Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?
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Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?
AnwBl 4/2000 213 l Aufsätze auswirken wird, ist endgültig noch nicht abzusehen, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn schließlich hat der BGH in den vergleichbaren Fällen der Wirtschaftsprüferhaftung einen möglichen Verstoß gegen Berufspflichten als Basis für einen Schadensersatzanspruch gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB nicht einmal erwähnt 38. Abs. 3 BRAO entfällt die Deckungspflicht des Versicherers, wenn das Haftpflichtereignis vorsätzlich herbeigeführt wird. Es wird daher konsequenterweise in der Literatur vorgeschlagen, der extensiven Interpretation von § 826 BGB eine restriktive Interpretation des Haftungsausschlusses von § 152 VVG folgen zu lassen 43. Die Entwicklung ist dabei insoweit offen. 3. Haftung nach § 826 BGB a) Das Beispiel: Räuberische Aktionäre In einem 1992 vom BGH entschiedenen Fall 39 war Klägerin eine Aktiengesellschaft, die ihr Kapital um 1,9 Mrd. DM erhöhen wollte. Gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss legten zwei Aktionäre, F und D, mit je ungefähr drei kurz zuvor erworbenen Aktien, vertreten durch den beklagten Rechtsanwalt Widerspruch ein. Dies – sowie die erklärte Absicht, demnächst Anfechtungsklage zu erheben – wurde dem Registerrichter mitgeteilt, der daraufhin den Kapitalerhöhungsbeschluss nicht eintrug. Die Klägerin, die den Betrag aus der Kapitalerhöhung zur Finanzierung eines Anteilserwerbs an einer Bank dringend benötigte, sah die Durchführung dieses Vorhabens als gefährdet an und befürchtete erhebliche finanzielle Nachteile. Sie nahm daher Kontakt zu dem Beklagten auf, der gestützt auf Angaben des Aktionärs F behauptete, er vertrete außer F und D auch noch eine ganze Gruppe von Aktionären. Nach nächtlichen Verhandlungen in der Kanzlei des Beklagten einigte man sich darauf, dass die Klägerin 1,5 Mio treuhänderisch an den Beklagten zur Weiterleitung an die von ihm vertretenen Aktionäre erhalten und dafür die Anfechtungsklage nicht erhoben werden sollte. Nach der dann problemlos erfolgten Eintragung der Kapitalerhöhung verlangte die klagende Aktiengesellschaft diesen Betrag von dem Rechtsanwalt unter Hinweis darauf zurück, dass die angeblich von dem Anwalt vertretenen Aktionäre nicht existierten und die ganze Aktion nur dazu gedient habe, die Gesellschaft mehr oder weniger zu erpressen. Diese Klage hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Dabei wurde eine Aussage zugrunde gelegt, die vorwiegend zur Haftung der Wirtschaftsprüfer gegenüber Dritten entwickelt worden ist. Danach handelt sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB auch derjenige, der seine Berufspflichten in einem Maße grob fahrlässig und leichtfertig verletzt, dass sein Verhalten als bedenken- und gewissenlos zu bezeichnen ist40. Dies, so das Urteil, sei hier der Fall. Der Beklagte habe sich über die Existenz der von ihm vertretenen Aktionärsgruppe vergewissern und Zielsetzung sowie Umfang und Inhalt seines Mandatsauftrags abklären müssen. Nur so habe er sicherstellen können, dass er eine mit seiner Stellung als Organ der Rechtspflege zu vereinbarende Vertretung durchführe. Es habe dem Beklagten verdächtig erscheinen müssen, dass sein Auftraggeber, der Aktionär F, keine Angabe zu diesen Punkten gemacht habe 41. b) § 152 VVG Dieses außerdem auf § 823 Abs. 2 BGB mit §§ 266, 253 StGB gestützte Urteil mag als solches richtig sein. Es weist aber auf ein nicht zu unterschätzendes Haftungspotential hin. Wie gerade die Entwicklung im Bereich der Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern zeigt, lässt sich im Nachhinein oft relativ problemlos von einer grob fahrlässigen und leichtfertigen Verletzung von Berufspflichten sprechen. Man ist sich darüber einig, dass gerade die Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer zu einer Aufweichung der Tatbestandsmerkmale von § 826 BGB geführt hat 42. Dies birgt eine erhebliche Gefahr: Denn nach § 152 VVG, § 51 V. Zusammenfassung 1) Bei einer zielgerichteten Beratung eines Dritten aufgrund eines Auftragsverhältnisses mit einer anderen Partei haftet der Anwalt dem Dritten unter Umständen aufgrund einer Garantieübernahme als Bestandteil eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Ein Haftungsausschluss geht daher nur zulasten des Dritten, wenn er diesem gegenüber deutlich geworden ist. 2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber kann ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sein. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Beratung zwar nicht an den Dritten gerichtet ist, ihm nach dem Vertrag aber gleichwohl zugute kommen soll. Ein mit dem Mandanten vereinbarter Haftungsausschluss gilt dann auch zulasten des Dritten. 3) Eine Haftung des Anwalts gegenüber Dritten nach § 826 BGB sollte nur in Extremfällen eingreifen. 38 BGH ZIP 1998, 583. 39 BGHZ 84, 312, 314; BGHZ 110, 342, 350. 40 RG JW 1929, 3149; BGH WM 1986, 904; Jost, aaO, S. 73 ff; Überblick zur Wirtschaftsprüferhaftung, bei Grunewald ZGR 1999, 583, 590. 41 BGH NJW 1992, 2821. 42 Vgl. die Darstellung bei Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II/2, § 78 II 2 d, III 1 a, IV 3; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 214. 43 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 214; Grunewald, ZGR 1999, 583, 592; Hirte, Berufshaftung, S. 426. Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun? * Der Freie Mitarbeiter im Spiegel des anwaltlichen Berufsrechts ** Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln Übersicht I. Die Beschäftigung von Rechtsanwälten vor dem Hintergrund der Problematik der Scheinselbständigkeit II. Berufsrechtliche Grundlagen der Statusbeurteilung als freier Mitarbeiter 1. Die Regelungskompetenz der Satzungsversammlung gem. § 59 b BRAO 2. Die partielle Annäherung des freien Mitarbeiters an den Sozietätspartner 3. Der Schutz des freien Mitarbeiters über § 26 BerufsO * Siehe zu anderen Aspekten des Themas die Veröffentlichungen in AnwBl 2000, 149 ff. ** Schriftliche Fassung meines Vortrags auf der Veranstaltung des DAV zum Thema „Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?“ am 28.4.1999. Der Vortragsstil wurde teilweise beibehalten. 214 l III. Das anwaltliche Berufsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht? 1. Schutzpflichten des Arbeitgeber-Rechtsanwalts gegenüber anwaltlichen Mitarbeitern 2. Schutzpflichten gegenüber nichtanwaltlichen Arbeitnehmern 3. Folgen einer Verletzung des § 26 BerufsO 4. Der Lösungsansatz des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld IV. Berufsrechtliche Grenzen für Ausweichstrategien 1. Lösung über Pflichten des Auftragnehmers? 2. Das GmbH-Modell als praktikabler Ausweg? 3. Parallelsozietät von jungen freien Mitarbeitern? 4. Partnerschaft von Hilfskräften einer oder mehrerer Anwaltskanzleien? V. Ergebnis I. Die Beschäftigung von Rechtsanwälten vor dem Hintergrund der Problematik der Scheinselbständigkeit 1 Die Umgehung unerwünschter arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Folgen durch die Beschäftigung freier Mitarbeiter ist für die Anwaltschaft ein altbekanntes Problem. In der Vergangenheit ist gleichwohl nie der Eindruck entstanden, als wären die Beschäftigten entsprechenden Strategien hilflos ausgeliefert. Gestaltungsmißbräuchen ließ sich vielmehr mit den vom BAG entwickelten Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs 2 in der großen Mehrzahl der Fälle begegnen. Die Gerichte hatten in der Vergangenheit keine Schwierigkeiten, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. 3 Da es weder auf die Bezeichnung des Vertrages 4 noch auf den Willen der Vertragsparteien, sondern allein darauf ankommt, wie die Parteien das Rechtsverhältnis „nach objektivem Maßstab praktiziert haben“, 5 konnten Rechtsanwälte, die tatsächlich weisungsabhängig 6 beschäftigt waren, regelmäßig ihren arbeitsrechtlichen Schutz erfolgreich in Anspruch nehmen. 