszinierende Effekte
Danach sorgte die „Arbeitsgemeinschaft Zeitgenössische Musik“ des LessingGymnasiums Lampertheim für einen deftigen Kontrast: Dr. Matthies Andresen, der
neben seiner Lehrerausbildung Komposition bei Stockhausen und Kagel studierte,
setzt mit seiner schulmusikalischen Arbeit in Hessen einen einmaligen Schwerpunkt.
Unter dem Titel „Triagong“ für 18 Triangeln, 7 gestimmte Tam-Tams, 8 gestimmte
Buckelgongs und 9 Effekt-Gongs, allesamt an Garderobenständern angebracht, war
eine Schüler-Eigenkomposition zu hören. Metrisch-rhythmisch bleiben – bis auf einen
Fünfvierteltakt im knapp formulierten Finale – die Schüler in ihrer dreisätzigen, am
sinfonischen Vorbild orientierten Studie recht konventionell. Auch dynamisch
vermeiden sie Extreme und verzichten auf Extravaganzen. Klanglich erreichen sie
indes faszinierende, an asiatische Musik erinnernde und meditative Intensität
anstrebende Effekte.
Spaß, Freude und Crescendo-Walze
Um Jahrhunderte zurück versetzt fühlt man sich danach bei dem gemeinsamen Chor
der Heinrich-Schütz-Schule und der Jacob-Grimm-Schule Kassel (Leitung: Florian
Brauer und Bernd Trusheim): Annähernd neunzig Schülerinnen und Schüler im
feinen Zwirn, die dem Namensgeber der Kasseler Gesamtschule, dem Komponisten
Heinrich Schütz (1585-1672), mit einer modernen Version von „Aller Augen warten
auf dich, Herre“ huldigen. Danach gerät der Chor in Bewegung: „Revolution“, auf
wenigen ostinaten Floskeln basierend, vermittelte Spaß und Freude der jungen Leute
am Singen.
Zum Abschluss dann, zu einem großen sinfonischen Ensemble vereinigt, die
Orchester der Lahntalschule Biedenkopf (Leitung: Klaus-Jürgen Höfer), der MartinLuther-Schule Marburg (Leitung: Birte Prigge) sowie das Streicherensemble der
Gesamtschule Battenberg (Leitung: Karin Schmidt) mit einer pädagogisch
geschickten Bearbeitung (Thomas Stapf) der Ouvertüre zu „Der Barbier von Sevilla“
von Rossini: Die Sechzehntel-Verzierungen schnurrten wie am Schnürchen, die
Crescendo-Walze funktionierte wie bei Profis.
Klasse Klassik, Motivation und Begeisterung
Diese Formation war prädestiniert für den Sonderpreis „Klasse Klassik“, den
außerdem die Kasseler Choristen erhielten. Die Notengutscheine, gestiftet vom
Bärenreiter-Verlag Kassel, überreichte Verlagsvertreter Johannes Mundry. Der in
diesem Jahr zum fünften Mal vergebene „Klasse-Klassik“-Preis soll einen Anreiz
geben, sich vermehrt mit der klassischen Musik im schulischen Musizieren zu
beschäftigen. Johannes Kaballo, der als Landesbeauftragter „Schulen in Hessen
musizieren“ durch das Konzertprogramm führte, betonte in seiner Moderation, dass
die Berührung und Beschäftigung mit der klassischen Musik unabdingbare
Voraussetzung dafür sei, dass ein wesentlicher Bestandteil unseres kulturellen Erbes
wirksam bleiben könne.
Im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses gab es an diesem
Abend außergewöhnlich reife musikalische Leistungen am laufenden Band. Die
Schüler, die aus allen Landesteilen Hessens zusammengekommen waren, zeigten
mit ihren von großer Disziplin und Konzentration geprägten Auftritten, dass
Motivation und Begeisterung beim gemeinsamen Musizieren über den schulischen
Alltag hinaus tragen und zum bestimmenden Lebensinhalt werden können.
Albrecht Schmidt