Wie authentisch sind Reenactement Gruppen?

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Wie authentisch sind Reenactement Gruppen?
Wie authentisch sind Reenactement Gruppen?
Eine Untersuchung anhand der Schuhe der
Company of Saynt George
Maturaarbeit
Marco Hostettler, 1e
Betreuer: Max Bratschi
Eingereicht am 13. August 2009
Gymnasium Thun-Schadau
1
1.Abstract
Die Fragestellung, ob Reenactement Gruppen authentisch sind oder nicht, wird anhand der
Company of Saynt George, einer international bekannten Reenactement Gruppe, und den
Schuhen, die von ihren Mitgliedern getragen werden, untersucht. Um dies durchzuführen
wurden die Schuhe unter die Lupe genommen und mit den historischen Tatsachen verglichen. Es wurde festgestellt, dass die Schuhrepliken der Company weitgehend als authentisch
beurteilt werden können. Dadurch lässt sich ableiten, dass Authentizität in Teilbereichen
durchaus möglich ist, und bei seriöser und genauer Arbeit auch im Gesamten erreicht werden könnte. Es hängt aber von der Einstellung der Gruppe und ihrer Mitglieder ab, wie wichtig ihnen Authentizität ist.
2
2.Vorwort
Das Mittelalter fasziniert mich. Oder ist es nur die romantisierte Vorstellung des Mittelalters,
die in unserer postmodernen Kultur kursiert und breite Bevölkerungsschichten in ihren Bann
zieht? Das Angebot, in dem das Mittelalter verkauft wird ist riesig. Unzählige Bücher und
Filme widmen sich dem Thema, ein grosser Teil des Fantasy Genres orientiert sich am Mittelalter. Doch es gibt auch mittelalterliche Feste, Märkte, Konzerte mit mittelalterlicher Musik und andere vom Mittelalter inspirierte Veranstaltungen.
Wer sich in seiner Freizeit für diese Epoche interessiert kommt gar nicht darum herum sich
mit all den Angeboten zu beschäftigen. Die Atmosphäre, die auf einem mittelalterlichen
Markt erzeugt werden kann, ist zum Teil absolut verzaubernd. Häufig werden auch zu bestimmten Anlässen von Museen Spektakel organisiert. An solche Anlässe werden private
Handwerker oder Darsteller des Mittelalters eingeladen, oder es wird mit Reenactement
Gruppen zusammengearbeitet. Letzteres sind Gruppen, die sich dem Wiedererleben von
historischen Begebenheiten widmen und versuchen die Vorbilder aus alter Zeit möglichst
exakt darzustellen.
Da ich des Öfteren solche Veranstaltungen besuchte, fiel mir auf, dass manche dieser Gruppen irgendwie überzeugender wirkten, als andere, die auf eine Art unreif herüberkamen. Da
wäre ich also schon bei meiner Themenwahl. Ich stellte Unterschiede in der Glaubhaftigkeit
zwischen Reenactement Gruppen fest. Was aber entscheidet darüber, ob eine Reenactement Gruppe überzeugender wirkt als andere? Ist es die Nähe zum Original, oder die Nähe
zu den trügerischen Bildern, die wir vermittelt bekommen? Ich fand heraus, dass sich solche
Gruppen, wie sie selbst sagen, sich an der Realität orientieren. Ist nun die Authentizität entscheidend für die Glaubhaftigkeit? Kann sie überhaupt erreicht werden? Dies wollte ich mit
meiner Arbeit herausfinden. Um den Rahmen der Maturaarbeit nicht zu sprengen, werde ich
nur eine Gruppe und nur einen Gegenstand genauer unter die Lupe nehmen und auf die Nähe zum Vorbild untersuchen. Die Gruppe, die ich untersuchen werde, ist die Company of
Saynt George, als Gegenstand wählte ich den Schuh.
An dieser Stelle möchte ich all jenen Mitgliedern der Company danken, die mir bereitwillig
meine Fragen beantworteten und vorbildlich ihre Schuhe präsentierten. Besonderer Dank
geht an Christian Folini, der mir die wichtigsten Kontakte gab, sowie an Anna Zehnder, die
3
mich nach Gruyères begleitete und an meiner Stelle zahlreiche Fotos schoss. Auch möchte
ich meinem Betreuer Max Bratschi danken.
Im Laufe dieser Arbeit lernte ich viel über die mittelalterliche Schuhherstellung und erhielt
einen guten Einblick ins Reenactement. Das bedeutet eine Horizonterweiterung in einem
Bereich, der mich, wie bereits gesagt, besonders interessiert. Mein Wunschstudium Geschichte oder Archäologie ist gestärkt worden, die Zweifel daran verblassten. Denn das sich
Befassen mit diesen Themen war für mich keine Qual, sondern Faszination, denn es kam
beständig Neues und Spannendes zu Tage. Ich hoffe, dass Sie nun beim Lesen zumindest
ähnliches empfinden und wünsche Ihnen dabei viel Spass!
4
3.Inhaltsverzeichnis
1.Abstract ........................................................................................................................ 2
2.Vorwort ........................................................................................................................ 3
3.Inhaltsverzeichnis......................................................................................................... 5
4.Einleitung ..................................................................................................................... 6
4.1 Reenactement .................................................................................................................. 6
4.3 Der Schuh als Gegenstand meiner Untersuchung ........................................................... 8
5. Der Schuh im Mittelalter und im Reenactement........................................................ 9
5.1 Besuch der Veranstaltung in Gruyères............................................................................. 9
5.1.1 Vorbereitung .......................................................................................................................... 9
5.1.2 Durchführung ......................................................................................................................... 9
5.2 Der Schuh im 15. Jahrhundert ........................................................................................ 11
5.2.1 Konstruktion ......................................................................................................................... 11
5.2.2 Material ................................................................................................................................ 13
5.2.3 Mode .................................................................................................................................... 13
5.3 Der Schuh im Reenactement .......................................................................................... 14
5.4 Vergleich ......................................................................................................................... 17
6. Fazit ........................................................................................................................... 20
7. Quellenverzeichnis .................................................................................................... 22
8. Anhang ...................................................................................................................... 24
8.1 Anhang A ........................................................................................................................ 24
8.2 Anhang B ........................................................................................................................ 24
8.3 Anhang C ........................................................................................................................ 25
8.4 Anhang D ........................................................................................................................ 26
9. Eidesstattliche Erklärung........................................................................................... 37
5
4.Einleitung
4.1 Reenactement
Haben Sie als Kind nicht schon mal davon geträumt in der Haut eines edlen Ritters oder
Burgfräuleins zu stecken? 1 Spielten Sie nicht gerne mit Ritterfiguren? Waren Sie davon nicht
fasziniert? Wenn ja, so kennen Sie jene tiefsten Wurzeln, die im Prinzip Reenactement hervorbrachten. Selbstverständlich vermittelten ihnen diese von Erzählungen, Büchern und Filmen gezeichneten Vorstellungen ein romantisiertes Mittelalter, vermochten aber in manchen Menschen eine Bezauberung zu formen, die sich bis ins Erwachsenenalter hinzog. Dass
muss aber nicht immer so sein, die Begeisterung kann auch später auftreten, wichtig ist nur,
dass sie vorhanden ist, denn Reenactement ist „die Faszination gelebter Geschichte“2. Dabei
spielt es aber keine Rolle welche Epoche jene Begeisterung hervorruft. Der Begriff kommt
aus dem englischen to reenact, etwas wiederholen. Ein Reenactor will seine Epoche wiedererleben. Oft sind Anhänger dieses Hobbys in Gruppen vereint, wobei es auch als Einzelpersonen agierende Leute gibt.
