Debatte 02 dt 09_09_25 - Centrum für Corporate Citizenship

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Debatte 02 dt 09_09_25 - Centrum für Corporate Citizenship
02
ebatte
CORPORATE RESPONSIBILITY UND DIE MEDIEN
Wie die Medien über gesellschaftliche
Verantwortung von Unternehmen berichten
und wie sie ihrer eigenen Verantwortung als
Unternehmen nachkommen
DAVID GRAYSON
herausgegeben vom
CCCD
Centrum für Corporate Citizenship Deutschland
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Über den Autor:
Professor David Grayson (Commander of the British Empire) kam im April 2007 nach 30 Jahren als sozialer Unternehmer
und Aktivist für verantwortungsvolles Unternehmertum, Diversität und die Entwicklung von mittelständischen Unternehmen
als Direktor des neuen Doughty Centre for Corporate Responsibility an die Cranfield School of Management. Er war Vorsitzender des britischen Disability Councils sowie verschiedener weiterer Regierungsgremien und diente als Joint Managing Director von Business in the Community. Er ist Visiting Senior Fellow der CSR-Initiative an der Kennedy School of
Government in Harvard. Er hat einen Magisterabschluss der Universitäten Cambridge und Brüssel und einen Ehrendoktor
der London South Bank University inne. Er war Visiting Fellow an verschiedenen britischen und amerikanischen Wirtschaftshochschulen. Zu seinen Büchern zählen „Corporate Social Opportunity: Seven Steps to make Corporate Social Responsibility work for your business“ (Greenleaf - 2004 http://www.greenleaf-publishing.com) und „Everybody's Business“ (2001) –
beide mit Adrian Hodges geschrieben. Er ist auch Vorsitzender von Housing 21, einem der führenden Anbieter von
betreutem Wohnen und Pflegeunterkünften für Ältere (http://www.housing21.co.uk).
Über das CCCD:
Das CCCD ist eine gemeinnützige Organisation an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. In
Kooperation mit führenden Unternehmen, wissenschaftlichen Instituten und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Inund Ausland arbeitet das CCCD als Think Space und Kompetenzzentrum sowie als Dialogplattform, Impuls- und Gastgeber für Good Corporate Citizens und diejenigen, die es werden wollen. So organisiert das CCCD Foren für den fachlichen Austausch zwischen Corporate Citizens sowie zwischen Unternehmen, Wissenschaft, Politik und Bürgergesellschaft,
fördert und betreibt anwendungsorientierte Forschung, ermöglicht Lernprozesse durch Diskussions- und Fortbildungsangebote und unterstützt die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Partnern aus Bürgergesellschaft, Wissenschaft
und/oder Politik. Mit Workshops, Publikationen und öffentlichen Veranstaltungen gibt das CCCD darüber hinaus gezielte
Impulse für den Diskurs zu Corporate Citizenship in Deutschland sowie für die Praxis gesellschaftlich engagierter Unternehmen.
Das CCCD ist der deutsche Partner des Boston College Center für Corporate Citizenship, USA, Teil des GERN – Global
Education and Research Network und des CSR 360-Global Partner Network von Business in the Community, UK.
Kontakt:
CCCD – Centrum für Corporate Citizenship Deutschland
Kollwitzstr. 73
D-10435 Berlin
+49 (0)30 – 41 71 72 21
[email protected]
www.cccdeutschland.org
2
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Inhalt
Zusammenfassung
6
I.
Einleitung
7
II.
Vorbemerkungen
8
III.
Wie berichten die Medien gegenwärtig über CR, und wie könnte dies in Zukunft aussehen?
9
•
•
•
•
•
•
9
10
11
11
12
13
IV.
V.
Was zählt als CR-Story?
Aufforderung zum Handeln
Der Einfluss von Kosten
Ist das typisch für CR?
Sind wir selbst unser schlimmster Feind?
Andere Medien
Die Corporate Responsibility der Medien selbst
15
a.
b.
c.
d.
15
15
16
16
18
Redaktionelle Grundsätze und Meinungsfreiheit
Privatsphäre und öffentliche Anstandsregeln
Werbung
Bildungs- und Informationsauftrag
Fazit
Welche Auswirkung haben die neuen Medien?
20
• Ein Ort des Gesprächs
• Bürgerjournalismus
• Was bedeutet das für Unternehmen?
20
21
22
VI.
Corporate Responsibility in den neuen Medien
23
VII.
Handlungsoptionen: Die Rolle von Unternehmen und CR-Zusammenschlüssen
25
a. Einzelunternehmen
b. Schnittstellenorganisationen im Bereich Corporate Responsibility
25
26
VIII.
Fazit
27
IX.
Danksagung
27
3
4
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Editorial
Eine neue Art des Wirtschaftens, bloße Rhetorik oder
nichts weiter als schmückendes Beiwerk? – Medien
haben die Macht, Corporate Citizenship im öffentlichen
Diskurs zu adeln oder aber zur Randerscheinung zu
degradieren: durch entsprechendes Agenda-Setting,
durch glaubwürdige Information für eine kritische Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch die Anerkennung, die ein
Zeitungs- oder Fernsehbericht für ein engagiertes Unternehmen bedeutet. So sind sich Unternehmen und Experten in gelegentlichen Diskussionen über die Bedeutung
der Medien für Corporate Citizenship bzw. Corporate
Responsibility in aller Regel sehr rasch sehr einig in der
gemeinsamen Klage, dass zu selten über diese Themen
berichtet wird.
Indessen greift diese Klage zu kurz: es gibt viel mehr zu
sagen, zu diskutieren und nachzudenken über die Frage,
wie die Medien das gesellschaftliche Engagement von
Unternehmen, verantwortliches und nachhaltiges Wirtschaften und neue Kooperationen zwischen Unternehmen, Zivilgesellschaft und Staat befördern können.
Mit der zweiten Ausgabe der CCCDebatte, die wir Ihnen
hiermit vorlegen, möchte das CCCD dieser wichtigen Diskussion eine neue, weiter reichende Perspektive geben.
David Grayson, ein international renommierter Corporate
Responsibility-Experte, richtet den Blick auch auf die Verantwortung der Medien selbst als Unternehmen in der
Gesellschaft. Zum einen sind die Medien nicht nur Informationslieferanten, sondern immer auch Wirtschaftsunternehmen bzw. – im Falle der öffentlich-rechtlichen – eigenständige Organisationen. Als solche stehen sie selbst in
gesellschaftlicher Verantwortung für ihre Produkte und
deren Qualität, für die Arbeits- und Produktionsbedingungen sowie für ihr eigenes gesellschaftliches Engagement
als Unternehmen. Zum anderen besteht die Medienlandschaft schon lange nicht mehr nur aus den Printmedien,
Rundfunk- und Fernsehsendern, die die Generation der
Baby Boomer unmittelbar mit dem Begriff verbindet. Mit
Internet, Wikipedia, virtuellen Social Networks usw. hat sich
eine ganz neue Medienlandschaft herausgebildet, die
neue Chancen und neue Herausforderungen für Corporate Citizenship birgt.
Kurz: Diskussion über die Rolle und Bedeutung der Medien
für Corporate Citizenship und Corporate Responsibility
braucht einen neuen, erweiterten Bezugsrahmen, der
sowohl die Doppelrolle der Medien zwischen Berichterstattung und Unternehmertum als auch die Neuen Medien
einschließt. Diesen erweiterten Bezugsrahmen bietet
David Graysons Artikel an, indem er die unterschiedlichen
Facetten des Themas Corporate Responsibility und die
Medien ausleuchtet und damit die Grundlage legt für
eine umfassendere Debatte, die über die landläufigen
Engführungen hinausführt.
So ist auch diese CCCDebatte erneut eine Einladung zur
Diskussion – über die Rolle(n) von Unternehmen in der
Gesellschaft im Allgemeinen, die den Kern der Corporate
Citizenship-Debatte ausmacht; und über die Rolle(n) der
Medien im Besonderen. Eine Diskussion, die im CCCD und
darüber hinaus Fortsetzungen finden wird. Interessierte finden auf www.cccdeutschland.org/kamingespraech2
weitergehende Informationen wie etwa die Videodokumentation einer Diskussion mit David Grayson in Berlin und
einen Artikel von Kristina Läsker (Süddeutsche Zeitung), die
aus ihrer Sicht als engagierte Journalistin auf die Kritik an
der mangelnden Berichterstattung repliziert.
Für diejenigen, die sich aktiv in die Diskussion einbringen
möchten, gibt es auf www.cccdeutschland.org/cccdebatte Raum und Gelegenheit für eigene Beiträge.
Corporate Citizenship und Corporate Responsibility gewinnen für Unternehmen, Politik und Bürgergesellschaft
erkennbar immer mehr Bedeutung, werden zunehmend
diskutiert und auch zunehmend praktiziert. Gleichwohl
sprechen Wirtschaft, Bürgergesellschaft und Politik in
Deutschland noch immer eher über- als miteinander. Die
CCCDebatte will diesen unverbundenen Diskursen einen
gemeinsamen Ort geben und das Gespräch miteinander
ermöglichen.
Lesen Sie selbst und teilen Sie Ihre Gedanken dazu mit
uns. See you on www.cccdeutschland.org/cccdebatte.
Ihre
- geschäftsführendes Vorstandsmitglied -
5
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Zusammenfassung
Im Jahr 2001 definierte die Europäische Union Corporate
Responsibility (CR) wie folgt: „ Ein Konzept, mit dessen Hilfe
Unternehmen auf freiwilliger Basis soziale und Umweltschutzbelange in ihre Geschäftstätigkeiten und ihren kommunikativen Austausch mit Stakeholdern einbeziehen.“1
Verantwortungsbewusst ist ein Unternehmen dann, wenn
es in Geschäftszweck und -strategie ein Bekenntnis zu
nachhaltigen Werten gegenüber der Gesellschaft als
ganzer ebenso wie gegenüber den Shareholdern integriert und es offene und transparente Geschäftspraktiken
pflegt, die auf ethischen Werten und Respekt gegenüber
Mitarbeitern, Gemeinden und der Umwelt basieren.
Dieser Aufsatz handelt von der Frage, wie in den Medien
über CR berichtet wird und wo die gesellschaftliche Verantwortung der Medien selbst liegt – sowohl traditionelle
als auch neue Medien.
Traditionelle Medien umfassen Nachrichtenagenturen, Film, Druckmedien und Rundfunkkanäle.
Neue Medien umfassen das Internet und Mobiltelefone, die aufstrebende ’Blogosphere’ und den so
genannten Bürgerjournalismus.
Zwar hat die Medienberichterstattung über CR in den letzten Jahren zugenommen, doch vieles von dem, was
berichtet wird, hat keinen expliziten Bezug zum Begriff CR
– auch nicht in den Unternehmenspublikationen.
Die Qualität der Medienberichterstattung ist unterschiedlich. Wie CR-Themen behandelt werden, differiert zwischen
Unternehmens-, Management- und allgemeinen Medien.
Bei der Beschreibung muss man darauf achten, zwischen
dem berechtigten Streben nach mehr Qualität und
Quantität der Berichterstattung und dem völlig unrealistischen Wunsch nach unhinterfragten und unkritischen
Berichten über Unternehmensaktivitäten zu unterscheiden.
Während manche die begrenzte oder negative Berichterstattung der Medien über CR als Feindseligkeit oder Ignoranz der Medien gegenüber Unternehmen kritisieren,
könnte eine ausgeglichenere und anspruchsvollere Beurteilung zu dem Ergebnis gelangen, dass sowohl Unternehmen als auch Medien intensiver nach Wegen suchen
müssen, um verantwortungsbewusstes Unternehmertum
und Corporate-Sustainability-Themen so zu erklären, dass
sie für Leser nachvollziehbar und relevant werden – und
dafür ist eine bessere Unterscheidung zwischen einzelnen
Botschaften, Medien und Zielgruppen entscheidend.
Seriöse Journalisten sind gegenüber Unternehmen, die
offen über ihre CR-Herausforderungen und –versäumnisse
und darüber reden, wie diese angegangen werden können, viel aufgeschlossener als gegenüber solchen Unternehmen, die eine unkritische Wiedergabe von Pressemitteilungen erwarten.
Medienunternehmen sollten sich als Unternehmen verantwortungsbewusst verhalten. Wie jedes andere Unternehmen in jeder anderen Branche, müssen sie die substantiellen und signifikanten Umwelt-, Sozial- und Führungsthemen kennen – und versuchen, negative Auswirkungen zu
verhindern und positive zu vermehren. Die Kernthemen
der CR von Medienunternehmen sind: transparente und
verantwortungsbewusste Herausgeberpolitik, unparteiische und ausgewogene Berichterstattung, Presse- und
Meinungsfreiheit, mediale Orientierungskompetenz und
’digitale Spaltung’.