7 Daß es gleichwohl verhältnismäßig wenige Rechtsstreitigkeiten um die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft gegeben hat, dürfte daran liegen, daß gekündigte „scheinselbständige Mitarbeiter“ typischerweise selbst wenig Neigung haben, in einer Sozietät weiterzuarbeiten, in der sie nicht erwünscht sind. Außerdem verschlechtern sich durch einen Kündigungsschutzstreit die Chancen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz rapide, da Rechtsanwälte äußerst zurückhaltend sind, Mitarbeiter einzustellen, die ihren letzten Arbeitsplatz im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung verlassen haben. Nur bei anderenfalls drohender Arbeitslosigkeit drängt sich daher ein Kündigungsschutzprozeß auf. Schon vor der Einführung der § 7 Abs. 4 SGB IV und § 2 Nr. 9 SGB VI hatten die Bemühungen um eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs, die in der aktuellen Entscheidungspraxis des BAG 8 und der ihm folgenden Instanzgerichte 9 zu beobachten waren, zu Unsicherheiten in der Praxis geführt. Verlangt man mit den vom BAG im Anschluß an Wank 10 in seiner Eismann-Entscheidung 11 aufgestellten Kriterien, daß der als Freier Mitarbeiter Beschäftigte tatsächlich nicht nur unternehmerische Risiken, sondern auch relevante unternehmerische Chancen wahrnehmen kann, liegt die Einordnung als Angestellter immer dann schon nahe, wenn der Umfang der Vertragsbeziehung einer Vollzeitbeschäftigung ähnelt 12. Der Rechtsanwalt hat dann schon aus zeitlichen Gründen kaum Möglichkeiten, sich einen eigenen Mandantenstamm aufzubauen. Seine Einnahmemöglichkeiten als Freier Mitarbeiter sind regelmäßig gerade nicht höher als diejenigen eines vergleichbaren angestellten Rechtsanwaltes. Im Rahmen der Statusbeurteilung muß berücksichtigt werden, daß viele Berufseinsteiger derzeit froh sind, wenn AnwBl 4/2000 Aufsätze sie überhaupt praktizieren und über das vom anwaltlichen Vertragspartner zur Verfügung gestellte Fallmaterial Erfahrungen sammeln können. Bereits diese Möglichkeit kann sich für den künftigen Erfolg als selbständiger Unternehmer von unschätzbarem Gewinn erweisen. Der einfache Vergleich der Einkünfte des zu beurteilenden selbständig Beschäftigten mit den Durchschnittseinkünften eines angestellten Rechtsanwalts, zu dem das BAG in der EismannEntscheidung tendiert, ist wenig aussagekräftig. Sachgerecht kann die Einstufung als Arbeitnehmer erst dann sein, wenn dem formal selbständig Beschäftigten von seinem Vertragspartner über einen längeren Zeitraum hinweg nur unattraktive, zeitaufwendige Mandate mit geringem Gebührenaufkommen übertragen werden, für die dieser selbst keine Zeit hat und auch die sonstigen Vertragsumstände dem „Freien Mitarbeiter“ nur einen eng begrenzten Handlungsspielraum belassen. II. Berufsrechtliche Grundlagen der Statusbeurteilung als freier Mitarbeiter 1. Die Regelungskompetenz der Satzungsversammlung gem. § 59 b BRAO Eine Bestandsaufnahme der Interdependenzen zwischen Berufsrecht und den Auswirkungen des Korrekturgesetzes hat bei der Vorschrift des § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO anzuknüpfen. Seit dem Jahr 1994 ermächtigt diese Norm die Satzungsversammlung der Anwaltschaft, die anwaltlichen Pflichten „im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Rechtsanwälten“ zu regeln. 13 Durch die in § 59 b BRAO niedergelegte Ermächtigung zum Erlaß einer BerufsO wollte der Gesetzgeber den notwendigen Ersatz für die zur Konkretisierung der beruflichen Pflichten eines Rechtsanwalts in den Richtlinien zur Ausübung des Anwaltsberufs (RichtlRA) festgestellten allgemeinen Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs schaffen 14, nachdem das BVerfG den Erlaß gesetzlich vorgeprägten Satzungsrechts gefordert hatte. 15 1 Zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Scheinselbständigkeit (Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit v. 20.12.1999 = BGBl. I 2000 S. 2) vgl. Bauer/Diller/Schuster, NZA 1999, 1297 ff.; Gaul, DB 1999, 2466 ff.; Heinze, NZA 2000, 5 ff.; Linnenkohl, AuA 2000, 59 ff. 2 Vgl. hierzu aus neuerer Zeit Reinecke, in: Festschrift Dieterich, 1999, S. 463 ff. 3 Vgl. BAG AP Nr. 8 zu § 850 c ZPO = NZA 1987, 488 f.; BAG AP Nr. 87 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag; BAG AP Nr. 12 zu § 5 ArbGG 1979 mit Anm. Henssler m. w. N. 4 Vgl. hierzu Linnenkohl, AuA 2000, 59 (60). 5 Aktuell BAG AP Nr. 94 zu § 611 BGB Abhängigkeit sowie BAG AP Nr. 6, 12, 37, 57 zu § 611 BGB Abhängigkeit; für angestellte Rechtsanwälte: LAG Baden-Württemberg AnwBl 1987, 142; LAG Hamm MDR 1990, 186; LAG Frankfurt a. M. BRAK-Mitt. 1991, 61; vgl. zur letztgenannten Fundstelle Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257. 6 Beachte insoweit auch die Ergänzung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999. 7 Berghahn, Der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter, S. 41 ff.; Kilger, AnwBl 1992, 212; Henssler, RdA 1999, 38 (40). 8 BAG ZIP 1997, 1714 und ZIP 1998, 612; dazu Reinicke, ZIP 1998, 581; Hromadka, NZA 1997, 569; Horn/Henssler, ZIP 1998, 589. 9 Insbesondere LAG Nürnberg, ZIP 1998, 617. 10 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 1988; ders., DB 1992, 90; ders., Empirische Befunde zur „Scheinselbständigkeit“ – Juristischer Teil, S. 90 ff.; ders., RdA 1999, 271 ff. (Anmerkung zum Beschluß des BGH v. 4.11.1998 – VIII ZB 12/98); ders., RdA 1999, 297 ff. 11 BAG ZIP 1997, 1714. 12 Im Gegensatz zur herrschenden Lehre, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers betont, stellt Wank (aaO. FN 11) zur Abgrenzung auf die wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers ab. Kritisch zum Merkmal der persönlichen Abhängigkeit auch Reuter, in: Festschrift Dieterich, 1999, S. 473 ff. 13 Henssler/Prütting-Koch, BRAO, § 1, Rz. 51. 14 Henssler/Prütting-Koch, § 59b BRAO, Rz. 12; BT-Drucks. 12/4993, S. 34. 15 BVerfG NJW 1988, 191; Kleine-Cosack, NJW 1988, 164; Zuck, NJW 1988, 175. AnwBl 4/2000 215 l Aufsätze Der Katalog der in § 59 b Abs. 2 Nr. 1 bis 9 BRAO aufgeführten Regelungsgegenstände ist abschließend, enumerativ und nicht erweiterungsfähig. 16 Der Gesetzgeber wollte, wie sich der Streichung des im Regierungsentwurfes enthaltenen Wortes „insbesondere“ entsprechend der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags 17 entnehmen läßt, den Regelungsumfang der Satzungskompetenz abschließend bestimmen. 2. Die partielle Annäherung des freien Mitarbeiters an den Sozietätspartner Die Satzungsversammlung hat diese Gestaltungskompetenz genutzt, um verschiedene Fragen rund um den freien Mitarbeiter zu klären. Während der gesetzlichen Regelung der BRAO der Begriff des freien Mitarbeiters fremd ist, wird dieser Terminus in der Berufsordnung gleich mehrfach erwähnt. § 3 Abs. 2 BerufsO erstreckt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auf den Fall der Vorbefassung eines anderen Rechtsanwaltes, mit dem der Berufsträger im Rahmen einer freien Mitarbeit verbunden ist oder war. § 8 BerufsO läßt einen Hinweis auf eine berufliche Zusammenarbeit auch im Falle einer freien Mitarbeit zu. Mit ähnlicher Intention erlauben § 9 Abs. 1 und 2 BerufsO die Aufnahme eines aktiven oder ehemaligen freien Mitarbeiters in eine Kurzbezeichnung und § 10 Abs. 1 und 4 BerufsO die Benennung eines solchen freien Mitarbeiters auf dem Briefbogen. Ziel all dieser, zum Teil durchaus innovativen Regelungen ist es, den freien Mitarbeiter dem Sozietätspartner sowohl in Bezug auf das Pflichtenprogramm als auch in Bezug auf seine Entfaltungsmöglichkeiten nach außen anzunähern. Der freie Mitarbeiter soll ebenso wie der angestellte Rechtsanwalt die Möglichkeit erhalten, seinen Namen auf dem Beratungsmarkt werbewirksam präsentieren zu können, um sich einen eigenen Mandantenstamm aufzubauen. Den freien Mitarbeitern wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, ihrer Kanzleipflicht gem. § 27 BRAO in vollem Umfang nachzukommen. 18 Zur Erfüllung dieser Pflicht reicht ja das Unterhalten von Büroräumen nicht aus. Vielmehr muß durch entsprechende organisatorische Maßnahmen Vorsorge getroffen werden, daß das Publikum die Bereitstellung anwaltlicher Dienste auch tatsächlich erkennen kann. 19 Für die hier interessierende arbeits- und sozialrechtliche Abgrenzung des freien Mitarbeiters vom angestellten Rechtsanwalt geben die berufsrechtlichen Bestimmungen nichts her. Sicherlich ging es der Satzungsversammlung auch um eine Aufwertung der freien Mitarbeiter ohne Gesellschafterstatus. An dieser Aufwertung partizipieren aber Angestellter und freier Mitarbeiter gleichermaßen. Der Status des freien Mitarbeiters bleibt durch die berufsrechtliche Regelung unverändert. Wird sein Name in den Briefbogen, auf Kanzleischilder oder sogar in eine Kurzbezeichnung aufgenommen, ohne daß sein Stellung klargestellt wird, so entsteht nach außen hin der Eindruck einer Stellung als Gesellschafter mit der Folge der persönlichen Haftung für die Gesellschaftsschulden der Sozietät (Scheinsozius). Die Möglichkeit, auf Briefbogen, Kanzleischild und in Kurzbezeichnungen erwähnt zu werden, bedeutet nicht, daß nun der Geschäftsverkehr nicht mehr auf die persönliche Haftung sämtlicher in dieser Weise benannten Personen für die Gesellschaftsschulden vertrauen dürfe. 