Erasmus Erfahrungsbericht
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Erasmus Erfahrungsbericht
Erfahrungsbericht Socrates/Erasmus 2005/2006 Alcalá de Henares (Madrid), Spanien 03. September 2005 – 28. Februar 2006 Von R. M. Glaser Student des Wirtschaftsingenieurwesens an der Universität Bremen 1. Vorgeplänkel Für mich hat sich schon am Anfang meines Studiums herausgestellt, dass ich die Erfahrung eines Auslandssemesters machen wollte. Dementsprechend war ich schon während des Grundstudiums bemüht mich um eine Organisation zu kümmern. Ein offensichtlicher Nachteil beim Studiengang des Wirtschaftsingenieurwesens ist jedoch, dass wir zwischen zwei Fachbereichen sitzen und ich ungefähr ein Jahr an Organisationszeit verloren hab, weil es von einigen Seiten viel Widersprüchliches und zu allgemeine Dinge zu hören gab. Für mich war zumindest anfangs kein roter Faden zu finden. Letztendlich hat es jedoch geklappt und an dieser Stelle würde ich gerne ein oder zwei Tipps geben, damit es meinen Nachfolgern leichter fällt: Die Hauptanlaufsstelle sollte zunächst der Sokratesbeauftragte des Fachbereiches sein. Man kann natürlich auch über andere Fachbereiche ins Ausland gehen, hängt jedoch davon ab, ob die einen nehmen. Der Sokratesbeauftragte nimmt die Auswahl der Bewerber für die Unis vor und kann Aufschluss darüber geben, was er/ sie verlangt. Ist dies geklärt, kann die Bewerbung beim IO eingereicht werden. Danach erst erfolgt das Auswahlverfahren. Klingt einfach... ist es aber nicht! 2. Anreise Für Alcalá de Henares empfehlen sich die Billigfluglinie wie AirBerlin, die von Hannover oder Hamburg über Palma de Mallorca (großes Drehkreuz) die Hauptstadt Madrid anfliegen. Aufgrund des Umsteigens auf der Partyhochburg sind die Tickets besonders kurzfristig nicht gerade wirklich ein Schnäppchen. Wer gerne billig reisen will, sollte flexibel sein und Kombinationsangebote nehmen. So reist Germanwings von Madrid aus direkt nach Köln/ Bonn. Die Tickets kosten teilweise nur einen Euro („No bromeamos, somos alemanes“ Werbung für Germanwings am Madrider Airport). Von Köln/ Bonn ist es aber immer noch ein langer Weg bis nach Bremen bzw. umgekehrt... In Madrid angekommen, gibt es Touristeninformationen am Flughafen und es ist ein leichtes bis nach Alcalá de Henares zu fahren. Am Besten ist mit der Metro vom Flughafen Barajas bis Nuevos Ministerios zu fahren, dann muss auf Cercanía gewechselt werden, die bis Alcalá fährt. Die Verkehrssysteme (Metro für die Stadt Madrid, Cercanía für die Comunidad Madrid) laufen im Minutentakt. Vorsicht beim Gedrängel in der Metro, sehr große Diebstahlgefahr!!! Kleiner Tipp, wenn ihr im Sommer/ Herbst während eines Werktages ankommt: In Alcalá gibt ein paar kleine Touristeninformationsstände (kleine Häuschen). Dort kann man sich umsonst einen Stadtplan holen und auch „gelbe Seiten“ ergattern. 3. Alcalá de Henares Alcalá de Henares ist eine kleine überschaubare Stadt mit ca. 160.000 Einwohnern im Osten der Comunidad Madrid. Angeblich soll es die Geburtsstadt von Miguel Cervantes sein, was man an der kommerziellen Ausbeutung auch sehen kann. Der zentrale Platz heißt nicht umsonst Plaza Cervantes. Von einer Spanierin ließ ich mir jedoch sagen, dass dies nur eine an den Haaren herangezogene Lüge sei. Die Verkehrsmittel für die Stadt sind Autobusse, auch wenn man zwangsläufig nicht auf diese angewiesen ist. Studiert man an der Wirtschafts- oder Rechtsfakultät und lebt einigermaßen im Zentrum, dann kann man auch zu seiner jeweiligen Fakultät zu Fuß gehen. Aufgrund der geringen Größe von Alcalá wird man zwangsläufig ein Zimmer nahe Zentrum beziehen. Ein Monatsticket kostet ungefähr 55€, damit kann man dann aber auch bis nach Madrid fahren und dort die Verkehrsmittel benutzen. Also auf jeden Fall mal nachrechnen ob es sich lohnt. Madrid als Stadt bietet auf jeden Fall mehr als Alcalá, seien es nun die Museen (jedes Museum hat in der Woche einen Tag, an dem der Eintritt gratis ist), der Retiro (großer Park), der Palacio Real, der Rastro (Flohmarkt, jeder Samstag, noch größere Diebstahlgefahr!) oder gerüchteweise soll Madrid auch ein großes, aber teures Nachtleben haben. Auch wenn Alcalá nicht längst so viel zu bieten hat wie eine Großstadt so besticht es zumindest durch seine Bauwerke in der Innenstadt, dem Kleinstadtcharme und der regen Population an Klapperstörchen. Außerdem lassen sich ganz neue Phänomene beobachten: Allein auf dem Weg zur Uni können einem mehrere bekannte Gesichter zufällig über den Weg laufen und man kann mehrere interessante Gespräche führen. 