Vortrag Flottillenadmiral Luther - Deutsches Maritimes Institut (DMI)

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Vortrag Flottillenadmiral Luther - Deutsches Maritimes Institut (DMI)
Vortrag Flottillenadmiral Luther
Führungsstab der Marine
Stabsabteilungsleiter FÜ M III
Aktuelle Fragen der Deutschen Marine
Ein Blick auf die Deutsche Marine zeigt im April 2010:. Unsere Boote stehen heute vor der
Küste des Libanons im Einsatz. Unsere Schiffe und Flugzeuge begleiten Handelsschiffe durch
die Gewässer vor Somalia und schützen sie vor Piraten. Unser Einsatzausbildungsverband
befindet sich auf dem Rückweg von Südafrika und liegt zurzeit vor Kreta oder besser gesagt
in der Suda Bay, nachdem er in Südafrika ein hervorragendes Flugkörperschießen absolviert
hat. Und als besonderen Höhepunkt ist heute unsere Fregatte Hessen zu erwähnen. Sie ist voll
integriert in die Trägergruppe des Flugzeugträgers Harry S.Truman der United States Navy
und ersetzt dort, das ist besonders hervorzuheben, voll einen amerikanischen Kreuzer der
Ticonderoga-Klasse und fährt in diesem Verband mit. Der Admiral der Carrier-Strike-Group
hat gegenüber dem Führungsstab der Marine ausdrücklich betont, nachdem er kürzlich an
Bord der Hessen war, wie beeindruckend, wie sensationell unsere Fregatte in diesem Verband
ihre Aufgaben absolviert. Er hob auch hervor, dass sich gleichzeitig die Besatzung als auch
das Schiff in diese Carrier-Strike-Group integriert haben. Ferner stellte er fest, - man kann
deutlich bei Amerikanern raushören, ob sie das ehrlich meinen oder ob es nur höfliche
Floskeln sind,- dass er den Wunsch habe, ein vergleichbares Maß ein Einsatzqualität, an
Professionalität und vor allem auch an persönlichem Engagement der einzelnen
Besatzungsmitglieder in der US-Navy zu erreichen, so wie er das auf der Hessen zurzeit
erlebt.
Weiterhin besetzen wir zur Zeit drei der vier Standing Maritime Groups der Nato, insgesamt
könnte man das alles mit dem neudeutschen Wort„business as usual“ bezeichnen. Ein Blick
auf die politische Landschaft in Deutschland zeigt, dass wir auch in Zukunft etwa in gleicher
Weise in der Einsatzrealität gefordert sein werden wie heute. Jedoch zeigen sich ausgerechnet
hier in Deutschland zunehmend deutlich erkennbare Risse in diesem Bild, die insbesondere
unsere Durchhaltefähigkeit und unsere Befähigung, in den Einsätzen präsent zu sein, stören,
und die dieses Bild sogar zu zerstören drohen. Grund für diese Entwicklung sind vor allem die
-2aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland und der Welt und ihre Auswirkungen auf
den Haushalt. Auch unsere Marine wird von der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht unberührt
bleiben. Allerdings bietet jede Herausforderung auch Chancen, alte Zöpfe abzuschneiden,
Ballast abzuwerfen und gestärkt aus dieser Prüfung hervorzugehen. Um einer
Herausforderung erfolgreich zu begegnen, hilft nur ein Ziel und zunächst auch ein Konzept zu
haben. Dennoch darf festgestellt werden, dass die Deutsche Marine in dieser Hinsicht gut
aufgestellt ist.
Zunächst ist daher kurz auf unsere konzeptionellen Arbeiten einzugehen, im wesentlichen
aber auf die im November 2008 vom Inspekteur, d. h. die noch von Vizeadmiral Nolting, dem
bis zum 28. April 2010 amtierenden Inspekteur der Marine, erlassene „ZVM 2025 plus“, also
den Zielvorstellungen der Marine für die Jahre 2025 und später. Ebenso wichtig wie die
konzeptionellen Grundlagen ist es jedoch auch, diese konsequent in die Praxis umzusetzen.