20 An der Erwartungshaltung des rechtsuchenden Publikums hat sich nichts geändert. Die Vorschriften der BerufsO stellen nur die bis dato umstrittene 21 berufsrechtliche Zulassung der Benennung klar. Die Regelung ist im übrigen auch insoweit nicht geglückt, da unklar bleibt, ob die Briefkopfangabe mit einem Hinweis auf den besonderen Status des Mitarbeiters verbunden sein muß. Praktikabel erscheint nur der Verzicht auf eine entsprechende Angabepflicht. Besonders deutlich ist dies bei der Gestaltung der Kurzbezeichnung. Hier würde eine Differenzierung zwischen Sozietätspartnern und freien Mitarbeitern nur Verwirrung stiften. 22 Die Funktion der Kurzbezeichnung ginge verloren. Da die Satzungsregelung keine Differenzierung zwischen der Benennung von freien Mitarbeitern in Kurzbezeichnungen einerseits und der Angabe auf Kanzleischildern und Briefbögen andererseits vorsieht, wird man einen klarstellenden Hinweis generell für entbehrlich halten müssen. Arbeits- und sozialrechtliche Folgewirkungen für die Abgrenzung von angestelltem Rechtsanwalt und freiem Mitarbeiter haben die genannten Regelungen nicht. 3. Der Schutz des freien Mitarbeiters über § 26 BerufsO Weit schwieriger zu beurteilen sind die arbeitsrechtlichen Wirkungen einer anderen Vorschrift der BerufsO. Während die BRAO selbst zu den Pflichten des Rechtsanwalts gegenüber seinen Mitarbeitern schweigt (mit Ausnahme der erwähnten Ermächtigungsnorm des § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO), sieht § 26 BerufsO eine Verpflichtung vor, die weit über allgemeine arbeitsrechtliche Schutzprinzipien hinausgeht. 23 § 26 BerufsO verpflichtet Rechtsanwälte, andere Anwälte, sonstige Mitarbeiter und Auszubildende nur zu „angemessenen Bedingungen“ zu beschäftigen. Dazu zählt insbesondere eine Vergütung, die „der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts“ entspricht. 24 Außer Frage steht, daß in der Praxis vielfach gegen diese Bestimmung verstoßen wird. Belegt sind Fälle, in denen Rechtsanwälte eine Vollzeitbeschäftigung im Rahmen einer 630-DM-Tätigkeit übernehmen. Nicht nur vereinzelt sollen junge Assessoren sogar ohne jede Vergütung arbeiten, nur um überhaupt eine anwaltliche Tätigkeit und damit eine Berufserfahrung nachweisen zu können. Gleichwohl sind die Rechtsanwaltskammern, soweit bekannt, bislang noch nicht zur Ahndung von Verstößen gegen § 26 Abs. 1 BerufsO tätig geworden. Vor dem Hintergrund des Korrekturgesetzes erscheint es besonders reizvoll, der Frage nach den Regelungszielen und den zivilrechtlichen Folgewirkungen dieser Vorschrift nachzugehen. Haben wir gar eine eigenständige Arbeitnehmerschutzvorschrift im Berufsrecht, deren Tragweite deutlich über alles hinausgeht, was es im Arbeitsrecht gibt, nämlich eine Pflicht zur Zahlung angemessener Vergütungen? 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Henssler/Prütting-Koch, § 59 b BRAO, Rz. 15. BT-Drucks. 12/7656, S. 50. Feuerich/Braun, BRAO, § 10 BO, Rz. 4. BGHZ 38, 6; Feuerich/Braun, BRAO, § 27, Rz. 6. Zur Haftung des Scheinsozius vgl. BGHZ 70,247; BGH NJW 1986, 1490; MDR 1996, 966. Vgl. OLG Düsseldorf EWiR 1994, 1037 (Ring); Feuerich/Braun, BRAO, § 43b, Rz. 22 (offenbar auch für die Rechtslage unter der Geltung der BerufsO). Feuerich/Braun, BRAO, § 9 BO, Rz. 7. Allgemein zur „Fürsorgepflichtverletzung im Anwaltsarbeitsverhältnis“ Compensis, BB 1996, 321. Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 142. 216 l Durch § 26 BerufsO und dessen Festschreibung angemessener Vertragsbedingungen für Mitarbeiter und Auszubildende des Rechtsanwalts wollte die Satzungsversammlung „die Beschäftigungsverhältnisse der rechtlichen Grauzone entziehen“. 25 Entgegengewirkt werden soll den in der Praxis zu beobachtenden Mißständen. Der Satzungsversammlung war bekannt, daß insbesondere Junganwälte ohne Berufserfahrung zu unangemessenen Bedingungen beschäftigt werden mit der Folge der Gefährdung ihrer berufsrechtlich zu schützenden Unabhängigkeit. Zugleich zielt die Regelung im Interesse des Ansehens der Rechtsanwaltschaft darauf, ein dem Berufsstand schlecht zu Gesicht stehendes Arbeitgeberverhalten von Rechtsanwälten zu unterbinden. 26 § 26 BerufsO dient ersichtlich nicht – jedenfalls nicht vorrangig – der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Die Norm differenziert nicht zwischen Rechtsanwälten, die als Freie Mitarbeiter oder aber als Angestellte beschäftigt werden, 27 sondern spricht nur allgemein von der „Beschäftigung“ von Rechtsanwälten. Der aus dem Sozialrecht bekannte Begriff der Beschäftigung ist im untechnischen Sinn als Obergriff zu verstehen, der die Anstellung und die freie Mitarbeit gleichermaßen erfasst. 28 Diese fehlende Differenzierung zwischen Angestellten und freien Mitarbeitern kann indes nicht bedeuten, daß eine Umgehung der Sozialversicherungspflicht berufsrechtlich irrelevant wäre. Die Angemessenheit der Bedingungen von Mitarbeitern kann nicht ohne Rücksicht auf die Beiträge des Arbeitgebers zur Altersversorgung beurteilt werden. Sie sind vielmehr zentraler Vergütungsbestandteil. Zwar ist die Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung im Katalog des § 26 Abs. 1 BerufsO nicht benannt. Dieser Katalog dient aber nur einer Konkretisierung des Begriffs der Angemessenheit, 29 hat dagegen keinen abschließenden Charakter. Er gibt lediglich die Koordinaten für die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse vor. In dieses Koordinatensystem fügt sich die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für unselbständig beschäftigte Mitarbeiter nahtlos ein. Ein Rechtsanwalt, der einem weisungsgebunden tätigen Mitarbeiter die ihm zustehenden Leistungen zur Sozialversicherungspflicht verweigert, gewährt damit keine angemessenen Bedingungen. Die Beschäftigung von Scheinselbständigen als freie Mitarbeiter ist berufsrechtswidrig! Die Rechtsanwaltskammer kann gegen derart pflichtwidrig handelnde Kammermitglieder vorgehen. III. Das anwaltliche Berufsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht? 1. Schutzpflichten des Arbeitgeber-Rechtsanwalts gegenüber anwaltlichen Mitarbeitern Für den Arbeits- und Sozialrechtler führt diese Bewertung unmittelbar zu der Anschlußfrage nach den zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das berufsrechtliche Pflichtenprogramm. Können nicht angemessen honorierte Anwälte auf der Basis des § 26 Abs. 1 BerufsO eine angemessene Vergütung einklagen? 30 Wohlgemerkt, es geht nicht um die gesetzlich zwingend gestaltete Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur um die Angemessenheit der gesetzlich nicht zwingend vorgeschriebenen Beschäftigungsbedingungen. Voraussetzung für einen zivilrechtlichen Anspruch auf angemessene Vergütung wäre die Einstufung der Berufspflichten als auch privatrechtlich wirksame, das Anstellungsverhältnis prägende Pflichten. Eine solche Funktion kommt den in der Berufs- AnwBl 4/2000 Aufsätze ordnung festgelegten Pflichten grundsätzlich nicht zu. 31 Die Diskussion über die zivilrechtlichen Folgewirkungen von Satzungsregeln ist indes nicht abgeschlossen. Die Satzungsversammlung der Anwaltschaft hat sich ersichtlich keine tiefergehenden Gedanken über die Tragweite ihrer Regelungen gemacht. a) Unmittelbare zivilrechtliche Geltung der BerufsO Die Satzungsversammlung hat zunächst – fast möchte man sagen selbstverständlich – keine eigenständige Kompetenz, unmittelbar das Außenprivatrecht der Anwaltschaft im Verhältnis zu Mandanten und Mitarbeitern zu regeln. Eine verfassungsrechtliche Legitimation findet der Verzicht des parlamentarischen Gesetzgebers auf eine gesetzliche Regelung nur insoweit, als die Normadressaten, wie etwa die Mitglieder der berufsständischen Kammern, an der Fixierung der sie betreffenden Berufspflichten mitzuwirken berechtigt sind. Die Rechtsetzungskompetenz der berufsständischen Selbstverwaltung ist in personeller Hinsicht auf die Kammermitglieder 32 und in sachlicher Hinsicht auf den Aufgabenbereich der Selbstverwaltungskörperschaft beschränkt.33 Der parlamentarische Gesetzgeber verzichtet in diesem Bereich nur deshalb auf eigene Regelung, weil er aufgrund der besonderen Sachkunde der Satzungsversammlung eine interessengerechtere Regelung für den Bereich der Berufsausübung erwartet. 34 Die Satzungsversammlung ist daher nicht ermächtigt, für außerhalb ihres Berufstandes stehende Personen verbindliche rechtliche Regelungen zu treffen. 35 Obgleich mittelbare Rückwirkungen berufsinternen Satzungsrechts auf Dritte teilweise unvermeidbar sind, bedarf es bei einer grundrechtsbezogenen Drittbetroffenheit einer hinreichend bestimmten parlamentarischen Ermächtigung. Dogmatisch herleiten läßt sich ein entsprechendes Postulat aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). 