Archiv Der Nahe Osten in Aufruhr - Israel in Sorge

Transcrição

Archiv Der Nahe Osten in Aufruhr - Israel in Sorge
Archiv
Globale Entwicklungen, Regionale Herausforderungen
Der Nahe Osten in Aufruhr - Israel in Sorge
Von: Rolf Tophoven
Der Ausbruch des "arabischen Frühlings", in den Medien auch "Rebellion" genannt, heizt
Spannungen, Erwartungen und Spekulationen im Nahen Osten täglich neu an. Zwar ist die jüngste
Entwicklung nicht unmittelbar mit der Lösung des israelisch/palästinensischen Konflikts verknüpft,
dennoch steigen Sorgen und Befürchtungen in Israel.
Der bisher einzige demokratische Staat in dieser Region sieht plötzlich die Gefahr durch die eruptiven
Freiheitsbestrebungen der vorwiegend jungen arabischen "Revolutionäre": Sie gefährden das bisher durch
autoritäre Regime wie Ägypten unter Mubarak und Syrien unter Assad stabil gehaltene Gleichgewicht. Über
Nacht gibt es eventuell neue "Demokratien" und damit steigen, es klingt absurd, die Sorgen in Israel. Der Fall
Tunesiens, das Ende Gaddafis, die Unruhen im Jemen, der Shoot Out in Syrien sowie aufflammende
Proteste in Jordanien sind elementare Umwälzungen, die weltweite Folgen haben könnten.
Neue Machtverhältnisse im Nahen Osten zeigen, wie zerbrechlich das Abkommen zwischen Ägypten
und Israel ist
Jahrzehntelang hielt Mubarak mit autoritären Methoden den "kalten Frieden", noch von seinem Vorgänger
Sadat geschlossen, mit Israel aufrecht. Jetzt, nach dem Sturz des lange auch vom Westen protegierten
Pharaos am Nil, kommen schon andere Töne aus Kairo, die auch schon mal den Friedensvertrag mit Israel
hinterfragen. Einen Vorgeschmack wie zerbrechlich auch das bislang als stabil geltende Arrangement mit
Ägypten unter den neuen Machtverhältnissen sein kann, gab es, als kürzlich ein aufgewühlter Mob in Kairo
Israels Botschaft stürmte, die Fahne herunterriss und die Diplomaten zu einer überstürzten Flucht nach Israel
zwang. Anlass der Gewaltaktion: Vom Sinai aus waren Terroristen in den Süden Israels eingesickert und
hatten in einem massiven Anschlag mehrere Israelis getötet und verletzt. Beim anschließenden
Schusswechsel mit der israelischen Armee gab es auch unter ägyptischem Sicherheitspersonal Tote. Dieser
Vorfall führte schließlich zur Eskalation der Gewalt gegen Israels Vertretung in Kairo. Hintergrund dieser
Terroraktion ist die Tatsache, dass die radikal-islamische Hamas den Gaza-Streifen domestiziert, die Grenze
zum Sinai von dort aus nicht mehr intensiv durch Ägypten bewacht wird und sich so Terrorgruppen in der
Weite der Sinai-Halbinsel tummeln und relativ ungestört in den Süden Israels in Richtung der Urlaubszentren,
wie die Hafenstadt Eilat, einsickern können.
Ein Regime- und Machtwechsel in Syrien könnte Israel größere Probleme bereiten als der noch
regierende Machtapparat
Die Situation in Syrien ist im Vergleich zur Lage in Ägypten revolutionär noch nicht zu Ende. Noch gelingt es
dem Machtapparat des Präsidenten Baschir Assad die Protestbewegung in seinem Land brutal
Die Situation in Syrien ist im Vergleich zur Lage in Ägypten revolutionär noch nicht zu Ende. Noch gelingt es
dem Machtapparat des Präsidenten Baschir Assad die Protestbewegung in seinem Land brutal
niederzuknüppeln. Dennoch sagen die Zeichen an der Wand, auch das System der Alawiten-Clique in Syrien
wankt - offen ist derzeit noch, wann es fällt. Sollte dies geschehen, bräche ein weiterer für Israel bisher
berechenbarer Faktor weg. So absurd es klingen mag: Ein Regime- und Machtwechsel in Damaskus könnte
Israel größere Probleme bereiten als der noch regierende Assad-Clan. Denn seit 1973 gab es auf den im
Sechs-Tage-Krieg von Israel besetzten Golanhöhen keine bewaffnete Auseinandersetzung mehr. Bislang galt
der Golan als Israels ruhigste und sicherste Grenze. Diese trügerische Ruhe wurde allerdings am 5. Juni
2011 massiv gestört.