Reenactors können einerseits an Veranstaltungen (z.B. auf einem Burgfest) auftreten und
den Besuchern einen lebendigen Einblick in die Geschichte ermöglichen, oder für sich, unter
Ausschluss der Öffentlichkeit, in die vergangene Zeit eintauchen. 3 Es ist ein Hobby das viel
Herzblut und Leidenschaft erfordert, da man sonst nicht in der Lage wäre, genügend Motivation zur möglichst realitätsnahen Darstellung der Vergangenheit aufzubringen. Ein Reenactor
scheut nicht davor, sich mit zeitgenössischen Quellen, archäologischen Publikationen und in
Museen ausgestellten Funden auseinanderzusetzen. Oft sitzt er Stunden über Stunden in der
Werkstatt um seine Ausrüstung zu perfektionieren und sich in altem Handwerk zu üben.
Reenactement kostet also zwar viel Energie, bietet einem aber die Möglichkeit aus unserer
postmodernen und hektischen Zeit auszubrechen und sich in der nachgespielten Vergangenheit zu erholen.
Thomas Rauber, Mitglied der Company of Saynt George, sagte dazu: „Ich liebe es in unserer
(…) Zeit ständiger Erreichbarkeit abzuschalten und mit allen Sinnen zu geniessen. Am Ende
1
Was ist Reenactment?
URL:http://www.reenactment.de/reenactment_start/reenactment_startseite/was_ist_reenactment/was_ist_reenact
ment.html [Stand: 08.08.09]
2
RE: Maturaarbeit (10.07.09) E-Mail von Thomas Rauber [[email protected]]
3
E-Mail von Thomas Rauber, a.a.O.
6
eines Events bin ich körperlich zwar erschöpft, aber geistig total erholt. Ich mag es mit meinen Händen zu arbeiten, (…) und mich in Fertigkeiten zu üben die heute beinahe vergessen
sind. Es sind auch die grossartigen Momente, die unvergessen bleiben. Wann hat man schon
die Gelegenheit nachts unter einem grandiosen Sternenhimmel angetan mit Harnisch, Helm
und Laterne durch eine dunkle Burg zu schreiten?“ 4
Reenactement strebt nach Authentizität. Die lässt sich aber auch nur so weit erreichen, wie
man die Vergangenheit anhand von Quellen und Funden nachvollziehen kann. Die Wirklichkeit lässt sich mit all ihren Facetten auf keinen Fall vollständig rekonstruieren. Nie können
wir sicher sein, ob wir ein Bild aus der Vergangenheit richtig interpretieren oder auf dem
Holzweg sind. Gab es etwa Dinge von deren Existenz wir (noch) gar nicht wissen? Waren
seltene Fundstücke wirklich nur exklusiv oder doch weit verbreitet in Gebrauch? Niemand
von uns hat es erlebt, niemand kann die ganze Realität kennen. Deshalb soll, wenn ich von
Authentizität spreche, nicht die Nachstellung der Wirklichkeit gemeint sein, sondern die genaue Darstellung der überlieferten und rekonstruierten Einblicke in diese.
4.2 Die Company of Saynt George5
Um meine Untersuchung durchführen zu können, musste ich eine Gruppe auswählen, die ich
auf Authentizität beurteilen wollte. Ich wollte einen Verein untersuchen, der sich auf einem
hohen Niveau befindet. Dazu wählte ich einen, der mir bisher auf seinen Darstellungen am
meisten beeindruckt hatte: Die Company of Saynt George.
Diese Reenactement Gruppe stellt eine Artillerieeinheit aus dem 15.Jahrhundert dar. Sie hat
einen hohen Qualitätsanspruch und versucht das historische Mittelalter so gut als möglich
umzusetzen.6 So gehen ihre Mitglieder den alltäglichen militärischen Übungen nach und rekonstruieren das Lagerleben so realitätsnah wie es nur geht. Zurzeit sind rund hundert Personen Mitglied, die aus verschiedensten Ländern stammen und durch ihr Hobby vereint
sind.7 Wichtig ist der Company auch die Zusammenarbeit mit Institutionen und Einzelperso-
4
vergl. Ebd., pg.6
(Genauere und weiterführende Informationen erhält man auf der Webseite: http://www.companie-of-stgeorge.ch)
6
Porträt der Company of Saynt George; URL: http://www.companie-of-st-george.ch/cms/?q=de/Portrait [Stand:
08.08.09]
7
Re: Maturaarbeit (29.07.09) E-Mail von Christian Folini [[email protected]]
5
7
nen, um den Wissensstand dauernd zu vertiefen und auszubauen. Die Company hat einen
sehr guten Ruf und ist international bekannt.8
4.3 Der Schuh als Gegenstand meiner Untersuchung
Sie mögen sich wohl fragen weshalb um Himmels willen ich den Schuh als Gegenstand meiner Untersuchung auserwählte. Ich hätte doch haufenweise andere Gegenstände wählen
können, etwas Spannendes wie eine Waffe oder Rüstungsteile. Diese sind Gegenstände, die
am meisten Beachtung von der Öffentlichkeit bekommen. Doch im allgemeinen Leben, sogar
in ausserordentlichen Zeiten, war damals der Schuh von grösserer Bedeutung als Wappen
oder Schwerter. Der Schuh war einer jener Alltagsgegenstände, die sowohl vom einfachen
Bauern als auch vom edlen Ritter benutzt wurden. Er begleitete seinen Träger so lange überallhin, bis er ganz abgenutzt war. So war er im Bewusstsein aller mittelalterlichen Menschen
vertreten, was auch bei gegenwärtigen Menschen der Fall ist.
Der Schuh ist eines der wichtigsten, aber auch unauffälligsten Kleidungsstücke in unserem
alltäglichen Leben. Er besteht aus einigen zusammengenähten Stoff-, Gummi- oder Lederstücken, die unseren Fuss vor äusseren Einflüssen schützen und im Aussehen durch die aktuelle Mode beeinflusst wird. Der Schuh wird aber im Alltag kaum beachtet. Er ist so weit
von unserer Kontrollzentrale entfernt, dass er manchmal ganz vergessen wird, bis er eines
Tages ersetzt werden muss. Und trotzdem wird ein nicht zur Kleidung oder zum Anlass passender Schuh meistens als störend empfunden. Lässt sich dies auch im Reenactement feststellen? Werden dort einfach schlichte und unauffällige Schuhe getragen, die zwar nichts
Authentisches an sich haben, aber wenigstens nicht auffallen oder sind sie möglichst originalgetreu nachgebaut?