Neue Medien wie ’Blogs’, RSS-Feeds, ’Google Books’, ’Podcasts’, ’Vidcasts’, Online-Video (’YouTube’, ’blimptv’ etc.),
soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Affiliate-Programme,
Word-of-Mouth-Marketing, Viralmarketing, ’Second Life’,
Online-Spiele, virtuelle Verkaufsshows, Online-Communities, ’E-Books’ usw. werden weltweit immer wichtiger. Die
Grenzen zwischen traditionellen und neuen Medien verwischen zusehends. Zeitungen und Rundfunksender haben
Websites, und Journalisten bloggen – traditionelle Medien
erschaffen immer mehr Produkte und Formate, die ihren
Ursprung in den neuen Medien haben.
Die wachsende Bedeutung der neuen Medien erzeugt
hohen Druck zu mehr Verantwortlichkeit und Transparenz,
aber auch dazu, mehr Informationen schneller zugänglich zu machen.
Bestimmte CR-Themen wie Schutz der Privatsphäre, Sorgfalt und allgemeine Zugänglichkeit – sowohl Freiheit der
Information in manchen Teilen der Welt als auch umgekehrt Schutz gefährdeter Gruppen vor dem Zugang zu
bestimmten Websites und Inhalten (z. B. dürfen Kinder keinen Zugang zu pornographischen Websites haben) – sind
für neue Medien besonders relevant.
Globale Medien werden sich weiterhin schnell weiterverbreiten, dies auf potentiell immer wieder neue und unerwartete Weise. Es ist unausweichlich, dass Unternehmen
und CR-Befürworter offensiver und aktiver Unternehmensziele, die Auswirkungen verantwortungsbewussten Handelns sowie die Versuche, durch individuelles unternehmerischen Handeln die negativen Auswirkungen auf Umwelt
und Gesellschaft zu verringern, verständlich machen.
1 EU Commission Green Paper 2001: Promoting a European Framework
for Corporate Social Responsibility, COM (2001) 366 Final.
6
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
I. EINLEITUNG
Wirtschaftsunternehmen spielen in der modernen Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Es ist wichtig, wie sie sich
verhalten, wie sie geführt werden und mit anderen Bereichen der Gesellschaft interagieren. Der verstorbene Claude-Jean Bertrand, Professor des französischen Presseinstituts IFP, schrieb einmal: „Ohne gut informierte Bürger kann
es keine Demokratie geben. Ohne qualitativ hochwertige
Medien kann es keine gut informierten Bürger geben.“ 2
Andererseits müssen die Medien auch seriös über die
Rolle und die Verantwortung von Unternehmen berichten,
um eine vernünftige Debatte über diese Themen zu
ermöglichen. Die Rolle der Medien selbst ist jedoch zwiespältig: einerseits berichten sie über Unternehmen, andererseits sind sie selbst Unternehmen. Durch ihre Möglichkeiten der Information, der ’Erziehung’ und der Einflussnahme haben Medienunternehmen eine weitreichende Wirkung auf Märkte und Gesellschaften. Und durch ihre eigenen Inhalte und die Werbung, die sie schalten, haben sie
einen starken Einfluss auf globale Konsummuster. Somit
sind sie ein entscheidender Faktor bei der Frage, ob der
Planet zu einer nachhaltigen Entwicklung finden wird.
Ich möchte vier wichtige Punkte behandeln (Vgl. Abb.1):
1. Wie berichten die Medien gegenwärtig über Corporate Responsibility, und wie könnte dies in Zukunft aussehen?
2. Worin liegt die eigene Corporate Responsibility der
Medien?
3. Welche Auswirkungen haben die neuen Medien auf die
CR-Berichterstattung?
4. Worin liegt die eigene Corporate Responsibility der
neuen Medien?
Ich möchte abschließen mit einigen Anmerkungen zur
Verantwortung und Rolle der Wirtschaftsunternehmen
selbst sowie von Organisationen, die an der Schnittstelle
zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
tätig sind, z. B. das CCCD (Centrum für Corporate Citizenship Deutschland).
2 Media ethics & accountability systems - von Claude-Jean Bertrand New Brunswick, NJ, Transaction Publishers, 2000
Abbildung 1: CR und Medien
... Neuen Medien
CORPORATE RESPONSIBILITY
in den...
CORPORATE RESPONSIBILITY
der...
Was zählt als Berichterstattung: CR als
Begriff oder Thema?
Fairness, Genauigkeit, freier Zugang
Was ist mit besserer Berichterstattung
gemeint: unkritisches Übernehmen
von PR oder ernsthafte Diskussion?
Was sind Hindernisse für seriöse
Berichterstattung, und wie lassen sie
sich überwinden?
... Traditionellen Medien
Stil und Anstand sowie Gleichgewicht
konkurrierender Verantwortlichkeiten in
einer multikulturellen Welt
Wer berichtet über die CR von
Medienunternehmen, bei starker
Medienkonzentration?
Folgen der neuen medialen Revolution
Wer kontrolliert die Ethik der neuen
Medien?
‘Bürgerjournalismus’ und weniger Ressourcen für klassischen investigativen
Journalismus
Ausgleich zwischen divergierendem
nationalem Recht für nationale Grenzen überschreitende Online-Unternehmen.
Verständnis für die Nutzung neuer
Medien
7
Zugangskontrolle für gefährdete
Gruppen / Digitale Spaltung.
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
II. VORBEMERKUNGEN
(Forschung und Entwicklung), Finanzierung, Marketing
und Vertrieb – häufig im Rahmen von Partnerschaften
mit kommunalen Organisationen, nicht-staatlichen
Organisationen oder selbst dem öffentlichen Sektor.
Um sicherzustellen, dass die Begrifflichkeiten klar sind,
möchte ich zuerst meine Definition von ’Corporate
Responsibility’ erläutern.
Im Jahr 2001 definierte die Europäische Union CR wie
folgt: „Ein Konzept, mit dessen Hilfe Unternehmen auf freiwilliger Basis soziale und Umweltschutzbelange in ihre
Geschäftstätigkeiten und ihren kommunikativen Austausch mit Stakeholdern einbeziehen.“3 Verantwortungsbewusst ist ein Unternehmen dann, wenn es in Geschäftszweck und -strategie ein Bekenntnis zu nachhaltigen Werten gegenüber der Gesellschaft als ganzer ebenso wie
gegenüber den Shareholdern integriert und es offene und
transparente Geschäftspraktiken pflegt, die auf ethischen
Werten und Respekt gegenüber Mitarbeitern, Gemeinden
und der Umwelt basieren.
Ein gutes Beispiel für eine solche Corporate-Social-Opportunity-Mentalität ist der britische Fruchtsmoothie-Produzent
innocent drinks, der sein Engagement für Nachhaltigkeit
zu einem festen Bestandteil seiner Marke gemacht hat.
Seit der Veröffentlichung unseres Buchs Corporate Social
Opportunity ist die Zahl der Beispiele beachtlich gestiegen:
die grünen Produkte der „Ecomagination“-Reihe von
GE,
Für mich bedeutet Corporate Responsibility bzw. verantwortungsvolles Verhalten von Unternehmen, dass diese
versuchen, ihren negativen Einfluss auf Umwelt und
Gesellschaft zu minimieren und ihren positiven Einfluss zu
maximieren. Sie versuchen, die Interessen der Stakeholder
so auszugleichen, dass das Unternehmen zum Wohl der
Menschen und des Planeten wirtschaftet und dabei
gleichwohl profitabel bleibt.
die Initiative „Patrimonio Hoy“ des mexikanischen
Zementherstellers Cemex, der in Lateinamerika einen
innovativen und rentablen Weg im Wohnungsbau für
einkommensschwache Familien aufgezeigt hat,
Adrian Hodges vom International Business Leaders Forum
und ich argumentierten 2004 in unserem Buch „Corporate Social Opportunity“4, dass ein Unternehmen ungeachtet seiner Größe CR nicht einfach als Konzept dem operativen Geschäft überstülpen darf, sondern es in den
Zweck und die Strategie des Unternehmens einbinden
muss. Unternehmen sollten nicht nur die Vermeidung
möglicher Risiken bedenken, die sich durch ihr gesellschaftliches Engagement ergibt, sondern auch, dass ehrliches Eintreten für verantwortungsvolles Unternehmertum
eine Quelle der Kreativität und Innovation sein kann. Kurz
und knapp: Corporate Social Opportunity durch Corporate Social Responsibility – durch die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung eröffnen sich einem Unternehmen neue Möglichkeiten!
BTs Vermarktung seines eigenen internetbasierten
Umweltmanagementsystems.
Corporate Social Opportunity beschreibt sowohl eine
unternehmerische Mentalität als auch spezifische Produkte und Dienstleistungen. Ich definiere Corporate Social
Opportunities als kommerziell attraktive Aktivitäten, die
zugleich ökologische und/oder soziale Nachhaltigkeit
befördern. Drei solcher Aktivitäten lassen sich unterscheiden:
neue Produkte und Dienstleistungen;
neue oder noch unentwickelte Märkte bedienen;
Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in F&E
Accenture Development Partnerships, die internationale Nichtregierungsorganisationen im Entwicklungsbereich beraten,
Die neuesten Berichte globaler Beratungsunternehmen
und Investmentbanken bestätigen, dass es ein Potenzial
für rentable Produkte und Dienstleistungen im Nachhaltigkeits- und Corporate-Responsibility-Sektor gibt. So bieten z.
B. im SUSTAIN-Bericht von Goldman Sachs (2007) die
Investmentanalysten der Bank eine nach Sektoren aufgeschlüsselte Liste der Unternehmen, die sie für gut aufgestellt halten, um ihren Vorsprung im Bereich Nachhaltigkeit
gegenüber den Nachzüglern auszuspielen.5
3 vgl. Anm. 1
4 Corporate Social Opportunity: making Corporate Social Responsibility
work for your business – Grayson and Hodges (Greenleaf 2004)
5 Weiteres Material zu Corporate Social Opportunity siehe: http://
www.doughtycentre.info
8
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
III. WIE BERICHTEN DIE MEDIEN GEGENWÄRTIG ÜBER CR, UND WIE
KÖNNTE DIES IN ZUKUNFT AUSSEHEN?
Der Bericht des Beratungsunternehmens SustainAbility –
„Good News and Bad – The Media, Corporate Social
Responsibility and Sustainable Development“ – stellt 2002
fest:
„Jeder, der heute die Berichterstattung über CSR und
nachhaltige Entwicklung mit der Berichterstattung vor
einem oder zwei Jahrzehnten vergleicht, muss einen
enormen Fortschritt feststellen.“ 6
Sieben Jahre später trifft diese Feststellung noch mehr zu.
Einfache Statistiken zeigen, dass die Berichterstattung
zugenommen hat – auch wenn nicht klar ist, wie viele der
Fundstellen in den Medien tatsächlich Nachrichten über
CR-Aktivitäten sind oder von Unternehmen finanzierte Zeitungsbeilagen (Vgl. Abb.2).
nen würde, obwohl sie das selbst nicht so beschreiben
bzw. nicht diesen Begriff verwenden würden. Viele Artikel
behandeln Themen wie die Auswirkung unternehmerischen Handelns auf den Klimawandel oder Wassermangel oder die Rolle eines Unternehmens bei der Bekämpfung von Fettleibigkeit oder Altersdiskriminierung. Die jüngste, umfangreiche Berichterstattung über die Finanzkrise
und das damit verbundene Verhalten von Unternehmen
(man denke z. B. an exzessive Managergehälter und
Bonuszahlungen für Misserfolge) ist beispielhaft für Berichte über CR, die diesen Begriff nicht explizit verwenden.
Und in der Tat sagen manche Kommentatoren, dass die
Diskussion über CR als ’CR’ auf die Management-Seiten
begrenzt bleiben sollte, weil CR ein Management-Prozess
und eine Frage der Geschäftsmentalität sei. Giles Gibbons vom CR-Berater Good Business sagt:
Abbildung 2: Convalence EthicalQuote news volume (12 months moving average)
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
Jan Apr Jul Oct Jan Apr Jul Oct Jan Apr Jul Oct Jan Apr Jul Oct Jan Apr Jul Oct Jan Apr Jul Oct Jan
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
Source: Covalence, Switzerland 7.
Meine persönliche Erfahrung belegt dies. Ich werde regelmäßig von Journalisten aus der ganzen Welt zum Thema
CR interviewt, und normalerweise sind deren Fragen
äußerst kompetent und gründlich.
Was zählt als CR-Story?
Von allen Artikeln in den Medien über Unternehmen in der
Gesellschaft, die ich als CR-Stories zählen würde, wird nur
ein kleiner Anteil so erfasst, weil dabei die Begriffe ’CR’
bzw. ’CSR’ nicht explizit verwendet werden. Ebenso zeigen
viele vor allem mittelständische Unternehmen ein Verhalten, das man als verantwortungsvoll bzw. als CR bezeich-
9
„Abgesehen von der Diskussion um CR als ManagementIdee sollte die Mediendiskussion nicht CR als Ganzes
behandeln, sondern sich darum drehen, wie z. B. Nike
oder Coca Cola ihre Produktionskette gestalten oder wie
sie ihren Anteil an der Umweltzerstörung verringern können.“
6 Good News and Bad – The Media, Corporate Social Responsibility and
Sustainable Development. SustainAbility erstellte diesen Bericht zusammen
mit UNEP and Ketchum, 2002.
