Trost der Philosophie

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Trost der Philosophie
Trost der Philosophie
Die Philosophie wird in diesem Buch von Alain de Botton als praktischer
Ratgeber für die Fragen des Lebens vorgestellt.
Folgende Aspekte werden beleuchtet:
1) Unbeliebtheit
2) Geldmangel
3) Frustration
4) Unvollkommenheit
5) Gebrochenes Herz
6) Schwierigkeiten.
1. Trost bei Unbeliebtheit
In jeder Gesellschaft gibt es Auffassungen darüber, was einer zu glauben
und wie er sich zu benehmen hat, wenn er sich nicht verdächtig oder
unbeliebt machen will. Manche dieser gesellschaftlichen Konventionen
sind in einer Gesetzessammlung explizit niedergelegt, andere sind Teil
eines umfangreichen Repertoires von eher moralischen und praktischen
Urteilen, die als „gesunder Menschenverstand“ bezeichnet wird. Er
bestimmt wie wir uns kleiden und welchen Wert wir Geld beimessen
sollten, wen wir schätzen, welche Regeln der Höflichkeit wir befolgen und
wie unser häusliches Leben beschaffen sein sollte. Werden Fragen unter
Berufung auf den gesunden Menschenverstand abgewiegelt, dann
deshalb, weil man seine Urteile schlicht für so vernünftig hält, dass sich
genauere Betrachtung erübrigt.
Was gerade für vernünftig erachtet wird, wandelt sich. Zur Zeit Sokrates
fand man nichts dabei, wenn man Sklaven hielt, die für einen die Arbeit
übernahmen.
Sokrates verwickelte einen immer in ein Gespräch, um festzustellen, auf
welchem logischen Fundament die Schlussfolgerungen seines
Gegenübers beruhten. Diese antworteten oft mit Antworten, die damals
dem gesunden Menschenverstand entsprächen. Beispielsweise, dass man
tapfer ist, wenn man sich in der Schlacht nicht zurückzieht, sondern
mannhaft auch in einer scheinbar ausweglosen Situation weiterkämpft.
Sokrates: Von den Lakedaimoniern heißt es, sie hätten bei Plataiai, als
sie auf die Schildträger herangekommen wären, nicht standhalten und
gegen sie kämpfen wollen, sondern wären geflohen; als sich aber die
Reihen der Perser gelöst hätten, hätten sie geradeso wie die Reiter
kehrtgemacht und gekämpft, und so hätten sie die Schlacht gewonnen.
Gezwungen neu nachzudenken, sagte der Befragte: Tapferkeit wäre
Beharrlichkeit. Eine als vernünftig geltende Ansicht. Sokrates wandte ein,
man könne auch beharrlich sein, wenn man unbesonnen ein Ziel
verfolge. In kurzer Zeit offenbart Sokrates also schwerwiegende Mängel
der Definition von Tapferkeit und so geht es mit vielen Ansichten, die
nach ihrer Zeit als vernünftig gelten.
Sie werden auf Meinungen gebaut, statt auf logischen
Schlussfolgerungen und sind daher angreifbar.
Für Sokrates kam ein Leben ohne systematisches Denken einer Tätigkeit
wie dem Töpfern gleich, wenn sie ausgeübt wird, ohne die technischen
Abläufe zu befolgen oder zu kennen. Niemand glaubt ja ein guter Topf
entstünde allein aus Intuition, warum meinen dann viele, die noch
kompliziertere Aufgabe der Lebensführung könne ohne gründliches
Nachdenken über Voraussetzungen oder Ziele in Angriff genommen
werden?
Vielleicht deshalb, weil wir unsere Lebensführung gar nicht für eine
komplizierte Sache halten. Bestimmte Aufgaben sehen, von außen betrachtet,
sehr schwierig aus, andere, nicht minder schwierigere, indes sehr leicht. Zu
vernünftigen Ansichen darüber zu gelangen, wie man leben soll, fällt in die
zweite Kategorie, einen Krug zu machen in die erste.
Sokrates ermutigt uns sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen durch die
Selbstsicherheit von Menschen, die diese Kompexität nicht berücksichtigen.
Die sokratische Denkmethode:
1) Suche dir eine Aussage, von deren Vernünftigkeit Menschen im
Allgemeinen überzeugt sind.
2) Stelle dir nun Situationen oder Zusammenhänge vor, wo diese Aussage
falsch wäre.
3) Wird eine Ausnahme gefunden, muss die Definition falsch oder
zumindest ungenau sein.
4) Die erste Aussage muss abgewandelt werden, um die Ausnahme zu
berücksichtigen.