8
Prinzipien der Company ;URL: http://www.companie-of-st-george.ch/cms/?q=de/Principles [Stand: 08.08.09]
8
5. Der Schuh im Mittelalter und im Reenactement
5.1 Besuch der Veranstaltung in Gruyères
Damit ich die Schuhe der Company of Saynt George auf ihre Authentizität untersuchen konnte, musste ich ein Datum finden, an dem die Gruppe an einer Veranstaltung teilnahm und ich
Zeit hatte hinzugehen. Dieser Termin war am 20.06.2009 anlässlich des St. Jean Festes in
Gruyères. 9 Die Company of Saynt George war eine der beiden Gruppen, die das Städtchen
zurück ins Mittelalter führen würden. Die andere Gruppe würde unten im Städtchen stationiert sein, die Company oben im Schlosskomplex.
5.1.1 Vorbereitung
Ich hatte vor gehabt, mit Hilfe der Lektüre von Shoes and Pattens (F. Grew and M de Neergard; siehe Quellenverzeichnis, pg. 23) einen Musterschuh aufzuzeichnen und zu Beschreiben, um ihn später in Gruyères mit den dort vorliegenden Exemplaren zu vergleichen, um so
daraus deren Grad an Authentizität festzustellen.
Während dem Lesen jedoch, musste ich einsehen, dass die Variationen zu zahlreich waren,
und es nicht so was wie einen Musterschuh gab. Ich begnügte mich also damit, alle relevanten Bereiche aufzulisten (siehe Anhang A, pg. 25), an denen sich meine Untersuchung orientieren und zu denen ich den dort anwesenden Spezialisten befragen würde.
Ich nahm etwa eine Woche vor dem oben genannten Termin mit der Company Kontakt auf
um mich anzumelden und eventuell bereits gewisse Auskünfte zu erhalten. Christian Folini,
ein Mitglied der Company, antwortete ausführlich auf mein E-Mail und gab mir darin allgemeine Informationen sowie die Namen von zwei Personen, die ich vor Ort aufsuchen sollte
um an meine benötigten Informationen zu kommen.10 Zudem riet er mir, mit Stefan von der
Heide, einem Schumacher, Kontakt aufzunehmen.
5.1.2 Durchführung
An diesem Tag machte ich mich auf den Weg nach Gruyères. Dort eingetroffen, versuchte ich
mir als erstes einen Überblick des Lagers zu verschaffen. Es waren viele Darsteller anwesend,
die alltäglichen Beschäftigungen nachgingen. Die Soldaten absolvierten Übungen, Geistliche
9
URL: http://www.companie-of-st-george.ch/cms/?q=de/Dates [Stand:08.08.09]
16.06.09 E-Mail von C. Folini, a.a.O., pg. 6
10
9
beteten, Handwerker arbeiteten und auch im Küchenzelt war ein geschäftiges Treiben. Die
Szenerie wirkte sehr lebendig. Es war, als ob man durch das Tor in eine Zeitverschiebung
geraten wäre und sich plötzlich mitten im ausgehenden Mittelalter befände. Das Lager war
passend um die alten Mauern aufgestellt.
Ich machte mich nach kurzer Zeit auf die Suche nach Thomas Rauber, dem Stellvertreter von
Christian Folini. Nach seinem auffinden, erklärte ich ihm mein Anliegen und liess mich zu
Sebastian Haug, dem Schuster bringen. Leider hatte er seine Werkstatt nicht dabei, da er an
diesem Tag einen Soldaten darstellen wollte, konnte mir aber trotzdem vieles über mittelalterliche Schuhe erzählen. Er zeigte mir diejenigen, die von den dort anwesenden Personen
getragen wurden, und erzählte mir auch einiges über den Herstellungs- und Flickprozess. Er
zeigte und erklärte mir den Aufbau seiner Schuhe, derer von Thomas Rauber und derer einer
netten Dame (die sogar bereit gewesen war ein Exemplar auszuziehen) im Detail. Vom Gespräch machte ich mir handschriftlich Notizen, die ich später in den Computer übertrug (siehe Anhang B, pg. 25).
Nach diesem Interview suchte ich auf Sebastian Haugs Anraten mit dem dort anwesenden
Trippenmacher das Gespräch. Trippen (siehe Abb. 4, pg. 12 und Abb. 10, pg. 18) waren hölzerne Schuhuntersätze, die mit Lederriemen am Fuss befestigt wurden. Sie schützten den
Schuh vor Dreck und starker Abnützung. Das Interview mit dem Trippenmacher hatte ich
weder geplant, noch zeichnete ich es auf, da ich in meiner Vorbereitung die Trippen ausser
Acht gelassen hatte und im Folgenden auch nicht genauer darauf eingehen werde.
Nach der Veranstaltung setzte ich mich mit Stefan von der Heide, einem Schuhmacher der
sich auf historische Schuhe spezialisiert hat, in Verbindung. Er war mir von meinen Kontaktpersonen in der Company of Saynt George empfohlen worden. Ich musste von ihm wissen
wie er seine Schuhe herstellt, da ich bisher nur mit einem Flickschuster gesprochen hatte.
Ausserdem wurde mir gesagt, dass er einer der wenigen seriösen Schuhmacher sei, die Repliken von historischen Schuhen anfertigen. Ich werde davon ausgehen, dass sich eventuelle
andere Hersteller in ihrem Verfahren, nicht wesentlich unterscheiden.
10
5.2 Der Schuh im 15. Jahrhundert
Der Schuh im 15. Jahrhundert war mehr oder weniger ein Wegwerfgegenstand, aufgrund der
raschen Abnützung des Materials.11 Seine Lebensdauer war natürlich von der Bodenbeschaffenheit, vom Wetter und von der Sorgfalt des Benutzers abhängig. Ärmere Menschen liessen
ihn vielleicht ein- bis zweimal flicken, reichere kauften sich häufiger ein neues Paar Schuhe.
Deren Leben dauerte durchschnittlich etwa drei bis vier Monate.
5.2.1 Konstruktion
Grundsätzlich bestand der Schuh aus Schaft und Sohle.12 Der Schaft, bzw. das Oberleder, war
im frühen 15. Jahrhundert oft aus zwei symmetrischen Teilen aufgebaut, die an der Ferse
zusammengenäht wurden. Das Oberleder konnte des Öfteren auch aus einem Stück Leder,
das um den Fuss „herumgewickelt“ und auf der Seite vernäht wurde, bestehen. Im Inneren
des Schuhs, beim Fersenende, wurde eine halbkreisförmiges Stück Leder aufgenäht, damit
die Strapazierfähigkeit dieser stark belasteten Stelle zu verstärkt wurde (s. Abb. 2, pg. 12).
Der Verschluss bestand häufig aus Lederbändern mit Schnallen und befand sich auf dem Rist,
wobei seitlich geschnürte Modelle ebenfalls nicht selten waren. Oft kamen zu dieser Zeit
auch Schlupfschuhe vor.
