Meine Armeezeit von 1977-1980 - Denk-MAL

Transcrição

Meine Armeezeit von 1977-1980 - Denk-MAL
Meine
Armeezeit von
1977-1980
Ich habe fast keine
guten Erinnerungen
daran
1. Unteroffiziersschule
Prora auf Rügen (6
Monate)
2. Panzerregiment 22
in TorgelowSpechtberg bei
Eggesin (2,5 Jahre)
Gekürzt 2011 für
Stefan Wolter
Vor der Asche
Vor der Armee wollten die jungen Männer meist nicht dorthin. Sie fragten sich: "Warum
denn gerade jetzt? Jetzt, wo die Schule endlich vorbei ist, wo ich eine eigene Wohnung
möchte? Warum kann ich nicht später zu Asche gehen? Bis 26 ist doch Zeit?" Eine gute
Frage, die sich viele gestellt haben. Aber nur wenige hatten das Glück oder die Schlauheit,
das auch so hinzukriegen. Es kam dann immer das Argument: "Du willst dich doch nicht als
26jähriger von 18jährigen schikanieren lassen?", "Mach's gleich, dann hast du's hinter dir."
- Das zog. Auch die Offiziere des WKK und die Lehrer an der "Penne" kannten diese
"Motivation", um ihr Soll zu erfüllen und setzten es ein. - Daher meine Schlußfolgerung,
daß die E-Bewegung von der NVA-Führung gewollt war. - Die älteren Soldaten (ab 23)
haben aber dann seelisch gar nicht zusätzlich darunter gelitten, wenn ein 19jähriger E
ihnen "Dampf" machte, denn das Argument mit dem Altersunterschied zog doch und
verunsicherte solche jungen E's. Ich zumindestens habe Soldaten über 23 als
ausgeglichener in Erinnerung, auch wenn sie Spritzer waren. Oft hatten sie schon eigene
Familie oder Ehe. Das gab seelischen Halt.
Ein analoges Argument bezüglich UaZ hörte ich selbst bei meiner Musterung (16.03.76) in
Bezug auf "Unteroffizier auf Zeit". Nämlich (jeder kennt es): "Sie wollen sich doch nicht
während ihrer Armeezeit von 8-Klassen-Schülern kommandieren lassen?" - Außerdem
wiesen die Musterungsoffiziere darauf hin, daß sie die Befehlsgewalt lieber bei Leute mit
höherer Bildung sehen. (Um das Argument auszuschließen, daß ja genügend andere
Abiturienten UaZ machen können.) - Hier wirkte dann schon bei mir die lange
Konditionierung darauf (Pioniere, FDJ, etc.), daß man eine "Ehrenpflicht" gegenüber Staat
habe. - Und ich glaube, dann kam auch noch das Argument, man für die anspruchsvolle
"Technik" eben gebildetes Personal brauche (sehr schmeichelhaft). Und: Meiner Meinung war das eine Anspielung auf die E-Bewegung. "Die 8-KlassenSchüler" haben in mir sofort die schon gehörten Gerüchte über die Drangsalierungen
zwischen den Diensthalbjahren 'hochgeholt'. Das weiß ich noch ziemlich genau. Leider
erinnere ich mich nicht mehr an genauere Mimik, Gestik, Tonfall der WKK-Offiziere und ob
ich daraus vermuten dürfte, das ihnen bewußt war, was sie da gerade taten. Ich vermute es
aber solange, bis alle Archive der Kommunisten geöffnet und ausgewertet sind und das
Gegenteil zweifelsfrei festgestellt ist. Aber wer das System der "Parteiinformationen" noch kennt, der weiß noch, daß sich
gewisse Schlagworte (und eigentümliche Formulierungen) wortwörtlich bei verschiedenen
Anläßen wiederholten. Hieraus könnte ich schlußfolgern, daß es irgendwo in einer Stasi(KGB-)-Psycho-Abteilung ein paar ganz raffinierte Psychologen gab, die sich sehr wohl
über unbewußte Ängste im klaren waren und ihre Sprachrohre und Handlanger gar nicht
darüber aufklären brauchten, weil deren Ergebenheit genügte, wenn der Hinweis in einer
"Anleitung für Musterungsgespräche" zu lesen war: "Hinweis auf mögliche Drangsalierung
durch 8-Klassen-Schüler". - Vielleicht findet sich ja irgendwann solch eine Art "Handzettel",
denn es ist unwahrscheinlich, daß es dort nichts Schriftliches gab. (Weil die Musterungen
über Jahre hinweg nach dem gleichen Schema geführt wurden.) - Kurz und gut: Dies würde
wiederum zeigen, daß die EK-Bewegung von der NVA-Führung 'gern gesehen war'.
