Franziskanische Anfragen Predigt Fest des
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Franziskanische Anfragen Predigt Fest des
Franziskanische Anfragen Predigt Fest des Heiligen Franziskus 6. Oktober 2013 Innenstadtkirche St. Ludwig Darmstadt Meine Schwestern, meine Brüder, Papst Franziskus fordert die Kirche und also auch uns in einem rasenden Tempo heraus sich zu erneuern und Maß zu nehmen am Evangelium Jesu. Am Fest des Heiligen Franziskus von Assisi nun pilgerte er zu den Stätten, an denen der einst reiche Kaufmannsohn Giovanni Bernardone - von seinem frankophilen Vater und seinen Freunden Francesco genannt - den Anruf des Evangeliums vernahm und sich gerufen fühlte seine „Habe“ zu veräußern, um mit dem armen Christus arm zu sein. Er hatte offensichtlich die Erfahrung gemacht, dass die „Habe“ die Sehnsucht des Menschen zu „sein“ nicht nur unerfüllt lies, sondern dass sie blind mache für die Würde derer, die nichts hatten. Zudem hatte er erlebt, dass die Fixierung auf die „Habe“ einen Krieg um das Kapital auslöste. Er hatte erfahren, dass die Vergötzung des Mammons den Menschen um jenen Frieden bringe, den die Welt nicht geben kann. Wie eine Befreiung vom Ge-Habe der High-Society erschienen ihm die Worte Jesu: „Nehmt nichts mit auf Euren Weg“ (Mt 10,10 par.) oder „Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24).So begann er das Lob der Armut zu singen. Jahrhunderte später wird Nietzsche dichten: Den Sträflingen des Reichthums, deren Gedanken kalt wie Ketten klirren, gilt mein Lied Papst Franziskus begab sich vergangenen Freitag in die Oberkirche der Basilika San Francesco in Assisi. Er wollte dort in aller Ruhe die auf der Vorder- und Rückseite reproduzierten Fresken Giottos ansehen und auf sich wirken lassen. Auf der Vorderseite: der Traum des Papstes. Er sieht den Armen aus Assisi die schwerreiche und der Welt angepasste Kirche stützen und vor dem Einsturz retten. Ist das nicht der Traum dieses Papstes? Dass die Kirche sich – ich zitiere den mutwillig missverstandenen Benedikt XVI. - „entweltliche“, also vor der Anpassung an die Mechanismen und Strukturen einer Welt hüte und sich ebendieser Strukturen entkleide, die Unheil, Krieg, soziale Ungerechtigkeit und den Triumpf des Mammon über die Menschlichkeit bewirkten und manifestierten. Wir erwarten von Papst Franziskus, dass er den Zerfall der Kirche aufhalte und der Kirche eine Stütze sei, dass er sie von Christus her wieder aufbaue und uns ermutige nicht weiter „mondäne Zuckertorten-Christen“ zu sein, sondern „wirkliche Christen“ (Papst Franziskus anlässlich der Speisung der Armen im Bischofspalais von Assisi 4.10.2013 ), die dem menschgewordenen Gott „menschlich“ und das heißt als „menschenfreundliche“ Zeitgenossen folgen, die statt mit erhobenem Zeigefinger den Menschen mit Güte begegnen. Wer die Augen verschließt vor dem, was vor Lampedusa geschieht; vor dem, was in Syrien sich abspielt; vor dem, was in unseren Alten- und Pflegeheimen an Not und Vereinsamung sich breit macht; wer nicht den Schrei der Armen weltweit und vor unseren Haustüren hört; wer nicht die „Armut“ der Reichen wahrnimmt; wer sich nicht der Barmherzigkeit und Menschlichkeit verschreibt, dürfte sich schwerlich einen Christen nennen. Es ist wohl Zeit umzukehren. Das sage ich nicht zuerst Ihnen, sondern mir. Wenn mir doch wenigstens kleine Zeichen einer Umkehr gelängen! Oder darf ich auch sagen: wenn uns kleine Zeichen der Umkehr gelängen! Wenn sich wenigstens unsere Wahrnehmung verschöbe und sich erweiterte um die, die leiden, die deklassiert, die an der Armutsgrenze leben. Wenn wir wenigstens aufhörten sie unsererseits zu deklassieren mit Bemerkungen wie: „Sie könnten doch arbeiten!