5) Findet man noch weitere Ausnahmen zu der bereits abgewandelten
Aussage, sollte der Vorgang wiederholt werden. Die Wahrheit, sofern ein
Mensch so etwas überhaupt erlangen kann, liegt in einer Aussage, die
sich nicht widerlegen lässt. Dadurch, dass man ergründet, was etwas
nicht ist, kommt man dem Erfassen dessen, was es ist, am nächsten.
Manchmal wissen wir, dass wir im Recht sind ohne genau sagen zu können,
warum die Alternativen irren. Sokrates bezeichnete dies als wahre Meinung
und stellte ihr die höher einzuschätzende Einsicht gegenüber, welche
einschließt, dass man weiß, warum die Alternativen falsch sind.
Werden umgekehrt wir kritisiert, sollten wir die Kritik nicht an ihrer Anzahl,
sondern an ihren Gedankengängen messen.
Der Philosoph öffnet uns die Augen für zwei gewaltige Irrtümer: Immer oder
niemals dem Diktat der öffentlichen Meinung zu glauben. Seinem Beispiel
folgen wir am besten, wenn wir uns stattdessen bemühen, immer dem zu
glauben, was die Vernunft gebietet.
2. Trost bei Geldmangel
In diesem Kapitel geht es um den Philosophen Epikur und seinem Konzept der
Lust. Er glaubte, dass die Menschen nicht in der Lage sind zu sagen, was sie
glücklich macht. Ebenso wenig wie ein kranker Mensch sagen kann, was ihn
gesund macht und deshalb zum Arzt geht, sollte ein unglücklicher Mensch die
Frage des Glücks den Philosophen überlassen. Epikur sah es als Aufgabe der
Philosophie Menschen vor falschen Vorstellungen zu bewahren.
Was der Epikureer zu seinem Glück braucht:
1. Freundschaft.
Wahre Freunde beurteilen uns nicht nach Allerweltsmaßen, sondern sind
vielmehr am Kern unseres Wesens interessiert; wie bei idealen Eltern hat
unsere Erscheinung oder gesellschaftliche Hierarchie keinen Einfluss auf ihre
Zuneigung zu uns. Epikur wusste, dass eine handvoll Freunde unser Bedürfnis
nach Liebe und Respekt erfüllen können, wie es kein Vermögen vermag.
2. Freiheit
Von Werten und Normen der Gesellschaft. Wer sich außerhalb dieses Rahmens
im Kreis seiner Freunde bewegt, muss niemandem etwas beweisen.
3. Besinnung
Wenn man vernünftig über die allgemeinen Sorgen des Lebens wie Geld,
Krankheit und Tod nachdachte, beruhigt das das Gemüt. Die Sorgen werden
kleiner.
Dinge wie ein schönes Haus oder ein großes Vermögen sind für das Glück
natürlich, aber nicht notwendig. Haben wir uns ein Haus, aber fehlen uns
Freunde, können wir nicht glücklich sein. Freunde, Freiheit und Besinnung
fallen in die Kategorie der natürlichen und notwendigen Dinge zum Glück.
1. Denke dir ein Vorhaben, das Glück verspricht.
2. Stelle dir vor, dass Vorhaben wäre falsch. Suche nach Ausnahmen für die
angenommene Relation zwischen dem Begehrten und Glück. Könnte es
sein, dass man das Begehrte besitzt, aber nicht glücklich ist? Könnte es
sein, dass man glücklich ist, aber das Begehrte nicht besitzt?
3. Wird eine Ausnahme gefunden, so kann das Begehrte kein notwendiger
und hinreichender Grund für Glück sein.
4. Ändere dein Vorhaben so ab, dass deine Glücksannahme stimmig ist.
5. Die tatsächlichen Bedürfnisse können nun ganz anders aussehen als das
erste vage Begehren.
Wenn kostspielige Dinge uns also keine nennenswerte Freude bereiten, warum
ziehen sie uns dann so magisch an?
Wir sind einem Irrtum erlegen. Nämlich dem, dass Gegenstände Bedürfnisse
stillen, die wir nicht verstehen. Daran sind wir nicht schuld, sondern eine
Umgebung, die Luxus und Reichtümer betont, nur selten aber Freundschaft,
Freiheit und Reflexion. Diese Haltung dient dem Interesse der
Wirtschaftsunternehmen.