Daher ist anschließend auf die beiden Felder einzugehen, auf denen für uns in der Marine
heute die größten Herausforderungen bestehen. Nämlich die Entwicklung des Haushalts und
die Entwicklung der Personalsituation. Ohne zuviel zu verraten, ist hier festzustellen: Auf
beiden Feldern sieht es nicht nur nicht rosig aus, sondern eher dunkel. Und es besteht auf
beiden Feldern dringender Handlungsbedarf. Die Notwendigkeit, hier das Ruder fest in die
Hand zu nehmen ist erkannt und es wird auch auf einige Maßnahmen entsprechend
einzugehen sein.
Konzeptionelle Grundlagen.
Bereits in den vergangenen Jahren hat sich das Koordinatensystem der Deutschen Marine
erheblich verschoben. Als Stichworte zu nennen sind hier nur unsere weltweite Beteiligung
am Schutz der Seeverbindungslinien, die damit verbundene Diskussion um maritime
Sicherheit sowie letztendlich die konsequente Ausrichtung auch der maritimen Einsätze der
Bundeswehr auf Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Um diesen Phänomenen
Rechnung zu tragen und für die vor uns liegenden Herausforderungen gewappnet zu sein, galt
es also den Kurs der Marine neu festzulegen. Diese Festlegung des Kurses ist durch die
bereits angesprochene ZVM 2025 + geschehen. Als Grundlagendokumente oder auch als
Basis dienen die „Konzeption der Bundeswehr“ (KDB) und das 2006 noch vom alten Minister
erlassene bzw. von der Bundeskanzlerin sogar unterzeichnete „Weißbuch 2006“. Beide
-3Dokumente, KDB und Weißbuch, sind auch weiterhin noch gültig, weshalb wir mit den ZVM
2025 + auf tragendem Boden stehen.
Inwieweit wir uns erst auf die Ergebnisse der Arbeit, der gerade jetzt aufgenommenen
Strukturkommission, auf die wir uns in jedem Falle einzustellen haben, stützen können, wird
sich eben nach Abschluss der Arbeiten der Strukturkommission zeigen. Das ist auch ein
Grund dafür, weil gegenwärtig noch nicht alle Fragen zu beantworten sind.
Die Zielvorstellungen der Marine(ZVM)
Die ZVM geben die die Entwicklungslinien der Deutschen Marine vor. Richtungsgebend sind
dazu die beiden Grundprinzipien nämlich einmal Projekt,
d. h. Projektion de Force und Protect, also beschützen. Projekt als die Fähigkeit zu
Einsätzen weltweit, mithin das, was die NATO mit der Fähigkeit zu expeditionary
operations bezeichnet und zum anderen Protect, dem Schutz deutscher Bürger und dem
Schutz deutscher Interessen in der Welt zu dienen. Beide Fähigkeiten stehen ganz im Kontext
der streitkräftegemeinsamen Einsatzrealität der Bundeswehr. Das Prinzip Projekt treiben wir
mit den Konzeptionellen Grundvorstellungen die See als Basis streitkräftegemeinsamer
Operationen an und über Land voran, kurz mit der KGV Basis See. Die KGV Basis See ist
vom Generalinspekteur entsprechend wahrgenommen und empfohlen. In der Abstimmung mit
dem Führungsstab der Streitkräfte und den anderen militärischen Organisationsbereichen
beabsichtigen wir, dieses Konzept zu einer Teilkonzeption weiter zu entwickeln und so einen
vernünftigen, aber soliden Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Maritimen Fähigkeiten der
Bundeswehr zu leisten.