Um von eigenen Schwierigkeiten abzulenken, schickte das Regime in Damaskus unter Führung ergebener
palästinensischer Funktionäre Männer aus den palästinensischen Flüchtlingslagern in Syrien zur
Demonstration an die syrisch/israelische Demarkationslinie auf dem Golan. Die Demonstranten durchbrachen
Absperrungen. Israelische Grenztruppen schossen scharf zurück. Im Feuer der Soldaten wurden 23
Palästinenser getötet, weitere 50 wurden verletzt. Der Vorfall zeigte, wie nervös das Assad-Regime ist
angesichts eines drohenden Machtverlustes, wenn es schon Palästinenser zwecks Demonstration gegen
Israel instrumentalisiert. Fällt das Assad-Regime, fiele auch die Achse Teheran - Damaskus - Hisbollah im
Libanon. Erneut wären Unwägbarkeiten die Folgen. Israels Grenze zum Libanon zählt, seit sich die Hisbollah
auf libanesischer Seite eingenistet hat, eh zu den fragilsten Punkten in dieser Konfliktregion.
Hatte sich Israel in seinen bisherigen Kriegen stets auf die stärkste Militärmaschinerie des gesamten Nahen
Osten verlassen können, unterstützt durch einen effizienten Geheimdienst- und Nachrichtenapparat, so
bekam dieser Mythos der Unbesiegbarkeit erste Risse in den asymmetrisch geführten Auseinandersetzungen
mit der Hamas im Gazastreifen und dem Krieg im Libanon gegen die Hisbollah. Weder konnte Zahal
(israelische Armee) die nach Guerilla- und Terrortaktik operierenden islamistischen Kader völlig ausschalten,
noch ein negatives Image in der Weltöffentlichkeit vermeiden. Letzteres war den zahlreichen zivilen Opfern
unter den Palästinensern geschuldet.
Die Anerkennung Palästinas als Staat: Es ist fraglich, ob sie dem Frieden in Nahost förderlich ist
Zwar hat die um den Jahreswechsel 2010/2011 entbrannte Protestbewegung in den arabischen Staaten
keinen unmittelbaren Bezug zum ungelösten Nahostkonflikt in seiner Gesamtheit, dennoch ist seit der
diesjährigen UN-Vollversammlung eine neue Lunte an dieses Pulverfass gelegt worden.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beantragte vor den Vereinten Nationen die Anerkennung Palästinas
als Staat. Eine besonders von den USA und Israel missbilligte Initiative. Für die Palästinenser mag dieser
Schritt eine historische Dimension haben, fraglich ist jedoch, ob er dem Frieden in Nahost förderlich ist.
US-Präsident Obama hat sich vor der UNO-Vollversammlung für Israel positioniert und sein Veto im
Sicherheitsrat schon angekündigt. Wie die USA befürwortet auch die Bundesrepublik Deutschland die
UNO-Initiative der Palästinenser nicht, sondern setzt auf direkte Verhandlungen der beiden Konfliktpartner mit
dem Ziel, am Ende eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen.
Parallel zum Antrag der Palästinenser und unabhängig vom Sicherheitsrat wird ein neuer Versuch für direkte
politische Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern unter Führung des Nahost-Quartetts
unternommen. Das Quartett, bestehend aus der EU, Russland, den UN und den USA schlägt mehrere
Etappen auf dem Weg zu einer Friedenslösung vor und erhofft sich konkrete Ergebnisse, d. h. einen
friedensfähigen Entwurf bis zum Jahresende 2012. Realistisch oder Illusion ist hier wohl die Frage!
Israelische Politiker und Militärs sehen in den Veränderungen der Nachbarstaaten
sicherheitspolitische Risiken
Zusammenfassend ergibt sich auf Israel angesichts des Umbruchs in der arabischen Welt folgendes Bild:
Politiker und Militärs sehen in den Veränderungen bei den Nachbarstaaten zum Teil erhebliche
sicherheitspolitische Risiken. Die Grenze zu Syrien auf dem Golan gilt - abgesehen von den hier aufgeführten
Protestaktionen - seit 1973 als ruhig. Die Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994)
entschärften die Spannungen mit diesen Ländern. Kürzere militärische Konfrontationen gab es mit der
sicherheitspolitische Risiken. Die Grenze zu Syrien auf dem Golan gilt - abgesehen von den hier aufgeführten
Protestaktionen - seit 1973 als ruhig. Die Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994)
entschärften die Spannungen mit diesen Ländern. Kürzere militärische Konfrontationen gab es mit der
Hisbollah im Libanon und mit den Kommandos der Hamas im Gazastreifen. Mit Blick auf kommende
Entwicklungen befürchten Israels Geheimdienste israelfeindliche und palästinenserfreundliche Regierungen
in Kairo und Amman. Horrorgespenst wäre die Aufkündigung der Friedensverträge und Duldung feindlicher
Operationen gegen Israel.
Angesichts des "arabischen Frühlings" brodelt es einmal mehr im Nahen Osten. Israel fühlt sich von manchen
allein gelassen und isoliert. Die immerwährende Frage lautet heute dringender denn je: Wer durchschlägt
endlich den gordischen Knoten dieses unsäglichen Konflikts?
© Alle Rechte vorbehalten.
consulting plus
Beratung GmbH
Girardetstraße 1-5
45131 Essen
Tel.: +49 201 27 90 40