7 Daten von Covalence: http://www.covalence.ch.
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Giles nennt das Beispiel einer Titelschlagzeile des Boulevardblatts The Sun, das über Starbucks-Coffeeshops
berichtet, die ihre Wasserhähne permanent laufen lassen,
um den Abwasch zu beschleunigen: „Das war keine Story
in der Kategorie CR, aber sie handelte von CR.“ Giles Gibbons argumentiert – und ich stimme ihm zu –, dass der
Begriff CR in den Publikumsmedien nicht auftauchen
muss.
Doch ist das zentrale Argument der vorliegenden Arbeit,
dass die traditionellen Medien – mit einigen namhaften
Ausnahmen – dem Thema CR nicht die Bedeutung und
Ernsthaftigkeit zukommen lassen, die es meiner Meinung
nach verdient. Zu oft wird CR noch immer mit Dienst an
der Gesellschaft und wohltätigen Gaben gleichgesetzt.
Zu den „namhaften Ausnahmen“ zähle ich die Financial
Times, die sich dem Thema CR regelmäßig mit beispielhafter Seriosität und in beispielhaftem Umfang widmet.
Soweit ich weiß, hat die International Herald Tribune CR
ebenfalls zum Schwerpunktthema gemacht. Auch neue
Fachmedien sind entstanden, z. B. Ethical Corporation
(http://www.ethicalcorp.com), Corporate Citizenship Briefing (http://www.ccbriefing.co.uk) und Ethical Performance
(http://www.ethicalperformance. com). Es gibt mittlerweile
auch spezialisierte Mediendienste wie ENDS Daily
(http://www.endseurope. com) und CSRWire (http://
www.csrwire.com).
Aufforderung zum Handeln
Obwohl ich heute eine Professur für Corporate Responsibility innehabe, bin ich kein unvoreingenommener, unparteiischer wissenschaftlicher Beobachter! Seit langem
schon trete ich für das Prinzip des verantwortungsbewussten Unternehmens ein und wünsche mir deswegen seriösere, besser informierte, tiefergehende und häufigere
Berichte über CR, die Folgendes beinhalten:
Was CR für Unternehmen bedeutet;
Warum dieses Thema für Unternehmen wichtig ist;
Warum es für die Gesellschaft wichtig ist – für Leser,
Zuschauer und Zuhörer, die auch Arbeitnehmer, Kunden, Teilhaber an Unternehmen (durch Rentenansprüche und Spareinlagen) oder ganz normale Bürger
sind.
Mein Interesse gilt also mehr und besserer Berichterstattung über CR. Dabei ist mir klar, dass manche der Forderungen nach „mehr und besserer Berichterstattung“
eigentlich bedeuten: „Warum drucken die Medien denn
nicht unsere Presseerklärungen und schreiben nette
Geschichten über die Großherzigkeit unseres Unternehmens, anstatt sich auf unsere bedauernswerten moralischen Verfehlungen zu konzentrieren!“ Die Medien dekken in ihrer Berichterstattung eher die Verantwortungslosigkeit von Unternehmen auf als deren verantwortungsvolles
Verhalten. Das ist eine wichtige Rolle der Medien in der
Gesellschaft – gemäß den traditionellen Fleet-Street-Prinzipien die Gesellschaft vor Verfehlungen zu schützen,
Fehlverhalten aufzudecken und publik zu machen und
ein wachsames und kritisches Auge auf gesellschaftliche
Autoritäten zu halten. Die drohende Bloßstellung durch
die Medien ist ein mächtiges Gegenmittel gegen
schlechtes Verhalten – wie die politische Klasse Großbritanniens im Sommer 2009 mit Hilfe der Medienberichte
über die Spesenpraxis von Parlamentariern feststellte.
Es geht also nicht um unkritische Berichterstattung über CR.
Für gute Journalisten ist gesunde Skepsis äußerst wichtig –
sie darf nur nicht zu Zynismus werden. Ich meine vielmehr
seriöse Berichte, die das Dilemma beleuchten, in dem
sich Unternehmen befinden. Ich bin der Meinung, dass es
Aufgabe der Medien ist, zu erklären und zu informieren.
Man muss jedoch festhalten, dass außer öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der BBC oder PBS in den USA, ABC in
Australien oder ARD und ZDF in Deutschland die meisten
Medien Unternehmen sind – und wenn sie nicht dauerhaft
liefern, was ihre Kunden nachfragen, werden sie nicht
bestehen können.
Es heißt, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit immer kleiner werde, dass wir Nachrichten und Meinungen in einfach verdaulichen Häppchen verpackt
haben wollten und dass dies zum allgemeinen Niveauverfall in den Medien geführt habe. Ich will an dieser Stelle nicht erörtern, ob daran das Bildungswesen oder die
allgemeine Beschleunigung des modernen Lebens
schuld ist oder ob die Medien Mitläufer oder Vorläufer bei
diesem „Häppchen-Journalismus“ sind. Das Resultat dieser Entwicklung ist jedoch, dass die Berichterstattung über
CR in den Redaktionssitzungen zu kurz kommt, da sie Analyse und Kontextualisierung erfordert und eher Prozesse als
handfeste Ereignisse zum Gegenstand hat, kurz: da sie
nicht zum „Häppchen-Journalismus“ passen mag.
Im schon erwähnten Sustainability-Bericht steht:
„Es überrascht nicht, dass CSR und nachhaltige Entwicklung oft zu kurz kommen. Diese Themen passen einfach
nicht zu den Vorlieben und Berichterstattungsmustern der
etablierten Nachrichten. Üblicherweise handelt es sich
eher um Prozesse als um Ereignisse – und von Frank Allen
wissen wir, dass 'diese Geschichten nicht plötzlich hervorbrechen, sondern langsam durchsickern!' Solche
Geschichten erfordern oft mehr Platz als andere Themen. So erinnert uns John Nielsen, Korrespondent für
Umweltthemen bei NPR (National Public Radio) daran,
dass 'man die Zuhörer bei Umweltthemen wirklich bilden
muss. Wenn man über Kriminalität berichtet, muss man
den Zuhörern nicht erst erklären, was ein Raubüberfall ist.'
Und häufig sind CR- und Nachhaltigkeitsthemen eher
komplex und vielschichtig als klar und einfach. Dazu
10
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
kommt das Fehlen des Sex- und Promifaktors, und man
hat eine Nachricht, die gerne übersehen wird.“ 8
wesen. Die Medien sind zu oft ihrer Zeit hinterher, obwohl
sie eigentlich die Debatten anführen sollten.“
Der erfahrene frühere Journalist Roger Cowe, der jetzt für
die Beratungsfirma Context arbeitet, behauptet, dass es
heute mehr Geschichten darüber gibt, wie Unternehmen
mit dem Klimawandel umgehen und wie sie zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie den
Debatten über Zugang zu Produkten und Dienstleistungen
beitragen, und dass „die wirkliche Schwierigkeit darin
besteht, dass es sich bei diesen Themen um Material für
Reportagen und nicht um eine Nachricht handelt. Dazu
kommt, dass es meistens auch noch „positive Nachrichten“ sind, über die die etablierten Medien ohnehin ungern
berichten.“ 9
In seinem Buch „Blessed Unrest“11 vergleicht der langjährige Umweltaktivist Paul Hawken den Platz, den die Los
Angeles Times einer Zerstörungstour von drei Studenten
einräumte, die 125 Geländewagen beschädigten bzw.
zerstörten, mit dem Platz, den sie für den wegweisenden
Weltökosystem-Bericht der Vereinten Nationen aufbrachte. Hawkens Berechnungen zufolge berichtete die LA
Times 100 mal mehr über die randalierenden Studenten
als über den Weltökosystem-Bericht.
Der leitende Rabbiner Großbritanniens, Sir Jonathan
Sachs, stellt fest:
„Die Medien sind ein wenig wie eine griechische Tragödie. Sie leben von Dramen und Konflikten; sie sind vom
Wesen her auf Gegensätzen aufgebaut, was das Problem manchmal vergrößert anstatt der Lösung dienlich
zu sein [...] Manchmal funktionieren sie sehr simpel. Kleine Gruppen mit dem Wunsch nach Publicity können
unfassbare Dinge tun, die dann mehr Berichterstattung
erhalten als es ihre Stellung eigentlich rechtfertigt [...] Wie
geht man damit um? Man kann die Medien nicht einfach auffordern, 'zum Wohl der Menschheit bitte langweilig zu sein und nur über gute Nachrichten zu berichten.'“10
Der Einfluss von Kosten
Der Zwang zu Kostenreduzierungen in den Medien hat
das Problem der Ressourcenknappheit für gründliche
Berichterstattung noch intensiviert. 2006 war ich bei einem
Vortrag eines erfahrenen Fernsehnachrichtensprechers. Er
berichtete über den subtilen Kostendruck, der auf die Produzenten von Fernsehnachrichten lastet: Übernimmt man
den Live-Bericht eines Meetings in New York, der günstig
nach London übertragen werden kann – oder übernimmt
man einen Bericht aus z. B. Kinshasa, für den die Kosten
beträchtlich höher sind und wo die technische Verbindung problematisch sein kann. Was für uns zu einer ’Nachricht’ wird, hängt zum großen Teil davon ab, wie teuer es
für das Medienunternehmen ist, uns diese Geschichten zu
liefern.
Und Aidan White, Generalsekretär der Internationalen
Journalisten-Föderation, sagte 2003 beim Weltwirtschaftsforum in Davos:
„Journalismus basiert auf Nachforschungen über das,
was Menschen sagen und tun. Investigative Nachforschungen leiden jedoch unter zurückgehenden Investitionen und Konzentrationsbewegungen im Nachrichten-
11
Ist das typisch für CR?
Im selben Buch beschreibt Hawken auch, wie ihn ein
Reporter von Newsweek nach den führenden Persönlichkeiten in der globalen Umweltbewegung fragte. Hawkens
begann, eine Liste von Namen aufzuzählen, doch nur,
um unterbrochen zu werden: „Stopp! Damit kann ich
nichts anfangen. Kein Amerikaner hat je von denen
gehört!“, zitiert er den Reporter.12
Inwieweit liegt die relativ geringe Anzahl an Medienberichten spezifisch am Thema CR? Oder ist sie symptomatisch
für die Medien, die oft seitenlange Geschichten über Prominente einer seriösen Debatte vorzuziehen scheinen?13
In manchen Ländern hat man den Eindruck, dass die fehlende seriöse Berichterstattung über CR auch das widerspiegelt, was einige die allgemein negative Einstellung
gegenüber Wirtschaftsunternehmen bei einem Großteil
der Medien nennen. Der ehemalige Vorsitzende der britischen Arbeitgebervereinigung CBI, (jetzt Lord) Digby
Jones wandte sich sogar einmal an die Macher der
erfolgreichen britischen Seifenoper Coronation Street, um
sich darüber zu beschweren, dass sich ein Manager in der
Serie als Serienkiller entpuppt hatte. „Jeder hasst Manager,“ war die Antwort. Und für Jones war das genau die Art
„irrationaler Voreingenommenheit“, welche die Mitglieder
seiner Organisation tagtäglich erleben.
8 SustainAbility. Good News and Bad - The Media, Corporate Social
Responsibility and Sustainable Development. 2002.
9 Bemerkung dem Autor gegenüber im Mai 2009
10 The dignity of difference – how to avoid the clash of civilisations –
Jonathan Sacks – Continuum 2002
11 Blessed Unrest: How the Largest Movement in the World Came into
Being and Why No One Saw It Coming von Paul Hawken: Erstveröffentlichung 2007 bei Viking Penguin, Teil von Penguin (USA) Inc. ISBN: 9780-670-03852-7 (2007)
12 Blessed Unrest – S. 19
13 Natürlich nutzen einige Prominente ihren gesellschaftlichen Status, um
äußerst effektiv Einfluss zu nehmen auf politische/CR-Themen; z. B. Sir Ian
McKellen (Rechte von Homosexuellen), Bob Geldof (Hunger/Afrika), Bono
(AIDS/Armut), Joanna Lumley (Gurkas).
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Andererseits stellte Roger Alton (The Editor, The Observer)
in seiner Eröffnungsrede beim jährlichen PR Week PR
Forum in Chepstow am 23. November 2005 fest:
„Diese Generation ist marken- und medienbewusst. Und
je mächtiger Unternehmen werden, desto mehr Druck
liegt auf den Medien, deren Schwächen und Misserfolge
ans Tageslicht zu bringen, so wie sie es heute schon mit
Politikern machen. Wie stellen die Medien das an, wo sie
doch selbst Teil dieser multinationalen Unternehmen
sind?“ 14
Vielleicht haben ja Teile der Medien außer ihrer Feindseligkeit den Wirtschaftsunternehmen gegenüber nicht
genug Interesse an bzw. zu wenig Wissen über das
Geschäftsleben. Ist das nicht zumindest teilweise eine
Erklärung für die äußerst eingeschränkte Berichterstattung
im Vorfeld der globalen Finanzkrise? Ich weiß, dass sich
einige Journalisten als Folge der Weltfinanzkrise jetzt dafür
kasteien, dass sie zu wenig über die Welt des Business wissen und schwören, in Zukunft mehr über unternehmerisches Handeln zu lernen. In Großbritannien haben wir
eine extensive und exzellente Sportberichterstattung, weil
wir Sportjournalisten mit einer echten Liebe zum Sport
haben. Haben wir auch viele Wirtschaftsjournalisten, die
Wirtschaft wirklich lieben?