Im Bereich Protect ist es uns gelungen, die ministerielle Mitzeichnung der KGV Maritime
Sicherheit abzuschließen und sie dem Generalinspekteur zur Zeichnung vorzulegen. Hierzu ist
aktuell zu sagen, dass der Generalinspekteur diese KGV vor drei Wochen erst einmal
angehalten hat, nicht weil sie ihm mißfällt, oder weil sie entsprechend die
Rahmenbedingungen nicht erfüllt. Er hat sie angehalten, weil auch er zunächst auf die
Ergebnisse der Strukturkommission abwartet. Damit soll die neue KGV in einem weiteren
Rücklauf an neue Realitäten oder Veränderungen angepasst werden.
Mit den internen abgestimmten Positionen, ZVM 2025 +, Protect, Projekt sowie KGV Basis
See entstand eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit mit den anderen in diesem Bereich
tätigen Ressorts auf nationaler wie auch internationaler Basis. Konzeptionell haben wir also
-4unsere Hausaufgaben gemacht. Es stellt sich nun die Frage nach der Umsetzbarkeit unserer ,
konzeptionellen Vorstellungen in die Realität?
Die Haushaltslage
Die Anfang März 2010 abgeschlossene Haushaltsdebatte im Bundestag hat gezeigt, dass die
eben schon erwähnte Wirtschafts- und Finanzkrise bereits in diesem Jahr deutliche
Auswirkungen auf den Haushalt und dort besonders auf den Einzelplan 14 hat. Der mit dem
Bundeswehrplan 2010 angemeldete umfangreiche und im Vergleich zum Vorjahr
angestiegene Bedarf der Streitkräfte konnte nicht ganz im Haushalt 2010 realisiert werden. So
wurde für dieses Haushaltsjahr durch den Bundestag bereits eine Unterdeckung von 800
Mio.€ für den Einzelplan 14 insgesamt beschlossen, wobei sich die Frage stellt, was das für
die deutsche Marine bedeutet. Untersucht man den Einzelplan 14 auf
Einsparungsmöglichkeiten, so stellt man erstens fest, dass gut 75 % des
Bundeswehrhaushaltes gesetzt und unveränderlich sind. Da sind zum Beispiel Personalkosten
und die ganzen Betreibermodelle: Bundeswehr- Fuhrpark, BWI Informationstechnik G.m.b.h.
und letztlich auch die jetzt noch hinzukommende BIMA d. h. die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben, deren Aufgabe in Verwaltung und Verwertung der Liegenschaften des
Bundes nach kaufmännischen Gesichtspunkten liegt. Von den restlichen 25 % sind es dann
effektiv nur zwei Felder, auf denen wir sparen können, die militärische Beschaffung und
Materialerhaltung. Betrug für die Materialerhaltung der Haushaltsmittelbedarf im Jahr 2000
noch ungefähr 200 Mio € pro Jahr, so beträgt er heute rund 300 Mio €, eine Steigerung von 50
% in einem Jahrzehnt. Diese Kostensteigerung der letzten Jahre ist in erster Linie auf die hohe
Abnutzung von Material im Einsatz zurückzuführen. Einsatzdauer, wie auch das tropische
Einsatzklima, führen regelmäßig zu erhöhtem Verschleiß und zur Materialermüdung. Auch
auftretende Obsoleszenzen in älteren Anlagen und versteckte Schäden erfordern zunehmend
ein deutlich höheren Instandsetzungsaufwand. Bei neuen Einheiten, die wir als
Hochtechnologieträger in die Flotte eingeführt haben ,– es sei hier nur die Fregatte F 124
genannt,- sind, bedingt durch die hohe Komplexität der Systeme, selbstverständlich deutlich
höhere Ausgaben zu Materialerhalt für die technische-, logistische Unterstützung und
Systempflege zu verzeichnen. Die konkreten Auswirkungen der Unterdeckung wurden im
Haushaltsaufstellungsverfahren deutlich, so dass nur, um ein konkretes Beispiel zu nennen,
bereits jetzt die Werftliegezeit von 4 Einheiten, nämlich einer Fregatte, einem EGV
(Einsatzgruppenversorger), einem Tender und einem Flottendienstboot, mithin im ersten
-5Drittel des Jahres, um ein halbes Jahr geschoben werden mussten. Damit können
Zahlungsverpflichtungen haushälterisch nach 2011 verlagert werden.
