LAG Impulspapier
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Impulse für ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept Diskussionspapier der Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein e.V. Impressum Herausgeber Zur Landes-Arbeitsgemeinschaft gehören AWO Arbeiterwohlfahrt Landesverband Schleswig-Holstein e.V Caritasverband für Schleswig-Holstein e.V Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Schleswig-Holstein e.V. DRK-Landesverband Schleswig-Holstein e.V. Diakonisches Werk Schleswig-Holstein Landesverband der Inneren Mission e.V. Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein K.d.ö.R. Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein K.d.ö.R. Weitere Informationen zu diesem Diskussionspapier: Geschäftsstelle der LAG Dänische Straße 17 24103 Kiel Telefon: 0431-33 60 75 Gestaltung/Satz: Nicola Paustian, Diakonisches Werk Schleswig-Holstein Bild © panthermedia.net Dezember 2007 Inhalt 1. Warum ein Gesamtkonzept ? Seite 4 Paradigmenwechsel in der Politik Wachsender Bedarf Die tägliche Praxis 2. Was bedeutet Inklusion? Seite 5 Ein Weg in die Zukunft In der Mitte der Gesellschaft Von Missverständnissen und Ängsten Gemeinsam Neues gestalten mit Kommunen, Land und Bund Hindernisse für ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept 3. Was braucht ein Gesamtkonzept? Seite 7 Ein einheitliches Verfahren Inklusiv-Kommunen Arbeit am Gemeinwesen Die Bürger beteiligen Teilhaben heißt mitbestimmen Ungehindert selbst bestimmen Flexibilität bei den Leistungen Frei von Barrieren 4. Wie lässt sich das Gesamtkonzept umsetzen? Seite 12 Ziele vereinbaren Feststellung des Bedarfs Arbeiten Wohnen Bedingungen für den Wandel 5. Konstruktiv und selbst bestimmt die Richtung wechseln Seite 16 Eine konstruktive Diskussion Eine Entscheidung der Betroffenen Jetzt die Richtung wechseln 3 Impulse für ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept Diskussionspapier der Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein e.V. 1. Warum ein Gesamtkonzept? Paradigmenwechsel in der Politik Die Politik für Menschen mit Behinderungen steht seit der Einführung des SGB IX und seinem Grundsatz der echten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben vor einem Paradigmenwechsel. Bisher orientierten sich die politischen Konzepte im Wesentlichen an zwei Prinzipien: Das Leben von Menschen mit Behinderungen zu normalisieren und sie so weit wie möglich in die Gesellschaft zu integrieren. In den vergangenen Jahren entwickelten sich neue Ansätze für das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. Unter Schlagworten wie „Empowerment“, „Partizipation“ oder „Inklusion“ finden sie Einzug in die Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen. Insbesondere die Leitidee der „Inklusion“ führt dabei für Beteiligte und Betroffenen zu einem Wechsel der Perspektiven. Wachsender Bedarf Gleichzeitig ist die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in die politische Diskussion geraten. Die Gründe dafür liegen im wachsenden Bedarf an Hilfen für Menschen mit Behinderungen und den damit verbundenen Kosten. Die Zahl der Menschen, die Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, ist deutlich gestiegen. Menschen mit Behinderungen werden heute genauso alt wie Menschen ohne Behinderungen. Erstmals seit Ende des Nationalsozialismus erreicht damit die Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Behinderungen natürliche Altersgrenzen, die sich auch Dank verbesserter psychosozialer Versorgung und medizinischem Fortschritt nach hinten verschieben. Die bundesrepublikanische Gesellschaft und in ihrem Auftrag die öffentliche Hand – insbesondere die Sozialhilfeträger – sind also herausgefordert, auch in Zukunft die Eingliederungshilfen für eine wachsende Bevölkerungsgruppe zu finanzieren. Die tägliche Praxis Seit mehr als 100 Jahren setzen sich die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege für Menschen ein, die in ihrer Gesellschaft benachteiligt werden. Dieses Engagement gilt insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein. In den vergangenen 30 Jahren sind hier im Einvernehmen mit Politik und Verwaltung, auf der Grundlage geltender Gesetze und in gemeinsamer Verantwortung mit Land und Kommunen Strukturen geschaffen worden, die Menschen mit Behinderungen betreuen, begleiten und fördern. Diesen Dienst an den Menschen erbringen die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege im engen Dialog mit den Betroffenen, unter Berücksichtigung ihrer Wünsche wie ihrer individuellen Lebensplanungen und auf qualitativ hohem Niveau. 4 2. Was bedeutet Inklusion? Ein Weg in die Zukunft Dass viele Menschen mit Behinderungen bis heute nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, weiß kaum jemand besser als die Betroffenen selbst und die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege. Die Verbände in Schleswig-Holstein begrüßen deshalb das sozialpolitische Konzept der Inklusion und wollen die zur Erreichung des Zieles notwendigen Prozesse offensiv vorantreiben. Denn eine Gesellschaft, die alle einschließt, ist eine starke Bürgergesellschaft. Es gilt also Wege zu finden, die nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern ebenso die Politik, die Verwaltung und alle Bürger einer Kommune verpflichten, ihre Gemeinde so zu gestalten, dass jeder uneingeschränkt am Leben der Gemeinschaft teilhaben kann. Der erste Schritt zur Inklusion ist die Beteiligung aller am Prozess der politischen