Natürlich sind die Medien keine homogene Einheit, und
Leser bzw. Zuschauer wählen unterschiedliche Medienarten auf der Grundlage ihrer Wünsche und Bedürfnisse aus.
Die einzelnen Medienunternehmen müssen ihre Kunden
verstehen. Im Nachhaltigkeitsbericht der britischen Zeitung The Guardian aus dem Jahr 2008 findet man eine
interessante Leserbefragung, die das Interesse aufzeigt,
das die Leser des Guardian daran haben, dass CR in die
Reihe der von der Zeitung behandelten Themen aufgenommen wird.15
Unternehmen sind im Allgemeinen zurückhaltend, wenn
es darum geht, über ihre Probleme und Fehlschläge zu
reden. Sarah Murray, Journalistin bei der Financial Times,
die regelmäßig über CR schreibt, rät:
„Unternehmen müssen sich darauf einstellen, offener
dafür zu sein, wie sie ihre CR-Stories erzählen, nämlich
ungeschönt. Die Financial Times, die weder mit Alarmisten noch mit PR-Texten nachsichtig ist, sondern über CR
in Begriffen von Unternehmenschancen und –risiken und
Managementherausforderungen berichtet, wird stets
mehr Interesse für eine Firma zeigen, die ehrlich über
ihre Schwierigkeiten und über den Weg, diese zu überwinden, als für ein Unternehmen, das einfach eine GoodNews-Geschichte erzählen will.“ 16
Um die Worte eines früheren Journalisten zu benutzen:
„Wenn ein Unternehmen ganz augenscheinlich versucht,
sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen, würden wirklich
große Journalisten versuchen, die Wahrheit ans Licht zu
bringen, anstatt über all die tollen Taten des Unternehmens zu schreiben.“
Auch wenn es nur ein technisches Detail zu sein scheint:
Viele Kritiker der Financial Times haben die Bedeutung der
Redakteure und den Einfluss der Besitzer auf die Berichterstattung kommentiert. Ein schlecht informierter oder nachlässiger Redakteur kann eine gute Story verbiegen, indem
er den Artikel kürzt oder mit einer sensationslüsternen
Schlagzeile versieht.
Ebenso wenig sollte man unterschätzen, dass wichtige
Einzelpersonen in den Medien teilweise über viel Macht
verfügen, um die Haltung des jeweiligen Mediums zu
einem bestimmten Thema überproportional stark zu
beeinflussen. Schon seit meiner Jugend bin ich Abonnent
des Economist. Leider waren dessen Berichte über CRThemen jahrelang sehr einseitig negativ – nicht nur in den
Leitartikeln, sondern auch auf den gesamten Nachrichtenseiten. Ich habe erfahren, dass diese starke Beeinflussung an der Einstellung lag, die ein bestimmter Journalist
zu diesem Thema hatte. Seit er das Magazin 2005 verlassen hat, ist die Berichterstattung ausgeglichener – am 18.
Januar 2008 erschien eine gut recherchierte und ausgeglichene Beilage, und am 14. Mai 2009 ein neuerer
Bericht im Nachrichtenteil.
Sustainability stellt fest:
„CSR und nachhaltige Entwicklung sind für die Leser und
Zuschauer nicht automatisch abschreckend und langweilig. Man kann informieren und eingreifen, ohne dabei
zu predigen oder Informationen mit dem Holzknüppel zu
vermitteln. Das Material für gute und wichtige Geschichten – selbst für guten Journalismus – ist vorhanden. Anstatt
abzuschalten oder kein Interesse zu zeigen, begrüßt das
Publikum Berichte zu CSR und nachhaltiger Entwicklung.
Aber die Zuschauer geben sich nicht mit weniger Qualität zufrieden, nur weil das Thema einen Bericht wert ist.“ 17
Sind wir selbst unser schlimmster Feind?
Professor Michael Porter von der Harvard Business School18
stellt die Frage, ob es uns die Unternehmen und die Entwickler von CR-Kampagnen nicht auch schwer machen,
bei den Medien mehr Verständnis für Berichterstattung zu
14 Quelle: Autor
15 http://image.guardian.co.uk/sysfiles/Guardian/docments/2008/12/03/
report2008.pdf
16 Gespräch mit dem Autor, Juni 2009.
17 UNEP and Ketchum. Good News and Bad – The Media, Corporate
Social Responsibility and Sus-tainable Development. 2002.
18 Rede beim Kolloquium der European Academy for Business in Society
(www.eabis.org), gehalten an der Copenhagen Business School im September 2003.
12
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
gewinnen, da die Begrifflichkeiten nicht klar genug definiert sind. Sicherlich wäre ein größerer Konsens hinsichtlich
der Bedeutung von Begriffen wie „Corporate (Social)
Responsibility, Corporate Sustainability, moralisch korrektes
Verhalten, Corporate Accountability“ und deren wechselseitiger Beziehungen hilfreich. Vielleicht zeigt diese
Begriffsverwirrung aber auch eine grundlegendere Uneinigkeit bezüglich der Rolle auf, die Unternehmen in der
modernen Gesellschaft spielen sollten – eine Debatte,
die als Folge der Weltwirtschaftskrise wieder neu belebt
wurde.
In manchen Ländern wie Deutschland werden die definitorischen Probleme umgangen, indem Autoren in Ermangelung angemessener deutscher Begriffe englische
Begriffe wie ’C(S)R’ oder Corporate Citizenship benutzen.
Andere Medien
Die Medien umfassen natürlich auch Bücher, Fernsehen
und Kino. Man darf nicht vergessen, dass es in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Filmen gab, die
sich dem Thema gesellschaftliche Verantwortung – oder
vielmehr gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit – von
Unternehmen gewidmet haben (siehe Kasten). Das ist
insofern bedeutend, als dass
Filmemacher einen Weg gefunden haben, Stories
über Wirtschaft und Gesellschaft für ein MainstreamPublikum zu erschließen – entgegen der Behauptung,
CR sei für das große Publikum nicht interessant;
der Umstand, dass die meisten Filme die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit thematisieren, den Punkt
von Digby Jones bestätigen, demzufolge Medien die
Wirtschaft negativ betrachten;
die Liste der Filme zeigt, dass viele Leute ihre Einschätzung der Wirtschaft nicht durch Faktendarstellungen,
sondern fiktionale Geschichten erlangen.
Jeff Skoll (Mitbegründer von eBay und anschließend der
Skoll Foundation: www.skollfoundation.org) hat die Macht
des Kinos erkannt, Debatten über gesellschaftliche und
Umweltthemen auszulösen und hat geholfen, verschiedene
Filme aus der untenstehenden Aufzählung zu finanzieren.19
Ich gebe zu, dass diese Liste nur anglo-amerikanische
Filme und beispielsweise keine Filme des indischen Subkontinents (’Bollywood’) enthält.
19 http://www.ft.com/cms/s/2/9bdfb524-56dd-11de-9a1c-00144feabdc0.html
In Silkwood (1983) mit Meryl Streep geht es um ein Leck
Spurlock folgt einer Zeitspanne von 30 Tagen, in denen
in einem Atomkraftwerk und den Versuch, die Verantwor-
sich Spurlock ausschließlich von McDonald’s Fast Food
tungslosigkeit der Betreiber zu enthüllen, die den Vorfall
ernährt und keinen Sport mehr treibt. Der Film dokumen-
vertuschen wollen.
tiert die drastischen Auswirkungen dieses Lebensstils auf
Spurlocks körperliches und geistiges Wohlbefinden und
Zivilprozess ist ein Film von 1998, in dem John Travolta als
beleuchtet den Einfluss, den die Fast-Food-Industrie auf
Anwalt für die Familien verstorbener Kinder gegen einen
unser Leben ausübt, indem sie schlechte Ernährung fördert.
großen Nahrungsmittelkonzern antritt. Dem Konzern wird
vorgeworfen, für eine Vergiftung der Kinder und die damit
The Day After Tomorrow von 2004 befasst sich mit den
verbundene Krebserkrankung mit Todesfolge verantwort-
Auswirkungen der Erderwärmung.
lich zu sein.
Der ewige Gärtner ist ein Film aus dem Jahr 2005, der
Erin Brockovich aus dem Jahr 2000 erzählt die wahre
auf dem gleichnamigen Roman von John le Carré
Geschichte des Kampfes gegen die Machenschaften
basiert. Darin geht es um große Pharma-Unternehmen,
des amerikanischen Energieriesen PG & E.
die ohne Skrupel neue Medikamente an ahnungslosen
Patienten in Afrika testen.
The Corporation ist ein kanadischer Dokumentarfilm von
Joel Bakan von 2003, der moderne Unternehmen kritisch
In Syriana aus dem Jahr 2005 mit George Clooney und
betrachtet. Er kategorisiert sie als Personentyp und bewer-
Matt Damon geht es um Ölunternehmen, die sich in die
tet ihr Verhalten der Gesellschaft und der Welt gegenüber
inneren Angelegenheiten des fiktiven Staats Syriana ein-
so, wie ein Psychologe dies mit einem Menschen tun
mischen, um einen Herrscher, der ihre Interessen nicht
würde.
teilt, durch einen gefügigeren zu ersetzen.
Der Dokumentarfilm Super Size Me aus dem Jahr 2004
von und mit dem unabhängigen Filmemacher Morgan
13
>>
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Good Night, And Good Luck (2005) unter der Regie von
ten in Kriegsgebieten zur Finanzierung derselben Kriege.
George Clooney erzählt die Geschichte eines Fernsehsenders und seiner Bemühungen, die Hexenjagd von
Thank You for Smoking ist eine Filmsatire von 2006, in der
Senator McCarthy in den USA der 50er-Jahre aufzudecken
die Macht des Konzernlobbyismus im Allgemeinen und
und beleuchtet den kommerziellen Druck und die mora-
der Tabakindustrie im besonderen aufs Korn genommen
lischen Dilemmata, denen sich das TV-Unternehmen
wird.
dabei ausgesetzt sah.
Eine unbequeme Wahrheit ist der mit einem Oscar präKaltes Land (2005) basiert auf einer wahren Geschichte
mierten Dokumentarfilm des früheren amerikanischen
des Kampfes um die Anerkennung der Rechte weiblicher
Vizepräsidenten Al Gore aus dem Jahr 2006 über Klima-
Angestellter im Bergbausektor.
wandel und Erderwärmung.
Blood Diamond ist ein Film mit Leonardo DiCaprio aus
In The Age of Stupid (2008) unter der Regie von Franny
dem Jahr 2006 und thematisiert den Abbau von Diaman-
Armstrong geht es ebenfalls um den Klimawandel.
14
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
IV. DIE CORPORATE RESPONSIBILITY DER MEDIEN SELBST
Medienunternehmen sind selbst Unternehmen. Das hat
nicht nur Auswirkungen auf ihre Rentabilität, sondern im
weitesten Sinne auch auf ihre unternehmerische Verantwortung. Wie jedes andere Unternehmen müssen sie
erkennen, wo ihre größten Einflussmöglichkeiten auf die
Umwelt, die Gesellschaft und die Führung ihres Unternehmens liegen. Den größten Einfluss üben die Medien durch
die Art und Weise aus, wie sie Quellen belegen und Material präsentieren:
a) Redaktionelle Grundsätze und Meinungsfreiheit
Wie überprüfen Journalisten verantwortungsbewusst
Fakten – besonders im stark umkämpften 24-StundenNachrichten-Rhythmus auf multiplen Medienkanälen,
in dem der Druck, eine neue Story als erster zu bringen, enorm hoch sein kann?
Wie prüfen Redakteure, ob eine Geschichte wahr ist?
Die New York Times wurde 2003 weithin kritisiert und
ausgelacht, als herauskam, dass ihr Reporter Jayson
Blair Teile seiner Berichte plagiiert oder komplett erfunden hatte. Als Konsequenz aus der Affäre traten der
damalige Chefredakteur Howard Raines und der leitende Redakteur Gerald M. Boyd zurück. Selbst der
erfahrene Fernsehjournalist Dan Rather wurde ertappt,
wie er 2004 über Unterstellungen bezüglich des Nationalgardendienstes von Präsident Bush berichtete. Als
Konsequenz verlängerte CBS seinen Vertrag nicht.
Wie können Redakteure Transparenz bezüglich der
redaktionellen Grundsätze sicherstellen? Wie ist es zu
bewerten, wenn die Redaktionsmeinung von den
Kommentarseiten einer Zeitung auf die Nachrichtenseiten hinüber schwappt und Meinungen als Fakten
präsentiert werden?
