Lew Tolstoi Eine Ehe in Briefen |Kita Morio Das Haus Nire |Günter

Transcrição

Lew Tolstoi Eine Ehe in Briefen |Kita Morio Das Haus Nire |Günter
Nr. 9 | 31. Oktober 2010
Lew Tolstoi Eine Ehe in Briefen | Kita Morio Das Haus Nire | Günter Grass
Grimms Wörter | Tom Rachman Die Unperfekten | Claude Lanzmann
Der patagonische Hase | Pavel Kohout im Porträt | Peer Steinbrück Unterm
Strich | Weitere Rezensionen zu Ayse Kulin, Sebastian Haffner, Reinhold
Messner, Jimmy Carter und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
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Inhalt
Über den
Wellenschlag der
Weltliteratur
Lew Tolstoi
(Seite 16).
Illustration von
André Carrilho
Vor genau 100 Jahren starb Lew Tolstoi im Bahnwärterhäuschen von
Astapowo, gut 100 Kilometer südlich von Moskau. Der Dichterfürst war
geflüchtet – vor weltlichem Luxus, vor dem Ruhm, vor seiner Frau. Um
in Stille und Einsamkeit seine letzten Tage zu verbringen. Der nun auf
Deutsch veröffentlichte Briefwechsel zwischen Lew und Sofja Tolstoi
erlaubt einen Einblick in das schwierige Eheleben des grossen Russen
(Seite 16). Tolstois Werk hallt immer noch nach: Davon zeugen etwa die
kompakte, gut gestaltete Ausstellung im Zürcher Strauhof (bis 28. 11.)
ebenso wie der neue Familienroman «Freiheit» von Jonathan Franzen,
dessen Protagonistin Patty Berglund sich in die Abgeschiedenheit
verzieht, um «Krieg und Frieden» zu lesen.
Zum Ozean der Weltliteratur gehört natürlich auch das Werk Thomas
Manns. Sein Epochengemälde «Buddenbrooks» hat den japanischen
Schriftsteller Kita Morio ganz direkt inspiriert, wie Manfred Papst an
dessen neu übersetztem Buch «Das Haus Nire» aufzeigt (Seite 4). Und
Spuren von Thomas Mann finden sich im begeisternden Roman des
argentinischen Autorenpaars Ocampo/Bioy Casares (Seite 9).
«Globalisiert» ist inzwischen auch die Beilage «Bücher am Sonntag»:
Es gibt sie für Abonnenten neu als E­Paper. Womit sie ab Erscheinungs­
tag auch dort im Originallayout zu lesen ist, wo sie bisher nicht tages­
aktuell erhältlich war (mehr unter: www.nzzglobal.ch). Urs Rauber
Belletristik
Kurzkritiken Sachbuch
4
15 Helmut Birkhan: Magie im Mittelalter
Nr. 9 | 31. Oktober 2010
Lew Tolstoi Eine Ehe in Briefen | Kita Morio Das Haus Nire | Günter Grass
Grimms Wörter | Tom Rachman Die Unperfekten | Claude Lanzmann
Der patagonische Hase | Pavel Kohout im Porträt | Peer Steinbrück Unterm
Strich | Weitere Rezensionen zu Ayse Kulin, Sebastian Haffner, Reinhold
Messner, Jimmy Carter und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
6
Kita Morio: Das Haus Nire
Von Manfred Papst
8
9
Von Klara Obermüller
Von Geneviève Lüscher
Mathias Morgenthaler: Beruf und Berufung
19 Patricia Clough: Emin Pascha, Herr von
Äquatoria
Von Gerhard Mack
Volker Reinhardt: Kleine Geschichte
der Schweiz
20 Bernhard Pörksen, Wolfgang Krischke:
Die Casting-Gesellschaft
Von Manfred Koch
Sybille Oetliker: Standhaft – rechtlos
Yann Martel: Ein Hemd des 20. Jahrhunderts
Von Marli Feldvoss
Nadav Kander: Yangtze – The Long River
7
18 Claude Lanzmann: Der patagonische Hase.
Erinnerungen
Günter Grass: Grimms Wörter
Tom Rachman: Die Unperfekten
Von Sacha Verna
Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: Der
Hass der Liebenden
Von Bruno Steiger
10 Ayse Kulin: Der schmale Pfad
Von Susanne Schanda
11 Herman Koch: Angerichtet
Von Simone von Büren
Von Kathrin Meier­Rust
Von Christoph Plate
Von Urs Rauber
Von Daniel Puntas Bernet
Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner.
Eine Biographie
Von Gabriela Weiss Di Spirito
Von Urs Bitterli
Sachbuch
21 Peer Steinbrück: Unterm Strich
16 Lew Tolstoj, Sofja Tolstaja: Eine Ehe in Briefen
Lew Tolstoi: Krieg und Frieden
Ulrich Schmid: Lew Tolstoi
22 Adrian Knoepfli: Im Zeichen der Sonne
Von Gerd Kolbe
Von Gabriela Weiss Di Spirito
Reinhold Messner: On Top
Von Andreas Tobler
Von Mylène Jacquemart
23 Hermann Lübbe im Gespräch
Von Urs Rauber
Anton Corbijn: Inside The American
Kurzkritiken Belletristik
Von Christian Jungen
11 Georges Hyvernaud: Haut und Knochen
Von Regula Freuler
24 Olaf B. Rader: Friedrich II.
Alfried Wieczorek u. a.: Die Staufer und
Italien
Von Manfred Papst
25 Ernst Horst: Nur keine Sentimentalitäten
Von Regula Freuler
26 Peter Gemeinhardt: Die Heiligen
Georges Simenon: Die Verlobung des
Monsieur Hire
Von Geneviève Lüscher
Von Thomas Köster
Steven Uhly: Mein Leben in Aspik
Von Peter Durtschi
Jorge Luis Borges: Ein ewiger Traum
Von Manfred Papst
Das amerikanische Buch
Jimmy Carter: White House Diary
Von Andreas Mink
Porträt
12 Pavel Kohout, Schriftsteller
Agenda
DPA / KEYSTONE
Der Dissident
Von Urs Rauber
Kolumne
15 Charles Lewinsky
Das Zitat von Antoine de Saint­Exupéry
Die türkische Autorin Ayse Kulin («Der schmale Pfad»)
zu Gast an der diesjährigen Buchmesse Frankfurt.
27 Hans Traxler: Ich, Gott und die Welt
Von Manfred Papst
Bestseller Oktober 2010
Belletristik und Sachbuch
Agenda November 2010
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier­Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath,
Stefan Zweifel Produktion Eveline Roth, Hans Peter Hösli (Art­Director), Patrizia Trebbi (Bildredaktion), Monika Werth (Layout), Bettina Keller, Rita Pescatore (Korrektorat)
Adresse NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich. Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E­Mail: [email protected]
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Roman Mit dem Familien­ und Epochenroman «Das Haus Nire» von
Kita Morio liegt endlich ein Hauptwerk der modernen japanischen
Literatur in deutscher Sprache vor
Buddenbrooks
in Tokio
Kita Morio: Das Haus Nire.
Aus dem Japanischen von Otto Putz.
Nachwort von Eduard Klopfenstein.
Japan­Edition im Be­Bra­Verlag,
Berlin 2010. 988 Seiten, Fr. 53.90.
Von Manfred Papst
Uferlos ist der Ozean der Weltliteratur.
Wer sich auf ihn hinauswagt, kann
immer wieder Neues entdecken. Zum
Beispiel diesen fast tausendseitigen Fa­
milien­ und Epochenroman aus Japan,
der in der Originalsprache erstmals 1964
erschienen ist, aber erst jetzt ins Deut­
sche übersetzt wurde, während er im
englischen Sprachraum längst ein Be­
griff ist und auch in anderen europäi­
schen Sprachen vorliegt. Er bietet alles,
Kita Morio
Kita Morio wurde
am 1. Mai 1927 als
Saito Sokichi in
Tokio geboren. Der
Schulbesuch wurde
durch die für alle
Schüler obligatorische Arbeit in
Rüstungsbetrieben
unterbrochen.
Beim Luftangriff auf
Tokio vom 25. Mai 1945 ging das Haus
der Familie in Aoyama in Flammen auf.
Als junger Mann las Kita Morio Shakespeare, Goethe, Dostojewski, Nietzsche
und Thomas Mann. Er studierte Medizin,
arbeitete in der Psychiatrie und als
Schiffsarzt. 1960 schaffte er mit den
«Aufzeichnungen über die Seefahrten
des Doktor Manbo» den Durchbruch
als Schriftsteller. 1964 erschien der
Roman «Das Haus Nire», der bis heute
als sein Meisterwerk gilt. Seither hat er
zahlreiche Bücher veröffentlicht. Auf
Deutsch sind nur wenige Texte bekannt.
4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
was man von einem grossen Roman er­
wartet: Liebe und Tod, eine spannende
Handlung, ein reiches Arsenal an Figu­
ren und Schicksalen, das facettenreiche
Bild einer Epoche und einer Gesell­
schaft im Umbruch.
Sein Autor ist 1927 geboren und hiess
ursprünglich Saito Sokichi. Als Schrift­
steller legte er sich das Pseudonym Kita
Morio zu. Er hat Romane, Erzählungen,
Märchen verfasst und grosse Teile der
Welt bereist. Bereits 1960 wurde ihm
der Agutawa­Preis verliehen, die höchs­
te Auszeichnung für japanische Schrift­
steller, 1976/77 wurde er mit einer fünf­
zehnbändigen Werkausgabe gewürdigt.
In den 1990er Jahren hat er eine vierbän­
dige Biografie seines berühmten Vaters
Saito Mokichi vorgelegt, der als Arzt
eine psychiatrische Klinik leitete und
gleichzeitig einer der bekanntesten Tan­
ka­Dichter seiner Zeit war. Gleichwohl
wissen wir hierzulande fast nichts von
Kita Morio.
Das könnte sich jetzt ändern. Denn
nach jahrelangen Vorarbeiten publiziert
der tapfere kleine Be­Bra­Verlag in Ber­
lin Kita Morios Opus magnum in einer
gut lesbaren, mit Glossar und kundigem
Nachwort versehenen Übersetzung.
«Das Haus Nire» behandelt in seinem
Kern die Jahre 1918 bis 1946, erfasst in
Rückblenden auch die Zeit seit 1904. Er
umspannt, ganz ähnlich wie Thomas
Manns Roman «Buddenbrooks» (1901),
der die Zeit von 1835 bis 1877 abdeckte,
gut vier Jahrzehnte, wenn auch nicht
vier, sondern nur drei Generationen.
Der Vergleich mit dem genialen ers­
ten Roman des Lübecker Erzählers wird
hier nicht leichtfertig gezogen. Kita
Morio verehrte Thomas Mann schon als
junger Mann über alles und eiferte ihm
nach. Sein Pseudonym spielt auf den
Protagonisten der Novelle «Tonio Krö­
ger» an, in dem er sein eigenes fragiles
Wesen umrissen sah. Und der Roman­
titel «Nire­ke no hitohibo» nimmt ganz
bewusst den japanischen Titel der
«Buddenbrooks» auf. Kita Morio kam in
seinem Werk immer wieder auf Thomas
Mann zurück. Das Lübecker Geburts­
haus des Nobelpreisträgers besuchte er
ebenso wie das Grab in Kilchberg.
Autobiografisch geprägt
Wie die «Buddenbrooks» ist «Das Haus
Nire» stark autobiografisch geprägt. Im
Zentrum seines erstes Teils steht Kita
Morios Grossvater Saito Kiichi (1861–
1928), der im Roman Nire Kiichiro
heisst. Er ist ein Mann, der aus der tiefs­
ten Provinz im Nordosten Japans
stammt, am Ende der Meji­Zeit in Tokio
Medizin studiert, sich in Deutschland
auf dem Gebiet der Psychiatrie weiter­
bildet und nach seiner Rückkehr eine
psychiatrische Klinik eröffnet. Er ist ein
so intelligenter wie wendiger und
gräbt sich in das Projekt einer umfassen­
den Psychiatriegeschichte, für die er vor
allem deutsche Quellenwerke herbei­
schaffen lässt. Mit Nire Tetsukichi hat
Kita Morio ein höchst kritisches, von
der Lebenswirklichkeit des erfolgrei­
chen Arztes und Dichters Saito Mokichi
weit abweichendes Bild seines Vaters
geschaffen. In der dritten Generation
setzt sich der Niedergang fort: Einige
ihrer Vertreter sind gesundheitlich an­
geschlagen oder körperlich versehrt.
Immerhin finden sie sich in ihrem glanz­
losen Leben einigermassen zurecht.
Sich selbst porträtiert Kita Morio in der
Figur des Nire Shuji, der Züge von
Hanno Buddenbrook trägt.
MILLER / INTERFOTO
Spiel mit Zitat und Montage
manchmal auch windiger Mensch: einer,
der sich zum allmächtigen Patriarchen
entwickelt und dennoch etwas von
einem Hochstapler hat. Seine Klinik be­
steht aus einer prachtvollen, mit Säulen
geschmückten Fassade und ärmlichen
rückwärtigen Räumen: Er schummelt
beim Spielen, trinkt unentwegt eine
Bordeaux genannte rote Limonade und
verheiratet seine Kinder mit der glei­
chen eigensinnigen Willkür, mit der er
die von ihm selbst zusammengebrauten
Medizinen verschreibt. Aber er hat Er­
folg und wird weithin geachtet. Kita
Morio schildert diesen skurrilen Tyran­
nen, der als Parlamentarier vorüber­
gehend eine zweite (und finanziell rui­
nöse) Karriere macht, mit genüsslichem
Spott, aber auch mit unverkennbarer
Sympathie, während er andere Figuren,
etwa Nire Kiichiros anmassende Frau
oder seine egoistische Tochter Ryuko,
mit sarkastischer Schärfe behandelt.
Der Grossvater ist eine typische, mit
unerschütterlichem Optimismus ausge­
stattete Gründerzeitfigur, die auch
Schicksalsschläge wie einen verheeren­
den Brand in der Klinik zu überwinden
versteht. Die zweite Generation ist ihm
gegenüber von unsichererem, auch
dunklerem Naturell. Sie kann sein Werk
nicht mit der gleichen spielerischen Un­
ternehmungslust durch die Fährnisse
der Epoche führen. Nire Tetsukichi, der
in die Familie adoptierte Schwieger­
sohn, führt den Klinikbetrieb ohne echte
Begeisterung weiter. Er entfremdet sich
seiner Frau und seinen Kindern und ver­
Der japanische Autor
Kita Morio entwirft
ein Sittenbild Japans
in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts.
Shiba-Tempel in
Tokio, 1920er Jahre.
Anders als bei Thomas Mann, wo der
Niedergang der Familie Buddenbrook
mit ästhetischer Verfeinerung, Dekadenz
und Lebensuntüchtigkeit einhergeht,
lässt Kita Morio die Vertreter seiner
zweiten und dritten Generation einfach
in der Normalität landen: Sie sind mit­
telmässige Begabungen ohne besonde­
ren Ehrgeiz. Was hier den Verfall der
Familie herbeiführt, sind in erster Linie
äussere Einwirkungen: Wirtschaftskri­
sen, Naturkatastrophen und der Krieg.
Wie Thomas Mann liebt Kita Morio
das Spiel mit Zitat und Montage, wie er
verfügt er über eine Vielzahl von Ton­
fällen. Lebhafte Dialoge stehen neben
Exkursen in die Geschichte der Psycho­
pathologie und Medizin. Die Sprache
der Politik und Rechtsprechung wird
ebenso vorgeführt wie jene der Tages­
zeitungen. Einen besonderen Reiz als
Zeitroman gewinnt das Werk durch die
perspektivischen Wechsel: So erleben
wir die japanischen Kriegsereignisse
der Epoche so, wie sie der zum Studium
in Deutschland weilende Nire Tetsuki­
chi in Deutschland mitbekommt, und
umgekehrt sehen wir die Ereignisse des
Ersten und Zweiten Weltkriegs, die Um­
wälzungen in Wien und München so,
wie verschiedene Romanfiguren sie in
Japan wahrnehmen.
Aus kaleidoskopisch zusammenge­
fügten Details, die Kita Morio akribisch
recherchiert hat, nicht zuletzt in Ge­
sprächen mit älteren Familienmitglie­
dern, aber auch durch Archivstudien,
ersteht das Panorama einer Epoche. Es
lebt von der Exaktheit des Autors eben­
so wie von seinem erzählerischen
Schwung. Etwas unterscheidet den fern­
östlichen Erzähler allerdings von sei­
nem norddeutschen Idol: Bei Thomas
Mann ist die Ironie das allgegenwärtige
Stilprinzip. Das ist bei Kita Morio nicht
so. Er hat zwar eine ausgeprägte humo­
ristische Ader. So lässt er seinen Patriar­
chen in dem Moment sterben, als dieser
das Gelände für eine neue Klinik aus­
misst. Aber der Gestus des uneigentli­
chen Sprechens, des steten Verweisens
auf die Doppelbödigkeit und Ambiva­
lenz des gerade so elegant Gesagten, ist
seine Sache nicht. Er steht in der Tradi­
tion der grossen realistischen Erzähler
des 19. Jahrhunderts. Mit ihren Stilmit­
teln hat er den ersten Roman des Bür­
gertums in Japan geschaffen. l
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Roman Der kanadische Erfolgsautor Yann Martel führt den Leser in ein Spiegelkabinett – ein
ungewöhnliches Buch über den Holocaust
Der doppelte Henry
Yann Martel: Ein Hemd des 20. Jahrhunderts. Aus dem Englischen von Manfred
Allié und Gabriele Kempf­Allié.
S. Fischer, Frankfurt 2010. 224 Seiten,
Fr. 31.90.
Von Marli Feldvoss
Yann Martel, 1963 in Spanien geboren,
geht in seinem neuen Roman gleich in
medias res. Da wird nicht lange gefa­
ckelt. Erfolgsautor Henry muss die bitte­
re Pille schlucken, dass sein neuestes
Buch vom Verleger in der Luft zerrissen
wird. Fragen wie: Wo soll es ausgelegt
werden, in der Literatur­ oder der Sach­
buchabteilung? Wo soll der Barcode an­
gebracht werden? Und worum geht es
überhaupt in Ihrem Buch? sind der To­
desstoss für das in fünf langen Jahren
erarbeitete zweiteilige Werk, das Roman
und Essay (zum gleichen Thema) in
einem Band vereint. Dass man sich über
den Inhalt «Neue Darstellungsmöglich­
keiten des Holocaust» in die Haare gera­
ten kann, ist seit Adorno eine Binsen­
wahrheit. Der Autor zieht nach dieser
niederschmetternden Erfahrung die
Konsequenzen, verabschiedet sich vom
Schriftstellerberuf, reist zurück nach
Kanada und zieht mit seiner Frau Sarah
in irgendeine anonyme Grossstadt, wo
er ein neues Leben beginnt.
Bereits seinem preisgekrönten Best­
sellerroman «Schiffbruch mit Tiger»
(2001) hatte Yann Martel Betrachtungen
über dessen Autor vorangestellt, der
nun zur Hauptfigur des Romans avan­
ciert und eine selbstreferenzielle Ebene
bestreitet. Das tragische Schicksal des
Autors klingt allerdings wie eine vor­
Entlang des Jangtse China verliert seine Kultur
Menschen treffen sich am Flussufer zum sonntäglichen Picknick. Ein Bootsfahrer schaut ihnen zu. Das
könnte eine Idylle sein, wie sie in der Literatur vieler
Sprachen besungen wird. Hier muss sich der Augenblick des Friedens gegen eine unwirtliche Umgebung
durchsetzen. Die Menschen sitzen im chinesischen
Chongqing unter riesigen Pfeilern, eine Hochstrasse
führt über den Rand des Jangtse-Flusses. Die dunstige Atmosphäre erzählt ebenso von der Verschmutzung der Umwelt wie die braune Farbe des Wassers.
186 Städte liegen an der Lebensader Chinas, die
Hälfte des Abwassers des ganzen Landes wird in sie
geleitet, sie gilt als der grösste Verschmutzer des
6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
Pazifiks. Nadav Kander ist 2006 und 2007 von der
Mündung des Jangtse 6500 Kilometer stromaufwärts
bis zu seiner Quelle in der Provinz Sichuan gereist
und hat die Veränderungen fotografiert, welche die
schnelle Industrialisierung des Landes herbeiführt.
Wohnblocks, Strassen und Fabrikanlagen verdrängen
die historische Bebauung der Ufer. Der Fluss wurde
dem 1961 in Israel geborenen Südafrikaner mit Wohnsitz in London zur Metapher für ein Land, dessen
Menschen die Verbindung zu ihrer Tradition verlieren.
