IfW-Highlight EU-Förderlandschaft: Wo geht`s denn hier nach
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IfW-Highlight EU-Förderlandschaft: Wo geht`s denn hier nach
9 IfW-Highlights 2008 IfW-Highlight Auf den ersten Blick scheint die EU-Kohäsionspolitik auf die neue Vorgabe reagiert zu haben: Nachdem es in der Vergangenheit primär darum ging, rückständige und notleidende Gebiete zu unterstützen, wurden die Strukturfonds nun für die gegenwärtige Planungsperiode 2007–2013 expressis verbis auf die Ziele der Lissabon-Strategie hin ausgerichtet. Allerdings wird das vormalige Ziel der Unterstützung von rückständigen und peripheren Regionen, nunmehr als „Konvergenzziel“ bezeichnet, beibehalten, ohne dass seitens der EU-Kommission hierin ein Widerspruch zu den Zielen der Lissabon-Strategie gesehen würde. Die Förderung unter diesem Ziel konzentriert sich dabei auf die ärmsten Regionen der EU (Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt), die nach der Osterweiterung überwiegend in den neuen Mitgliedstaaten liegen. Zwei andere vormalige Ziele, nämlich Unterstützung von Gebieten im industriellen oder ländlichen Struktur- PORTRÄT Dipl. Volksw. Frank Bickenbach Forschungsbereiche Die internationale Arbeitsteilung Wissensakkumulation und Wachstum Telefon E-Mail (0431) 8814-274 [email protected] Expertise Gegenwärtige Forschungsschwerpunkte x Räumlicher und sektoraler Strukturwandel x Europäische Integration Weitere Expertise x Industrie- und Regulierungsökonomik x Institutionenökonomie x Ökonomischer Föderalismus AUTOREN Im März 2000 beschloss der Europäische Rat eine Wachstumsstrategie für Europa, die unter dem Namen „Lissabon-Strategie“ bekannt wurde: Europa sollte zur „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt“ werden. Zunächst wurden dem anspruchsvollen Ziel aber keine entsprechend durchsetzungsfähigen Instrumente zugeordnet. Auch bei einer Erneuerung des Beschlusses im Jahre 2005 gab es keinen wirklichen Durchbruch im Sinne einer fundamentalen Umorientierung des EU-Haushalts auf die Lissabon-Ziele hin – beispielsweise zu Lasten der eher strukturkonservierenden Gemeinsamen Agrarpolitik. Stattdessen entdeckte man die EU-Struktur- und Regionalpolitik – zusammengefasst auch als Kohäsionspolitik bezeichnet – als Instrument, die Lissabon-Strategie umzusetzen. Immerhin wird im Rahmen der Kohäsionspolitik für die sogenannten EU-Strukturfonds rund ein Drittel des EU-Haushaltes aufgewendet, was eine beachtliche potenzielle Manövriermasse für die Unterstützung der Lissabon-Strategie darstellen könnte. AUTOREN EU-Förderlandschaft: Wo geht’s denn hier nach Lissabon? PORTRÄT Dr. Dirk Dohse Koordinator Internationale Wirtschaft und Internationale Wirtschaftspolitik Leiter des Forschungsbereichs Wissensakkumulation und Wachstum Telefon E-Mail (0431) 8814-460 [email protected] Expertise Gegenwärtige Forschungsschwerpunkte x Wissensentstehung und Wissensdiffusion x Wissen, Globalisierung und Wachstum x Agglomeration und Wachstum in wissensbasierten Gesellschaften 10 wandel und Modernisierung von Ausbildung und Beschäftigung, wurden demgegenüber ersetzt durch das neue Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“. Unter diesem neuen Ziel können nun grundsätzlich alle europäischen Regionen – soweit sie nicht bereits unter das Konvergenzziel fallen – Unterstützung für Lissabon-kompatible Projekte erhalten, wobei den Mitgliedsstaaten und ihren Regionen ein erweiterter Spielraum bei der Auswahl der geförderten Projekte zugestanden wird. Um die Kohäsionspolitik noch mehr auf die Lissabon-Strategie auszurichten, wurde außerdem eine „Lissabon-Zweckbindung“ eingeführt, nach welcher 75 Prozent der Ausgaben unter dem Wettbewerbsfähigkeitsziel und 60 Prozent der Ausgaben unter dem Konvergenzziel für Projekte ausgegeben werden sollen, „die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Ziele