Wie viel Freiheit dürfen Redakteure und Herausgeber
haben, die Tendenz und Ausrichtung der Berichterstattung aufgrund ihrer persönlichen Meinung zu beeinflussen? Viele Zeitungen sind bekannt für ihre Präferenzen für oder gegen bestimmte politische Parteien, und
die Besitzer einiger großer Medienunternehmen
haben klare politische Haltungen, die die redaktionelle Arbeit beeinflussen.
b) Privatsphäre und öffentliche Anstandsregeln
Wie finden die Medien einen Ausgleich zwischen dem
Recht der Öffentlichkeit auf Information und dem
Recht des Einzelnen auf Privatsphäre? In Frankreich
gibt es z. B. weitreichende Gesetze zum Schutz der Privatsphäre. In Großbritannien gab es jüngst eine ganze
15
Reihe von Ereignissen, die in den Medien große
Beachtung fanden, da aus vermeintlich öffentlichem
Interesse die Privatrechte von Prominenten verletzt wurden. Wo ist hier die Grenze? Das tragische Beispiel des
Todes von Prinzessin Diana zeigte, dass Paparazzi-Fotografen ’außer Kontrolle’ geraten waren. Es sieht so aus,
dass die Medien nur dann über ihr Verhalten bei der
Nachrichtenproduktion und –verbreitung nachdenken, wenn sie selbst zur negativen Nachricht werden.
Eine Reaktion auf die Ereignisse um Diana bestand
darin, dass man sich darauf einigte, die Kinder von
Prominenten und öffentlichen Personen aus der
Berichterstattung herauszuhalten. Dennoch wird die
Privatsphäre nach wie vor auch für völlig unwichtige
Nachrichten verletzt: Beispielhaft sei hier der Fall des
Präsidenten des Formel 1-Verbandes, Max Mosley,
erwähnt, über dessen Privatleben eine Geschichte
verbreitet wurde, die eher kommerziellen als Nachrichtenwert hatte.
Inwieweit stehen die Medien in der Verantwortung,
gewisse Informationen oder Bilder aus Gründen des
Anstands und des öffentlichen Geschmacks nicht zu
veröffentlichen? Bei allen filmischen Wiedergaben der
terroristischen Gräueltaten vom 11. September 2001
haben sich die Medien dagegen entschieden, die
entsetzlichen Bilder der Menschen in den Zwillingstürmen zu zeigen, die eher in den Tod sprangen, als im
Gebäude darauf zu warten, bei lebendigem Leibe zu
verbrennen. Andererseits haben die Medien weltweit
die mit einem Mobiltelefon aufgenommenen Bilder
der Hinrichtung Saddam Husseins immer wieder
gezeigt.
Wie sollten die Medien mit schutzlosen Menschen
umgehen, die nicht in der Lage sind zu entscheiden,
ob intime Informationen über sie verbreitet werden dürfen? In Großbritannien gab es den Fall eines 12-Jährigen, der seine 14-jährige Freundin schwängerte und
als Großbritanniens jüngster Vater präsentiert wurde.
Seine Eltern und die seiner Freundin waren damit einverstanden, die Geschichte an die Medien zu verkaufen.
Prompt entstand eine Debatte über Kinder, die Kinder
bekommen und ob Großbritannien eine zerfallende
Gesellschaft sei. Der Fall wurde zur Metapher für soziale Exklusion. (In Wirklichkeit ergab eine DNA-Analyse,
dass der 12-Jährige gar nicht der Vater war – stattdessen wurde ein 14-jähriger Junge ausgemacht.) War es
seitens der Medien richtig, diese Story zu kaufen und die
Bilder der Kinder auf den Titelseiten zu veröffentlichen?
Wie sollten Medien die Balance zwischen der Verpflichtung zur Berichterstattung über Fehlverhalten und
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
moralischer Scheinheiligkeit wahren? Einige Medienorganisationen in Europa fordern ein Gesetz, das sich an
„Megan’s Law“ anlehnt – einem Gesetz in Kalifornien,
das der Öffentlichkeit per Internet Zugang zu detaillierten Informationen über registrierte Sittlichkeitsverbrecher gewährt.20 Den Wohnsitz von Pädophilen zu veröffentlichen mag als Dienst an der Öffentlichkeit betrachtet werden, kann aber auch zur Selbstjustiz führen.
hier von Verantwortung ’hinter der Kamera und vor der
Kamera’, die TV-Sender übernehmen müssen.
Welche Verantwortung haben Medienunternehmen
im Konflikt zwischen Werbung für Konsumzwecke und
der Verpflichtung zu nachhaltiger Entwicklung?
d) Bildungs- und Informationsauftrag
Wie können Medien Zusammenhänge und Sachverhalte für ein großes Publikum erklären und darstellen,
ohne sie andererseits überzuvereinfachen? An welcher Stelle wird aus einem deutlichen Kommentar
Demagogie? In den USA üben die so genannten
’Shock-Jocks’ im Radio eine enorme Macht aus. Einer
von ihnen, der Konservative Rush Limbaugh, wurde
vom Weißen Haus kürzlich als der wahre Führer der
amerikanischen Opposition bezeichnet.
Michael R. Evans, Professor an der Indiana University
School of Journalism, nennt als Maßstab für den
Umgang mit schwierigen Entscheidungen die Goldene Regel (im Kantischen Sinne): Was Du nicht willst, das
man Dir tu, das füg auch keinem andern zu. Dennoch
räumt er ein, dass bei der Frage, über welche Details
einer Story man berichten soll, Spannungen entstehen. Worin liegt die moralische Verpflichtung, wenn
man weiß, dass eine Story den Opfern und Betroffenen mehr Schaden zufügt, als sie hilft, die Schuldigen
öffentlich anzuklagen? Und wie geht man mit dem
Widerspruch zwischen der nüchternen Darstellung von
Fakten und der Tatsache um, dass sich eine Zeitung
auch verkaufen muss?
Wenn es tatsächlich einen Bildungs- und Informationsauftrag der Medien gibt, welche Verantwortung
haben sie dann gegenüber medialen Analphabeten
(Leute, die nicht zwischen Fakten, Meinung, Unterhaltung und Werbung unterscheiden können) und ihrer
sozialen Ausgrenzung?
c) Werbung
Welche Verantwortung haben Medien bei der Einschätzung der voraussichtlichen Folgen ihrer Berichterstattung? Der folgende Kasten mag als Beispiel dienen.
Welche Verantwortung erwächst für Medien aus dem
Umstand, dass sie auf kommerzielle Werbung angewiesen sind? Die CR- Beratungsagentur Context spricht
Ein strittiges Thema in den vergangenen Jahren war
die Frage, ob sich Medienunternehmen, die dänische
Karikaturen wiedergaben, die so viele Muslime erzürnten, verantwortungsvoll verhalten haben.
Es ist immer eine Gratwanderung, wenn Medienbesitzer ihren Redakteuren vorschreiben, was sie veröffentlichen dürfen und was nicht. Aber es ist die Verantwortung des Besitzers, sicherzustellen, dass fähige Redakteure beschäftigt werden, dass stabile Mechanismen
für die Überprüfung von Inhalten existieren und dass
sein Medium eine verantwortungsvolle redaktionelle
Linie verfolgt. Die Kontroverse um die Karikaturen hat
gezeigt, dass Medienbesitzer auf der ganzen Welt
gemeinsam mit ihren Redakteuren regelmäßig die
Richtlinien für das überprüfen müssen, was sie publizieren bzw. was sie nicht publizieren.
Die Meinungs- und Pressefreiheit ist ein mühsam
erkämpftes Gut und ein wichtiger Wert in vielen Ländern dieser Welt. Aber sie war nie absolut. Sie unterliegt
den Anti-Verleumdungsgesetzen und vielerorts auch
den Gesetzen gegen Diskriminierung und Volksverhetzung. In der Praxis müssen Redakteure tagtäglich
einen Ausgleich finden zwischen Redefreiheit und
gutem Geschmack, den Befindlichkeiten der Leser
und dem gesunden Menschenverstand, etc. Man
bedenke nur, wie sich die Darstellung der Afroamerikaner in den amerikanischen Medien seit den 1960erJahren geändert hat. Unsere Vorstellung des Akzeptablen und des Nicht-Akzeptablen ändert sich je nach
den vorherrschenden gesellschaftlichen Konventionen
und Sichtweisen. Meiner Meinung nach wurde die New
York Post Anfang des Jahres völlig zurecht aufs heftigste kritisiert, als sie Präsident Obama als toten Schim>>
20 http://www.meganslaw.ca.gov
16
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
pansen karikierte (ein Schimpanse war von der Polizei
erschossen worden, und die Zeitung verband diese
Geschichte mit dem erfolgreichen Versuch des Präsidenten, ein Konjunkturpaket einzubringen).21
Ich glaube fest an den alten Grundsatz: „Ich halte
nichts von dem, was Du sagst; aber Dein Recht, es zu
sagen, werde ich mit meinem Leben verteidigen!“
Dennoch hätte ich persönlich Zurückhaltung gezeigt
und mich nicht dazu entschlossen, die ursprünglichen
Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen. Denn ich
erinnere mich auch noch an das alte Sprichwort „Sie
sprechen von Freiheit, meinen aber Lizenzen!“ Die
erste dänische Zeitung, die die Karikaturen veröffentlichte, machte in ihrer späteren Entschuldigung klar,
dass sie niemanden hatte beleidigen wollen. Wahrscheinlich war ihr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
nicht klar, dass diese Bilder irgendjemanden beleidigen könnten. Die Medien, die die Karikaturen nach
Beginn der Kontroverse wiedergaben (soweit ich weiß,
nicht die etablierten britischen Medien), hätten es hingegen wissen müssen. Das Handeln eines ehemaligen italienischen Ministers, der die Karikaturen bei
einem Auftritt auf seinem T-Shirt trug, war ganz klar
unverantwortlich.
Die Welt ist heute auf eine noch nie da gewesene Art
und Weise miteinander verbunden – mit Zugang zum
Fernsehen, dem Internet, Mobiltelefonen, etc. Das
bedeutet, dass dramatische Bilder in Echtzeit um den
Erdball gesendet werden können. So wie in der Ver-
SustainAbility, das schon erwähnte führende Beratungsunternehmen im Bereich Corporate Responsibility und
Nachhaltige Entwicklung, hat 2005 in einer Partnerschaft
mit der Umweltorganisation WWF einen Bericht zur
Medienindustrie erarbeitet. In seiner Studie zu Corporate
Responsibility im globalen Medien- und Unterhaltungssektor rangiert die Guardian Newspapers Ltd (GN) an erster
Stelle vor der BBC, Pearson und Reuters in Großbritannien
sowie den internationalen Medien- und Unterhaltungskonzernen wie z. B. News International, Time Warner und
Vivendi Universal.
Viele Medienunternehmen versuchen, den Status der
CO2-Neutralität zu erreichen und gehen andere Umweltfragen an: wie CDs, DVDs und Zeitungspapier hergestellt
und entsorgt werden. Unternehmen wie BskyB in Großbritannien spielen z. B. im Bereich Klimawandel eine führende Rolle: BskyB verpflichtete sich zu CO2-Neutralität und
überzeugte sein Mutterunternehmen NewsCorp, es ihm
gleichzutun. Dennoch befasste sich der letzte Nachhaltigkeitsbericht von Sky (2007) nicht mit der Wirkung der
redaktionellen Inhalte, wie sie oben diskutiert wird.22
17
gangenheit eine erfolgreiche Gesellschaft auf Ebene
des Nationalstaats lernen musste, „zu leben und leben
zu lassen“ und die Überzeugungen des jeweils anderen zu respektieren, so trifft dies jetzt, wo wir in einem
globalen Dorf leben, auf die Weltgemeinschaft zu.
Aber es trifft auf beide Seiten gleichermaßen zu. Die
gewalttätigen Proteste und Todesdrohungen gegen
die Karikaturisten sind falsch. Wir brauchen viel mehr
Respekt und wechselseitige Toleranz zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens und denen, die
keinem Glauben anhängen. Das kann nur auf der
Grundlage eines Dialogs passieren. Laut Winston Churchill ist „quasseln immer noch besser als Krieg führen!“
Zurzeit ist es für den Westen ebenso einfach, den Islam
als gewalttätigen Glauben zu karikieren wie für die
muslimische Welt, den Westen als aggressiv anzusehen.
Außerdem habe ich erfahren, dass die dänischen
Muslime offensichtlich mehrere Monate lang versucht
hatten, mit den dänischen Medien und Politikern in
einen Dialog über die Karikaturen zu treten und abgewiesen wurden. Also suchten sie internationale Hilfe –
mit dem Resultat, das wir alle gesehen haben. Es stünde den Unternehmen gut an, davon zu lernen: eine
lokale Community oder eine Nichtregierungsorganisation, die legitime Bedenken gegen das Verhalten eines
Unternehmens haben, können irgendwann – wenn
man sie ignoriert – auch die „schweren Geschütze“ der
globalen NROs und Medien auffahren.
