Worte der Hoffnung Alfred Delp
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Worte der Hoffnung Alfred Delp
Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 3 Leseprobe: Alfred Delp Worte der Hoffnung echter Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 7 Inhalt Rita Haub Alfred Delp SJ 9 I. Leben Gott ist in seinen Ordnungen 17 II. Bekehrung Der Mensch ist nur mit Gott zusammen Mensch 27 III. Schuld Für jedes Leben schlägt die Stunde, in der ihm vor sich selbst graust 37 IV. Bewährung Die Wüsten müssen bestanden werden 45 V. Gebet Das große Rufen nach Gott 55 VI. Trost Gott ist als ein Brunnen in uns 63 VII. Tod Als fruchtbares Saatkorn in die Erde fallen 71 Rita Haub Zeittafel 81 7 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 8 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 9 Alfred Delp SJ Alfred Delp wuchs in Lampertheim bei Mannheim auf. Nach seiner Geburt am 15. September 1907 in Mannheim und Taufe am 17. September in der katholischen Oberen Pfarrei St. Ignatius und Franz Xaver siedelte die Familie kurze Zeit später nach Hüttenfeld um. Als ein überaus wichtiges Jahr im Leben Alfred Delps muss das Jahr 1921 gelten. Nachdem er, obwohl katholisch getauft, in die evangelische Schule in Lampertheim eingeschult worden war, wurde er am 28. März 1921 mit allen Schülern seines Jahrgangs konfirmiert. Doch im zeitlichen Umfeld dieser Konfirmation kam es zu einem Konflikt mit dem protestantischen Pastor, der den dreizehnjährigen Alfred zutiefst verletzte und ihn an die Seite des katholischen Ortspfarrers Johannes Unger führte. Nach einem ausführlichen Gespräch und einer Zeit der Vorbereitung empfing Alfred am 19. Juni die hl. Kommunion. Am 28. Juni wurde er gefirmt. Diese Wende, oft fälschlicherweise als Konversion bezeichnet, brachte Delp auf einen neuen Weg seines Lebens mit vielen Chancen. Er wurde zum sozialen Aufsteiger. Gerade deshalb behielt er sein ganzes Leben lang eine große Sensibilität für die soziale Frage und für die Ökumene. Delp schloss seine Schulzeit 1926 mit einem sehr guten Abitur ab und trat kurz danach in die Gesellschaft Jesu ein. Er setzte sich in seinem Philosophiestudium in Pullach bei München vor allem mit Martin Heidegger auseinander. Er bewunderte an der Heideggerschen Philosophie deren große Einfühlsamkeit in den modernen Menschen, kritisierte aber 9 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 10 an ihr, dass dieser Philosophie die Mitte fehle, dass also im Letzten das „Woraufhin“ des Menschen, Gott, nicht im Blick sei. Er sagte, man finde den Menschen nicht, weil man Gott nicht suche, und man suche Gott nicht, weil man keine Menschen habe. Delp gab seiner Auswertung den bemerkenswerten Buchtitel Tragische Existenz (1935). Damit meinte er: am Ende stehe der Mensch vor dem Nichts und könne nur heroisch diese aufreizende Vergeblichkeit aushalten. Im Juli 1939 trat Delp auf Anordnung seines Provinzials in die Redaktion der Monatszeitschrift der Jesuiten, Stimmen der Zeit, ein. Dieser Entscheidung gingen zwei gescheiterte Planungen Delps voraus: Als er sich an der philosophischen und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität immatrikulieren wollte, wurde dies abgelehnt mit der Begründung, als Jesuit könne er sowieso nicht promovieren; als er dann mit den Soldaten als Feldseelsorger in den Krieg ziehen wollte, erhielt er vom katholischen Feldbischof der deutschen Wehrmacht eine Absage, da man keine weiteren Ordensgeistliche auf