Meinungsbildung. Die Wohlfahrtspflege in Schleswig-Holstein plädiert deshalb dafür, die individuellen Interessen der Menschen mit Behinderungen in diesem Prozess des Wandels zu klären, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und in der Gegenwart wie in der Zukunft zu sichern. Darüber hinaus gilt es, gemeinsame Interessen der Menschen mit Behinderungen zu identifizieren und mögliche Synergien zu nutzen. In der Mitte der Gesellschaft Behinderung entsteht aus persönlichen Einschränkungen und aus gesellschaftlichen Barrieren. Menschen werden behindert, wenn ihnen der Zugang zum gesellschaftlichen Leben und zum Arbeitsleben versagt wird. Das Konzept der Inklusion formuliert ein klares Ziel: Auch Menschen mit Behinderungen sollen die Chance haben, in vollem Umfang an allen gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Ausgrenzungen – weder gewollte noch ungewollte – darf die Gemeinschaft der Bürger nicht mehr zulassen. Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Konzeptes ist es, Menschen mit Behinderungen die notwendige Unterstützung für ihre gesellschaftliche Teilhabe zukommen zu lassen. Es kann daher zukünftig nicht mehr allein um die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft gehen oder um die Normalisierung eines Lebens mit Behinderungen. Auf dem Weg zur Inklusiv-Gesellschaft muss sich die Gesellschaft vielmehr selber wandeln. Für Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen geht es dabei in erster Linie um die Wahrung und Durchsetzung ihrer Bürgerrechte und die Sicherung ihrer materiellen Grundlagen für ein selbst bestimmtes Leben. Mitunter brauchen sie aber auch individuelle Hilfestellungen, um am gesellschaftlichen Leben überhaupt teilnehmen zu können. Für jene die helfen bedeutet dies, sie müssen ihre vom Gesetzgeber bisher gewollte Beschränkung auf die Behindertenhilfe aufgeben und sich in die Mitte der Gesellschaft begeben. Das bedeutet: Mitsprache bei allen relevanten politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen. Denn es gilt, gemeinsam mit den Betroffenen deren Interessen durchzusetzen und die Voraussetzungen für ihre volle Teilhabe zu schaffen. In vielen Nachbarländern Deutschlands ist dieser gesellschaftliche Wandel bereits weit fortgeschritten; Antidiskriminierungsgesetze, der Ausgleich von Nachteilen und Konzepte wie Inklusion sind hier schon staatliche Ordnungsprinzipien. Mit einer Vielzahl gesetzlicher Initiativen seit der Ergänzung des Artikel 3 GG (v. a. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetzgebung, SGB IX) sind zwar auch in Deutschland inzwischen wesentliche Voraussetzungen geschaffen. Ihre Umsetzung wirft jedoch noch Probleme auf. 5 Von Missverständnissen und Ängsten Noch wird das Konzept einer Inklusiv-Gesellschaft nicht überall verstanden. Es schürt sogar Ängste und artet zuweilen in Zynismus aus. Wer Missverständnissen vorbeugen will, sollte aufklären, erklären und klare Positionen beziehen. Unter keinen Umständen darf der sinnvolle Inklusions-Ansatz missbraucht werden, um Leistungen zu kürzen oder Standards zu senken. Auch der Aufbau eines künstlichen Gegensatzpaares von Selbstbestimmung auf der einen und Fürsorge auf der anderen Seite schafft wenig Vertrauen. Das Gegenteil von Selbstbestimmung ist Fremdbestimmung. Fürsorge hingegen ist humanitäre Verpflichtung. Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist gesetzlicher Auftrag. Ohne Selbstbestimmung ist Teilhabe nicht möglich. Ohne Fürsorge ist ein Gemeinwesen, das allen Menschen offen steht, nicht denkbar. Damit Menschen mit Behinderungen diese Offenheit für sich und die Gemeinschaft nutzen können, müssen sie materiell abgesichert sein, gesellschaftlich akzeptiert und den Zugriff auf die hierfür notwendigen Unterstützungsleistungen haben. Gemeinsam Neues gestalten mit Kommunen, Land und Bund Einerseits begrüßen die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, dass die Eingliederungshilfe in die Hände der Kommunen gelegt worden ist. Diese Hilfen kommen nun aus einer Hand und die Kommunen übernehmen eine größere Verantwortung. Andererseits hat das Bundesland Schleswig-Holstein damit die Möglichkeit abgegeben, auf den Veränderungsprozess in Richtung einer Inklusiv-Gesellschaft gestaltend und steuernd einzuwirken. Für die freie Wohlfahrtspflege bleibt es unerlässlich, dass Qualität und Quantität der Leistungen für Menschen mit Behinderung landeseinheitlich geregelt sind. Die Einsetzung des im Ausführungsgesetz zum SGB XII vorgesehenen Gemeinsamen Ausschusses oder eines anderen vergleichbaren Gremiums halten die Wohlfahrtsverbände deshalb für unverzichtbar. Gleichzeitig fordern sie eine verbindliche und vertraglich festgelegte Teilnahme der Verbände der freien Wohlfahrt und der Selbsthilfe entweder am Gemeinsamen Ausschuss (Gesetzesänderung) oder zum Beispiel an einem Eingliederungshilfeausschuss analog zum Jugendhilfeausschuss. Die Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Behindertenhilfe ist eine umfassende Aufgabe. Alle Beteiligten müssen hier partnerschaftlich eingebunden sein. Es widerspricht dem Grundsatz der Inklusion, wenn diese Aufgabe allein der kommunalen Verwaltungsebene überlassen wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es im Interesse der Menschen mit Behinderungen ist, das Wissen und die Erfahrungen aus vielen Jahrzehnten Behindertenhilfe auszugrenzen. Nur eine Beteiligung der Verbände kann sicherstellen, dass das Konzept der Inklusion realisiert wird, Entscheidungen nicht nach Haushaltslage getroffen, neue Vorgaben wie zum Beispiel das Träger übergreifende Persönliche Budget abgestimmt und verlässliche Verträge aufgesetzt werden. Auf diesem Weg gewinnen die Menschen mit Behinderungen Planungs- und Rechtssicherheit und erhalten sich zum Beispiel auch spezialisierte, überregionale Einrichtungen. Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe als wesentlichen Bestandteil eines neuen behindertenpolitischen Gesamtkonzepts und die Realisierung von uneingeschränkter Teilhabe für Menschen mit Behinderungen sind nicht ohne die Bundespolitik denkbar. Auch hier fordern verschiedene Fachverbände seit langem ein bundeseinheitliches Konzept. Im Land Schleswig-Holstein können Vorschläge entwickelt und abgestimmt werden, die über Bundestag und Bundesrat in den Gesetzgebungsprozess einfließen. 6 Hindernisse für ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept Ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept würde den Konvergenzansatz des SGB IX konsequent fortsetzen. Der Anspruch ist allerdings hoch, denn seit Inkrafttreten des SGB IX sind die Probleme bei der Umsetzung bekanntermaßen groß. Die Sozialhilfeträger ignorieren die Vorgaben des SGB IX, weil sie noch immer den Vorrang allgemeiner Versicherungsleistungen proklamieren. Das gilt insbesondere für die Leistungen der Pflegeversicherung. Dabei haben Gesetzgeber und Rechtsprechung immer wieder die unterschiedliche Funktion dieser Hilfen und die gleichberechtigte Stellung der Eingliederungshilfe gegenüber den Pflegeleistungen klargestellt. Nach wie vor werden insbesondere Menschen mit komplexer Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf auf nicht bedarfsgerechte SGB XI-Pflegeeinrichtungen verwiesen. Gleichzeitig werden komplette Einrichtungen oder Teile von ihnen aus der Eingliederungshilfe in die Pflegeversicherung überführt. Damit Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt an allen gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben können, müssen sie die gleichen Teilhabechancen haben wie Menschen ohne erkennbare Behinderungen. Die Einführung eines Leistungsgesetzes für behinderte Menschen ist deshalb erforderlich. Neben dem Grundsatz der einkommensunabhängigen Bedarfsdeckung muss hier auch der Grundsatz der Individualisierung verankert werden. Denn erst durch die gesetzliche Berücksichtigung besonderer behinderungsbedingter Bedürfnisse würde eine gleichberechtigte Ausgangslage für alle Menschen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geschaffen. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit an verschiedenen Punkten der sozialen Sicherung Änderungen vorgenommen, die zum Teil negative Auswirkungen auf die Versorgungssituation und die Leistungen für Menschen mit Behinderung haben (etwa SGB V, SGB XI). Der selbst gesetzte Anspruch, sich dabei an einem Gesamtkonzept zu orientieren, wurde bislang nicht eingelöst. 3. Was braucht ein Gesamtkonzept? Die Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein hat acht Anforderungen an ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept formuliert. I. Ein einheitliches Verfahren Das Gesetz beschreibt Behinderung als einen komplexen Prozess körperlicher, seelischer oder geistiger Besonderheiten eines Menschen, die im Zusammenhang mit vielfältigen Faktoren seiner Umgebung stehen. Behinderung ist also nicht mit Instrumenten feststellbar, wie dies etwa bei Krankheiten mit Hilfe des internationalen Diagnoseschlüssel ICD 10 geschieht. Nach § 2 SGB IX hilft bei der Feststellung von „Behinderungen im Sinne des Gesetzes“ die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Die Leitgedanken der ICF-Klassifikation machen klar, dass nicht mehr individuell vorhandene, gesundheitliche Probleme (Schädigungen und Funktionseinschränkungen) als Behinderung angesehen werden können. Vielmehr gilt nach WHO heute als Behinderung, wenn die Interaktion zwischen einem Individuum und seiner materiellen und sozialen Umwelt gestört oder nicht entwickelt ist. Dieses mehrdimensionale ICF-System ist bisher noch nicht zu einem funktionierenden Instrument für die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation weiterentwickelt worden. Dies zu tun wäre eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn ein geeignetes Verfahren zur Feststellung von Behinderung und dem damit verbundenen Teilhabebedarf muss zum einen die individuelle 7 Situation des Menschen beleuchten. Zum anderen aber auch die Welt, in der er lebt und die dort vorhandenen oder fehlenden Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Auf die Notwendigkeit eines solchen einheitlichen Verfahrens haben die Wohlfahrts- und Fachverbände in den vergangenen Jahren wiederholt hingewiesen. Bereits im September 2006 wurde der Landespolitik deshalb ein gemeinsames Positionspapier der Wohlfahrtsverbände vorgelegt. Es schlägt ein einheitliches Verfahren vor, das den Bedarf für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermittelt. Für die Menschen mit Behinderungen ist die Feststellung ihres Bedarfs von zentraler Bedeutung; aus ihm lassen sich die Leistungsansprüche ableiten. Ist dieses Verfahren einheitlich, dann können von Region zu Region höchst unterschiedliche Bedarfsfeststellungen bei ein und derselben Person nicht mehr vorkommen. Die Entscheidungen der Verwaltung werden transparent und für die Betroffenen überprüfbar. Rechtssicherheit ist für alle Beteiligten die Folge. Denn das Verfahren wird mit einer gerichtlich überprüfbaren Entscheidung des