4. Unterkunft Für die Unterkunft kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen: Sucht euch vor Ort eine Bleibe und bewerbt euch nicht vor der Abfahrt bei den Studentenwohnheimen! Spanische Studentenwohnheime haben einen anderen Stellenwert als in Deutschland. Da geht es nicht um preiswerte Unterkünfte, sondern darum eine möglichst große Anzahl von Studenten in vollkommen überteuerten WGs unterzubringen. Außerdem gibt es beim Studentenwohnheim eine derart große Anzahl von Kakerlaken (und damit meine ich das Ungeziefer), dass dieses zu einer eigenen Art deklariert worden ist. Ein Vorteil an Studentenwohnheimen ist jedoch, dass ich in einer 8- Leute WG gewohnt hab, u. A. mit 5 Spaniern und keinem einzigen Deutschen außer mir. Das fördert zum einen ein schnelleres Erlernen der spanischen Sprache, zum anderen aber muss man das spärliche Putzverhalten der Spanier und dessen Konsequenzen ertragen. Des Weiteren sind die Wohnheime auf dem Campus, also etwas außerhalb der Stadt (Cercanía Station: Alcalá Universidad, 15 Minuten per Bus vom Zentrum aus). Auf dem Campus sind die Mehrzahl der Fakultäten (Polytecnica, farmacia, medicina, deportes, medio ambiente), aber die Wirtschafts- und Rechtsfakultät sind im Stadtzentrum. Also, eine direkte Wohnungssuche in Alcalá ist also nicht nur billiger, sondern auch bedingt hygienischer und näher an der Fakultät. Zudem gab es während meiner Zeit auch WGs im Zentrum, die vollkommen aus Erasmusstudenten bestanden. Die Erfolgsaussichten stehen gut bei 200€ etwas zu finden, außerdem habe ich von keinem bisher gehört, dass er nichts gefunden hätte. 5. Erster Kontakt mit der Uni Der erste Kontakt mit der Uni beschränkte sich nur auf einem kurzen Besuch an dem International Office der Uni. Diese benötigten nur die Adresse zwecks eines Studentenausweises, händigten einen provisorischen Studentenausweis aus und schickten einen dann zum Erasmusbüro der jeweiligen Fakultät. Im meinen Fall war das die Wirtschaftsfakultät. Dort wurde auch nicht viel Wert auf ausschweifende Begrüßungsreden gehalten, stattdessen wurden mir nur auszufüllende Papiere für die Immatrikulation ausgehändigt mit der Bemerkung der Stundenplan ist im Internet einzusehen und das war’s. In der ersten Vorlesungswoche passiert nicht viel, da nur die Inhalte der jeweiligen VLs vorgestellt werden. Also der richtige Zeitpunkt um zu überlegen, ob man das Richtige gewählt hat. Von der Seite des Erasmusbüros hätte man sich vielleicht etwas mehr Integrationshilfe gewünscht, da man zumal fremd ist in der Stadt und die anderen Erasmus- Kollegen nicht so offensichtlich auf der Strasse kennen lernt. Was jedoch organisatorisch zu beachten war, wurde hinreichend vom Büro erklärt und war auch nicht weiter schwer. Die ersten allgemeinen Veranstaltungen für die Erasmusstudenten fanden irgendwann in der zweiten Vorlesungswoche statt und deren Zweck war wirklich nur das Kennen lernen von anderen Leuten, denn der informative Inhalt ließ doch sehr zu wünschen übrig. 6. Vorlesung auf Spanisch Bevor ich in Alcalá angekommen bin, habe ich bereits diverse Jahre die spanische Sprache studiert. Trotzdem gibt es einen profunden Unterschied zwischen Theorie und Praxis. In spanisch- sprachigen Ländern werden so derartig verschiedene Dialekte und Akzente vom Castellano (Schulspanisch) gesprochen, dass man verzweifeln könnte. Als es um die Auswahl der Standorte für ein Auslandsstudium ging, habe ich umso mehr darauf geachtet, dass ich eine Region auswähle, die ein einigermaßen gutes Schulspanisch spricht. Dies bedeutete von vornherein, dass ich eigentlich fast alle spanischen Universitäten streichen konnte. So fiel meine Wahl bestärkt auf Alcalá. Doch dies soll nicht bedeuten, dass ich auch in den Vorlesungen ohne Probleme zu Recht gekommen bin. Besonders die ersten Wochen zeichneten sich dadurch aus, dass man nur einen Schwall von Wörtern an den Kopf geschmissen bekommen hat und sich irgendwie einen Zusammenhang reimen musste aus den wenigen Fetzen, die man