3. Trost bei Frustration
Seneca hatte die Philosophie von Anfang an als eine Disziplin verstanden, die
Menschen half, Konflikte zwischen Wunsch und Realität zu überwinden. Sein
ganzes Leben war er Augenzeuge außergewöhnlicher Katastrophen gewesen
von denen er auch selbst nicht verschont wurde. 65 vor Christus wird er
gezwungen sich auf Befehl Kaiser Neros selbst umzubringen. Seine
Geisteshaltung ermöglicht es ihm dem Tod gelassen ins Auge zu blicken.
In ihrem Wesen lässt sich jede Enttäuschung auf einen Konflikt zurückführen:
Auf die Kollision eines Wunsches mit einer unnachgiebigen Realität.
Weisheit besteht für Seneca darin, dass wir lernen, den Widerstand der Welt
durch unsere Reaktionen, durch Ausbrüche von Wut, Bitterkeit,
Selbstgerechtigkeit und Paranoia, nicht noch zusätzlich zu verstärken. Ein
Gedanke durchzieht sein gesamtes Werk:
Am besten ertragen wir die Enttäuschungen, gegen die wir uns gewappnet
haben und die wir verstehen; am meisten schmerzen uns die, die wir am
wenigsten erwarteten und die uns unerklärlich bleiben. Die Philosophie kann
uns nicht vor Enttäuschungen bewahren, sehr wohl jedoch vor den in
einhergehenden schädlichen Emotionen.
Wir werden enttäuscht, wenn unsere Erwartungen sich nicht erfüllen. Mit
steigendem Lebensstandard erhöhen sich auch unsere Erwartungen, weshalb
wir umso leichter enttäuscht werden.
Weil das Unerwartete uns die tiefsten Wunden schlägt und wir mit allem
rechnen müssen, weil das „Schicksal vor keinem Wagnis zurückschreckt“,
dürfen wir, sagte Seneca, niemals vergessen, dass eine Katastrophe jederzeit
hereinbrechen kann.
Wir erwarten beispielsweise, dass wir eine Belohnung erhalten, wenn wir Gutes
tun und eine Strafe bei bösen Taten. Die Welt ist jedoch nicht gerecht, daher
kann unsere Erwartungshaltung täuschen.
Gerechtigkeit ist eine Ideologie, die uns zu Schuldgefühlen und Bitterkeit
treiben kann.
Für Seneca war die übliche Form des Tröstens: Die gute Zurede ein potentiell
grausames Mittel. Eingelullt durch rosige Vorhersagen, sind wir auf das
Schlimmste nicht vorbereitet, sollte es uns ereilen.
Seine Philosophie läuft auf folgenden Rat aus: „Wenn du aller Bekümmernisse
ledig werden willst, so stelle dir vor, dass alles, dessen Eintreten du
befürchtest, auch unbedingt eintreten wird.“
So lebte er selber einige Tage als armer Mann und ernährte sich nur von Brot
und Wasser. So würde er leben, hätte er all seine Reichtümer verloren. Indem
er genau wusste, was im schlimmsten Fall auf ihn zukommen würde,
verschwand seine Besorgnis. Armut ist ein schreckliches Los, aber weniger
schrecklich, wie man ohne Kenntnis befürchtet.
Wenn wir verärgert sind, wittern wir überall ein Komplott gegen uns.
Sokrates bezeichnete dies als kleinliche Deutung.
Kleinliche Deutung: Der Bauarbeiter hämmert um mich zu verärgern.
Freundliche Deutung: Der Bauarbeiter hämmert, und ich bin verärgert.
Wir sollten eine schützende Barriere zwischen den Unwägbarkeiten von
draußen und unserem Empfinden aufrichten. Pessimistische Deutungen sind
fehl am Platze. Dinge wie Lärm oder Verspätungen werden dann weiterhin
unerfreulich sein, aber er wird uns nicht mehr in Rage versetzen.
Es geht jedoch nicht darum alles stoisch zu ertragen. Dies gilt nur für
Situationen, die wir nicht ändern können.
4. Trost bei Unvollkommenheit
Montaigne kritisierte die Liebe der Philosophen zur Vernunft. Unbegründetes
Vertrauen in die Vernunft war für ihn die Quelle der Idiotie – und indirekt auch
der Unzulänglichkeit. Wir sind größtenteils hysterische und verblödete, plumpe
und aufgeregte Wesen, mit denen Tiere in vieler Hinsicht Muster an Gesundheit
und Tugend waren. Eine traurige Realität der sich die Philosophie kaum je
zuwandte. Wenn wir unsere Unvollkommenheit hinnähmen und aufhörten uns
eine Überlegenheit anzumaßen, die wir nicht besitzen, würden wir nach
Montainge begreifen, dass wir auf unsere eigene, teils kluge und teils dumme
Art letzten Endes doch ganz passabel sind.
