Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?

Transcrição

Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?
AnwBl 4/2000
213
l
Aufsätze
auswirken wird, ist endgültig noch nicht abzusehen, ist aber
eher unwahrscheinlich. Denn schließlich hat der BGH in
den vergleichbaren Fällen der Wirtschaftsprüferhaftung einen möglichen Verstoß gegen Berufspflichten als Basis für
einen Schadensersatzanspruch gestützt auf § 823 Abs. 2
BGB nicht einmal erwähnt 38.
Abs. 3 BRAO entfällt die Deckungspflicht des Versicherers,
wenn das Haftpflichtereignis vorsätzlich herbeigeführt
wird. Es wird daher konsequenterweise in der Literatur vorgeschlagen, der extensiven Interpretation von § 826 BGB
eine restriktive Interpretation des Haftungsausschlusses
von § 152 VVG folgen zu lassen 43. Die Entwicklung ist dabei insoweit offen.
3. Haftung nach § 826 BGB
a) Das Beispiel: Räuberische Aktionäre
In einem 1992 vom BGH entschiedenen Fall 39 war Klägerin eine Aktiengesellschaft, die ihr Kapital um 1,9 Mrd.
DM erhöhen wollte. Gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss
legten zwei Aktionäre, F und D, mit je ungefähr drei kurz
zuvor erworbenen Aktien, vertreten durch den beklagten
Rechtsanwalt Widerspruch ein. Dies – sowie die erklärte
Absicht, demnächst Anfechtungsklage zu erheben – wurde
dem Registerrichter mitgeteilt, der daraufhin den
Kapitalerhöhungsbeschluss nicht eintrug. Die Klägerin, die
den Betrag aus der Kapitalerhöhung zur Finanzierung eines
Anteilserwerbs an einer Bank dringend benötigte, sah die
Durchführung dieses Vorhabens als gefährdet an und befürchtete erhebliche finanzielle Nachteile. Sie nahm daher
Kontakt zu dem Beklagten auf, der gestützt auf Angaben des
Aktionärs F behauptete, er vertrete außer F und D auch
noch eine ganze Gruppe von Aktionären. Nach nächtlichen
Verhandlungen in der Kanzlei des Beklagten einigte man
sich darauf, dass die Klägerin 1,5 Mio treuhänderisch an den
Beklagten zur Weiterleitung an die von ihm vertretenen Aktionäre erhalten und dafür die Anfechtungsklage nicht erhoben werden sollte. Nach der dann problemlos erfolgten Eintragung der Kapitalerhöhung verlangte die klagende
Aktiengesellschaft diesen Betrag von dem Rechtsanwalt unter Hinweis darauf zurück, dass die angeblich von dem Anwalt vertretenen Aktionäre nicht existierten und die ganze
Aktion nur dazu gedient habe, die Gesellschaft mehr oder
weniger zu erpressen. Diese Klage hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Dabei wurde eine Aussage zugrunde gelegt,
die vorwiegend zur Haftung der Wirtschaftsprüfer gegenüber
Dritten entwickelt worden ist. Danach handelt sittenwidrig
im Sinne von § 826 BGB auch derjenige, der seine Berufspflichten in einem Maße grob fahrlässig und leichtfertig verletzt, dass sein Verhalten als bedenken- und gewissenlos zu
bezeichnen ist40. Dies, so das Urteil, sei hier der Fall. Der
Beklagte habe sich über die Existenz der von ihm vertretenen Aktionärsgruppe vergewissern und Zielsetzung sowie
Umfang und Inhalt seines Mandatsauftrags abklären müssen.
Nur so habe er sicherstellen können, dass er eine mit seiner
Stellung als Organ der Rechtspflege zu vereinbarende Vertretung durchführe. Es habe dem Beklagten verdächtig erscheinen müssen, dass sein Auftraggeber, der Aktionär F,
keine Angabe zu diesen Punkten gemacht habe 41.
b) § 152 VVG
Dieses außerdem auf § 823 Abs. 2 BGB mit §§ 266,
253 StGB gestützte Urteil mag als solches richtig sein. Es
weist aber auf ein nicht zu unterschätzendes Haftungspotential hin. Wie gerade die Entwicklung im Bereich der
Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern zeigt, lässt sich im
Nachhinein oft relativ problemlos von einer grob fahrlässigen und leichtfertigen Verletzung von Berufspflichten sprechen. Man ist sich darüber einig, dass gerade die Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer zu einer Aufweichung der
Tatbestandsmerkmale von § 826 BGB geführt hat 42. Dies
birgt eine erhebliche Gefahr: Denn nach § 152 VVG, § 51
V. Zusammenfassung
1) Bei einer zielgerichteten Beratung eines Dritten aufgrund eines Auftragsverhältnisses mit einer anderen Partei
haftet der Anwalt dem Dritten unter Umständen aufgrund
einer Garantieübernahme als Bestandteil eines besonderen
Vertrauensverhältnisses. Ein Haftungsausschluss geht daher
nur zulasten des Dritten, wenn er diesem gegenüber deutlich geworden ist.
2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber kann ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sein. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Beratung zwar nicht an den Dritten
gerichtet ist, ihm nach dem Vertrag aber gleichwohl zugute
kommen soll. Ein mit dem Mandanten vereinbarter Haftungsausschluss gilt dann auch zulasten des Dritten.
3) Eine Haftung des Anwalts gegenüber Dritten nach
§ 826 BGB sollte nur in Extremfällen eingreifen.
38 BGH ZIP 1998, 583.
39 BGHZ 84, 312, 314; BGHZ 110, 342, 350.
40 RG JW 1929, 3149; BGH WM 1986, 904; Jost, aaO, S. 73 ff; Überblick zur
Wirtschaftsprüferhaftung, bei Grunewald ZGR 1999, 583, 590.
41 BGH NJW 1992, 2821.
42 Vgl. die Darstellung bei Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II/2,
§ 78 II 2 d, III 1 a, IV 3; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 214.
43 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 214; Grunewald, ZGR 1999, 583, 592; Hirte,
Berufshaftung, S. 426.
Ist der Freie Mitarbeiter
abgeschafft? Was nun? *
Der Freie Mitarbeiter im Spiegel des
anwaltlichen Berufsrechts **
Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln
Übersicht
I.
Die Beschäftigung von Rechtsanwälten vor dem Hintergrund der Problematik der Scheinselbständigkeit
II. Berufsrechtliche Grundlagen der Statusbeurteilung als freier Mitarbeiter
1. Die Regelungskompetenz der Satzungsversammlung gem. § 59 b BRAO
2. Die partielle Annäherung des freien Mitarbeiters an den Sozietätspartner
3. Der Schutz des freien Mitarbeiters über § 26 BerufsO
* Siehe zu anderen Aspekten des Themas die Veröffentlichungen in AnwBl
2000, 149 ff.
** Schriftliche Fassung meines Vortrags auf der Veranstaltung des DAV zum Thema „Ist der Freie Mitarbeiter abgeschafft? Was nun?“ am 28.4.1999. Der Vortragsstil wurde teilweise beibehalten.
214
l
III. Das anwaltliche Berufsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht?
1. Schutzpflichten des Arbeitgeber-Rechtsanwalts gegenüber anwaltlichen Mitarbeitern
2. Schutzpflichten gegenüber nichtanwaltlichen Arbeitnehmern
3. Folgen einer Verletzung des § 26 BerufsO
4. Der Lösungsansatz des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld
IV. Berufsrechtliche Grenzen für Ausweichstrategien
1. Lösung über Pflichten des Auftragnehmers?
2. Das GmbH-Modell als praktikabler Ausweg?
3. Parallelsozietät von jungen freien Mitarbeitern?
4. Partnerschaft von Hilfskräften einer oder mehrerer Anwaltskanzleien?
V. Ergebnis
I. Die Beschäftigung von Rechtsanwälten vor dem
Hintergrund der Problematik der Scheinselbständigkeit 1
Die Umgehung unerwünschter arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Folgen durch die Beschäftigung freier Mitarbeiter ist für die Anwaltschaft ein altbekanntes Problem.
In der Vergangenheit ist gleichwohl nie der Eindruck entstanden, als wären die Beschäftigten entsprechenden Strategien hilflos ausgeliefert. Gestaltungsmißbräuchen ließ sich
vielmehr mit den vom BAG entwickelten Kriterien des
Arbeitnehmerbegriffs 2 in der großen Mehrzahl der Fälle begegnen. Die Gerichte hatten in der Vergangenheit keine
Schwierigkeiten, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. 3
Da es weder auf die Bezeichnung des Vertrages 4 noch auf
den Willen der Vertragsparteien, sondern allein darauf
ankommt, wie die Parteien das Rechtsverhältnis „nach
objektivem Maßstab praktiziert haben“, 5 konnten Rechtsanwälte, die tatsächlich weisungsabhängig 6 beschäftigt
waren, regelmäßig ihren arbeitsrechtlichen Schutz erfolgreich in Anspruch nehmen. 7
Daß es gleichwohl verhältnismäßig wenige Rechtsstreitigkeiten um die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft
gegeben hat, dürfte daran liegen, daß gekündigte „scheinselbständige Mitarbeiter“ typischerweise selbst wenig Neigung haben, in einer Sozietät weiterzuarbeiten, in der sie
nicht erwünscht sind. Außerdem verschlechtern sich durch
einen Kündigungsschutzstreit die Chancen bei der Suche
nach einem neuen Arbeitsplatz rapide, da Rechtsanwälte
äußerst zurückhaltend sind, Mitarbeiter einzustellen, die
ihren letzten Arbeitsplatz im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung verlassen haben. Nur bei anderenfalls drohender Arbeitslosigkeit drängt sich daher ein Kündigungsschutzprozeß auf.