Leistungsträgers (Verwaltungsakt) beendet und enthält nachvollziehbare Aussagen zum Bedarf an Fremdverantwortung und ihrer Regelung. II. Inklusiv-Kommunen Die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe hat dazu geführt, dass heute alle Leistungen aus einer Hand erbracht werden. Die örtliche Entscheidungsebene wurde gestärkt. Doch es reicht nicht, den Kommunen nur die organisatorischen und finanziellen Zuständigkeiten zu übertragen. Auch die Strukturen und Auffassungen in den Kommunen müssen sich im Sinne der neuen Aufgabenstellung grundlegend wandeln. Im Rahmen eines Inklusions-Konzeptes werden gesonderte Welten, in denen Menschen mit Behinderungen bisher leben und arbeiten, allmählich verschwinden. Deshalb sind Konzepte gefragt, die den sozialen Raum einer Kommune derart gestalten, dass Menschen mit und ohne Behinderungen dort uneingeschränkt gemeinsam leben können und Zugang zu Wohnraum, Arbeit, Kultur und Bildung erhalten. Ähnlich wie in Schweden müssen die Kommunen – unabhängig von der Finanzierungsfrage – diesen Anspruch gewährleisten und gesetzlich garantieren. In einer Inklusiv-Kommune haben alle Menschen gleichberechtigten Zugang zu kommunalen Dienstleistungen. Mehr noch: Sie werden bereits im Vorfeld bei der Planung, Gewährung und Weiterentwicklung ihrer Dienstleistungen miteinbezogen. Und dies gilt auch für Menschen mit schweren Behinderungen, die einen hohen Bedarf an Hilfe und Unterstützung haben. Um ihre Rechte und die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wahrzunehmen, brauchen sie den Zugang zu umfassenden und ambulanten Dienstleistungen der Gemeinde. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ ist zwar in der sozialhilfefinanzierten Eingliederungshilfe gesetzlich geregelt, in der derzeitigen Praxis aber nicht durchgängig realisiert. Die regionalen Unterschiede sind zum Teil gravierend. Mit Sicherheit könnten weitaus mehr Menschen mit Behinderung mit ambulanten Dienstleistungen unterstützt werden, als dies heute der Fall ist. Solange sich aber leistungsrechtliche Zuständigkeiten, die sachgerechte Ausstattung ambulanter Systeme und die Behindertenfreundlichkeit von Kommune zu Kommune unterscheiden, werden sich auch die ambulanten Angebote auf höchst unterschiedlichem Niveau bewegen. Die Folge ist, dass die Leistungen für Menschen mit Behinderungen sich nicht nur an ihrem individuellen Bedarf orientieren, sondern auch an der Behindertenkultur der jeweiligen Kommune und dem gerade vorhandenen Angebot an Einrichtungen und Dienstleistungen. 8 Bei schwer und mehrfach behinderten Menschen erfolgt in der Regel ein fast automatischer Verweis auf die stationäre Hilfe. Dabei ist dieser Automatismus keineswegs sachlich begründet. Die Schwere der Behinderung ist weder unter rechtlichen, fachlichen noch ökonomischen Gesichtspunkten ein zwingendes Argument für die Zuordnung zur einen oder anderen Form der Hilfe. Deshalb stellt das Sozialhilferecht auch nicht auf dieses Kriterium ab, sondern erlaubt je nach Lage des Einzelfalles eine stationäre Hilfe dann, wenn ambulante Hilfe nicht zur Bedarfsdeckung führt. Dabei spielen … • das individuelle Ausmaß und Erscheinungsbild des Hilfebedarfs, • die vor Ort gegebenen Möglichkeiten zum bedarfsgerechten Arrangement von Hilfen und • vor allem die Fähigkeit der Betroffenen zur eigenverantwortlichen Nutzung solcher Hilfeangebote … die entscheidende Rolle. Zu berücksichtigen ist hier insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der betroffenen Menschen. III. Arbeit am Gemeinwesen Die Hilfen müssen zu den Menschen kommen, nicht die Menschen zu den Hilfen. Mit Behinderungen in einer Kommune zu leben, bedeutet in kleinen Einheiten, allein oder auch in einer Einrichtung zu wohnen. Und dabei Unterstützung zu erhalten, die auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten ist. Vor allem aber bedeutet es Wahlmöglichkeiten zu haben und den Zugang zu Bildung, Beschäftigung und zum sozialen wie kulturellen Leben in der Gemeinde. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Strukturen für die Arbeit am Gemeinwesen aufgebaut und finanziert werden. Wesentlich dabei ist die Stärkung von Selbstvertretungs- und Selbsthilfeorganisationen, die Vernetzung bereits vorhandener Angebote (trägerübergreifend), der Auf- und Ausbau von niedrigschwelligen Hilfen wie Begegnungsstätten und von Beratungsstellen, die in den vergangenen Jahren eher gekürzt und abgebaut wurden. Zu dieser Entwicklung wesentlich beitragen kann der Auf- und Ausbau einer starken Beteiligungskultur (Runde Tische, Beiräte, Beauftragte, AGs nach § 4 SGB XII…). Das Gemeinwesen hat die Verantwortung, diese notwendigen Dienstleistungen zu entwickeln und bereitzustellen. Erst dann wird die Behindertenhilfe ein Teil der kommunalen Infrastruktur sein und sich nicht mehr nur auf den sozialen Bereich beschränken. IV. Die Bürger beteiligen Die Kommunen sind aufgefordert, verschiedenste Formen öffentlicher, privater und ehrenamtlicher Unterstützungen zu entwickeln, zu mobilisieren und zu koordinieren. Erst wenn sich die Bürger einer Kommune an der Gestaltung ihres Gemeinwesens beteiligen, erst wenn sie Menschen mit Behinderungen als Nachbarn, Arbeitskollegen und beim gemeinsamen Theaterbesuch akzeptieren, erst dann ist die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen am Leben der Gemeinschaft gewährleistet. Auf diesen Wandel im Bewusstsein müssen die Menschen vorbereitet werden. Vor allem die sozialen Regeldienste müssen sich gegenüber Menschen mit