36 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Rechtsstaatsprinzip muß durch klar umrissene Kompetenzzuweisungen ein Machtmißbrauch verhütet werden. 37 Insbesondere im Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung besteht anderenfalls die Gefahr einer systemwidrigen Verformung des Rechtsquellensystems derart, daß sich ein spezifisches Gruppeninteresse gegenüber den Grundrechten ungerechtfertigt durchsetzt oder dem Gemeinwohl übergeordnet wird. 25 Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO Rz. 139; Feuerich/Braun, § 26 BerufsO Rz. 1. 26 Vgl. hierzu ausführlich Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 135 ff., 141. 27 Vgl. Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 144; Feuerich/Braun, § 2 BRAO Rz. 23 f. und § 26 BerufsO Rz. 2. 28 Feuerich/Braun, BRAO, § 26 BO, Rz. 2; Hartung/Holl-Nerlich, BerufsO, § 26, Rz. 65 ff. 29 Hartung/Holl/Nerlich, § 26 BerufsO Rz. 140 f. 30 Vgl. zu dieser Frage auch das Urteil des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld vom 4.11.1998 – 2 CA 255/98, das im Fall eines zu unangemessenen Bedingungen angestellten Junganwalts den Tatbestand eines wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 BGB) bejaht und infolgedessen mangels wirksamer einzelvertraglicher Bestimmung der Höhe der Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) einen Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung anerkannt hat; hierzu ZAP Eilnachricht 698/ 99 (Vergütung/Sittenwidrigkeit). 31 Zur ärztlichen Berufsordnung Taupitz, MedR 1992, 272; für eine Einzelfallbeurteilung Hartung/Holl-Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, Einf., Rz. 79. 32 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 24 und 32 f. 33 Degenhart, Staatsrecht I, Rz. 255. 34 Vgl. hierzu Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 1; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 340. 35 BVerfGE 33, 125 (157); Kleine-Cosack, BRAO, § 59b, Rz. 17. 36 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 9 und 26; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 340; Degenhart, Staatsrecht I, Rz. 256 37 BVerfGE 33, 157 f.; 64, 214 f. AnwBl 4/2000 Aufsätze Aber auch gegenüber den Kammermitgliedern kann den berufsständischen Organisationen keine pauschale Entscheidungsgewalt zugewiesen werden. Nicht nur Eingriffe in den „Grundrechtsbereich“, sondern auch andere Fragen von wesentlicher Bedeutung dürfen einer unbeschränkten Satzungsautonomie generell nicht überantwortet werden. 38 Die grundsätzliche Fixierung von Grundrechtspositionen und die Regelung wichtiger Fragen ist eine gesamtstaatliche Angelegenheit, die einer gesamtstaatlichen Legitimation bedarf. 39 Berufspflichten, wie die Pflicht zur Gewährung einer angemessenen Vergütung gem. § 26 Abs. 1 BerufsO, die massiv die freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) einschränken, bedürfen demzufolge einer unmittelbaren gesetzlichen Grundlage. 40 § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO enthält zwar eine Ermächtigung zur Regelung der „Pflichten im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Rechtsanwälten“. Die Kompetenzzuweisung erstreckt sich indes nur auf „berufsrechtlichen Rechte und Pflichten“, nicht dagegen auf die Begründung von eigenständigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen gegenüber den Kammermitgliedern. Angesichts der weitreichenden Haftungsfolgen und des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des „Arbeitgeber“-Rechtsanwalts müßte der Wille des Gesetzgebers zu einer entsprechenden Ermächtigung der Satzungsversammlung in § 59 b BRAO deutlich zum Ausdruck kommen. 41 Diese Sichtweise entspricht den Vorgaben des BVerfG. 42 Der Gesetzgeber dürfe – so das BVerfG – seine vornehmste Aufgabe nicht anderen Stellen innerhalb oder außerhalb der Staatsorganisation zu freier Verfügung überlassen. Das gelte besonders, wenn der Akt der Autonomieverleihung dem autonomen Verband nicht nur allgemein das Recht zu eigenverantwortlicher Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben und zum Erlaß der erforderlichen Organisationsnormen einräume, sondern ihn zugleich zu Eingriffen in den Grundrechtsbereich ermächtige. In der Tat übertragen die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte in erster Linie dem Gesetzgeber die Entscheidung, welche Gemeinschaftsinteressen derart gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des Einzelnen zurücktreten muß. Dieser Entscheidungspflicht kann sich der Gesetzgeber nicht beliebig entziehen. Eine generelle Übertragung der Befugnis zur Anordnung zivilrechtlicher Sanktionen wäre nach diesen Grundsätzen nicht zulässig. Die Zuständigkeit der Satzungsversammlung bezieht sich dementsprechend nach § 59 b Abs. 1 BRAO nur auf die Konkretisierung der „beruflichen Rechte und Pflichten. Gemeint sind damit die Berufspflichten, wie sie im Kern in den §§ 43 ff. BRAO verankert sind. Bei diesen Pflichten handelt es sich anerkanntermaßen um typische Disziplinarvorschriften, deren Einhaltung mit berufsrechtlichen Sanktionen durchgesetzt wird. 43 Sie dienen nicht dem Schutz von Individualinteressen. 44 Der Satzungsversammlung war sich ihrer beschränkten Regelungskompetenz im Grundsatz durchaus bewußt. Eine eigenständige zivilrechtliche Anspruchsgrundlage lag nicht in ihrer Intention. Bei den Beratungen wurde vielmehr wiederholt vorgetragen, daß die Frage angemessener Vertragsbedingungen für Mitarbeiter und Auszubildende in erster Linie Regelungsgegenstand des Zivilrechts sei. 45 Was ist die Folge? Aus der Sicht des Berufsrechts bleibt danach jedenfalls ein mittelbarer Schutz. Der nicht angemessen honorierte freie Mitarbeiter kann über eine Anzeige an die zuständige Rechtsanwaltskammer deren Tätigwerden 217 l anstoßen. Ein vertraglicher Anspruch auf eine angemessene Vergütung steht ihm jedoch nicht zu. Denkbar bleibt aber auch ein mittelbarer zivilrechtlicher Schutz. Einfallstore für öffentlich-rechtliche Wertungen – und zwar auch für solche in der Form von Satzungen (§ 2 EGBGB) – bieten einerseits § 134 BGB und zum anderen § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 26 BerufsO als Schutzgesetz. b) Anspruch auf die übliche Vergütung unter Anwendung des Grundsatzes des faktischen Arbeitsverhältnisses (§ 134 BGB) Versperrt ist der Weg über die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses gem. § 134 BGB, mit dem Ziel, nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses einen rückwirkenden Anspruch auf die übliche Vergütung gem. § 612 BGB zu erhalten. § 26 BerufsO richtet sich nach seinem Schutzzweck 46 nicht gegen den Vertragsschluß als solchen, sondern begründet nur eine besondere Verhaltenspflicht des Arbeitgeber-Rechtsanwaltes im Rahmen der Vertragsverhandlung. Dogmatisch besteht bei § 134 BGB eine enge Beziehung zwischen dem Rechtsfolgenausspruch des potentiellen Verbotsgesetzes und der in § 134 BGB ausgesprochenen zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolge. 47 Ob einem verbotenen Rechtsgeschäft die Sanktion zu verweigern ist, folgt nicht aus § 134 BGB, sondern aus dem Verbotsgesetz selbst. Maßgeblich ist die Intention des Verbotsgesetzgebers. Berufsrechtliche Vorschriften kommen außerdem nur dann als Grundlage des § 134 BGB in Betracht, wenn sie die Nichtigkeit eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts zulässigerweise bezwecken, wenn also die Satzungsversammlung auf zivilrechtlichem Gebiet rechtsgestaltend tätig werden dürfte. Vor diesem Hintergrund kann die anwaltliche Berufsordnung nach meinen Vorüberlegungen kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB enthalten. 48 Hinzu kommt, daß sich das Gebot des § 26 BerufsO nur an den Arbeitgeber wendet, nicht dagegen an den angestellten Rechtsanwalt. Auch wenn das Dogma von der Beschränkung der Verbotsgesetze auf solche Normen, die gegen alle Kontrahenten gerichtet sind, 49 aufzugeben ist, 50 so begründet doch die einseitige Ausrichtung anerkanntermaßen eine Vermutung für den Charakter einer Satzungsnorm als bloßer Ordnungsvorschrift. 51 38 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 25 und 28. 39 Bethge, NVwZ 1983, 577, 579; Kleine-Cosack, Berufständische Autonomie und Grundgesetz, S. 239. 40 BVerfGE 33, 125, 163. 41 Vgl. BVerfGE 87, 287, 317; BVerfG WPK-Mitt. 1998, 245, 248. 42 BVerfGE 33, 125, 158 „Facharztbeschluß“. 43 Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, § 43, Rz. 3. 44 Friedländer, RAO, 3. Aufl. 1930, § 28, Rz. 1; Isele, BRAO, 1976, § 43 III; Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, § 43, Rz. 3. 45 SV-Prot. 4/96, 7. 