Schon vor der Einführung der § 7 Abs. 4 SGB IV und
§ 2 Nr. 9 SGB VI hatten die Bemühungen um eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs, die in der aktuellen Entscheidungspraxis des BAG 8 und der ihm folgenden Instanzgerichte 9 zu beobachten waren, zu Unsicherheiten in der
Praxis geführt. Verlangt man mit den vom BAG im Anschluß an Wank 10 in seiner Eismann-Entscheidung 11 aufgestellten Kriterien, daß der als Freier Mitarbeiter Beschäftigte tatsächlich nicht nur unternehmerische Risiken,
sondern auch relevante unternehmerische Chancen wahrnehmen kann, liegt die Einordnung als Angestellter immer
dann schon nahe, wenn der Umfang der Vertragsbeziehung
einer Vollzeitbeschäftigung ähnelt 12. Der Rechtsanwalt hat
dann schon aus zeitlichen Gründen kaum Möglichkeiten,
sich einen eigenen Mandantenstamm aufzubauen. Seine
Einnahmemöglichkeiten als Freier Mitarbeiter sind regelmäßig gerade nicht höher als diejenigen eines vergleichbaren angestellten Rechtsanwaltes.
Im Rahmen der Statusbeurteilung muß berücksichtigt
werden, daß viele Berufseinsteiger derzeit froh sind, wenn
AnwBl 4/2000
Aufsätze
sie überhaupt praktizieren und über das vom anwaltlichen
Vertragspartner zur Verfügung gestellte Fallmaterial Erfahrungen sammeln können. Bereits diese Möglichkeit kann
sich für den künftigen Erfolg als selbständiger Unternehmer
von unschätzbarem Gewinn erweisen. Der einfache Vergleich der Einkünfte des zu beurteilenden selbständig Beschäftigten mit den Durchschnittseinkünften eines angestellten Rechtsanwalts, zu dem das BAG in der EismannEntscheidung tendiert, ist wenig aussagekräftig. Sachgerecht kann die Einstufung als Arbeitnehmer erst dann sein,
wenn dem formal selbständig Beschäftigten von seinem
Vertragspartner über einen längeren Zeitraum hinweg nur
unattraktive, zeitaufwendige Mandate mit geringem Gebührenaufkommen übertragen werden, für die dieser selbst
keine Zeit hat und auch die sonstigen Vertragsumstände
dem „Freien Mitarbeiter“ nur einen eng begrenzten Handlungsspielraum belassen.
II. Berufsrechtliche Grundlagen der Statusbeurteilung
als freier Mitarbeiter
1. Die Regelungskompetenz der Satzungsversammlung
gem. § 59 b BRAO
Eine Bestandsaufnahme der Interdependenzen zwischen
Berufsrecht und den Auswirkungen des Korrekturgesetzes
hat bei der Vorschrift des § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO anzuknüpfen. Seit dem Jahr 1994 ermächtigt diese Norm die
Satzungsversammlung der Anwaltschaft, die anwaltlichen
Pflichten „im Zusammenhang mit der Beschäftigung von
Rechtsanwälten“ zu regeln. 13 Durch die in § 59 b BRAO
niedergelegte Ermächtigung zum Erlaß einer BerufsO
wollte der Gesetzgeber den notwendigen Ersatz für die zur
Konkretisierung der beruflichen Pflichten eines Rechtsanwalts in den Richtlinien zur Ausübung des Anwaltsberufs
(RichtlRA) festgestellten allgemeinen Fragen der Ausübung
des Anwaltsberufs schaffen 14, nachdem das BVerfG den Erlaß gesetzlich vorgeprägten Satzungsrechts gefordert hatte. 15
1 Zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Scheinselbständigkeit (Gesetz
zur Förderung der Selbständigkeit v. 20.12.1999 = BGBl. I 2000 S. 2) vgl.
Bauer/Diller/Schuster, NZA 1999, 1297 ff.; Gaul, DB 1999, 2466 ff.; Heinze,
NZA 2000, 5 ff.; Linnenkohl, AuA 2000, 59 ff.
2 Vgl. hierzu aus neuerer Zeit Reinecke, in: Festschrift Dieterich, 1999, S.
463 ff.
3 Vgl. BAG AP Nr. 8 zu § 850 c ZPO = NZA 1987, 488 f.; BAG AP Nr. 87 zu
§ 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag; BAG AP Nr. 12 zu § 5 ArbGG 1979 mit
Anm. Henssler m. w. N.
4 Vgl. hierzu Linnenkohl, AuA 2000, 59 (60).
5 Aktuell BAG AP Nr. 94 zu § 611 BGB Abhängigkeit sowie BAG AP Nr. 6, 12,
37, 57 zu § 611 BGB Abhängigkeit; für angestellte Rechtsanwälte: LAG Baden-Württemberg AnwBl 1987, 142; LAG Hamm MDR 1990, 186; LAG
Frankfurt a. M. BRAK-Mitt. 1991, 61; vgl. zur letztgenannten Fundstelle Delhey/Alfmeier, NZA 1991, 257.
6 Beachte insoweit auch die Ergänzung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV durch das
Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999.
7 Berghahn, Der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter, S. 41 ff.; Kilger, AnwBl
1992, 212; Henssler, RdA 1999, 38 (40).
8 BAG ZIP 1997, 1714 und ZIP 1998, 612; dazu Reinicke, ZIP 1998, 581; Hromadka, NZA 1997, 569; Horn/Henssler, ZIP 1998, 589.
9 Insbesondere LAG Nürnberg, ZIP 1998, 617.
10 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 1988; ders., DB 1992, 90; ders., Empirische Befunde zur „Scheinselbständigkeit“ – Juristischer Teil, S. 90 ff.; ders.,
RdA 1999, 271 ff. (Anmerkung zum Beschluß des BGH v. 4.11.1998 – VIII
ZB 12/98); ders., RdA 1999, 297 ff.
11 BAG ZIP 1997, 1714.
12 Im Gegensatz zur herrschenden Lehre, die in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers betont, stellt Wank (aaO. FN 11) zur Abgrenzung auf die wirtschaftliche
Abhängigkeit des Arbeitnehmers ab. Kritisch zum Merkmal der persönlichen
Abhängigkeit auch Reuter, in: Festschrift Dieterich, 1999, S. 473 ff.
13 Henssler/Prütting-Koch, BRAO, § 1, Rz. 51.
14 Henssler/Prütting-Koch, § 59b BRAO, Rz. 12; BT-Drucks. 12/4993, S. 34.
15 BVerfG NJW 1988, 191; Kleine-Cosack, NJW 1988, 164; Zuck, NJW 1988, 175.
AnwBl 4/2000
215
l
Aufsätze
Der Katalog der in § 59 b Abs. 2 Nr. 1 bis 9 BRAO aufgeführten Regelungsgegenstände ist abschließend, enumerativ und nicht erweiterungsfähig. 16 Der Gesetzgeber
wollte, wie sich der Streichung des im Regierungsentwurfes enthaltenen Wortes „insbesondere“ entsprechend der
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestags 17 entnehmen läßt, den Regelungsumfang der
Satzungskompetenz abschließend bestimmen.
2. Die partielle Annäherung des freien Mitarbeiters an den
Sozietätspartner
Die Satzungsversammlung hat diese Gestaltungskompetenz genutzt, um verschiedene Fragen rund um den freien
Mitarbeiter zu klären. Während der gesetzlichen Regelung
der BRAO der Begriff des freien Mitarbeiters fremd ist,
wird dieser Terminus in der Berufsordnung gleich mehrfach
erwähnt. § 3 Abs. 2 BerufsO erstreckt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auf den Fall der Vorbefassung eines anderen Rechtsanwaltes, mit dem der Berufsträger im Rahmen einer freien Mitarbeit verbunden ist oder
war. § 8 BerufsO läßt einen Hinweis auf eine berufliche
Zusammenarbeit auch im Falle einer freien Mitarbeit zu.
Mit ähnlicher Intention erlauben § 9 Abs. 1 und 2 BerufsO
die Aufnahme eines aktiven oder ehemaligen freien Mitarbeiters in eine Kurzbezeichnung und § 10 Abs. 1 und 4
BerufsO die Benennung eines solchen freien Mitarbeiters
auf dem Briefbogen.
Ziel all dieser, zum Teil durchaus innovativen Regelungen
ist es, den freien Mitarbeiter dem Sozietätspartner sowohl in
Bezug auf das Pflichtenprogramm als auch in Bezug auf
seine Entfaltungsmöglichkeiten nach außen anzunähern. Der
freie Mitarbeiter soll ebenso wie der angestellte Rechtsanwalt die Möglichkeit erhalten, seinen Namen auf dem Beratungsmarkt werbewirksam präsentieren zu können, um sich
einen eigenen Mandantenstamm aufzubauen. Den freien
Mitarbeitern wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, ihrer
Kanzleipflicht gem. § 27 BRAO in vollem Umfang nachzukommen. 18 Zur Erfüllung dieser Pflicht reicht ja das Unterhalten von Büroräumen nicht aus. Vielmehr muß durch entsprechende organisatorische Maßnahmen Vorsorge getroffen
werden, daß das Publikum die Bereitstellung anwaltlicher
Dienste auch tatsächlich erkennen kann. 19
Für die hier interessierende arbeits- und sozialrechtliche
Abgrenzung des freien Mitarbeiters vom angestellten
Rechtsanwalt geben die berufsrechtlichen Bestimmungen
nichts her. Sicherlich ging es der Satzungsversammlung
auch um eine Aufwertung der freien Mitarbeiter ohne Gesellschafterstatus. An dieser Aufwertung partizipieren aber
Angestellter und freier Mitarbeiter gleichermaßen. Der Status des freien Mitarbeiters bleibt durch die berufsrechtliche
Regelung unverändert. Wird sein Name in den Briefbogen,
auf Kanzleischilder oder sogar in eine Kurzbezeichnung
aufgenommen, ohne daß sein Stellung klargestellt wird, so
entsteht nach außen hin der Eindruck einer Stellung als Gesellschafter mit der Folge der persönlichen Haftung für die
Gesellschaftsschulden der Sozietät (Scheinsozius). Die
Möglichkeit, auf Briefbogen, Kanzleischild und in Kurzbezeichnungen erwähnt zu werden, bedeutet nicht, daß nun
der Geschäftsverkehr nicht mehr auf die persönliche Haftung sämtlicher in dieser Weise benannten Personen für die
Gesellschaftsschulden vertrauen dürfe. 20 An der Erwartungshaltung des rechtsuchenden Publikums hat sich nichts
geändert.