Im Mittelalter waren die Schuhe Wendegenäht. Das heisst, dass die Sohle und der Schaft mit
der Innenseite gegen aussen (Fachsprache: auf links) miteinander vernäht, danach in Wasser
eingeweicht und umgestülpt wurden. Die Naht, die den Schaft mit der Sohle zusammenhält
ist beim fertigen Schuh folglich auf der Innenseite. Meistens wurde zwischen Oberleder und
Sohle ein durchgehender Randstreifen eingenäht. Dieser Rand war ein schmales Lederband
das die Wasserresistenz und Stabilität des Schuhs verstärkte (s. Abb. 3, pg. 12). Es konnte
bei Bedarf auch eine Ersatzsohle an diesen Randstreifen genäht werden. Im späteren 15.
Jahrhundert wurde von Anfang an eine äussere Sohle an den Rand genäht, was die Lebensdauer und den Tragekomfort verlängerte sowie die Wasserdurchlässigkeit verringerte.
11
GREW, Francis; DE NEERGAARD, Margrethe,: Schoes and Pattens - Medieval Finds From Excavations In
London. 2. Aufl. Woodbridge: The Boydell Press, 2001
12
Vergl. Ebd.
11
Abb. 2 Lederstück zur Verstärkung der Ferse,
sowie Innennähte
Abb. 3 Aussen sichtbarer Rand
Meistens bestanden die Sohlen aus einem Teil, konnten aber vor allem bei grösseren Schuhen auch zweiteilig sein. Sie bestanden dann aus einem Vorder- und Fersenteil und waren in
der engsten Stelle zusammengenäht.
Um die Lebensdauer und Wetterfestigkeit der Schuhe zu optimieren, wurden Trippen hergestellt. Trippen sind hölzerne Schuhuntersätze, später auch mehrere Schichten Leder, die
mithilfe von Lederriemen an den Schuh befestigt wurden. Sie schützten auf diese Weise die
Abb. 4 Trippen in Gebrauch
Schuhe vorzüglich vor Dreck und Nässe, aber auch vor starker, von Steinböden bewirkter,
Abnützung (siehe Abb. 4, pg. 12 und Abb.10, pg. 18).
Bei weiteren Abklärungen, nachdem ich in Gruyères gewesen war, fand ich heraus, dass im
Jahre 2008 in Paderborn (DE) Lederfunde aus dem 15. Jahrhundert durch Archäologin M.
Gärtner-Krohn gemacht worden waren.13 Darunter befanden sich mehrere Schuhe mit genagelten Sohlen. Die Nägel wurden in Zweitsohlen geschlagen, welche als Aussensohlen an den
Rand des Schuhs genäht wurden. Sie verliehen den Schuhen eine längere Lebensdauer und
Griffigkeit.
13
Re: Herstellen eines Pechdrahtes (10.07.09) und Fw: Genagelte Schuhe (12.07.2009) E-Mails von Stefan von
der Heide [[email protected]]
12
5.2.2 Material
Als Schuhleder wurde im Mittelalter vor allem Rinds- sowie Schafs- und Ziegen- oder in einzelnen Fällen auch Hirschleder verwendet.14 Neben der Herkunft entschied auch die Art der
Gerbung über die Eigenschaften des Leders. Es gab verschiedene Gerbmittel, die sowohl die
Farbe als auch die Flexibilität des Leders beeinflussten. Der Schuhmacher musste also genau
wissen, was er von Gerber für Produkte brauchte um modische Schuhe guter Qualität herzustellen.
Für das Oberleder wurde eher dünnes und weiches Leder verwendet, meistens aus Ziegen
oder Schafshaut, später vor allem vom Rind.15
Dicker und stärker war das Leder der Sohle, durfte jedoch aufgrund der wendegenähten
Machart auch nicht zu unflexibel sein, da sich der Schuh sonst nicht umstülpen liess.16 Normalerweise handelte es sich dabei um Rindsleder.
Der Faden, mit dem genäht wurde, wurde aus verzwirnten Hanf oder Leinenfasern gemacht,
die während dem Herstellungsprozess gewachst wurden, um die Haltbarkeit des Fadens zu
verlängern.17 Das Wachs hatte zudem einen abdichtenden Effekt auf die Naht, so dass die
Wasserfestigkeit, wenn auch minim, verbessert wurde.
Die Schnallen waren meistens aus Eisen geschmiedet, das in einzelnen Fällen verzinnt war.18
Es kamen auch andere Metalle als Schnallen vor.
5.2.3 Mode
Die Kleidungsmode verleiht ihrer Zeit ihren ganz eigenen Charakter. Sie spiegelt den zeitgenössischen Geschmack und das allgemeine ästhetische Empfinden einer Generation wider.
Das ist für uns in der näheren Vergangenheit gut zu beobachten, denn alle paar Jahrzehnte
verwandelte sie sich. Dass sich die Mode verändert war auch schon im Mittelalter eine zu
beobachtende Tatsache. Die Fundstücke aus verschiedenen Zeitabschnitten innerhalb eines
Jahrhunderts weisen durch das gesamte Mittelalter hindurch ständig Veränderungen auf.
Mal sind die Veränderungen unbedeutend, mal sind sie deutlicher. Neben Neukreationen
wurden oft auch vergangene Modeerscheinungen wieder neu aufgegriffen und dem Zeitgeist angepasst.
14
GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8
vergl.Ebd
16
vergl.Ebd
17
vergl.Ebd
18
vergl.Ebd
15
13
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts waren die meisten Schuhe ziemlich zugespitzt, nicht selten
gab es Schnabelschuhe, die oft auch übertriebene Längen hatten. 19 Der grosse Zeh wurde
dabei besonders betont. Schuhe mit niedrigem Schaft wurden weit häufiger getragen als
solche mit hohem Schaft oder Stiefel. Als Verschluss dienten fast ausnahmslos Schnürungen
und Schnallenverschlüsse. Ebenfalls häufig trug man verschlusslose Schlupfschuhe.
Zwei bis drei Jahrzehnte später sah alles wieder anders aus.20 Die Spitzen waren wieder breiter und runder geworden. Hohe Schuhe und Stiefel wurden im Gegensatz zu den Niedrigen
wieder häufiger. Die Mode zu immer breiteren und runderen Schuhspitzen, die schliesslich
gar keine Betonung auf den grossen Zeh mehr hatten, wurde gegen Ende des Jahrhunderts
immer ausgeprägter.
Oft waren die Schuhe hoher Würdenträger oder anderer reicher Leute dekoriert.21 So gab es
dem Oberleder ausgeschnittene oder eingeritzte Muster sowie Ziernähte um den Schuh zu
verschönern. Häufig waren es geometrische oder organische Ornamente, die den Schuh zierten.