An meiner Universität Cranfield überlegt man, wie
man den „Carbon Brainprint“ messen kann, d. h. wie
man anderen Organisationen helfen und sie darin
unterstützen kann, ihre CO2-Bilanz zu verbessern,
indem ihre Fähigkeiten entwickelt und Forschungsund Beratungsprojekte durchgeführt werden. Können
Medienunternehmen eine ähnliche Folgenabschätzung für ihren „Carbon Brainprint“ durchführen?
21 Die New York Post veröffentlichte am 18. Februar eine provokative und
äußerst aufwieglerische politische Karikatur. Dabei brachte sie zwei Tagesgeschehnisse miteinander in Verbindung: einmal die Geschichte von
Charla Nash, einer Frau aus Connecticut, die von ihrem „zahmen“ Schimpansen angegriffen wurde. Dieser hätte ihr fast das Gesicht zerfetzt und
musste von der Polizei erschossen werden, als er sich auf die Polizisten
stürzte. Das zweite Ereignis war, dass Präsident Barack Obama ein Gesetz
zu einem äußerst umstrittenen, aber dringend benötigten Konjunkturpaket
unterzeichnete – noch während seines ersten Monats im Amt, was aufgrund der großen Kluft zwischen den beiden großen Parteien im Kongress
ein fast unmögliches Kunststück war. Der Besitzer der New York Post, Rupert
Murdoch, hat sich später für die Karikatur entschuldigt.
22 Das Berichtswesen soll jetzt in die Darstellung der Finanzsituation
eingegliedert werden.
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
In Großbritannien hat eine Gruppe von Medienunternehmen ein Medienforum eingerichtet, um über medienspezifische CR zu diskutieren und gute Praxisbeispiele bekannt
zu machen (http://www.mediacsforum.org). Die CR-Beratungsfirma Acona, die das Forum koordiniert, unterscheidet zwischen
oder in Brasilien, wo sechs Unternehmen 80% der Fernsehproduktionen kontrollieren und sieben von zehn
Tageszeitungen demselben Unternehmen gehören.
Ein ehemaliger Journalist sagte mir einmal: „Für Medienunternehmen werden Defizite bei ihrem Verhalten schnell
peinlich, da sie als Heuchler dastehen. Aber in den etablierten Medien werden die Defizite dieser Unternehmen
dennoch selten aufgezeigt, da die Arbeitsplätze vieler
Journalisten von ihnen abhängen.“
CR-Themen, die für alle Unternehmen relevant sind,
allgemeinen CR-Themen, die im Mediensektor besondere Bedeutung haben (z. B. der Umgang mit freien
Mitarbeitern)
und CR-Themen, die spezifisch für den Mediensektor
relevant sind (siehe Abb. 3).23
Wenn in vielen Ländern die CR der Medienunternehmen
wenig fortgeschritten ist, dann ist es auch schwieriger,
Abbildung 3: Drei Bereiche von CR-Themen
Plurality
Supply chain
integrity
Valuing creativity
Promotion of causes
Community
investment
Entertainment and gaming
Treatment of freelancers
Staff
investment
Transparent ownership
Digital divide
Climate change
Awareness of the
impacts of communication
Promotion of sustainable
development
Corporate governance
Customer
relationship
CSR issues common
to all sectors
Media literacy
Compliance
Education
Staff diversity
Diversity
of output
IP and copyright
Health, safety and security
Community investment
Creative
independance
Data protection
Transparent and
responsible editorial
policies
Freedom of expression
Human rights
Information integrity
Citizenship
Common CSR issues with distinct implications fpr media
Impartial and
balanced output
Unique CSR issues
for media
Fettdruck: Neue Probleme, die 2008 identifiziert wurden
Haben die Medien beispielsweise eine Verantwortung,
„eine ökologisch und sozial nachhaltigere Gesellschaft zu
unterstützen“? 24
anspruchsvoll über die gesellschaftliche Verantwortung
anderer Unternehmen zu berichten.
Fazit
Wer berichtet über das Verhalten und die Verantwortung
der Medien selbst? Oder über das Verhalten der Besitzer
von Medienunternehmen? Das ist im Fall einer starken
Medienkonzentration besonders wichtig:
Ich hoffe, dass wir in Zukunft ein größeres Interesse an der
unternehmerischen Verantwortung der Medien sehen
z. B. in Italien, wo Silvio Berlusconi in seiner doppelten
Rolle als Premierminister und Geschäftsmann mittelbar
und unmittelbar einen Großteil des italienischen Fernsehens kontrolliert;
24 Mapping the landscape: CSR issues for the media sector 2008. “Brain
print” the residual influence of output on audiences: CSR Media Forum
2008.
23 Mapping the Landscape: CSR Issues for the Media Industry 2008. –
http://www.mediacsrforum.org
www.mediacsrforum.org/_media/documents/Media_CSR_Map_2008.pdf.
p4.
18
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
werden. In Großbritannien war die BBC bei der Umsetzung
vieler CR-Themen führend – z. B. organisiert sie Sustainability Talks für die Redaktionsmitarbeiter, tritt für Vielfalt unter
den eigenen Mitarbeitern ein und denkt kreativ über die
Möglichkeiten nach, die das Unternehmen hat, um
Zuschauer zu bilden und zum Handeln zu aktivieren. So
hat die BBC z. B. sehr gute Programminhalte zum Thema
Klimawandel produziert. Nachrichtenagenturen produzie-
19
ren eine zunehmende Menge an Nachrichten für die
Medien, und diese Rolle nimmt im gleichen Maße zu, wie
in den Medien selber in der Rezession Einsparungen erforderlich werden. Die Nachrichtenagentur Reuters verwendet Unternehmensprinzipien, um richtiges Verhalten im
Unternehmen zu definieren. Diese Unternehmensprinzipien sind etwa Schutz der Integrität, Seriosität von Nachrichten, Entwicklung des Nachrichtengeschäfts u. a.
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
V. WELCHE AUSWIRKUNG HABEN DIE NEUEN MEDIEN?
Bis jetzt habe ich über die konventionellen Medien
gesprochen – hauptsächlich Zeitungen, Magazine, das
Fernsehen und den Rundfunk. Mit dem Internet und den
damit verbundenen Entwicklungen wie Blogs und leistungsstarken Suchmaschinen wie Google erleben wir
jedoch eine Revolution. Die Zahl der Internetnutzer ist von
60 Millionen im Jahr 1996 auf 600 Millionen im Jahr 2002,
eine Milliarde im Jahr 2005 und unglaubliche 1,6 Milliarden im März 2009 angestiegen. Allein in China gibt es
schon über 300 Millionen Internetnutzer (Ende 2008).25
In seiner Arnold-Schwarzenegger-Biographie „Fantastic“
zeigt der amerikanische Schriftsteller Laurence Leamer
auf, wie sowohl Präsident Bush als auch Gouverneur
Schwarzenegger die sinkende Bedeutung der traditionellen Medien erkannt und statt der traditionellen Organe
immer häufiger neue Medien verwendet haben. Die
amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2008 haben die
wachsende Bedeutung des Internets gegenüber den traditionellen Medien deutlich gemacht. Barack Obama
konnte in seinem Wahlkampf Millionen von Unterstützern
über das Internet gewinnen – nicht nur als Geldgeber,
sondern auch als Wahlkämpfer.
Schon 2005 warf Rupert Murdoch der amerikanischen
Organisation der Zeitungsjournalisten (ASNE) vor, angesichts der Auswirkungen der steigenden Internutzung auf
die Zeitungen eine „bemerkenswert unerklärliche Selbstgefälligkeit“ zu zeigen.26 Junge Menschen – stellte er fest –
nutzen Nachrichten auf eine völlig andere Art:
„Sie wollen sich nicht auf ein gottähnliches Wesen von
oben verlassen, das ihnen sagt, was wichtig ist.“
Das Pew Internet & American Life Project, das die Auswirkungen der Technik auf die amerikanische Gesellschaft
untersucht, ist eine Initiative des Pew Charitable Trust,
einer gemeinnützigen Organisation aus Philadelphia. Seinem Bericht zufolge haben 2008 64% der online aktiven
Teenager eigene Inhalte veröffentlicht.27
Neue Medien wie ’Blogs’, RSS-Feeds, ’Google Books’, ’Podcasts’, ’Vidcasts’, Online-Video (’YouTube’, ’blimptv’ etc.),
soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Affiliate-Programme,
Word-of-Mouth-Marketing, Viralmarketing, ’Second Life’,
Online-Spiele, virtuelle Verkaufsshows, Online-Communities, ’E-Books’ usw. werden weltweit immer wichtiger. Mobiltelefone haben neue Funktionen bekommen, mit ihrer
Hilfe hat man Zugang zum Internet und kann Musik oder
Filme kaufen. Man bedenke auch:
Amerikanische Teenager sehen 60% weniger fern als
ihre Eltern und verbringen 600% mehr Zeit online.
In den USA liegt das Durchschnittsalter der Zuschauer
von Fernsehnachrichten bei 63.
Die Mitgliedszahlen bei Twitter stiegen im Jahr 2008
um 1.400%.
Die Mitglieder von Facebook wären zahlenmäßig das
fünftgrößte Land der Erde.28
Über 30% der Internetnutzer in China nutzten für den
Netzzugang ihr Mobiltelefon – das sind 84,5 Millionen
Nutzer (2008).29
Laut einer Studie des Center for the Digital Future
geben 22% der Internetnutzer in den USA an, ihr Abonnement einer gedruckten Zeitung bzw. Zeitschrift
gekündigt zu haben. Warum? Da derselbe Inhalt auch
online zugänglich ist.30
Ein Ort des Gesprächs
Rupert Murdoch verlangt, dass die traditionellen Medien,
zu denen auch seine eigenen gehören, das Internet
schnell begreifen, ihrem Publikum nicht länger Vorträge
halten, sondern „zu einem Ort des Gesprächs“ bzw. zu
Orten werden sollten, „an denen sich Blogger und Podcaster einfinden, um unsere Reporter und Redakteure in ausgedehnte Diskussionen zu verwickeln“. Dies kulminiert laut
John Seely Brown, dem ehemaligen Direktor von Xerox
Park, darin, dass
„sich in einer Welt, in der jeder zum Journalisten oder
Kommentator im Web wird, ein Zwei-Wege-Journalismus
entwickelt. Der Journalist wird zum Forumsleiter bzw. Vermittler, anstatt einfach nur Lehrer bzw. Vortragender zu
sein.“ 31
In „Die Suche – Geschäftsleben und Kultur im Banne von
Google & Co“ beschreibt John Battelle, mitbegründender
Herausgeber des Magazins Wired sowie Mitbegründer
von The Industry Standard, wie er feststellte, dass er keine
traditionellen Medien wie den Economist oder das Wall
25 Soulstates (2009) www.soul-states.com
26 Washington DC, 13. April 2005
27 Quoted in Washington DC, April 13th 2005. Siehe http://news.bbc.
co.uk/1/hi/business/4697671.stm.
28 http://www.newspaperdeathwatch.com/ New Communications Forum
San Francisco 2009 - World without media – what will fill the void –
[email protected] und www.gillin.com – Autor von „The New Influencers“
29 http://english.people.com.cn/90001/90776/90882/6516299.html
30 http://annenberg.usc.edu/AboutUs/News/090429CDF.aspx
31 The Media Centre, American Press Institute. We media: How audiences
are shaping the future of news and information. http://www.hypergene.
net/wemedia/download/we_media.pdf
20
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Street Journal mehr liest – obwohl diese Presseorgane in
der Vergangenheit die Standards guten Schreibens definiert haben. Seine Erklärung ist sowohl faszinierend als
auch wichtig:
„In der gedruckten Welt las jeder Mensch seine eigene
Zeitung, und dann unterhielt man sich auf der Arbeit
oder im Café mit anderen Menschen darüber. Im Web
jedoch werden Nachrichten an sich schon zum
Gespräch – dank Blogs, E-Mails und der Cut-and-pasteKultur. Kurz gesagt: Selbst wenn ich das Wall Street Journal
oder The Economist lesen würde, könnte ich nicht so lokker darüber diskutieren wie über einen Artikel aus Yahoo
oder „Google News“, weil meine Freunde und Kollegen
nicht das Gleiche lesen können wie ich [wegen der
Abonnementbedingungen]. Ich habe zunehmend das
Gefühl, dass Dinge meine Zeit nicht wert sind, wenn ich
sie nicht mit anderen teilen kann. [Hervorhebung von mir]
[...] In der heutigen Nachrichtenwelt besteht die größte
Sünde darin, sich vom Gespräch auszuschließen. The
Economist und das Wall Street Journal tun aber genau
das.“ 32
Medien erschaffen immer mehr Produkte und Formate,
die ihren Ursprung in den neuen Medien haben. Etliche
kleinere Medienunternehmen schlagen Kapital aus der
Nutzung traditioneller Medien (Film), um ihre Nachhaltigkeitsbotschaften über Internet, Netzwerkseiten und ’viral
messaging’ zu streuen. www.onemoreproduction.com
und www.freerangestudios.com produzieren kurze Filme,
um das Publikum für Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Recycling, Regenwasseraufbereitung und Nutzung
von Rohstoffen zu sensibilisieren.