einem solchen Posten wünsche. Neben der Redaktionstätigkeit war Delp bei Vorträgen und seelsorglichen Aufgaben weit über München hinaus engagiert und strahlte dabei Zuversicht und christlichen Optimismus aus. Während des sogenannten Klostersturms am 18. April 1941 wurde überraschend auch das Haus der Stimmen der Zeit durch die Gestapo enteignet. Die Jesuitenpatres wurden vertrieben. Pater Delp wurde daraufhin im Juni 1941 Kirchenrektor der kleinen Kirche St. Georg in München-Bogenhausen. Er musste bald ein neues Arbeitsfeld finden, da die Zeitschrift kurz darauf verboten wurde. Delp predigte nun regelmäßig in der St. Georgskirche. Seine Predigten wurden zu einem Geheimtipp für kritische Katholiken; sie wurden vervielfältigt und unter der Hand weiter gegeben, vor allem seiner klaren Aussagen zu Staat und Gesellschaft wegen. Er kritisierte scharf die Propaganda für 10 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 11 die Euthanasie. Er engagierte sich in Gruppenstunden unter den Jugendlichen von Bogenhausen; er stand den Bombengeschädigten bei, sobald die Angriffe der Alliierten Luftflotte auf München einsetzten; er kümmerte sich ab 1941 um die verfolgten Juden, besorgte Nahrungsmittel, eröffnete Fluchtwege und war für die Flüchtlinge eine Adresse. Die Tage Delps waren mit der seelischen und materiellen Hilfe für die Mitmenschen ausgefüllt. Der kleine Weiler Wolferkam bei Riedering am Simssee, nordöstlich von Rosenheim, wurde ab Sommer 1941 für Delp ein Ort der Zuflucht und der Erholung. Er fand in den Bauernfamilien herzliche Aufnahme, half bei der Feldarbeit mit, segelte auf dem Simssee und bestieg die Berge der nahen Alpen. Seine Texte aus dieser Zeit legen offen, dass es ihm gelang, Gott in allen Dingen zu finden, auch und gerade in der Herrlichkeit der Schöpfung. In seinem Urlaubstagebuch vermerkt er: „Ich war in den Bergen und hab mich in die Welt des Herrgotts verkuschelt. Es war schön und ich werde bald wieder gehen. Es war wirklich schön. Viele Bilder werden bleiben. Auf der Spitze. Um uns die aufgeblätterte Welt Gottes und der Menschen. Da fiel mir wie ein Auftrag mein ursprünglicher Auftrag zu segnen und zu heilen, immer segnen und heilen, ein. Ich hab einen großen Segen gebetet und dann allem Land und allem Volk einen Segen Gottes gegeben. Und jetzt genieße ich wieder. Gleich wieder am See, der abends so milde und farbig ist. So in der Sonne schwimmen und nachher im Segelboot so frei und still und nur den Elementen verpflichtet dahinschweben, ach, es ist dann so viel vergessen und vorbei und das Herz atmet wieder. Gott ist gut und seine Welt ist schön.“ Dass die Wolferkamer zu wahrhaften Freunden geworden waren, erwies sich dann, als es darum ging, gefährliche Arbeitspapiere für den Kreisauer Kreis zu verstecken. Die Bauern fühlten sich durch Delps Vertrauen hoch geehrt. 11 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 12 Die kleinen Briefe aus der Haftanstalt Berlin-Tegel bezeugen später bleibend, wie sehr diese Menschen Delp ans Herz gewachsen waren. Der entscheidende Mann im Widerstand der katholischen Kirche gegen den Nationalsozialismus war, zumindest ab 1941, Augustin Rösch (1893–1961), Provinzial der Oberdeutschen Jesuitenprovinz (ab 1935). Von München aus organisierte er die Strategie der Ordensleute, als es darum ging, auf den von Martin Bormann inszenierten Klostersturm einheitlich zu reagieren. Wenn ein Jesuit von der Gestapo bedrängt, verhört oder verhaftet wurde, suchte