5.3 Der Schuh im Reenactement
Dank den in Gruyères aufgenommenen Fotografien (siehe Anhang C, pg. 26) und dem Interview mit Sebastian Haug (siehe Anhang B, pg. 25) konnte ich Folgendes feststellen:
I)
Die Farbe der meisten Schuhe ist hell- bis dunkelbraun, nur wenige sind schwarz
oder rot. Dadurch lässt sich jedoch nicht auf die Herkunft des Leders schliessen,
da die Art der Gerbung die Farbe beeinflusst. Nach S. Haug ist das Leder vegetativ, das heisst mit pflanzlichen Gerbmitteln, gegerbt und stammt vermutlich von
Abb. 5 Sich ablösender Flicken (angenähte
Teilsohle)
Abb. 6 Genagelte Sohle
19
GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8
vergl. Ebd.
21
vergl. Ebd.
20
14
Rindern oder seltener von Ziegen. Welches Tier wirklich für die Schuhe sterben
musste weiss nur der Schuhmacher, da sich dies von blossem Auge nicht genau
überprüfen lässt.
II)
Von den 39 Schuhpaaren, die fotografiert wurden, sind 10 eindeutig geflickt, nur
4 sind neu. Alle anderen Paare sind mehr oder weniger durch AbnutzungsErscheinungen gezeichnet, aber noch brauchbar. Handgemachte Schuhe in wendegenähter Machart sind teuer. Deshalb werden sie im Reenactement so oft als
möglich geflickt und getragen bis sie auseinanderfallen. Ihre durchschnittliche Lebensdauer liegt, je nach Träger und Anwendungs-Intensität, im Bereich von etwa
8 bis 10 Jahren. Nach dieser Zeitspanne sind meistens sämtliche Nähte aufgelöst,
das Leder wird allmählich hart und brüchig und somit unangenehm zu tragen. Geflickt werden sie, indem eine neue Sohle, manchmal auch nur eine Teilsohle, dem
Rand aufgenäht wird (siehe Abb. 5, pg. 14 und Abb. 11, pg. 18).
III)
3 Schuhpaare haben eine genagelte Sohle. Dies ist ein überraschendes Ergebnis.
Nach dem Studium der Fachliteratur, hätte ich keine genagelten Sohlen erwartet.
Als Grund für die Nutzung solcher Schuhe im Reenactement könnte ich mir eine
längere Haltbarkeit oder Stabilität vorstellen, da die Schuhe zuweilen auch auf
modernen Böden, wie Asphalt, benutzt werden. (siehe Abb. 6, pg.14)
Abb. 7 Hoher Schuh mit Schnürung auf dem Rist
IV)
Abb. 8 Niedriger Schuh mit Schnallenverschluss
Es kamen insgesamt drei verschiedene Schuhmodelle vor: niedrige Schuhe, die
knöchelhoch sind, hohe Schuhe, die über dem Knöchel enden und Stiefel. Es gab
ebenfalls drei Verschlussarten: Schnürung auf dem Rist, Schnallenverschlüsse auf
dem Rist und gewickelte Lederriemen.
Der hohe Schuh mit Schnürung auf dem Rist kommt bei Männerfüssen am häufigsten vor (14 Modelle von 30). (Bsp.: Abb. 7)
15
Bei den Frauen sind die niedrigen Schuhe mit Ristschnürung oder Schnallen am
Häufigsten (3 und 4 Modelle von 9). (Bsp.: Abb.8, pg. 15) Meine Daten über die
weibliche Schuhmode sind etwas mager. Das liegt einerseits daran dass die Darstellerinnen in der Minderheit waren, und sie zusätzlich ihre Schuhe unter langen
Röcken verstecken.
Abb. 9 Ungewöhnliches Stiefelpaar mit Nähmaschinennähten und Gummisohle
V)
Ein hellbraunes Stiefelpaar sticht unter den Bildern hervor (siehe Abb. 9). Es ist
ein ungewöhnliches Modell, welches in der Literatur nicht erwähnt wird. Es hat
Nähmaschinennähte und eine Gummisohle, was es als eindeutig moderne Produktion entlarvt. Die Nähmaschine wurde übrigens erst im 18. Jahrhundert erfunden, also rund dreihundert Jahre später.22 Da sich dieses Stiefelpaar dermassen von den anderen unterscheidet, drängte sich mir die Annahme auf, dass es
sich beim Träger nicht um ein Mitglied der Company handelt. Das wurde mir später von Thomas Rauber bestätigt. 23 Es handelt sich dabei wahrscheinlich um einen gewandeten Besucher. Auch ein anderes Stiefelpaar hat Maschinennähte
(siehe Abb. 12, pg. 19). Es ist schwarz und mit hellem Lederband umwickelt. Es
handelt sich dabei auch nicht um ein Company Mitglied.
VI)
Je nach Gewicht des Trägers und Untergrund seien die Schuhe mehr oder weniger
angenehm. Man könne aber die Bodenbeschaffenheit durch die drei bis vier Millimeter dicke Ledersohle gut spüren. Spitze Steine und andere kantige Gegensteine sind also weder für den Schuh noch für den Fuss gut.
22
FORSDYKE, Graham; Eine Zusammenfassung der Geschichte der Nähmaschine
URL: http://www.angelfire.com/stars2/sternenquilter/GeschichteNaehmaschine.html [Stand: 08.08.09]
23
RE: AW: AW: Maturaarbeit (13.07.09) E-Mail von Thomas Rauber [[email protected]]
16
5.4 Vergleich
Die Konstruktion der fotogarfierten Schuhe ist, bis auf die beiden Stiefelpaare, den Abbildungen in der Fachliteratur sehr nahe. Die oben genannten Konstruktionsmerkmale lassen
sich auf die meisten ausgewerteten Schuhe anwenden. Das lässt sich unter anderem auch
gut daran erkennen, dass man aussen am Schuh keine Nähte sieht, ein Hinweis auf seine
wendegenähte Machart. Auch dass er aus eher wenigen Teilstücken zusammengesetzt ist, ist
ein weiterer Hinweis auf die Authentizität der Konstruktion.
Ich vergleiche nun die Ergebnisse meiner Untersuchung mit meinen recherchierten Erkenntnissen. Die folgenden Punkte beziehen sich auf die im vorangehenden Unterkapitel erläuterten.
I)
Der Schuhmacher S. von der Heide benutzt für seine Produkte nur vegetativ gegerbtes Ziegen- und Rinderleder sowie sämisch, also mit Tran oder Fischöl, gegerbtes Hirschleder.24 Die für den Schuhbau verwendeten Lederhäute sind, was
ihre Herkunft betrifft, authentisch. Zu untersuchen ob sie auch wirklich authentisch gegerbt wurden, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, aber aufgrund
der Gerbung mit natürlichen Gerbmitteln lässt sich eine recht gute Annäherung
ans Original vermuten.