(Nachsatz: In der Truppe aber gab dann es unter den Grundwehrdienstlern genügend
Abiturienten und 'Kulturpersönlichkeiten', um geistigen Austausch und Zusammenhalt zu
finden. Es war also keinesfalls so, daß dort nur "8-Klassenschüler" waren. Unter den UaZ
gab es keinen Abiturienten. - Nur einer, 'Fischi', hatte Berufsausbildung mit Abitur. Erst
"mein Spanner", der ein Jahr später kam, hatte normale EOS gemacht. - Ich hatte also
keinen "Partner" unter den Uffzen, da die anderen ziemlich deutlich ihre Nicht-AbiturKomplexe heraushängen ließen und auch sonst sich nicht für Bücher oder Kultur
interessierten. - Auf einer Bude war ich so sehr Außenseiter, daß ich umziehen mußte. )
Bei
der
"Einberufungsüberprüfung"
(02.09.77)
eröffnete
sich
mir
überraschend
die
Möglichkeit
"abzukohlen".
Ich
hatte darauf beharrt,
daß ich mich nur für
"Chemische Dienste"
verpflichtet
hätte,
was
aber
wegen
meiner Brille nicht
ging.
(Das
war
Absicht,
um
noch
einen Faustpfand zu haben.). Irgendwie scheint der Mann (ich war allein im
Zimmer mit einem "Zivilisten") sein tägliches UaZ-Soll schon erfüllt zu haben, oder
vielleicht tat ich ihm irgendwie leid oder er war müde. Jedenfalls sagte er völlig
überraschend: "Na, gut, dann eben 18 Monate." (sinngemäß, er hat's genuschelt).
Hier war sie, die einmalige Chance, der ich meine ganze Jugend hindurch
hinterhergerannt
war.
All
die
Jahre
hindurch.
Seit
meiner
ersten
"Verpflichtungserklärung." ... Siedendheiß wurde mir. Ich müßte jetzt nur mir
meine Freude nicht anmerken lassen und betrübt und achselzuckend sagen: "Ja,
leider...". - Aber seit jener Sekunde im Herbst 1977 sind 24 Jahre vergangen... ich
kann wohl kaum noch mal 'zurückrennen' in das "WKK Pankow", in das
denkwürdige Zimmer
'Grundwehrdienst'."
und
hineinrufen:
"Ja,
da
bleibt
wohl
nur,
...
der
In
diesem
Augenblick
der
Entscheidung
spürte
ich
meine
gesamte
Konditionierung. Ja: Ich hatte mir schon ausgerechnet, wieviel ich während der 3
Jahre sparen würde. Ja: Ich wollte die Aufstiegschancen bekommen, wenn ich
nach der Asche studiere. usw. - Jedenfalls war es "Asche": Entgegen meinem
deutlichen und großen Angstgefühl gegen die Asche, lenkte ich ein und suchte mir
aus dem 'Angebotskatalog' die "Nachrichten" aus. Was sich aber gemeinerweise,
wie sich später herausstellte, nur auf die U-Schule bezog. 5 Sechstel meiner
Aschezeit diente ich bei der 'Panzerwaffe'. Und selbst "Nachrichten", worüber die
Gäste auf den 50. Geburtstag meines Stiefvaters, am 26.10.77 noch Witze
gemacht haben - weil sie alle in der Abteilung "Nachrichten" der Zeitung "Union"
arbeiteten -, stellte sich auch als Betrug heraus. Ich wurde in Prora zum
"Panzerfunkmechaniker" ausgebildet, also zum Elektrobastler, und hatte nichts mit
dem mich damals faszinierenden 'Amateurfunk' zu tun. Und damit immer noch
nicht genug: Die Elektro-Ausbildung in Prora war noch weniger als 'unter aller
Sau'. Man lernte auf diesem Gebiet quasi nichts.