Gerhard Mack
Nadav Kander: Yangtze – The Long River. Hatje Cantz,
Ostfildern 2010. 188 Seiten, 77 Farbabb., Fr. 81.90.
weggenommene Rezeption, die bei
einem Holocaust­Buch kritischer auszu­
fallen droht als bei einer vergleichswei­
se harmlosen Tierfabel über einen ben­
galischen Tiger. Yann Martel spielt mit
Verrätselungen und Spiegelungen von
Anfang an. In «Ein Hemd des 20. Jahr­
hunderts» führt er seine Leser in ein re­
gelrechtes Spiegelkabinett, in dem es
nicht nur einen, sondern gleich zwei
Henrys gibt, wo sich nicht nur eine wei­
tere, sondern unzählige Erzählebenen
auftun – darunter ein Theaterstück, das
sich unter dem Titel «Beatrice und Ver­
gil» (so auch der englische Originaltitel
des Romans) durch das ganze Werk
schlängelt. Und wenn man die «Göttli­
che Komödie» aufschlägt und im ersten
Gesang den dunklen Wald betritt, fällt
einem sofort auf, dass auch dort die wil­
den Tiere ihr Unwesen treiben.
Ohne allzu viel vom Inhalt zu verra­
ten, sei festgestellt, dass der Autor sich
mit einer ganzen Reihe von Tierfabeln
wie Orwells «Animal Farm», Flauberts
«Legende von Sankt Julian dem Gast­
freien» und zweifellos auch Art Spiegel­
mans Comic «Maus. Die Geschichte
eines Überlebenden» auseinanderge­
setzt haben muss. Kurzum: «Ein Hemd
des 20. Jahrhunderts» ist eine Allegorie,
in der Beatrice zum Esel und Vergil zu
einem roten Brüllaffen gemacht und
beide zu Führern durch die Hölle
ernannt werden.
Und die Story? Da kommt man nicht
umhin, insgeheim wieder an die Londo­
ner Verlegerrunde zu denken, die den
Spitzfindigkeiten ihres Erfolgsautors zu
folgen nicht bereit war. Es geht um
Henry und Henry, um besagten Autor
und einen Tierpräparator, die durch
einen Leserbrief – eher einen Hilferuf –
zusammenfinden. Auf diese Weise
macht Henry I Bekanntschaft mit der
seltsamen Erscheinung von Henry II
samt Werkstatt, die sich in einer abgele­
genen Strasse mit der Hausnummer 1933
befindet und deren Schaufenster mit
einem drei Meter hohen Okapi in einem
Diorama dekoriert ist.
Die Auseinandersetzung mit dem
fachmännischen und zugleich geheim­
nisvollen Treiben von Henry II, der
nicht nur in die Details des Präparierens
einführt, sondern sich auch als Hobby­
schriftsteller erweist und besagtes The­
aterstück verfasst, wird den Rest des
Romans bestreiten. Die Spannung, die
von dieser merkwürdigen Begegnung
ausgeht und das Buch mit seinem stets
in Andeutungen wach gehaltenen Sub­
text zu einer spannenden Lektüre macht,
wird bis zum bitteren, ja kathartischen
Ende durchgehalten – eine beachtliche
Erzählleistung. Einerseits.
Aber über die Frage, ob sich der Autor
Yann Martel mit dieser Allegorie wirk­
lich das grosse Lob verdient, eine ange­
messene fiktionale Aufarbeitung des
Holocaust geliefert zu haben, ist mit
Sicherheit noch nicht das letzte Wort
gefallen. l
Literatur Günter Grass schreibt ein Loblied auf die Gebrüder Grimm, die im 19. Jahrhundert mit
ihrem monumentalen Werk ein Lesebuch für das deutsche Volk schaffen wollten
Zwei Wörternarren sowie
ein Prediger in der Wüste
unentbehrlichen Vokal: «Gerne sage ich
Elritze, ergehe mich unter Eschen und
Eichen, erinnere mich beim Entenessen
an einst gegessene Enten, ecke Buchsei­
ten Eselsohren …»
Dieses freie Sprachassoziieren führt,
drittens, zu Erzählungen aus dem Leben
des Günter Grass. Von C ist es nicht weit
nach Calcutta, wohin er sich flüchtete,
«nachdem mein Roman ‹Die Rättin›
vom Chor der Critiker wie vormals Cas­
sandra abgestraft worden war». Der
Artikel «Einheit» erinnert ihn an seine
«Rede eines vaterlandslosen Gesellen»
im Jahr der (in seinen Augen misslunge­
nen) deutschen Wiedervereinigung.
Günter Grass: Grimms Wörter.
Eine Liebeserklärung. Steidl,
Göttingen 2010. 365 Seiten, Fr. 43.50.
Von Manfred Koch
Spiel mit Begriffen
So gesehen ist Grass’ neues Buch nicht
nur, wie der Untertitel besagt, «eine Lie­
beserklärung» an die Grimms und ihre
Wörter, sondern auch eine Danksagung
für wunderbaren Beistand in der eige­
nen Schriftstellerlaufbahn. Daraus erge­
ben sich die drei Themenbereiche des
Buchs. Grass erzählt, erstens, die Le­
bensgeschichte der Grimms ab jenem
Schicksalsjahr 1838, in dem sie den un­
möglichen Verlagsauftrag annahmen, zu
zweit – ohne jegliche staatliche Hilfe –
ein deutsches Wörterbuch zu erarbei­
ten. Sie kamen bekanntlich nur bis zum
F. Wilhelm, der sich von vornherein auf
das D konzentriert hatte, starb akkurat
nach Vollendung «seines» Buchstabens
Gekränkter Autor
VOLK / LAIF
Es sollte ein wissenschaftliches Monu­
ment und zugleich ein Lesebuch fürs
ganze Volk werden. In der Einleitung
zum Ersten Band des «Deutschen Wör­
terbuchs» («A – Biermolke», 1858) stellt
Jacob Grimm sich vor, wie von nun an
die deutsche Familie regelmässig am
Tisch zusammenkommen und «mit An­
dacht» das neue Werk studieren könne:
«warum sollte sich nicht der vater ein
paar wörter ausheben und sie abends
mit den knaben durchgehend zugleich
ihre sprachgabe prüfen und die eigne
anfrischen? die mutter würde gern zu­
hören.» In dieser Wunschvorstellung
war der Lutherbibel ein ernsthafter
Konkurrent erstanden: das Wörterbuch
als Heilige Schrift der Nation!
Zur Familienbibel hat es das Grimm­
sche Riesenwerk schon aus praktischen
Gründen nicht gebracht, es gibt aber
Menschen, die es tatsächlich wie ein
Andachtsbrevier lesen: die Schriftstel­
ler. Denn Wörter sind ihr Handwerks­
zeug und ihre Droge. Eine «heillose
Sucht» war es, so Günter Grass, die
Jacob und Wilhelm «wortvernarrt Wör­
ter klauben, Silben zählen, die Sprache
nach ihrem Herkommen befragen, Laut­
verschiebungen nachschmecken und
verdeckten Doppelsinn entblössen»
liess. Dass Grass diese Sucht nur zu gut
kennt, kann man sich denken. Einen
«Riesenaufwand an Wörterlust» be­
scheinigten ihm schon die Rezensenten
der «Blechtrommel», das barocke
Schwelgen in Wortkaskaden, deren
Material dem Deutsch verschiedenster
Regionen und Zeiten entstammt, ist ein
Hauptcharakteristikum seines Stils.
im Dezember 1859, Jacob knapp vier
Jahre später nach Abschluss des Artikels
«Frucht». Da Grass als Biograf nicht
brav chronologisch, sondern alphabe­
tisch vorgeht, die Geschichte der
Grimms am Leitfaden ihrer Wörter
nacherzählt, ist, zweitens, über weite
Strecken die deutsche Sprache mit ihren
wechselnden Schicksalen die eigentli­
che Protagonistin. Aus den Grimmschen
Einträgen zu Begriffen wie «Arbeit»,
«Freiheit», «Friede» entwickelt Grass
deutsche Kulturgeschichte. Dann aber
spielt er auch einfach mit den Lauten
und Wörtern. Jacob Grimms seltsame
Aversion gegen das E – ein «matter
Laut», der sich im neueren Deutsch
hässlich ausgebreitet habe – inspiriert
ihn zu einer vergnügten Eloge auf den
Günter Grass vor
seinem Ferienhaus in
Dänemark (2004).
In diesen autobiografischen Abschnit­
ten ist Grass vor allem gekränkt. Sie
sind, zum Nachteil des Buchs, eine neu­
erliche Selbstanpreisung seiner poli­
tisch­moralischen
Unantastbarkeit.
Denn er hatte ja, nachdem er einmal von
seiner jugendlichen NS­Begeisterung
kuriert war, in all den öffentlichen De­
batten, an denen er sich beteiligte,
immer recht. Das scheint Grass’ tiefe
Überzeugung zu sein. Aber – so heisst es
wiederholt – niemand wollte auf ihn
hören! Als sei ihm dieser Kindertrotz
bei der Niederschrift selbst ein wenig
peinlich geworden, greift Grass am Ende
zum Stilmittel der karikierenden Über­
treibung: «Verschrien als Rechthaber,
Besserwisser, Moralapostel, sehe ich
mich, bespuckt und verhöhnt und miss­
achtet, wie vormals der biblische Sün­
denbock, der belastet mit der Men­
schenkinder schuldhaftem Tun in die
Wüste geschickt wurde, wo gut predi­
gen ist.» Auch dieser Flirt mit der
Selbstironie kann indessen nicht verde­
cken, dass die Lebenserinnerungen tat­
sächlich durch einen fragwürdigen Ecce­
Homo­Gestus geprägt sind.
Wie viel anmutiger wirkt der Text
hingegen, wo Grass den umgekehrten
Weg einschlägt und die Vorteile des
Sich­klein­Machens erläutert! Das Stich­
wort heisst «Daumen»: der «Aussen­
seiter im Volk der Finger», abseits ste­
hend, zu kurz geraten und doch der
intelligente Chef, ohne den dem Hand­
verbund kein Griff gelingen will. Wil­
helm Grimms Märchenerzählung vom
«Däumling» gab Grass einst die Idee
ein, seinen vorsätzlichen Zwerg Oskar
Matzerath zu erschaffen, der die Gros­
sen durch Schlauheit und eine gewaltige
Stimme düpiert. Ein wenig mehr Matze­
rathsches Schelmentum hätte auch die­
sem Buch gutgetan. Meint der Autor
vielleicht das, wenn er seufzt: «Ach,
Oskar, wäre ich doch wie du/ein Däum­
ling geblieben.» l
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Tom Rachmans Début ist ein Abgesang auf den traditionellen Journalismus
Vom Leben und
Sterben einer Zeitung
Tom Rachman: Die Unperfekten. Aus
dem Englischen von Pieke Biermann.
dtv premium, München 2010. 400 Seiten,
Fr. 24.90.
Das Buch ist tot, es lebe der Kindle! Die
Zeitung ist tot, es lebe das iPad! Papier
war gestern, Pixel sind heute und morgen. Weshalb also kommt jemand auf
die Idee, einen Roman über ein Druckerzeugnis zu verfassen, das die Kids des
21. Jahrhunderts nur noch als vergilbtes
Stopfmaterial aus Kisten mit Weihnachtsschmuck kennen? 400 gebundene
Seiten über das Schicksal eines internationalen Blattes und dessen Mitarbeiter?
Genau das hat Tom Rachman getan. Das
Début des 34-jährigen Briten handelt
von einem Berufsstand, der in seiner bis
anhin bekannten Form vom Aussterben
bedroht ist, und von einem Medium, für
das dasselbe gilt.
Die Zeitung im Mittelpunkt von «Die
Unperfekten» trägt keinen Namen. Ihre
Redaktionszentrale befindet sich in
Rom, und sie erscheint täglich auf Englisch. Rachman erzählt seine Geschichte
in Geschichten. Genauer: in elf Kapiteln,
von denen jedes einem einzelnen Angestellten gewidmet ist. Jedes Kapitel ziert
eine Schlagzeile sowie die Stellenbeschreibung der betreffenden Person.
Zum Beispiel: «‹Neue Studie: Europäer
sind faul›, Hardy Benjamin, Reporterin
Wirtschaft/Finanzen» oder «‹Bagdad:
76 Tote bei Bombenanschlägen›, Craig
Menzies, Nachrichtenchef». Jedes dieser Porträts könnte für sich alleine stehen. Dazu enthält es am Ende jeweils
Passagen, in denen nach und nach die
Biografie der Zeitung selber aufgerollt
wird – von ihrer Gründung durch einen
etwas mysteriösen Unternehmer im Jahr
1954 bis zu ihrer Schliessung 2007. Diese
Teile heben sich von den übrigen deutlich ab, sowohl optisch durch Schrägschrift als auch durch ihre protokollarische Trockenheit.
Ein Hauch Gostalgie
Von der ungewohnten und durchaus ansprechenden Konstruktion des Romans
einmal abgesehen, erweist sich Tom
Rachman als ziemlich konventioneller
Erzähler. Es geht ums Ich-du-und-wiralle-Zusammen. Um den Chefkorrektor
Herman Cohen, der seine Kollegen mit
seinem immer länger werdenden Stilführer tyrannisiert, dessen Pingeligkeit
jedoch der romantischen Verliebtheit
und Genussfreude weicht, kaum hat er
die Schwelle seines Zuhauses überschritten. Rachman beschreibt die
Schwierigkeiten des blutigen Anfängers
Winston Cheung, der sich in Kairo als
8 � NZZ am Sonntag � 31. Oktober 2010
GUEORGUI PINKHASSOV / MAGNUM PHOTOS
Von Sacha Verna
Korrespondent versucht, und die Einsamkeit der Textredakteurin Ruby Zaga,
die sich jeden Silvester in einem anderen Römer Hotel einquartiert und so tut,
als wäre sie eine stressgeplagte amerikanische Geschäftsfrau auf Durchreise.
Besonders gelungen ist «Der Kalte
Krieg ist aus, ein heisser Tag fängt an».
In diesem Kapitel stellt Rachman zum
ersten und einzigen Mal eine Leserin
der Zeitung vor. Und was für eine Leserin! Ornella de Monterecchi liest das
Blatt seit 1979 vollständig, von vorne bis
hinten wie ein Buch. Allerdings ist sie
mit ihrer Lektüre am 23. April 1994 stecken geblieben. Sämtliche Ausgaben,
die seither erschienen sind, stapeln sich
bei ihr in den Schränken. Über «Mandela
vor Wahlsieg in Südafrika» und «Selbstmord: Grunge-Rocker Cobain wird
Ikone» kommt Ornella nicht hinaus. Die
Gründe dafür enthüllt Rachman langsam
und kunstgerecht wie in einem Mini-Krimi, und ein wahrhaft blutiges Drama eröffnet sich einem da.
Stets machen Rachmans Figuren eine
kleine Entwicklung durch. Hier ruiniert
eine Affäre eine Ehe, die keine war, da
gelangt jemand zu einer späten Einsicht.
Es ist reizvoll, wie präzis Rachman die
Selbstwahrnehmung seiner Akteure inszeniert, um sie später zu kontrastieren
und dieselben Akteure aus der Perspektive anderer zu schildern.
Den Roman durchzieht erwartungsgemäss ein Hauch von Nostalgie. Rachman versagt sich jegliche Spekulationen
über die Zukunft des Mediums Zeitung
oder der Presse an sich. Seine Zeitung
Die Welt der
Zeitungsmacher ist
im Roman des jungen
Briten Tom Rachman
treffend gezeichnet.
verfügt nicht einmal über eine anständige Internetseite. «Die Unperfekten»
ist ein Abgesang auf den traditionellen
Journalismus und auf die Zunft der Zyniker, deren grösste Sorge bei einer akuten Staatskrise darin besteht, wie sie
kurz vor dem Abschluss noch einen
Fünfzig-Zeiler darüber mit einem spritzigen Titel auf die Frontseite hieven sollen. Rachman beherrscht den Redaktionsjargon perfekt. Die Tonarten, die er
wählt, passen zu den Individuen, die sie
anschlagen. Sie wirken so ungekünstelt
und unverkrampft wie der Roman.
Ionventionell erzählt
Gleichwohl fehlt den «Unperfekten»
das gewisse Etwas. Nun spricht es
immer eher gegen den Rezensenten,
wenn dieser dem Autor vorhält, was er
nicht versucht hat, bloss weil es an dem,
was er versucht hat, nichts auszusetzen
gibt. Dennoch: Tom Rachman schreibt
über das sich wandelnde Geschäft mit
der Realität. Wäre das nicht eine Gelegenheit gewesen, mit diesem Thema mit
den Mitteln der Literatur stilistisch und
inhaltlich ein wenig zu spielen? Mehr zu
wagen als nur ein einigermassen originelles Experiment mit Bauelementen?
Rachman webt wie so viele andere
am Zottelteppich der Zwischenmenschlichkeiten. Dabei beschränkt er sich auf
eine elegante Imitation der Wirklichkeit, die unterhaltsam ist und stellenweise richtig anrührend – die aber trotzdem oder eben deshalb von ein bisschen
weniger Analogie und mehr Pixeln profitiert hätte. �
Roman Mysteriöser Mordfall wächst zur klassischen Horrorgeschichte aus – ein Meisterwerk der
modernen südamerikanischen Literatur
Plötzlich stehen sie im Sumpf
Soie pirate
Geschichte und Stoffkreationen der Firma Abraham
Die Zürcher Seidenfirma Abraham war bedeutender Lieferant der
Pariser Modehäuser der Nachkriegszeit. Weltstars trugen die von
Yves Saint Laurent und anderen geschaffenen Kleider, deren Seidenstoffe Abraham entworfen hatte. Mit einer Fülle an Stoffmotiven,
Modefotografien und Dokumenten aus dem Firmenarchiv erzählt
dieses aufwendig gestaltete Buch erstmals die Geschichte der Firma,
die einst inkognito die Laufstege beherrschte.
Die Publikation begleitet die Sonderausstellung Soie pirate.Textilarchiv
Abraham Zürich im Landesmuseum Zürich (ab 22. Oktober 2010).
2 Bände, gebunden in Schuber, total 424 Seiten
644 farbige und sw Abbildungen, 24 x 30,5 cm
ISBN 978-3-85881-311-4, sFr. 99.– | E 79.–
Abgelegene Küste
in Argentinien:
Schauplatz eines
Horrorromans des
Schriftstellerpaars
Ocampo/Bioy
Casares.
GEOTOP BILDARCHIV
Kaum hat sich Dr. Humberto Huberman
an den Tisch gesetzt, um seine Ge­
schichte über den Mord in Bosque del
Mar zu Papier zu bringen, findet er sich
schon mittendrin im Geschehen. Mit
Hilfe von Tee, Honigtoast und ein paar
Arsenkügelchen phantasiert er sich in
das abgelegene Hotel an der argenti­
nischen Atlantikküste zurück, wo er
einst die Arbeit an einem Filmdrehbuch
zu vollenden gedachte.
Wie in einem Film nimmt sich die
kleine Strandszene aus, zu deren Zeuge
Hubermann schon an seinem zweiten
Tag am Meer wird. Aus den Gesprächen
der Badenden schliesst er, dass es sich
um Gäste seines Hotels handelt. Eine
der Stimmen kommt ihm bekannt vor; es
muss sich um seine ehemalige Patientin
Mary Gutiérrez handeln, ihres Zeichens
Übersetzerin von Kriminalromanen und
ebenso arsenabhängig wie er selbst. Sie
ist es, die einige Tage darauf mit Strych­
nin vergiftet wird. In aller gebotenen
Zurückhaltung beteiligt sich Huberman
an der Suche nach Marys Mörder, «reu­
mütig und errötend» muss er sich am
Schluss seines Berichts eingestehen,
dass er über Mutmassungen nie hinaus­
gekommen ist.
Von allerlei kruden Spekulationen
lebt dieses Buch ebenso wie von der lie­
bevoll ironischen Beschreibung der
handelnden Personen. Höchst eindrück­
lich etwa die «zerzauste» Gestalt einer
«Stenotypistin» genannten Hausgehilfin,
die immer mal wieder aus irgendeinem
dunklen Winkel tritt und die Fliegen­
klatsche schwingt. Nicht minder dubios
der Knabe Miguel, Neffe der Hotelinha­
ber, der, wenn er nicht gerade im Keller
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<wm>10CEWKsQ6AIAwFv4jmtaFQ7Ig4EQc1foFx9v8niYvDLXfXuyvho7b1aJszEDUw1MrwRUlyci5CWfOIbALGxMpRYJb8v0Odww4swAmm57pfGWVvdV0AAAA=</wm>
www.scheidegger-spiess.ch
Von Bruno Steiger
unversehens Sumpf, der Boden ein eklig
wabernder Teppich aus ineinander ver­
schlungenen Krebsen. Dr. Hubermans
gelehrter Kommentar zu dem Phänomen
kann als kennzeichnend für die Tonlage
des Romans gelten: «Das Schlimme an
einem solchen Schauspiel ist, dass man
sich später in seiner Hölle erneut mit ihm
konfrontiert sieht.»