Die Vorschriften der BerufsO stellen nur die bis dato umstrittene 21 berufsrechtliche Zulassung der Benennung klar.
Die Regelung ist im übrigen auch insoweit nicht geglückt,
da unklar bleibt, ob die Briefkopfangabe mit einem Hinweis
auf den besonderen Status des Mitarbeiters verbunden sein
muß. Praktikabel erscheint nur der Verzicht auf eine entsprechende Angabepflicht. Besonders deutlich ist dies bei der
Gestaltung der Kurzbezeichnung. Hier würde eine Differenzierung zwischen Sozietätspartnern und freien Mitarbeitern
nur Verwirrung stiften. 22 Die Funktion der Kurzbezeichnung
ginge verloren. Da die Satzungsregelung keine Differenzierung zwischen der Benennung von freien Mitarbeitern in
Kurzbezeichnungen einerseits und der Angabe auf Kanzleischildern und Briefbögen andererseits vorsieht, wird man einen klarstellenden Hinweis generell für entbehrlich halten
müssen. Arbeits- und sozialrechtliche Folgewirkungen für
die Abgrenzung von angestelltem Rechtsanwalt und freiem
Mitarbeiter haben die genannten Regelungen nicht.
3. Der Schutz des freien Mitarbeiters über § 26 BerufsO
Weit schwieriger zu beurteilen sind die arbeitsrechtlichen Wirkungen einer anderen Vorschrift der BerufsO.
Während die BRAO selbst zu den Pflichten des Rechtsanwalts gegenüber seinen Mitarbeitern schweigt (mit Ausnahme der erwähnten Ermächtigungsnorm des § 59b Abs.
2 Nr. 8 BRAO), sieht § 26 BerufsO eine Verpflichtung vor,
die weit über allgemeine arbeitsrechtliche Schutzprinzipien
hinausgeht. 23 § 26 BerufsO verpflichtet Rechtsanwälte, andere Anwälte, sonstige Mitarbeiter und Auszubildende nur
zu „angemessenen Bedingungen“ zu beschäftigen. Dazu
zählt insbesondere eine Vergütung, die „der Qualifikation,
den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts“ entspricht. 24
Außer Frage steht, daß in der Praxis vielfach gegen
diese Bestimmung verstoßen wird. Belegt sind Fälle, in denen Rechtsanwälte eine Vollzeitbeschäftigung im Rahmen
einer 630-DM-Tätigkeit übernehmen. Nicht nur vereinzelt
sollen junge Assessoren sogar ohne jede Vergütung arbeiten, nur um überhaupt eine anwaltliche Tätigkeit und damit
eine Berufserfahrung nachweisen zu können. Gleichwohl
sind die Rechtsanwaltskammern, soweit bekannt, bislang
noch nicht zur Ahndung von Verstößen gegen § 26 Abs. 1
BerufsO tätig geworden.
Vor dem Hintergrund des Korrekturgesetzes erscheint es
besonders reizvoll, der Frage nach den Regelungszielen und
den zivilrechtlichen Folgewirkungen dieser Vorschrift nachzugehen. Haben wir gar eine eigenständige Arbeitnehmerschutzvorschrift im Berufsrecht, deren Tragweite deutlich
über alles hinausgeht, was es im Arbeitsrecht gibt, nämlich
eine Pflicht zur Zahlung angemessener Vergütungen?
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Henssler/Prütting-Koch, § 59 b BRAO, Rz. 15.
BT-Drucks. 12/7656, S. 50.
Feuerich/Braun, BRAO, § 10 BO, Rz. 4.
BGHZ 38, 6; Feuerich/Braun, BRAO, § 27, Rz. 6.
Zur Haftung des Scheinsozius vgl. BGHZ 70,247; BGH NJW 1986, 1490;
MDR 1996, 966.
Vgl. OLG Düsseldorf EWiR 1994, 1037 (Ring); Feuerich/Braun, BRAO,
§ 43b, Rz. 22 (offenbar auch für die Rechtslage unter der Geltung der
BerufsO).
Feuerich/Braun, BRAO, § 9 BO, Rz. 7.
Allgemein zur „Fürsorgepflichtverletzung im Anwaltsarbeitsverhältnis“ Compensis, BB 1996, 321.
Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 142.
216
l
Durch § 26 BerufsO und dessen Festschreibung angemessener Vertragsbedingungen für Mitarbeiter und Auszubildende des Rechtsanwalts wollte die Satzungsversammlung „die Beschäftigungsverhältnisse der rechtlichen
Grauzone entziehen“. 25 Entgegengewirkt werden soll den in
der Praxis zu beobachtenden Mißständen. Der Satzungsversammlung war bekannt, daß insbesondere Junganwälte ohne
Berufserfahrung zu unangemessenen Bedingungen beschäftigt werden mit der Folge der Gefährdung ihrer berufsrechtlich zu schützenden Unabhängigkeit. Zugleich zielt die Regelung im Interesse des Ansehens der Rechtsanwaltschaft
darauf, ein dem Berufsstand schlecht zu Gesicht stehendes
Arbeitgeberverhalten von Rechtsanwälten zu unterbinden. 26
§ 26 BerufsO dient ersichtlich nicht – jedenfalls nicht
vorrangig – der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Die
Norm differenziert nicht zwischen Rechtsanwälten, die als
Freie Mitarbeiter oder aber als Angestellte beschäftigt werden, 27 sondern spricht nur allgemein von der „Beschäftigung“ von Rechtsanwälten. Der aus dem Sozialrecht bekannte Begriff der Beschäftigung ist im untechnischen Sinn
als Obergriff zu verstehen, der die Anstellung und die freie
Mitarbeit gleichermaßen erfasst. 28
Diese fehlende Differenzierung zwischen Angestellten
und freien Mitarbeitern kann indes nicht bedeuten, daß eine
Umgehung der Sozialversicherungspflicht berufsrechtlich
irrelevant wäre. Die Angemessenheit der Bedingungen von
Mitarbeitern kann nicht ohne Rücksicht auf die Beiträge
des Arbeitgebers zur Altersversorgung beurteilt werden.
Sie sind vielmehr zentraler Vergütungsbestandteil. Zwar ist
die Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung im
Katalog des § 26 Abs. 1 BerufsO nicht benannt. Dieser Katalog dient aber nur einer Konkretisierung des Begriffs der
Angemessenheit, 29 hat dagegen keinen abschließenden Charakter. Er gibt lediglich die Koordinaten für die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse vor. In dieses
Koordinatensystem fügt sich die Pflicht zur Abführung von
Sozialversicherungsbeiträgen für unselbständig beschäftigte
Mitarbeiter nahtlos ein.
Ein Rechtsanwalt, der einem weisungsgebunden tätigen
Mitarbeiter die ihm zustehenden Leistungen zur Sozialversicherungspflicht verweigert, gewährt damit keine angemessenen Bedingungen. Die Beschäftigung von Scheinselbständigen als freie Mitarbeiter ist berufsrechtswidrig! Die
Rechtsanwaltskammer kann gegen derart pflichtwidrig handelnde Kammermitglieder vorgehen.
III. Das anwaltliche Berufsrecht als
Arbeitnehmerschutzrecht?
1. Schutzpflichten des Arbeitgeber-Rechtsanwalts
gegenüber anwaltlichen Mitarbeitern
Für den Arbeits- und Sozialrechtler führt diese Bewertung unmittelbar zu der Anschlußfrage nach den zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das berufsrechtliche
Pflichtenprogramm. Können nicht angemessen honorierte
Anwälte auf der Basis des § 26 Abs. 1 BerufsO eine angemessene Vergütung einklagen? 30 Wohlgemerkt, es geht
nicht um die gesetzlich zwingend gestaltete Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur um
die Angemessenheit der gesetzlich nicht zwingend vorgeschriebenen Beschäftigungsbedingungen. Voraussetzung für
einen zivilrechtlichen Anspruch auf angemessene Vergütung wäre die Einstufung der Berufspflichten als auch privatrechtlich wirksame, das Anstellungsverhältnis prägende
Pflichten. Eine solche Funktion kommt den in der Berufs-
AnwBl 4/2000
Aufsätze
ordnung festgelegten Pflichten grundsätzlich nicht zu. 31 Die
Diskussion über die zivilrechtlichen Folgewirkungen von
Satzungsregeln ist indes nicht abgeschlossen. Die Satzungsversammlung der Anwaltschaft hat sich ersichtlich keine
tiefergehenden Gedanken über die Tragweite ihrer Regelungen gemacht.
a) Unmittelbare zivilrechtliche Geltung der BerufsO
Die Satzungsversammlung hat zunächst – fast möchte
man sagen selbstverständlich – keine eigenständige Kompetenz, unmittelbar das Außenprivatrecht der Anwaltschaft im
Verhältnis zu Mandanten und Mitarbeitern zu regeln. Eine
verfassungsrechtliche Legitimation findet der Verzicht des
parlamentarischen Gesetzgebers auf eine gesetzliche Regelung nur insoweit, als die Normadressaten, wie etwa die
Mitglieder der berufsständischen Kammern, an der Fixierung
der sie betreffenden Berufspflichten mitzuwirken berechtigt
sind. Die Rechtsetzungskompetenz der berufsständischen
Selbstverwaltung ist in personeller Hinsicht auf die Kammermitglieder 32 und in sachlicher Hinsicht auf den Aufgabenbereich der Selbstverwaltungskörperschaft beschränkt.33 Der
parlamentarische Gesetzgeber verzichtet in diesem Bereich
nur deshalb auf eigene Regelung, weil er aufgrund der besonderen Sachkunde der Satzungsversammlung eine interessengerechtere Regelung für den Bereich der Berufsausübung
erwartet. 34 Die Satzungsversammlung ist daher nicht ermächtigt, für außerhalb ihres Berufstandes stehende Personen verbindliche rechtliche Regelungen zu treffen. 35
Obgleich mittelbare Rückwirkungen berufsinternen Satzungsrechts auf Dritte teilweise unvermeidbar sind, bedarf
es bei einer grundrechtsbezogenen Drittbetroffenheit einer
hinreichend bestimmten parlamentarischen Ermächtigung.