Behinderung öffnen und ihnen den Zugang zu ihren Dienstleistungen ermöglichen. Die Spezialdienste müssen ihrerseits stärker mit den Regeldiensten kooperieren. V. Teilhaben heißt mitbestimmen Im SGB IX wird mit Partizipation die umfassende beziehungsweise aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beschrieben. Dies bedeutet nicht nur, in 9 Kommunen mit barrierefreier Infrastruktur zu leben. Es heißt vielmehr auch, dass Menschen mit Behinderungen dort, wo sie von Entscheidungen betroffen sind, ein Recht auf Mitbestimmung haben und ausüben. Diese Mitbestimmung wird das Verhältnis von Professionellen und Betroffenen verändern. Beide Seiten werden dabei neue Positionen einnehmen müssen. Die Professionellen werden sich viel stärker als bisher in partnerschaftliche Verhandlungsprozesse mit den Menschen mit Behinderungen begeben. Die Menschen mit Behinderungen müssen ihre Mitbestimmungsrechte nutzen und zu stärkerem eigenverantwortlichem Handeln finden. Mitbestimmungsmöglichkeiten zeichnen sich auf folgenden Ebenen ab: • • • • VI. Stärkere Beteiligung des Menschen mit Behinderung an dem Teilhabebedarfsfeststellungsverfahren. Stärkere Beteiligung bei der Gestaltung von Einrichtungen, bei der Planung von Maßnahmen, etc. Stärkere Beteiligung an kommunalpolitischen Planungen und Entscheidungen (z. B. kommunaler Behindertenbeirat oder Behindertenbeauftragter). Stärkere Beteiligung bei der Kontrolle von Dienstleistungen (z. B. Nutzerkontrolle). Ungehindert selbst bestimmen Neben der Partizipation ist die Selbstbestimmung ein zentraler Wert der Inklusions-Kultur. Selbstbestimmung heißt, ein eigenes Leben zu führen und auf wichtige Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Um Menschen mit Behinderungen in größere Selbstbestimmung zu führen, ist mitunter ein unterstützendes Management erforderlich. Damit würde auch der Gedanke des Wunsch- und Wahlrechtes Realität werden, der seit 2001 im SGB IX verankert ist. In diesem Zusammenhang sieht die freie Wohlfahrtspflege in Schleswig-Holstein die Notwendigkeit, dass bei einer zunehmenden ambulanten Betreuung auch von geistig oder seelisch behinderten Menschen der Lebensunterhalt hinreichend gesichert bleibt. Eine vernünftige wirtschaftliche Lebensführung unter den derzeitigen Bedingungen der Sozialhilfe kann bei Menschen mit Behinderung weder vorausgesetzt noch in jedem Fall dauerhaft erreicht werden. Es ist nicht im Sinne der Betroffenen, bedarfsdeckende Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfen zu erhalten und gleichzeitig beim Lebensunterhalt in die Unterversorgung zu rutschen. Genau diese Unterversorgung droht aber nach dem Außerkrafttreten des BSHG. Denn besondere Bedürfnisse behinderter Menschen können nicht mehr – wie früher üblich – durch einmalige Leistungen aufgefangen werden. Dies bedeutet für die Betroffenen eine massive Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Den Zugang zu Einmalhilfen wieder zu eröffnen, ist deshalb ein wichtiger Beitrag, Menschen mit Behinderungen den Weg zu Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe zu bereiten. VII. Flexibilität bei den Leistungen Für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Sinne eines InklusionsKonzeptes ist die Durchlässigkeit der Leistungsformen von großer Bedeutung. Die bisherige Einteilung der Leistungen in „ambulant“, „teilstationär“ und „stationär“ sollte insbesondere im Bereich des Wohnens einer größeren Flexibilität weichen. Eine Leistung muss sich stets am konkreten Bedarf eines Menschen orientieren. Fließende Übergänge oder auch nur die teilweise Nutzung von stationären Angeboten (nicht gleichzusetzen mit der Einführung von Regionalbudgets) 10 können hier zu individuellen Lösungen führen. Damit diese flexiblen Leistungsangebote nicht an Hindernissen wie Belegungszahlen, Investitionsförderung oder politischen Finanzierungsvoraussetzungen scheitern, sollten gemeinsam Lösungen erarbeitet werden (Verweis zu diesem Themenkomplex auf die Ausführungen des Deutschen Vereins). Bei individuellen und flexiblen Angeboten muss nicht jede Leistung durch hoch qualifizierte Fachkräfte angeboten werden. Die Verbände begrüßen die zunehmende Anerkennung und Wertschätzung ehrenamtlichen Engagements. Sie betonen jedoch, dass die Voraussetzung für ein längerfristiges und verlässliches Funktionieren von ehren- und nebenamtlicher Unterstützung die Beratung, Qualifizierung, Koordination dieser engagierten Menschen ist. Hierfür wiederum müssen (hauptamtliches) Personal und Finanzen eingeplant werden – ebenso wie für die Absicherung der Leistungen beim Ausfall von ehren- oder nebenamtlichen Kräften. Stationäre und ambulante Hilfen sind in den Regionen höchst unterschiedlich verteilt. Der Anteil ambulanter Hilfen am gesamten Versorgungsangebot lässt sich nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände deutlich steigern. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass in jeder Region sowohl ambulante wie auch stationäre Angebote vorhanden sind. In vielen Fällen ist ambulante Hilfe für Menschen mit Behinderung die attraktivere Form der Unterstützung. Aufgrund der steigenden Nachfrage und dem gleichzeitigen Bemühen die durchschnittlichen Fallkosten zu begrenzen, empfiehlt sich ebenfalls die Stärkung ambulanter Angebote. Die Verbände teilen jedoch nicht die Auffassung, dass mit der steigenden Nachfrage nach ambulanten Hilfen in jedem Einzelfall zwangsläufig Kosteneinsparungen verbunden sind. Dies würde lediglich dann eintreten, wenn ambulante Leistungen Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf verschlossen blieben. Eine andere Kostenverteilung kann jedoch die Träger der Eingliederungshilfe entlasten. Eine Überführung stationärer in ambulante Hilfeformen mit der automatischen Verknüpfung von Budgetbegrenzungen oder Sparerordnungen durch die Kostenträger verbietet sich. Das würde dem Einzelfall nicht gerecht werden und bei den Betroffenen, ihren Angehörigen und den betreuenden Mitarbeitern Ängste und Abwehr auslösen. Menschen mit Behinderungen benötigen wie andere Menschen auch gerade in Veränderungsprozessen Sicherheit und Unterstützung. Die Unterscheidung, ob ein Leistungsangebot „stationär“ oder „ambulant“ ist, ist für Menschen mit Behinderungen in der Regel nicht relevant. Es kann deshalb erforderlich werden, die mit dem Vorhalten stationärer Infrastruktur verbundenen Kosten greifbar und so weit wie möglich bausteinförmig addierbar zu machen. Die bisher untrennbare Verbindung von „Hotelleistungen“ mit behindertengerechten Angeboten muss im Rahmen einer solchen Entwicklung kein zwingendes Kennzeichen stationärer (fremd verantworteter) Hilfe mehr sein. Sie wird aber auch weiterhin vorkommen müssen etwa als Angebot für schwerst und mehrfach behinderte Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Das Verfahren, mit dem der Hilfebedarf, die entsprechenden Leistungen und der Verantwortliche für deren Sicherung festzustellen ist, wird diesen Punkt gesondert zu berücksichtigen haben. Wenn sich hier Lösungen ergeben, würde mit dem Wegfall der Vollversorgung in stationären Einrichtungen auch die besondere Form der Kostenbeteiligung von Menschen mit Behinderungen durch Heranziehung ihres gesamten Einkommens (§ 88 SGB XII) entfallen. 11 VIII. Frei von Barrieren Eine Kommune, die ihr gesellschaftliches Leben allen Menschen öffnet, verfügt über keinerlei materielle oder immaterielle Barrieren mehr (Umsetzung bereits vorhandener rechtlicher Vorgaben). Dies gilt für die gesamte bauliche Infrastruktur der Gemeinde wie auch für die Planung und Förderung von barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen. Die Öffnung verlangt aber auch ein Vorgehen, dass alle Politik- und Gesellschaftsbereiche erfasst, damit Menschen mit Behinderungen in allen relevanten Zusammenhängen und Rollen am Leben der Kommune teilhaben können. Erste Schritte in diese Richtung sind: • • • • der konsequente Abbau von baulichen und sozialen Barrieren in der kommunalen Infrastruktur, die konsequente Entwicklung einer trägerübergreifenden regionalen Bedarfsermittlung und Angebotsplanung unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderung und ihrer Vertrauenspersonen, die Förderung ambulanter Angebote und betreuter Wohnmöglichkeiten und die Schaffung ergänzender Begegnungs- und Beratungsmöglichkeiten. 4. Wie lässt sich das Gesamtkonzept umsetzen? Um ein behindertenpolitisches Gesamtkonzept im Rahmen einer neuen Inklusions-Kultur umzusetzen, müssen unter anderem die folgenden Eckpunkte in der Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen realisiert werden. Sie sollten in Schleswig-Holstein gegebenenfalls auf der Basis von Zielvereinbarungen modellhaft erprobt werden. Ziele vereinbaren I. Freie Wohlfahrtspflege, Kommunen und das Land Schleswig-Holstein vereinbaren auf der Grundlage gemeinsamer Leitlinien und Ziele verbindliche Absprachen (Zielvereinbarungen) zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein. II. Auf der Grundlage des Inklusions-Konzeptes sollen folgende Ziele erreicht werden: • • • • • Die Ausgestaltung personenorientierter statt institutionenorientierter Leistungen und Ansprüche. Die Stärkung des Wunsch- und Wahlrechtes der Menschen mit Behinderungen. Die Sicherung der Qualität der Leistungen und der Leistungserbringung (einschließlich der Qualität der Arbeitsbedingungen). Die Begrenzung des Kostenanstiegs. Vereinfachung des Zugangs (Beantragung, Begutachtung, Abklärung von Zuständigkeiten und Teilhabebedarf) zu Leistungsträger-übergreifenden Hilfen. Diese Zielvereinbarungen beziehen sich auf modellhafte Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Leistungen. Sie legen die von den jeweiligen Partnern zu erledigenden Aufgaben, Zeitpläne, das Monitoring, die Kriterien zur Zielerreichung und weiteres fest. 12 Feststellung des Bedarfs Land, Kommunen und Verbände verpflichten sich, gemeinsam auf ICF-Basis Eckpunkte zur Vereinheitlichung des Hilfeplanverfahrens zu entwickeln. Arbeiten Im Bereich Arbeit und Werkstätten ist eine Reihe von Maßnahmen möglich. Die Positionen der Verbände der Wohlfahrtspflege bewegen sich hier derzeit zwischen zwei Polen, die unten dargestellt werden. Position A: I. Teilhabeplanung Es wird modellhaft ein Verfahren zur Teilhabeplanung entwickelt und erprobt. In das Verfahren sind alle (insbesondere die vorrangigen) Rehabilitationsträger miteinbezogen und kooperieren mit den Leistungserbringern (Hilfeplankonferenz). Das Verfahren wird mit anerkannten Instrumenten zur Erfassung des Teilhabebedarfes und zur Qualitätssicherung durchgeführt. An dem Verfahren ist eine koordinierende Bezugsperson beteiligt. II. Eingangsverfahren Es werden Modelle zur Durchführung des Eingangsverfahrens außerhalb der Werkstatt erprobt. III. Flexible Formen der Werkstattleistung Berufsbildungsbereich außerhalb der Werkstatt unter Nutzung des allgemeinen Arbeitsmarktes oder Mischformen wie Werkstattplätze in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes. Joint Ventures zwischen Werkstätten