Werbung
Doch zurück zur "Werbung" in der Schule (EOS "Friedrich List, Berlin-Pankow): In
der 9. Klasse, im Februar, 'kamen sie'. (Jeder kennt das: viele fremde Männer in
Uniformen.) Ich war weitgehend unvorbereitet. Vielleicht habe ich es vorher
meiner Mutter gesagt. Durch Gespräche im Freundeskreis wurde sicher eine
ungefähre Vorstellung erzeugt. Aber, was dann 'ablief', spottet jeder
Beschreibung. Als 15jähriger hat man noch Angst vor vielen fremden großen
Männern. Dem Direktor, der gerne den Schulappell in seiner Hauptmanns-Uniform
'abnahm'. Falls es in der 9. Klasse gewesen ist, dann trugen noch die vielen
neuen Menschen in der neuen Schule (EOS) zur Orientierungslosigkeit bei.
Jedenfalls verließen vor (und nach) mir reihenweise meine Klassenkameraden den
entsprechenden Klassenraum als 'Offiziere' und '3-Ender'. (Kann es sein, daß die
Reihenfolge so geplant war, daß es am Anfang einige 'Durchreißer' gab? War
soviel Volkspsychologie vorhanden? Ich weiß es nicht. Aber ich war nicht der
erste, wie ich es hätte sein müssen, nach meinem Anfangsbuchstaben.) Das ging
rasend schnell und dauerte manchmal nur 5 Minuten. Wohl alle haben sich für 3
Jahre "verpflichtet". Und der eine, mein Kumpel Andreas, der standhaft beim
Grundwehrdienst blieb, wurde nach der 10 Klasse wegen "ungenügenden"
schulischen Leistungen von der Schule entfernt. (Ich glaube, er stand so 2,8, war
also durchaus kein 'Schlußlicht'.) Aber vielleicht haben die Lehrer ihn auch mit
Absicht schlecht benotet. ... Unser Klassenlehrer, Herr K., hat übrigens später
Selbstmord gemacht. Ich habe Herrn K. als sensiblen, netten Mann und
ordentlichen Lehrer - Geografie, Astronomie, Englisch - in Erinnerung.
Mit dem Älterwerden (während der Schulzeit) sprang dann einer nach dem
anderen wieder vom "Offiziersanwärter" ab. Auch mir glückte das in der 11.
Klasse. Aber die 3 Jahre blieben noch über mir wie ein Damoklesschwert hängen.
Ich konnte einfach nichts dagegen tun. Bekam keine Unterstützung von "zu
Hause". Im Gegenteil: Meine Mutter zählte mir die Karriere-Vorteile von "3 Jahre"
auf. Meine Einwände - die schlimmen Geschichten, die wir über die Asche hörten -
wollte sie nicht wissen. So blieb mir nichts anderes übrig, als das Problem zu
vertagen und herankommen zu lassen. (Was aber falsch war, wie sich später
herausstellte.)
Unteroffiziersschule Prora
Das waren die
Kompanieflure; also
ehemals die "KdF"Flure.
Das Foto ist von der
Webseite des ProraMuseums. - Ich kann ergo
nichts darüber aussagen,
was die "Genossen" dort
Kraft durch Freude unter diesem Motto
gerade tun. - Mir scheint
es ein offizielles Fotos zu
wurde der Komplex zu
Hitlerzeiten gebaut.
sein. Und die Genossen
Mir ist nicht bekannt,
ob die Architekten
damals eine Weisung
hatten, die "NachNutzung" als Kaserne
zu bedenken.
Milan F., ein Zimmergenosse, redete schon früh vom "Abkohlen"
durch die Fachprüfung zum Unteroffizier. Ich sah dann auch zweifelnden Prüfungs-Leutnant immer einfachere Fragen (über
bekam bzw. einfache Aufgaben. (z.B. war deutlich von Ferne
scheinen dort den
"betonten
Auftaktschritt" (oder wie
das hieß) zu üben. Vielleicht aber machen sie
gerade "Straf-Exerzieren".
Wer weiß.