Dogmatisch herleiten läßt sich ein entsprechendes Postulat
aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). 36 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Rechtsstaatsprinzip muß durch
klar umrissene Kompetenzzuweisungen ein Machtmißbrauch verhütet werden. 37 Insbesondere im Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung besteht anderenfalls die
Gefahr einer systemwidrigen Verformung des Rechtsquellensystems derart, daß sich ein spezifisches Gruppeninteresse gegenüber den Grundrechten ungerechtfertigt durchsetzt
oder dem Gemeinwohl übergeordnet wird.
25 Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO Rz. 139; Feuerich/Braun, § 26 BerufsO
Rz. 1.
26 Vgl. hierzu ausführlich Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 135 ff., 141.
27 Vgl. Hartung/Holl-Nerlich, § 26 BerufsO, Rz. 144; Feuerich/Braun, § 2 BRAO
Rz. 23 f. und § 26 BerufsO Rz. 2.
28 Feuerich/Braun, BRAO, § 26 BO, Rz. 2; Hartung/Holl-Nerlich, BerufsO, § 26,
Rz. 65 ff.
29 Hartung/Holl/Nerlich, § 26 BerufsO Rz. 140 f.
30 Vgl. zu dieser Frage auch das Urteil des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld vom
4.11.1998 – 2 CA 255/98, das im Fall eines zu unangemessenen Bedingungen
angestellten Junganwalts den Tatbestand eines wucherähnlichen Geschäfts
(§ 138 BGB) bejaht und infolgedessen mangels wirksamer einzelvertraglicher
Bestimmung der Höhe der Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) einen Anspruch auf
Zahlung der üblichen Vergütung anerkannt hat; hierzu ZAP Eilnachricht 698/
99 (Vergütung/Sittenwidrigkeit).
31 Zur ärztlichen Berufsordnung Taupitz, MedR 1992, 272; für eine Einzelfallbeurteilung Hartung/Holl-Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, Einf., Rz. 79.
32 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 24 und 32 f.
33 Degenhart, Staatsrecht I, Rz. 255.
34 Vgl. hierzu Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 1; Maunz/Zippelius, Deutsches
Staatsrecht, S. 340.
35 BVerfGE 33, 125 (157); Kleine-Cosack, BRAO, § 59b, Rz. 17.
36 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 9 und 26; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 340; Degenhart, Staatsrecht I, Rz. 256
37 BVerfGE 33, 157 f.; 64, 214 f.
AnwBl 4/2000
Aufsätze
Aber auch gegenüber den Kammermitgliedern kann den
berufsständischen Organisationen keine pauschale Entscheidungsgewalt zugewiesen werden. Nicht nur Eingriffe
in den „Grundrechtsbereich“, sondern auch andere Fragen
von wesentlicher Bedeutung dürfen einer unbeschränkten
Satzungsautonomie generell nicht überantwortet werden. 38
Die grundsätzliche Fixierung von Grundrechtspositionen
und die Regelung wichtiger Fragen ist eine gesamtstaatliche Angelegenheit, die einer gesamtstaatlichen Legitimation bedarf. 39 Berufspflichten, wie die Pflicht zur Gewährung
einer angemessenen Vergütung gem. § 26 Abs. 1 BerufsO,
die massiv die freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG)
einschränken, bedürfen demzufolge einer unmittelbaren gesetzlichen Grundlage. 40
§ 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO enthält zwar eine Ermächtigung zur Regelung der „Pflichten im Zusammenhang mit
der Beschäftigung von Rechtsanwälten“. Die Kompetenzzuweisung erstreckt sich indes nur auf „berufsrechtlichen
Rechte und Pflichten“, nicht dagegen auf die Begründung
von eigenständigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen
gegenüber den Kammermitgliedern. Angesichts der weitreichenden Haftungsfolgen und des damit verbundenen
schwerwiegenden Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit
des „Arbeitgeber“-Rechtsanwalts müßte der Wille des Gesetzgebers zu einer entsprechenden Ermächtigung der Satzungsversammlung in § 59 b BRAO deutlich zum Ausdruck
kommen. 41
Diese Sichtweise entspricht den Vorgaben des BVerfG. 42
Der Gesetzgeber dürfe – so das BVerfG – seine vornehmste
Aufgabe nicht anderen Stellen innerhalb oder außerhalb der
Staatsorganisation zu freier Verfügung überlassen. Das gelte besonders, wenn der Akt der Autonomieverleihung dem
autonomen Verband nicht nur allgemein das Recht zu
eigenverantwortlicher Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben und zum Erlaß der erforderlichen Organisationsnormen einräume, sondern ihn zugleich zu Eingriffen in
den Grundrechtsbereich ermächtige. In der Tat übertragen
die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte in erster Linie
dem Gesetzgeber die Entscheidung, welche Gemeinschaftsinteressen derart gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des
Einzelnen zurücktreten muß. Dieser Entscheidungspflicht
kann sich der Gesetzgeber nicht beliebig entziehen. Eine
generelle Übertragung der Befugnis zur Anordnung
zivilrechtlicher Sanktionen wäre nach diesen Grundsätzen
nicht zulässig.
Die Zuständigkeit der Satzungsversammlung bezieht
sich dementsprechend nach § 59 b Abs. 1 BRAO nur auf
die Konkretisierung der „beruflichen Rechte und Pflichten.
Gemeint sind damit die Berufspflichten, wie sie im Kern in
den §§ 43 ff. BRAO verankert sind. Bei diesen Pflichten
handelt es sich anerkanntermaßen um typische Disziplinarvorschriften, deren Einhaltung mit berufsrechtlichen Sanktionen durchgesetzt wird. 43 Sie dienen nicht dem Schutz
von Individualinteressen. 44 Der Satzungsversammlung war
sich ihrer beschränkten Regelungskompetenz im Grundsatz
durchaus bewußt. Eine eigenständige zivilrechtliche Anspruchsgrundlage lag nicht in ihrer Intention. Bei den Beratungen wurde vielmehr wiederholt vorgetragen, daß die
Frage angemessener Vertragsbedingungen für Mitarbeiter
und Auszubildende in erster Linie Regelungsgegenstand
des Zivilrechts sei. 45
Was ist die Folge? Aus der Sicht des Berufsrechts bleibt
danach jedenfalls ein mittelbarer Schutz. Der nicht angemessen honorierte freie Mitarbeiter kann über eine Anzeige
an die zuständige Rechtsanwaltskammer deren Tätigwerden
217
l
anstoßen. Ein vertraglicher Anspruch auf eine angemessene
Vergütung steht ihm jedoch nicht zu. Denkbar bleibt aber
auch ein mittelbarer zivilrechtlicher Schutz. Einfallstore für
öffentlich-rechtliche Wertungen – und zwar auch für solche
in der Form von Satzungen (§ 2 EGBGB) – bieten einerseits
§ 134 BGB und zum anderen § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §
26 BerufsO als Schutzgesetz.
b) Anspruch auf die übliche Vergütung unter Anwendung
des Grundsatzes des faktischen Arbeitsverhältnisses (§ 134
BGB)
Versperrt ist der Weg über die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses gem. § 134 BGB, mit dem Ziel, nach den
Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses einen
rückwirkenden Anspruch auf die übliche Vergütung gem. §
612 BGB zu erhalten. § 26 BerufsO richtet sich nach seinem Schutzzweck 46 nicht gegen den Vertragsschluß als solchen, sondern begründet nur eine besondere Verhaltenspflicht des Arbeitgeber-Rechtsanwaltes im Rahmen der
Vertragsverhandlung. Dogmatisch besteht bei § 134 BGB
eine enge Beziehung zwischen dem Rechtsfolgenausspruch
des potentiellen Verbotsgesetzes und der in § 134 BGB ausgesprochenen zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolge. 47 Ob einem verbotenen Rechtsgeschäft die Sanktion zu verweigern
ist, folgt nicht aus § 134 BGB, sondern aus dem Verbotsgesetz selbst. Maßgeblich ist die Intention des Verbotsgesetzgebers.
Berufsrechtliche Vorschriften kommen außerdem nur
dann als Grundlage des § 134 BGB in Betracht, wenn sie
die Nichtigkeit eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts zulässigerweise bezwecken, wenn also die Satzungsversammlung auf zivilrechtlichem Gebiet rechtsgestaltend tätig werden dürfte. Vor diesem Hintergrund kann die anwaltliche
Berufsordnung nach meinen Vorüberlegungen kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB enthalten. 48 Hinzu kommt,
daß sich das Gebot des § 26 BerufsO nur an den Arbeitgeber wendet, nicht dagegen an den angestellten Rechtsanwalt. Auch wenn das Dogma von der Beschränkung der
Verbotsgesetze auf solche Normen, die gegen alle Kontrahenten gerichtet sind, 49 aufzugeben ist, 50 so begründet doch
die einseitige Ausrichtung anerkanntermaßen eine Vermutung für den Charakter einer Satzungsnorm als bloßer Ordnungsvorschrift. 51
38 Ossenbühl, HdbStr, § 66, Rz. 25 und 28.
39 Bethge, NVwZ 1983, 577, 579; Kleine-Cosack, Berufständische Autonomie
und Grundgesetz, S. 239.
40 BVerfGE 33, 125, 163.
41 Vgl. BVerfGE 87, 287, 317; BVerfG WPK-Mitt. 1998, 245, 248.
42 BVerfGE 33, 125, 158 „Facharztbeschluß“.
43 Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, § 43, Rz. 3.
44 Friedländer, RAO, 3. Aufl. 1930, § 28, Rz. 1; Isele, BRAO, 1976, § 43 III;
Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, § 43, Rz. 3.
45 SV-Prot. 4/96, 7.
46 Zur Maßgeblichkeit des Schutzzwecks einer Norm für § 134 BGB BGHZ 78,
263, 265; 93, 264, 267; MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, 3. Aufl. 1993,
§ 134, Rz. 38.