Silvina Ocampo (1903–1993) und
Adolfo Bioy Casares (1914–1999) gehö­
ren zusammen mit Jorge Luis Borges zu
den bedeutendsten Vertretern der ar­
gentinischen Moderne. Ocampo tat sich
vornehmlich als Verfasserin von phantas­
tischen Geschichten hervor, während
Bioy Casares mit seinem Roman «Morels
Erfindung» zu Weltruhm gelangte. Die
beiden waren dreiundfünzig Jahre mit­
einander verheiratet, das vorliegende
Buch ist als ihre einzige Gemeinschafts­
arbeit in die Literaturgeschichte einge­
gangen. Es ist ein rundum begeisterndes,
in seiner Art einzig dastehendes erzäh­
lerisches Kabinettstück, das so ziemlich
alles, was heute an Spannungsliteratur
herumgeboten wird, ganz weit hinter
sich lässt. l
Kunst I Fotografie I Architektur
von Petra Strien­Bourmer. Nachwort
von Heinrich Steinfest. Manesse,
München 2010. 188 Seiten, Fr. 33.90.
einen Albatros einbalsamiert, sich in
ein gestrandetes Segelboot mit Namen
«Joseph K.» verkriecht.
Der Roman überrascht immer wieder
mit unerwarteten, nur surreal zu nen­
nenden Wendungen des Handlungsver­
laufs. So entpuppt sich etwa Atuel, Ver­
lobter von Marys Schwester Emilia und
lange Zeit Hauptverdächtiger, plötzlich
als ein Kriminalinspektor namens At­
well. Erklärt wird der Namenswechsel
mit keinem Wort. An Klärungen über­
haupt scheint in dem Hotel keiner wirk­
lich interessiert, die Gespräche drehen
sich vornehmlich um Bücher. Noch das
windigste Indiz wird sogleich in den
Rahmen eines Zitats aus der Weltlitera­
tur gestellt, darin kommen Victor Hugo
und Thomas Mann ebenso zu Ehren wie
der Krimiautor Michael Innes.
Was sich über weite Strecken wie
eine brillante Vorwegnahme postmo­
dernen Erzählens liest, erhält zusehends
den Charakter einer klassischen Horror­
geschichte. Aus dem von einem Sand­
sturm umtobten Hotel bricht man auf,
um in den Dünen nach dem möglichen
Täter zu suchen. Aus Sand wird dabei
Scheidegger & Spiess
Silvina Ocampo, Adolfo Bioy Casares: Der
Hass der Liebenden. Aus dem Spanischen
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Geschichte einer türkisch-kurdischen Frauenfreundschaft voller politischer Fallgruben
Religion bringt Unglück
Ayse Kulin: Der schmale Pfad. Aus dem
Türkischen von Angelika Gillitz­Acar
und Angelika Hoch. Unionsverlag,
Zürich 2010. 282 Seiten, Fr. 30.90.
Als Mädchen in einem ostanatolischen
Dorf hiessen sie Nevo und Zelo und
waren unzertrennlich, bis Nevo mit
ihrer Familie fortzog. Erst 30 Jahre spä­
ter begegnen sie sich wieder, die tür­
kische Journalistin Nevra Tuna, die mit
einem spektakulären Interview im Ge­
fängnis ihre angeschlagene Karriere ret­
ten will, und die Kurdin Zeliha Bora, die
dort wegen Separatismus ihre Haftstrafe
absitzt. Wie die Namen haben sich auch
die Frauen verändert. Welten trennen
sie nun, die Abgründe des türkisch­kur­
dischen Konflikts. Nevra gibt sich nicht
sofort zu erkennen. Mit scharfer Kritik
am Freiheitskampf der Kurden provo­
ziert sie Zeliha, bis diese das Gespräch
wütend abbricht und zur Tür geht. Erst
dann sagt sie wie einst als Kind: «Geh
nicht, Zelo, bitte geh nicht!» Nun er­
kennt auch Zeliha ihre verlorene Freun­
din wieder. Mit Tränen in den Augen
umarmen sie sich.
In den acht Stunden, die sie gemein­
sam in einem Besucherraum des Ge­
fängnisses verbringen, lassen sie Erin­
nerungen aufsteigen, erzählen sich, was
sie seit ihrer Trennung erlebten und was
aus ihnen geworden ist. Dabei öffnet
sich ein weites Panorama weiblicher Le­
benswelten, das die Differenzen in der
türkischen Gesellschaft spiegelt. Hier
ein Mädchen aus einem kurdischen
Stamm in Ostanatolien, das mit ihrem
Freund durchbrennt, als es mit einem
alten Mann verheiratet werden soll.
Dort eine junge Türkin, die studiert,
eine Familie gründet und nach einigen
Jahren ihren Mann verlässt – aus Lange­
weile. Nevra versucht, ihre Freundin
vom politischen Freiheitskampf abzu­
bringen und für die konkreten Probleme
der kurdischen Frauen zu engagieren:
«Denk doch nur mal an all die in schwar­
ze Carsafs gehüllten Frauen und Mäd­
chen, die aufgrund von Ignoranz und
religiösem Wahn in ihren Häusern ver­
sauern, ohne je richtig zu leben.»
Zwei Freundinnen finden sich
Hin und wieder erinnert sich Nevra
daran, dass sie für ein Interview gekom­
men ist, doch das Wiedersehen mit der
einstigen Freundin drängt alles in den
Hintergrund. In Rückblicken kommt
mehrmals Zelihas Grossvater zu Wort,
der den beiden Mädchen stundenlang
Geschichten erzählte, etwa von der ur­
sprünglichen türkisch­kurdischen Ge­
meinschaft, aber auch von den inner­
kurdischen religiösen Spaltungen. Er
wusste schon damals: «Für das meiste
Unglück der Menschen ist die Religion
verantwortlich.»
10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
WOLFGANG KUNZ
Von Susanne Schanda
Erst unzertrennliche
Freundinnen, später
politische Aktivistinnen ihrer verfeindeten Völker; Ayse
Kulins Roman spielt
in Ostanatolien.
Am Ende des Tages hat Nevra nur die
Geschichte von Cengiz auf ihrem Recor­
der. Cengiz, der junge Kurde, der weder
mit der Religion noch mit dem Kurden­
tum etwas zu tun haben wollte, der un­
schuldig in die Hände der Polizei geriet,
als Terrorist verdächtigt, fast zu Tode
gefoltert wurde. Nach seiner Entlassung
ging er voll Bitterkeit und Hass in die
Berge und verschrieb sich dem bewaff­
neten kurdischen Separatismus. Nevra
ist erschüttert von dieser Geschichte,
doch sie kennt auch die andere Seite, die
Opfer des kurdischen Terrorismus. Bei
allem Verständnis für die Wut der Kur­
den hält sie deren Kampf für falsch.
Obwohl der türkisch­kurdische Kon­
flikt eine prominente Rolle spielt, ist
dieser Roman doch im Innersten getrie­
ben von der individuellen Erfahrung
einer Freundschaft, die von Anfang an
spielerisch, in kindlicher Unschuld die
Gräben von Sprache und Kultur über­
wunden hat. Diese Freundschaft nicht
im Schlagabtausch der Tagespolitik ver­
enden zu lassen, darum ringen die bei­
den Protagonistinnen bei ihrer Begeg­
nung im Gefängnis.
Die Autorin Ayse Kulin, 1941 in Istan­
bul geboren, studierte Literaturwissen­
schaften und arbeitete als Reporterin,
Redaktorin und Produzentin für Fernse­
hen, Werbespots und Kinofilme. Als
Journalistin plante sie, eine Biografie
über die inhaftierte kurdische Men­
schenrechtlerin Leyla Zana zu schrei­
ben. Das Projekt scheiterte daran, dass
Zana die Autorin nicht empfangen
wollte. Kein Wunder, dass «Der schmale
Pfad» bei seinem Erscheinen 2005 in der
Türkei vielen als Schlüsselroman über
die prominente Aktivistin gilt.
Spartanisches Setting
Die Romanfigur Zeliha wurde wie Leyla
Zana als Teenager mit einem viel älteren
Mann verheiratet. Durch ihn politisiert,
liess sie sich später ins Parlament wäh­
len. Wegen ihres Engagements für die
kurdischen Rechte wurde ihre parla­
mentarische Immunität aufgehoben und
sie wegen Landesverrats und Unterstüt­
zung einer terroristischen Organisation
verurteilt. Die Parallelen sind frappant.
Doch die Autorin Ayse Kulin betont,
dass Zeliha und Nevra fiktive Figuren
seien. Der Roman funktioniert auch
ohne die Folie der realen Person Leyla
Zana. Kulin ist eine hervorragende Er­
zählerin, die ein denkbar einfaches Set­
ting für ihre Geschichte gewählt hat:
Zwei Personen verbringen zusammen
acht Stunden in einem kahlen Gefäng­
nisraum. Dramatisch brechen hier Liebe,
Schmerz und Trauer auf.
Im bewaffneten Kurdenkonflikt in der
Türkei sind in den letzten 25 Jahren
mehr als 43 000 Menschen getötet wor­
den. Ayse Kulin behauptet nicht, ein Re­
zept für die Lösung des Konflikts zu
kennen, aber sie erprobt in ihrem Roman
einen Weg jenseits von Gewalt und Ge­
gengewalt. Und sie weiss: Es ist ein
schmaler Pfad. l
Roman Herman Koch zwingt uns zum
Überdenken moralischer Standpunkte
Das Handy
wird Zeuge
Kurzkritiken Belletristik
Georges Hyvernaud: Haut und Knochen.
Roman. Deutsch von Julia Schoch.
Suhrkamp, Berlin 2010. 112 Seiten, Fr. 20.50.
Georges Simenon: Die Verlobung des
Monsieur Hire. Roman. Deutsch von Linde
Birk. Diogenes, Zürich 2010. 173 S., Fr. 16.–.
Ist die Würde genommen, bleibt nichts
übrig als Haut und Knochen. Der Ich­
Erzähler von Georges Hyvernauds auto­
biografischem Kurzroman, der 1949 er­
schienen ist und von der Öffentlichkeit
kaum beachtet wurde, kam wie sein
Autor in deutsche Kriegsgefangenschaft
und kehrt fünf Jahre später zurück. Jetzt
sitzt er zu Tisch mit Verwandten, die
Anekdoten hören wollen. «Da ist es, an­
wesend, schwer, klar, ein strotzendes
und fettes Glück.» Doch es ist nicht
seins. In bisweilen wütenden Sätzen
analysiert er, wie das alte Leben nicht
mehr passt. Es ist verstellt durch die De­
mütigung (am schlimmsten war für ihn,
sich gemeinschaftlich entleeren zu müs­
sen). Doppelt hart ist die Rückkehr, weil
der Protagonist kein Held ist. Er resi­
gniert, so wie sich der Autor nach einem
zweiten literarischen Misserfolg ins
Schulwesen zurückgezogen hatte.
Regula Freuler
Diogenes doppelt nach: Nachdem der
Verlag 2008/9 sämtliche 75 Maigret­Ro­
mane von Georges Simenon neu heraus­
gegeben hat, in revidierten Überset­
zungen, beginnt er nun mit einer auf 50
Bände angelegten Auswahl der «Non­
Maigrets». Simenon­Kenner schätzen
diese Romane seit je höher ein als die
Bücher um den brummigen Kommissar.
Meist handelt es sich ebenfalls um Kri­
mis, aber die Textur ist dichter, die Fi­
guren und Fälle sind überraschender, es
herrscht nicht das Gesetz der Serie. Die
50 Romane erscheinen in chronolo­
gischer Reihenfolge ihrer Niederschrift;
den Anfang macht deshalb «Die Verlo­
bung des Monsieur Hire» (1933), die pa­
ckende Geschichte einer Obsession, die
Patrice Leconte 1989 mit Michel Blanc
und Sandrine Bonnaire verfilmte. Zwei
Bände pro Monat sollen fortan erschei­
nen. Freude herrscht.
Manfred Papst
Steven Uhly: Mein Leben in Aspik.
Roman. Secession, Zürich/Berlin 2010.
266 Seiten, Fr. 34.90.
Jorge Luis Borges: Ein ewiger Traum.
Deutsch von Gisbert Haefs. Hanser,
München 2010. 294 Seiten, Fr. 32.90.
Dieser Débutroman irritiert vom Titel­
blatt an: Ein Leben in Sülze? Igitt. Er
amüsiert, stimmt nachdenklich. Steven
Uhly, ein Münchner mit bengalischen
und spanischen Wurzeln, zeichnet eine
deutsch­deutsche Biografie nach. Sein
Protagonist ist die Frucht eines Porno­
Drehs, schwängert unabsichtlich (ma­
nuell) seine eigene Grossmutter und
seine Schwägerin in spe, wird zum Zu­
hälter und nennt sich nach einem Zu­
sammenbruch Steven Uhly: der Wil­
helm Meister einer Lost Generation.
Über die Jahre versucht er herauszufin­
den, was Dichtung, was Wahrheit ist in
seiner komplizierten Familie. «Meine
Oma hat nie einen Hehl aus ihren Ge­
fühlen gemacht», lautet der erste Satz.
Am Ende schreibt er sein Leben auf und
beginnt: «Meine Oma hat stets einen
Hehl aus ihren Gefühlen gemacht.» Ein
ungemein zeitgenössischer Entwick­
lungsroman.
Regula Freuler
Dass Jorge Luis Borges (1899–1986) der
grösste Autor der argentinischen Litera­
tur und wie Kafka, Joyce und Proust eine
exemplarische Figur der Moderne war,
steht ausser Frage. Seit Jahrzehnten be­
müht sich der Hanser­Verlag nachhaltig
um das Werk des blinden Sehers. Eine
zwölfbändige Werkausgabe legt Zeugnis
davon ab. Die Essays des Erzählers, Lyri­
kers und Denkers gelten als Zentrum
seines Werks. Sehr willkommen ist des­
halb ein Band, der bisher ungehobene
Schätze des Meisters ans Licht fördert:
Der Borges­Kenner Gisbert Haefs hat
aus dem Nachlass etliche Texte ausge­
wählt, die Borges nicht in die kano­
nische Ausgabe seiner Werke aufgenom­
men haben wollte, die aber gleichwohl
höchst lesenswert sind. Sie handeln von
Joyce und Jünger, Edgar Wallace und
Chesterton, dem Zauber des Lateins,
tausend anderen Dingen und – im Herz­
stück – vom Borges’ eigenem Leben.
Manfred Papst
Herman Koch: Angerichtet. Aus dem
Niederländischen von Heike Baryga.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
320 Seiten, Fr. 30.50.
DDP-IMAGES
Von Simone von Büren
Zwei Fünfzehnjährige legen sich auf
dem Heimweg von einer Party mit einer
Obdachlosen an, die vor einem Banko­
maten liegt. Was als Provokation be­
ginnt, eskaliert zur Gewalttat, welche
die Jungen mit dem Handy aufzeichnen.
Die Obdachlose kommt ums Leben, die
brutalen Aufnahmen gelangen ins Netz
und von dort in die Medien. Keiner er­
kennt die Täter – bis auf die Eltern.
Das ist der Ausgangspunkt von Her­
man Kochs gefeiertem neuem Roman
«Angerichtet». Was man anfangs auf­
grund eines nicht näher beschriebenen,
aber offensichtlich verstörenden Han­
dy­Videos nur erahnt, erschliesst sich
häppchenweise zwischen Champagner
und Smalltalk im Luxusrestaurant, in
dem sich die Eltern der Täter – zwei
Brüder und ihre Frauen – treffen, um das
weitere Vorgehen zu besprechen.
Zum Erzähler macht der niederlän­
dische Autor den jüngeren Bruder Paul,
dessen locker sarkastischer Stimme man
sich vorerst getrost anvertraut. Die
Tischgespräche und Pauls Beobach­
tungen, die Koch ebenso sorgfältig be­
schreibt wie der Maître d’hôtel die Ge­
richte, zeigen bald, dass die Eltern ziem­
lich unterschiedliche Vorstellungen von
elterlicher Verantwortung haben und
entsprechend verschiedene Strategien
in der heiklen Situation ihrer Söhne.
Der Roman beginnt leichtfüssig, ent­
wickelt aber einen düsteren Thriller­
Charakter dadurch, dass Paul aggressive
Neigungen an den Tag zu legen und be­
unruhigende Geständnisse zu machen
beginnt, welche die Tat seines Sohnes in
ein neues Licht rücken. Durch
diesen immer suspekteren Er­
zähler, der uns auch Informa­
tionen vorenthält, zwingt
uns Koch, unseren eigenen
moralischen Standpunkt
zu überdenken. Macht
man sich zum Kompli­
zen, wenn man Fragen
«aus einem starken Be­
dürfnis nach Unkennt­
nis heraus» erst gar
nicht stellt? Bis wohin
gilt es, das eigene Kind
zu schützen, und wo
wird der Schutz zum Ver­
rat – am Kind, an der Ge­
sellschaft, an sich selbst?
Was tut man aus Eigennutz,
was dem Kind zuliebe und
was aus Prinzip? l
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Porträt
Der tschechische Dramatiker Pavel Kohout schildert in
seinen Memoiren, wie er vom Kommunisten zum
Wortführer des Prager Frühlings und dann zum kritischen
EU­Bürger wurde. Urs Rauber hat ihn in Prag getroffen
Der Dissident
Am Smetana­Quai 2 in Prag, gegenüber dem
Nationaltheater, liegt das Café Slavia. Seit 150
Jahren gehen hier Schauspieler, Musiker und
Literaten ein und aus, finden im Art­déco­Am­
biente Inspiration und eine gute Bistroküche.
«Zum ersten Mal kam ich mit 9 Jahren hierher,
als ich mit meinem Vater das Begräbnis von
Präsident Masaryk erlebte», erzählt Pavel Ko­
hout. Jahrzehnte später sei im Lokal sein Roman
«Die Henkerin» entstanden. Seine dritte Frau
Jelena studierte im Obergeschoss des gleichen
Gebäudes an der Filmhochschule. «Beim War­
ten auf sie habe ich hier geschrieben.»
Der tschechische Autor Pavel Kohout, ein
Mann mit wachen, blau­grauen Augen und
schlohweissem Haar, formuliert druckreif – auf
Deutsch. Die Sprache, die er als Schüler gelernt
und nach der Besetzung seines Landes durch
Hitler 1938 verdrängt hatte, eignete er sich im
Exil in Österreich ab 1979 erneut an: mit dem
Wörterbuch und eiserner Disziplin. Seine
gegen 30 Theaterstücke und über ein Dutzend
Romane schrieb Kohout auf Tschechisch, seine
Essays und Filmdrehbücher auf Deutsch.
Der Schriftsteller kommt gerade von seinem
Sommerhaus in Sázava, 50 Kilometer östlich
von Prag – «ein Bauhaus, so alt wie ich, aus
Pavel Kohout
Pavel Kohout, 1928 in
Prag geboren, wurde international bekannt als
Schriftsteller und Dramatiker. Als einer der Wortführer des Prager
Frühlings von 1968 wurde
er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und über 20
Jahre totgeschwiegen. Er
war Mitverfasser der
Charta 77 und wurde
1979 ausgebürgert. Nach
der samtenen Revolution 1989 kehrte er in sein
Land zurück. Zu seinen bekanntesten Werken
gehören: «August August, August» (1967),
«Aus dem Tagebuch eines Konterrevolutionärs»
(1969), «Die Henkerin» (1978), «Wo der Hund
begraben liegt» (1987) und «Die Schlinge»
(2008). Seine Autobiografie «Mein tolles Leben
mit Hitler, Stalin und Havel» ist soeben auf
Deutsch erschienen (Osburg, 564 S., Fr. 39.90).
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
Beton und Glas. Dort verbringe ich jeden Som­
mer». Nach dem Interview mit dem Journalis­
ten aus Zürich steht heute Nachmittag ein Be­
such bei seinem Prager Verleger auf dem Pro­
gramm. Dann ein Nachtessen mit dem Regis­
seur seiner Filme. Und morgen fährt Kohout
nach Wien. Er lebe im Auto und im Zug.
