Kardiopulmonale Reanimation Die neuroprotektive milde

Transcrição

Kardiopulmonale Reanimation Die neuroprotektive milde
2009;104:487–95 (Nr. 6), © Urban & Vogel, München
487
JOURNAL CLUB
Aktuelle internistische Literatur referiert und kommentiert
In dieser Ausgabe (DOI 10.1007/s00063-009-1100-0):
Intensivmedizin
Sebastian Wortmann, Sebastian K.G. Maier
• Kardiopulmonale Reanimation
Christian Keicher, Arne Schäfer, Marianne Abele-Horn,
Sebastian K.G. Maier
• Infektionsprävention
Jan Becher, Sebastian K.G. Maier
• Thrombolyse während der kardiopulmonalen
Reanimation
Onkologie
Alexander H. Jakob
• Prostatakarzinom
Todesursache bei älteren Männern mit Prostatakrebs
• Verhinderung von Krebs durch Selen und Vitamin E
SELECT-Studie
Gastroenterologie
Alexander H. Jakob
• Erstmalige Dyspepsie
Wirkung und Kosteneffizienz bei Step-up- versus Stepdown-Therapie mit Antazida, H2-Rezeptorantagonisten
und Protonenpumpeninhibitoren (DIAMOND-Studie)
Kardiopulmonale Reanimation
Die neuroprotektive milde Hypothermie nach kardiopulmonaler Reanimation ist
eine sichere Therapie und führt nicht zu einer Zunahme von Rhythmusstörungen
Hintergrund
Die milde therapeutische Hypothermie
(HT; 33 °C über 24 h) verbessert das
neurologische Outcome und reduziert
die Mortalität von Patienten, die wegen
Kammerflimmern kardiopulmonal reanimiert werden mussten. Dies war
2002 in zwei prospektiven Studien in
Europa und Australien belegt worden
[1, 2] und führte zu einer entsprechenden Empfehlung durch das ILCOR (International Liaison Committee on Resuscitation). Der Mechanismus der Neuroprotektion ist allerdings
noch nicht ausreichend verstanden,
diskutiert wird eine Verlangsamung
diverser zerebraler Stoffwechselvorgänge, die u.a. zu einer geringeren
Radikalenfreisetzung und einer Reduktion des Reperfusionsschadens
führt. Andererseits ist in anderen Arbeiten im Zusammenhang mit akzidenteller oder postoperativer HT eine
Zunahme von Herzrhythmusstörungen
beschrieben worden, die prinzipiell
problematisch werden können. In der
hier vorgestellten Arbeit sollte evaluiert
werden, ob dies auch für die therapeutische HT nach Reanimation gilt [3].
Unter Herzfrequenzvariabilität
(HRV) versteht man die vor allem
durch das autonome Nervensystem
bestimmte Modulationsmöglichkeit der
Herzfrequenz als Anpassungsreaktion
auf äußere Stressoren. Die HRV wird
zur Risikostratifizierung z.B. nach
Herzinfarkt, bei Herzinsuffizienz oder
bei Multiorganversagen verwendet. So
ist nach einem Herzinfarkt eine Abnahme der HRV mit einer erhöhten
Mortalität assoziiert. Gleiches konnte
auch für das neurologische Outcome
nach Schädel-Hirn-Trauma und ischämischem Insult nachgewiesen werden.
Fragestellung
Führt eine milde HT-Behandlung bei
Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation zu einer Zunahme von
Herzrhythmusstörungen, und stellt die
HRV einen prognostischen Marker
nach Reanimation dar?