II)
Im Mittelalter war der Schuh ein Verbrauchsgegenstand, der eher selten geflickt
wurde. Man geht davon aus, dass er auch mit dem Gebrauch von Trippen (siehe
Abb. 10, pg. 18) etwa drei bis vier Monate hielt, flicken inklusive, sofern er geflickt
wurde.25 Anschliessend wurde er entweder einem Flickschuster gegeben, der die
brauchbaren Bestandteile weiterverwendete oder entsorgte.26 Wer es sich leisten
konnte liess seine Schuhe gar nicht flicken, sondern ersetzte sie sofort. Da liegt
dann auch einer der grossen Kompromisse auf die im Reenactement eingegangen
wird. Es ist nicht besonders authentisch wenn ein Bauer oder ein Soldat in halbverfallenen Schuhen daherkommt, noch weniger wenn dies ein Edelmann tut. Da
aber der Darsteller heutzutage nicht unbedingt vermögend ist, kann er sich auch
24
Re: Maturarbeit (07.07.09) E-Mail von Stefan von der Heide [[email protected]]
vergl. Ebd.
26
GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8
25
17
nicht häufig neue Schuhe leisten. Doch die Art wie sie geflickt werden ist
wiederum sehr realitätsnah (siehe Abb. 11).
Abb. 10 Schuh mit Trippen
III)
Abb. 11 Flicken, am Rand angenäht.
Die genagelten Schuhe sind, obwohl in der von mir durchforschten Literatur noch
unbekannt, durchaus authentisch. Wie bereits erwähnt (siehe Kap 5.2.1, pg. 11)
machte im Jahr 2008 die Archäologin M. Gärtner-Krohn in Paderborn (DE) einen
Fund von mehreren Leder-Gegenständen aus dem 15. Jahrhundert. Darunter befanden sich auch einige genagelte Schuhe. Da es eine relativ neue Entdeckung ist,
ist somit auch erklärt weshalb nichts dazu in der Literatur zu finden war und ich
von den Repliken überrascht war.
IV)
Es war schade dass nicht besonders viele verschiedene Schuhmodelle vorhanden
waren. Es gab um 1400 weit mehr verschiedene Modellvarianten als ich in Gruyères antraf.27 Das hat aber keinen grossen Einfluss auf die Authentizität der Schuhpopulation der Company, da es im Mittelalter auch vorkommen konnte, dass an
gewissen Orten nur wenige Schuhmodelle vorkamen. Das kann ich mir besonders
bei militärischen Organisationen gut vorstellen. Dazu kommt noch, dass zu Beginn
des Jahrhunderts die Schuhmode ganz anders war als ein paar Jahrzehnte später,
und sich auch die wieder veränderte. Aber es ist unwahrscheinlich, dass jedermann die modischen Strömungen verfolgte. Das bewirkt, dass die Mode keinen
Einfluss auf die Authentizität hat, solange die Modelle den Moderichtungen einer
grösseren Zeitspanne entsprechen.
Die Verschlüsse waren allesamt authentisch. Der Lederriemen, der um den
schwarzen Stiefel gewickelt war, ist zwar ziemlich altmodisch, lässt sich aber
27
vergl. Ebd., pg. 17
18
trotzdem als wirklichkeitsnah charakterisieren. Der Schuh an sich ist jedoch alles
andere als wirklichkeitsnah, da er Nähmaschinen-Nähte hat.
V)
Das hellbraune Stiefelpaar ist eindeutig nicht realitätsnah, es ist sogar sehr weit
davon entfernt. Einerseits wird es von Maschinennähten zusammengehalten und
besitzt eine Gummisohle, andererseits hat es auch einen total unpassenden
Schnitt. Das andere Stiefelpaar, das Schwarze mit der Lederwicklung (siehe Abb.
12), würde rein vom Modell her schon ins 15. Jahrhundert passen, ist aber, was
unschwer zu erkennen ist, auch mit einer Nähmaschine vernäht worden. Die Trä-
Abb. 12 Zweites Stiefelpaar mit Nähmaschinennaht
ger beider Schuhpaare gehören, wie bereits erwähnt, nicht zur Company of Saynt
George. Diese Stiefel wurden entweder von einem gewandeten Besucher oder
einem Mitglied der zweiten Gruppe in Gruyères getragen.
VI)
Die Empfindung des Trägers ist etwas, was sich mit archäologischen Funden nur
annehmen lässt. Solche Dinge merkt man nämlich erst wenn man sie auch erlebt.
Es wurden somit Zweitsohlen wahrscheinlich nicht nur angebracht um die Wasser-Durchlässigkeit zu vermindern sondern auch um den Tragekomfort zu verbessern.
19
6. Fazit
Am Ende dieser Arbeit komme ich zur Schlussfolgerung, dass Reenactement Gruppen zumindest in Teilaspekten ihrer gesamten Darstellung recht authentisch sein können. Mit harter und sorgfältiger Arbeit lassen sich, wie man sieht, sehr gute Ergebnisse erzielen. Natürlich gibt es immer kleine Details, wie zum Beispiel Punkt II, die eine absolut wirklichkeitsgetreue Darstellung verhindern. Aber solche Details fallen im Gesamten kaum ins Gewicht. Nun
mag man noch dazu erwähnen, dass der Teufel im Detail steckt und eben genau jenes das
Gesamtbild verfälsche. Aber ehrlich gesagt ist ein Edelmann in halbverfallenen aber authentischen Schuhen realitätsnäher als in zwar edlen aber modern hergestellten Schuhen.
Dass ich trotzdem Personen in wirklich nicht authentischen Schuhen umhergehen sah, liegt
wahrscheinlich daran, dass, wie bereits erwähnt, der Schuh ein relativ unwichtig erscheinender Gegenstand ist. Zusätzlich sind wir postmoderne Menschen von Filmen und anderen
Abbildungen, die vor allem der Fantasie entstammen und wenig bis nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, geprägt. Da das Interesse für authentische Schuhe in der Öffentlichkeit
gering zu sein scheint, sind die Einzigen, die mit Kompromissen in diesem Bereich klar kommen müssen die Träger selbst. Aber zu Reenactement gehört eben nicht nur die Darstellung,
sondern auch das Arbeiten an der Authentizität um mit der Zeit immer mehr Kompromisse
aus dem Weg räumen zu können. Es stellt sich aber immer auch die Frage, wie weit dass
man überhaupt gehen will. Ab wann wird das Austilgen von Details lästig und zum Spassverderber? Schliesslich ist Reenactement ein Hobby, das Freude machen soll und deshalb setzt
sich jeder die Grenzen selbst. Christian Folini meinte dazu: „(…) dafür gibt es ja auch viele
Neider und Leute, die uns für Spassbremsen halten, weil wir alles so ernst nehmen würden...“28 Die Mitglieder der Company schienen jedoch mit sehr viel Begeisterung und Freude dabei zu sein. Die Einen mögen eben neben der Darstellung auch die Arbeit an der Authentizität, die Anderen empfinden das eher als lästig.
C. Folini sagte über die Authentizität von Reenactement Gruppen: „(…); sie können recht
weit kommen, wenn sie es möchten, es gibt aber wohl überall Grenzen.“29 Ich denke dieses
Zitat fasst meine Ergebnisse präzis zusammen. Denn ob und wie weit nun eine Reenactement Gruppe authentisch sein kann, hängt von ihren Mitgliedern und deren Einstellung dazu
28
29
Re: Maturaarbeit (16.06.09) E-Mail von C. Folini, a.a.O., pg. 6
vergl. Ebd.
