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KULTUR
" — NR. 33
FREITAG, 8. FEBRUAR 2013
50 ZEILEN NETZWELT
Mach’s dir selbst
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Schuhe, Flugzeugteile, Waffen und Palatschinken zum Ausdrucken – Steht mit der 3D-Technik die dritte industrielle Revolution an?
VON MARKUS CLAUER
Und das soll die Zukunft sein? Ein Gerät, das aussieht wie eine obskure Mikrowelle aus einem Science-FictionFilm der 1950er Jahre? Im Züricher
Museum für Gestaltung sirrt es vor
sich hin. Im Innern des Kastens vollführt ein Bauteil gleichförmige Bewegung. Zäh wird in dem 3D-Drucker eine weiße Plastiktasse mit gekurvtem
Rand aufgeschichtet. Schlicht „3D.
Dreidimensionale Dinge drucken“
heißt die aus Barcelona in die Schweiz
transferierte Ausstellung, in der das
Objekt bewundert werden darf. Die
Verheißungen darum sind beinahe
grenzenlos.
Laut der britischen Zeitschrift „Economist“ wird der 3D-Drucker die „dritte
industrielle Revolution“ auslösen und
in die Geschichte eingehen – vielleicht
sogar als Vorläufer eines Endgeräts, das
dem Replicator aus der Fernsehserie
„Star Trek“ ähnelt und aus dem Nichts
eine Tasse voll mit Earl Grey erschafft.
Der 3-Druck und die dahinter stehende
Philosophie sind jedenfalls das neuste
Ding einer Vorhut, die den Erfindergeist
der Computerbranche mit un-entfremdeter Handwerkskunst vereinen will.
Glaubt man der Bibel der Bewegung,
Chris Andersons jetzt gerade bei Hanser auf Deutsch erschienenem Buch
„Makers“, steht mit der drucktechnischen Vervielfältigung von Objekten
nichts weniger als die Neuorganisation
der Produktionsverhältnisse, die Entmachtung der schmutzigen Großindustrie, die Rettung der Welt und der Dreistunden-Arbeitstag an. Am Ende, so die
Vision des Chefredakteurs der technikgläubigen kalifornischen Zeitschrift
„Wired“, kann jeder sein eigener Designer, Arbeiter und Unternehmer sein,
der sich im Idealfall vom Haus bis zur
Zahnprothese und der neuen Gesichtshaut, was er eben so braucht, selbst entwirft und ausdruckt oder ausdrucken
lässt – bei Bedarf, ressourcenschonend
und nachhaltig.
Jeder ein Macher, die Dingwelt Marke Eigenbau, das passt auch wunderbar
zu all dem was – wie das Gärtnern im
Stadtraum, das Stricken und Selberbauen - zurzeit als Privatindustrialisierung
und Flucht ins Selbstgemachte im Gange ist. Und tatsächlich wäre es nur ein
logischer Schritt, wenn der Fortschritt
im Digitalen nach der Kommunikation
und der Kultur die Industrie und die
Wirtschaft komplett verändern würde.
Maker-Verfechter Anderson jedenfalls
feiert den 3-Druck im Hobbykeller als
„Wiedergeburt der amerikanischen
Warenproduktion“. Und US-Präsident
Barack Obama hat sich auch schon als
Anhänger der Bewegung offenbart, die
nicht in Verdacht steht, Finanzkrisen
auszulösen.
Vorerst allerdings sieht die Weltrevolution noch schwer nach Arbeit aus –
und viele Endprodukte nach Plastiknippes. Auch in der Züricher 3D-Präsenta-
tion braucht man schon Vorstellungsvermögen, um in einfarbigen Kunststoff-Armbändern, passgenau sitzenden Sonnenbrillen, hautengen Kettenkleidern und dem zum Teil fragwürdig
aussehendem Mobiliar eine echte Konkurrenz für Großkonzerne zu sehen.
Zumal das Drucken nach digitalen Vorlagen seine Zeit braucht, Stunden für
einfachste Dinge. Allerdings scheinen
Designer, Architekten, Ingenieure, Mediziner, Biologen, Bastler fieberhaft daran zu arbeiten, dass das anders wird.
Stand der ursprünglich beim Bau von
Prototypen verwendeten Technik ist,
dass inzwischen filigrane Teile aus Metall, Keramik, Glas, Zement, Käse, Eierkuchenteig und Marmelade gedruckt
werden können, die kein Mensch – und
eine übliche Maschine nur sehr schwer
– so hätten herstellen können. Ein Palatschinken-Plotter soll sich bei einschlägigen Treffen der Szene großer Beliebtheit erfreuen.