46 Zur Maßgeblichkeit des Schutzzwecks einer Norm für § 134 BGB BGHZ 78, 263, 265; 93, 264, 267; MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, 3. Aufl. 1993, § 134, Rz. 38. 47 Soergel-Hefermehl, BGB, Bd. 1, 12. Aufl. 1988, § 134 Rz. 1; Taupitz, JZ 1994, 221, 225. 48 Vgl. ausführlich zu diesem Problemkreis Taupitz, JZ 1994, 221. 49 So etwa BGHZ 78, 263, 265. 50 Zur Kritik an diesem Dogma: MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, § 134, Rz. 44 f.; Soergel-Hefermehl, BGB Bd. 1, § 134, Rz. 15; Canaris, NJW 1985, 2404 f. 51 Der BGH (BGHZ 89, 369, 373) und MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, § 134, Rz. 45 gehen davon aus, daß im Regelfall nur eine Gesetzesverletzung durch alle Vertragsteile zur Nichtigkeit führt. 218 l c) Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 26 BerufsO Bleibt als letzte Hoffnung für die Beschäftigten die Einstufung des § 26 BerufsO als Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB. Die grundsätzliche Eignung berufsregelnder Satzungen als Schutzgesetze ist in Literatur und Rechtsprechung bisher nur wenig diskutiert worden. Das Schrifttum – etwa mein Kollege Taupitz – bejaht die Möglichkeit der Einstufung von Berufsnormen als Schutzgesetze auch dann, wenn sie keine Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB sind. Nur bei § 134 BGB müsse dem Gesetz die zivilrechtliche Verbotswirkung immanent sein. Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB könnten von Berufskammern dagegen auch ohne besondere Ermächtigungsnorm geschaffen werden, sofern es ausschließlich um Schadensersatzansprüche gegenüber Kammermitgliedern gehe.52 Der BGH hatte 1981 über eine Unterlassungsklage des Inhabers eines Orthopädie-Sanitätshauses zu entscheiden, die sich gegen die Empfehlung bestimmter Fachgeschäfte durch einen Orthopäden richtete. Das Unterlassungsbegehren war auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einer Vorschrift der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns gestützt. Der BGH stützte seine ablehnende Entscheidung etwas simplifizierend auf die fehlende Kompetenz der Ärztekammer, die privatrechtlichen Beziehungen der Kammerangehörigen zu Außenstehenden zu regeln. 53 Im Schrifttum stieß dieses Ergebnis schon deshalb auf Zustimmung, weil der Kläger mangels Kammermitgliedschaft gar nicht zu den geschützten Personen der Berufsordnung gehören könne. 54 Außerdem müsse der Unrechtsgehalt eines Verstoßes gegen eine Berufsordnungsvorschrift einer Verletzung des § 826 BGB oder gar eines Strafgesetzes nahekommen, wenn ein unmittelbarer Vermögensschutz bestimmter Einzelpersonen nicht von der Norm eindeutig beabsichtigt sei.55 Arbeitgeber-Rechtsanwalt und angestellter Rechtsanwalt gehören zwar beide der für die Berufsordnung verantwortlichen Rechtsanwaltskammer an. § 26 BerufsO will aber, wie gezeigt, nicht den einzelnen Mitarbeiter schützen, 56 sondern im Sinne einer Ordnungsvorschrift dem Berufsstand der Rechtsanwälte im Ganzen dienen. Die Satzungsnorm läßt wegen des Rückgriffs auf die vage „Angemessenheitsformel“ die für Schutzgesetze geforderte Bestimmtheit vermissen. 57 Unter Beachtung des Parlamentsvorbehalts (Wesentlichkeitsgrundsatz) darf dem Satzungsgeber zudem nicht mittels des „Umwegs“ über § 823 Abs. 2 BGB pauschal die Möglichkeit zur Setzung zivilrechtlicher Rechtsfolgen zu Lasten der Kammermitglieder eröffnet werden. Die Belastung mit Schadensersatzansprüchen zählt zu den wesentlichen berufsausübungsgeschränkenden Maßnahmen, bleibt damit dem Gesetzgeber vorbehalten. § 823 Abs. 2 BGB kann danach nicht als generelle Kompetenzverlagerung an den Satzungsgeber interpretiert werden. 2. Schutzpflichten gegenüber nichtanwaltlichen Arbeitnehmern Die gleichen Grundsätze haben für die Parallelvorschrift des § 26 Abs. 2 BerufsO zu gelten, die es Rechtsanwälten untersagt, andere (= nichtanwaltliche) Mitarbeiter und Auszubildende zu unangemessenen Bedingungen zu beschäftigen. 58 Eine unmittelbare Drittwirkung zu Gunsten der Kanzleiangestellten kommt der Bestimmung nicht zu. 3. Folgen einer Verletzung des § 26 BerufsO Aus arbeitsrechtlicher Sicht sollte die Bedeutung der berufsrechtlichen Vorschrift des § 26 BerufsO gleichwohl nicht AnwBl 4/2000 Aufsätze unterschätzt werden. Bislang fehlt eine Interessenorganisation, die sich der Belange der anwaltlichen Mitarbeiter annimmt. Berücksichtigt man, daß die Anwaltschaft jährlich um ca. 6.000 Mitglieder wächst, so nimmt die Bedeutung dieses Segmentes des Dienstleistungsmarktes kontinuierlich zu. Es kann daher nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Arbeitnehmerverbände auch für diesen Ausschnitt des Arbeitsmarktes stärker interessieren. Die Einflußmöglichkeiten solcher Verbände, das heißt, ihre mittelbaren Druckmittel gegenüber berufsrechtswidrig handelnden Rechtsanwälten werden durch § 26 BerufsO fraglos massiv gestärkt. Die Sanktionsmöglichkeiten der Rechtsanwaltskammern,59 die auf Anzeigen der Arbeitnehmerverbände hin tätig werden, wirken weit schneller und effektiver als die bei Kleinbetrieben stumpfen Arbeitskampfmittel der Verbände. Sie werden indes die Störung des Marktgleichgewichts durch das absehbare Überangebot an Juristen nur mildern, nicht aber kompensieren können. Den Rechtsanwaltskammern steht zur Durchsetzung der Berufspflichten aus § 26 BerufsO das gesamte anwaltsrechtliche Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung. Die Rechtsanwälte unterliegen der Aufsicht durch den Vorstand der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer (§§ 73 Abs. 2 Nr. 4, 74 BRAO), dessen Aufgabe es gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ist, die Mitglieder der Kammern in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO haben die Kammervorstände die Erfüllung der den Mitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge, als der Sanktion bei geringfügigen Verfehlungen, zu handhaben. In schwerwiegenden Fällen kommt eine anwaltsgerichtliche Ahndung nach §§ 113 ff., 116 – 161 a BRAO in Betracht. Die Palette denkbarer Maßnahmen reicht dann von der Warnung über Geldstrafen bis zur Ausschließung aus der Anwaltschaft. 4. Der Lösungsansatz des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld Das Arbeitsgericht Bad Hersfeld 60 hat in seiner nicht rechtskräftigen Entscheidung vom 4.11.1998 einen anderen Weg eingeschlagen, um einem Junganwalt zu helfen, der zwar im Umfang von 40 Wochenstunden für eine Anwaltskanzlei tätig war, hierfür jedoch nur eine Vergütung von zunächst 610,– DM, später sodann 1300,– DM brutto erhielt. Das Gericht hat die Vergütungsvereinbarung als gegen die guten Sitten (wucherähnliches Rechtsgeschäft) verstoßend und damit als unwirksam eingestuft, mit der Folge daß dem klagenden Rechtsanwalt ein Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung zustand. Bei der Bemessung der üblichen Vergütung ging das Gericht aufgrund einer Mitteilung der 52 Speziell für Schutzgesetze zu Gunsten von Mitarbeitern Taupitz, FS Steffen, S. 489, 505 f. 53 BGH NJW 1981, 2007 = MDR 1981, 927 = VersR 1981, 658. 54 Taupitz, Berufsordnende Kammersatzungen als Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB, in: FS für Steffen, 1995, S. 489. 55 Taupitz, in: FS für Steffen, S. 489, 503, 506. 56 So Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26, Rz. 141. 57 Vgl. zu diesem Erfordernis Taupitz, in: FS für Steffen, S. 489, 498. Der Satzungsgeber hat die ihm nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BerufsO eröffnete Möglichkeit nicht genutzt, durch entsprechende Erhebungen Anhaltspunkte für Vergütungsmaßstäbe zu normieren, dazu Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26, Rz. 167. 58 Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26 Rz. 133. 