20
ab. Immerhin besteht, wie ich herausgefunden habe, die Möglichkeit in Teilaspekten und
somit früher oder später auch im Gesamten, den Originalen sehr nahe zu kommen.
21
7. Quellenverzeichnis
FOLINI, Christian
Re: Maturaarbeit (16.06.09)
E-Mail von Christian Folini
[[email protected]]
Re: Maturaarbeit (29.07.09)
E-Mail von Christian Folini
[[email protected]]
FORSDYKE, Graham
Eine Zusammenfassung der Geschichte der
Nähmaschine
URL: http://www.angelfire.com/stars2/sternen quilter/GeschichteNaehmaschine.html
[Stand: 08.08.09]
GREW, Francis et al.
Shoes and Pattens - Medieval Finds From Excavations In London 2. Aufl. Woodbridge: The Boydell
Press, 2001
o. V.
Was ist Reenactment?
URL: http://www.reenactment.de/reenactment_sta
rt/reenactment_startseite/was_ist_reenactment/w
as_ist_reenactment.html [Stand: 08.08.09]
o. V.
Porträt der Company of Saynt George
URL: http://www.companie-of-stgeorge.ch/cms/?q=de/Portrait [Stand: 08.08.09]
o. V
Prinzipien der Company
URL: http://www.companie-of-stgeorge.ch/cms/?q=de/Principles [Stand: 08.08.09]
RAUBER, Thomas
RE: Maturaarbeit (10.07.09)
E-Mail von Thomas Rauber
[[email protected]]
RE: AW: AW: Maturaarbeit (13.07.09)
E-Mail von Thomas Rauber
[[email protected]]
VON DER HEIDE, Stefan
Re: Maturarbeit (07.07.09)
E-Mail von Stefan von der Heide
[[email protected]]
Re: Herstellen eines Pechdrahtes (10.07.09)
E-Mail von Stefan von der Heide
[[email protected]]
22
Fw: Genagelte Schuhe (12.07.2009)
E-Mail von Stefan von der Heide
[[email protected]]
ZEHNDER, Anna
sämtliche Fotografien
23
8. Anhang
8.1 Anhang A
3.1Herstellungsprozess
- 3.1.1 Lederart
- 3.1.2 Gerbung
- 3.1.3Faden
3.2 Modell des Schuhs
- 3.2.1 Form
- 3.2.2 Sohlen
3.3 Allgemein
- 3.3.1 Angenehm
- 3.3.3 Lebensdauer
- 3.3.4 Flicken
8.2 Anhang B
Informationen aus dem Interview mit Sebastian Haug
-
-
Die Sohlen sind Hauptsächlich aus starkem Rindsleder. Das Oberleder besteht hauptsächlich Ziegenleder oder dünnem Rinderleder. Das Leder ist vegetativ gegerbt.
Der Faden besteht aus vor allem Hanf oder Leinen Zwirn, oder anderen Naturfasern,
die mit Pech und Wachs zu einem sogenannten Pechdraht verarbeitet wurden.
Die meisten Schuhe sind auf dem Rist geschnürt, auch Schnallen sind beliebt.
In den meisten Fällen wird zwischen Schaft und Sohle ein Rand eingenäht, der Stabilität verleiht und verhindert, dass man mit der Zeit auf dem Oberleder geht. Der Flicken wird dort angenäht.
Die Lebensdauer beträgt im Reenactement durchschnittlich 8 – 10 Jahre. Die Schuhe
werden so oft als möglich geflickt.
Gute handgemachte Schuhe sind heutzutage sehr teuer.
Als Vorbilder gelten archäologische Funde.
Je nach Gewicht und Empfindlichkeit des Trägers sind die Schuhe mehr oder weniger
angenehm. Die Sohle ist jedoch relativ dünn, so dass man trotzdem auf unangenehme Weise die Bodenbeschaffenheit spüren kann. Besonders schlimm sind spitze Steine oder ähnliches.
24
8.3 Anhang C
Beobachtungen:
Die Variabilität der Schuhmodelle war vor Ort nicht besonders ausgewogen.
Die Farbe variiert bei den meisten von hell- bis dunkelbraun (27 Stück). Einige Exemplare
sind auch schwarz (6) oder in Rottönen (6).
Hier was ich anhand der Fotografien feststellte:
Frauen und
Männer
Schnürung auf
dem Rist
Schnallen auf
dem Rist
Lederriemen
niedriger Schuh
6
6
12
hoher Schuh
16
4
20
Stiefel
4
1
2
7
Total
26
11
2
39
Männer
Schnürung auf
dem Rist
Schnallen auf
dem Rist
Lederriemen
Total
niedriger Schuh
3
2
5
hoher Schuh
14
4
18
Stiefel
4
1
2
7
Total
21
7
2
30
Frauen
Schnürung auf
dem Rist
Schnallen auf
dem Rist
Lederriemen
Total
niedriger Schuh
3
4
hoher Schuh
2
Total
7
2
Stiefel
Total
5
4
9
Ein niedriger Schuh ist unter dem Knöchel fertig, ein hoher Schuh knapp oberhalb des Knöchels. Alles Höhere ist ein Stiefel.
In den Fotos sind drei Schuhe mit genagelter Sohle zu sehen.
25
Ein Stiefel passt nicht ins Schema, die Verarbeitung der Nähte erscheint modern und ich
glaube eine Gummisohle zu erkennen.
Das die Frauen in meinen Fotographien in der Minderheit sind, hat damit zu tun, dass unter
den Röcken die Schuhe gut versteckt sind.
Der hohe Schuh mit Schnürung auf dem Rist ist der häufigste Männerschuh. Der niedrige
Schuh mit Schnallenverschluss auf dem Rist ist der häufigste Damenschuh.
Von den 39 Schuhen sind 10 eindeutig geflickt und 4 eindeutig neu. Alle anderen sind mehr
oder weniger gebraucht.
8.4 Anhang D
E-Mails:
Von: Christian Folini [mailto:[email protected]]
Gesendet: Dienstag, 16. Juni 2009 21:29
An: Marco Hostettler
Cc: [email protected]
Betreff: Re: Maturaarbeit
Hallo Marco,
Ich wechsle mal zum Du. Ich denke, das macht die Sache angenehmer.
On Tue, Jun 16, 2009 at 12:16:55PM +0200, Marco Hostettler wrote:
> Ich, Marco Hostettler bin Gymnasiast und besuche das Gymnasium Thun Schadau.
Dann leben wir ja ganz in der Nähe. Ich bin Christian Folini, wohne
in Riggisberg und bin Doktor der mittelalterlichen Geschichte.
> Ich arbeite zur Zeit an meiner Maturaarbeit. Ihr Thema liegt im Bereich
> Reenactment/Mittelalter,
Gute Wahl. :)
> einem Gebiet das mich fasziniert. Ich möchte herausfinden wie authentisch
> Reenactmentgruppen
>
> sind, sein können.
Sie sind in aller Regel nicht sehr authentisch; sie können recht
weit kommen, wenn sie es möchten, es gibt aber wohl überall Grenzen.
