einunkonventionellermann

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einunkonventionellermann
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10. Juli 2015
Porträt
Der Pianist und Komponist Giovanni Allevi ist in Italien ein gefeierter Star, auch wenn er gelegentlich kritisiert
wird. Auf dem Golfplatz von Losone gibt er nun ein Konzert in einem für ihn neuen Ambiente
EIN UNKONVENTIONELLER MANN
DER ZEITGENÖSSISCHEN KLASSIK
Allevi zeigt sich getroffen, warf
seinen Kritikern umgekehrt vor,
die eigene Kaste der so genannten “gehobenen Musiker” zu verteidigen. Dabei mangelt es Allevi
selbst keineswegs an klassischer
musikalischer Ausbildung. Er
hat in Perugia und Mailand Klavier und Komposition mit Bestnoten studiert, zudem hat er in
Philosophie mit einer Arbeit
“Über den Begriff der Leere in
der zeitgenössischen Physik” abgeschlossen. Wenn er über seine
Kunst und Musik redet, schlägt
er gerade junge Leute in den
Bann. Er nimmt sie dann mit auf
seine musikalische Reise.
Allevi stammt aus Ascoli Piceno
in den Marken, ist mittlerweile
auch Vater eines fünfjährigen
Knaben. Er hat schon neun Alben eingespielt – “Alien” nahm
er 2010 in Lugano auf. Das jüngste Album, mit dem er nun tourt,
heisst schlicht “Love”. Allevi
glaubt, dass nur die Liebe in den
heutigen verworrenen Zeiten etwas Orientierung und Hoffnung
schafft. In der Deutschschweiz
ist er wenig bekannt, trat aber
schon zwei Mal in Zürich auf –
im März 2009 und im März
2015.
Ein saloppes Outfit ist man beim
ihm gewohnt: Kapuzenpullover
oder T-Shirt, Tennisschuhe,
Jeans. Allein schon dieses Auftreten ist ein Markenzeichen des
mittlerweile 46-jährigen Pianisten Giovanni Allevi, der mit seinem schwarz-gelockten Wuschelkopf wie ein ewiger Teenager erscheint und nicht nur in
Italien die Konzertsäle füllt. Seine Agenda ist reich bestückt. Soeben kommt er von einer Tour
im Fernen Osten (China und Japan) zurück. Vor den nächsten
Konzerten in Italien machte er
am Sonntagabend, 19. Juli in
Losone Halt. Auf dem Golfplatz
Gerre gibt er ein Pianorecital.
Die Zuhörer erhalten Kissen und
dürfen es sich auf dem Green gemütlich machen. Sie können
aber auch auf einem konventionellen Stuhl Platz nehmen.
Dieses Ambiente passt zu Allevi.
Denn er liebt das Anti-Konventionelle. Zumindest scheinbar.
Er betritt nicht die Bühne, sondern rennt an den Flügel. Zwischen den kurzen Musikstücken
redet er mit dem Publikum, verhalten, fast scheu, verrät etwas
über seine Kompositionen. In
welchem Moment entstanden
sie? Was hat er dabei gedacht?
Die Titel sind häufig schon ein
Programm: “Viaggio in aereo”
(Flugreise), “Follow you”, “Waterdance” oder “Go with the
flow”.
Allevi klingt wie ein Gemisch
aus Chopin, Keith Jarrett und Ri-
Ti-Press
von Gerhard Lob
Füllt nicht nur in Italien die Konzertsäle: Die Agenda von Giovanni Allevi ist reich bestückt
chard Claydermann – seine
Stücke sind in einer einfachen
Klavierfassung gesetzt. Es ist
schwierig, ihn in eine Schublade
zu stecken. Vieles erscheint improvisiert. Doch de facto ist jede
Note notiert. Er selber hat dafür
einen Neologismus geschaffen:
Zeitgenössische Klassische Musik (Musica Classica Contemporanea),
Vom unbeachteten Pianisten ist
Allevi in wenigen Jahren zu einem gefeierten Star aufgestiegen
– und dies nicht nur als Ausführender seiner eigenen Klavierstücke. 2008 veröffentlichte er
sein erstes Album für Klavier
und Orchester unter dem Namen
“Evolution”. Er trat auch als Dirigent in Erscheinung. Von Youtube-Videos will er das Dirigie-
ren gelernt haben. Mit der Auftragskomposition “Foglie di
Beslan” (Blätter von Beslan) –
eine Erinnerung an die Geiselnahme tschetschenischer Kinder – debütierte er in Palermo. In
Mailand spielte er bereits vor
Tausenden von Zuhörern auf der
Piazza del Duomo. Einen gewaltigen Triumph errang er an
Weihnachten 2008, als er im Se-
nat der italienischen Republik
das Weihnachtskonzert leitete.
Das Staatsfernsehen Rai übertrug live. Es gab Standing Ovations.