47 Soergel-Hefermehl, BGB, Bd. 1, 12. Aufl. 1988, § 134 Rz. 1; Taupitz, JZ
1994, 221, 225.
48 Vgl. ausführlich zu diesem Problemkreis Taupitz, JZ 1994, 221.
49 So etwa BGHZ 78, 263, 265.
50 Zur Kritik an diesem Dogma: MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, § 134,
Rz. 44 f.; Soergel-Hefermehl, BGB Bd. 1, § 134, Rz. 15; Canaris, NJW 1985,
2404 f.
51 Der BGH (BGHZ 89, 369, 373) und MünchKomm-Mayer-Maly, BGB Bd. 1, §
134, Rz. 45 gehen davon aus, daß im Regelfall nur eine Gesetzesverletzung
durch alle Vertragsteile zur Nichtigkeit führt.
218
l
c) Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 26
BerufsO
Bleibt als letzte Hoffnung für die Beschäftigten die Einstufung des § 26 BerufsO als Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2
BGB. Die grundsätzliche Eignung berufsregelnder Satzungen
als Schutzgesetze ist in Literatur und Rechtsprechung bisher
nur wenig diskutiert worden. Das Schrifttum – etwa mein
Kollege Taupitz – bejaht die Möglichkeit der Einstufung von
Berufsnormen als Schutzgesetze auch dann, wenn sie keine
Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB sind. Nur bei § 134
BGB müsse dem Gesetz die zivilrechtliche Verbotswirkung
immanent sein. Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2
BGB könnten von Berufskammern dagegen auch ohne besondere Ermächtigungsnorm geschaffen werden, sofern es ausschließlich um Schadensersatzansprüche gegenüber Kammermitgliedern gehe.52 Der BGH hatte 1981 über eine Unterlassungsklage des Inhabers eines Orthopädie-Sanitätshauses zu
entscheiden, die sich gegen die Empfehlung bestimmter Fachgeschäfte durch einen Orthopäden richtete. Das Unterlassungsbegehren war auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einer Vorschrift der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns gestützt. Der
BGH stützte seine ablehnende Entscheidung etwas simplifizierend auf die fehlende Kompetenz der Ärztekammer, die
privatrechtlichen Beziehungen der Kammerangehörigen zu
Außenstehenden zu regeln. 53 Im Schrifttum stieß dieses Ergebnis schon deshalb auf Zustimmung, weil der Kläger mangels Kammermitgliedschaft gar nicht zu den geschützten Personen der Berufsordnung gehören könne. 54 Außerdem müsse
der Unrechtsgehalt eines Verstoßes gegen eine Berufsordnungsvorschrift einer Verletzung des § 826 BGB oder gar
eines Strafgesetzes nahekommen, wenn ein unmittelbarer Vermögensschutz bestimmter Einzelpersonen nicht von der
Norm eindeutig beabsichtigt sei.55
Arbeitgeber-Rechtsanwalt und angestellter Rechtsanwalt
gehören zwar beide der für die Berufsordnung verantwortlichen Rechtsanwaltskammer an. § 26 BerufsO will aber,
wie gezeigt, nicht den einzelnen Mitarbeiter schützen, 56 sondern im Sinne einer Ordnungsvorschrift dem Berufsstand
der Rechtsanwälte im Ganzen dienen. Die Satzungsnorm
läßt wegen des Rückgriffs auf die vage „Angemessenheitsformel“ die für Schutzgesetze geforderte Bestimmtheit vermissen. 57 Unter Beachtung des Parlamentsvorbehalts (Wesentlichkeitsgrundsatz) darf dem Satzungsgeber zudem nicht
mittels des „Umwegs“ über § 823 Abs. 2 BGB pauschal die
Möglichkeit zur Setzung zivilrechtlicher Rechtsfolgen zu
Lasten der Kammermitglieder eröffnet werden. Die Belastung mit Schadensersatzansprüchen zählt zu den wesentlichen berufsausübungsgeschränkenden Maßnahmen, bleibt
damit dem Gesetzgeber vorbehalten. § 823 Abs. 2 BGB
kann danach nicht als generelle Kompetenzverlagerung an
den Satzungsgeber interpretiert werden.
2. Schutzpflichten gegenüber nichtanwaltlichen
Arbeitnehmern
Die gleichen Grundsätze haben für die Parallelvorschrift
des § 26 Abs. 2 BerufsO zu gelten, die es Rechtsanwälten
untersagt, andere (= nichtanwaltliche) Mitarbeiter und Auszubildende zu unangemessenen Bedingungen zu beschäftigen. 58 Eine unmittelbare Drittwirkung zu Gunsten der
Kanzleiangestellten kommt der Bestimmung nicht zu.
3. Folgen einer Verletzung des § 26 BerufsO
Aus arbeitsrechtlicher Sicht sollte die Bedeutung der berufsrechtlichen Vorschrift des § 26 BerufsO gleichwohl nicht
AnwBl 4/2000
Aufsätze
unterschätzt werden. Bislang fehlt eine Interessenorganisation, die sich der Belange der anwaltlichen Mitarbeiter annimmt. Berücksichtigt man, daß die Anwaltschaft jährlich
um ca. 6.000 Mitglieder wächst, so nimmt die Bedeutung
dieses Segmentes des Dienstleistungsmarktes kontinuierlich
zu. Es kann daher nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die
Arbeitnehmerverbände auch für diesen Ausschnitt des Arbeitsmarktes stärker interessieren. Die Einflußmöglichkeiten
solcher Verbände, das heißt, ihre mittelbaren Druckmittel gegenüber berufsrechtswidrig handelnden Rechtsanwälten werden durch § 26 BerufsO fraglos massiv gestärkt. Die Sanktionsmöglichkeiten der Rechtsanwaltskammern,59 die auf Anzeigen der Arbeitnehmerverbände hin tätig werden, wirken
weit schneller und effektiver als die bei Kleinbetrieben
stumpfen Arbeitskampfmittel der Verbände. Sie werden indes die Störung des Marktgleichgewichts durch das absehbare Überangebot an Juristen nur mildern, nicht aber kompensieren können.
Den Rechtsanwaltskammern steht zur Durchsetzung der
Berufspflichten aus § 26 BerufsO das gesamte anwaltsrechtliche Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung. Die
Rechtsanwälte unterliegen der Aufsicht durch den Vorstand
der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer (§§ 73 Abs.
2 Nr. 4, 74 BRAO), dessen Aufgabe es gemäß § 73 Abs. 2
Nr. 1 BRAO ist, die Mitglieder der Kammern in Fragen der
Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Nach § 73
Abs. 2 Nr. 4 BRAO haben die Kammervorstände die Erfüllung der den Mitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge, als der Sanktion bei
geringfügigen Verfehlungen, zu handhaben. In schwerwiegenden Fällen kommt eine anwaltsgerichtliche Ahndung
nach §§ 113 ff., 116 – 161 a BRAO in Betracht. Die Palette
denkbarer Maßnahmen reicht dann von der Warnung über
Geldstrafen bis zur Ausschließung aus der Anwaltschaft.
4. Der Lösungsansatz des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld
Das Arbeitsgericht Bad Hersfeld 60 hat in seiner nicht
rechtskräftigen Entscheidung vom 4.11.1998 einen anderen
Weg eingeschlagen, um einem Junganwalt zu helfen, der
zwar im Umfang von 40 Wochenstunden für eine Anwaltskanzlei tätig war, hierfür jedoch nur eine Vergütung von zunächst 610,– DM, später sodann 1300,– DM brutto erhielt.
Das Gericht hat die Vergütungsvereinbarung als gegen die
guten Sitten (wucherähnliches Rechtsgeschäft) verstoßend
und damit als unwirksam eingestuft, mit der Folge daß dem
klagenden Rechtsanwalt ein Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung zustand. Bei der Bemessung der üblichen
Vergütung ging das Gericht aufgrund einer Mitteilung der
52 Speziell für Schutzgesetze zu Gunsten von Mitarbeitern Taupitz, FS Steffen,
S. 489, 505 f.
53 BGH NJW 1981, 2007 = MDR 1981, 927 = VersR 1981, 658.
54 Taupitz, Berufsordnende Kammersatzungen als Schutzgesetze i. S. des § 823
Abs. 2 BGB, in: FS für Steffen, 1995, S. 489.
55 Taupitz, in: FS für Steffen, S. 489, 503, 506.
56 So Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26, Rz. 141.
57 Vgl. zu diesem Erfordernis Taupitz, in: FS für Steffen, S. 489, 498. Der Satzungsgeber hat die ihm nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BerufsO eröffnete Möglichkeit
nicht genutzt, durch entsprechende Erhebungen Anhaltspunkte für Vergütungsmaßstäbe zu normieren, dazu Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26, Rz. 167.
58 Hartung/Holl-Nerlich, Anwaltliche Berufsordnung, § 26 Rz. 133.
59 In Betracht kommen bei geringem Verschulden der Ausspruch einer Rüge
gem. § 74 BRAO; bei schwerwiegenden Verstoßen auch anwaltsgerichtliche
Maßnahmen gem. §§ 113 ff. BRAO.
60 Arbeitsgerichts Bad Hersfeld vom 4.11.1998 – 2 CA 255/98, hierzu ZAP Eilnachricht 698/99 (Vergütung/Sittenwidrigkeit).