Produktdesigner der Hildesheimer
Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst haben ein Fahrzeug
entworfen, dessen Körper zu 70 Prozent aus eingeschlossener Luft besteht.
ST I CH W ORT
Ist bald jeder Erfinder und
Unternehmer in einer Person?
Die 3D-Euphorie ist grenzenlos.
In machen Flugzeugen verringern ähnlich leichte, im 3D-Druck-Verfahren
entstandene Bauteile das Gesamtgewicht. Dem deutschen Künstler Markus
Kayser ist es in der ägyptischen Sahara
gelungen, mit einem 3D-Drucker glasharte Objekte aus Sand herzustellen. In
der Züricher Schau sieht man in einem
Film, wie ein Tintenstrahldrucker
menschliches Gewebe ausdruckt. In einem anderen Fall malen Designerinnen
der Gruppe Font Entwürfe für Stühle in
die Luft, die in der Ausstellung ausgedruckt stehen. Die Beinprothese eines
Fahrradfahrers wird vorgestellt, die
sein Gewicht auf dem Sattel perfekt
ausbalanciert. Und auch die Form der
eingangs beschriebenen Tasse hat sich
nicht nur einfach jemand ausgedacht.
Denn neben dem 3D-Drucker ist eine
Kabine aufgebaut, drinnen warten ein
Mikrofon und ein Aufnahmegerät. Man
hat vier Sekunden Zeit für einen Schrei,
dessen Tönen dann in eine Tassenform
umgerechnet und ausgedruckt wird.
Steve Rommel vom Fraunhofer-Institut glaubt, so zitiert ihn ein einschlägiger Artikel, dass solche Spielereien in
fünf Jahren vielen zur Verfügung stehen
werden. Bisher sind lediglich einige
zehntausend 3D-Drucker, die nach digitalen Vorlagen arbeiten, weltweit bei
Firmen und Privatleuten installiert. Ihr
Preis reicht von mehreren hunderttausend Euro, die für größere Profigeräte
bezahlt werden müssen, bis zu 400 Euro, die es kostet, sich ein funktionstüchtiges Gerät nach einer frei verfügbaren
Anleitung aus dem Internet zusammenzubauen (was bisher allerdings offenbar nur etwas für sehr versierte
Bastler ist).
Es gibt hyperaktive Open-SourceProjekte, die Soft- und Hardwarekenntnisse verbreiten. Firmen wie Shapeways, die ihren Kunden selbst ausgedachte Entwürfe ausdrucken und zurückschicken – oder sie mit Gewinnbeteiligung an andere verkaufen. Vor allem Modelleisenbahnen, Schmuck oder
Spielzeug werden nach Shapeways-An-
3D-Drucker
3-D-Drucker arbeiten schichtweise,
das Prinzip entspricht ungefähr dem
des Mauerns beim Hausbau. Zum Beispiel fährt eine Düse über eine Unterlage und presst flüssiges Plastik auf,
das sofort härtet. Danach kommt die
nächste Lage dran. Bei anderen Apparaten wird eine Schicht Metallpulver
auf eine Plattform geschoben. Ein Laserstrahl bringt das Pulver in Form, es
schmilzt und verfestigt sich nach Sekunden. Ist eine Schicht fertig, wird die
nächste bearbeitet. Dazu senkt sich die
Plattform. Das nicht verwendete Pulver wird neu genutzt. Gedruckt wird alles, wofür es entsprechend aufbereitete digitale Daten gibt, Tassen, Prothesen, Schokoladenhasen. Mit Hilfe von
Tintenstrahldruckern entsteht sogar
menschliches Gewebe. Es könnte bald
in der plastischen Chirurgie und Kosmetik eingesetzt werden. (mac)
Links oben: Front-Designerinnen
malen Möbel für den 3D-Drucker
(das Foto unten links zeigt einen MakerBot) in die Luft. Ebenfalls gedruckt: Schuhe von Sjors Bergmans.