Was hält einen 82­Jährigen, der morgens um
acht seinen Tag beginnt und kaum vor Mitter­
nacht zu Bett kommt, derart auf Trab? «Ich
warte immer noch auf Alterserscheinungen»,
Über 20 Jahre lang war der
«Gedankenverbrecher» der
Liebling der Polizei. Seine
Staatssicherheitsakte, die er
nach der Wende einsah,
umfasst gegen 10 000 Seiten.
entgegnet Kohout, wie aus der Pistole geschos­
sen, «leider sind sie noch nicht eingetreten.»
So pendelt er zwischen seiner Absteige in
Wien, seiner Wohnung in Prag und seiner klei­
nen «Taschenvilla» in Sázava. Und reist zu Le­
sungen in viele Städte der Welt.
Pavel Kohout und seine Frau Jelena besitzen
die doppelte Staatsbürgerschaft: «Wir wählen
in Tschechien und Österreich, zahlen aber nur
Steuern in Österreich. In Wien steht man nicht
dauernd mit einem Bein im Gefängnis.» In
Tschechien sei das Steuersystem noch jung und
chaotisch, und Probleme mit den Behörden
wolle er keine mehr. Früher war er, der «Gedan­
kenverbrecher», über 20 Jahre lang der Liebling
der Polizei. Seine Staatssicherheitsakte, die er
nach der Wende einsehen konnte, umfasst
gegen 10 000 Seiten. In seinen Erinnerungen
nennt er die Stasi das «Ministerium für Liebe».
Sarkastischer Humor und Schwejksche Schlag­
fertigkeit zeichnen Pavel Kohout aus.
Braun und schwer fliesst draussen die Mol­
dau. Und träge quält sich der Autoverkehr an
diesem verhangenen Vormittag unter den Fens­
tern vorbei. Das «Slavia» ist erst zur Hälfte be­
setzt. Vor uns auf dem Tisch liegen die beiden
tschechischen Originalbände von Kohouts Bio­
grafie. «War das mein Leben?» heisst der tsche­
chische Titel. War es das, Ihr Leben? Pavel Ko­
hout lacht kurz. Das frage er sich auch. Ab und
zu komme es ihm unwahrscheinlich vor. Doch
sein Leben sei überprüfbar. «Dank ihrer älteren
Meistgespielter
Bühnenautor,
Wortführer des Prager
Frühlings, Exponent
der Charta 77, Gründer
des Theaterfestivals
deutscher Sprache:
Pavel Kohout (82) im
Café Slavia in Prag
(September 2010).
SVEN DÖRING /AGENTUR FOCUS
Werke haben Schriftsteller das Pech, dass man
ihre Entwicklung vom Idioten bis zur eventuell
reiferen Person verfolgen kann.» Auch die Ge­
heimdienst­Akten geben sein Leben wieder –
«in den Kommentaren ziemlich blöd, aber in
den Tatsachen korrekt».
Der disziplinierte Geistesarbeiter Kohout
führt seit 1954 ein Tagebuch, das mir später am
Tag seine Frau Jelena in der Wohnung zeigen
wird, die nur 300 Schritte vom Café Slavia ent­
fernt liegt. Es sind über 50 gebundene A5­Hefte.
Mit einem Kurzeintrag für jeden Tag des Jahres:
Datum, Ort, zwei, drei Sätze zu Personen, Er­
eignissen und Erlebnissen. Die Schrift gut les­
bar, akkurat geführt. «Früher hatte er einen
Vorrat an leeren Tagebüchern, jetzt hat er nur
noch zwei», erzählt Jelena, die an ihrer Zigaret­
te zieht, «dann – glaubt er – wird er sterben.»
Meistgespielter Autor
Kohouts Autobiografie mit dem deutschen
Titel «Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und
Havel» führt den Leser in mäandernder Form
zu den wichtigsten Stationen seiner Vita, über­
raschungsreich, durchzogen von Selbstironie.
Seine künstlerische und politische Entwicklung
spiegelt sich im literarischen Werk. Der Text ist
ebenso von philosophischer Weitsicht, wie er
bedeutende Auseinandersetzungen der europäi­
schen Intellektuellen der sechziger bis neunzi­
ger Jahre wiedergibt. Während Kohout spricht,
funkelt an seinem linken Ringfinger ein kleiner
Amethyst, ein Erbstück seines Vaters.
Der 1928 in Prag geborene Autor hat viele
Rollen gespielt. War idealistischer Kommunist
in den fünfziger Jahren. Meistgespielter tsche­
chischer Dramatiker – «das bin ich bis heute,
der einzige Konkurrent ist Václav Havel, aber
der war dazu noch Staatspräsident». Dann
Wortführer des Prager Frühlings ab 1967. Eine
Dekade später Exponent der Charta 77 zusam­
men mit Václav Havel, Jirí Hájek, Ludvík Va­
culík und anderen. In den Achtzigern unbeque­
mer tschechischer Autor im Exil. Und nach
seiner Heimkehr Gründer des Prager Theater­
festivals deutscher Sprache im Jahr 1996.
Welche dieser Rollen mag er besonders?
Welche hätte er lieber getilgt aus der Biografie?
«Alles hat natürlich einen logischen Zusam­
menhang», erläutert Kohout und erzählt aus
seinem Leben im Alter zwischen 10 und 40 Jah­
ren. Wenn man Schriftsteller sei, sei man immer
links: «Man steht auf der Seite der Geächteten,
der Schwachen und wird nicht zum Trouba­
dour der Reichen.» Dabei sei es aber zu diesem
«Denkfehler» gekommen, der ideologische
Wurzeln habe: Nach Weltwirtschaftskrise,
Krieg und Niederlage des Nationalsozialismus
habe man dankbar auf etwas Neues gesetzt: den
Kommunismus.
Auch im Westen unbequem
«Erst einige Jahre später haben wir begriffen:
Das war der Weg vom Teufel zum Beelzebub.»
Doch vorerst kam es zum Prager Frühling 1968.
In der Kommunistischen Partei hätten sich
Hunderttausende von Menschen versammelt,
die es gut meinten. Sie gewannen in der kor­
rumpierten Partei für kurze Zeit die Oberhand.
«Das war – wenn Sie mich fragen – die ent­
scheidende Zeit. Die Phase, in der ich den Feh­
ler langsam, aber sicher abzustreifen und zu
verstehen begann.» Seither habe er nie mehr
etwas Böses verbrochen.
Nach dem Ausschluss aus der KP ging er den
Weg des Dissenses, des Widerstandes. So weit
bis er auch im Exil einsam dastand, mit ein paar
Kollegen, als sich die linke Szene Westeuropas
(Claus Peymann, Peter O. Chotjewitz, Fritz
Raddatz u. a.) von ihnen abwandte, weil sich die
tschechischen Dissidenten gegen die Verharm­
losung des realen Sozialismus wehrten. «Wir
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
störten ihre Träume», redet Kohout sich ins
Feuer, «sie waren so blöd wie wir Jahre zuvor
und hatten nicht den Mut, sich davon zu über­
zeugen, was hier lief.»
Zum Eklat kam es an den deutsch­deutschen
Friedensgesprächen in Berlin im März 1986, als
Pavel Kohout auftrat und die Blindheit westli­
cher Kollegen vor den totalitären Tendenzen
des Sozialismus geisselte. «Die Primadonna
Susan Sontag verliess bereits nach den ersten
Sätzen den Saal», schreibt er in seinen Memoi­
ren. Sie und viele westliche Kollegen hätten ve­
hement die aggressive Politik Washingtons ge­
genüber dem friedliebenden Moskau verurteilt,
aber sich geweigert, für den verhafteten Václav
Havel ein gutes Wort einzulegen.
In der Folge wurden Kohouts Stücke auch im
Westen boykottiert. In Österreich drohte der
Gewerkschaftsbund mit der Kündigung seiner
200 Abos, wenn das Wiener Volkstheater nicht
seine Dramen absetze. «Wir waren zum zwei­
ten Mal Ausgestossene – nach dem Sozialismus
nun in der freien Gesellschaft.» Versteht sich
Pavel Kohout heute noch als Linker? Sicher, er
habe die Trennlinie von links nach rechts nie
überschritten, entgegnet er leidenschaftlich. Er
habe immer die Sozialdemokratie gewählt: «Bis
auf die letzten Wahlen im Mai 2010 – da habe
ich, weil die Partei eine so katastrophale Politik
gemacht hat, eine andere linke Kraft gewählt.»
Archiv in die Schweiz gerettet
Inzwischen hat die Sonne ein Loch in die Ne­
beldecke gerissen. Der Blick geht vom «Slavia»
über die Moldau hinweg zur Prager Burg hin­
auf. Gut sichtbar ist in der Ferne das imposante
Eckhaus am Hradschin­Platz 1. Dort, wo früher
die Schweizer Botschaft ihren Sitz hatte, lebte
in den sechziger und siebziger Jahren auch
Pavel Kohout.
«Ich habe vier Schweizer Botschafter erlebt:
Der letzte war Walter Jäggi. Wenn er jeweils von
unserem Aussenminister gerügt wurde, dass er
sich mit Havel, Kohout oder anderen treffe, hat er
diesem erklärt: Wissen Sie, Herr Minister, wäh­
rend meiner Arbeitszeit bin ich Schweizer Bot­
schafter, in der Freizeit aber freier Schweizer
Bürger, der treffen kann, wen er will .» Bei Nacht
und Nebel trugen Jäggi und Kohout im Jahr 1977,
kurz bevor der dissidente Autor aus seiner Woh­
nung geworfen wurde, sein Archiv in den Bot­
schaftskeller. Von dort transportierte Jäggi das
Material in die Schweiz, um es vollständig zu ret­
ten. «Walter war ein grossartiger Mann. Als ich
von der Stasi bewacht wurde, hat er uns einmal in
Sázava mit seinem grossen Wagen mit Schweizer
Standarte besucht und drei Tage bei uns ge­
wohnt. Unsere Bewacher waren sternsverrückt,
weil sie nicht wussten, was tun, wenn sich der
Schweizer Botschafter in ein belagertes Haus
einquartierte.» Noch heute freut er sich diebisch
über das Schnippchen, das sie der Staatsmacht
geschlagen hatten.
Im Gespräch wie aus der umfangreichen Au­
tobiografie wird klar, wie stark dieser tschechi­
sche Autor mit der Schweiz verbunden ist. Als
im August 1968 russische Panzer den Prager
Frühling niederwalzten, waren Pavel und Jelena
gerade auf Urlaub in Italien. Günter Grass lud
die beiden sofort zur Lagebesprechung in sein
«Der Prager Frühling 1968
war die entscheidende Zeit.
Die Phase, in der ich den
Fehler langsam, aber sicher
abzustreifen und zu
verstehen begann.»
14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
OLDRICH SKACHA
Porträt
Die Stasi schrieb vom «süssen Leben» der Dissidenten: Jelena und Pavel Kohouts Neujahrskarte für 1977.
Haus in Gordevio im Tessin ein. Dort waren
auch Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die
ihnen zum Asyl in der Schweiz verhelfen woll­
ten. Doch das tschechische Künstlerpaar dräng­
te zurück in die Heimat. All seine Prosarechte
jedoch übergab Pavel Kohout dem Luzerner
Verlag C. J. Bucher. So wurde Luzern, wo er
heute noch manche Freunde besitzt, für ihn zur
«Hauptstadt der verbotenen Literatur». Und in
Zürich lebt bis heute Kohouts ältere Tochter
Katerina, eine erfolgreiche Managerin.
Zum «tollen Leben» des Pavel Kohout gehört
auch die Freundschaft mit Václav Havel. Als
dieser nach der samtenen Revolution im De­
zember 1989 zum Staatspräsidenten gewählt
wurde, bot er Kohout den Posten des Kulturmi­
nisters an. Doch Kohout winkte ab mit der Be­
gründung: «Willst du wirklich, Václav, dass
man in zwei Monaten unter deinem Balkon auf
der Burg meine alten Verse aus den fünfziger
Jahren rezitiert?» Nein, sagt mein Gegenüber
im Café Slavia und schüttelt den Kopf. Eine
staatliche Rolle habe er nicht mehr ausüben
wollen: «Das war meine bürgerliche Reue für
den Denkfehler aus den fünfziger Jahren.»
Die Beziehung zwischen den beiden Litera­
ten kühlte sich etwas ab, als Havel Präsident
wurde. Die Macht, auch wenn sie eine kleine
ist, entfremdet die Menschen. Havel, von dem
alle immer etwas wollten, fand Ruhe eigentlich
nur noch bei seinen Bodyguards, mit denen er
sich unbefangen über Fussball unterhalten
konnte. «Ich bekam den Präsidenten, den ich
schätze», resümiert Kohout, «und verlor den
Menschen, den ich liebte.» Doch der gegensei­
tige Respekt sei geblieben.
Heute regiert eine bürgerlich­liberale Koali­
tion das Land, an der Spitze steht Staatspräsi­
dent Václav Klaus. Ihm ist Kohout in herzlicher
Abneigung verbunden: «Er mag mich nicht, ich
ihn nicht, aber wir benehmen uns höflich zuei­
nander.» Klaus’ skeptische Stimme innerhalb
der EU hingegen findet er richtig. Befreundet
ist Kohout mit Aussenminister Karel Schwar­
zenberg, dieser sonderbaren «Mischung aus
Herzlichkeit, Intelligenz und Verrücktheit». Er
sei gerne bereit, sagt er, diese bürgerlich­libera­
le Koalition vier Jahre loyal zu unterstützen. Sie
arbeite einstweilen sehr gut und versuche, die
schlimmsten Exzesse wie Korruption und
Schuldenanhäufung zu korrigieren.
«Ich liebe die Demokratie», schwärmt Ko­
hout, «sie ist voller Nachteile: Sie ist ungerecht,
sie ist langsam, sie ist blind – aber sie ermög­
licht uns, bei den Wahlen alle vier Jahre das po­
litische Leben auf den Kopf zu stellen!» Eben
seien von 200 Abgeordneten 120 neu ins Parla­
ment gewählt worden. «Es war eine Revolution
– ich bin absolut zufrieden.»
Der Lärmpegel ist inzwischen angeschwol­
len. Das Café Slavia hat sich gefüllt. Nun er­
scheint auch Kohouts Frau Jelena zum Essen
mit dem jungen Dackel Barbar. Dieser be­
schnuppert freudig den Gast. Kohout bestellt
drei Wiener Würstel, eines davon verzehrt
seine Frau, die sich im Übrigen mit einem Glas
Merlot und einem Becherovka, dem kleinen
Kräuterschnaps, begnügt. Der Hund erhält von
der Bedienung ein Becken Wasser hingestellt.
Dramatischer Abgang
Als ich am frühen Nachmittag mit dem Ehepaar
Kohout das Café Slavia verlasse, erleben wir
einen kurzen Schreckensmoment. Wir über­
queren die Narodni­Strasse; Jelena geht mit Da­
ckel Barbar ein paar Schritte voraus – als Pavel
Kohout neben mir plötzlich der Länge nach auf
das Kopfsteinpflaster schlägt, gestolpert über
eine kaum sichtbare Schwelle. Die Aktentasche
springt auf, der Schlüsselbund aus der Hose.
Nach zwei, drei Sekunden rappelt sich der Ge­
fallene auf, sucht seine Sachen zusammen – und
streckt mir wortlos die linke Hand entgegen.
Der Ringfinger oberhalb des Amethysts scheint
abgeknickt: käsig­weiss zeigt das obere Finger­
glied in die verkehrte Richtung. Verwundert
kramt der 82­Jährige sein Handy hervor, tippt
die Nummer seines Arztes ein und organisiert
sich Hilfe. «Lassen Sie ihn», sagt Jelena, die ein
paar Meter entfernt steht und sich die anatomi­
sche Abnormität nicht ansehen mag, «er macht
das schon.» Wir rufen ein Taxi – und nach we­
niger als zehn Minuten ist der Patient unter­
wegs zur Notfallstation.
So wird der geplante anschliessende Besuch
in der Wohnung des Schriftstellers zum Zwiege­
spräch mit seiner Ehefrau, die charmant Kaffee
und Kekse aufträgt. Alle 20 Minuten unterbro­
chen von einem Handyanruf über den weiteren
Fortgang in der Notfallabteilung eines Prager
Spitals. Bis nach knapp drei Stunden der Banda­
gierte wieder auftaucht. Guten Mutes, doch mit
dem starken Wunsch, nun einen Wodka zu trin­
ken. Der Finger sei nicht ganz gebrochen, stellte
man fest. Den väterlichen Ring von 1914 jedoch
musste man aufschneiden. «Wissen Sie», sagt
Kohout zum Besucher aus der Schweiz, «Sie
haben es mit einem Dramatiker zu tun.» l
Kolumne
Charles Lewinskys Zitatenlese
GAËTAN BALLY / KEYSTONE
Kinder müssen mit
Erwachsenen sehr viel
Nachsicht haben.
Charles Lewinsky,
64, ist Schriftsteller,
Radio- und TV-Autor
und lebt in Frankreich.
Seine Adventsparodie
«Der Teufel in der
Weihnachtsnacht» ist
bei Nagel & Kimche
neu aufgelegt worden.
Kurzkritiken Sachbuch
Helmut Birkhan: Magie im Mittelalter.
C. H. Beck, München 2010.
206 Seiten, Fr. 20.50.
Mathias Morgenthaler: Beruf und
Berufung. Interviews. Zytglogge,
Oberhofen 2010. 350 Seiten, Fr. 36.–.
Im modernen Kulturkontext ist Magie
und Aberglaube alles, was im Wider­
spruch zur christlichen Lehre, zum Er­
kenntnisstand der Naturwissenschaften
und zur menschlichen Vernunft steht.
Im Mittelalter war das nicht so einfach.
Der Glaube an Hexen und Zauberer be­
herrschte das gesamte damalige Welt­
bild. Helmut Birkhan, Spezialist für
Sprach­ und Religionswissenschaften in
Wien, stellt die Denkmuster zusammen,
die den mittelalterlichen Menschen
dazu bewegten, sein eigenes Leben und
das seiner Mitmenschen zu beeinflus­
sen. Birkhans Beispiele beschränken
sich nicht auf das Mittelalter, er ent­
nimmt sie auch unserem Alltag. Und das
macht das Büchlein so spannend, denn
noch immer sind Aberglaube und Magie
allgegenwärtig. Wer hat nicht schon in
Rom eine Münze in die Fontana di Trevi
geworfen oder jemandem für eine Prü­
fung die Daumen gedrückt?
Geneviève Lüscher
Menschen erzählen, was sie in ihrem
Beruf tun und warum ihnen gefällt, was
sie tun – ein scheinbar ganz anspruchs­
loses Projekt. Und doch führen diese
Interviews von verschiedensten Seiten
immer wieder ins Zentrum jener ge­
heimnisvollen Passung eines bestimm­
ten Menschen mit einem Interesse oder
einer Tätigkeit, die wir dann Berufung
nennen. Unternehmer, Künstler, Thera­
peuten, der Scherenschneider oder die
Zen­Lehrerin – Mathias Morgenthaler hat
12 Jahre lang jede Woche ein Interview
für den Stellenanzeiger des «Bund» ge­
führt. Rund 70 dieser Gespräche sind
nun als Buch erschienen. Mal erfahren
wir Sachliches, mal Persönliches, fast
immer sind es Erkenntnisse, die langer
Erfahrung entspringen. Etwa wenn Peter
Bichsel erklärt, dass uns nicht unsere
Fähigkeiten, sondern unsere Unfähig­
keiten den Weg weisen und er nur
schreibe, weil er es nicht könne.
Kathrin Meier-Rust
Volker Reinhardt: Kleine Geschichte der
Schweiz. C. H. Beck, München 2010.
176 Seiten, Fr. 25.90.
Sybille Oetliker: Standhaft – rechtlos.
Frauen im besetzten Palästina. eFeF-Verlag,
Wettingen 2010. 221 Seiten, Fr. 29.–.
Zeitgleich mit der neuen Schweizer Ge­
schichte von Thomas Maissen ist Volker
Reinhardts Band zum gleichen Thema,
der bereits 2006 erschienen ist, in einer
erweiterten und aktualisierten Fassung
neu aufgelegt worden. Reinhardt ist Pro­
fessor für Schweizer Geschichte an der
Universität Freiburg. Knapp und kennt­
nisreich portioniert er seinen Überblick
in 14 Kapitel, die den aktuellen For­
schungsstand wiedergeben: vom pro­
duktiven Mythos «Apfelschuss und Ty­
rannenmord» bis zum – etwas kurz gera­
tenen – Schlusskapitel «Allein in Euro­
pa?». Das handliche Büchlein enthält
eine Zeittafel, Karten und Abbildungen.