von Lissabon leisten dürften“. Dafür wurde eine eigene Prioritätenliste von Aktivitäten verabschiedet, die als besonders wachstumsfördernd gelten. Ob diese Aktivitäten tatsächlich Wachstum und Beschäftigung in den geförderten Regionen oder gar in der EU als Ganzes anregen können, ist allerdings nicht gesichert. AUTOREN IfW-Highlights 2008 ► EU-Förderlandschaft: Wo geht’s denn hier nach Lissabon? PORTRÄT Christiane Krieger-Boden Forschungsbereiche Wissensakkumulation und Wachstum Die internationale Arbeitsteilung Telefon E-Mail (0431) 8814-338 [email protected] Expertise Gegenwärtige Forschungsschwerpunkte x Europäische Integration und räumliche Arbeitsteilung x Neue ökonomische Geographie x Nutzen und Probleme europäischer und nationaler Regionalpolitik Generell stellt sich die Frage, ob sich gesamtwirtschaftliche Wachstumsförderung in der Weise mit dem Konvergenzziel vereinbaren lässt, wie es durch die Neuausrichtung der Kohäsionspolitik angestrebt wird. Aus Sicht der jüngeren regionalwirtschaftlichen Theorien könnte die Förderung entlegener Bedeutung der Ziele der EU-Kohäsionspolitik 1989–2013 Anteil an allen Verpflichtungsermächtigungen 100% 90% Sonstige 80% Territoriale Kooperation 70% Wettbewerbsfähigkeit 60% 50% Beschäftigungsmodernisierung 40% Strukturwandel 30% Konvergenz 20% Konvergenz/ Kohäsionsfonds 10% 0% 1989-1992 1993-1999 2000-2006 2007-2013 Quelle: EU-Kommission (1989), Manual on the Reform of the EU Structural Funds; EU-Kommission (versch. Jgg.), Jahresbericht zur Durchführung der Strukturfonds; EU-Kommission (versch. Jgg.), Jahresbericht zum Kohäsionsfonds; eigene Berechnung und Darstellung. 11 ► EU-Förderlandschaft: Wo geht’s denn hier nach Lissabon? rückständiger Regionen das gesamtwirtschaftliche Wachstum behindern, weil Agglomerationsbildung und Konzentrationsprozesse als wichtige Voraussetzungen für die Induzierung von Wachstum angesehen werden. Zudem erfordert die Förderung von Aufholprozessen rückständiger Regionen andere Instrumente als eine der Lissabon-Strategie entsprechende wissensbasierte Wachstumsförderung. Dem trägt die Formulierung der neuen Kohäsionspolitik nur teilweise Rechnung. In der tatsächlich verfolgten EU-Kohäsionspolitik scheint sich denn auch eine Lücke aufzutun zwischen der behaupteten Ausrichtung auf die Lissabon-Ziele und der tatsächlichen Ausrichtung. Zwar sind die nationalen strategischen Rahmenpläne (als Basis der neuen Kohäsionspolitik) sowie die darauf aufbauenden operationellen Programme sprachlich durchgängig von der Lissabon-Strategie durchdrungen. Auch überwiegt für die meisten der alten Mitgliedsstaaten das Lissabon-nahe Wettbewerbsfähigkeitsziel bei weitem alle anderen Ziele hinsichtlich der zugewiesenen EU-För- IfW-Highlights 2008 dermittel. Schaut man sich jedoch die Verteilung der gesamten Strukturfonds-Mittel auf die verschiedenen Ziele an, so ist es überraschenderweise das Konvergenzziel (inklusive Kohäsionsfonds), dessen Gewicht im Zeitablauf stark zugenommen hat und das für die gegenwärtige Periode 2007–2013 mehr als 80 Prozent der Fördermittel beansprucht (Grafik). Der Grund liegt darin, dass die EU-Förderung für die meisten alten Mitgliedsstaaten gering ist und weniger als ein Viertelprozent ihres BIP ausmacht. Stattdessen konzentriert sich die Förderung auf die neuen und auf einige ärmere alte Mitgliedsstaaten und beläuft sich dort auf bis zu drei Prozent des BIP. Das dort schwerpunktmäßig geförderte Konvergenzziel dominiert deshalb nach wie vor die Gesamtausrichtung der Kohäsionspolitik. Entsprechend dürften von der EU-Regionalpolitik auch weiterhin nur relativ geringe Impulse zur Förderung von Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit in der EU ausgehen. Von einer EU-Regionalpolitik im Dienste der LissabonStrategie kann man daher – zumindest für die Förderperiode 2007–2013 – kaum sprechen.