FOTOS: DISSENY HUB BARCELONA, FRONT
DESIGN , BERGMANS
gaben nachgefragt. Auf Plattformen wie
Thingiverse sind kostenlos 3D-Daten
von Alltagsgegenständen für den Druck
abrufbar. Und auch bei dem einschlägigen Tauschportal für Dateien, Pirate
Bay, gibt es schon eine eigene Kategorie
für Druckpläne. Nicht mehr lange, prophezeit der US-Markforscher Terry
Wohlers, und jedes Kind kann sich mit
einem 3D-Drucker für weniger als 75
Dollar Figuren aus Videospielen ausdrucken – oder Gesichter für Puppen.
Momentan herrscht noch große Euphorie.
Allerdings stellen sich auch schon
erste Fragen. Reicht das bisherige Patentrecht, das vor allem auf die industrielle Nutzung ausgelegt war, bis zum
Tischdrucker? Müssen Designer und
Firmen künftig dagegen kämpfen, dass
digitale Druckvorlagen ihrer Produkte
kursieren? Geht es ganzen Wirtschaftszweigen bald so wie der Musikindustrie?
Beim Attentat in Newton, USA, erschoss der 20-jährige Adam Lanza im
vergangenen Dezember 20 Erstklässler,
sechs Schulangestellte, seine Mutter
und sich selbst. Danach stellte sich heraus, dass maßgebliche Teile des dabei
verwendeten Sturmgewehrs aus einem
3D-Drucker stammten. Anders als von
Verfechtern der Zukunft in 3D vertreten, ist von der neuen Technik keineswegs nur Gutes zu erwarten. Und auch,
ob mit ihr quasi über Nacht Millionen
neuer Erfinder-Unternehmer auftreten
werden, die selbstbestimmt die Macht
der Konzerne untergraben, ist zweifelhaft. Eher wird es so sein wie beim In-
ternet, dem man zutraute, die Machtverhältnisse neu zu sortieren. Stattdessen profitierten vor allem Firmen wie
Google.
Es kann sein, dass der 3D-Druck bald
den letzten Schrei einer wunderbaren
Warenwelt produziert – und alles wird
gut. Möglich ist aber auch, das am Ende
von der Euphorie nur massenhaft Plastiktassen mit Entsetzensschrei-Design
überdauern.
INFORMATIONEN
— Die Ausstellung „3D. Dreidimensional drucken“ im Züricher Museum für Gestaltung
läuft bis zum 5. Mai.
— Chris Andersons Buch „Makers. Das Internet
der Dinge: die nächste industrielle Revolution“ (Deutsch von Sigrid Schmid), Hanser
Verlag, München; 286 Seiten, 22.90 Euro.
MySpace will es
noch mal wissen
Sie sind weg – meine MySpace-Freunde. Ok, Freunde waren es ohnehin
kaum, sondern junge Bands, die aufhorchen ließen. Die live beeindruckten,
aber ohne Label waren. Plus alte Helden, die MySpace als Audio-Archiv
nutzten. Zugegeben: Facebook hat den
Vorreiter MySpace nahezu obsolet gemacht, die meisten Bands sind dahin
umgezogen. Wobei es durchaus etwas
für sich hat, sein digitales Ich nicht nur
einem Dienst anzuvertrauen. Twitter
ist gut als Nachrichten-Telegramm, Facebook für Privates, und MySpace war
eine interessante Musik-Datenbank.
Die will nun Justin Timberlake wieder
beleben. Vielleicht hat ihn ja seine Rolle
als Napster-Erfinder in „The Social Network“ auf den Geschmack gebracht,
sich als Netz-Entrepeneur zu versuchen. Zumindest ist er das neue Gesicht
der Seite, angeheuert von den Brüdern
Tim und Chris Vanderhook, die als Online-Werber reich wurden. Ihre Firma
Specific Media hat Rupert Murdoch
MySpace 2011 für 35 Millionen US-Dollar abgekauft: Dessen News Corp. hatte
den Erfindern des Netzwerks um Tom
Anderson 2005 noch 580 Millionen USDollar hingeblättert. Das neue Myspace
(nun mit kleinem „s“), setzt nun wieder
auf Musik, will sich als Streaming-Plattform Terrain von Spotify und Co. zurückerobern und wie Youtube Videos
zeigen. Twitterhafte Kurznachrichten
gibt es zudem, und mit Menschen kann
man sich auch vernetzen. Schwerpunkt
bleibt aber die Musik. Unter „discover“
werden Newcomer empfohlen, und im
Profil soll man sich als Musiker, Fan
oder Journalist outen. Und als Erstes ertönt natürlich Timberlakes „Suit & Tie“.
