Mythos, Mystik, Religion, Teil 2 John Zorn und das
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Mythos, Mystik, Religion, Teil 2 John Zorn und das
Mythos, Mystik, Religion, Teil 2 John Zorn und das Übernatürliche Anfang der 1990er Jahre postulierte John Zorn die „Radical Jewish Culture“. Zunächst passte dies in Zorns Gesamtwerk. Er war stets ein Extremist gewesen, Grenzen hatten ihm einzig zur Überschreitung gedient. Mit „Kristallnacht“ ging es los, eine provokante Aufarbeitung der Judenvernichtung. Was anfangs noch wie eine kurzzeitige Provokation aussah, entpuppte sich schnell als zentrales Element in der Musik und Selbstwahrnehmung des platonischen Avantgardisten, der erst kurz zuvor den Juden in sich entdeckt hatte. Masada mit Dave Douglas, Greg Cohen und Joey Baron wurde zum langlebigsten Band-Projekt des Saxofonisten. Woher kam nun diese politisch religiöse Neuaufstellung? Bis zu diesem Zeitpunkt war es Zorn doch ausschließlich um ästhetisch formale Statements gegangen. Doch der Schein trog. Zorn hatte sich schon immer von den großen Glaubensfragen angezogen gefühlt. Text: Wolf Kampmann Radical Jewish Culture Nun ist John Zorn nicht der erste Künstler, der im Angesicht seines 60. Geburtstages nach neuen Inhalten sucht. Pop, egal ob man ihn von seiner mystischmythologischen oder kommerziell kalkulierten Seite betrachtet, betont immer die Oberfläche. Es ging um den äußeren Knalleffekt, der einem größeren Publikum eine Pforte zu Inhalten vermitteln sollte, zu dem sonst nur eine Elite Zutritt hätte. Zorn war damit erfolgreich, doch nach Abschluss dieser Periode verlangte es ihn wieder nach inhaltlicher Tiefe. Die „Radical Jewish Culture“ war eine Möglichkeit, weit über den eigenen Focus hinaus aktiv zu werden, eine Bewegung zu initiieren, die völlig neue Akzente setzte. John Zorn wurde zum Hohepriester einer neuen jüdischen Art-Guerilla, äußerlich zu erkennen an Army-Hose, Lederjacke und Gebetsriemen. Nicht alle Statements jener Tage waren wirklich durchdacht, vieles flipperte zwischen Reflexion und Reflex. Doch mit dem 1992 gemeinsam mit Marc Ribot verfassten Pamphlet zum Münchner ArtProjekt warf er Fragen auf, die so noch nie gestellt worden waren. „Gibt es spezifisch jüdische musikalische oder kulturelle Werte“, fragen Zorn und Ribot im Programmheft zu dem bis heute nachwirkenden Großereignis, „die allen Musikern gemeinsam sind? Sind diesen Künstlern, von denen viele in keiner Weise religiös sind oder keinen Kontakt mit dem Judaismus pflegen, irgendwelche jüdischen Paradigmen in ihrer Arbeit gemeinsam?“ Und weiter: „Muss jüdische Musik per se hebräische Skalen und jüdische Themen verwenden, oder ist jüdische Musik nicht einfach nur Musik, die von Juden gespielt wird?“ Schließlich die entscheidende Frage, die wieder den Bogen zur New Yorker Avantgarde schließt: „Inwieweit hat die traditionelle jüdische Eigenart, die unterdrückten Elemente aus anderen Kulturen zu verteidigen und aufzunehmen, zur Patchwork-Musik beigetragen, die in den Achtziger Jahren aus New York kam?“ Dass Zorns Hauptband zur damaligen Zeit nach der Festung Masada, ein militantes Fanal des antiken jüdischen Widerstandes gegen die römische Besetzung, benannt wurde und sein neues Label Tzadik (auch Zaddik, im Hebräischen so viel wie „Rechtschaffender“, zugleich ein hoher Titel im Chassidismus) hieß, zeigt die Radikalisierung und Fokussierung auf traditionell jüdische Inhalte, die aber formal durchaus nicht immer genuin jüdischer Prägung sein mussten. Es ging nicht darum, sich zur jüdischen Tradition zu bekennen, sondern mit der Haltung eines Juden künstlerisch tätig zu sein. Im Sinne Zorns wäre auch ein Woody Allen oder Philip Roth Vertreter der „Radical Jewish Culture“, genauso wie er Marc Bolan oder Serge Gainsbourg posthum dazu erklärte. Mit derartigen Bestrebungen war Zorn zu diesem Zeitpunkt nicht allein, denn auch Michael Dorf, damals Chef des New Yorker Avantgarde-Imperiums Knitting Factory, rief