Bürgerjournalismus
Wir sehen eine Zunahme des „Bürgerjournalismus“. Jeder,
der eine Kamera oder ein digitales Telefon besitzt, kann
rund um die Uhr zum Medienfotograf werden. Jeder kennt
die dramatischen Bilder des Flugzeugs, das vor einigen
Monaten auf dem Hudson notlandete, ebenso die Fotos,
die von Fällen angeblicher Polizeibrutalität während der
Proteste zum G20-Gipfel in London auftauchten. Offensichtlich war das Erdbeben von L’Aquila in Italien bereits
auf Twitter, bevor es zur Nachricht in den MainstreamMedien wurde!
Es ist beachtenswert, dass Murdoch, Seely Brown und Battelle erkennen, dass jüngere, vernetzte Menschen anders
mit Nachrichten und Medien interagieren – interaktiv in
Form eines „Dialogs“.
Der Economist schrieb in einem Artikel mit dem Titel
„Yesterday's papers - the future of journalism“:
„Dem digitalen Bürger von heute ist es ein Gräuel, nur Vorträge gehalten zu bekommen. Vielmehr erwartet er im
Rahmen eines online geführten Dialogs informiert zu werden. Einerseits ist es weniger wahrscheinlich, dass er einen
traditionellen Leserbrief schreibt, andererseits postet er
seine Antwort eher im Web und führt die Diskussion dort
fort. Eine Leserbriefseite, die ausschließlich vom Redakteur ausgewählte Leserbriefe abdruckt, ist für ihn sinnlos;
die besten Antworten mit Hilfe der spontanen Abstimmungssysteme des Internets zu finden, ist es nicht.“ 33
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise beschleunigt einen
ohnehin schon starken Abwärtstrend in der Entwicklung
gedruckter Zeitungen, in dessen Folge in den USA und in
Großbritannien viele etablierte lokale und regionale Zeitungen entweder schließen, übernommen werden, von
Tages- zu Wochenzeitungen werden oder nur noch als
Internetausgabe erhältlich sind. In der Zeit von Oktober
2008 bis März 2009 ist die Auflagenzahl amerikanischer
Zeitungen um 7,1% zurückgegangen – der stärkste Rückgang bis jetzt.34
Die Grenzen zwischen traditionellen und neuen Medien
verwischen zusehends. Zeitungen und Rundfunksender
haben Websites, und Journalisten bloggen – traditionelle
21
Die ersten Bilder der dramatischen Notlandung eines Flugzeugs auf
dem Hudson River in New York wurden von Amateurfotografen geliefert, die das Ereignis mit Mobiltelefonen festgehalten hatten.
Photo: Janis Krums via Twitpic.
Universal McCann Erickson fragt sich, wie die Möglichkeiten zur Einflussnahme mit anderen geteilt werden – vom
prämedialen Zeitalter über die Massenmedien hin zum
sozialen Medienzeitalter. Werden neue Schnittstellenorganisationen entstehen?
32 John Battelle. The Search: How Google and its rivals rewrote the rules of
business and transformed our culture. Portfolio Hardcover 2005. See
pages 173-4.
33 The Economist, 21. April 2005
34 http://finance.yahoo.com/news/US-newspaper-circulation-sees-apf15039695.html?.v=6
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Der Commonwealth Club of California hat jüngst eine
Initiative gestartet, bei der alle dort gehaltenen Vorträge
live ins Internet übertragen und dann archiviert werden.
Das Carnegie Centre for Ethics in New York verfährt ebenso. Beide Initiativen bieten sich als Informationsquellen für
informierte und aktive Bürger an. Diese beiden hochrespektierten Institutionen nutzen also gewissermaßen ihre
„Marke“, um vertrauenswürdige Wissensquellen zu werden
– „Wissensmakler“ sozusagen.
Giles Gibbons vom CR-Beratungsunternehmen Good
Business ist der Auffassung, dass die Revolution der neuen
Medien Organisationen und Unternehmen dazu antreibt,
transparenter zu werden und weniger Kontrolle auszuüben, weil es einfach keine Alternative gibt:
„Man kann heute die Debatte über die eigene Marke
nicht mehr kontrollieren.“ 35
Was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmen und ihre PR-Berater müssen lernen, dass
Verlässlichkeit und Transparenz deswegen wichtig sind,
weil Nachrichten das Publikum heute so leicht erreichen –
der Aufstieg der neuen Medien macht’s möglich. Manipulationsversuche in den Medien (traditionell oder neu)
können dank der neuen Medien leichter aufgedeckt werden.
Sind Unternehmen und CR-Berater dazu überhaupt
bereit? Wer verfügt über eine interaktive Website, die Diskussionen und Dialoge ermöglicht? Der ausgezeichnete
Artikel „Campaigns 2.0“ von Oliver Balch im Magazin Ethical Corporation (Mai 2009) zeigt, dass Wirtschaftsunter-
nehmen im allgemeinen sehr viel konservativer sind und
weniger Erfahrung und Organisationsvermögen mit Social
Networking und den Websites der neuen Medien haben
als viele ihrer Kritiker. Balch merkt dazu an:
„Alles deutet darauf hin, dass e-Communities und soziale
Medien nicht so schnell wieder verschwinden werden.
Und das ist nicht der einzige Grund, warum sich Unternehmen darüber klar werden müssen, wie sie Teilhabe
organisieren wollen […]. Wenn Unternehmen sich für web
2.0 entscheiden, dann müssen sie offenherzig hinsichtlich
ihres Kerngeschäfts und ehrlich hinsichtlich ihrer Ziele
sein. Integrität kann man nicht vortäuschen. Die echten
Online-Communities funktionieren genau deshalb, weil
sie ’echt’ sind.“
Ein Unternehmen, das sich experimentierfreudig zeigt, ist
der Fruit-Smoothies-Produzent Innocent Drinks, der seine
Kunden dazu einlädt, sich an der Online-Debatte über die
Unternehmensstrategie zu beteiligen, etwa ob die Produkte in McDonald’s-Restaurants angeboten werden sollten.
Für Balch sind die Konsequenzen für die Unternehmen
klar:
„Es muss erkennbar sein, dass Unternehmen zuhören,
dass sie als Schnittstelle fungieren, um gleichgesinnte
Personen zusammenzubringen. Ebenso unerlässlich ist es,
aktiv zu sein. Unternehmen können nicht anfangen,
soziale Medien zu nutzen und sich dann wieder ausklinken. Genauso wenig können sie die Bandbreite ihrer Aktivitäten einfach einengen. Erfolgreiche soziale Networker
sind überall [...]. Darüber hinaus müssen sich Unternehmen von Anfang an über die Zielsetzung ihres OnlineEngagements im Klaren sein.“ 37
35 Im persönlichen Gespräch mit dem Autor
37 http://www.ethicalcorp.com/content.asp?ContentID=6458&ContType
ID=
22
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
VI. CORPORATE RESPONSIBILITY IN DEN NEUEN MEDIEN
Auch im Cyberspace besteht die Gefahr der Unverantwortlichkeit:
Gerüchte können durch die Blogosphäre verbreitet
werden – wo kommen harte „Nachrichten“ her?
Welche Verantwortung haben die Host-Sites eines
Blogs für die veröffentlichten Inhalte, da sie ja nur die
technische Unterstützung liefern?
Wie kann der Bürgerjournalismus kontrolliert werden?
Welchen nationalen Gesetzen sollten Internetfirmen
folgen? In Deutschland gab es z. B. Probleme mit
Suchmaschinen, die Links zu Websites mit rechtsradikalem Inhalt zeigten.
Natürlich wird ein Verfechter des web 2.0 immer sagen,
dass die Selbstregulierung der Blogosphäre verlässlicher ist
Für den Bereich CR ist das Neuland - und ich habe
keine definitive Antwort parat. Also gibt es nur eine
ambivalente Antwort! Einerseits wird argumentiert, dass
ein Unternehmen, das in einem bestimmten Land tätig
ist, den Gesetzen dieses Landes folgen sollte – und
dass dies ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses
eines verantwortungsbewussten Unternehmens ist.
Andererseits entwickelt sich in der Welt ganz langsam
das Verständnis, dass nationale Souveränität in der
heutigen verbundenen, globalen Wirtschaft und
Gesellschaft nicht mehr länger absolut ist. Umweltverschmutzung in einem Land betrifft schnell auch andere Länder. Das Unterdrücken von Informationen über
eine Pandemie oder deren nachlässige Bekämpfung
in einem Land betrifft schnell auch andere Länder.
Regierungen dürfen keine Völkermorde begehen.
Menschenrechte sind grenzüberschreitend. Die Informationsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht.
In der Praxis wird die Technologie in Zukunft vielleicht
„neue Voraussetzungen“ schaffen. Es ist sehr viel
schwieriger, Millionen von Websites und persönlichen
Blogs zu zensieren als ein paar vereinzelte Zeitungen,
Magazine und Fernsehsender. Ende 2008 gab es
schon 300 Millionen Internetnutzer in China. Über 30
Millionen Chinesen haben ihre eigenen Blog-Sites.38
Software zur Umgehung der Zensuren ist immer weiter
verbreitet. Über zwei Millionen Menschen haben schon
als die der traditionellen Medien. Wikipedia, die OnlineEnzyklopädie, wird gern als Beispiel für eine wirksame
Qualitätskontrolle durch die Nutzer selbst genannt. Ich bin
mir da nicht so sicher. Sobald ein Gerücht erst einmal im
Umlauf ist, kann die Wahrheit es nur schwer wieder einholen!
Tim Berners-Lee – häufig als ’Vater des Internets’ bezeichnet, ist der Auffassung, dass es so etwas wie ein weltweites Komitee zur Etablierung ethischer Prinzipien im Worldwide Web geben sollte. Die weitere Entwicklung des Internets und sein starker Einfluss auf die Welt mache es erforderlich, dass die Verbreitung falscher Informationen wirksam vermieden werden muss.
Auch Unternehmen der neuen Medien können in Schwierigkeiten geraten. Es war ja z. B. nicht geplant, dass Google, Yahoo, Microsoft, Cisco etc. auf dem chinesischen
Markt mit Zensurbedingungen konfrontiert wurden.
einmal ein kostenfreies Programm heruntergeladen.
Eine Studie des Berkman Centre for Internet and Society an der Harvard Law School hat herausgefunden,
dass China erfolgreich 90% der Websites über das
„Massaker am Platz des Himmlischen Friedens“, 31%
der Websites über die Unabhängigkeitsbewegung in
Tibet und 83% der Sites, auf denen eine herabwürdigende Version des Namens des ehemaligen Präsidenten Jiang Zemin zu finden ist, gesperrt hat. Anders ausgedrückt: Vieles wird gestoppt, manches kommt aber
auch durch.
Googles Vizepräsident Elliot Schrage gab bei den
Anhörungen zum Internet und China vor dem US Kongress am 15.02.2006 zu, dass dies nicht Googles hellste Stunde war: „Absolut nichts, worauf wir stolz sind.“
Zwar passte das so gar nicht zu Googles Motto „Do No
Evil“, aber meiner Meinung nach war die Kritik am
Unternehmen übertrieben. Auf seiner chinesischen
Website erklärt Google, dass die Suchergebnisse gefiltert werden. Paradoxerweise kann das auch dazu führen, dass sich viele Chinesen mit einer Suchanfrage
überlegen, welche Informationen vor ihnen verborgen
gehalten werden sollen – was indirekt eine Ermutigung
zum Weitersuchen sein kann.
>>
38 National Public Radio, 7. März 2006
23
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
Bei Yahoos Weitergabe von Informationen an die chinesischen Behörden, die dann zur Verhaftung von Dissidenten geführt hat, sieht die Sache anders aus. Yahoo
trifft hier wohl mehr Schuld, und es gab sogar eine Boykottkampagne – www.booyahoo.blogspot.com.
Ich stimme Bill Gates zu: Die Probleme mit der Zensur und
dem Internet dürfen nicht den jeweiligen Unternehmen
überlassen werden. Aus diesem Grund haben Microsoft,
Google und Yahoo eine Initiative gegründet, die sich
dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit im Internet
verpflichtet hat. Die Global Network Initiative (GNI) möchte Technologiefirmen beratend dabei zur Seite stehen,
die freie Meinungsäußerung und das Recht auf Privatsphäre in Ländern zu fördern, deren Politik und Gesetze
diese Rechte beinträchtigen. Die Initiative wurde nach
zweijährigen Vorgesprächen im Oktober 2008 gestartet.
Zusätzlich zu den drei Technologieunternehmen werden
der GNI auch Human Rights First, das Committee to Pro-
Soweit ich weiß, lag das Problem bei Yahoo darin, dass
die Informationen auf Servern gespeichert wurden, die
sich in China befanden. Für einen guten Einblick in dieses Thema empfehle ich den Artikel “Evil doers? How
internet companies live surrounded by the great firewall of China“.39
tect Journalists, Human Rights Watch und Human Rights
in China angehören.
Natürlich muss man diese Entwicklungen nüchtern
betrachten. Die traditionellen Medien bleiben wichtig.