Es kommt dem neu erwachten Interesse
an einer nationalen Geschichte jenseits
nationalstaatlicher Überhöhungen und
Beschränkungen entgegen. Stellenweise
wünschte man sich etwas mehr «Erzäh­
lung» als nur trockene Darlegung.
Urs Rauber
Im Buch berichten 14 Frauen aus ihrem
Leben im Westjordanland, in Gaza, wie
es ist, daran gehindert zu werden, alltäg­
liche Dinge machen zu können: nach
Jerusalem oder ans Meer zu reisen, Fe­
rien zu machen, spazieren zu gehen. Die
Geschichten der Frauen, die die Journa­
listin Sybille Oetliker als Korresponden­
tin in Jerusalem getroffen hat, erzählen
von Hoffnung, Widerstandswillen, Resi­
gnation. Was den Frauen bleibt, sind
ihre Träume. «Ich möchte nur einen Tag
deinen Pass haben und mich als freier
Mensch fühlen», sagt die 39­jährige
Abla Khatib, die seit ihrer Geburt im
Flüchtlingslager von Jenin wohnt. Es ist
jene Frau, die ihren 12­jährigen Sohn
durch einen israelischen Angriff verlo­
ren hat. Seine Organe leben weiter in
vier israelischen Kindern – mit Zustim­
mung der Eltern. Ein Lichtblick im end­
losen Konflikt Israel–Palästina.
Gabriela Weiss Di Spirito
Antoine de Saint-Exupéry
Nein, Sie müssen nicht gleich losren­
nen. Lesen Sie die Seite ruhig zu Ende.
Sie haben noch Zeit. Auch wenn Ihr
Lieblingsenkel bald Geburtstag hat und
Sie jetzt endlich wissen, was Sie ihm
schenken wollen. Weil der Kleine doch
so gern liest.
Aber das Buch erscheint erst in zwei
Wochen. Sie brauchen keine Angst
haben, dass es gleich ausverkauft sein
könnte. Die Startauflage beträgt eine
halbe Million. Macht bei einem Buch­
preis von 17 $ 99 … grummel, grummel,
murmel, murmel, schreibe neun, behal­
te eins … eine ganze Menge Knete.
Nicht genug, um das US­Haushaltsdefi­
zit zu sanieren, aber immerhin.
Dabei könnte der Autor einen klei­
nen Zustupf zum Defizit gut gebrau­
chen. Er heisst nämlich Obama.
Ja, der amerikanische Präsident hat
wieder mal ein Buch verfasst. Diesmal
keine wahlkampftaugliche Autobiogra­
fie, sondern ein Kinderbuch.
«Of Thee I Sing» heisst es, und er
hat es für seine Töchter geschrieben.
Die haben sich zwar einen neuen iPod
gewünscht, aber man kann nicht alles
haben.
Bei selbstgebastelten Geschenken
empfiehlt es sich, Begeisterung zu heu­
cheln. Das gilt für glismete Socken,
Clownmasken aus Salzteig und ganz
besonders für Bücher. Schliesslich hat
sich da jemand tagelang hingesetzt und
beim Denken eine ganze Schachtel
Bleistifte zerkaut. Oder als moderner
Mensch die Tastatur seines Computers.
Das Verfassen von Kinderbüchern ist
im Moment angesagt. Kinder sind ja
fast so populär wie Pandabären.
Madonna hat ein Kinderbuch ge­
schrieben. John Travolta ebenfalls. Und
Nena sowieso. Ich werde mir Obamas
Beitrag zu dieser Serie ersparen. Ich
bin ja kein Kind mehr.
Dafür habe ich in einer schlaflosen
Nacht darüber nachgedacht, welche
Titel wir wohl zu erwarten haben,
wenn auch die Schweizer Promis auf
den Trend aufspringen.
Die Redaktion von «Bücher am
Sonntag» hat mir ihr Trendoskop ge­
liehen, und so kann ich Ihnen heute
schon ganz exklusiv die drei Toptitel
aus der eidgenössischen Kinder­Best­
sellerliste von übermorgen nennen:
Hans­Rudolf Merz: «Mein Freund
Ghadhafi: neue Märchen aus tausend­
undeiner Nacht».
Roger Federer: «Wie man Zwillinge
bekommt: Das Geheimnis des zweiten
Aufschlags».
Und natürlich Christoph Blocher:
«Mein erster Anker und anderes See­
mannsgarn».
Drei Bücher, die
unter keinem Weih­
nachtsbaum fehlen
dürfen.
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Russische Literatur Der Briefwechsel zwischen Lew Tolstoi und seiner Frau Sofja gibt
Einblick in das schwierige Eheleben und zeigt die Radikalisierung des adligen Schriftstellers
Schlachtenmaler und
Ehekrieger
Lew Tolstoj, Sofja Tolstaja: Eine Ehe in
Briefen. Herausgegeben und aus dem
Russischen übersetzt von Ursula Keller
und Natalja Sharandak. Insel, Berlin
2010. 494 Seiten, Fr. 34.90.
Lew Tolstoi: Krieg und Frieden. Aus dem
Russischen übersetzt und kommentiert
von Barbara Conrad. Hanser, München
2010. 2288 Seiten, Fr. 81.90.
Ulrich Schmid: Lew Tolstoi. C. H. Beck,
München 2010. 125 Seiten, Fr. 14.50.
Von Andreas Tobler
Sein Brustkorb hob und senkte sich.
Sein Herz schlug und schlug – und dann
nicht mehr: Lew Tolstoi war tot.
Der Tod des 82­Jährigen, der mit
«Krieg und Frieden» und dem Roman
«Anna Karenina» Weltruhm erlangt
hatte, war ein Medienereignis – nicht
zuletzt wegen der dramatischen Vor­
fälle in seinen letzten Lebenstagen:
«Tolstoi seit 10. Oktober verschwun­
den», meldete die «New York Times»
am 12. November 1910 und lieferte von
nun an täglich neue Meldungen. «Tols­
toi wurde gefunden. Seine Frau beging
Selbstmordversuch.» – «Tolstoi schwer
krank. Weiterreise unmöglich.» – «Tols­
toi geht es besser. Seine Frau ist bei
ihm.» – «Tolstoi im Delirium.» Drei
Lew Tolstoi
Lew Tolstoi wurde 1828 in eines der
ältesten Adelsgeschlechter Russlands
hineingeboren. Mit «Krieg und Frieden»
(1868), dem Roman «Anna Karenina»
(1878) und seinen Schriften zu lebensphilosophischen Fragen avancierte er
zum berühmtesten Russen seiner Zeit.
Mit seinen Schriften geriet er in Konflikt
mit der zaristischen Obrigkeit, er wurde
aus der orthodoxen Kirche ausgeschlossen. Als er im Oktober 1910 sein Wohnhaus fluchtartig verliess, erkrankte er an
einer Lungenentzündung. Tolstoi starb
am 20. November 1910 im Bahnwärterhäuschen von Astapowo – umlagert von
der ihn verfolgenden Weltpresse.
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
Tage später, am 20. November 1910, war
Tolstoi tot.
Hundert Jahre nach Tolstois Tod kann
man anhand des Briefwechsels zwi­
schen dem Schriftsteller und seiner Gat­
tin das Eheleben der Tolstois Revue pas­
sieren lassen und lesend ergründen,
warum er am Ende seines Lebens flucht­
artig das Landgut seiner Familie ver­
liess, wo er geboren wurde, und seiner
Frau jenen Brief hinterliess, in dem er
ihr nach fast fünfzig Jahren Ehe mitteil­
te, er halte das Leben «in diesen Verhält­
nissen des Luxus» nicht mehr länger aus
und gehe nun fort aus dem weltlichen
Leben, um in Zurückgezogenheit und
Stille seine letzten Tage zu verbringen.
Idealerweise liest man den Brief­
wechsel zusammen mit der Biografie
Sofja Tolstajas («Ein Leben an der Seite
Tolstojs»), die das Herausgeber­ und
Übersetzerinnenduo Ursula Keller und
Natalja Sharandak letztes Jahr veröffent­
lichte. Dann erhält man Einblick in eine
Ehe, in der die 16 Jahre jüngere Sofja An­
drejewna von seiner sexuellen Erfah­
rung und Begierde überfordert ist und in
der er sich als rabiater Patriarch gebär­
det, der für die Emanzipation nur Ver­
achtung übrig hat: Als Sofja Tolstaja
nach der schweren Geburt des fünften
Kindes nicht mehr schwanger werden
wollte, drohte er mit der Trennung und
nötigt damit seine Frau zu insgesamt
sechzehn Schwangerschaften.
Überzeugter Pazifist
Neben den Kindern – dreizehn kamen
lebend zur Welt, acht erreichten das Er­
wachsenenalter – ist eines der wichtigen
Themen der frühen Briefe das literari­
sche Werk des Mannes, für das Sofja An­
drejewna bereitwillig ihre eigenen lite­
rarischen Ambitionen zurückstellte.
Wiederholt erkundigte sie sich in ihren
Briefen nach «unserem Heiligsten»,
dem monumentalen Epos «Krieg und
Frieden», an dem Tolstoi nur gerade
fünf Jahre lang, von 1863 bis 1868, gear­
beitet haben will. In langen Nächten
schrieb sie das schwer entzifferbare Ma­
nuskript ihres Mannes mehrfach ins
Reine: «Sobald ich mich zum Schreiben
niedersetze, werde ich in eine poetische
Welt getragen, und es scheint mir
manchmal, dass nicht nur Dein Roman
besonders gut ist, sondern dass auch ich
besonders klug bin.» Aus Tolstois Brie­
fen dieser Zeit erfahren wir von seinem
Besuch in Borodino, wohin er 1867 ge­
reist war, um die Szenen der blutigen
Schlacht von 1812 so zu schildern, «wie
es noch nicht dagewesen ist».
Tatsächlich gehört die Darstellung
der Schlacht von Borodino zu den be­
eindruckendsten Szenen, in denen Tols­
toi – seit der Teilnahme am Krimkrieg
ein überzeugter Pazifist – die Schrecken
des Krieges zeigen kann: «Alles», was
Fürst Andrej Bolkonski im Lazarett von
Borodino um sich erblickt, «ver­
schwamm zu einem allgemeinen Ein­
druck von nacktem, blutverschmiertem
menschlichem Körper». Sieben Jahre
zuvor, in der Schlacht von Austerlitz,
hatte sich Bolkonski noch mit der Hoff­
nung in den Krieg gestürzt, dass er
«endlich zum ersten Mal all das zeigen»
kann, was er zu leisten vermag. Doch in
der Schlachtenwelt von «Krieg und
Frieden» gibt es keinen Platz für Hel­
dentum, was Tolstoi auch durch seinen
antiheroischen Stil zum Ausdruck
bringt, den Barbara Conrad in ihrer
Neuübersetzung sehr gut einfängt.
Schon bald liegt Bolkonski scheinbar
tödlich verwundet auf dem Schlachtfeld
von Austerlitz und macht in einem Nah­
toderlebnis seinen religiösen Privatfrie­
den. «Über ihm war nichts mehr ausser
dem Himmel – dem hohen Himmel […]
mit ruhig über ihn hingleitenden grauen
Wolken. Wie still, ruhig und feierlich ist
es doch, überhaupt nicht so, wie es war
als ich lief , dachte Fürst Andrej […]
Wie konnte ich denn früher diesen
hohen Himmel nicht sehen? […] Nichts,
ausser ihm ist da nichts. Aber nicht ein­
mal das ist, nichts ist ausser Stille, Ruhe.
Gott sei Dank! .»
Nichts als Gott und der Himmel über
dem gefallenen Soldaten? Bolkonski be­
findet sich noch immer in der Rücken­
lage, als sich Napoleon über ihn beugt:
«Voilà une belle mort.» Tolstoi setzt in
seinem Schlachten­ und Sittengemälde
alles daran, Napoleon als zynischen
Machtmenschen darzustellen und zu
RUE DES ARCHIVES / TAL / SZ PHOTO
demonstrieren, dass es nicht Feldherren
wie dieser sind, die das Geschick der
Völker und den Verlauf der Geschichte
bestimmen. Dazu greift Tolstoi im Epi­
log zu einem Vergleich mit einer Ham­
melherde, in der eines der Tiere gemäs­
tet wird und bald doppelt so dick ist wie
die anderen. Dass dieser fettgepolsterte
Hammel für Fleisch getötet wird, muss
den anderen Tieren «als verblüffende
Kombination von Genialität mit einer
ganzen Reihe von ungewöhnlichen Zu­
fälligkeiten erscheinen». In der Ge­
schichte gibt es nach Tolstoi also weder
Zufall noch Genies.
Die Jahre, in denen Tolstoi an seinen
grossen Erzählwerken arbeitete, gehör­
ten für Sofja Andrejewna zu den glück­
Die Idylle trügt. Das
Ehepaar Sofja und
Lew Tolstoi hatte sich
mit den Jahren
auseinandergelebt
(undatiertes Bild).
lichsten ihrer Ehe. Nach Abschluss des
Romans «Anna Karenina», der 1878 er­
schien, durchlebte Tolstoi jedoch eine
schwere Krise, nach der er das einfache
Leben zu predigen begann, sich von allem
Besitz freimachte und in seinen religiös­
weltanschaulichen Schriften der Gesell­
schaft, der Kirche, dem Staat, der Kunst
und der Sexualität den Kampf ansagte.
Entfremdung der Eheleute
In seiner kompakten, unbedingt lesens­
werten Tolstoi­Biografie legt Ulrich
Schmid mit überzeugenden Argumenten
dar, dass diese «Wende» nicht als eine
prinzipielle, sondern vielmehr als eine
Radikalisierung bereits früher gefasster
Ansichten zu verstehen ist.
In der Ehe führte Tolstois Radikalisie­
rung zu schwerwiegenden Konflikten.
«Wusstest Du denn früher nicht, dass es
Hunger gibt, Krankheit, Unglück und
schlechte Menschen?», fragt Sofja in
einem ihrer Briefe und versucht ihn zur
Räson zu bringen: «Es gibt auch Freude,
Gesundheit, Glück und gute Menschen.
Gott muss Dir helfen, was kann ich denn
tun?» Zu tun gab es genug: Sofja Andre­
jewna verwaltete fortan das Landgut
und kümmerte sich um die Finanzen, für
die sich ihr Mann nicht mehr interes­
sierte. «Ich kann – sei nicht böse, mein
Herz – diesen Gelddingen absolut keine
Wichtigkeit beimessen.» Eine Entfrem­
dung nahm ihren Lauf, die schliesslich
zu Tolstois Flucht führte. l
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
Sachbuch
Memoiren Der französische Journalist und Filmemacher Claude Lanzmann schreibt über sein Leben,
sein Lieben und über seine Leistung
Er fasste die Shoah in Bilder
Claude Lanzmann: Der patagonische
Hase. Erinnerungen. Rowohlt,
Reinbek 2010. 544 Seiten, Fr. 37.90.
Von Klara Obermüller
Viel hatte nicht gefehlt, und Simone de
Beauvoir wäre schon Anfang der fünfziger Jahre in den Schweizer Alpen ums
Leben gekommen. Von Zermatt aus war
sie zum Theodulpass aufgebrochen, in
Espadrilles, ohne Sonnenschutz und
ohne Proviant, und nur mit Hilfe der italienischen Bergwacht heil wieder heruntergekommen. Der Mann an ihrer
Seite damals: Claude Lanzmann, Journalist und Filmemacher und von 1952 bis
1959 ihr Liebhaber. Genauer: ihr «sechster Mann», wie er selbst in seinen Erinnerungen mit «Stolz und Entsetzen»
vermerkt. Die Szene im Hochgebirge ist
symptomatisch, nicht nur für Simone de
Beauvoir, sondern mehr noch für Claude
Lanzmann, dessen Leben von Leichtsinn, Wagemut und Selbstüberschätzung geprägt war, aber auch von der
Angst, zu versagen und andere damit in
Gefahr zu bringen.
In einer höchst unkonventionellen und
gänzlich areligiösen jüdischen Familie
aufgewachsen, schloss Lanzmann sich
früh der Résistance an, studierte nach
dem Krieg Philosophie in Tübingen,
war Lektor an der Freien Universität in
Berlin, schrieb als Journalist für «France
Soir» und «Elle», leitete Sartres Revue
«Les Temps Modernes», engagierte sich
für die Unabhängigkeit Algeriens und
wandte sich schliesslich dem Film zu.
Mit «Shoah», seinem dokumentarischen Monumentalwerk über die Vernichtung der Juden in Europa, ist er in
die Zeit- und in die Filmgeschichte eingegangen.
Heute ist Claude Lanzmann 85 Jahre
alt, hält Rückschau und schmiedet
gleichzeitig Pläne. Denn trotz seines
hohen Alters ist er «von der Welt weder
übersättigt noch ermattet, und hundert
Leben würden mich nicht müde machen», wie er in seinen soeben auf
Deutsch erschienenen Memoiren auftrumpfend schreibt. Oder besser: sagt.
Denn die Erinnerungen sind nicht geschrieben, sondern diktiert. Und das
merkt man. Lanzmann erzählt weitschweifig, bisweilen geschwätzig. Er
verliert sich im Anekdotischen und
weicht immer wieder von der Chronologie ab, was die Lektüre nicht eben einfach macht.
Wirklich schlimm ist das allerdings
nicht. Denn Claude Lanzmanns Erinnerungen kreisen ohnehin stets um das
Eine, und das ist er selbst: sein Leben,
sein Lieben, seine Leistung. Was immer
er anpackte im Verlauf der Jahre, er war
immer der Erste, der Beste, der Grösste,
18 � NZZ am Sonntag � 31. Oktober 2010
HADJ / SIPA
Ireisen um sich selbst
der Einzige. Schade eigentlich. Denn
dieser Mann hat durchaus einiges vorzuweisen, worauf er stolz sein darf.
Nicht zuletzt seinen über neunstündigen Dokumentarfilm «Shoah», in dem
es ihm gelungen war, allein durch Gespräche das Grauen des Holocaust bis
hart an die Grenze zwischen Leben und
Tod nachvollziehbar zu machen. Die
Passagen über das jahrelange Ringen
mit diesem Stoff gehören denn auch zu
den interessantesten des ganzen umfangreichen Buches, und die Leistung
des Films ist durch keine Eitelkeiten, Beschönigungen und Selbststilisierungen
zu schmälern.
Zentrales Thema des dokumentarischen Werks, so betont Lanzmann, sei
der Tod und nicht wie in anderen Holocaust-Filmen das Überleben gewesen,
und die ganz grosse Schwierigkeit habe
folglich darin bestanden, die nicht existierenden Bilder aus den Gaskammern
durch Zeugenaussagen zu ersetzen. Nur
so konnte er dem Unmöglichen, das er
anstrebte, nahekommen: Tote über Tote
reden zu lassen. Den Beginn der Dreharbeiten beschreibt er mit den Worten:
«Ich fühlte mich am Fusse einer schreckenerregenden, unerforschten Nordwand, deren Gipfel unsichtbar, von undurchdringlichen Wolken verhüllt war.»
Und es war ihm bewusst, dass ihn diesmal keine Bergwacht vor dem möglichen Absturz bewahren würde.
Bei der Lektüre von Lanzmanns Lebenserinnerungn wird deutlich, dass der
«Shoah»-Regisseur
Claude Lanzmann
(links) mit dem Autor
des gleichnamigen
Buches Marek
Halter (ganz rechts)
in Auschwitz am
27. Januar 2005.
Tod – «die letzten Minuten der Verurteilten», wie er einmal gesteht – die eigentliche Obsession dieses so vitalen,
lebenshungrigen und geltungssüchtigen
Mannes war. Ihr setzte er die reine Gegenwart unreflektierter Lebendigkeit
entgegen, die er in jenem Hasen verkörpert sah, der ihm auf einer Fahrt durch
Patagonien unversehens vors Auto gelaufen war. So viel zu dem etwas kryptischen Titel des Buches, der sich im Verlauf der Lektüre in seiner existenziellen
Bedeutung erschliesst.