59 In Betracht kommen bei geringem Verschulden der Ausspruch einer Rüge gem. § 74 BRAO; bei schwerwiegenden Verstoßen auch anwaltsgerichtliche Maßnahmen gem. §§ 113 ff. BRAO. 60 Arbeitsgerichts Bad Hersfeld vom 4.11.1998 – 2 CA 255/98, hierzu ZAP Eilnachricht 698/99 (Vergütung/Sittenwidrigkeit). AnwBl 4/2000 219 l Aufsätze Bundesrechtsanwaltskammer (Stand 1996) von einem Entgelt von 2.800,– DM für das erste Berufsjahr, von 3.500,– für das 2. Berufsjahr, von 4.200,– DM für das 3. Berufsjahr und von 4.550,– DM für das 4. Berufsjahr – bezogen jeweils auf eine 35 Stunden Woche – aus. Der zuerkannte Vergütungsanspruch in Höhe von 87.000,– DM verdeutlicht die Risiken, die eine solche Entscheidungspraxis für den Arbeitgeberrechtsanwalt mit sich bringt. Das rechtliche Kernproblem liegt in diesen Konstellationen weniger in dem eher einfach festzustellenden auffälligen Mißverhältnis zwischen den vertraglichen Leistungen als in der auch für § 138 Abs. 2 BGB erforderlichen subjektiven Komponente des Sittenwidrigkeitsverdikts in Gestalt einer verwerflichen Gesinnung. Im Rahmen der Beurteilung dieser subjektiven Komponente gelangt die Wertung des § 26 BerufsO zu Geltung. Auch wenn diese Bestimmung keine unmittelbaren zivilrechtlichen Wirkungen entfalten kann, so ist sie doch Ausdruck einer communis opinio in der Anwaltschaft, nach der eine unangemessen niedrige Vergütung berufsrechtswidrig, d.h. nicht mit dem anwaltlichen Berufsethos zu vereinbaren ist. Bei der Feststellung, ob sich der Arbeitgeberrechtsanwalt leichtfertig der Erkenntnis verschließt, daß sich der Beschäftigte nur wegen seiner schwächeren Lage auf die ungünstigen Vertragsbedingungen eingelassen hat, können diese besonderen an die Gesinnung eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen berücksichtigt werden. IV. Berufsrechtliche Grenzen für Ausweichstrategien Für kautelarjuristische Überlegungen zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht wurden nach Verabschiedung des arbeits- und sozialrechtlichen Korrekturgesetzes zunächst verschiedene Anknüpfungspunkte gewählt: 61 (1) die Schaffung von Anreizen bzw. Verpflichtung zur Einschaltung weiterer Auftraggeber (vgl. § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB IV) (2) die Sicherstellung der Beschäftigung eigener Arbeitnehmer durch den Auftragnehmer (vgl. § 7 Abs. 4 Nr. 1 SGB IV) (3) die Zwischenschaltung einer rechtsfähigen Gesellschaft 62, etwa einer GmbH als Auftragnehmer, mit der Folge, daß für den als Geschäftsführer der GmbH tätigen Dienstleister nur § 7 Abs. 1 SGB IV anwendbar ist. Seit der Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB IV durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit ist die Bedeutung der Strategien Nr. 1 und 2 zwar zurückgedrängt. Stets bedarf es nunmehr neben den problematischen Kriterien des § 7 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB IV eines dritten Merkmals, um die Vermutungswirkung greifen zu lassen. Die grundsätzliche Bedeutung aller drei Vermeidungsstrategien ist aber auch nach neuem Recht erhalten geblieben. 1. Lösung über Pflichten des Auftragnehmers? Aus der Praxis wurde in Anknüpfung an die ersten beiden Ansatzpunkte vorgeschlagen, bei der Beschäftigung freier (etwa anwaltlicher) Mitarbeiter in den Vertrag folgende Verpflichtungen aufzunehmen: 63 (1) die Verpflichtung, auch für andere Auftraggeber mit einem Prozentsatz von mindestens 20 % tätig zu werden (2) die Verpflichtung, eigene Arbeitnehmer einzustellen. Das Gehalt für diese Arbeitnehmer kann sodann mit der Vergütung ausgezahlt werden. Nach der Neufassung des § 7 Abs. 4 Nr. 1 SGB IV durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit ist darauf zu achten, daß es sich bei den eingestellten Arbeitnehmern nicht ausschließlich um geringfügig Beschäftigte handeln darf, deren Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis 630 DM im Monat nicht übersteigt 64. Diese den Umgehungsvorwurf geradezu provozierenden Gestaltungen dürften kaum praktikabel sein. Wird der freie Mitarbeiter in der Folgezeit doch nicht für andere Auftraggeber tätig, so kann auf diese Weise die Anwendbarkeit der Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV nicht vermieden werden. Auch zu Schadensersatzansprüchen wird es nur in seltenen Fällen kommen. Der Beschäftigte verletzt zwar eine Vertragspflicht. 65 Schon deren Wirksamkeit ist aber rechtlich jedenfalls nicht unbedenklich. Regelmäßig wird er den Pflichtverstoß außerdem nicht zu vertreten haben, so daß eine Ersatzpflicht aus pFv nicht entsteht. Die Folgen der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Nr. 9 SGB IV treffen ohnehin nur den Auftragnehmer. Um die verbleibende Gefahr einer Fehleinstufung des Beschäftigungsverhältnisses über die Vermutungsregel zu vermeiden, gibt es geeignetere Wege. Der Effekt von Vertragsklauseln, die besondere auf Vermeidungsstrategien bezogene Pflichten des Auftragnehmers begründen, erscheint daher zweifelhaft. Allenfalls kommt ihnen eine verhaltenssteuernde Funktion zu, da sie einzelne Auftragnehmer veranlassen mag, sich um eine entsprechende tatsächliche Gestaltung ihrer Tätigkeit zu bemühen. 2. Das GmbH-Modell als praktikabler Ausweg? a) Die arbeits- und sozialrechtliche Beurteilung des GmbHModells Als genereller Ausweg aus den arbeitsrechtlichen Unsicherheiten und den sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Scheinselbständigkeit wird von der Kautelarjurisprudenz und von seiten der BDA 66 das sog. GmbH-Modell empfohlen. Hier wird für die ausgegliederte bzw. fremdvergebene Dienstleistung eine eigene GmbH gegründet. Mit dieser rechtlich selbständigen Gesellschaft wird das jeweilige Auftragsverhältnis vereinbart. Der Dienstleister wird als Gesellschafter und Geschäftsführer dieser GmbH tätig. Hinsichtlich der Gesellschafterstellung sind verschiedene Modelle denkbar. So kann der Betroffene selbst alle Geschäftsanteile an der GmbH halten. Das Gesellschaftsvermögen kann vollständig zur Anschaffung des Verkaufsfahrzeuges bzw. Speditions-LKW eingesetzt werden. Bei einem größeren Geschäftsvolumen (Beispiel: Baumarkt) wird der Auftraggeber aus Finanzierungsgründen auch eigene Geschäftsanteile an der GmbH halten müssen. 61 Diese Anknüpfungspunkte haben auch nach der Neuregelung durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl. I 2000 S. 2) weiterhin Bestand, obwohl sämtliche vier Vermutungskriterien überarbeitet wurden und ein fünftes hinzugefügt wurde. Zur aktuellen Gesetzeslage ausführlich und kritisch Bauer/Diller/Schuster, NZA 1999, 1297 (1298 ff.) sowie Linnenkohl, AuA 2000, 59 ff. 62 Vgl. zu dieser Thematik Reuter, in: FS Dieterich, 1999, S. 473 (477). 63 Vgl. etwa Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 175. 64 Nach der Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB IV lautet das erste Vermutungskriterium nunmehr wie folgt: „Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungs-pflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis im Monat 630 DM übersteigt“. 65 Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 175. 66 Vgl. Rundschreiben „Scheinselbständige und arbeitnehmerähnliche Selbständige“ v. 10.3.1999. 220 l Diese Gestaltungsformen werden von der gesetzlichen Neuregelung grundsätzlich nicht erfaßt. Das Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger 67 führt hierzu wörtlich aus: „3.3.2. Mitarbeitende Gesellschafter. Für mitarbeitende Gesellschafter (z. B. Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH) scheidet eine Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 S. 1 SGB IV generell aus. Die versicherungsrechtliche Beurteilung dieser Personen erfolgt ausschließlich nach § 7 Abs. 1 SGB IV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts“ Die GmbH-Lösung führt auch zur Unanwendbarkeit des § 2 Nr. 9 SGB VI. Eine GmbH kann weder als Unselbständige noch als Selbständige der Sozialversicherung angehören. Für den GmhH-Geschäftsführer gelten die bisherigen Regeln. 68 Das Rundschreiben der Sozialversicherungsträger stellt nur klar, daß die Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV unanwendbar ist. Der Geschäftsführer der GmbH kann gleichwohl sozialversicherungspflichtig im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV 69 sein und außerdem in arbeitsrechtlicher Hinsicht als Arbeitnehmer eingestuft werden. Für Organmitglieder gilt jedoch aufgrund ihrer funktionstypischen Eigenverantwortlichkeit und Weisungsfreiheit 70 die VermuNur in seltenen tung ihrer Selbständigkeit. 71 Ausnahmekonstellationen kann ihnen der Arbeitnehmerstatus zugesprochen werden. 