Patienten und Methodik
Insgesamt 70 Patienten im Alter von
18–75 Jahren wurden in die Studie des
Helsinki University Hospital, Finnland,
eingeschlossen [3]. Einschlusskriterien
waren kardiopulmonale Reanimation
außerhalb des Krankenhauses bei Kammerflimmern oder anhaltender ventrikulärer Tachykardie (VT). Zeigte ein
Patient sofort nach Reanimation adäquate verbale Reaktionen, wurde er
nicht eingeschlossen. Alle Patienten
erhielten eine Analgosedierung mit
Midazolam und Fentanyl, ferner Pancuronium zur Verhinderung von kältebedingtem Muskelzittern; ein Blutzucker von 10 mmol/l (ca. 180 mg/dl)
und ein mittlerer systolischer Blutdruck
von 80 mmHg wurden angestrebt. Bei
Aufnahme in die Klinik erfolgte eine
Randomisierung entweder in die
HT-Gruppe, die mittels Oberflächenkühlung auf eine Körperkerntemperatur von 33 °C für 24 h eingestellt wurde, gefolgt von einer 12-stündigen
Wiedererwärmung, oder in die Normothermie-(NT-)Gruppe, die sofort in
einen normothermen Bereich gebracht
und ab 38 °C antipyretisch behandelt
wurde. Es wurden drei Langzeit-EKGs
in den Zeiträumen 0–24 h und 24–48 h
nach Aufnahme sowie 2 Wochen
später unter normaler körperlicher
Aktivität ausgewertet. Hierbei wurden
die Anzahl supra- und ventrikulärer
Extrasystolen pro Stunde sowie die
Anzahl von VTs bzw. Kammerflimmern erfasst. Ferner wurden während
Phasen mit Sinusrhythmus die HRVParameter berechnet. Das neurologische Outcome wurde nach 6 Monaten mit der Pittsburgh Outcome Scale
ermittelt; dabei wurden CPC-Scores
(„cerebral performance categories“)
von 1 (normale zerebrale Funktion)
über 3 (wach, aber schwere zerebrale
Schädigung) bis 5 (verstorben) vergeben.
488
Med Klin 2009;104:487–95 (Nr. 6)
JOURNAL CLUB
Ergebnisse
Die beiden Gruppen zeigten keine
Unterschiede in Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Vormedikation,
Zeit bis zum Beginn der Laienreanimation, Dauer bis zur Wiedererlangung
eines stabilen Kreislaufs, Anzahl der
Defibrillationen, kumulativer Dosis
von Suprarenin oder Glasgow Coma
Scale bei Aufnahme in die Klinik. Auch
die Ätiologie des Herzstillstands war in
beiden Gruppen gleich verteilt. Im
HT-Arm lagen die Kreatinkinase(CK-)Werte bei Einschluss signifikant
höher, und der CK-MB-Anteil fiel
ebenfalls langsamer als im NT-Arm. In
beiden Gruppen verstarb ein Patient
innerhalb der ersten 24 h im kardiogenen Schock. Die mittels transthorakaler Echokardiographie planimetrierte
Pumpfunktion unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht.
Gleiches galt auch für die QRS-Zeit.
Zwei Patienten in der HT- und sechs
Patienten in der NT-Gruppe hatten
während aller drei EKG-Aufzeichnungen durchgehend Vorhofflimmern,
wobei dieses bei allen vorbekannt war.
In keiner Gruppe kam es zum Auftreten von AV-Blockierungen. Erwartungsgemäß war die mittlere Herzfrequenz in der HT-Gruppe in den ersten
24 h signifikant niedriger als in der
NT-Gruppe. Während der ersten 48 h
war die Anzahl von ventrikulären Extrasystolen und Couplets in der
HT-Gruppe signifikant höher als in der
NT-Gruppe, kein Unterschied bestand
diesbezüglich zwischen den Patienten
mit einer Ejektionsfraktion > 35% bzw.
≤ 35%. Die Anzahl der Episoden mit
Kammerflimmern oder anhaltenden
VTs unterschied sich in den beiden
Studienarmen nicht. Nach 14 Tagen
fanden sich in keinem der ermittelten
EKG-Parameter Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. In Bezug
auf die HRV zeigte sich in der
HT-Gruppe eine signifikant höhere
SDNN (Standardabweichung aller Abstände zweier Herzschläge) als in der
NT-Gruppe, Gleiches galt für die
SDANN (Standardabweichung des
Mittelwerts der Herzschlagintervalle in
allen 5 min der gesamten Aufzeichnung), was zusammenfassend als brei-
teres Frequenzspektrum in der HTGruppe beschrieben werden kann.
Auch hierfür ergaben sich nach 14 Tagen keine Unterschiede mehr, wobei
einschränkend darauf hingewiesen werden muss, dass zu diesem Zeitpunkt
bereits die meisten Patienten mit
schlechter Prognose verstorben waren.
In der HT-Gruppe fanden sich nach
6 Monaten grenzwertig signifikant
mehr Patienten mit einem CPC-Score
von 1 oder 2 als in der NT-Gruppe.