Jsrael blieb ihm fremd
Leider besteht das Buch aber nicht nur
aus tiefschürfenden Passagen, sondern
wartet vielmehr mit einer Fülle von Nebensächlichkeiten und einigen Peinlichkeiten auf. Spannend sind Lanzmanns
Reiseeindrücke aus Nordkorea und
China, berührend die Geschichten seiner aus allen Teilen Osteuropas nach
Frankreich eingewanderten Familie und
ganz besonders lesenswert natürlich die
Erinnerungen an seine Freundschaft mit
Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir oder auch die Reflexionen über sein
zwiespältiges Verhältnis zu dem stets
als brüderlich und zugleich fremd empfundenen Israel. Auf diese relevanten
Erfahrungen hätte der Autor sich beschränken sollen. Die langfädigen Schilderungen akademischer Querelen, fliegerischer Heldentaten und jugendlicher
Bordellbesuche hätte man ihm dafür
gerne geschenkt. �
Kolonialgeschichte Wie der jüdische Arzt Emin Pascha
aus Schlesien zum britischen Gouverneur im Süden des
Sudan wurde
Patricia Clough: Emin Pascha, Herr von
Äquatoria. Ein exzentrischer deutscher
Arzt und der Wettlauf um Afrika. DVA,
München 2010. 336 Seiten, Fr. 38.90.
Von Christoph Plate
Es gab eine Zeit, so um 1890, da kannte
in Mitteleuropa fast jedes Kind diesen
exotischen Namen: Emin Pascha. Damals war der als Eduard Schnitzer geborene Arzt, Naturkundler, Arabist und
Menschenfreund in Ostafrika verschollen. Jahrelang wurde nach dem Mann
gesucht, der als Jude zum Christentum
konvertierte und später wahrscheinlich
Muslim wurde. Zwar wusste man, wo
sich der Gouverneur der Provinz Äquatoria aufhielt. Aber man konnte weder
aus Khartum noch aus Kampala zu ihm
gelangen.
Henry Morton Stanley, der schon den
Missionar David Livingstone mit den
Worten «Dr. Livingstone, I presume»
entdeckt hatte, suchte auf einer langen
Expedition durch die Urwälder des
Kongo nach dem wundersamen Pascha.
Nachdem er den Kontinent von West
nach Ost mit Trägern aus Sansibar
durchquert hatte, fand er ihn am Albertsee, dort, wo heute Uganda und KongoKinshasa aneinandergrenzen.
Dieser 1840 geborene Schlesier war
von innerer Unruhe getrieben: Er praktizierte als Arzt auf dem Balkan und trat
in die Dienste des osmanischen Reiches.
Auf Umwegen, die zu jenen Zeiten Jahre
dauern konnten, kam er nach Lado und
Wadelai. Diese Aussenposten der Briten
gehörten damals zum Süden des Sudan,
heute ist die Gegend Staatsgebiet von
Uganda. Der arabische Herrscher im
1600 Kilometer nördlich gelegenen
Khartum machte den merkwürdigen
Deutschen, der Türkisch und Arabisch
sprach, zum Gouverneur der Provinz
Äquatoria. Der Statthalter legte Vorräte
an Elfenbein an, er organisierte die Nutzung der reichen Böden Äquatorias.
Und er wartete manchmal Jahre auf ein
Schiff aus Khartum, das ihm naturkundliche Fachzeitschriften, Post, Munition
und Rotwein bringen würde.
Die britische Autorin Patricia Clough,
die lange als Deutschland-Korrespondentin der «Times» und des «Independent» gearbeitet hat, erzählt die Geschichte, die seit «Generationen auf den
Dachböden der Vergangenheit» geschlummert habe. In der Tat ist dieser
Pascha der faszinierendste und rätselhafteste unter den Entdeckern Afrikas.
Eben weil sein Leben nicht gradlinig
verlief, weil es Brüche in der Biografie
gab, bis hin zu seiner Ermordung im
Alter von 52 Jahren im Kongo. Pascha
war kein brutaler Eroberer wie der
Deutsche Carl Peters und kein Raffzahn
wie Henry Morton Stanley. Er wurde
nach den Jahrzehnten, in denen er nicht
ein einziges Mal in Europa war, irgendwann ein Teil des exotischen Ganzen,
das er verwalten sollte. Seine Lethargie
und Entscheidungsschwäche schienen
wie Malariaschübe über ihn zu kommen, abgelöst von Tatendrang und weisen strategischen Entscheidungen.
Seine Beobachtungen blieben die
eines Europäers: «24. Dezember 1891:
Wieder einmal Alles betrunken. Hyänen
graben unsere Todten aus, bis jetzt drei!
Eine Menge Geier anwesend.» Seine eigenen Loyalitäten schwankten ebenfalls:
Kaum hatte ihn der Brite Stanley nach
Bagamoyo geschafft, ins Hauptquartier
AUS: CARL PETERS, DIE DEUTSCHE EMIN PASCHA EXPEDITION. HAMBURG/BRAUNSCHWEIG, 1907
Kampf um Einfluss
in Afrika
Die beiden deutschen
Entdecker Emin
Pascha (links) und
Carl Peters begegnen
sich 1889 in Mpwapwa
(heute Tansania).
von Deutsch-Ostafrika, erklärte er sich
bereit, dem Land seiner Geburt zu dienen. Die Königin in London war verschnupft, Stanley verbittert. Dabei ging
es dem fürchterlich kurzsichtigen Pascha nur darum, nicht mehr nach Europa zurückkehren zu müssen. Derweil
liess er kistenweise Aufzeichnungen
und ausgestopfte Vögel nach Deutschland schaffen.
Clough erzählt von seiner anrührenden Fürsorge für seine Tochter Ferida,
die er mit einer später verstorbenen
Abessinerin hatte. Rätselhaft bleibt,
warum Clough in einem Buch über Pascha derart ausführlich über den deutschen Eroberer Carl Peters schreibt.
Dessen später von den Nationalsozialisten glorifizierte blutige Geschichte ist
für jene Paschas zweitrangig. Auch gibt
es einige lässliche inhaltliche und historische Fehler im Text. Trotzdem: grossartig, wie Clough Kolonialgeschichte als
Krimi nacherzählt. �
neuerscheinungen bei hier + jetzt
Schweizer Geschichte
auf den Punkt gebracht
Aluminium für die
ganze Welt
Geschichte
der Schweiz
Im Zeichen der Sonne
Licht und Schatten über
der Alusuisse 1930–2010
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Frauen (und Männer)
am Berg
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<wm>10CEXKMQ6AMAwEwRfFugs4lnEJoYooAPECRM3_KxANxVazrYUKvsa67HUNAr0mZpiXUFfJpkHPYlpeZJdBDDQSTsQ_p3FKGzADByj3eT0GWx8_XAAAAA==</wm>
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31. Oktober 2010 � NZZ am Sonntag � 19
Sachbuch
Mediengesellschaft Warum entblössen sich Menschen vor einem Millionenpublikum gerne selbst?
Ein neues Buch liefert Antworten
Wenn Intimes öffentlich wird
Bernhard Pörksen, Wolfgang Krischke
(Hrsg.): Die Casting-Gesellschaft. Die
Sucht nach Aufmerksamkeit und das
Tribunal der Medien. Herbert von
Halem, Köln 2010. 352 Seiten, Fr. 27.90.
Menschen essen Känguru­Hoden und
baden in Kakerlaken, sie lassen sich an
den Beinen aufhängen und singen dazu
Arien, sie gewähren einem Millionenpu­
blikum bei einer Live­Darmspiegelung
einen Blick in ihr Innerstes. In Casting­
Shows wie «Germany’s Next Topmo­
del» oder Reality­TV­Formaten wie «Big
Brother» wird, so die Haltung eines kul­
turell beflissenen Publikums, die unters­
te Stufe der Dekadenz regelmässig un­
terboten. Nichts scheint den Machern
heilig, um die zeitgenössische Version
von Brot und Spielen auf die Spitze zu
treiben. Doch warum lassen die Kandi­
daten so etwas zu? Wie funktioniert das
Zusammenspiel zwischen menschlicher
Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und
der kommerziellen Medienfabrik? Wie
gehen Menschen mit dem aus den
Shows resultierenden gesellschaftlichen
Zwang zur Selbstinszenierung um?
Diesen Fragen gingen der deutsche
Professor für Medienwissenschaft Bern­
hard Pörksen und der Linguist Wolfgang
Krischke zusammen mit 25 Journalis­
mus­Studenten der Universität Tübin­
gen nach. Das Resultat vieler ausführli­
cher Interviews mit Exponenten der
MARTIN MEISSNER / AP
Von Daniel Puntas Bernet
Junge Frauen stürmen zur öffentlichen Bewerbung für Heidi Klums Casting-Show (Düsseldorf, Dez. 2008).
Branche liegt nun als Buch vor – und
wirft einen schonungslosen Blick auf die
Mechanismen von Casting­Shows. Die
Erkenntnisse sind zwar nicht neu: Für
die Warholschen 15 Minuten Berühmt­
heit sind Kandidaten zu vielem bereit,
und die Zuschauer ergötzen sich an Inti­
mitäten, Vulgaritäten und an der Stupi­
dität, welche diese Kandidaten in pseu­
dorealen und inszeniert­authentischen
Situationen teilweise von sich geben.
Bereichernd ist die unterschiedliche
Perspektive der Interviewten. Bildungs­
minister, Radiomacher, Politjournalis­
ten, PR­Berater, Musikproduzenten und
Casting­Kandidaten kommen zu Wort
und zementieren letztlich die Erkennt­
nis: Casting­Shows sind das perfekte
Perpetuum mobile, das sich aus dem
Rohstoff Mensch nährt und ebendiesem
Geschichten liefert, die seine eigenen
sind oder sein könnten, was ihn gerade
deshalb als Zuschauer bei der Stange
hält. Erstaunlich ist, mit welcher Kälte
und welchem Zynismus das Geschäft
zum Teil reflektiert wird. «Casting­
Biografie Sebastian Haffner zählte zu den erfolgreichsten historischen Publizisten Deutschlands
Intellektueller Akrobat
Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner.
Eine Biographie. C. H. Beck, München
2010. 683 Seiten, Fr. 43.50.
Von Urs Bitterli
Sebastian Haffner ist mit seinen «An­
merkungen zu Hitler» berühmt gewor­
den. Als das Buch 1978 erschien, gab es
zwar bereits eine unübersehbare Litera­
tur zum Thema; was aber fehlte, war
eine kurze, auf das Wesentliche gerich­
tete Gesamtdarstellung. Genau das lie­
ferte Haffner; er stellte die richtigen Fra­
gen an die Geschichte und fand plausi­
ble Antworten. Auch formulierte er mit
einer Sprache, die sich keine Pointe ent­
gehen liess – was die Fachhistoriker irri­
tierte, andere Leser aber begeisterte.
Nun war der Autor populär, und seine
weiteren Bücher fanden Anklang. Als
man 2002 posthum Haffners wohl wich­
tigstes Buch, seine Jugenderinnerungen
unter dem Titel «Geschichte eines
20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
Deutschen», herausgab, wurde es zum
Bestseller.
Zum Leben und Schaffen des deutsch­
britischen Autors sind bereits mehrere
Studien erschienen. Die nun vorliegen­
de Biografie von Jürgen Peter Schmied
wird man als die abschliessende be­
zeichnen. Schmied zog erstmals Haff­
ners Nachlass bei, nahm Einblick in die
Tagebücher, und seine Werkinterpreta­
tionen sind durchwegs überzeugend.
Sebastian Haffner wurde im Jahre
1907 als Sohn des Schulrektors Louis
Pretzel in Berlin geboren; sein Pseudo­
nym Haffner wählte er später im engli­
schen Exil, um zurückgebliebene Ange­
hörige nicht zu gefährden. Er durchlief
mit Ehrgeiz die Schulen und studierte
die Rechte. Daneben schrieb er Zei­
tungsartikel in der Art von Tucholsky
und Joseph Roth. Als Hitler 1933 die
Macht antrat, entschloss sich Haffner
zur Emigration und schied auf eigenen
Wunsch aus dem Reichsjustizdienst aus.
Mit seiner jüdischen Freundin und spä­
teren Ehefrau reiste er 1938 nach Lon­
don. Hier eignete sich Haffner eine per­
fekte Kenntnis des Englischen an,
schrieb ein erfolgreiches Buch über die
deutschen Zustände unter dem Titel
«Germany: Jekyll and Hyde» und trat
1942 ins Redaktionsteam des renom­
mierten «Observer» ein.
Jürgen Peter Schmied bezeichnet die
Zeitspanne von 1938 bis 1945 als «rasan­
te Karriere» und schildert anschaulich,
wie Haffner zum «aussenpolitischen
Vordenker» der Zeitung aufstieg. Bis
1961 arbeitete Haffner für den «Obser­
ver», kommentierte Tagesereignisse
und die grosse internationale Politik, be­
sprach Bücher, schrieb Reisereportagen.
Er unterstützte eine Politik der Stärke
gegenüber der Sowjetunion, trat für die
Einigung Europas ein, begrüsste den
Marshall­Plan, die Gründung der Nato
und die Wiederbewaffnung Deutsch­
lands – und wann immer er sich äusser­
te, tat er dies mit leidenschaftlichem
Engagement, einer Neigung zur Provo­
Wirtschaft Der ehemalige deutsche Finanzminister plädiert für den
Ausgleich zwischen funktionierenden Märkten und starkem Staat
kation und einer nicht immer überzeu­
genden Radikalität des Urteils.
«Sein Leser zu sein», schreibt
Schmied, «war eine aufregende Angele­
genheit.» Dies galt auch in den Jahren,
als er nach Deutschland zurückkehrte
und zuerst für «Die Welt» und dann,
nach einem brüsken Positionswechsel,
für die Illustrierte «Stern» zu arbeiten
begann. Nun wurde der Kalte Krieger zu
einem leidenschaftlichen Befürworter
der neuen Ostpolitik Willy Brandts, so­
lidarisierte sich mit der Studentenbewe­
gung und verbarg nicht seine Sympathi­
en für Rudi Dutschke und Mao Zedong.
Schmieds Biografie folgt allen politi­
schen Stellungnahmen, allen Ein­ und
Ausfällen des «intellektuellen Akroba­
ten» Haffner mit geduldiger Sorgfalt,
und es gelingt ihm, ein glaubwürdiges
Porträt einer Journalistenpersönlichkeit
zu zeichnen, die noch in ihren impulsi­
ven Fehleinschätzungen fasziniert. l
Urs Bitterli ist emeritierter Professor für
neuere Geschichte an der Uni Zürich.
Peer Steinbrück: Unterm Strich.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2010.
480 Seiten, Fr. 40.50.
Von Gerd Kolbe
Peer Steinbrück, der ehemalige deut­
sche Finanzminister, hat sein erstes
Buch geschrieben, und er ist stolz dar­
auf, kein «Erinnerungsbuch» vorgelegt
zu haben. Vergleichsweise kurz hält er
sich mit der globalen Banken­ und
Finanzkrise auf. Er analysiert die Lage
der Weltwirtschaft und blickt in die Zu­
kunft. Damit entfernt sich Peer Stein­
brück wohltuend von der üblichen
politischen Literatur, die doch häu­
fig nur der eigenen Rechtfertigung
dient.
Es macht den sonst so bissigen
Kritiker, der keinen seiner Wider­
sacher schont, sogar sympa­
thisch, dass er eigene
Fehler eingesteht. So
habe er in seinen frühe­
ren Ämtern im Bundes­
land Nordrhein­West­
falen und später
auch im Berliner
Finanzministerium
die Situation der
mit den Kantonal­
banken in der Schweiz
vergleichbaren Landes­
banken falsch einge­
schätzt. Von ihnen,
hält er fest, gehe
«das grösste nach
wie vor verbleibende
Systemrisiko» für
die deutsche
Bankenwelt aus.
Mit den Managern
geht er indes scharf
ins Gericht. Die Ent­
stehung der Finanz­
marktkrise, schreibt
Steinbrück, habe «mit
dem Versagen von Eliten,
einer unanständigen Berei­
cherungsmentalität und
dem Verlust von Mass und
Mitte zu tun». Die Ursachen
und Folgen der Krise ver­
letzten das Gerechtig­
keitsempfinden
vieler Menschen.
Eben darin
ADOLPH PRESS
Shows sind Kapitalismus pur: Der
Mensch funktioniert gleichzeitig als
Ware und als Konsument», sagt Imke
Antjen, Besitzerin einer Casting­Agen­
tur und Lieferantin für Sendungen, die
immer krasser werden: «Früher hat es
noch gereicht, wenn man 19 war und
schwanger. Heute muss man – über­
spitzt gesagt – 14 sein und möglichst
vom eigenen Vater geschwängert.»
Für Helmut Thoma, der dank Sex und
Boulevard den Privatsender RTL an die
Quotenspitze brachte, sind Dieter Boh­
lens Demütigungen in «Deutschland
sucht den Superstar», welche die
menschliche Würde mit Füssen treten,
kein Problem: «Jeder Kandidat kann ma­
chen, wie er will. Wenn seine Auffas­
sung von Würde so weit runtergeht,
bitte. Dann hat er eben keine.» Und der
Medienexperte Norbert Bolz sagt: «Wer
sich zu einem Casting anmeldet, weiss,
dass er sich mit Haut und Haar der In­
szenierung verkauft. Die Menschenwür­
de gibt man an der Garderobe ab.»
Trotzdem haben Casting­Shows stei­
gende Quoten, und deshalb befinden wir
uns – so die These des Buches – auf dem
Weg in eine Casting­Gesellschaft, in der
Image und Ich unauflösbar verschmel­
zen. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist
Alltag geworden, beschränkt sich nicht
mehr nur auf Prominente, Politiker und
Medienprofis. Angefeuert von dieser
Kultur der permanenten Selbstdarstel­
lung, einer «Rüstungsspirale im Kampf
um Beachtung», durchzieht Casting zu­
nehmend unser Leben. l
Steinbrücks Freude an
drastischen Sprachbildern
sieht er Gefahren für die Politik. Stein­
brück spricht von der Ablösung des Pri­
mats der Politik durch den Primat der
Ökonomie. In vielen Führungsetagen
fehle der Sinn für die integrative Funk­
tion von Parteien und von parlamenta­
rischen Prozessen.
Hoffen auf die USA
Fast könnte man meinen, er trauere ver­
gangenen Zeiten nach, wenn er ausführt,
mit der Implosion des realen Sozialis­
mus vor 20 Jahren sei ein ideologisches
Widerlager entfallen. «Die Systemkon­
kurrenz hatte den westlich geprägten
Kapitalismus seinerzeit so weit diszipli­
niert, dass er sein hässliches Gesicht re­
gelmässig einem Lifting unterziehen
musste.»
Steinbrück beschreibt die Verschie­
bung der ökonomischen Gewichte in
der Welt. Er prognostiziert und wünscht
sich zugleich, die USA würden eine
wirtschaftliche und militärische Macht
bleiben. Er sieht jedoch die Gefahr, dass
die enormen Defizite in Staatshaushalt,
Leistungsbilanz und auf privaten Kon­
ten die zukünftigen Handlungsspielräu­
me Amerikas dramatisch einschränken.
Die Vereinigten Staaten und China hät­
ten sich in eine gegenseitige Abhängig­
keit begeben, die eindeutig zulasten
Amerikas gehe. Zugleich beobachtet er,
dass aus der Sicht Chinas der westliche
liberale Kapitalismus versagt, während
sich das chinesische Modell eines
«Staatskapitalismus mit Politbüro» in
der Krise bewährt habe.
Wenig diplomatisch
Jeder ausser den Linken in der eigenen
Partei, denen Pragmatiker mit Sinn für
Freiheit immer schon verdächtig waren,
kommt nach der Lektüre des Buches zu
dem Schluss, Peer Steinbrück sei und
wolle Sozialdemokrat bleiben. Nirgends
wird dies so deutlich wie bei seinen Be­
mühungen um den Nachweis, dass man
beides brauche, funktionsfähige Märkte
und einen handlungsfähigen Staat. Der
gefrässige Staat ist für Steinbrück ein
Ammenmärchen, der Mythos vom
Hochsteuerland Deutschland ebenso.
Da werde der Bürger doch nur mit Steu­
ersenkungs­Ankündigungen wie der
Esel mit der Mohrrübe in die Wahllokale
gelockt.
Zum Steuerstreit mit der Schweiz er­
fährt der Leser wenig. Seine «Schweizer
Attacken» seien wohl einer überschäu­
menden Freude an Bildern und lautma­
lerischen Namen entsprungen, schreibt
er. «Den diplomatischen Gepflogenhei­
ten entsprachen sie sicher nicht.» Wer
will, kann darin gar eine Entschuldigung
erkennen. l
Peer Steinbrück an der Bertelsmann-Gala in
Berlin, 25. September 2008.
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
Firmenporträt Die Monografie über Alusuisse ist auch ein Stück Wirtschaftsgeschichte
Schweizer Erfolgskonzern
Adrian Knoepfli: Im Zeichen der Sonne.