verstand. Zum Glück hat sich dies im Laufe der Zeit erheblich verbessert. Die Vorlesungen in Alcalá (an der Wirtschaftsfakultät) werden hauptsächlich im Frontalunterricht abgehalten. Studenten im geschlossenen Raum mit Professor und dieser redet zwei Stunden im Redeschwall. Das ist eine weitere Ei genschaft der Spanier: Sie lieben es anscheinend ihre eigene Stimme zu hören und reden sehr viel. Entweder wird der vermittelte Stoff des Professors durch seine „Apuntes“ (Skripte) ergänzt, die man in der Fakultätskopiererei erhalten kann oder man ist darauf angewiesen eigene Notizen aus dem gesprochenen Vorlesungsstoff zu erstellen. Dies kann sich manchmal als richtig schwierig erweisen. Abhilfe hierbei kann durch Ausleihen der Notizen des spanischen Sitznachbarn geschaffen werden. Die spanischen Studenten haben es sich jedenfalls zu Eigen gemacht, optisch sehr eindrucksvolle Apuntes zu produzieren. Ob diese inhaltlich einwandfrei sind, sollte jeder selber überprüfen. Viele Vorlesungen werden noch ergänzt durch „freiwillige“ Trabajos: Das sind Arbeiten, die während des Semesters vom Studenten zu erstellen sind und die einige Bonuspunkte in der Abschlussklausur sichern. Die Arbeiten lehnen sich an dem vermittelten Lernstoff an. Es heißt zwar, dass diese Arbeiten „freiwillig“ seien, jedoch macht sie jeder in den Kursen, so dass ein gewisser sozialer Druck entsteht sie auch zu machen. 7. Das kulturelle Drumherum Die Universität von Alcalá de Henares ist eine durchaus bunt zusammengewürfelte Universität. Sicherlich, die Mehrzahl der Studenten sind Spanier, aber während meines Aufenthaltes besuchten ungefähr dreihundert andere Erasmusstudenten zur gleichen Zeit diese Universität. Die Mehrzahl dieser Studenten haben (leider) die Deutschen gebildet. So kam es auch vor, dass sich nationalistische Grüppchen gebildet haben und ich kenne zumindest eine Person, die es im Nachhinein bereut hat, nur mit Deutschen die Zeit zu verbringen. Wie kann man mit einem solchen Verhalten denn auch spanisch lernen bzw. etwas offener gegenüber anderen Kulturen werden? Außerdem gibt es auch ein großes Kontingent an ausländischen Studierenden wi e Marokkanern, Argentiniern, Mexikanern, Chinesen oder Polen (um mal einen kleinen Querschnitt zu nennen). Während meines Studiums habe ich viel Zeit mit den Erasmusstudenten verbracht zumal es eigentlich immer etwas gab: irgendeine Cena (Abendessen), eine Fiesta oder eine kleine Reise. Der Fakt, dass ich mit Spaniern zusammengelebt habe, hat dann auch dazu geführt, dass wir ab und zu Zeit zusammen verbracht haben und gemeinsam weggegangen sind. Aber ich muss jetzt schon mal vorwarnen: Die spanische Jugend spricht teilweise sehr unklar, schnell und sie benutzen Unmengen von Schimpfwörtern! Hierbei handelt es sich aber nur um ein in Spanien typisches Phänomen. In Lateinamerika ist dies in einer solchen ausgeprägten Form absolut unüblich. Übrigens: Spanien eignet sich besonders für Ausflüge. Die Reisen in Autobus sind besonders billig (im Gegensatz zu Deutschland) und somit empfiehlt es sich auch mal ein paar andere Städte zu sehen. (Wenn man kein Problem mit der Fahrweise von spanischen Busfahrern hat) Im Zug zu reisen sollte eher vermieden werden: In der Regel kosten die Reisen mehr und manchmal dauern sie auch länger! An Ausgehmöglichkeiten ist Alcalá eher etwas begrenzt, dafür hat es aber den Vorteil, dass man auf jeden Fall jemanden trifft, den man kennt, wenn man weggeht. Die Lokalitäten heißen: Wheelands (Irish Pub) an der Calle Mayor, Tercia in der gleichnamigen Straße, Can Can neben der Wirtschaftsfakultät, Gabanna neben den Polizeirevier oder Nivola bei den Studentenwohnheimen auf dem Campus. Wer den Reggaeton besonders mag wird in den vorher genannten Lokalitäten mehr oder weniger gut bedient. 8. Fazit Für mich hat die Auslandserfahrung in Alcalá einen hohen Stellenwert. Während dieser Zeit konnte ich nicht nur mein Spanisch verbessern, sondern hab auch viele neue, wohlgeschätzte Freunde kennen gelernt. Ich habe einiges über andere Kulturen kennen gelernt, insbesondere über die spanische. Das alles hat mein Verständnis für das Internationale geschärft. Außerdem habe ich einfach nur eine gute Zeit in Spanien verbracht. Somit kann ich jeden nur empfehlen diese Erfahrung auch machen.