Das alles dürfte aber nicht ausreichen,
um wieder über 100 Millionen Nutzer
zu kommen. Zumal es noch etwas hakt.
Nicht alle Browser unterstützen die etwas unübersichtliche Plattform, auf
mobilen Geräten funktioniert sie noch
nicht. Also bislang kein Hit, ähnlich wie
„Suit & Tie“.
Susanne Schütz
Kunstsammlung Rau:
Unicef will 500
Werke verkaufen
Das Kinderhilfswerk Unicef Deutschland will 533 Werke aus der Kunstsammlung des 2002 gestorbenen Stuttgarter Arztes Gustav Rau verkaufen.
Unberührt davon ist der Kernbestand
der Sammlung aus 152 Werken, die sich
im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in
Remagen befinden. Sie sollen laut Testament Raus bis 2026 öffentlich gezeigt
werden. Im Laufe der Jahre 2013/14 sollen herausragende Gemälde und Objekte unter anderem von Fragonard, El
Greco und Claude Monet versteigert
werden. Das geschätzte Gesamtvolumen liege im zweistelligen Millionenbereich. Mit den Erlösen sollen gemäß
dem Willen Raus langfristige Kinderhilfsprojekte und das von ihm gegründete Krankenhaus in Ciriri im Ostkongo
unterstützt werden. Das Arp-Museum
erhält im Austausch mit 30 Gemälden,
die von Unicef versteigert werden, als
Dauerleihgabe fünf neue Gemälde und
43 Skulpturen und Reliefs. Wie Museumsdirektor Oliver Kornhoff gestern
mitteilte, handelt es sich dabei um einen im Kooperationsvertrag vereinbarten Austausch. (dpa)
Sein, wissen, handeln
Zum Auftakt der 63. Berlinale: Ein zärtlicher Kung-Fu-Film und eine optimistisch gestimmte, hochkarätig besetzte Jury
VON SUSANNE SCHÜTZ
Ein zärtlicher, altmodischer und fast
schon altersweiser Kung-Fu-Film von
Wong Kar Wai hat gestern Abend die
63. Berlinale eröffnet. Mit „The Grandmaster“ setzt der chinesische Regisseur den Ton für das Festival, über dessen Bären er als Jurypräsident wacht.
Um eine optimistische Sicht, ein Feiern der Stärken der 19 Wettbewerbsfilme, hat er seine Juroren gebeten.
Sein, wissen, handeln: Die Kung-Fu-Regeln von Ip Man (Tony Leung), dem späteren Lehrer von Bruce Lee, sind einfach. Ebenso die Grundregel seiner Disziplin Wing Chun: Es gilt, am Ende aufrecht stehen zu bleiben. Aber auch der
ganze, die Jahre 1936 bis 1952 umspannende Film, der von einem alten KungFu-Großmeister und seiner Nachfolge
erzählt, ist ein Plädoyer für Aufrichtigkeit, Würde und Bescheidenheit.
Und natürlich schwelgt Wong Kar
Wai in exquisiten Bildern, lebt seine
Vorlieben für Zeitlupen und Zittern, für
Unschärfe und Atmosphäre aus: Gekämpft wird in strömendem Regen
oder im dichten Schneegestöber neben
einem vorbeibrausenden Zug. Auf Hände und Schuhe fokussiert die Kamera
voller Wonne: Geht es Wong Kar Wai
doch auch darum, über die Techniken
der Kampfkunst aufzuklären. Großmeister Gong Baosen (Wang Qingxi-
ang) hatte einst die Techniken Xingyi
und Bagua vereint, und damit auch
Frieden unter verfeindeten Schulen
schließen wollen. Nord und Süd sind
weitere Gegenpositionen, die er auflösen will: Deshalb bestimmt der Mann
aus der Mandschurei nicht einfach seinen besten Schüler, den Xingyi-Meister
Ma San (Zhang Jin) zum Nachfolger, zumal der stolz, ehrgeizig und eigennützig ist. Vielmehr darf sich bei einem Besuch des Großmeisters des Nordens im
südlichen Foshan Ip Man beweisen, ein
Wing-Chun-Meister. Doch da ist auch
noch Gong Er (Ziyi Zhang), die Tochter
Gongs, die als einzige die 64-HändeTechnik von ihm lernte, aber als Frau im
Kung Fu wenig zählt. Später schließlich
taucht auch noch The Razor (Chong
Chen) auf, ein Baji-Meister.