er sofort die Zentrale der Gestapo auf und erhob entschieden Einspruch. Pater Rösch war auch der erste Kontaktmann zum Kreisauer Kreis, zu jener Widerstandsgruppe, die sich um den Grafen Helmuth James von Moltke gebildet hatte. Anfang Oktober 1941 begegneten sich beide in Berlin. Gleich zu Beginn ergab sich eine schicksalhafte Übereinstimmung in der Beurteilung der militärischen Lage wie in der Konzeption der Abwehr und Erneuerung. Pater Rösch sagte damals seine Mitarbeit in der Widerstandsgruppe zu. Pater Delp und Pater Lothar König waren Freunde. Pater Rösch führte beide in den Kreisauer Kreis ein. Delp sollte in den sozialen Fragen und beim Entwurf einer neuen Sozialund Gesellschaftsordnung nach dem Krieg beraten; König, Professor für Kosmologie am Berchmanskolleg in Pullach, nahm gleichsam die Stelle eines politischen Beraters von Rösch ein. Er arbeitete neben Pater Rösch im sogenannten Ausschuss für Ordensangelegenheiten bei der Deutschen Bischofskonferenz mit, bei jenem geheimen Unternehmen, das die deutschen Bischöfe auf einen Konfrontationskurs mit der nationalsozialistischen Regierung bringen wollte. Der Widerstandskreis um Helmuth James Graf von Moltke, der im August 1944 von der Gestapo Kreisauer Kreis genannt wurde, empfing seinen Namen vom Gut des Grafen 12 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 13 von Moltke in Niederschlesien bei Schweidnitz. Dort traf sich Moltke ab 1940 mit seinen Freunden, um über die Gestaltung eines neuen Deutschland nach dem Ende des Kriegs und des Nationalsozialismus nachzudenken. Drei große Tagungen fanden in Kreisau statt: das erste Treffen vom 22. bis 25. Mai 1942, an dem Pater Rösch teilnahm und bei dem vor allem Probleme um Staat und Kirche geklärt wurden; beim zweiten Treffen vom 16. bis 18. Oktober 1942 beriet Pater Delp in Fragen der Sozial- und Gesellschaftsordnung mit. Beim dritten Treffen vom 12. bis 14. Juni 1943 brachte Pater Delp seine Ideen ein, als es um die sogenannten Landverweser und die Bestrafung der Rechtsbrecher ging. Er griff im Wesentlichen auf die Grundaussagen der Enzyklika Quadragesimo anno zurück. Er formulierte sie für Menschen aus, die mit katholischer Soziallehre wenig vertraut waren und setzte über alles neue Begriffe wie personaler Sozialismus oder Die Dritte Idee. Damit brachte er sein Anliegen ein und trug auch zu einem Konsens im Kreisauer Kreis bei. Die Beratungen dieser etwa zehn Männer aus allen Schichten und Konfessionen wurden am Ende in Grundsatzerklärungen zusammengefasst. Diese Programme sollten die Grundlagen eines anderen Deutschland werden, das auf den beiden Säulen Kirchen und Arbeiterschaft ruhte. Die Besprechungen fanden im übrigen nicht im Schloss, sondern im nahe gelegenen Berghaus statt. Diese Treffen des Widerstandskreises wurden von der Gestapo erst nach dem 20. Juli 1944 während der strengen Verhöre entdeckt. Nach dem 20. Juli 1944 rieten Delp seine Mitbrüder, sich zu verstecken. Er ging aber auf diesen Ratschlag nicht ein, denn er wollte seine Freunde in Bogenhausen in den Bombennächten nicht allein lassen, er wollte am 15. August endlich seine Letzten Ordensgelübde ablegen und er war im Übrigen der Meinung, dass sie im Kreisauer Kreis nichts Unrechtes getan hätten. So kam, was kommen musste: Delp 13 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 14 wurde am Morgen des 28. Juli 1944 nach der Frühmesse in St. Georg von der Gestapo verhaftet. Vom 9. bis 11. Januar 1945 fand der Prozess vor dem