Das Schieben von Instandsetzungsbedarf führt natürlich regelmäßig zu einem nicht
angemeldetem Mehrbedarf in den Folgejahren. Auf Dauer ist dies also auch keine tragfähige
Lösung, denn auf diese Weise wird die Bugwelle immer höher. Damit verzeichnen wir heute
schon ein finanzielles Fehl für die Materialerhaltung unserer Einheiten von mindestens 80
Mio € im Jahr 2011. Das sind 80 Mio € für das nächste Jahr, die bereits fehlen.
Neben der Verfügbarkeit der Einheiten für die Flotte geht damit selbstverständlich ebenfalls
die Planbarkeit für die Besatzungen verloren. Aber auch im investiven Bereich ist eine
deutliche Unterdeckung zu verzeichnen. Die bereits angelaufenen Großprojekte Fregatte 125,
das zweite Los U 212 und der dritte Einsatzgruppenversorger, der wer es noch nicht weiß
„Bonn“ heißen wird, binden fasst den gesamten Invest-Titel. Für wichtige
Betriebsinvestitionen, wie technische Änderungen, kleinere Beschaffungen zum Erhalt der
Einsatzfähigkeit der Flotte in der Nutzung, bleibt kein Freiraum mehr. Diese kurz- bis
mittelfristig nicht realisierbaren Vorhaben beinhalten u. a. die Erfüllung geänderter
gesetzlicher Auflagen zur Verkehrssicherheit sowie für den Umwelt- und Betriebsschutz.
Hinzu kommen die leider auch nach Zulauf unserer neuen Waffensysteme der Fregatte 124
und der Korvette 130 die weiterhin erforderlichen investiven Aufwendungen, um die volle
Einsatzreife zu erreichen. Um den Amtschef des Marineamtes noch zu ergänzen, ist
festzuhalten, wir erwarten im Führungsstab der Marine eine Einsatzfähigkeit von dem System
Korvette 130. Das bedeutet, sowohl die Korvette K 130 im Flottenalltag, als sie auch in einer
Rotation nutzen können. Es müssen also wenigstens zwei, drei bis vier Korvetten für die
Flotte zur Verfügung stehen, die sie dann auch in die Einsatzrealität einsteuern und
integrieren kann .Das wird nicht vor 2112 bis eher Ende 2012 /2013 geschehen.
Weitere Stichworte sind bei den Neubeschaffungen Kostenobergrenzen, lange Bauzeiten,
Anpassung an Einsatzbedingungen und Ersatzteilerstbedarf, um nur einige Problemfelder zu
nennen.
Zusammenfassend ist hier festzustellen, dass die absehbaren und die nicht absehbaren
finanziellen Ressourcen für die fahrende und fliegende Flotte in Nutzung nicht ausreichen, um
eine durchgängige Materialerhaltung und zeitgerechte Umsetzung der Betriebsinvestition zu
-6gewährleisten. Auch der Konsolidierungsbedarf des Bundeshaushaltes bis zum Greifen der
Schuldenbremse im Jahr 2016 lässt keine Verbesserung der Haushaltslage zugunsten der
Materialerhaltung und investiver Maßnahmen der Streitkräfte erwarten. Ferner ist zu
bemerken, als diese Überlegungen hier zu Papier gebracht wurden, war noch nicht die
Alarmglocke aus Athen angeschlagen worden. Die Folge dieses Sparzwangs ist eine
reduzierte Verfügbarkeit einsatzfähiger Waffensysteme bei gleichzeitiger Inkaufnahme des
Verlustes von Teilfähigkeiten. Das führt folgerichtig bis zur Erosion und dann zur Erosion
sogar aller Fähigkeiten in der Flotte. Das ist die Gefahr um die es geht. Folglich sind
Einsatzfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und die erforderliche Verfügbarkeit der Marine im
Einsatz in naher Zukunft neu zu definieren. Es handelt sich hier vor allen Dingen um die Lage
in diesem und im nächstem Jahr. Es sei an das eingangs skizzierte Bild der absehbaren
Einsätze und der Einsatzrealität erinnert. Wir gehen davon aus, dass wir auch in Zukunft diese
Einsätze werden durchführen können und wir werden auch dazu stehen und wir werden sie
auch natürlich ganz klar mit hoher Priorität bedienen. Aber die dazu verfügbaren Einheiten
werden immer weniger. Die Schere wird größer und eine weitere Herausforderung ist nicht zu
vergessen, das Personal. Das ist nämlich die zweite große Herausforderung, der wir uns
stellen müssen.