mittels 'Durchfallen'
später - wie er vom
Funkgeräte) gestellt
zu sehen, daß der
Leutnant ein Kabel herausgezogen hatte.) Aber Milan hat das gut hingekriegt. Er
durfte nicht die einfachste Frage bzw. Reparatur-Aufgabe lösen, er mußte sich
konsequent dumm stellen ... beim geringster 'Fehler' hätte er sofort die Prüfung
bestanden. Milan hatte auch einen Freund in unserem Zug, der es genauso gemacht
hat. – Komischerweise blieben sie nur zu zweit innerhalb des "Zuges" (25? Jungen),
obwohl jeder vorher bescheid wußte, also die Idee kannte. Mindestens 10 Leute aus
meinem Zug hatten den Grips dazu, zu begreifen, daß das die letzte (und beste)
Chance zum Abkohlen ist ... und diese 10 sagten auch mit Worten: "Hätte ich gewußt,
was hier abläuft, hätte ich nie 3 Jahre gemacht." - Komisch, aber vielleicht ging es
ihnen so, wie mir, daß sie noch nicht genügend klar wußten, was in der Truppe auf sie
zukommt ... und dementsprechend wirkten noch (eingebildeten) Vorteile der
Dienstlaufbahn. (Geld, Urlaub, Befehlen, etc.) Leider habe ich alle Briefe weggeworfen, sonst könnte ich jetzt schön nachlesen, wie
es einigen von meinen damaligen Kameraden ergangen ist, denn mit einigen schrieb
ich mich später noch eine Zeit. ... Mir fällt gerade ein, daß ich 2 von ihnen dann später
beim Studium in Karl-Marx-Stadt wiedertraf. - Natürlich wurde ausgetauscht, wie es
einem ergangen ist. Der eine von den Zweien (leider Name momentan weg, nennen wir
ihn "Magdeburg", weil er diesen Dialekt hatte.) war auch einer von denen, mit dem ich
mich noch nach der U-Schule schrieb. ... Er war ziemlich intelligent und auch
reflektierend. Logisch, daß er in unseren Gesprächen kein gutes Haar an der NVA ließ.
Zurück nach Prora, Dunkel noch im Kopf: Jemand aus meinem Zug (oder meiner
Kompanie?) nutzte schon die Möglichkeit 'Verweigerung der Vereidigung' zum
Abkohlen. Diese war nach der sog. "Grundausbildung". (Also nach 8 Wochen?) ...
Aber wenn man nicht mit solchen mutigen Leuten auf einem Zimmer ist, bzw. einen
guten Draht (Freund) in dieses Zimmer hat, dann erfährt man vorher nichts oder nicht
genügend, um dies selbst zu machen. - Solche Leute werden dann sofort "versetzt"
und schwinden aus dem Gedächtnis.
Gestern fiel mir ein, daß ich damals in Prora eine Zeichnung machte, welche lokale
Berühmtheit (auf dem Kompanieflur) erlangte und von anderen abgezeichnet wurde
(Kopierer gab es noch nicht.) (Ich muß sie wohl noch lange Zeit aufgehoben haben,
sonst hätte ich sie schon vergessen.) - Prora, dieser Koloß aus Beton, parallel zum
Strand, traumatisierte mich unbeschreiblich. Nie vorher hatte ich etwas ähnliches
gesehen. (Ich kannte immerhin Berlin. Wie muß es erst Mitgefangenen vom Lande
ergangen sein? ...) - Welche Macht muß "die Partei" doch haben, so fühlte ich. - Ich
zeichnete diesen Lindwurm des Schreckens aus der (phantasierten) Vogelperspektive.
Zur Landseite hin (das Betreten des Strandes war verboten), inmitten der zahlreichen
Zusatzgebäude, ragte 'Der dicke Daumen', die Erde von unten durchbrechend in den
Himmel ... den Lindwurm an Größe übertreffend. ("Dicker Daumen": spezielle
Handstellung. Auf der Zeichnung verschwand das Handgelenk dann in der Erde.)
Ich glaube, in den Ausgang durften wir nur nach Bergen, einer Stadt in der Mitte
Rügens. Die hübscheren Seebäder waren für uns verboten. (Aber einmal war ich doch
dort - man wollte ja wenigstens mal im Ausgang was Verbotenes tun.)
Unvorstellbares Unglück ereilte mich noch im 'alten
Jahr', also noch 1977. - Nur, die es selbst erlebt
haben, wissen, wie sehr wir unserem ersten Urlaub
entgegenfieberten. Dieser muß bei uns so um den
20.12.77 gewesen sein und war wahrscheinlich ein
"VKU". Ich meine, daß wir dann Weihnachten und
Neujahr in der Kaserne waren. Egal. Jedenfalls
freute man sich wahnsinnig auf diesen Tag. Meine
Freundin S. zählte in ihren Briefen die Tage bis
dorthin mit. (Ich erinnere mich, in einem stand
"Hurra,
heute
nur
noch
3
Wochen!".
Selbstverständlich wollte sie mich vom Bahnhof
Oranienburg abholen - immerhin eine kleine Reise
von 2 Stunden für sie. Mittels des Kursbuches hat
jeder minutiös seine Heimfahrtstrecke geplant.) Obwohl wir ja erst seit dem 1.11. bei der Asche
waren, begannen wir vom ersten Tag an, die Vorgesetzten zu löchern: "Wann gibt es
Urlaub?" ... So kreisten sämtliche Emotionen am Tage und in der Nacht jeden einzelnen
Novembertag nur um "Urlaub" (also letztendlich Hafturlaub bzw. Freigang).