“ oder „Hier fällt so leicht keiner durch das soziale Netz!“ Wenn wir doch irgendwie begönnen nicht einer naiven Sozialromantik das Wort zu reden, sondern an der Realität des Evangelium Jesu Maß zu nehmen! Sie spüren. Ich rede ganz ins Unreine. Weil ich mit mir angesichts der mahnenden Wortes des Papstes und des Beispiels seines Namenspatrons nicht im Reinen bin. Ich will mich sowohl von dem Franziskus des dreizehnten als auch von dem des einundzwanzigsten Jahrhunderts in Frage stellen lassen. Ob wir uns mit Papst Franziskus für einen Augenblick an die Orte begeben sollten, an denen Giovanni Bernardone - genannt Franceso – seine „Bekehrung“ erlebte. Wir werden das ab kommenden Freitag im Laufe einer Woche mit den Firmbewerberinnen und Firmbewerbern: mit Viola, Carina, mit Sarah, mit Laura, Irene, Sophia und Jadwiga, mit Noah, mit Leon und Felix, tun. Warum sollte ich Ihnen nicht die Fragen zur Kenntnis bringen, mit denen wir sie an diesen Orten in die Stille schicken. Wir – die Katecheten – werden uns mit ihnen anfragen lassen. Warum nicht auch Sie? Möglicherweise stellt sich die eine oder andere Frage auch Ihnen. I Der Papst wies mit Blick auf die über der Stadt thronende Rocca Maggiore auf den Traum des jungen Franziskus hin als Ritter im Kampf hohe Ehren zu erlangen. Nach verlorenem Kampf geriet er in eine gehörige Identitätskrise. Die Fragen: Welche Träume habe ich für meine Zukunft? Was glaube ich davon umsetzen zu können? Wie gehe ich mit geplatzten Träumen um? Wie sind meine Lebensträume entstanden? Für was / wen gebe ich meine Träume auf? Mit wem spreche ich über meine Pläne / Träume? Wie gehe ich mit Krisen um? Glaube ich, dass Gott eine Idee für mein Leben hat? Was will ich in meinem Leben anpacken / aufbauen? II Papst Franziskus erinnerte an das ausschweifende Leben des jungen Francesco, der rauschende Feste gab und seinen Reichtum genoss. Die Fragen: In welchen Kreisen bewege ich mich? Bin ich ein „Opfer“ der Spaßgesellschaft? Habe ich Augen nur für die „Schönen“ und „Reichen“? ist es (mein gesellschaftliches Leben) mir manchmal zu viel? III Papst Franziskus zog sich während seines Tages immer wieder zurück. Er betete alleine vor dem Kreuz in San Damiano. Er fuhr alleine zu der Einsiedelei „Eremo delle Carceri“ in den Bergen. Die Fragen: Hatte ich jemals den Eindruck, dass Gott zu mir spricht? Wer / was spricht in mir, wenn ich schweige? Welche Erfahrungen mache ich mit dem Gebet? Für was / wen will ich leben? Spüre ich in mir einen Ruf, dieses oder jenes zu tun? Habe ich je gebetet? IV Papst Franziskus suchte zu Beginn seines Besuches den Kontakt zu schwerstbehinderten Kindern und Jugendlichen. Er erinnerte mit dieser Geste daran, dass Franziskus einst in den Aussätzigen jenseits der Stadt Christus begegnet zu sein glaubte. Die Fragen: Habe ich Mitleid? Oder bin ich selbstbezogen? Erkenne ich im leidenden Christus Gott? Oder träume ich – wenn ich an Gott denke - „Allmachtsphantasien“? Erkenne ich in den Armen, den Aussätzigen unserer Tage, der „Armut“ meines Partners Christus? V Papst Franziskus besuchte den „Saal der Entkleidung“ , in dem sich Franziskus von Assisi nicht nur seiner kostbaren Gewänder begab und sich nackt in die Arme des Bischofs flüchtete, sondern von seinem Vater dem Kaufmann Pietro Bernadone lossagte . Die Fragen: Welche Gefühle werden in mir wach, wenn ich an meinen Vater / an meine Mutter denke? Was heißt für mich „erwachsen“ werden? Wo setze ich mich von meinen Eltern ab? Wo fühle ich mich ihnen verbunden? Welche Züge meiner Eltern entdecke ich in mir? Wo bin ich mit meinen Eltern im Konflikt, wo im Einverständnis? Empfinde ich Gott als Vater / als Mutter? Was müßte ich ablegen um ich selbst zu sein? VI Papst Franziskus besuchte am Freitagabend die Kapelle Portiuncula. Dort hörte Franziskus den Priester das Evangelium lesen, in dem Jesus seine Jünger auffordert nichts mit auf den Weg zu nehmen und desgleichen tat. Er liebte diesen Ort der Befreiung sein Leben lang. Die Fragen: Was bedeutet mir materieller Besitz? Wähle ich mein Studienfach und meinen Ausbildungsplatz vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten oder höre ich in mich hinein und folge meinem inneren Wunsch, der meinen Begabungen entspricht? Befinde ich mich mit meinem Wunsch „etwas zu werden“ auf dem Holzweg? Bin ich ein „Sein-Mensch“ oder ein „Haben-Mensch“? Welche Worte / Erlebnisse berühren mich? Welche Worte / Erlebnisse haben mich verändert? Glaube ich von der Heiligen Schrift für mein Leben Orientierung erwarten zu dürfen? Wo finde ich Orte, an denen ich mich wohl fühle und an denen mein Inneres zu mir spricht? Welchen Ort liebe ich besonders? Gebe ich mir Mühe Räume / mein Zimmer / meine Wohnung so zu gestalten, das ich / dass andere sich in ihnen wohlfühlen? VII In einer sehr bewegenden und völlig unverkrampften Art und Weise begegnete Papst Franziskus den Schwestern der heiligen Klara. Es war als begegnete die männliche der weiblichen Kirche. Der Papst selbst sprach von einer Begegnung mit den Müttern der Kirche. Im Hintergrund: die Doppelsendung Klaras und Franziskus‘ von Assisi. Die Fragen: Nehme ich mich als Mann / Frau wahr? Wie will ich als Mann / als Frau sein? Welches Verhältnis habe ich zu meinem Körper? Sehne ich mich nach Sexualität? Macht mir Sexualität Angst oder empfinde ich angesichts ihrer ein Unbehagen oder kann ich sie als gute Gabe Gottes annehmen und genießen? Begreife ich Sexualität als Ausdruck meiner Psyche und meines Gefühls? Mit wem kann ich vertrauensvoll über Fragen der Sexualität offen und vertrauensvoll sprechen? Fragen über Fragen. Ich erinnere mich, dass zu meinen Jugendzeiten in unserer Pfarrei – übrigens St. Franziskus - ein fremder Priester eine Predigt voller Fragen hielt. Ich empörte mich und verlangte vom Prediger, dass er Antworten gebe. Er lächelte. Heute weiß ich, dass Fragen eine eminente Bedeutung haben. Nicht nur weil sie uns an-fragen, weil sie uns in Frage stellen, sondern weil sie Wege zu wirklichen, nicht vorschnellen und aufgesetzten, sondern authentischen Antworten sein können. Und sollten Sie doch an Antworten interessiert sein hören Sie Rilke in einem Brief an den jungen Schriftsteller Franz Kappus: Ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.