Licht und Schatten über der Alusuisse
1930 bis 2010. Hier + Jetzt, Baden 2010.
320 Seiten, Fr. 88.–.
Gegen zwei Kilogramm wiegt die Unternehmensgeschichte der Alusuisse. Die
Chronologie der gewichtigen Schweizer
Firma beginnt 1888 mit der Gründung
der Aluminium-Industrie-Aktiengesellschaft, der AIAG, in Neuhausen (SH).
Der Journalist und Wirtschaftshistoriker Adrian Knoepfli beginnt sein Werk
über die AIAG indes erst mit dem Jahr
1930, als die Wirtschaftskrise die Welt
beherrschte.
Zu ihren «besten» Zeiten beschäftigte
die Alusuisse weltweit 45 080 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon knapp
20 Prozent in der Schweiz, wo sie vor
allem im Wallis stark vertreten war. Die
Bedeutung, die der Industriekonzern
hatte, zeigt sich auch in der Besetzung
des Verwaltungsrats: Mit Felix W. Schulthess, Präsident der damaligen Kreditanstalt, mit Niklaus Senn, Präsident der
Schweizerischen Bankgesellschaft, sowie
mit Rainer E. Gut war dort jahrelang die
Schweizer Wirtschaftselite vertreten. So
wie das in anderen grossen Konzernen
der Fall war und immer noch ist.
Diese Creme der Wirtschaft schaffte
es über all die Jahre allerdings nicht,
dem Unternehmen eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Heute bleibt von Alusuisse in der Schweiz als selbständige
Erfolgsgeschichte nur die Chemie-Perle
Lonza übrig, mit 2,7 Milliarden Franken
Umsatz und über 8000 Angestellten.
Deren Übernahme durch die Alusuisse
1974 wertet der Autor denn auch als den
«gewichtigsten und erfolgreichsten
RENE RITLER / KEYSTONE
Von Gabriela Weiss Di Spirito
Giessofen in der
Aluhütte Steg (VS),
eines Werks der
Algroup (November
1999).
Schritt» im Bestreben der Alusuisse,
durch Diversifikation die Abhängigkeit
von der Aluminiumkonjunktur zu verringern. Die Diversifikation wurde gut
20 Jahre später wieder rückgängig gemacht. Damals traten der Financier
Martin Ebner und der Unternehmer und
Politiker Christoph Blocher in den Konzern ein – und damit auch das Shareholder-Value-Denken. Mit Sergio Marchionne, der zu dieser Zeit die Alusuisse
(damals: Algroup) führte, war die Geschichte des Schweizer Industriekonzerns um einen illustren Namen reicher.
Das Buch ist gespickt mit Details zur
Aluminiumbranche, mit Hintergründen
und Grafiken, es ist abgefasst in nüchternem Ton, nur selten wertend. Viel
Platz haben aber auch Aperçus in Text
und Bild.
Anhand der Alusuisse-Geschichte
zeigen sich alle Facetten des Wirtschaftens: Wo früher Kartelle gang und gäbe
waren, machte sich ein rigideres Wettbewerbsrecht breit. Wo heute ein Unternehmen kritisiert wird, wenn es Zulieferer für Kriegsmaterial ist, wurde dies
früher kaum hinterfragt. Die Facetten
zeigen sich auch in den Aufschwüngen
und Krisen, in (gescheiterten) Fusionen
und Machtkämpfen. Und auch Bilanzierungstricks und mangelhafte Corporate
Governance sind so alt wie die Wirtschaft selber: Als es Alusuisse zu Beginn
der 1980er Jahre schlecht ging, aktivierten deren Chefs kurzum die Bauxit-Abbaurechte im australischen Gove mit
700 Millionen Franken auf der Aktivseite. Dies, obwohl drei Bankenvertreter im
Verwaltungsrat sassen.
Später wurde diese Aktivierung wieder rückgängig gemacht. Jahrelang
konnte sich der damalige als selbstherrlich beschriebene Präsident Emanuel
R. Meyer an der Spitze halten – bis es
1986, als der Konzern faktisch pleite war,
zum Putsch kam. Rainer E. Gut, damaliger SKA-Präsident, erklärte schon zuvor
seinen (nach dem Putsch widerrufenen)
Rücktritt aus dem Verwaltungsrat, weil
er die Strategie nicht mehr mittragen
wollte.
Nach dem Verkauf durch Ebner/Blocher landete Alusuisse 2007 zusammen
mit ihrer kanadischen Mutter Alcan
beim britischen Bergbauriesen Rio
Tinto, der das Buch finanziert hat. Was
neben der Lonza von den einstigen
Schweizer Werken überlebt hat, ist
heute in alle Winde zerstreut: Sie gehören zu Novelis, Amcor, Schweiter oder
dem US-Finanzinvestor Apollo, der
daran ist, mit der Division Engineered
Products auch Presswerk und Giesserei
im Wallis zu übernehmen. �
Alpinismus Bergsteigerinnen erobern die Achttausender. Reinhold Messner widmet ihnen ein Buch
Frauen im 1Y. Himmel
Reinhold Messner: On Top. Frauen ganz
oben. Malik, München 2010.
304 Seiten, Fr. 30.50.
Von Mylène Jacquemart
Am 27. April 2010 stand die Südkoreanerin Oh Eun-Sun auf dem Gipfel der Annapurna. Sie gilt damit als erste Frau,
der es gelungen ist, alle 14 Achttausender zu besteigen. Mit dem Ende dieses
zuletzt heftig ausgetragenen Wettkampfs unter den besten Höhenbergsteigerinnen der Welt greift Reinhold
Messner in seinem neusten Werk die
Aktualität auf. Der Mann, der als Erster
die Gipfel aller Achttausender erklommen hat, wirft einen kritischen Blick auf
22 � NZZ am Sonntag � 31. Oktober 2010
das Tun und den Werdegang der Frauen
im Alpinismus.
Die Geschichte begann schon früh,
als Frau noch Rock trug und ihren Mann
bebestenfalls an den Fuss des Berges be
Schickgleitete. Es werden interessante Schick
sale ausgebreitet: Von Damen, die gegen
ihren Willen auf den Gipfel getragen
Pioniewurden, und von solchen, die als Pionie
rinnen eine letzte Männerbastion zu
stürmen begannen. Frau und Mann sind
überam Berg ebenbürtig, ist Messner über
Schranzeugt und weist Kritiker in die Schran
ken. Die Gleichberechtigung am Berg ist
aber nicht nur eine sportliche, sondern
betrifft auch die harschen Kritiken und
Diskussionen über Stil, Moral und Ethik
am Berg. Einfacher haben es die Frauen
jedenfalls nicht.
Viele Seiten widmet Messner den
heutigen Spitzenbergsteigerinnen. Oh
EdurEun-Sun, Gerlinde Kaltenbrunner, Edur
Abenne Pasaban, Nives Meroi und ihre Aben
Buteuer sind das tragende Element des Bu
ches. Nicht ganz vergessen, aber etwas
unstrukturiert eingeflochten, erhalten
Eiskletterinauch die besten Fels- und Eiskletterin
genen eine Lobeshymne. Während die ge
sachlischichtlichen Rückblicke und die sachli
chen Reportagen leicht zu lesen sind,
philostolpert man immer wieder über philo
sophische Passagen, die eher zu lange
geraten sind. Die angehäuften Zitate zu
Beginn jedes Kapitels wirken ebenso
Kawenig überzeugend wie die beiden Ka
persönlipitel, in denen Messner seinen persönli
Himalaja-Tourischen Unmut über den Himalaja-Touris
mus ausbreitet. �
Philosophie Ein Sammelband mit Interviews bringt das Denken des Zürcher Ordinarius
Hermann Lübbe auf den Punkt
Wahrheitssuche bei der Güggeli-Rösti
Hermann Lübbe im Gespräch. Zehn
Interviews mit Hermann Lübbe.
Wilhelm Fink, München 2010. 222 Seiten,
Fr. 37.90.
Von Urs Rauber
Die in diesem Band versammelten zehn
Interviews mit dem Philosophen Hermann Lübbe sind mit einer Ausnahme
alle im letzten Jahrzehnt entstanden und
werden von Lübbe selbst eingeleitet.
«Die alte Publikationsform des Gesprächs breitet sich wieder aus»,
schreibt der Autor im Vorwort. Ihm behagt offensichtlich diese journalistische
Gattung, bei der man sich kurz fassen,
aufs Wesentliche konzentrieren und
dann in zwei, drei Sätzen zur Quintessenz vorstossen müsse.
Der 1926 geborene Hermann Lübbe
pflegt eine ältlich anmutende, kantige
Sprache und liebt die scharfe Begrifflichkeit. Er lehrte von 1971 bis zu seiner
Emeritierung 1991 als Ordinarius für
Philosophie und Politische Theorie an
der Universität Zürich. Zuvor war er
Professor an den Universitäten Erlangen, Hamburg, Köln, Münster und Bielefeld gewesen und von 1966 bis 1970
Staatssekretär für Hochschulwesen in
Nordrhein-Westfalen. Auch hat er einige
Jahre die Deutsche Gesellschaft für Philosophie präsidiert.
Lübbe, der sich als konservativen Philosophen mit liberalem Weltbild bezeichnet, war lange Jahre Mitglied der
SPD, genauer: ihres antimarxistischen
Flügels, bis er sich nach einer Auseinandersetzung mit Gerhard Schröder Ende
der achtziger Jahre von der Partei trenn-
2010 INTRODUCTION ANTON CORBIJN / SCHIRMER/MOSEL
Auf dem Filmset George Clooney übt Italianit]
Der holländische Starfotograf Anton Corbijn hatte
während der Dreharbeiten zu seinem zweiten Spielfilm «The American» stets seinen Fotoapparat dabei.
Er hat atmosphärische, grobkörnig-raue Bilder von
seinen Schauspielern und der süditalienischen
Region Abruzzen gemacht, in welcher sein Thriller
spielt. Die obige Aufnahme zeigt George Clooney, der
einen von Gewissensbissen gepiesackten Killer verkörpert, nach dem Dreh einer Verfolgungsjagd auf
einer Vespa. In handgeschriebenen Kommentaren
erläutert Corbijn, wie er die Americana-Ästhetik von
Edward Hopper und Wim Wenders auf Italien über-
trug, etwa in jener Szene, die in der Bar einer Tankstelle spielt. Corbijn verrät auch, dass exakt am
6. April 2009, als er Clooney in Missouri das Drehbuch gab, ein Erdbeben die Stadt L’Aquila verwüstete,
die er als Hauptschauplatz vorgesehen hatte. «Inside
The American» ist eine Liebeserklärung an die
Abruzzen und ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen eines Hollywooddrehs. Der Bildband ist gelungener als der Film selber, in dem viele Italianità-Vignetten allzu klischiert erscheinen. Christian Jungen
Anton Corbijn: Inside The American. Schirmer/
Mosel, München 2010. 160 Seiten, Fr. 74.–.
te. Eines seiner Lieblingsthemen ist
denn auch die Auseinandersetzung mit
den 68ern, denen er «Gegenaufklärung», Ideologisierung und Fanatisierung vorwirft. Er nennt die damalige
Studentenbewegung eine «Bewegung
der mentalen Instant-Heilung», die mit
totalitären Mitteln die Demokratie auszuhebeln versuche. Als Reaktion darauf
gründete Lübbe zusammen mit anderen
Hochschullehrern 1970 den «Bund Freiheit der Wissenschaft».
Es wäre allerdings verkürzt, in Lübbe
nur den politisch streitbaren und streitfreudigen Antipoden der Progressiven
zu sehen. Er setzt sich ebenso differenziert mit Philosophen wie Martin Heidegger, Theodor Adorno, Max Horkheimer, Ernst Bloch und Carl Schmitt auseinander. Und er wehrt sich vehement
gegen vorschnelle Etikettierungen: «Alles
oder nichts – nach diesem Modus lassen
sich die Reflexionen, Expressionen und
Optionen bedeutender Leute nicht rezipieren.»
Lübbe kritisiert das «Laster des Moralismus», der sich erlaube, bei missliebigen Meinungen die Person in Zweifel
zu ziehen statt sich auf die Sachauseinandersetzung zu beziehen. Anderseits
hebt er die Bedeutung der Zuversicht
hervor, einer Lebenshaltung, die die individuelle Handlungskraft stärke. Natürlich kommt im Buch auch seine Mitgliedschaft bei der NSDAP zur Sprache,
der er als 18-Jähriger «Pimpf» – ähnlich
wie Günter Grass und andere Flakhelfer
– kurz vor Kriegsende 1945 noch beigetreten war.
Das letzte und längste Gespräche im
Buch – es erstreckt sich über 90 von insgesamt 220 Seiten – wurde an drei Tagen
im Winter 2005/06 geführt. In seinem
Zweitwohnsitz bei Münster stellte sich
der Wissenschafter den Fragen einer
philosophischen Online-Zeitschrift. Das
Gespräch mit dem Titel «Über Gott und
die Welt» gibt in populärer und leicht
verständlicher Form umfassenden Einblick in sein Denken und Leben. Da geht
es neben Philosophischem auch munter
um das Alter, die SPD, den Historikerstreit. Um deutsche Tugenden und Anfälligkeiten (etwa die Lust zu jammern).
Um Fernsehkonsum und Sport: Seit 40
Jahren nämlich wandert Lübbe regelmässig, oft mehrere Stunden am Tag. Das
beschere ihm Glück, erfrische seinen
Tag und mache ihn geistig fit.
Nicht alles in diesem fast wörtlich
niedergeschriebenen Interview muss
man wissen. Dass Frau Lübbe den Gästen eine verdorbene Suppe serviert oder
die Interviewer mit Lübbe im nahen
Mövenpick eine Schweizer «GüggeliRösti» (was immer das sein mag) essen,
ist zwar erheiternd, aber ziemlich unerheblich. So schwanken diese Texte in
Form und Gehalt, ermöglichen aber gerade deswegen auch einem Laienpublikum den Zugang zu einem bedeutenden
Philosophen der Zeit. �
31. Oktober 2010 � NZZ am Sonntag � 23
Sachbuch
Geschichte Das Adelsgeschlecht der Staufer wird dieses Jahr mit etlichen Publikationen gefeiert
Auf dem deutschen Kaiserthron
sass ein Sizilianer
flicht die zahllosen Legenden, die den
Herrscher schon zu Lebzeiten umrankten, in den Text ein. Der Blick von Süden
ist Rader dabei ein zentrales Anliegen,
denn «die Sozialisierung Friedrichs erfolgte auf Sizilien». Der Herrscher stellte laut Rader seine politischen Entscheidungen stets in den Dienst seines Königreichs in Italien, nicht Deutschlands,
wo er fast nie gewesen war.
Olaf B. Rader: Friedrich II. Der Sizilianer
auf dem Kaiserthron. C. H. Beck,
München 2010. 592 Seiten, Fr. 43.50.
Alfried Wieczorek u. a. (Hrsg.): Die Staufer
und Italien. Essayband zur Ausstellung in
Mannheim. Theiss, Stuttgart 2010. Mit
Katalog im Schuber, 800 S., Fr. 84.90.
Von Geneviève Lüscher
Iein MultikultiFIaiser
Schon der Einstieg packt. Wir fangen
nicht bei der Geburt Friedrichs an, sondern mitten im 2. Weltkrieg in Palermo.
Im Juli 1943 erhielt der deutsche Marinekommandant in Italien von Göring den
Befehl, die beiden mächtigen Sarkophage im Dom von Palermo vor den Alliierten in Sicherheit zu bringen. Die
Särge enthielten die Gebeine Friedrichs
II. und seines Vaters Heinrich VI. Göring wusste, dass der Besitz von Toten
die Herrschaft der Lebenden legitimiert.
Deswegen balgten sich die Generäle um
die Leiche Alexanders des Grossen, deswegen haben die Sowjets Lenin sofort
einbalsamiert. In Palermo waren Pat24 � NZZ am Sonntag � 31. Oktober 2010
Lespektierter Jslam
ALINARI / INTERFOTO
Das deutsche Stauferjahr 2010 neigt sich
bereits dem Ende zu. Wissenschaftliche
Tagungen, eine grosse kulturhistorische
Ausstellung in Mannheim (bis 20. Februar 2011) und etliche Bücher feiern eines
der bedeutendsten und einflussreichsten
Adelsgeschlechter des hohen Mittelalters. Die Staufer, die ihren Namen von
dem am Nordrand der Schwäbischen
Alb gelegenen Berg Hohenstaufen ableiten, haben im 12. und 13. Jahrhundert
die Entwicklung des römisch-deutschen
Reiches, Italiens und ganz Europas entscheidend geprägt. Warum gerade das
2010 als Gedenkjahr ausgewählt wurde,
war den zahlreichen Einleitungen, Epilogen und ministerialen Grussworten
nicht zu entnehmen.
Zu den beiden wichtigsten Vertretern
des Staufergeschlechts zählen Friedrich
I. Barbarossa (1122–1190) und sein Enkel
Friedrich II. (1196–1250), dem Geschichte und Mythos gleich mehrere Beinamen verpasst haben. Der passendste ist
wohl «Stupor Mundi» – das Staunen der
Welt. Das noch heute anhält. Fast 600
Seiten lang staunt die Leserin über das
schillernde Leben dieses deutschen Kaisers, der doch eigentlich ein Sizilianer
war. Dem Historiker Olaf B. Rader ist
ein hervorragendes Sachbuch gelungen:
ein Standardwerk über das Mittelalter im
Allgemeinen und eine Biografie über
Friedrich II. im Besonderen. Rader
schreibt nicht nur für Sachverständige
gewinnbringend, er schafft es auch, interessierten Laien eine längst vergangene
Epoche leicht und farbenfroh nahezubringen.
Friedrich II.
(1196–1250) schrieb
auch Bücher. In
seinem Werk über
die Falknerei stellte
er sich selber dar
(Miniatur, um
1220/1250).
tons Panzer schneller, und die beiden
Staufer blieben, wo sie waren. An den
Sarkophagen pilgern heute Touristen
und unverbesserliche Staufertreue vorbei. Friedrich gilt als Führerfigur, als
Symbol eines goldenen Zeitalters und
mutiert heute gar zu einer Art Multikulti-Kaiser, der zwischen Christentum
und Islam vermittelt und Europa geeint
haben soll. Das dem nicht so ist, kann
man in Raders Biografie nachlesen.
Der Autor gliedert seinen Stoff in drei
grosse Überkapitel: Herrschaften, Leidenschaften, Feindschaften. In personifizierten Unterkapiteln wie «Der Liebhaber», «Der Bauherr», «Der Falkner» beschreibt Olaf
Rader verschiedene
Aspekte aus dem
Leben des Kaisers
und geht dabei nahe
an seine Figur heran.
Er zitiert fleissig aus
den Quellen und
Der heute hervorgehobenen angeblichen Islamfreundlichkeit Friedrichs II.
erteilt Rader eine klare Absage. Die Sarazenen auf Sizilien wurden keineswegs
bevorzugt, sie waren Untertanen und
bekamen die gleichen Grausamkeiten zu
spüren wie andere auch. Aber Friedrich
vermied es klugerweise, sich dem Orient zu verschliessen; seiner Kenntnis
der fremden Sitten und Gebräuche verdankte er die kampflose Einnahme von
Jerusalem. Er respektierte nämlich seinen muslimischen Widersacher und
verhandelte auf orientalische Art wochenlang mit ihm, statt ihn einfach zu
überrumpeln.
Raders Buch schliesst mit einem umfangreichen Anhang und ist üppig, aber
nur kleinformatig und schwarz-weiss illustriert. Wer es gerne grösser und bunter hätte, der möge zum gewichtigen
Essayband greifen, der neben dem Katalog zur Stauferausstellung in Mannheim
erschienen ist: Die Bebilderung ist hervorragend. Hier sieht man die vielen
herrlichen Buchminiaturen in Farbe,
kann das Castel del Monte, das grandiose
Bauwerk Friedrichs II., in der kargen apulischen Landschaft betrachten oder den
berühmten Krönungsmantel Rogers II.
mit der Kufi-Inschrift in Rot-Gold bewundern.
Das Buch umfasst die gesamte Stauferzeit und versammelt Texte hochkarätiger Wissenschafter aus ganz Europa.