Und nun geschah das Unvorstellbare: Der Zugführer eines anderen Zuges meiner
Kompanie, ein kleiner, schon etwas älterer Hauptmann - vielleicht 40 Jahre - mit krummen
Beinen war unser Wachhabender bei einer Wache (meiner ersten). Bei der üblichen
"Wachkontrolle" durch Stabsoffiziere war mein Gewehr unter der 'Mündungsbremse'
'schmutzig'. Ich bekam die Kontrolle gar nicht mit und erfuhr erst nach Tagen davon. Ich
wurde irgendwie leicht bestraft (vergessen, wie genau) und hielt die Sache, da sie ja
"ausgewertet" war, für erledigt.
Nun, dem war nicht so. ... Ich glaube, wir durften am Urlaubstag so ca. 15 Uhr zum
Bummelzug nach Bergen das "KdL" passieren. (den Durchlaßpunkt zur Freiheit). Irgendwie
kurz vorher wurden die Urlaubsscheine ausgegeben. Vorher wurde machten wir uns
'urlaubsfertig', also dieser ganze Müll mit dem Kamm, sauberen Taschentuch, 5 Mark,
"Großes Revierreinigen", usw. - Und irgendwie ziemlich kurz vorher, vielleicht hatte ich
sogar schon meinen Urlaubschein, ... irgendwie war unser Abgang so bemessen, daß wir
einen bestimmten Zug der Bimmelbahn erreichen, ohne den wir nie "wegkommen" würden,
... also dann irgendwie: "D. zum Zugführer des 3 Zuges!" bzw. "D. zu Hauptmann X.!" ...
"Genosse Hauptmann, gestatten Sie, daß ich eintrete?" ... usw. ... Urlaubschein abgeben,
Sie fahren nicht in den Urlaub! - Bumm. ... Halt!, es war anderes. Oder wie? Ich muß
phantasieren. Ich habe es nur selten erzählt und auch diese Berichte lagen in der
Armeezeit. ... Auf jeden Fall sehe ich mich im "Zugführerzimmer" und diskutiere mit dem
(mir fremden) Hauptmann ... entweder wegen der Waffe ... oder einer kleinen Bestrafung ...
achso!, jetzt fällt es mir ein: Der Hauptmann hat noch eine Waffenkontrolle in der
Urlaubshektik (Die Eisenbahn wartete nicht auf uns!) gemacht und an der selben versteckten - Stelle wieder Schmutz gefunden. (Die Stelle hatte mir keiner gesagt.) Und
dann sollte ich "Waffenreinigen". Dann hätte ich aber meinen Zug nicht gekriegt. (L. wartet
in O-Burg!) und da bin ich durchgedreht und habe ihn in seinem Zimmer mit "Hauptmann"
angeredet - statt: "Genosse Hauptmann".
Ich mußte sofort meinen Urlaubschein abgeben ... Ich reinigte also weiter, mechanisch,
mein Gewehr, stehend auf dem K-Flur vor meinem Zimmer, unfähig zu begreifen, daß es
wirklich Realität ist, was ich sah: Die Kompanie "fuhr in Urlaub". Mein Zug, meine Freunde,
mein Zimmer fuhr in Urlaub. Andere Kompanien fuhren auch in Urlaub. (Man hörte das
durch das Treppenhaus hindurch.) Das gesamte Riesen-Gebäude leerte sich. Es wurde
still. Die Berufssoldaten machten sich ebenfalls auf den Heimweg. Es wurde noch Scherze
gemacht. Ich hörte Schließgeräusche und sah das übliche Verblomben - "Petschieren" der Dienstzimmer. ... Auch die ewig von Menschen belebte Lagerstraße vor dem Fenster
war leer. ... Und ich stand tatsächlich hier und putzte das Gewehr. ... Ich hatte doch gar
nichts (Böses) gemacht. Es gab keinen systematischen theoretischen Unterricht für das
Gewehrputzen. Ich dachte, es wäre mir verboten, die Mündungsschraube abzuschrauben.