und Unternehmen (gemeinsame Produktionsstätten). Entwicklung neuer Arbeitsangebote (z.B. subventionierte Leistungen für das Gemeinwesen) alternativ zum ersten Arbeitsmarkt. IV. Übergang Werkstatt – Arbeitsmarkt Ziel ist es, die bundesweit durchschnittliche Integrationsquote von 0,24 Prozent in Schleswig-Holstein deutlich zu steigern. Benchmarking der Integrationsquoten der Werkstätten. Budget für Arbeit (Modell Rheinland-Pfalz). Kooperationsmodelle WfbM – Integrationsfachdienst. Integrationskonzepte in Zusammenarbeit mit Sozialhilfeträger – ArGe. Sicherung der Nachhaltigkeit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (z.B. durch Arbeitsassistenz und berufliche Begleitung). V. Alternative Formen zur Werkstatt Vergleichbare Leistungen zur Werkstatt im Arbeitsmarkt ausgestalten (unterstützte Beschäftigung). Individuelle Berufsplanung, Erstellung eines Fähigkeitsprofils, Erprobung in Praktika, Arbeitsplatzsuche, Arbeitsplatzanalyse und Anpassung, Qualifizierung am Arbeitsplatz. Langfristige Nachsorge, Begleitung und bei Bedarf Kristenintervention. VI. Vernetzung Es werden regionale Entwicklungspartnerschaften unter Einbeziehung aller Leistungsträger, Leistungserbringer, Kooperationspartnern aus der Wirtschaft begründet (analog zu Equal). Regionale Zentren zur Teilhabe am Arbeitsleben. In enger Kooperation mit Servicestellen, gebildet aus Leistungsträgern und Leistungserbringern (Werkstätten, Integrationsfachdiensten, Rehabilitationseinrichtungen), in Kooperation mit Partnern aus der Wirtschaft können 13 Aufgaben der Beratung und Information, der Teilhabeplanung, der Beratung von Budgetnehmern, der Organisation integrierter Leistungen erbracht werden. Einbindung von Betriebsärzten und Ergotherapeuten in das Netzwerk zur Optimierung der Arbeitsplatzgestaltung und Förderung von Ressourcen der Beschäftigten. Position B: zu II. Eingangsverfahren Da das Eingangverfahren gem. § 40 SGB IX i. V. m. § 3 Werkstättenverordnung integraler Bestandteil der Werkstattleistung ist, kann es als diagnostisches Verfahren aufgrund der gesetzlichen Zielsetzung (s.u.) nicht außerhalb der Werkstatt durchgeführt werden. zu III. Flexible Formen der Werkstattleistung Der Berufsbildungsbereich ist gem. § 40 SGB IX i. V. m. § 4 Werkstättenverordnung integraler Bestandteil der Werkstattleistung. Berufliche Bildung und Arbeitsbereich können durch den Träger der Werkstatt im Rahmen der Werkstattleistung mit geeigneten Kooperationspartnern auch außerhalb der Werkstatt durchgeführt werden. Und zwar: unter Nutzung des ersten Arbeitsmarktes oder in Mischformen wie etwa Werkstattplätzen in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes. Joint Ventures zwischen Werkstätten und Unternehmen (gemeinsame Produktionsstätten) sind ebenso denkbar wie die Entwicklung neuer Arbeitsangebote (z.B. subventionierte Leistungen für das Gemeinwesen) als Alternative zum ersten Arbeitsmarkt. Zur Begleitung und Betreuung von Werkstattbeschäftigten in diesen Angebotsformen können besonders geeignete Fachkräfte von der Werkstatt beschäftigt werden. Menschen mit Behinderungen, die im Rahmen der oben erwähnten Angebote zum Beispiel zeitweise als Beschäftigte im ersten Arbeitsmarkt tätig sind, müssen die Möglichkeit erhalten, zu einer Beschäftigung im Rahmen des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses in eine Werkstatt zurückzukehren. Wohnen Schaffung begünstigender Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechte ambulante Betreuung behinderter Menschen. Aufgabe der zuständigen Sozialhilfeträger und der Kommunen ist es, begünstigende Rahmenbedingungen für den Ausbau ambulanter Hilfen für behinderte Menschen zu schaffen. Auch ist von ihnen Sorge zu tragen, dass diese Hilfen von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen auch akzeptiert werden. Dazu gehören unter anderen: • Individuelle und langfristige Leistungssicherheit. • Verlässliche und auskömmliche Finanzierung ambulanter Leistungen. • Wohnortintegrierte Versorgungsangebote. • Niedrigschwelliege und quartiersintegrierte Unterstützungsleistungen wie Beratungs- und Begegnungsmöglichkeiten sowie die Sicherung von Krisendiensten. • Die Absicherung wohnprojektgebundener Hilfen wie mobile Hausmeisterdienste, mobile Haushaltshilfen u.v.a.m. • Barrierefreiheit in Bezug auf öffentliche Wege, öffentliche Verkehrsmittel, öffentliche wie privatgewerblich genutzte Gebäude, etc. • Genaue umwelt- und sozialraumbezogene Analysen von Risiken und Gefährdungspotentialen sowie entsprechende Präventionsmaßnahmen. • Die Nutzbarkeit der gesamten Gemeindeinfrastruktur für Menschen mit Behinderungen (z. B. Schwimmbäder und Sportstätten, Freizeiteinrichtungen, Kulturangebote). 