Dies galt nicht für die Gruppen mit
schlechtem Outcome entsprechend
einem CPC-Score von 3–5. Kein signifikanter Unterschied bestand auch
im Intervall von der Reanimation bis
zum Todeszeitpunkt zwischen den
Gruppen. Innerhalb der HT-Gruppe
konnte für die HRV-Parameter
SDANN und SDNN im Zeitraum
24–48 h eine Assoziation mit gutem
Outcome belegt werden. In einer Multivarianzanalyse konnte innerhalb der
HT-Gruppe für eine SDNN > 100 ms
und für eine kürzere Zeit bis zur Wiedererlangung eines stabilen Kreislaufs
eine Assoziation mit gutem Outcome
belegt werden.
Schlussfolgerung
Die HT-Behandlung nach kardiopulmonaler Reanimation stellt eine auch
in Bezug auf Rhythmusstörungen sichere Behandlungsmaßnahme dar. Lediglich eine Zunahme von ventrikulären Extrasystolen konnte gesehen
werden, aber kein Unterschied in den
schwerwiegenderen Rhythmusstörungen Kammerflimmern oder anhaltende
VT. Dies galt auch, obwohl die CKWerte in der HT-Gruppe signifikant
höher waren als in der NT-Gruppe und
somit größere Herzinfarkte anzunehmen sind. HRV-Parameter können zur
Prognoseabschätzung mit herangezogen werden.
Kommentar
Die wichtigste Erkenntnis dieser Studie
ist die Sicherheit der milden HT-Behandlung nach Reanimation in Bezug
auf mögliche Herzrhythmusstörungen.
Somit sollte diese Behandlung aufgrund
der bekannten Datenlage keinem Pa-
tienten vorenthalten werden, der die
Kriterien der ILCOR-Leitlinien erfüllt.
Einschränkend muss angeführt werden,
dass im mit 70 Patienten eher kleinen
Studienkollektiv insgesamt nur sehr
wenige relevante Rhythmusstörungen
auftraten: So waren lediglich zwei Episoden von behandlungspflichtigen VTs
in der HT-Gruppe und eine Episode
in der NT-Gruppe zu verzeichnen,
diese bereits vor Einleitung der HT.
Kammerflimmern trat bei drei Patienten der HT- und nur bei einem Patienten der NT-Gruppe auf. Unterstützt wird die Einschätzung der Sicherheit von HT in Bezug auf Rhythmusstörungen aber durch das größere
Patientenkollektiv der Studien aus dem
Jahre 2002, in denen auch keine relevanten Rhythmusstörungen berichtet
wurden [1, 2].
Ob sich allerdings die Abschätzung
des gesamten, insbesondere des neurologischen Outcomes anhand der genannten konventionellen HRV-Parameter in einem größeren Kollektiv
ebenfalls bestätigt, bleibt abzuwarten,
da die Erhöhung der HRV-Parameter
auch durch die HT an sich erklärt werden kann. So geht eine HT-bedingte
Senkung des Herzindex mit einer Erhöhung der HRV-Parameter einher;
auch könnte die unter HT verbesserte
Myokardfunktion diese Erhöhung erklären. Aufgrund der Tatsache, dass die
Studie nicht die Power besaß, die aufgeführten positiven Effekte der Neuroprotektion zu bestätigen, erscheinen
die prognostischen Daten der hier
durchgeführten HRV-Analyse
schwach. Diesbezüglich besteht zukünftiger Klärungsbedarf durch größere Studien, auch inwieweit vielleicht
neuere HRV-Parameter hier substantieller beitragen können.
Sebastian Wortmann,
Sebastian K.G. Maier, Würzburg
Literatur
1. The Hypothermia After Cardiac Arrest Study Group.
Mild therapeutic hypothermia to improve the neurologic outcome after CA. N Engl J Med 2002;
346:549–56.
2. Bernard SA, Gray TW, Buist MD, et al. Treatment
of comatose survivors of out-of-hospital cardiac arrest with induced hypothermia. N Engl J Med
2002;346:557–63.
3. Tiainen M. Arrhythmias and heart rate variability
during and after therapeutic hypothermia for cardiac arrest. Crit Care Med 2009;37:403–9.

Documentos relacionados