72 Generell ausgeschlossen ist der Arbeitnehmerstatus beim beherrschenden GesellschafterGeschäftsführer, der die Mehrheit der Geschäftsanteile hält. Das gilt sowohl für die arbeitsrechtliche 73 als für die sozialversicherungsrechtliche 74 Beurteilung. Allein der Umstand, daß sich die GmbH selbst in einem Verhältnis wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber befindet, verändert die rechtliche Beurteilung nicht. Im Wirtschaftsleben sind solche Konstellationen nicht unüblich (Beispiel: Zuliefererunternehmen in der Automobilindustrie). Nach dem Rundschreiben der Sozialversicherungsträger vom 6./7. November 1986 75 wird zwar die Sozialversicherungspflicht nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß eine in einer GmbH – sei es als Angestellter oder Geschäftsführer – beschäftigte Person zugleich Gesellschafter der GmbH ist. Auch mitarbeitende Gesellschafter können daher durchaus in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Ein Beschäftigungsverhältnis liegt nach der Rechtsprechung des BSG 76 aber nur dann vor, wenn der Gesellschafter: 9 funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozeß der GmbH teilhat, 9 für seine Beschäftigung ein entsprechendes Arbeitsentgelt erhält und 9 keinen maßgeblichen Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft kraft seines Anteils am Stammkapital geltend machen kann. Ein maßgeblicher Einfluß liegt immer vor bei 9 einem mindestens 50 %igen Anteil am Stammkapital 9 Sperrminorität, über die das Beschäftigungsverhältnis negativ beeinflussende Beschlüsse verhindert werden können. Die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen würden außerdem selbst bei Annahme einer „sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung“ bzw. eines Arbeitsverhältnisses allenfalls die GmbH und nicht den Auftraggeber treffen. Die ganz h. M. in Judikatur und Schrifttum lehnt ein konzern- AnwBl 4/2000 Aufsätze dimensionales Verständnis des Arbeitsrechtes ab. 77 Der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft unterhält, selbst wenn er infolge einer engen Weisungsgebundenheit gegenüber der Gesellschafterversammlung ausnahmsweise als Arbeitnehmer einzustufen ist, grundsätzlich keine arbeitsrechtlichen Beziehung zum Mutterunterunternehmen. 78 Ein pauschaler Durchgriff durch die GmbH, wie er von seiten der BfA propagiert wird, ist danach von Mißbrauchsfällen abgesehen nicht vertretbar. Das GmbH-Modell bietet damit für bestimmte Fallkonstellationen einen zumindest erwägenswerten Ausweg aus der aktuellen Unsicherheit. b) Die „freie Mitarbeit“ einer Anwalts-GmbH? Als Ansatz zur Bewältigung der Rechtsunsicherheit bei der sozialrechtlichen Einstufung freier anwaltlicher Mitarbeiter bietet sich das GmbH-Modell allenfalls in seltenen Ausnahmekonstellationen an. Zwar ist die Rechtsanwaltsgesellschaft-mbH seit dem 1.3.1999 auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage gestellt (§§ 59c ff. BRAO). Der Gesetzgeber hat die GmbH jedoch mit einer Reihe von Nachteilen belastet, die diese Rechtsform nur für Großkanzleien attraktiv erscheinen lassen. Ein zentrales Handicap ist die Kostenbelastung der Berufsausübung in der Rechtsanwaltsgesellschaft. Folgende besondere Kosten müssen bei der Rechtsanwaltsgesellschaft in Kauf genommen werden: (1) Notariatskosten für die Beurkundung des Gesellschaftsvertrages gem. § 2 GmbHG, (2) Kosten für die Eintragung ins Handelsregister, (3) Gebühren für die Zulassung in Höhe von 1000,– DM (§ 192 Abs. 1 S. 2 BRAO), (4) erhöhte Versicherungsprämie aufgrund der Mindestversicherungssumme von 5 Mio. DM, (5) erhöhte Kammerbeiträge, die neben die Beiträge der in der Gesellschaft tätigen Rechtsanwälte treten, (6) Beurkundungskosten für die Anteilsübertragung gemäß § 15 Abs. 3 GmbHG, (7) Kosten für den Kammerbeitrag in der IHK (Pflichtmitgliedschaft). Allein aufgrund der erhöhten Mindestversicherung ist für den Gründer mit Versicherungskosten von ca. 5.000 DM 67 Abgedruckt in ZIP 1999, 252 und BB 1999, 471; vgl. auch das aktuelle Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung v. 20.12.1999, S. 18 und 25, abrufbar im Internet unter http://www.vdr.de. 68 Ebenso Hanau ZIP 1999, 252, 253. 69 Durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 ist § 7 Abs. 1 SGB IV folgender zweiter Satz angefügt worden: „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Organisation des Weisungsgebers“. 70 Vgl. aber zum Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung § 37 GmbHG; stärker ist die Eigenverantwortlichkeit beim Vorstand der AG ausgeprägt (§§ 76, 119 Abs. 2 AktG). 71 Eingehend Henssler RdA 1992, 289 m. w. N.; Reiserer, Der GmbH-Geschäftsführer im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, 1995. 72 Lutter/Hommelhoff, § 6, Anhang, Rz. 3 ff. 73 BAG AP Nr. 54 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG GmbHR 1991, 460. 74 BSG ZIP 1990, 1566. 75 Abgedruckt in: Die Beiträge 1987, S. 35 ff. 76 BSG Die Beiträge 1975, 60; 1986, 215; 1986, 217; Beitragsrecht 1982 S. 59 B 39. 77 Dazu Henssler, Der Arbeitsvertrag in Konzern, S. 56 ff.; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 67 ff. 78 Zu Ausnahmen: BAG AP § 611 BGB Gemischter Vertrag Nr. 2; ErfK/Ascheid § 14 KSchG Rz. 5. AnwBl 4/2000 Aufsätze auszugehen, ein Betrag, der deutlich über den Kosten in der Sozietät bei einer Versicherungssumme von lediglich 500.000 DM liegt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Rechtsanwaltsgesellschaft-mbH aufgrund der erheblichen zusätzlichen Kostenbelastung für Berufsanfänger und kleinere Zusammenschlüsse in der Regel unattraktiv ist. Rechtspolitisch ist diese einseitige Ausrichtung auf Großkanzleien zu bedauern. 3. Parallelsozietät von jungen freien Mitarbeitern? Als weiterer denkbarer Ausweg wird erwogen, mehrere freie Mitarbeiter in einer Parallelsozietät zusammenzuschließen, die sodann quasi als Subunternehmer – eventuell sogar durch mehrere Kanzleien – eingesetzt wird. 79 Zunächst kommen auch hier die im Rundschreiben der Sozialversicherungsträger erwähnten Grundsätze für mitarbeitende Gesellschafter in Betracht. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen will, so bietet diese Gestaltungsvariante jedenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Tätigkeit der betroffenen Rechtsanwälte für mehrere Auftraggeber. Sowohl die Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV als auch die Vorschrift des § 2 Nr. 9 SGB VI werden damit regelmäßig nicht greifen. Die Bildung einer Parallelsozietät stellt die erforderliche Selbständigkeit der Rechtsanwälte nach § 7 Abs. 1 SGB IV jedenfalls dann sicher, wenn der „Mitarbeitersozietät“ freigestellt bleibt, welcher Gesellschafter den Auftrag erfüllt. Nach der Neufassung des § 2 Nr. 9 SGB VI sind rentenversicherungspflichtig all jene selbständig tätigen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 630 DM übersteigt und auf Dauer und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (arbeitnehmerähnliche Selbständige). Bedenken gegen diese damit durchaus denkbare Gestaltung folgen aus dem Berufsrecht. § 31 BerufsO schreibt in seinem Satz 1 explizit vor: „Ein Rechtsanwalt darf sich mit Angehörigen nach § 59 a Abs. 1 BRAO sozietätsfähiger Berufe nur dann zu einer Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise oder in einer Bürogemeinschaft verbinden, wenn diese nicht daneben einer weiteren Sozietät, Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise oder Bürogemeinschaft angehören.“ Nach dem von § 31 BerufsO normierten Verbot der sog. Sternsozietät darf der in irgendeiner anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft tätige Rechtsanwalt oder Wirtschaftsberater keiner weiteren Berufsausübungsgesellschaft oder Bürogemeinschaft angehören. Die Formulierung „zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise angehören“ deckt jede Form der Beteiligung oder Mitarbeit ab. Selbst der Status als Angestellter oder Freier Mitarbeiter in einer weiteren Gesellschaft ist dem Sozietätspartner verwehrt. 80 § 3 Abs. 2 BerufsO enthält eine Legaldefinition des Begriffs „zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise“ und faßt darunter sowohl das Anstellungsverhältnis als auch die Freie Mitarbeit. 81 Die Satzungsnorm gilt nach § 33 Abs. 2 BerufsO für alle anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften gleich welcher Rechtsform, erfaßt also auch Anwälte, die gleichzeitig als freie Mitarbeiter einer Rechtsanwalts-Partnerschaft oder einer Rechtsanwalts-GmbH angehören. Stellt man nur auf den Wortlaut des § 31 BerufsO ab, so gehört der jeweilige freie Mitarbei- 221 l ter sowohl der Auftraggeber-Sozietät (als freier Mitarbeiter) als auch der Mitarbeiter-Sozietät (als Gesellschafter) an, so daß das Verbot auf den ersten Blick zu greifen scheint. Die Satzungsversammlung der Anwaltschaft ist der von seiten des Schrifttums 82 und der Rechtsprechung 83 gegen § 31 BerufsO vorgebrachten Kritik nicht gefolgt, sondern hat sich auf ihrer Sitzung vom 22.3.1999 ausdrücklich für die Beibehaltung der Vorschrift entschieden 84. Man muß daher befürchten, daß die Rechtsanwaltskammern gegen die „Freie Mitarbeiter Sozietäten“ vorgehen werden. Geht man mit der Bundesrechtsanwaltskammer davon aus, daß es das Ziel der Regelung ist, Interessenkollisionen aufgrund der Arbeit für verschiedene Sozietäten zu vermeiden, dann ergeben sich in der Tat für die Mandanten zusätzliche Gefahren, wenn die Gesellschafter einer Sozietät nebenher noch (häufig ja verdeckt) als freie Mitarbeiter für eine Zweitsozietät tätig werden. § 31 BerufsO greift jedoch schon deshalb nicht, weil die Satzungsnorm als verfasssungswidrig einzustufen ist 85. Weder das StBerG noch die WPO kennen ein vergleichbares Verbot. In seiner Grundsatzentscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Sozietätsverbotes zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern hat das BVerfG jedoch betont, daß es dem Gesetzgeber – und damit auch dem Satzungsgeber – verwehrt sei, die verwandten Beratungsberufe der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer „ohne hinreichenden sachlichen Grund“ unterschiedlich mit berufsausübungsbeschränkenden Maßnahmen zu belasten 86. Sachliche berufsbildbezogene Gründe, welche die unterschiedliche Behandlung der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer einerseits und der Rechtsanwälte andererseits rechtfertigen könnten, sind indes nicht ersichtlich. Die „Erwartungshaltung“ des Mandanten eines Steuerberaters unterscheidet sich in Bezug auf die berufliche Organisation seines Beraters und dessen Kooperationsverhältnisse nicht von derjenigen eines anwaltlichen Mandanten. Auch ist die Gefahr einer Irreführung der Mandanten bei der Beteiligung von Steuerberatern an mehreren Berufsausübungsgesellschaft nicht stärker ausgeprägt als bei einem anwaltlichen Sternsozius. 