14 • Eine regionale Angebotsplanung und eine Versorgungsverpflichtungsklärung der Kommune. Bedingungen für den Wandel Auch Dienste und Einrichtungen stellt eine solche Veränderung des Systems vor erhebliche Herausforderungen. Damit der Wandel gelingt, sind jene Bedingungen umzusetzen, die eine Neuorientierung fördern (z. B. Strukturhilfen und Anreizprogramme). I. Aufhebung der Trennungen zwischen ambulant und stationär Es werden Modelle erprobt, Angebote im Verbund auszugestalten und dabei die Trennung von ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen aufzuheben. Dies schließt auch die Weiterentwicklung von Angeboten zur Tagesstrukturierung mit ein. Es werden Modelle zur Ermittlung von Hilfebedarfsgruppen erprobt und im Kontext des Landesrahmenvertrages SGB XII von den Vertragspartnern im Sinne differenzierterer, modularer Leistungen fortentwickelt. II. Umwandlung stationärer Plätze Nach vorheriger Absprache mit den Wohlfahrtsverbänden werden Modelle erprobt, wie stationäre Plätze in ambulante Betreuungsformen umgewandelt werden können. Eine Trennung von Unterkunft, Verpflegung/Versorgung und Betreuung (Art und Umfang) wird umgesetzt. Dazu gehört auch die Klärung, wie mit den Investitionskosten umgegangen wird. III. Budgetfinanzierungen Es werden alternative Finanzierungsformen erprobt, die eine höhere Flexibilität ermöglichen. IV. Leistungen aus einer Hand Der Sozialhilfeträger wird alleiniger gesetzlich bestimmter Beauftragter der Rehabilitationsträger (Teilhabe-Agentur), um eine Leistungsgewährung aus einer Hand gegenüber den leistungsberechtigten Menschen sicherzustellen. Es ist möglich, dass einer der im SGB IX aufgeführten Rehabilitationsträger als gesetzlich Beauftragter der anderen Träger bestimmt wird. Dies sollte nach Auffassung der Wohlfahrtspflege der Rehabilitationsträger mit dem inhaltlich umfassendsten und nachhaltigsten Leistungsauftrag und der umfassendsten Erfahrung sein. Er erbringt die eigenen wie die grundsätzlich in fremder Verantwortung stehenden Leistungen aus einer Hand und erhält von den vertretenen Leistungsträgern im Zuge eines möglichst einfach zu haltenden Abrechnungsverfahrens eine pauschale Kostenerstattung. Im Bereich der Krankenhilfe, die die gesetzlichen Kassen für den Sozialhilfeträger erbringen, wird dies seit 2004 praktiziert und scheint problemlos zu funktionieren. Die Einführung eines Leistungsgesetzes für Menschen mit Behinderungen ist notwendig. Ohne ein solches Leistungsgesetz ist die Bestimmung eines einzigen Leistungsträgers als allein zuständigem Träger für alle Rehabilitations- und Teilhabeleistungen nicht möglich. Die Verbände in Schleswig-Holstein machen sich für eine entsprechende Bundesratsinitiative des Landes Schleswig-Holstein stark. 15 5. Konstruktiv und selbst bestimmt die Richtung wechseln Eine konstruktive Diskussion Die Verbände der Wohlfahrtspflege wünschen sich eine konstruktive Diskussion auf dem Wege zu einem behindertenpolitischen Gesamtkonzept im Sinne des Inklusions-Gedankens. Die derzeitige, in vielerlei Hinsicht nicht befriedigende Situation des Systems von Unterstützungs- und Hilfeangeboten ist das Ergebnis gesellschaftlicher, politischer und gesetzlicher Weichenstellungen aus der Vergangenheit. Auf Basis dieser Entscheidungen ist von den Sozialleistungsträgern und den freien Wohlfahrtsverbänden das gegenwärtige System erarbeitet worden. Eine Weiterentwicklung dieses Systems, seine stärkere Fokussierung auf die individuellen Interessen der Menschen und der Ausbau ambulanter Angebote kann nicht allein von den Diensten und Einrichtungen geleistet werden. Gesellschaftspolitische und leistungsrechtliche Grundlagen sind dafür zu schaffen. Die Menschen mit Behinderungen, ihre Vertrauenspersonen und Angehörigen müssen an diesem Prozess beteiligt werden. Eine Entscheidung der Betroffenen Der Umbau des Systems hat unmittelbare Auswirkungen auf jene Menschen, die derzeit in stationären Einrichtungen leben. Ihnen auch mit Anreizen die Möglichkeit zu eröffnen, in Zukunft sicher und mit der notwendigen Unterstützung außerhalb dieser Einrichtungen zu leben, ist von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig sind aber auch die Entscheidungen von Menschen zu akzeptieren, die nach vielen Jahren weiterhin ein Leben in ihrer Einrichtung vorziehen. Wohlverstandene, nicht eingrenzende Fürsorge wird auch weiterhin für Menschen mit Behinderungen notwendig sein. Einige von ihnen sind in Lebensabschnitten oder in bestimmten Lebenssituationen als Gestalter eines selbständigen und selbst verantworteten Lebens überfordert. Für andere gilt dies sogar ein Leben lang. Gleichwohl ist mit geeigneter und sensibler Unterstützung häufig mehr an Selbstbestimmung und selbst verantworteter Gestaltung möglich, als oft angenommen wird. Für diese Menschen trägt der fürsorgende Sozialstaat die Verantwortung. Seine Aufgabe ist es, ihnen ein Leben in Achtung und Würde in der Gemeinschaft mit allen Bürgern zu garantieren und ihnen die notwendigen Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Jetzt die Richtung wechseln Das in Deutschland noch neue, in anderen Ländern seit langem praktizierte Konzept der Inklusion weist über die gegenwärtigen Normalisierungs-, Selbstbestimmungs- und Integrationskonzepte weit hinaus. Es ist der Anknüpfungspunkt für eine notwendige gesamtgesellschaftliche Entwicklung in Deutschland. Denn Inklusion bedeutet: • die gesellschaftlichen Gegebenheiten zu betrachten, • Behinderungen mit neuen Augen zu sehen und • einen schwerwiegenden Richtungswechsel in der Sozial- und Rehabilitationspolitik zu vollziehen. Die neue Richtung betrachtet nicht mehr die Menschen mit ihren Beeinträchtigungen als Ausgangspunkt für Diagnosen und Interventionen. Die neue Richtung betrachtet die gesellschaftlichen Strukturen und Barrieren, die Menschen ausgrenzen oder behindern. Inklusion bedeutet deshalb, die Strukturen zu verändern, die Barrieren zu beseitigen, damit jeder Mensch in der Mitte der Gesellschaft seinen Platz findet. Um diesen Wechsel der 16 Perspektive und der Richtung zu meistern, sind Bund, Länder und Kommunen aufgefordert, die Akzeptanz für eine Gesellschaft, die alle einschließt, nachhaltig zu fördern. Die Verbände der Wohlfahrtspflege stellen sich mit ihren Vorschlägen konstruktiv diesem Dialog. 17