Die Personalsituation
Der Inspekteur hat in seiner diesjährigen Jahresweisung sogar die Personalsituation als die
strategische Herausforderung für dieses Jahr herausgehoben. Besonders beschäftigen uns hier
die Umstellung der Wehrpflicht auf W 6 ab Oktober 2010 und natürlich die demografische
Entwicklung. In der Quintessenz betreffen beide Aspekte die Nachwuchsgewinnung für die
Deutsche Marine in erheblichem Umfang. Hinsichtlich der internen Regeneration besteht
gerade für die Marine eine Abhängigkeit von der Wehrpflicht. Jeder vierte Soldat auf Zeit war
zuvor ein Grundwehrdienstleistender in der Marine. Und etwa 60 % der
Grundwehrdienstleistenden der Marine werden zu Längerdienenden. Die Marine ist auf diese
Längerdienenden im besonderen Maße auch angewiesen.
Junge Soldaten werden sich auch zukünftig nur dann für eine Verlängerung ihrer Dienstzeit
entscheiden, wenn sie den Dienst bei der Marine und vor allen Dingen in der Marine, d.h. in
der Flotte authentisch erleben und sich auch als ein wichtiger Bestandteil unserer Marine
fühlen können. Daher ist es entscheidend, dass die künftigen Grundwehrdienstleistenden auch
bei der Verkürzung auf 6 Monate sinnvoll integriert und eingesetzt werden können. Die
-7Marine wird weiterhin alle Rekruten quartalsweise zu einer dreimonatigen Grundausbildung
einberufen. Bekanntlich ist es aber Grundwehrdienstleistenden nicht möglich, an mandatierten
Einsätzen teilzunehmen.
Die Verwendung von Mannschaften an Bord erfordert für alle Seefahrtsvorhaben dennoch
grundsätzlich neben einem dritten Monat Grundausbildung eine weitere Zeit der
Bordintegration und ist deshalb sinnvoller Weise nur mit länger dienenden Mannschaften
machbar. Dies hat zur Folge, dass sich Grundwehrdienstleistende, die sich nicht über sechs
Monate hinaus verpflichten wollen, künftig leider eben nur mit Schwierigkeiten, oder sagen
wir einmal, überwiegend nur an Land eingesetzt werden. Sie können nur mit Schwierigkeiten
zum Dienst in der Flotteverwendet werden. Das bedeutet wiederum eine besondere
Herausforderung für die Nachwuchsgewinnungsorganisation, da die Entscheidung zur
Ableistung des Wehrdienstes als freiwillig Dienstleistender ,also als FWDL, bzw. für eine
Verpflichtung als SaZ, künftig vor oder mindestens während der Allgemeinen
Grundausbildung getroffen werden muss.
Die Personallage der Marine insgesamt ist in einzelnen Verwendungsreihen ziemlich bis sehr
angespannt. Der Vakanzenumfang bei den Soldaten auf Zeit hat sich im vergangenen Jahr
nochmals erhöht. Besondere Schwierigkeiten in der Gewinnung bestehen im Bereich der
Marineführungsdienstler, also den 20er-Verwendungsreihen und bei den Minentauchern.