Aber es richtet sich, obwohl als Begleitband zu einer Ausstellung konzipiert, an
eine intellektuelle Leserschaft und verfehlt damit klar sein Zielpublikum. Die
beitragenden Fachleute konnten sich –
mit Ausnahmen – nicht zu einem allgemein verständlichen Inhalt und Stil
durchringen. Schon im Vorwort stolpert
man über Blickachsen, Innovationsräume, Inventionen, Antagonismen und
Deutungsmuster. Kunsthistorisch Interessierte werden mit dem Sammelwerk
noch am ehesten auf ihre Kosten kommen, sind doch mehrere Essays den
staufischen Kaiserdomen in Speyer,
Mainz und Worms, den Pfalzen an
Rhein, Main und Neckar sowie den Kastellen in Italien gewidmet. Allerdings
sollten sie sich in Begriffen wie Akanthusblattkapitellen, Rundbogenblenden
und Perlstäben gut auskennen … �
Comic Mit viel Sprachwitz hat die Kunsthistorikerin
Erika Fuchs uns Entenhausen nahegebracht
Ernst Horst: Nur keine Sentimentalitäten.
Wie Dr. Erika Fuchs Entenhausen nach
Deutschland verlegte. Blessing, Berlin
2010. 384 Seiten, Fr. 38.90.
Von Thomas Köster
Erika Fuchs war so etwas wie der Daniel
Düsentrieb der Übersetzerzunft. Als sie
1951 den Auftrag erhielt, die Geschichten
der Mickey-Mouse-Hefte ins Deutsche
zu übertragen, setzte die promovierte
Kunsthistorikerin vor allem bei den Erzählungen rund um Donald Duck von
Anfang an nicht auf Werktreue, sondern
auf sprachlich überbordende Erfindungskraft – und gab damit dem in
Entenhausen umbenannten Duckburg
des Disney-Zeichners Carl Barks weit
über zwanzig Jahre lang mit dichterischer Freiheit ein eigenes Gepräge.
Wie Ernst Horst in seinem überaus
lesenswerten Band aufzeigt, war es
dabei vor allem Fuchs’ Ziel, die als
Schund verschrienen Comics aus Amerika pädagogisch wertvoller, aber auch
komischer und bissiger zu machen. Dass
sie dabei nie mit dem erhobenen Zeigefinger hantierte, sondern lieber mit teilweise intertextuellem, für jugendliche
Leser wohl nicht immer zu entschlüsselndem Witz, illustriert das Buch anhand von vierfarbigen Bildbeispielen,
die der Autor gekonnt mit seinem
Fliesstext verwoben hat.
Dort kann man sehen, wie kunstvoll
Fuchs auf den zeitgenössischen Musikund Buchmarkt anzuspielen verstand –
etwa, wenn sie durch den blossen Hinweis auf die Gruppe 47 die nicht nur
physiognomische, sondern auch psychologische Ähnlichkeit zwischen einer
schnauzbärtigen
Comicfigur
und
Günter Grass herausarbeitete –, oder
eben auf das klassische literarische
Zitat. So legte die gebildete Übersetzerin den aufmüpfigen Neffen Tick, Trick
und Track schon einmal den abgewandelten Rütli-Schwur aus Schillers «Wilhelm Tell» in den Mund («Wir wollen
sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr») und
ironisierte ihren Hang zum Bildungsbürgerlichen immer wieder – beispielsweise in der prosaischen Replik eines
Panzerknackers auf die lyrischen Anwandlungen eines Verbrecherkollegen
angesichts herannahender Geldtransporter: «Werd nicht poetisch, Ede, die
Pinke kommt.»
Es ist ein Verdienst von Horsts Buch,
diesen Sprachwitz im Vergleich mit dem
fast immer öder klingenden Originaltext
sichtbar gemacht zu haben. So zeigt
sich, wie stark Erika Fuchs das raumund zeitlose Universum Entenhausens
und sein durch Alliterationen geprägtes
Personal auch im Rückgriff auf deutsche, österreichische oder Schweizer
Dialekte schuf – und dabei die im Vergleich zu den USA ganz andere Lebenswirklichkeit der fünfziger bis siebziger
Jahre im deutschsprachigen Raum mit
einbezog. Da mutieren Hamburger oder
Sodaschaumgetränke in Sprechblasen
völlig glaubwürdig zu Obsttörtchen und
«5 Doppelportionen Erdbeereis» – obwohl die Wirklichkeit der Bilder offensichtlich etwas ganz anderes erzählt.
Gelungen ist das Buch dort, wo es die
verborgenen Sprachschichten der Über-
Vortrag und Buchvorstellung
Wilhelm Schmid
Die Liebe neu erfinden
<wm>10CEXKIQ6AMBBE0RN1Mzvp0paVpagGAYQTEDT3VxAM4ueZ37ub4Ku2ZW-rKxAZAFVGt2LCNLgWSrJXkIRiVIuZOafo_x3qFDZgBg6o3Of1ABtpcStdAAAA</wm>
Samstag, 6. November, 15.30 Uhr
Suhrkamp
www.suhrkamp.de
Weitere Informationen unter
www.lebenskunstphilosophie.de
DPA / KEYSTONE
Daniel Düsentrieb
der Übersetzer
Erika Fuchs (1906–
2005) schuf mit ihren
Übersetzungen der
Mickey-Mouse-Hefte
eine genuin neue
Welt. Hier 1994 in
München.
setzungen offenlegt. Weniger gelungen
argumentiert es ausgerechnet an jenen
Stellen, an denen der Autor Fuchs erbsenzählerisch «dumme Fehler» nachzuweisen sucht, wohl auch, um die eigene
unverhohlene Bewunderung zu erden –
etwa in jener Szene, in der Donald Duck
prahlerisch Blumennamen aufzählt, darunter neben Löwenmaul, Rittersporn
und Feuermohn auch Hahnenklee: Letzteres eben «keine Blume, sondern ein
Stadtteil von Goslar im Harz».
Dabei offenbaren gerade derlei
scheinbar sinnlose, ausschliesslich dem
Sprachklang und der Logik des Metaphernraums der Sprechblase verpflichtete Kapriolen die grosse, weit über die
reine Übersetzung hinausweisende, «danieldüsentriebische» Fuchssche Kunst
– eine Kunst, die das Buch über weite
Strecken überaus klug und vergnüglich
offenlegt. �
Im Rahmen des Jubiläumssymposions »Heilkunst und
Gesundheitsmarkt«
<wm>10CAsNsjY0MDAx0jUwMDQ0MgEAoyXznQ8AAAA=</wm>
Bezirksspital Affoltern
Sonnenbergstrasse 27
8910 Affoltern am Albis
Von der Lebenskunst
im Umgang mit Anderen
399 S. Geb. Fr. 30.50
31. Oktober 2010 � NZZ am Sonntag � 25
Sachbuch
Kirchengeschichte Heiligenverehrung von den antiken Märtyrern bis zu Papst Johannes Paul II.
Zeugen einer besseren Welt
Peter Gemeinhardt: Die Heiligen.
Von den frühchristlichen Märtyrern bis
zur Gegenwart. Beck­Reihe Band 2498.
C. H. Beck, München 2010.
128 Seiten, Fr. 14.50.
Von Peter Durtschi
Als der polnische Papst Johannes Paul II.
2005in Rom starb,wardasstarke Medien­
interesse vom Schlagwort «santo subito»
– sofort heilig – begleitet. Ein Verfahren,
über das eine römische Kongregation
und zuletzt der amtierende Papst befin­
den, nahm seinen Lauf: Bevor es zur
Seligsprechung kommt, muss nach dem
Tod des Kandidaten ein konkretes Wun­
der – meistens sind dies medizinisch
nicht erklärbare Heilungen – vorliegen.
Die Heiligsprechung erfordert ein weite­
res, erst nach der Seligsprechung notifi­
ziertes Wunder.
Nun gibt es aber keine trennscharfe
Definition von Heiligkeit, schreibt Peter
Gemeinhardt, seit 2007 Professor für
Kirchengeschichte an der Georg­August­
Universität in Göttingen. Und Heiligkeit
ist auch nicht auf den Bereich des Chris­
tentums beschränkt. Dort aber gilt
grundsätzlich die ganze Gemeinschaft
als heilig; heilig sind aber auch einzelne
Menschen, in denen Gott wirkt.
In der Spätantike waren das Men­
schen, die öffentlich Zeugnis – grie­
chisch «martyrion» – für Christus abge­
legt haben, obwohl dies zum Tod führen
konnte. Märtyrer waren als Vorbilder
und als Fürbitter für die noch Lebenden
populär. Immer mehr galten nach dem
Ende der Christenverfolgung im 4. Jahr­
hundert Frauen und Männer aufgrund
ihrer vorbildlichen Lebensführung als
«sanctus».
Ihre Leiber wurden in Kirchen über­
führt. Weil ab dem Frühmittelalter kein
Altar ohne Reliquien sein sollte, musste
man die relativ wenigen Leiber auf mög­
lichst viele Orte verteilen.
Die reformatorische Kritik richtete
sich gegen die Anrufung der Heiligen
um Hilfe, sei doch Jesus Christus der
einzige Mittler zwischen Gott und den
Menschen. Der evangelische Theologe
Peter Gemeinhardt geht in seiner leicht
lesbaren Darstellung auch der Frage
nach, inwiefern Heiligenverehrung als
ökumenisches Projekt wahrgenommen
werden könne.
Gerade die Märtyrer scheinen dafür
einen Ansatzpunkt zu bieten: So ge­
denkt beispielsweise eine katholische
Laiengemeinschaft in Rom des Protes­
tanten Dietrich Bonhoeffer, während
Pater Maximilian Kolbe, der in Ausch­
witz anstelle eines Familienvaters in den
Tod ging, auch in evangelischen Kreisen
als ein Beispiel christlicher Selbstlosig­
keit gilt. l
Das amerikanische Buch «Helmut Schmidt, bitte Klappe halten!»
Wie Carter in seiner Einführung zu
«White House Diary» schreibt, hat er
seine Amtshandlungen nahezu täglich
handschriftlich oder mit einem Ton­
band protokolliert. Als er 1981, von
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Oktober 2010
ULRICH BAATZ / LAIF
positiven Rezension die Fähigkeit des
Marine­Veteranen zu schonungsloser
Selbstanalyse. Carter räumt unter
anderem «übermässig autokratisches
Verhalten» ein. Aber natürlich nutzt
der Altpräsident diese Publikation
auch zur Pflege seiner eigenen Le­
gende, wenn er beispielsweise einen
Fallschirmjäger­Oberst aus Georgia
zitiert, der ihm in der Irankrise Nerven­
stärke und eine Haltung «hart wie die
Lippen eines Spechtes» attestiert.
Ronald Reagan geschlagen, Washington
verlassen musste, hatte Carter 5000
Seiten dieser Aufzeichnungen im Ge­
päck, die er nun seiner «Präsidenten­
Bibliothek» übergeben hat. Das Buch
präsentiert ein Viertel der Protokolle
und ist neben einem bilanzierenden
Nachwort von Anmerkungen zu einzel­
nen Einträgen durchsetzt. In diesen
lässt Carter mitunter seiner von Kriti­
kern beklagten Neigung zu Selbst­
gerechtigkeit und Schulmeisterei freien
Lauf. Doch der Leser findet sich meist
auf Carters Seite, wenn dieser etwa sei­
nem immer noch deutlichen Ärger über
Ted Kennedy Ausdruck gibt, der eine
sachgerechte Reform des Gesundheits­
wesens aus reinem Egoismus blockierte.
Weltwirtschaftsgipfel
in Bonn am 1. 1. 1978,
mit (von links) Giulio
Andreotti, Takeo
Fukuda, Jimmy Carter,
Helmut Schmidt und
Valéry Giscard
d’Estaing.
Autor Jimmy Carter
(unten).
AP
Der US­Präsident schickt einen Ver­
trauten nach Bonn, um den
Amerika­kritischen Bundeskanzler
Helmut Schmidt aufzufordern, «end­
lich die Klappe zu halten». Seinem in­
nenpolitischen Herausforderer
Ted Kennedy lässt der Mann im Weis­
sen Haus mitteilen, er werde ihm im
Vorwahlkampf «den Arsch versohlen»:
Wer Jimmy Carter als glücklosen
Präsidenten oder danach als frommen
Kämpfer für die Menschenrechte ein­
gestuft hat, blättert in dem nun erschie­
nenen Tagebuch über seine Jahre im
Oval Office von Überraschung zu
Überraschung. White House Diary
(Farrar, Straus, Giroux 2010, 570 Seiten)
zeigt den Erdnussfarmer aus
Georgia als kühlen Taktiker, aber auch
als kampflustigen Tatmenschen, der
etwa im Gegensatz zu Barack Obama
Gesetzesvorhaben wie die Rückgabe
des Panamakanals bis ins Detail gestal­
tet und dann bei deren Durchsetzung
im Kongress die Regie übernimmt.
Doch daneben findet Carter immer
wieder Zeit für Violinkonzerte seiner
jüngsten Tochter Amy. Der Leser
versteht rasch, dass der inzwischen
86­Jährige in seiner Familie und seinem
Glauben die Kraft fand, seine schier
unüberschaubaren Amtspflichten ziel­
strebig anzugehen. Dass er letztlich
an der Zerrissenheit seiner Partei und
der Unnachgiebigkeit von Ayatollah
Khomeini in der iranischen Geiselkrise
gescheitert ist, mindert den Wert des
Tagebuches nicht.
Doch Carter hat sich weder damals
noch heute selbst von Kritik verschont.
So lobt die «New York Times» in einer
Obwohl sich wichtige Ereignisse wie
die israelisch­ägyptischen Friedens­
gespräche und das Geiseldrama haut­
nah verfolgen lassen, ermüdet die
Lektüre des Tagebuches rasch, da die
Einträge notwendigerweise von Thema
zu Thema springen. In kurzen Zügen
genossen, wirkt das Tagebuch jedoch
erstaunlich anregend, bietet es doch
ungeschönte Einblicke in Carters
Entscheidungsfindung und in seine
Beurteilung von Mitarbeitern und Poli­
tikern. Über die meist nur wenige
Absätze langen Einträge wird dann all­
mählich die eigentliche Herausforde­
rung der Präsidentschaft greifbar:
Letztlich ist der Mann im Oval Office
für seine Entscheidungen allein verant­
wortlich. Dies schafft Distanz selbst zu
engsten Mitarbeitern wie dem Sicher­
heitsberater Zbigniew Brzezinski.
Vermutlich genoss Carter deshalb hei­
tere Momente umso mehr, an denen es
im Tagebuch nicht mangelt. So
protokollierte der Präsident stolz, wie
er den Besuch einer bayerischen
Trachtenkapelle nutzte, um mit seiner
Frau Rosalynn eine flotte Polka
auf das Parkett des Weissen Hauses zu
legen. l
Von Andreas Mink
Agenda
Agenda November 10
Cartoon Freche Bildergedichte
Basel
Freitag, 12., bis Sonntag, 14. November
BuchBasel – Buch­ und Literaturfestival.
Verleihung Schweizer Buchpreis am
14.11. Eintritt: Fr. 16.–/40.–. Messeplatz,
Halle 4.1. Info: www.buchbasel.ch.
Dienstag, 23. November, 19 Uhr
Katharina Hacker: Die Erdbeeren von
Antons Mutter. Lesung, Fr. 15.–. Literatur­
haus, Barfüssergasse 3, Tel. o61 261 29 50.
Bern
Mittwoch, 10. November, 20 Uhr
Marianne Vogel Kopp: Der Spur nach.
Lesung mit Musik. Nydeggkirche,
Nydegghof 2, Tel. 031 351 62 34.
Dienstag, 16. November, 19 Uhr
«Die Stimme sanft, die Schühchen rot / Die Sünde
hasst er auf den Tod», lesen wir bei Hans Traxler zu
Papst Benedikt XVI. Der aus Westböhmen stammende Künstler legt auch mit 81 Jahren ein munteres
Werk ums andere vor. Traxler hat als Mitglied der
Neuen Frankfurter Schule für «Pardon» und «Titanic»
gewirkt; seine Cartoons erschienen in den Magazinen
der «Zeit», der «Frankfurter Allgemeinen» und der
«Süddeutschen Zeitung». Daneben zeichnete, schrieb
und illustrierte er über fünfzig Bücher. Seine zwanzig
neuen, in einem Sommerurlaub entstandenen
Gedichte hat Traxler mit 217 kongenialen farbigen
Zeichnungen illustriert. Ein so lustiges wie freches
Nachwort, das Peter Arno, den langjährigen Cartoonisten des «New Yorker», gegen Alberto
Giacometti in Stellung bringt, ergänzt den schön
gestalteten Band. Manfred Papst
Hans Traxler: Ich, Gott und die Welt. Neue
Bildergedichte. Reclam, Stuttgart 2010. 128 Seiten,
Fr. 30.50.
Sachbuch
1 Bastei Lübbe. 1024 Seiten, Fr. 40.50.
2 Jung und Jung. 320 Seiten, Fr. 33.50.
3
Diogenes. 240 Seiten, Fr. 29.90.
4 Goldmann. 416 Seiten, Fr. 30.50.
5 Diogenes. 416 Seiten, Fr. 38.90.
6 Wunderlich. 320 Seiten, Fr. 27.50.
7 Rowohlt. 736 Seiten, Fr. 33.90.
8 DTV. 460 Seiten, Fr. 22.90.
9 Diogenes. 320 Seiten, Fr. 34.90.
10 Scherz. 303 Seiten, Fr. 21.90.
1 List. 220 Seiten, Fr. 33.90.
2 Droemer/Knaur. 304 Seiten, Fr. 25.90.
3 Bibliographisches Institut. 280 Seiten, Fr. 32.90.
4
Giger. 221 Seiten, Fr. 36.90.
5 DVA. 464 Seiten, Fr. 38.90.
6 Hier + Jetzt. 336 Seiten, Fr. 38.–.
7 Orell Füssli. 320 Seiten, Fr. 39.90.
8 Kiepenheuer & Witsch. 256 Seiten, Fr. 23.50.
9 Piper. 432 Seiten, Fr. 30.50.
AT. 192 Seiten, Fr. 49.90.
10
Hansjörg Schneider: Hunkeler und die Augen
des Ödipus.
Joy Fielding: Das Verhängnis.
Ian McEwan: Solar.
Ildikó von Kürthy: Endlich!
Jonathan Franzen: Freiheit.
Jussi Adler-Olsen: Schändung.
Martin Suter: Der Koch.
Tommy Jaud: Hummeldumm.
Federica de Cesco: Die goldene Kriegerin.
Lesung und Kindermatinee (ab 11 Jahren)
mit Frühstücksbuffet, Fr. 10.–/25.–.
Kornhausbibliothek, Kornhausplatz 18.
Reservation: Tel. 031 327 10 10.
Mittwoch, 3. November, 20 Uhr
Belletristik
Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf.
Sonntag, 21. November, 10 Uhr
Zürich
Bestseller Oktober 2010
Ken Follett: Sturz der Titanen.
Lu Min und Fan Wen. Lesung und
Gespräch mit jungen chinesischen Auto­
ren, Fr. 15.–. Progr, Spichergasse 4,
[email protected].
Natascha Kampusch: 3096 Tage.
Rhonda Byrne: The Power.
Guinness World Records 2011.
Pascal Voggenhuber: Entdecke deine
Sensitivität.
Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab.
Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz.
Daniel Ammann: King of Oil.
Michael Mittermeier: Achtung Baby!
Ronald Reng: Robert Enke.
Annemarie Wildeisen: Das grosse Buch vom
Fleischgaren.
Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 19. 10. 2010. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Doron Rabinovici: Andernorts. Lesung,
Fr. 18.– inkl. Apéro. Literaturhaus,
Limmatquai 62, Tel. 044 254 50 00.
Mittwoch, 10. November, 19.30 Uhr
Rolf Dobelli: Massimo Marini. Lesung
und Gespräch. Polybuchhandlung
Science City, Wolfgang­Pauli­Strasse 14,
Tel. 044 632 42 89.
Mittwoch, 10. November, 20 Uhr
Marcelo Figueras: Der Spion der Zeit.
Lesung, Fr. 18.­ inkl. Apéro. Literaturhaus
(siehe oben).
Montag, 22. November,
20 Uhr
Maile Meloy: Tochter
einer Familie. Lesung,
Fr. 18.– inkl. Apéro.
Literaturhaus (s. oben).
Mittwoch, 24. November, 19.30 Uhr
Alberto Nessi: Nächste Woche, viel­
leicht. Lesung. Zentrum Karl der Grosse,
Kirchgasse 14, Tel. 044 266 85 00.
Bücher am Sonntag Nr. 10
erscheint am 28. 11. 2010
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange
Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11,
8001 Zürich, erhältlich.
31. Oktober 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
PICTUREBALE
Mittwoch, 3. November, 20 Uhr
Hansjörg Schneider:
Hunkeler und die Augen des
Ödipus. Lesung, Fr. 12.–.
Thalia, Freie Strasse 32,
Tel. 061 264 26 55.
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