Mit unserem Körper haben wir ein ambivalentes Verhältnis. Es fällt uns schwer
über dessen Unzulänglichkeiten zu sprechen. Etwa dem Drang zu furzen oder
der frühzeitigen Erschlaffung des Penis. Montaigne kreidet an, dass wir in
unserem Leben so vieles von dem aussparen was wir sind. Das betrifft nicht
nur unseren Körper, sondern auch die Kultur in der wir leben. Bestimmte Dinge
und Haltungen gelten als normal. Abweichendes wir schnell als unnormal,
absonderlich diffamiert. Montaigne wollte nicht, dass wir keine
Wertunterscheidungen mehr treffen, sondern die Art und Weise korrigieren,
wie wir diese Unterscheidungen fällen.
Bei der Beurteilung eines Verhaltens war gründliches Nachdenken Mittel der
Wahl und nicht absurde Kriterien wie Vertrautheit.
Montaigne fand seinen Trost in der Lektüre von Büchern, die ihm die Fülle
menschlicher Eigenarten zeigten. Mittels dieser Bücher vermochte er die
Legimität der Anteile seines Ichs zu versichern, für die er in seiner Umgebung
keinen Anhaltspunkt fand. Ein Teil von ihm, wollte 6 Frauen haben, ein
anderer 12 Mal am Tag baden. Mit diesen Ansichten fühlte er sich weniger
allein, wenn er sie ebenfalls in den Berichten und Geschichten von Autoren
wiederfand. Was eine Gesellschaft als absonderlich einstufte, mochte eine
andere als normal begrüßen.
Ein anderer Trost gegen den Vorwurf des Unnormalen ist, Freundschaft, ist ein
Freund – unter anderem – doch einer, der so wohlwollend ist, mehr von uns für
normal zu halten als die meisten Menschen. Wir teilen mit Freunden Ansichten,
die in gewöhnlicher Gesellschaft als zu spitz, als typisch männlich/weiblich, als
zu pessimistisch, blöd, klug oder angreifbar zurückgewiesen werden würden.
Freundschaft ist eine kleine Verschwörung gegen das, was andere für
vernünftig halten.
Fühlen wir uns Unwissenhaft, hat Montaigne auch in dieser Lage Trost zu
bieten. Er unterscheidet 2 Formen des Wissens. Buchwissen und
Lebensklugheit.
Zum Buchwissen gehört alles, was man normalerweise in der Schule und an
der Universität lernt. In Bereichen der Lebensklugheit versagen jedoch diese
Institutionen. Lebensklugheit umfasst die Fragen des täglichen Lebens, die viel
entscheidender für unser Glück sind, als die Kenntnis des Latein oder das
Wissen um den Lauf der Gestirne. Seine Themen sind: Liebe, Sexualität,
Krankheit, Tod, Kinder, Geld und eigenes Streben.
Die Lehren berühmter Menschen und Philosophen zu studieren, ist ein nobles
Unterfange, doch dürfen wir dabei nicht auch unsere eigenen Erfahrungen
kleinreden. Interessante Ideen sind in jedem Leben zu finden. Wie bescheiden
unsere Ideen auch sein mögen, so können wir doch aus uns selbst tiefere
Einsichten schöpfen als aus allen Schriften der Alten zusammengenommen. Wir
alle können kluge Gedanken hervorbringen, wenn wir aufhören, uns selber als
ungeeignet für die Aufgabe zu betrachten, weil wir nicht 2000 Jahre alt sind,
weil uns Platons Dialoge schnuppe sind und weil wir still auf dem Lande leben.
Ein tugendhaftes, gewöhnliches Leben, nach Weisheit strebend und von der
Torheit nie weit entfernt, ist Leistung genug.
5. Trost bei gebrochenem Herzen
Schopenhauer stimmte Montaigne darin zu, dass unser Geist dem Körper
untergeordnet ist, auch wenn wir gleichwohl überheblich das Gegenteil
glauben. Für ihn gab es eine Kraft, die so mächtig ist, dass sie zeitweise
unseren Verstand aushebeln kann. Er nannte diese Kraft den Willen zum
Leben. Und dieser manifestierte sich zum Beispiel bei einem Schiffsunglück, wo
auch Todkranke versuchen mit aller Macht am Leben zu bleiben oder in der
Liebe. Schopenhauer eröffnet uns mit seiner Theorie die Möglichkeit mehr
Nachsicht zu üben gegen das exzentrische Benehmen, in das wir aus Liebe oft
verfallen.