Genau dieses Konzert hat aber
auch eine Diskussion über Allevis Kompositionen entfacht. Ein
bekannter Geiger nannte ihn einen “musikalischen Zwerg” und
seine Kompositionen “lachhaft”.
Konzert Giovanni Allevi, Golfplatz Losone, Sonntag, 19. Juli
2015, 19 Uhr. Eintrittskarten
über www.biglietteria.ch oder an
der Abendkasse (69 Franken).
Für TZ-Leser gibt es auch Karten
zu gewinnen – siehe Seite 12. Bei
schlechtem Wetter wird das Konzert in einem überdachten Teil
des Golfclubs stattfinden.
Interview mit Giovanni Allevi vor seinem aussergewöhnlichen Konzert auf dem Golfplatz von Losone
“Musik ist eine unbegreifliche Realität”
Ti-Press
Werden Sie das Programm auf diesen Ort abstimmen?
Es ist schon möglich, dass ich bei dieser Gelegenheit einige Überraschungsstücke einbaue. Doch im Prinzip werde ich die gleichen
Stücke spielen, die ich gerade auf meiner Tour durch China und Japan im Fernen Orient gespielt habe. Ich möchte in meine Musik
meine ganze Liebe einfliessen lassen.
TZ: Herr Allevi, Sie haben an etlichen Orten auf der ganzen
Welt Konzerte gegeben. Aber ein Klavierrecital in einem Golfplatz unter freiem Himmel dürfte wohl eine Premiere sein. Wie
stellen Sie sich auf dieses ungewöhnliche Ambiente ein?
Giovanni Allevi: Mit Sicherheit ist ein Golfplatz ein aussergewöhnlicher Ort für ein Konzert. Es beruhigt mich aber, ins Grün
eintauchen zu können. Auf alle Fälle verliere ich an einem bestimmten Moment eines Konzerts sowieso das Raumgefühl. Während ich spiele, befinde ich mich an einem irrealen Ort, wie auf einer Reise innerhalb vergangener Leben. Und da ist natürlich auch
das Aufeinandertreffen mit den Emotionen der Hörerschaft.
Sehen Sie Parallelen zwischen der Kunst des Golfspielens und
der Kunst des Klavierspielens?
Sicherlich ist da an die millimetergenaue Präzision zu denken, an
eine extrem hohe Konzentration in der Stille, an die Einsamkeit im
Kreise eines Publikums, an das Bewusstsein, mit Leidenschaft in
einem Wettkampf voranzukommen. Golf ist wie das Klavierspiel
eine Disziplin, die mit natürlichen Mitteln zu begeistern vermag.
Sie sind schon mehrmals im Tessin aufgetreten, in Bellinzona,
Lugano und im Studio der Radios RSI. Wie ist Ihre Beziehung
zum Tessin?
Ich habe eine unauflöslich enge Beziehung zu diesen Orten, vor allem zum RSI-Studio in Lugano Besso, wo ich mein Album “Alien”
aufgenommen habe. Das Publikum im Tessin hat mich immer
warmherzig unterstützt. Es ist jedes Mal eine grosse Freude, hierher zu kommen.
Sie sind Pianist, Komponist und Orchesterdirigent. In welcher
dieser “Rollen” fühlen Sie sich am wohlsten?
Der Ursprung von allem liegt in der Komposition. Wenn ich dar-
über nachdenke, kann ich nicht sagen, in welcher “Rolle” ich mich
am besten fühle. Letztlich ist es doch ein Wahnsinn, Musik zu komponieren, die zu nichts dient und keinerlei Funktion erfüllt. Aber
sie lotet die entlegensten Winkel unseres Seelenlebens aus. Darin
liegt eine Verdammnis, etwas Überwältigendes, das mich anzieht
und verführt, mich jeden Zeitbezug verlieren lässt und mir gleichzeitig einen plötzlichen Rauschzustand schenkt.
Sie schreiben Ihre Stücke Note für Note auf, auch wenn sie gelegentlich wie improvisierter Jazz klingen. Wie definieren Sie
selbst ihre Musik?
Es ist klassische Musik in der Form, zeitgenössische Musik im Inhalt, wobei gewisse Leihgaben aus dem Jazz eine Rolle spielen. Alles ist rigoros aufgeschrieben. Nichts ist improvisiert. Doch ganz
unabhängig von den Definitionen erlebe ich Musik vor allem als eine letztlich unbegreifliche und mysteriöse Realität.
Ihre Musik ist bei jungen Menschen sehr beliebt – es gibt sogar einen Fan-Club der “Alleviani”. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Alle Personen, die meine Musik mögen, sind in ihrem Herzen jung.
Ihre Seelen sind schön und poetisch, und sie leben ihre jeweilige
Sensibilität im Verborgenen. Durch meine Musik kommen diese
Dinge an die Oberfläche. Ich glaube, sie identifizieren sich mit mir.
Ich würde mir wünschen, dass meine Musik ihre Stimme wäre.
(Das Interview wurde in italienischer Sprache und schriftlich geführt. Interview und Übersetzung: gl)

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