Unabhängig von den eben genannten Weiterverpflichtungen bei den
Grundwehrdienstleistenden, machen wir uns außerdem mit Blick auf die
Nachwuchsgewinnung und Personalbindung seit längerer Zeit Sorgen um die Attraktivität des
Dienstes in der Flotte. Denn einmal bedingt durch die demografische Entwicklung in
Deutschland und die abnehmende Geburtenrate ist zu erwarten, dass sich der Wettbewerb um
Talente in den kommenden Jahren weiter verschärft. Viel wird daher von diesem Wettbewerb
um motiviertes und qualifiziertes Personal abhängen. Erkannte Defizite sind zu beseitigen und
neue Konzepte für attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen müssen mutig und
entschlossen vorangetrieben werden. Dafür werden sich die Aufgaben der Marine aber
absehbar weder verringern, noch ändern und ebenfalls nicht in der Intensität groß nach unten
bewegen. Dies unterstreicht zwar auf der einen Seite den militärpolitischen und
streitkräfteweiten Stellenwert unserer schwimmenden Einheiten, sorgt jedoch dafür, dass die
Auslastung der Flotte auf hohem Niveau bleibt und in der Folge mit weniger Einheiten erfüllt
werden muss.
-8-
Darüber hinaus erhöhen u. a. die normale Einsatzausbildung in See, Werftliegezeiten
außerhalb des Heimatstützpunktes, die Abwesenheit der Soldatinnen und Soldaten erheblich.
Wir haben heute Abwesenheitszeiten von über 240 Tagen. Solche Abwesenheitszeiten von
240 Tagen sind keine Seltenheit mehr. Und dies geschieht auch schon seit mehreren Jahren.
Die Herausforderung liegt darin, den Dienst in der Deutschen Marine so zu gestalten, dass er
für Berufsanfänger, ebenso wie für bereits dienende Soldaten eine lohnenswerte Alternative
zu einem zivilen Beruf darstellt. Faktisch muss also letztendlich Seefahrt attraktiv bleiben,
d.h. die Abwesenheiten des einzelnen Besatzungsangehörigen müssen sich in erträglichen
Grenzen halten und möglichst auch planbar sein und planbar bleiben.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung ist Personalgewinnung und Personalbindung eine
dauerhaft strategische Herausforderung für die Marine und dies unterstreicht, dass der
Inspekteur dieses Ziel als die strategische Herausforderung für dieses und die kommenden
Jahre auch gesetzt hat.
Wenn es uns gelingt, junge Menschen für die Seefahrt zu begeistern- und die Betonung liegt
für die Seefahrt und nicht für die Behörde und nicht für das Ministerium- und für den Dienst
in der Marine zu gewinnen, ist überhaupt erst einmal die personelle Einsatzfähigkeit der
Marine zu gewährleisten. Diese beiden großen Herausforderungen liegen vor uns, die wir
umschiffen müssen. Haushalt und Personal. Beide müssen wir bewältigen, um den Erhalt und
die Zukunftsfähigkeit der Maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr sicherzustellen. Dem
Personal kommt dabei eine absolute Schlüsselrolle zu, denn immer noch gilt das Prinzip:
nicht Schiffe, sondern Besatzungen kämpfen.
Es sind tragfähige Konzepte, für attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen zu entwickeln,
um gesellschaftlichen Entwicklungen, wie Vereinbarkeit von Familie und Dienst, d. h. Work Life -Balance in Zeiten dieses Wandels entsprechend angemessen Rechnung tragen zu
können. Man wird um die Abwesenheitsbelastungen erträglicher und planbarer zu gestalten,
d. h. überhaupt gestalten zu können, auch die Strukturen in der Flotte robuster gestalten
müssen. Deshalb kommt es darauf an, flexible Besatzungskonzepte, Intensivnutzung der
Technik und eine stützpunktnahe Ausbildung zu entwickeln, welche die
-9Abwesenheitsbelastung nachhaltig verringern und den Besatzungen stabilere
Planungsparameter geben und anbieten können.