die Bewegung JAM ins Leben, die für „Jewish Alternative Music“ stand. Zorns eigene RJC-Projekte wie Masada oder Bar Kokhba waren wichtige Stationen auf dem Weg einer Neu-Definition seiner künstlerischen Persönlichkeit. Ungleich nachhaltiger war jedoch der Effekt, den diese Bewegung bis heute auf eine Szene hat, die sich nicht zuletzt mittels Internet international in Position gebracht hat. Jüdische Musiker aus der ganzen Welt – von den USA über Ost- und West-Europa bis nach Mexiko und Israel können auf dieser Plattform unterschiedlichste formale Bekenntnisse veröffentlichen, die von Klezmer über Metal und Noise bis Tango oder Latin reichen, um nur einige stilistische Facetten zu nennen. Zorn selbst war bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends der Radikalste unter den Radikalen und der Gerechteste unter den Gerechten. Sein ideologisch orthodoxer Extremismus erhielt nicht zuletzt durch Nine/Eleven noch einmal Auftrieb. Doch mit der Zeit wurde seine Haltung moderater. In seiner Serie „Book Of Angels“ ließ er Kompositionen, die für Masada entstanden waren, auch von nichtjüdischen Künstlern interpretieren, erwähnt seien nur Medeski Martin & Wood oder jüngst Pat Metheny. Wie Jazz selbstverständlich nicht nur von Schwarzen gespielt werden kann, wurde es für Zorn zur Normalität, dass jüdische Musik nicht nur von Juden gespielt werden muss. Eine Art Assimilierung des radikal jüdischen Konzepts in den international virtuellen Avantgarde-Alltag. Dieser abermalige und nur konsequente Sinneswandel wurde nicht zuletzt dadurch gefördert, dass Zorn sich einmal mehr neuen Inhalten öffnete. Christliche Mystik Seit kurzer Zeit beschäftigt sich John Zorn zusehends mit christlichen Motiven, die er ebenso provokant einzusetzen weiß wie vormals seine Bekenntnisse zu Sport, Pop und jüdischer Kultur. Alben wie „Templars In Sacred Blood“ oder „A Dreamers Christmas“ wie auch sein bislang nicht auf CD erschienenes Singspiel „The Holy Visions“ über Hildegard von Bingen mögen für manch eingefleischten ZornAfficionado überraschend sein. Aber wer die Genealogie seiner Aufarbeitung von Mythen aufmerksam verfolgt, wird sie nur folgerichtig finden. Die Mystik seines Antriebs bestand immer aus einer Faszination für das jeweils Gegensätzliche. Freie Improvisation – Streichquartett, Avantgarde – Pop, Noise – Easy Listening: Das sind nur drei der Gegensätzlichkeiten, die sich meist zeitnah in Zorns Werk ausmachen lassen. Da liegt es nur auf der Hand, dass er gar nicht anders kann, als sich mit genuin christlichen Inhalten auseinanderzusetzen, wenn er zuvor anderthalb Jahrzehnte in Sachen jüdischer Kultur unterwegs war. Es sind einmal mehr die Mythen und Mysterien, die ihn faszinieren. Die friedliche Mystik der Hildegard von Bingen, das ungelöste Rätsel um die Tempelritter, das er mit Mike Patton, Trevor Dunn, Joey Baron und John Medeski auf seinem GothicAlbum „Templars In Sacred Blood“ bis zum Exzess auslebt, und nicht zuletzt der Symbolismus des christlichen Naturmystikers William Blake, dem er auf „A Vision In Blakelight“ huldigt. Eine tiefe Durchdringung des Wesens des Christentums aus sich selbst heraus, wie bei seiner Beschäftigung mit jüdischen Themen, ist bei diesen neueren Produktionen bislang nicht zu verzeichnen. Aber er steht damit noch am Anfang, und dieser ist von purer Faszination gekennzeichnet. Nicht zu vergessen sind in diesem Kontext seine „Alhambra Love Songs“ (gespielt von Rob Burger, Greg Cohen und Ben Perowsky), die sich mit ätherischer Leichtigkeit jenem spanischen Wunderschloss widmen, in dessen Mauern und Springbrunnen maurischer, jüdischer und christlicher Genius zusammenfließen. John Zorn ist auf einer beständigen Reise zum spirituellen Ursprung der Dinge. Mittlerweile erscheinen im Monatstakt neue Alben des unermüdlichen Klangforschers, der offenbar Angst hat, die Zeit könnte ihm davon laufen. Und je weiter er auf dieser Reise vorankommt, desto mehr wird er selbst zum Mythos.