AnwBl 4/2000
219
l
Aufsätze
Bundesrechtsanwaltskammer (Stand 1996) von einem Entgelt von 2.800,– DM für das erste Berufsjahr, von 3.500,–
für das 2. Berufsjahr, von 4.200,– DM für das 3. Berufsjahr
und von 4.550,– DM für das 4. Berufsjahr – bezogen jeweils auf eine 35 Stunden Woche – aus. Der zuerkannte
Vergütungsanspruch in Höhe von 87.000,– DM verdeutlicht
die Risiken, die eine solche Entscheidungspraxis für den
Arbeitgeberrechtsanwalt mit sich bringt. Das rechtliche
Kernproblem liegt in diesen Konstellationen weniger in
dem eher einfach festzustellenden auffälligen Mißverhältnis zwischen den vertraglichen Leistungen als in der auch
für § 138 Abs. 2 BGB erforderlichen subjektiven Komponente des Sittenwidrigkeitsverdikts in Gestalt einer verwerflichen Gesinnung. Im Rahmen der Beurteilung dieser
subjektiven Komponente gelangt die Wertung des § 26 BerufsO zu Geltung. Auch wenn diese Bestimmung keine unmittelbaren zivilrechtlichen Wirkungen entfalten kann, so
ist sie doch Ausdruck einer communis opinio in der Anwaltschaft, nach der eine unangemessen niedrige Vergütung
berufsrechtswidrig, d.h. nicht mit dem anwaltlichen Berufsethos zu vereinbaren ist. Bei der Feststellung, ob sich der
Arbeitgeberrechtsanwalt leichtfertig der Erkenntnis verschließt, daß sich der Beschäftigte nur wegen seiner schwächeren Lage auf die ungünstigen Vertragsbedingungen eingelassen hat, können diese besonderen an die Gesinnung
eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen berücksichtigt werden.
IV. Berufsrechtliche Grenzen für Ausweichstrategien
Für kautelarjuristische Überlegungen zur Vermeidung
der Sozialversicherungspflicht wurden nach Verabschiedung des arbeits- und sozialrechtlichen Korrekturgesetzes
zunächst verschiedene Anknüpfungspunkte gewählt: 61
(1) die Schaffung von Anreizen bzw. Verpflichtung zur
Einschaltung weiterer Auftraggeber (vgl. § 7 Abs. 4 Nr. 2
SGB IV)
(2) die Sicherstellung der Beschäftigung eigener Arbeitnehmer durch den Auftragnehmer (vgl. § 7 Abs. 4 Nr. 1
SGB IV)
(3) die Zwischenschaltung einer rechtsfähigen Gesellschaft 62, etwa einer GmbH als Auftragnehmer, mit der Folge, daß für den als Geschäftsführer der GmbH tätigen
Dienstleister nur § 7 Abs. 1 SGB IV anwendbar ist.
Seit der Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB IV durch das
Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit ist die Bedeutung
der Strategien Nr. 1 und 2 zwar zurückgedrängt. Stets bedarf es nunmehr neben den problematischen Kriterien des
§ 7 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB IV eines dritten Merkmals, um
die Vermutungswirkung greifen zu lassen. Die grundsätzliche Bedeutung aller drei Vermeidungsstrategien ist aber
auch nach neuem Recht erhalten geblieben.
1. Lösung über Pflichten des Auftragnehmers?
Aus der Praxis wurde in Anknüpfung an die ersten beiden Ansatzpunkte vorgeschlagen, bei der Beschäftigung
freier (etwa anwaltlicher) Mitarbeiter in den Vertrag folgende Verpflichtungen aufzunehmen: 63
(1) die Verpflichtung, auch für andere Auftraggeber mit
einem Prozentsatz von mindestens 20 % tätig zu werden
(2) die Verpflichtung, eigene Arbeitnehmer einzustellen.
Das Gehalt für diese Arbeitnehmer kann sodann mit der
Vergütung ausgezahlt werden. Nach der Neufassung des §
7 Abs. 4 Nr. 1 SGB IV durch das Gesetz zur Förderung der
Selbständigkeit ist darauf zu achten, daß es sich bei den
eingestellten Arbeitnehmern nicht ausschließlich um
geringfügig Beschäftigte handeln darf, deren Arbeitsentgelt
aus diesem Beschäftigungsverhältnis 630 DM im Monat
nicht übersteigt 64.
Diese den Umgehungsvorwurf geradezu provozierenden
Gestaltungen dürften kaum praktikabel sein. Wird der freie
Mitarbeiter in der Folgezeit doch nicht für andere Auftraggeber tätig, so kann auf diese Weise die Anwendbarkeit der
Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV nicht vermieden
werden. Auch zu Schadensersatzansprüchen wird es nur in
seltenen Fällen kommen. Der Beschäftigte verletzt zwar
eine Vertragspflicht. 65 Schon deren Wirksamkeit ist aber
rechtlich jedenfalls nicht unbedenklich. Regelmäßig wird er
den Pflichtverstoß außerdem nicht zu vertreten haben, so
daß eine Ersatzpflicht aus pFv nicht entsteht. Die Folgen
der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Nr. 9 SGB IV treffen ohnehin nur den Auftragnehmer. Um die verbleibende
Gefahr einer Fehleinstufung des Beschäftigungsverhältnisses über die Vermutungsregel zu vermeiden, gibt es geeignetere Wege. Der Effekt von Vertragsklauseln, die besondere auf Vermeidungsstrategien bezogene Pflichten des
Auftragnehmers begründen, erscheint daher zweifelhaft.
Allenfalls kommt ihnen eine verhaltenssteuernde Funktion
zu, da sie einzelne Auftragnehmer veranlassen mag, sich
um eine entsprechende tatsächliche Gestaltung ihrer Tätigkeit zu bemühen.
2. Das GmbH-Modell als praktikabler Ausweg?
a) Die arbeits- und sozialrechtliche Beurteilung des GmbHModells
Als genereller Ausweg aus den arbeitsrechtlichen Unsicherheiten und den sozialversicherungsrechtlichen Folgen
der Scheinselbständigkeit wird von der Kautelarjurisprudenz und von seiten der BDA 66 das sog. GmbH-Modell
empfohlen. Hier wird für die ausgegliederte bzw. fremdvergebene Dienstleistung eine eigene GmbH gegründet. Mit
dieser rechtlich selbständigen Gesellschaft wird das jeweilige Auftragsverhältnis vereinbart. Der Dienstleister wird als
Gesellschafter und Geschäftsführer dieser GmbH tätig.
Hinsichtlich der Gesellschafterstellung sind verschiedene
Modelle denkbar. So kann der Betroffene selbst alle Geschäftsanteile an der GmbH halten. Das Gesellschaftsvermögen kann vollständig zur Anschaffung des Verkaufsfahrzeuges bzw. Speditions-LKW eingesetzt werden. Bei einem
größeren Geschäftsvolumen (Beispiel: Baumarkt) wird der
Auftraggeber aus Finanzierungsgründen auch eigene Geschäftsanteile an der GmbH halten müssen.
61 Diese Anknüpfungspunkte haben auch nach der Neuregelung durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl. I 2000 S. 2)
weiterhin Bestand, obwohl sämtliche vier Vermutungskriterien überarbeitet
wurden und ein fünftes hinzugefügt wurde. Zur aktuellen Gesetzeslage ausführlich und kritisch Bauer/Diller/Schuster, NZA 1999, 1297 (1298 ff.) sowie
Linnenkohl, AuA 2000, 59 ff.
62 Vgl. zu dieser Thematik Reuter, in: FS Dieterich, 1999, S. 473 (477).
63 Vgl. etwa Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 175.
64 Nach der Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB IV lautet das erste Vermutungskriterium nunmehr wie folgt: „Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer
Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungs-pflichtigen Arbeitnehmer, dessen
Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis im Monat 630 DM übersteigt“.
65 Bauer/Diller/Lorenzen, NZA 1999, 175.
66 Vgl. Rundschreiben „Scheinselbständige und arbeitnehmerähnliche Selbständige“ v. 10.3.1999.
220
l
Diese Gestaltungsformen werden von der gesetzlichen
Neuregelung grundsätzlich nicht erfaßt. Das Rundschreiben
der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger 67 führt
hierzu wörtlich aus:
„3.3.2. Mitarbeitende Gesellschafter. Für mitarbeitende
Gesellschafter (z. B. Gesellschafter-Geschäftsführer einer
GmbH) scheidet eine Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 S. 1
SGB IV generell aus. Die versicherungsrechtliche Beurteilung dieser Personen erfolgt ausschließlich nach § 7 Abs.
1 SGB IV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts“
Die GmbH-Lösung führt auch zur Unanwendbarkeit des
§ 2 Nr. 9 SGB VI. Eine GmbH kann weder als Unselbständige noch als Selbständige der Sozialversicherung angehören. Für den GmhH-Geschäftsführer gelten die bisherigen
Regeln. 68
Das Rundschreiben der Sozialversicherungsträger stellt
nur klar, daß die Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV
unanwendbar ist. Der Geschäftsführer der GmbH kann
gleichwohl sozialversicherungspflichtig im Sinne von § 7
Abs. 1 SGB IV 69 sein und außerdem in arbeitsrechtlicher
Hinsicht als Arbeitnehmer eingestuft werden. Für Organmitglieder gilt jedoch aufgrund ihrer funktionstypischen Eigenverantwortlichkeit und Weisungsfreiheit 70 die VermuNur
in
seltenen
tung
ihrer
Selbständigkeit. 71
Ausnahmekonstellationen kann ihnen der Arbeitnehmerstatus zugesprochen werden. 72 Generell ausgeschlossen ist der
Arbeitnehmerstatus beim beherrschenden GesellschafterGeschäftsführer, der die Mehrheit der Geschäftsanteile hält.
Das gilt sowohl für die arbeitsrechtliche 73 als für die sozialversicherungsrechtliche 74 Beurteilung. Allein der Umstand,
daß sich die GmbH selbst in einem Verhältnis wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber befindet,
verändert die rechtliche Beurteilung nicht. Im Wirtschaftsleben sind solche Konstellationen nicht unüblich (Beispiel:
Zuliefererunternehmen in der Automobilindustrie).
Nach dem Rundschreiben der Sozialversicherungsträger
vom 6./7. November 1986 75 wird zwar die Sozialversicherungspflicht nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß eine
in einer GmbH – sei es als Angestellter oder Geschäftsführer – beschäftigte Person zugleich Gesellschafter der
GmbH ist. Auch mitarbeitende Gesellschafter können daher
durchaus in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Ein Beschäftigungsverhältnis liegt
nach der Rechtsprechung des BSG 76 aber nur dann vor,
wenn der Gesellschafter:
9 funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozeß der
GmbH teilhat,
9 für seine Beschäftigung ein entsprechendes Arbeitsentgelt erhält und
9 keinen maßgeblichen Einfluß auf die Geschicke der
Gesellschaft kraft seines Anteils am Stammkapital geltend
machen kann.