Ein erster Einstieg ist mit der Personalergänzung in der Flotte erfolgt. Es ist zunächst nur ein
Einstieg. Diesen Ansatz weiter verfolgend, ist für die Fregatte der Klasse 125 ein sogenanntes
MBK, Mehrbesatzungskonzept, d. h. ein Zweibesatzungskonzept vorgesehen. Erstmalig wird
hier mehr als nur eine Besatzung pro Schiff ausgeplant, die untereinander in einem
festgelegten Rhythmus von voraussichtlich etwa vier Monaten rotieren werden. Dies erhöht
die Verfügbarkeit dieser Einheiten und trägt gleichzeitig den bereits erwähnten
gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung.
Neben diesem neuen Besatzungskonzept gilt unser nächster Augenmerk auf der sogenannten
stützpunktnahen, einsatzorientierten Ausbildung der Marine, d.h. SEAM. Mit SEAM wird die
Ausbildung zum Soldaten gebracht, indem intensiv moderne Ausbildungsverfahren und
Technologie angewandt werden. Es werden stützpunktnahe Aus- und Weiterbildungszentren
für beide Einsatzflottillen, nämlich in Kiel und Wilhelmshaven eingerichtet. SEAM findet
begleitend während des Einsatzausbildungsprogramms nach Instandsetzungsvorhaben statt,
aber auch danach, während der Betriebsperiode und bei der konkreten Einsatzvorbereitung.
Die Unterstützung umfasst sowohl den Bereich der Team-, wie auch der
Individualausbildung. SEAM soll oder greift im Konzept auf mobile Ausbildungsteams
ebenso zurück, wie auf moderne Simulatoren zur Darstellung komplexer Einsatzszenarien.
Weiterhin wird zurzeit in einem streitkräftegemeinsamen Ansatz und im Rahmen einer
modernen und zukunftsorientierten Personalentwicklung an weiteren Lösungsvorschlägen
gearbeitet, um möglichst viele Optionen zur Steigerung der Attraktivität unseren Menschen
gegenüber anbieten zu können. Dies steht übrigens auch im Koalitionsvertrag der
Bundesregierung vom September bzw. November 2009. Damit existiert der politische Wille,
auch tatsächlich etwas für unsere Besatzungen zu tun. Ein SEAM in der Form und Weise,
wie wir es uns vorstellen und wie es tatsächlich die Menschen entlastet, ist nicht zum Nulltarif
zu haben. Damit dürfte auch unmissverständlich klar sein, dass solche Vorhaben Kosten
verursachen.
In Anbetracht der Situation im Haushalt, ist es unser Ziel, die notwendigen maritimen
Fähigkeiten der Bundeswehr insgesamt für die laufenden und die wahrscheinlichen
zukünftigen Einsätze auf See sicherzustellen. Weiterhin gilt es, dass die Deutsche Marine
- 10 ebenso wie alle andern Organisationsbereiche gründlich zu überprüfen sind. Alles kommt auf
den Tisch. Es geht nicht nur um eine Außerdienststellung von zwei Einheiten oder von einem
Geschwader, sondern das, was zurzeit überdacht wird, hat sicherlich bundeswehrweit, d.h.
streitkräftegemeinsam ganz andere Dimensionen.
Der Maßstab ist dabei, und das ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren neu, die strikte
Ausrichtung auf die laufenden und die wahrscheinlichen Einsätze der Bundeswehr,
und es darf nicht so sein, darauf weisen wir im Ministerium immer wieder hin, dass wir die
Bundeswehr nach Afghanistan ausrichten. Die Einsatzrealität darf nicht nur auf Afghanistan
fokussiert bleiben. Wir dürfen also keine Bundeswehr nach Maßstab Afghanistan machen.
Auch in den letzten vier Jahren haben wir eine gänzlich neu geschaffene Flottenorganisation
geschaffen mit den beiden Einsatzflottillen und den drei Einsatzstäben, welche konsequent an
der Einsatzrealität ausgerichtet sind. Jetzt kommt es darauf an, diese Vorleistungen
entsprechend zu vertreten und die künftige Relevanz der Deutschen Marine in den Einsätzen
und in einem maritimen Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr entsprechend deutlich zu
machen und zu unterstreichen.