Wenn wir nach Schopenhauer uns in jemanden verlieben, ist der Wille des
Lebens aktiv. Er sucht für uns die passende Frau (den passenden Mann),
welche(r) körperlich am besten zu uns passt und mit der wir das beste Baby
zeugen können. Dabei sind ihm unsere geistigen Vorlieben egal.
Fataler noch sind die Menschen in die wir uns verlieben, fast nie die richtigen
Partner für uns. Das Streben nach persönlichen Glück und die Hervorbringung
gesunder Kinder sind zwei grundverschiedene Unternehmungen, und nur die
Liebe verleitet uns boshafter Weise zu der Annahme, dass sie fielen für die
erforderliche Zeit zusammen. Wir brauchen daher nicht überrascht zu sein,
wenn Menschen heiraten, die nicht einmal befreundet sein könnten.
Der Trost besteht darin, dass wir, wenn wir in der Liebe abgelehnt werden, dies
nicht auf den Charakter der Person zurückführen können oder auf unsere
Unvollkommenheit, sondern darauf, dass wir mit dieser Person keine gesunden
Nachkommen in die Welt setzen könnten.
Erleiden wir Schmerz sollten wir nach Schopenhauer diesen Schmerz in Wissen
verwandeln. Eine gute Möglichkeit besteht darin Kunst und Philosophie zu
studieren. Viele Menschen erkennen sich zum Bespiel in Goethes „Werther“
nicht bloß wieder, sondern verstanden sich schließlich besser, hatte Goethe
doch ein ganzes Spektrum jener kurzen Augenblicke der Verlegenheit zwischen
Liebenden beleuchtet, die seine Leser bis dahin zwar selbst schon durchlebt,
nicht notwendigerweise aber auch verstanden hatten.
Trost bei Schwierigkeiten
Nur wenige Philosophen vermochten Schwierigkeiten viel abzugewinnen. Zu
kluger Lebensführung gehört nach herkömmlichen Verständnis das Bemühen,
Leiden – Unruhe, Verzweiflung, Zorn, Selbstverachtung und Kummer – zu
vermindern.
Nietzsche widersprach diesem Verständnis und erklärte, dass Schwierigkeiten
von allen, die Erfüllung suchen, begrüßt werden sollte.
Nietzsches Modell des „Übermenschen“ war ein Mensch, der ein erfülltes Leben
lebte. Für ihn gehörten dazu 4 Menschen. Goethe, der Abbé Galiani, Henry
Beyle und Montaigne. Was ihr Leben kennzeichnete, war ihre wissbegierigkeit,
die künstlerische Begabung und sexuelle Potenz. Ihre Wesensart vereinte Mut,
Ehrgeiz, Würde, Charakterstärke, Humor und Unabhängigkeit in sich.
Ein weiteres Element war, dass es für diese Männer unmöglich war ein erfülltes
Leben zu leben, hätten sie sich nicht zeitweise auch sehr elend gefühlt. Die
erfüllendsten menschlichen Vorhaben schienen untrennbar verwoben mit
einem gewissen Maß an Qualen.
Erfahrungen wie Hass, Eifersucht, Eigensinn, Misstrauen, Härte, Habgier und
Gewaltsamkeit gehören für Nietzsche zu den begünstigenden Umständen, ohne
die großes Wachstum nicht möglich ist. Niemand kann ohne Erfahrungen ein
großes Kunstwerk erschaffen oder schon beim ersten Versuch ein großartiger
Liebhaber sein. In de Spanne zwischen anfänglichem Scheitern und späterem
Gelingen, in der Kluft zwischen dem, der wir eines Tages zu sein wünschen und
dem, der wir gegenwärtig sind, durchleben wir Schmerz, Angst, Neid und
Demütigung. Wir leiden, weil wir nicht spontan meistern, was Erfüllung
verspricht.
Nietzsche wollte mit der Vorstellung aufräumen, dass Erfüllung leicht zu
erlangen sein müsse, oder gar nicht. Es verleitet uns zu der Annahme vor der
Zeit vor Widerständen zurückzuschrecken, die wir überwunden hätten, wären
wir auf die Härte der Anforderungen vorbereitet gewesen, die alles Wertvolle
mit Recht an uns stellt.
Die Kunst des Lebens besteht darin, unsere Missgeschicke fruchtbar zu
machen.
Wir sollten unsere Unzulänglichkeit als Ansporn verstehen, mehr zu üben und
es anschließend besser zu machen. Schwierigkeiten sollten wir ertragen, statt
ihnen auszuweichen.
Nicht alles, wonach wir uns besser fühlen, ist gut für uns.
Nicht alles, was weh tut, muss unbedingt auch schlecht sein.