Ein maßgeblicher Einfluß liegt immer vor bei
9 einem mindestens 50 %igen Anteil am Stammkapital
9 Sperrminorität, über die das Beschäftigungsverhältnis
negativ beeinflussende Beschlüsse verhindert werden können.
Die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen würden außerdem selbst bei Annahme einer „sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung“ bzw. eines Arbeitsverhältnisses allenfalls die GmbH und nicht den Auftraggeber treffen. Die
ganz h. M. in Judikatur und Schrifttum lehnt ein konzern-
AnwBl 4/2000
Aufsätze
dimensionales Verständnis des Arbeitsrechtes ab. 77 Der
Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft unterhält, selbst
wenn er infolge einer engen Weisungsgebundenheit gegenüber der Gesellschafterversammlung ausnahmsweise als
Arbeitnehmer einzustufen ist, grundsätzlich keine arbeitsrechtlichen Beziehung zum Mutterunterunternehmen. 78 Ein
pauschaler Durchgriff durch die GmbH, wie er von seiten
der BfA propagiert wird, ist danach von Mißbrauchsfällen
abgesehen nicht vertretbar.
Das GmbH-Modell bietet damit für bestimmte Fallkonstellationen einen zumindest erwägenswerten Ausweg aus
der aktuellen Unsicherheit.
b) Die „freie Mitarbeit“ einer Anwalts-GmbH?
Als Ansatz zur Bewältigung der Rechtsunsicherheit bei
der sozialrechtlichen Einstufung freier anwaltlicher Mitarbeiter bietet sich das GmbH-Modell allenfalls in seltenen
Ausnahmekonstellationen an. Zwar ist die Rechtsanwaltsgesellschaft-mbH seit dem 1.3.1999 auf eine eindeutige
gesetzliche Grundlage gestellt (§§ 59c ff. BRAO). Der
Gesetzgeber hat die GmbH jedoch mit einer Reihe von
Nachteilen belastet, die diese Rechtsform nur für Großkanzleien attraktiv erscheinen lassen. Ein zentrales Handicap ist die Kostenbelastung der Berufsausübung in der
Rechtsanwaltsgesellschaft.
Folgende besondere Kosten müssen bei der Rechtsanwaltsgesellschaft in Kauf genommen werden:
(1) Notariatskosten für die Beurkundung des Gesellschaftsvertrages gem. § 2 GmbHG,
(2) Kosten für die Eintragung ins Handelsregister,
(3) Gebühren für die Zulassung in Höhe von 1000,– DM
(§ 192 Abs. 1 S. 2 BRAO),
(4) erhöhte Versicherungsprämie aufgrund der Mindestversicherungssumme von 5 Mio. DM,
(5) erhöhte Kammerbeiträge, die neben die Beiträge der
in der Gesellschaft tätigen Rechtsanwälte treten,
(6) Beurkundungskosten für die Anteilsübertragung gemäß § 15 Abs. 3 GmbHG,
(7) Kosten für den Kammerbeitrag in der IHK (Pflichtmitgliedschaft).
Allein aufgrund der erhöhten Mindestversicherung ist
für den Gründer mit Versicherungskosten von ca. 5.000 DM
67 Abgedruckt in ZIP 1999, 252 und BB 1999, 471; vgl. auch das aktuelle Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung v. 20.12.1999,
S. 18 und 25, abrufbar im Internet unter http://www.vdr.de.
68 Ebenso Hanau ZIP 1999, 252, 253.
69 Durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 ist § 7
Abs. 1 SGB IV folgender zweiter Satz angefügt worden: „Anhaltspunkte für
eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Organisation des Weisungsgebers“.
70 Vgl. aber zum Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung § 37 GmbHG;
stärker ist die Eigenverantwortlichkeit beim Vorstand der AG ausgeprägt
(§§ 76, 119 Abs. 2 AktG).
71 Eingehend Henssler RdA 1992, 289 m. w. N.; Reiserer, Der GmbH-Geschäftsführer im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, 1995.
72 Lutter/Hommelhoff, § 6, Anhang, Rz. 3 ff.
73 BAG AP Nr. 54 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG GmbHR 1991, 460.
74 BSG ZIP 1990, 1566.
75 Abgedruckt in: Die Beiträge 1987, S. 35 ff.
76 BSG Die Beiträge 1975, 60; 1986, 215; 1986, 217; Beitragsrecht 1982 S. 59
B 39.
77 Dazu Henssler, Der Arbeitsvertrag in Konzern, S. 56 ff.; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 67 ff.
78 Zu Ausnahmen: BAG AP § 611 BGB Gemischter Vertrag Nr. 2; ErfK/Ascheid
§ 14 KSchG Rz. 5.
AnwBl 4/2000
Aufsätze
auszugehen, ein Betrag, der deutlich über den Kosten in der
Sozietät bei einer Versicherungssumme von lediglich
500.000 DM liegt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die
Rechtsanwaltsgesellschaft-mbH aufgrund der erheblichen
zusätzlichen Kostenbelastung für Berufsanfänger und kleinere Zusammenschlüsse in der Regel unattraktiv ist.
Rechtspolitisch ist diese einseitige Ausrichtung auf Großkanzleien zu bedauern.
3. Parallelsozietät von jungen freien Mitarbeitern?
Als weiterer denkbarer Ausweg wird erwogen, mehrere
freie Mitarbeiter in einer Parallelsozietät zusammenzuschließen, die sodann quasi als Subunternehmer – eventuell
sogar durch mehrere Kanzleien – eingesetzt wird. 79 Zunächst kommen auch hier die im Rundschreiben der Sozialversicherungsträger erwähnten Grundsätze für mitarbeitende Gesellschafter in Betracht. Selbst wenn man dieser
Auffassung nicht folgen will, so bietet diese Gestaltungsvariante jedenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit einer
Tätigkeit der betroffenen Rechtsanwälte für mehrere Auftraggeber. Sowohl die Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB
IV als auch die Vorschrift des § 2 Nr. 9 SGB VI werden
damit regelmäßig nicht greifen. Die Bildung einer Parallelsozietät stellt die erforderliche Selbständigkeit der Rechtsanwälte nach § 7 Abs. 1 SGB IV jedenfalls dann sicher,
wenn der „Mitarbeitersozietät“ freigestellt bleibt, welcher
Gesellschafter den Auftrag erfüllt. Nach der Neufassung
des § 2 Nr. 9 SGB VI sind rentenversicherungspflichtig all
jene selbständig tätigen Personen, die im Zusammenhang
mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen
Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 630 DM übersteigt und auf Dauer und im
wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (arbeitnehmerähnliche Selbständige).
Bedenken gegen diese damit durchaus denkbare Gestaltung folgen aus dem Berufsrecht. § 31 BerufsO schreibt in
seinem Satz 1 explizit vor:
„Ein Rechtsanwalt darf sich mit Angehörigen nach
§ 59 a Abs. 1 BRAO sozietätsfähiger Berufe nur dann zu einer Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in
sonstiger Weise oder in einer Bürogemeinschaft verbinden,
wenn diese nicht daneben einer weiteren Sozietät, Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger
Weise oder Bürogemeinschaft angehören.“
Nach dem von § 31 BerufsO normierten Verbot der sog.
Sternsozietät darf der in irgendeiner anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft tätige Rechtsanwalt oder Wirtschaftsberater keiner weiteren Berufsausübungsgesellschaft
oder Bürogemeinschaft angehören. Die Formulierung „zur
gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise angehören“ deckt jede Form der Beteiligung oder Mitarbeit
ab. Selbst der Status als Angestellter oder Freier Mitarbeiter in einer weiteren Gesellschaft ist dem Sozietätspartner
verwehrt. 80 § 3 Abs. 2 BerufsO enthält eine Legaldefinition
des Begriffs „zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in
sonstiger Weise“ und faßt darunter sowohl das Anstellungsverhältnis als auch die Freie Mitarbeit. 81 Die Satzungsnorm
gilt nach § 33 Abs. 2 BerufsO für alle anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften gleich welcher Rechtsform, erfaßt
also auch Anwälte, die gleichzeitig als freie Mitarbeiter
einer Rechtsanwalts-Partnerschaft oder einer Rechtsanwalts-GmbH angehören. Stellt man nur auf den Wortlaut
des § 31 BerufsO ab, so gehört der jeweilige freie Mitarbei-
221
l
ter sowohl der Auftraggeber-Sozietät (als freier Mitarbeiter)
als auch der Mitarbeiter-Sozietät (als Gesellschafter) an, so
daß das Verbot auf den ersten Blick zu greifen scheint.
Die Satzungsversammlung der Anwaltschaft ist der von
seiten des Schrifttums 82 und der Rechtsprechung 83 gegen
§ 31 BerufsO vorgebrachten Kritik nicht gefolgt, sondern
hat sich auf ihrer Sitzung vom 22.3.1999 ausdrücklich für
die Beibehaltung der Vorschrift entschieden 84. Man muß daher befürchten, daß die Rechtsanwaltskammern gegen die
„Freie Mitarbeiter Sozietäten“ vorgehen werden. Geht man
mit der Bundesrechtsanwaltskammer davon aus, daß es das
Ziel der Regelung ist, Interessenkollisionen aufgrund der
Arbeit für verschiedene Sozietäten zu vermeiden, dann ergeben sich in der Tat für die Mandanten zusätzliche Gefahren, wenn die Gesellschafter einer Sozietät nebenher noch
(häufig ja verdeckt) als freie Mitarbeiter für eine Zweitsozietät tätig werden.
§ 31 BerufsO greift jedoch schon deshalb nicht, weil die
Satzungsnorm als verfasssungswidrig einzustufen ist 85.
Weder das StBerG noch die WPO kennen ein vergleichbares Verbot. In seiner Grundsatzentscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Sozietätsverbotes zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern hat das BVerfG jedoch
betont, daß es dem Gesetzgeber – und damit auch dem
Satzungsgeber – verwehrt sei, die verwandten Beratungsberufe der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
„ohne hinreichenden sachlichen Grund“ unterschiedlich mit
berufsausübungsbeschränkenden Maßnahmen zu belasten 86.