Dafür sind wir gut gerüstet und vor allen Dingen verfügt die deutsche Marine mit der
eingangs dargestellten konzeptionellen Grundlage über Konzepte, auch alle unsere
Fähigkeiten in die streitkräftegemeinsamen Operationen einzubringen, d.h. die Hausaufgaben
sind gemacht.
Zusammenfassung
Abschließend ist festzuhalten, es liegen interessante Zeiten vor uns. Nach der alten
Seemannsweisheit: Bereite Dich auf den Sturm vor, bevor er losbricht, sind wir gut
vorbereitet auf das, was in Strukturkommission, in Untersuchungen und Überprüfungen,
intern und extern des Ministeriums entsprechend sich vollziehen und auf uns zukommen wird.
Die Deutsche Marine ist konsequent auf die Einsatzrealität ausgerichtet. Die Konflikte der
Zukunft werden voraussichtlich auch weiter vornehmlich an Land entschieden. Infolge der
Ballung der Weltbevölkerung in den Küstenregionen und der Bedeutung der See für die
Weltwirtschaft (Beispiel. Piraterie) ist aber auch zunehmend mit der maritimen Komponente
von Streitkräften zu rechnen und auch damit zu arbeiten. Und das ist den Damen und Herren
Politikern auch an die Hand zu geben. Unsere laufenden und kommenden Rüstungsprojekte
- 11 sind vor diesem Hintergrund konzeptionell wohl begründet und tragen den Anforderungen
streitkräftegemeinsamer Einsätze im Rahmen internationaler Konfliktbewältigung und
Konfliktverhütung auch Rechnung. Der gegenwärtig stattfindende Prozess der
Neuorientierung eröffnet uns die Chance, unsere Planungen auch für dasJoint - Support –
Ship sowie für eine neue Korvette 131 mit Nachdruck zu fordern und sie auch entsprechend
einzubringen. Die Herausforderung der kommenden Monate und Jahre besteht darin, unsere
Position im Wettbewerb mit den größeren Teilstreitkräften zu halten und das Bewusstsein für
die Bedeutung der maritimen Domäne für Deutschland in unserer Gesellschaft weiter zu
fordern. Und dazu brauchen wir aller Unterstützung. Denn es gilt tatsächlich heute, jedem
zumitzuteilen, warum wir eine maritime Komponente brauchen, warum wir in unserer Marine
zukunftsfähig entsprechend aufgestellt sind, sein wollen und bleiben wollen.
Daraus folgt unschwer, dass die maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr auch in Zukunft,
eben aus den genannten Gründen, auch eine wesentliche Rolle spielen werden. Sie werden für
die Vertretung und den Schutz deutscher Interessen weltweit überhaupt nicht wegzudenken
sein. In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen, die wir heute beobachten können, wird das
eigentlich nur noch unterstrichen, wenn man sich beispielsweise den Jemen oder die
Seegebiete im östlichen Mittelmeer anschaut. Ein Blick auf Gebiete, die sich an der Grenze
zu einer Krisenlage befinden, wie beispielsweise die Malakkastraße, zeigt, dass das alles
dadurch nur noch unterstrichen wird. Aber das sind natürlich Themen, über die man lediglich
nur diskutieren kann. Auf der Ebene der Politik müssen diese Dinge allerdings
entscheidungsreif diskutiert und entschieden werden. Konkret für uns bedeutet das, sie
müssen durch die politische Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung entschieden
werden. Es kann hier versichert werden, dass die Erkenntnis über das Anstehen der
Notwendigkeit von grundlegenden Entscheidungen im BMVg sowohl auf der Führungsebene
der militärischen Führung, als auch der politischen Leitung angekommen ist. Ein schlichtes
„Weiter-so“ reicht nicht mehr und wird es auch nicht mehr geben