Für westliche Zuschauer mag diese
Lehrstunde ein wenig verwirrend sein.
Auch leidet der Film darunter, dass sich
der Regisseur lange nicht für eine klare
Hauptfigur entscheidet und seine chronologische Handlung mit einer späten
Rückblende und einem unbefriedigenden Bildtafel-Ende verwässert: Die lange Drehzeit macht sich hier bemerkbar.
Wong Kar Wai, der mit „Chungking Express“ 1994 seinen Durchbruch feierte
und zuletzt 2007 in Cannes „My Blueberry Nights“ zeigte, bereitete „The
Grandmaster“ acht Jahre vor und drehte drei Jahre lang – Tony Leung brach
sich beim Erlernen der Wing-Chun-
Technik zweimal den Arm. Für den
Schnitt blieb dann kaum mehr Zeit, um
rechtzeitig zur Berlinale und VorabPremiere in Hongkong, wo Wong Kar
Wai lebt, fertig zu sein.
Wer sich aber einlässt auf die stilisierte Action und die sanfte Erzählung,
die nicht groß von Entwicklungen erzählt, sondern Ip Man als milden Ehrenmann feiert und Gong Er als starke Heldin, wird bezaubert von Wong Kar Wais
betörendem Porträt einer aussterbenden Welt. Vor allem Ziyi Zhang („Crouching Tiger, Hidden Dragon“) als Verfechterin der Ehre ihres Vaters ist großartig: Ihre Gong Er stellt sich, ohne stur
zu wirken, der sie umgebenden Männerriege entgegen, vor allem dem intriganten Ma San. Und verzichtet dafür
auf den damals typischen Weg der Ehe.
Eine Rolle, die auch die vier Regisseurinnen schätzen dürften, die neben
Wong Kar Wai, Andreas Dresen und
Schauspieler Tim Robbins die erstmals
überproportional weiblich besetzte Jury bilden. Auch der Ton des Films könnte dem Septett gefallen, das gestern vor
der Presse vor allem zu Politischem befragt wurde: Die Iranerin Shirin Neshat
(in Venedig für „Women Without Men“
ausgezeichnet) und die Griechin Athina
Rachel Tsangari („Attenberg“) erzählten davon, wie politische oder finanzielle Krisen helfen, Filmschaffende enger zusammen zu schweißen. „Eine Kameradschaft ist entstanden, eine ge-
meinsame Bewegung“, sagte Tsangari.
Und Neshat macht ihn Teheran eine „lebendige, sich befruchtende Szene aus“,
die auch zu ungewöhnlichen Mitteln
greife, um Geschichten zu erzählen. „In
harten Zeiten wächst das künstlerische
Bewusstsein.“ Gespannt ist sie daher
auf den Film „Pardé“ ihres Landsmann
Jafar Panahi: In Teheran steht er unter
Hausarrest und Berufsverbot, konnte
seinen neuen Film aber dennoch in den
Berlinale-Wettbewerb bringen. Einen
Sonderbonus aber bekomme Panahi
dennoch nicht, sagt Neshat: „Wir beurteilen den künstlerischen Wert.“
Dies aber aus einer optimistischen
Grundhaltung heraus: „Uns geht es
nicht ums Urteilen, sondern ums Feiern
von Filmen, wir sehen uns als Botschafter des Kinos“, sagte der wie immer
sonnenbebrillte Wong Kar Wai. Und die
Wettbewerbsfilme – 19 sind es dieses
Jahr, „The Grandmaster“ lief außer Konkurrenz, – dürfen gern sperrig sein, sagte die Dänin Susanne Bier, die für „In einer besseren Welt“ einen Auslands-Oscar gewann. Wong Kar Wai habe sie zugleich darauf eingeschworen, bei den
Jury-Diskussionen nichts Negatives
herauszustellen, sondern nur über die
guten Seiten einer Arbeit zu sprechen.
Kuschelig geht es also in der Jury zu:
Aber wenn sechs Regisseure beieinandersitzen, die wissen, wie hart ein jeder
Autorenfilmer oft kämpft, ist freundlicher Respekt auch verständlich.
Auch eine Großmeisterin des Kung Fu: Zhang Ziyi in Wong Kar Wais „The
Grandmaster“, dem Eröffnungsfilm der 63. Berlinale.
FOTO: BERLINALE
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