Sachliche berufsbildbezogene Gründe, welche die unterschiedliche Behandlung der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer einerseits und der Rechtsanwälte andererseits rechtfertigen könnten, sind indes nicht ersichtlich. Die „Erwartungshaltung“ des Mandanten eines Steuerberaters unterscheidet sich in Bezug auf die berufliche Organisation
seines Beraters und dessen Kooperationsverhältnisse nicht
von derjenigen eines anwaltlichen Mandanten. Auch ist die
Gefahr einer Irreführung der Mandanten bei der Beteiligung von Steuerberatern an mehreren Berufsausübungsgesellschaft nicht stärker ausgeprägt als bei einem anwaltlichen Sternsozius.
4. Partnerschaft von Hilfskräften einer oder mehrerer
Anwaltskanzleien?
Ähnlich ist die Situation bei Gründung einer Partnerschaft durch mehrere „Hilfskräfte“ einer oder mehrerer Sozietäten. Die Partnerschaft weist seit der Neufassung des § 8
Abs. 2 PartGG den zentralen Vorteil der gesetzlichen Haftungskonzentration auf den jeweiligen Mandatsbearbeiter
auf, so daß eine gesamtschuldnerische Haftung für die
Pflichtversäumnisse des Mitgesellschafters vermieden wird.
79 Vgl. Jahn, Handelsblatt v. 7.4.1999.
80 A. A. Römermann in Hartung/Holl, BerufsO, § 31, Rz. 36.
81 Gegen die engere Interpretation von Römermann (Römermann in Hartung/
Holl, BerufsO, § 31, Rz. 36) spricht, daß sogar die Bürogemeinschaft eines
Partners erfaßt wird. Der Begriff der Sternsozietät ist damit ersichtlich nicht
im engen Sinn der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an mehreren Berufsausübungsgesellschaften zu verstehen.
82 Henssler, ZIP 1998, 2121.
83 AGH Nordrhein-Westfalen AnwBl 1999, 52 = ZIP 1998, 2161.
84 Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 21.6.1999 (NZG 1999, 1054 mit
Anm. Henssler NZG 1999, 1095) zwar offengelassen, ob § 31 BerufsO verfassungskonform ist, zugleich aber den Anwendungsbereich dieser Satzungsnorm
deutlich zurückgedrängt.
85 Dazu Henssler ZIP 1998, 2120, 2124; ders. NZG 1999, 1095; offengelassen
von BGH NZG 1999, 1054.
86 BVerfG ZIP 1997, 117; JZ 1998, 1062 mit Anm. Henssler.
AnwBl 4/2000
222
l
Aufgrund der Rechtsfähigkeit der Partnerschaft ist hier klargestellt, daß nur die Gesellschaft selbst als Vertragspartnerin der Auftraggeberkanzlei auftritt. Selbst wenn hier eine
Rahmenvereinbarung mit der Auftraggeberkanzlei getroffen wird, die der Sache nach einer Vereinbarung über eine
Freie Mitarbeit gleichkommt, dann wird man kaum noch
davon sprechen können, daß die einzelnen Partner der Mitarbeitergesellschaft zugleich der Auftraggeberkanzlei als
freie Mitarbeiter „angehören“. Schon nach seinem Wortlaut
greift § 31 BerufsO somit nicht.
V. Ergebnis
Als Gesamtbefund bleibt die Feststellung: Sichere Vermeidungstrategien gibt es nicht. Der Zusammenschluß
mehrerer freier Mitarbeiter in einer Partnerschaft, die sich
sodann um Mandate auch außerhalb der Rahmenvereinbarung mit dem Hauptauftraggeber bemüht, erscheint als eine
berufspolitisch vernünftige und arbeits- sowie sozialversicherungsrechtlich praktizierbare Problemlösung.
Gründe für das
Auftreten von Absprachen
im Strafverfahren
Rechtsanwalt Dr. Stefan Braun, Backnang
Nachdem der Problemkomplex der Deals oder Absprachen im Strafverfahren zum Ende der 80 er und Beginn der
90 iger Jahre im Zentrum der strafprozessualen Diskussion
gestanden hatte in deren Verlauf sich auch der 58. DJT mit
diesem Thema beschäftigte 1, ist es in letzter Zeit etwas
ruhiger um diesen Problembereich geworden.
Obwohl es durch Entscheidungen des BGH vom
28.8.1997 (= BGHSt 43, 195 = NJW 1998, 86) in Teilbereichen des Gesamtproblems zu einer Beruhigung gekommen
ist, ist man einer Lösung der sich aus den Absprachen ergebenden Probleme insgesamt kaum näher gekommen.
Nur allzu oft „versandet“ die Diskussion in Detailproblemen und Verästelungen des Gesamtproblems.
Grund genug, sich (noch) einmal die Ausgangsprobleme
von Deals, nämlich deren Ursache in einem Überblick vor
Augen zu führen.
Dies Gründe sind vielfältig und ergeben sich teils aus
den spezifischen Prozesspositionen der einzelnen Prozessbeteiligten, teils aus Erwägungen ganz allgemeiner Art 2.
a) Als allgemeine Gründe für diese Praxis sind zu
nennen:
aa) ein grundsätzliches Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten nach ungezwungenem Austausch von Informationen,
d. h. nach Kommunikation sowie die Hinwendung der Beteiligten zu einem kommunikationsorientierten Verhandlungsteil auch im Strafrecht 3. Dies hat seinen Grund sicher
auch darin, dass sich der Charakter der staatlichen Autorität
wandelt. Für einen großen Teil der Verfahrensbeteiligten
unterliegt das Strafverfahren einem noch nicht abgeschlos-
Aufsätze
senen Prozess der Entmythologisierung 4. Nach heutigem
Staatsverständnis wandelt sich der Strafprozess von einem
alten autoritären Verhandlungsstil zu einem kommunikationsorientierten Verfahren 5, in dem es darum geht, den Gerichtssaal zu einem Ort der Streitschlichtung und Konfliktregelung zu machen 6. Auch in der strafproz. Wissenschaft
geht die Tendenz dahin, mehr Aspekte, die aus dem Sozialund Rechtsstaatsprinzip folgen, in die gerichtliche Konfliktregelung einfließen zu lassen und damit den Strafprozess
integrativer zu gestalten 7.
bb) Entwicklungen sowohl im materiellen als auch im
formellen Strafrecht, die auf eine stärkere Betonung des
Täter-Opferausgleichs sowie auf Schadenswiedergutmachung gerichtet sind 8. So eröffnet § 46 a StGB beispielsweise breite Möglichkeiten von Verhandlungen, bei denen
die Schadenswiedergutmachung im Vordergrund steht.
cc) Veränderung bzw. Erweiterung von Prozesszielen
auf Aspekte wie Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens 9 oder der Verfahrensökonomie 10 an sich. Dies ergibt sich auch aus Änderungen von gesetzlichen Regelungen etwa beim beschleunigten Verfahren (§§ 417 - 420
StPO neu, § 109 II JGG). Nach § 417 StPO ist die StA
nunmehr verpflichtet, den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu stellen, wenn „die Sache auf
Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“ 11. Auch kommen etwa Lüdemann/Bußmann nach ihrer Erhebung bzgl.
des Gesichtspunktes der erwarteten Konsequenzen von
Aushandlungsprozessen zu dem Ergebnis, dass die Einschätzung einer besseren Verfahrensökonomie von den Befragten hier am häufigsten genannt wurde. Hieraus ziehen
sie den Schluss, dass dies darauf hindeutet, dass neben den
klassischen (formellen) Paradigmen des Strafverfahrens,
Gerechtigkeit und Wahrheit, ein weiteres informelles existiert, nämlich das der Prozessökonomie 12. Den Rechtsfrieden als das ideale Prozessziel sieht z. B. auch Schmidthäuser an. Dabei definiert er diesen Zustand als einen solchen,
„bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet
werden kann, dass sie sich über den Rechtsbruch beruhigen
kann“ 13. Auch solche Überlegungen zu grds. Prozesszielen
begünstigen die Praxis des Deals.
dd) Der Vergleich mit den konsensualen Handlungsformen, z. B. im öffentlichen Recht, wo ebenfalls Subordinationsverhältnisse gegeben sind 14. So z. B. die Handlungsform
des öffentlich-rechtlichen Vertrages (vgl. §§ 54 ff. VwVfG)
die auch bei Subordinationsverhältnissen, d. h. bei Verhält-
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Vgl. diesbzgl. das Gutachten von Schünemann zum 58. DJT.
Vgl. überblicksmäßig Bußmann/Lüdemann, MSchrKrim. 1988, 81 (84).
Rönnau, S. 41 m. w. N.
Vgl. Lüdersen, Verhandlungen des 58. Dt.-Jur.-Tages 1990, Bd. II L 78 und
Hammerstein, aaO L 89.
Kremer, S. 31.
AK-StPO-Wassermann, Emil, II Rdnr. 1 ff. m. w. N.
Roxin, StrVerrR § 2A II, Lenckner, JUS 83, 340 ff., Rönnau, S. 65 m. w. N.
Kremer, S. 23 vgl. auch die Ausführungen hierzu von König/Seitz in NStZ 95,
S. 1 ff.
Kintzi, JR 90, 309 (310), Schmidhäuser in FS für Eb. Schmidt, S. 511 (516),
auch Weigend, JZ 90, 774 (789).
Lüdemann/Bußmann KrimJ. 89, 54 (68); Vgl. z. B. auch Weihrauch, Verteidigung in Ermittlungsverfahren, S. 124 (Rdnr. 165); Römer in FS für Erich
Schmidt-Leichner, S. 133 (141).
Vgl. auch König/Seitz in NStZ 95, 1 (4 ff.).
Vgl. Lüdemann/Busmann KrimJ. 89, 54 (60 ff.).
Schmidthäuser in FS für Eb. Schmidt, S. 511 (516).
Kremer, aaO.

Documentos relacionados