Volksgerichtshof in Berlin gegen die Kreisauer statt. Er stellte nach allgemeiner Einschätzung einen Ersatz für einen geplanten Prozess gegen die Kirchen dar. Der Prozess wurde vom Präsidenten des Volksgerichtshofes, Dr. Roland Freisler, persönlich geleitet, der am ersten Tag sofort mit Delp begann. Was ihn bewogen habe, solche Pläne zu machen. Delp antwortete, dass viele Menschen menschenunwürdig leben müssten, dass sie den Verhältnissen erlägen und weder beten noch denken würden. Es bedürfe der Veränderung der Verhältnisse. Auf die weitere Frage, ob er meine, dass der Staat geändert werden müsse, antwortete Delp kurz: „Ja.“ Das war sein Todesurteil. Am 11. Januar wurde folgendes Urteil verkündet: Im Namen des Deutschen Volkes: Helmuth Graf von Moltke wusste von Goerdelers Verrat. Zwar lehnte er seine Mitarbeit ab, aber er meldete sein Wissen nicht. Er selbst, im Defätismus befangen, bildete einen Kreis, der für den Fall eines Zusammenbruches unseres Reiches mit NichtSozialisten die Macht ergreifen sollte. Durch dies alles ist er für immer ehrlos geworden. Er wird mit dem Tode durch den Strang verurteilt. Der Jesuitenpater Alfred Delp arbeitete eng und intensiv mit Helmuth Graf von Moltke zusammen ... Sicher gehört Alfred Delp zu denen, die immer wieder behaupten, das Reich ihrer Kirche sei nicht von jener Welt. Das hinderte ihn aber nicht, sich mit lauter Nichtnationalsozialisten, darunter offenkundigen Staatsfeinden, in derartige konspirative Gespräche und Planungen mitten im Krieg einzulassen, sie selbst aktiv vorwärtszutreiben und dabei seine Wohnung sogar als Schlupfwinkel für die Verschwörerbesprechungen zur Verfügung zu stellen. Er tritt 14 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 15 mit dem Anspruch auf, ein gebildeter Mann zu sein! ... Wenn er trotzdem im Kriege dieses Verrats sich schuldig gemacht hat, so bezeugt das seine vollkommene Ehrlosigkeit und erzwingt zum Schutze des Reiches das Todesurteil gegen ihn. Am 2. Februar 1945 wurde Pater Alfred Delp in Berlin-Plötzensee am Galgen hingerichtet. Sein Richter Roland Freisler überlebte ihn nur einen Tag. Er wurde am 3. Februar 1945 bei einem Bombenangriff von einstürzenden Trümmern erschlagen. Aus seinen letzten Aufzeichnungen im Gefängnis geht hervor, dass Alfred Delp die Ursache der Not der Menschen seiner Zeit, die „Gottes unfähig“ geworden waren und Hilfe brauchten, erkannt hatte: „Zweifach kann der Mensch sich als Hindernis zwischen sich und das kommende Reich Gottes stellen: durch seine personale Verfassung seines Lebens, zu der er sich entscheidet, und durch die soziale Ordnung seines Lebens, in der er sich befindet, die er duldet oder fördert.“ Und daher musste der Mensch wieder zu sich selbst geführt werden und für Gott empfänglich gemacht werden, denn „Gott gehört in die Definition des Menschen“, und „das Mindeste an personaler Haltung, das der Mensch aufbrin-gen muss, ist die wache und willige Offenheit zu Gott hin“. Voraussetzung für alle weiteren Bemühungen war nach Delp die Herstellung einer neuen sozialen Ordnung. So fasste er die Lehre der Kirche von der sozialen Gerechtigkeit und der persönlichen Würde des Menschen in die Idee des personalen Sozialismus zusammen, seine Dritte Idee, die dem Individualismus und dem marxistischen Sozialismus als etwas Neues unabhängig gegenübersteht. – Diese Vision Delps von 1944/45 setzt sich heute in den Herausforderungen nach Solidarität und nach sozialem Verhalten um. 15 