Und nun dies. ... Irgendwann, es war schon dunkel, "gab" (Man mußte natürlich "sich
melden" und "empfangen") mir jemand meinen Urlaubschein. Ich verstand wieder nicht:
Sollte ich nun doch in den Urlaub fahren? ... Ein gebrochener 19Jähriger trottete mit seiner
'schwarzen Reisetasche' zum Bahnhof, ließ sich auf eine Bank fallen und wartete auf den
nächsten Zug.
Ein weiteres "Wachvergehen": Vielleicht bei der selben
Wache oder einer anderen. Ich stehe an einem Tor. Es
ist nachmittags. An einer belebten Stelle. 50 Meter
hinter
dem
Tor,
also
in
der
'Freiheit'
ist
eine
"Verkaufsstelle". Eine Art Baracke. Dort gibt es Alkohol.
Ich darf natürlich keinen durchlassen bzw. nur mit einem
speziellen Ausweis. (Vergessen.). Ein BU will durch.
Darf aber nicht. Ich bleibe 'hart'. Der BU trottet ab. Aber
er sieht von ferne: Ein Soldat kommt und wird von mir
durchgelassen, in dem ich das Tor öffne und hinter ihm wieder verschließe. Nach einer
Weile kommt der Soldat mit voller Tasche zurück. Der BU lauert ihm auf und macht
"Taschenkontrolle". Alkohol. Der BU "meldet" das "Vorkommnis". Ich kriege gewaltigen
Ärger. (Es könnte so sein, daß der BU den offiziellen Weg zum Laden gegangen ist, der
durch das Haupt-KdL führte und wesentlich länger war. - Er wollte also nur abkürzen - Er
war sicher berechtigt, "das Objekt" zu verlassen.)
Bemerkenswert ist noch,
wie
der Soldat mich
rumgekriegt
hat.
Ich
kannte ihn nicht, also
konnte er nicht auf eine
persönliche
Beziehung
setzen.
Aber
es
ist
unglaublich,
Talente
Streßsituationen
welche
in
freigesetzt wurden. Hier
war es sicher so, daß der
Soldat von seinen E's
gezwungen
wurde,
Alkohol zu beschaffen. Er
mußte
handeln.
Alle
Mittel waren recht. Er mußte eine Geschichte erfinden, die mein Gehirn irgendwie
außerkraft, schachmatt setzt, damit ich dem eindeutigen Befehl zuwiderhandle, niemanden
durchzulassen. (Und erst recht keinen einfachen Soldaten in Dienstuniform ohne
Urlaubsschein oder Ausgangskarte.) - Seine genaue Wortwahl ist mir natürlich nicht mehr
erinnerlich. Auf jeden Fall sagte er, er komme auf Befehl seines KC, Majors. Dieser
bedauernswerte Mensch - Major - sei Alkoholiker und er müsse jetzt eine Flasche für ihn
kaufen. Der Soldat sagte das mit einer von Mitleid triefenden Stimme und und schaute mich
herzzerreissend an. ...
Das war eine völlig neue Situation. Der Soldat wollte - scheinbar - nicht mein Mitleid mit
ihm selbst erregen, weil er von E's oder 'Majoren' unter Androhung von Strafe zum
Alkoholkaufen geschickt wurde. Sondern er hatte selbst Mitleid. (Und auch noch mit
Offizieren! Soviel wußte ich schon von der Armee, daß dies ein ganz außergewöhnlicher
Fall ist.) Ich mußte mich also nur seinem Mitleid anschließen. - Mann!, das war ein Ei! Es
geschehen Dinge hier (alkoholabhängige Majore ziehen Soldaten ins Vertrauen) ... und
endlich erfahre ich auch mal was von ihnen. ... Psychologisch geschickt war auch, daß der
Soldat seinen geplanten Schnapskauf überhaupt nicht abstreiten wollte. ... denn er mußte
ja wieder durch mein Tor und da hätte ich ihn kontrollieren können. ... Auf diese Situation
hatte mich keine "Wachbelehrung" vorbereitet. Die "Wachvorschrift" in mir kapitulierte. ...
ich folgte dem "Befehl" des "Majors" und öffnete das Tor.
(Falls das dieselbe Wache, wie die mit dem 'Gewehrvorkommnis' war, dann läßt sich
verstehen, daß ich beim Wachhabenden "Mode" war.)
VERSETZUNG in die TRUPPE -Spechtberg, ca. am 20. April 1978
PR
22
("Soja
Kosomodemskaja"),
Torgelow-
... bis 28.(?) Oktober1980 -- mein Gott, jetzt habe ich meinen Entlassungstag
vergessen.
ooo