Und ich denke, dass die besten von ihnen ihre starken
bestehenden Marken nutzen werden, um sich für die
neuen Medien zu öffnen. Schalten wir denn nicht alle
CNN oder den BBC World Service an, wenn wir die neuesten Nachrichten haben wollen? Die CR-Community sollte jedoch bei dieser Medienrevolution an der Spitze stehen und nicht hinterherhinken.
39 Financial Times, 15. Februar 2006
40 http://www.globalnetworkinitiative.org/
24
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
VII. HANDLUNGSOPTIONEN: DIE ROLLE VON UNTERNEHMEN UND
CR-ZUSAMMENSCHLÜSSEN
Noch einige abschließende Überlegungen zu den Handlungsoptionen für: (a) Einzelunternehmen; und (b) Schnittstellenorganisationen im Bereich Corporate Responsibility.
John Drummond von Corporate Culture argumentiert:
„Unternehmen werden mehr Erfolg dabei haben, Berichte
über ihre CSR-Erfolge bekommen, wenn sie:
dieselbe Sprache sprechen wie die Empfänger von
Nachrichtenprodukten,
(a) Einzelunternehmen
Die Hauptverantwortung für die Verbesserung der Qualität,
des Ausmaßes an Berichterstattung sowie deren Tenor
zum Verhalten von Unternehmen liegt bei den Unternehmen selbst. Sie müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung viel ernster nehmen und sie nicht nur dem operativen Geschäft lediglich überstülpen, sondern sie in Unternehmenszweck und -ziele einbinden. Dazu müssen Unternehmen für mögliche Widersprüche zwischen ihrem
gesellschaftlichen Engagement und ihrem Verhalten
empfänglicher sein – z. B. bei der Entlohnung des
Managements, der Lobbyarbeit, der Steuerpolitik des
Unternehmens oder der Verantwortung, die ein Unternehmen trägt, wenn seine Produkte und Dienstleistungen
missbräuchlich verwendet werden.
Verantwortungsvolle Unternehmen müssen bereit sein,
den Zweck und die Wirkung ihres Unternehmens zu erläutern, legitime Unternehmensinteressen zu verteidigen und
sich in Diskussionen zu engagieren.
„Wenn Unternehmen Gewinn machen und gleichzeitig
ihren guten Namen schützen wollen, müssen sie mit
Überzeugung auftreten – für die Globalisierung, für den
Freihandel und für verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten [...]" (Leitartikel in der Financial Times vom
April 2001)
Der damalige Global Managing Partner von McKinsey &
Co, Ian Davis, führte im Economist im Mai 2005 einen
ähnlichen Punkt an:
„Große Unternehmen müssen sich an die Spitze setzen,
wenn es darum geht, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu
erklären. Sie sollten ihren Unternehmenssinn und -zweck
in etwas subtilere Worte als „the business of business is
business“ fassen können und weniger abweisend sein als
es die meisten Ansätze von Corporate Social Responsibility zurzeit sind. [...] Es ist Zeit, dass die großen Unternehmen sich die intellektuelle und moralische Überlegenheit
von ihren Kritikern zurückerobern und gesellschaftlich
relevante Themen so in ihre Strategien einbauen, dass sie
auch ihre wirkliche Bedeutung für die Unternehmen
widerspiegeln.“ (26. Mai 2005).
ihre Geschichten besser erzählen,
besser am Dialog teilnehmen (und nicht nur mitteilen),
die Beweggründe der Autoren und die Beweggründe
der Leser verstehen,
damit anfangen, sich um die Aspekte von CR zu kümmern, die sie abdecken sollten, in ihrer CR Politik aber
ignorieren (es herrscht eine große inhaltliche Kluft).“ 41
Weitere lohnenswerte Fragen für Unternehmen sind u. a.:
Machen CEOs in den Sitzungen mit der Redaktionsleitung ihrer Zeitungen CR zum Thema?
Wie viele Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft
halten Vorträge vor Studenten der Publizistik, so wie sie
es vor Studenten der Wirtschaftswissenschaft tun?
Ein verbessertes Berichtswesen ist ebenfalls Teil des Ganzen. Die Unternehmensbewegung Business in the Community (BITC) und die Beraterfirma Arthur D. Little haben
einen Leitfaden zum Berichtswesen für Geschäftsführer
erstellt (Director's Guide to Corporate Reporting), der von
der Website des BITC kostenlos heruntergeladen werden
kann: www.bitc.org.uk.42 Dieser Leitfaden sagt alles, was
man wissen muss, um einige der schwierigen Entscheidungen treffen zu können, die sich bei der Entwicklung
und Umsetzung einer strategischen Herangehensweise an
ein unternehmerisch verantwortungsvolles Berichtwesen
ergeben. Er legt fest, dass der Inhalt und die entsprechenden Kommunikationskanäle den Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens entsprechen müssen. Dem kann ich
nur zustimmen.
Unternehmen sollten außerdem über die Kriterien nachdenken, nach denen sie professionelle Berater auswählen
– inklusive PR- und Kommunikationsberatung.
41 E-Mail an den Autor zu einem frühen Entwurf dieses Vortrags
Der Experte für CR und Unternehmenskommunikation
25
42 http://www.bitc.org.uk/resources/publications/key_publications/index.html
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
(b) Schnittstellenorganisationen im Bereich Corporate
Responsibility
Mike Tuffrey von der CR-Beratungsfirma Corporate Citizenship Company plädiert für ein Fortbildungsprogramm
für Journalisten:
David Fenton von Fenton Communications vertritt die Auffassung, dass diejenigen, die im Bereich CSR und nachhaltige Entwicklung tätig sind, in intensiven, andauernden
Medienkampagnen zusammenarbeiten müssen, um ihre
wichtigsten Botschaften durchzuboxen. In einer Zeit, in der
das Interesse an komplexen Sachverhalten bei den etablierten Medien zurückgeht, so Fenton,
„muss die Fachsprache beiseite gelegt, es muss in knappe, lebendige und dramatische Präsentationsformen
investiert werden.“ 43
Könnten die Schnittstellenorganisationen im Bereich
CR nicht befristete Stipendien bzw. Fellowships an vielversprechende junge Journalisten vergeben, damit
diese in ihren Organisationen arbeiten können, oder
könnten sie nicht mit angesehenen Medienorganisationen gemeinsam Stellen vermitteln, um ein besseres
Verständnis für die wichtigsten Themen zu schaffen?
Könnten mehr Medienorganisationen überzeugt werden, dem Beispiel der BBC zu folgen, und eine Vortragsreihe externer Redner zum Thema Nachhaltigkeit
zu organisieren?
In Großbritannien hat die Marketing Society jüngst angekündigt, einige der führenden Unternehmen zusammenzubringen, um ein gemeinsames Vokabular zu entwickeln
das in der Kundenkommunikation zum Klimawandel verwendet werden soll.
Schon jetzt gibt es über 100 Unternehmensvereinigungen,
die weltweit für CR eintreten. Diese müssen ihre Strategien
erweitern, um CR effektiv zu vermitteln. Wir brauchen
mehr Artikel, in denen in einigen der moralisch und praktisch schwierigen Dilemmata des Themas die intellektuelle Führung übernommen wird. Die Schnittstellenorganisationen müssen zusammenarbeiten und gemeinsam die
großen internationalen Medien anvisieren – indem sie z. B.
Einladungen zu bzw. Vorträge bei Redaktionsmittagsessen
und ähnlichen Veranstaltungen koordinieren. Hierbei fällt
den Dachorganisationen, die die nationalen CR-Vereinigungen vertreten, eine besondere Verantwortung zu.
Organisationen wie CSR Europe brauchen eine pro-aktive
Kommunikationsstrategie.
Sollte man vielleicht noch früher ansetzen und sich an
die Mitarbeiter von Studierendenzeitungen wenden?
Unterrichtet aus der wachsenden Anzahl von Dozenten, die an Business Schools im Bereich CR forschen
und lehren, irgendjemand ein CR-Modul in den Kursen
für Publizistik bzw. Medienwissenschaften an ihren Lehranstalten?
Wenn die neuen Medien mehr auf Konversation und
anhaltendem Dialog aufbauen, dann ergibt sich auch für
uns CR-Experten eine größere Möglichkeit, uns zu positionieren und unseren eigenen Dialog zu führen. Um dazu
beizutragen, haben Mallen Baker, ehemals BITC, John
Elkington von Sustainability, und ich alle unsere eigenen
persönlichen Websites.44 Mallen twittert sogar – wie können
wir gemeinsam mehr tun?
43 http://www.fenton.com
44 http://www.mallenbaker.net; http://www.johnelkington.com; http://www.
davidgrayson.net
26
David Grayson: Corporate Responsibility und die Medien
VIII. FAZIT
Danny Schechter, Gründer und Geschäftsführer von
MediaChannel.org, wird in Good News and Bad folgendermaßen zitiert:
„In der Gesellschaft spielen die Medien heute eine nie da
gewesene Rolle, was teilweise an der Bedeutung der
Technologie liegt. In der wohlhabenden Welt sind die
Medien heute beinahe allgegenwärtig und durchdringen fast jeden Aspekt unseres Daseins. Dank Kabel, Satellit und Internet haben die Bedeutung und der Einflussbereich der Medien stark zugenommen.“ 45
Es ist daher wichtig, dass die Medien Corporate Responsibility begreifen und darüber berichten – nicht als isoliertes Thema, sondern als fester Bestandteil der Rolle von
Unternehmen in der vernetzten, globalen Wirtschaft und
Gesellschaft von heute. Wenn wir, denen CR am Herzen
liegt, nicht das Gefühl haben, dass die Medien dem
Thema genügend Aufmerksamkeit schenken – sowohl
quantitativ als auch qualitativ – dann bringt es nichts, sich
einfach nur zu beklagen oder die Diskussion zu verlagern
und über die CR der Medien selbst zu sprechen (obwohl
das durchaus ein Thema für sich wäre!).
Vielmehr sollten wir die Schwachpunkte in unserer Botschaft und in unserer Kommunikation identifizieren – z. B.
unklare Definitionen von Begriffen,
Übertreibungen,
überzogene Komplexität,
Weitschweifigkeit und
ungenaue Zielgruppendefinition für unsere Botschaft.
Diesen Punkten sollten wir uns widmen. Die CR-Bewegung
sollte sich auch sehr viel mehr der Bedeutung der neuen
Medien widmen – und unsere Kommunikation dementsprechend anpassen. Wir versuchen dies mit der Website
des Doughty Centers; und ich weiß, dass das Centrum für
Corporate Citizenship Deutschland (CCCD) in naher
Zukunft eine interaktive Online-Plattform zum gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen starten wird.
Juli 2009
IX. DANKSAGUNG
Ich möchte mich bei Susanne Lang und ihren Kollegen
beim CCCD bedanken, dass sie mir die Gelegenheit
gegeben haben, diesen Artikel zu schreiben und vorzutragen. Er basiert teilweise auf einem Vortrag, den ich im
Dezember 2005 auf einer Konferenz in Manchester gehalten habe, die von Business in the Community, der Leeds
Metropolitan University und der Unternehmensberatung
Connectpoint ausgerichtet wurde.
Eine Reihe von Personen haben zu diesem Artikel beigetragen, wofür ich ihnen zu großem Dank verpflichtet bin: Dr
Kenneth Amaeshi (Doughty Centre), Yogesh Chauhan
(BBC); Roger Cowe (Context); John Drummond (Corporate
Culture); Nadine Exter (CR Advisory Services), Giles Gibbons (Good Business); Gail Greengross (Business in the
Community), Adrian Hodges (International Business Leaders Forum); Dr Brian Jones (Leeds Metropolitan University);
Susanne Lang (CCCD); Professor Thomas Lawton (Cranfield
School of Management); Lisa Murray (Northern Ireland
Business in the Community); Sarah Murray (The Financial
Times); Christian Toennesen (Acona Consultants / CSRMedia Forum); Mike Tuffrey (Corporate Citizenship Company);
Gerry Wade (Probus BNW); Toby Webb (Ethical Corporation); Chris Wyld (Foreign Press Association, London).
45 SustainAbility. Good News and Bad - The Media, Corporate Social
Responsibility and Sustainable Development. 2002.
46 Bowd, R., Jones, B. und Tench, R. (2005) „CSR and the Media, Summary Research Report“, Leeds Metropolitan University and Connectpoint.
27
Dieser Beitrag wurde auf einem vom CCCD organisierten
und von der BMW-Stiftung Herbert Quandt in ihrer Berliner Niederlassung ausgerichteten Seminar am 22. Juni 2009 vor
einem geladenen Publikum von Medienvertretern, Politikern,
Verwaltungsfachleuten, Wissenschaftlern, NGOs und Unternehmen präsentiert.
Verantwortlich
CCCD - Centrum für Corporate Citizenship Deutschland
Kollwitzstr. 73
10435 Berlin
Lektorat: Serge Embacher
Gestaltung
Nepenthes Digital Media Services
www.nepenthes.biz
Auflage: 1.500
Berlin 2009
gefördert vom:

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