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 16 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 17 I. Leben Gott ist in seinen Ordnungen Der gegenwärtige Mensch ist in eine Verfassung des Lebens geraten, in der er Gottes unfähig ist. Alle Bemühungen um den gegenwärtigen und kommenden Menschen müssen dahin gehen, ihn wieder gottesfähig und somit religionsfähig zu machen … Es geht nicht ohne „Existenzminimum“ an gesichertem Raum, gesicherter Ordnung und Nahrung. Dieser Sozialismus des Minimums ist nicht das Letzte, was auf diesem Gebiet zu sagen und zu fordern ist, sondern das Erste, der Anfang. Aber kein Glaube und keine Botschaft, kein Imperium und kein Jahrhundert der Wissenschaft und Technik, keine Gescheitheit und keine Kunst helfen dem Menschen, wo dieses Minimum als gesicherte Stetigkeit nicht zur Verfügung steht … Ich kann predigen, so viel ich will, und Menschen geschickt oder ungeschickt behandeln und wiederaufrichten, solange ich will: Solange der Mensch menschenunwürdig und unmenschlich leben muss, so lange wird der Durchschnitt den Verhältnissen erliegen und weder beten noch denken. Es braucht die gründliche Änderung der Zustände des Lebens: Nur der Mensch eines Minimums an geistiger Wachheit, persönlicher Lebendigkeit und sachhafter Lebenskundigkeit wird überhaupt fähig sein, den Namen und das Wort Gottes noch einmal zu vernehmen und die Ordnung Gottes noch einmal anzuerkennen und zu vollziehen. IV,312.310.313.314 17 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 18 Die Übernatur setzt ein Minimum von natürlicher Lebensfähigkeit und Lebensmöglichkeit voraus, ohne die es nicht geht … Und die Kirche als Institution und als Autorität setzt ein Minimum lebendiger Religion voraus, sonst wird sie nur IV.82 nach ihrer realen Macht gewertet oder museal. Ein menschenwürdiges und menschentümliches Dasein gewährt allein die Voraussetzungen einer habituellen Christlichkeit. Was helfen uns alle Proteste und alle Einsätze um spezifisch christliche oder kirchliche Eigentümlichkeiten, wenn vor unseren Augen der Mensch entwürdigt wird und auf eine Stufe des Daseins herabgedrückt wird oder herabsinkt, auf der es ihm unmöglich ist, christliches Leben und I,281 christliche Ordnungen zu vollziehen? Ob das nun eine Erziehung des Menschen zu Gott ist? Erst die unterste Voraussetzung. Erst die Bemühung um eine Ordnung und Verfassung des Lebens, in der ein Blick auf Gott für den Menschen nicht mehr eine übermenschliche Anstrengung bedeutet. Die Mühe um eine Verfassung des Daseins, in der das Menschenherz auch in seinen Sehnsüchten wieder gesund wird und so unruhig in jener heiligen Unruhe, die erst in Gott zu sich kommt und deshalb auch Gott wieder meint. Dann allerdings bedarf es erst der Hauptsache, des von Gott erfüllten und Gottes mächtigen gleichartigen Menschen, der den andern anspricht und anruft. Alle die direkten religiösen Bemühungen halte ich in der gegenwärtigen geschichtlichen Stunde für ohne dauerhafte Fruchtbarkeit. So lange der Mensch an der Straße liegt, blutig geschlagen und ausgeplündert, wird ihm der der Nächste und damit der Zuständigste sein, der sich seiner annimmt und ihn beherbergt, nicht aber einer, der zum „heiligen Dienst“ vorbeigeht, weil er hier nicht zuständig ist. IV,315 18 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 19 Es gibt keine echte geschichtliche Situation, die grundsätzlich im Verderben stünde und außerhalb der Offenheit, in der jede Kreatur zu ihrem Gott hin