4. Partnerschaft von Hilfskräften einer oder mehrerer Anwaltskanzleien? Ähnlich ist die Situation bei Gründung einer Partnerschaft durch mehrere „Hilfskräfte“ einer oder mehrerer Sozietäten. Die Partnerschaft weist seit der Neufassung des § 8 Abs. 2 PartGG den zentralen Vorteil der gesetzlichen Haftungskonzentration auf den jeweiligen Mandatsbearbeiter auf, so daß eine gesamtschuldnerische Haftung für die Pflichtversäumnisse des Mitgesellschafters vermieden wird. 79 Vgl. Jahn, Handelsblatt v. 7.4.1999. 80 A. A. Römermann in Hartung/Holl, BerufsO, § 31, Rz. 36. 81 Gegen die engere Interpretation von Römermann (Römermann in Hartung/ Holl, BerufsO, § 31, Rz. 36) spricht, daß sogar die Bürogemeinschaft eines Partners erfaßt wird. Der Begriff der Sternsozietät ist damit ersichtlich nicht im engen Sinn der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an mehreren Berufsausübungsgesellschaften zu verstehen. 82 Henssler, ZIP 1998, 2121. 83 AGH Nordrhein-Westfalen AnwBl 1999, 52 = ZIP 1998, 2161. 84 Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 21.6.1999 (NZG 1999, 1054 mit Anm. Henssler NZG 1999, 1095) zwar offengelassen, ob § 31 BerufsO verfassungskonform ist, zugleich aber den Anwendungsbereich dieser Satzungsnorm deutlich zurückgedrängt. 85 Dazu Henssler ZIP 1998, 2120, 2124; ders. NZG 1999, 1095; offengelassen von BGH NZG 1999, 1054. 86 BVerfG ZIP 1997, 117; JZ 1998, 1062 mit Anm. Henssler. AnwBl 4/2000 222 l Aufgrund der Rechtsfähigkeit der Partnerschaft ist hier klargestellt, daß nur die Gesellschaft selbst als Vertragspartnerin der Auftraggeberkanzlei auftritt. Selbst wenn hier eine Rahmenvereinbarung mit der Auftraggeberkanzlei getroffen wird, die der Sache nach einer Vereinbarung über eine Freie Mitarbeit gleichkommt, dann wird man kaum noch davon sprechen können, daß die einzelnen Partner der Mitarbeitergesellschaft zugleich der Auftraggeberkanzlei als freie Mitarbeiter „angehören“. Schon nach seinem Wortlaut greift § 31 BerufsO somit nicht. V. Ergebnis Als Gesamtbefund bleibt die Feststellung: Sichere Vermeidungstrategien gibt es nicht. Der Zusammenschluß mehrerer freier Mitarbeiter in einer Partnerschaft, die sich sodann um Mandate auch außerhalb der Rahmenvereinbarung mit dem Hauptauftraggeber bemüht, erscheint als eine berufspolitisch vernünftige und arbeits- sowie sozialversicherungsrechtlich praktizierbare Problemlösung. Gründe für das Auftreten von Absprachen im Strafverfahren Rechtsanwalt Dr. Stefan Braun, Backnang Nachdem der Problemkomplex der Deals oder Absprachen im Strafverfahren zum Ende der 80 er und Beginn der 90 iger Jahre im Zentrum der strafprozessualen Diskussion gestanden hatte in deren Verlauf sich auch der 58. DJT mit diesem Thema beschäftigte 1, ist es in letzter Zeit etwas ruhiger um diesen Problembereich geworden. Obwohl es durch Entscheidungen des BGH vom 28.8.1997 (= BGHSt 43, 195 = NJW 1998, 86) in Teilbereichen des Gesamtproblems zu einer Beruhigung gekommen ist, ist man einer Lösung der sich aus den Absprachen ergebenden Probleme insgesamt kaum näher gekommen. Nur allzu oft „versandet“ die Diskussion in Detailproblemen und Verästelungen des Gesamtproblems. Grund genug, sich (noch) einmal die Ausgangsprobleme von Deals, nämlich deren Ursache in einem Überblick vor Augen zu führen. Dies Gründe sind vielfältig und ergeben sich teils aus den spezifischen Prozesspositionen der einzelnen Prozessbeteiligten, teils aus Erwägungen ganz allgemeiner Art 2. a) Als allgemeine Gründe für diese Praxis sind zu nennen: aa) ein grundsätzliches Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten nach ungezwungenem Austausch von Informationen, d. h. nach Kommunikation sowie die Hinwendung der Beteiligten zu einem kommunikationsorientierten Verhandlungsteil auch im Strafrecht 3. Dies hat seinen Grund sicher auch darin, dass sich der Charakter der staatlichen Autorität wandelt. Für einen großen Teil der Verfahrensbeteiligten unterliegt das Strafverfahren einem noch nicht abgeschlos- Aufsätze senen Prozess der Entmythologisierung 4. Nach heutigem Staatsverständnis wandelt sich der Strafprozess von einem alten autoritären Verhandlungsstil zu einem kommunikationsorientierten Verfahren 5, in dem es darum geht, den Gerichtssaal zu einem Ort der Streitschlichtung und Konfliktregelung zu machen 6. Auch in der strafproz. Wissenschaft geht die Tendenz dahin, mehr Aspekte, die aus dem Sozialund Rechtsstaatsprinzip folgen, in die gerichtliche Konfliktregelung einfließen zu lassen und damit den Strafprozess integrativer zu gestalten 7. bb) Entwicklungen sowohl im materiellen als auch im formellen Strafrecht, die auf eine stärkere Betonung des Täter-Opferausgleichs sowie auf Schadenswiedergutmachung gerichtet sind 8. So eröffnet § 46 a StGB beispielsweise breite Möglichkeiten von Verhandlungen, bei denen die Schadenswiedergutmachung im Vordergrund steht. cc) Veränderung bzw. Erweiterung von Prozesszielen auf Aspekte wie Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens 9 oder der Verfahrensökonomie 10 an sich. Dies ergibt sich auch aus Änderungen von gesetzlichen Regelungen etwa beim beschleunigten Verfahren (§§ 417 - 420 StPO neu, § 109 II JGG). Nach § 417 StPO ist die StA nunmehr verpflichtet, den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu stellen, wenn „die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“ 11. Auch kommen etwa Lüdemann/Bußmann nach ihrer Erhebung bzgl. des Gesichtspunktes der erwarteten Konsequenzen von Aushandlungsprozessen zu dem Ergebnis, dass die Einschätzung einer besseren Verfahrensökonomie von den Befragten hier am häufigsten genannt wurde. Hieraus ziehen sie den Schluss, dass dies darauf hindeutet, dass neben den klassischen (formellen) Paradigmen des Strafverfahrens, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein weiteres informelles existiert, nämlich das der Prozessökonomie 12. Den Rechtsfrieden als das ideale Prozessziel sieht z. B. auch Schmidthäuser an. Dabei definiert er diesen Zustand als einen solchen, „bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Rechtsbruch beruhigen kann“ 13. Auch solche Überlegungen zu grds. Prozesszielen begünstigen die Praxis des Deals. dd) Der Vergleich mit den konsensualen Handlungsformen, z. B. im öffentlichen Recht, wo ebenfalls Subordinationsverhältnisse gegeben sind 14. So z. B. die Handlungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages (vgl. §§ 54 ff. VwVfG) die auch bei Subordinationsverhältnissen, d. h. bei Verhält- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Vgl. diesbzgl. das Gutachten von Schünemann zum 58. DJT. Vgl. überblicksmäßig Bußmann/Lüdemann, MSchrKrim. 1988, 81 (84). Rönnau, S. 41 m. w. N. Vgl. Lüdersen, Verhandlungen des 58. Dt.-Jur.-Tages 1990, Bd. II L 78 und Hammerstein, aaO L 89. Kremer, S. 31. AK-StPO-Wassermann, Emil, II Rdnr. 1 ff. m. w. N. Roxin, StrVerrR § 2A II, Lenckner, JUS 83, 340 ff., Rönnau, S. 65 m. w. N. Kremer, S. 23 vgl. auch die Ausführungen hierzu von König/Seitz in NStZ 95, S. 1 ff. Kintzi, JR 90, 309 (310), Schmidhäuser in FS für Eb. Schmidt, S. 511 (516), auch Weigend, JZ 90, 774 (789). Lüdemann/Bußmann KrimJ. 89, 54 (68); Vgl. z. B. auch Weihrauch, Verteidigung in Ermittlungsverfahren, S. 124 (Rdnr. 165); Römer in FS für Erich Schmidt-Leichner, S. 133 (141). Vgl. auch König/Seitz in NStZ 95, 1 (4 ff.). Vgl. Lüdemann/Busmann KrimJ. 89, 54 (60 ff.). Schmidthäuser in FS für Eb. Schmidt, S. 511 (516). Kremer, aaO.