existiert. Was die einzelnen geschichtlichen Situationen verdirbt, ist nicht ihre grundsätzliche Verfassung, sondern der Missbrauch, die Wiederholung der ersten Rebellion. Es ist also die Gegenwart als die gerade sich erfüllende geschichtliche Stunde auch für den Christen um seines Gottes und dessen Schöpfung willen eine ernste Sache, und er hat grundsätzlich nicht die Möglichkeit, gegen II,191f . sie zu existieren. Christus hat den Gang der Geschichte nicht aufgehoben, er hat ihn in sich aufgenommen und den Menschen aus seiner absoluten Angewiesenheit auf die Geschichte dadurch befreit, dass diese Geschichte selbst durch ihn zu etwas Zweitrangigem wurde und nun jedem an seinem Ort und in seiner Stunde die Aufgabe gegeben wurde, sich für oder gegen Christus zu entscheiden. Es gibt in jeder geschichtlichen Stunde Menschen, die sich selbst und das Anliegen ihrer Zeit gebrauchen zum Aufstand gegen Gott und seine Kirche. Aber von der Kirche her gibt es keine Zeit und keine geschichtliche Verfassung, auf die sie verzichten oder der sie sich entziehen dürfte. Sie ist allen verpflichtet, weil sie Aufnahme der Menschennatur in eine neue Einigung mit Gott und weil die Menschennatur eine geschichtliche Wirklichkeit ist. IV,195 Man distanziert die übernatürlichen Wirklichkeiten des Christentums zu weit weg von den Tatsachen der Schöpfung, so dass diese beinahe nicht mehr gewertet werden. Die Geschichte wird nicht mehr zum Ort des Reiches Gottes, sie ist beinahe vom Übel. Es wird plötzlich ein Misstrauen gegen die natürlichen Fähigkeiten des Menschen laut … Die Erde wird gleichsam freiwillig geräumt. 19 Delp_Textteil:Layout 1 17.02.2009 15:17 Uhr Seite 20 Der gegenwärtige Christ muss ein Christ des vollen Besitzes sein. Wir müssen in jeder Zeit stehen mit dem Bewusstsein, dass jede echte Wirklichkeit uns gehört, vom Herrn und Vater her als Besitz und Auftrag. In einer Zeit gesteigerten Sinnes für die Wirklichkeit und gesteigerter Lebensfreudigkeit ist vom Christen her gesteigerte christliche Vitalität gefordert. II,199f. Wir sind die Menschen, die die ganze Wirklichkeit bejahen, durch die die erhaltenden Kräfte in die Welt einströmen … Und man muss auch spüren, dass wir in der Zeit Träger der Verheißungen und der Gnaden sind. Dass es uns gar nicht darauf ankommt, um jeden Preis ein paar Lebenstage länger da zu sein, dass es uns aber wohl darauf ankommt, um jeden Preis so zu sein, wie wir sind. Die Anwandlungen von Müdigkeit und Flucht oder Resignation, die uns manchmal überkommen, sind ein Verkennen der seinsmäßigen Lage und vergessen, dass wir mit dem Herrgott, mit seiner Welt II,200f. und seinen Gnaden zu tun haben. Wir werten die Dinge der Erde anders, aber wir entwerten sie nicht, und deshalb soll man unserer Haltung ihr gegenüber ansehen, dass wir uns in höherem Auftrag gesandt wissen. Es gibt auch eine christliche Positivität der Endlichkeit, und sie ist gerade darin begründet, dass Gott den Menschen schuf nach seinem Bild und Gleichnis, dass alles unter dem Segen des Schöpfer-Vaters steht und dass jeder Fortschritt, jede neue Leistung ein Sichtbarmachen dessen ist, was als Abglanz Gottes in die Welt hineingelegt ist. II,201 Das verteidigende Fechten ist nie das Hauptanliegen einer christlichen Generation. Hinter den Grenzsteinen, die wir verteidigen, muss immer die ganze Fülle echten Lebens sichtbar werden; der seinsmäßige Glanz des in uns existierenden Reiches unseres Herrn ist unser bester Anspruch und unsere 20