26
> Um den Rahmen einer Maturitätsarbeit nicht zu sprengen, musste ich mich auf
> eine Gruppe und einen
>
> bestimmten Untersuchungsgegenstand fokussieren.
>
> Ich entschied mich Ihre Gruppe unter die Lupe zu nehmen, da ich Ihre
> Darbietungen sehr überzeugend
>
> Finde und Sie wohle eine der Bekanntesten Gruppen in Europa sind. Als
> Untersuchungsgegenstand
>
> wählte ich den Schuh, einem wichtigen Gegenstand im täglichen Leben.
Uns auszuwählen ist natürlich nett. Woher kennst Du uns und wie
kommst Du auf die Idee, wir seien eine der bekanntesten Gruppen
in Europa? Diese Fragen sind für uns sehr wichtig und interessant,
denn wir kennen uns ja bereits...
Schuhe sind auch eine sehr gute Wahl. Judy Swan, eine Spezialistin
für mittelalterliches Schuhwerk mit inzwischen gegen 80 Jahren, hat
2007 auf einer Tagung in der Abeggstiftung dazu Folgendes gesagt:
"If you are a young student and you are interested in the history
of costume: Please join us and do research on shoes. There is so much
which we do not know! We need your help!"
> Um an meine benötigten Informationen heranzukommen, dachte ich daran Sie
> nächsten Samstag
>
> in Gruyères zu besuchen.
Auch das ist eine gute Idee. Ich werde vermutlich aus privaten Gründen
nicht vor Ort sein, empfehle Dir aber, Dich nach Thomas Rauber, aka
Raubi durchzufragen. Er vertritt mich, hat bestimmt viel Freizeit
und kann Dich an die richtigen Leute weitervermitteln.
> Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich von ihrer Aktivität ein paar
> Fotos schiessen werde,
Das ist willkommen. Wenn wir die Photos danach auch bekommen, dann umso mehr.
> und hoffe dass ich einige Mitglieder kurz interviewen darf.
Sehr gerne. Einfach fragen und sie werden sicher ja sagen, wenn sie
Zeit haben.
> Ich muss aber vor allem ein paar Schuhe (3-5 Paare) genauer untersuchen
27
> (Ansehen, Fotos machen)
>
> und dem Schuhmacher ein paar Fragen über Material, Herstellung usw. stellen.
Wir hatten vorgesehen, dass Sebastian Haug als Flickschuster vor
Ort arbeiten wird. Sebastian macht jetzt aber trotzdem auf Soldat.
Das heisst aber nicht, dass er nicht sehr viel zum Thema sagen
könnte. Raubi kann ihn Dir dann zeigen.
Nach der Veranstaltung macht es sicher Sinn, Dich mit einem richtigen
Schuhmacher zu unterhalten. Ich empfehle Dir, Dich mit Stefan von
der Heide in Verbindung zu setzen. Er erzählt sehr gerne und kann
Dir alles zu mittelalterlichen Schuhen erklären:
[email protected]
Grüsse ihn von mir.
Es gibt 2 Bücher, die für Deine Arbeit von Interesse sind. Sie müssten
über den interbibliothekaran Leihverkehr auch nach Thun zu liefern sein:
http://www.amazon.com/Stepping-through-time-Archaeologicalprehistoric/dp/9080104469
http://www.amazon.com/Shoes-Pattens-Medieval-Excavations-London/dp/0851158382
So, ich denke, damit kommst Du zurecht. Wenn danach noch Fragen offen
sind, dann frage einfach nach.
Liebe Grüsse,
Christian Folini
-I skate to where the puck is going to be, not to where it has been.
-- Wayne Gretzky
Von: Christian Folini [mailto:[email protected]]
Gesendet: Mittwoch, 29. Juli 2009 11:23
An: Marco Hostettler
Betreff: Re: Maturaarbeit
Hallo Marco,
Das hat leider etwas gedauert. Wir waren mit Vorbereitungen für unsere
Lenzburgveranstaltung beschäftigt und da fallen Mails gerene etwas
flach..
> - Wie gross ist die Company?
Rund 100 Mitglieder. Etwa 60 aktiv. Wir kommen mit Gästen auf eine
maximale Eventgrösse von rund 130 Personen.
> - Wie hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?
Gewachsen und stabiler geworden.
28
> - Was ist die "Philosophie"?
http://www.companie-of-st-george.ch/cms/?q=de/Principles
> - Was ist Reenactment für dich? Was bedeutet dir die Company?
Reenactment ist ein tolles Hobby. Es ist auch eine Möglichkeit, mein
Wissen, dass ich als Historiker erworben habe konkret zu überprüfen
oder zu erweitern. Die Company ist eine Gruppe mit vielen Freunden,
die ich ein paar Mal während eines Jahres wiedertreffe.
> Soll ich dir eine CD mit den Fotos brennen?
Gerne.
Christian Folini
Bühlenstrasse 3
CH-3132 Riggisberg
Ahoj,
Christian
-Investors should be aware of the overall dangers the legal profession
present to companies, and how its current and generalized naiveté can
sink fortunes overnight.
--- John Dvorak on the digg.com story in May 2007
Von: Thomas Rauber [mailto:[email protected]]
Gesendet: Freitag, 10. Juli 2009 10:58
An: [email protected]
Betreff: RE: Maturaarbeit
Hallo Marco
Entschuldigung das ich erst jetzt antworte, aber ich hatte einiges um die Ohren,
Vielen Dank für deine Hilfsbereitschaft in Gruyères! Der Event war sehr Beeindruckend!
Freut mich zu hören das es Dir gefallen hat. Vielleicht hast Du ja Lust irgendwann mal selbst
ins Hobby Reenactement einzusteigen?
- Wie gross ist die Company?
Zurzeit umfasst die Companie of St. George etwas über 100 Mitglieder, 82 Veteranen (Vollmitglieder) und 23 Rekruten. Wobei nicht alle aktiv sind. Wir haben auf grossen Events auch
oft Gäste aus anderen Gruppen.
- Wie hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?
Die Gruppe entwickelt und verändert sich ständig. Die Gründer sind nicht mehr so aktiv, jüngere Leute ziehen nach. Es braucht viel Engagement und Herzblut um eine internationale
Gruppe dieser Grösse zu koordinieren und zu planen. Wir versuchen auch ständig uns zu
verbessern und auszutauschen und den Standard höher zu schrauben. Wir wollen uns nicht
auf unserem Ruf als akurate und ausgezeichnete Living-History-Gruppe ausruhen, sondern
auch immer wieder unter Beweis stellen das wir ihn verdient haben.
29
- Was ist die "Philosophie"?
Diese Frage wurde sehr gut auf unserer Homepage in Worten zusammengefasst und ich
könnt es nicht besser beschreiben, deswegen hier unsere Prinzipien:
Das Mittelalter erfreut sich seit Jahren eines grossen Interesses in der Öffentlichkeit. Das
breite Angebot an historischen und historisch inspirierten Veranstaltungen lässt den Zuschauer oft etwas ratlos zurück. Es ist schwer in der Menge der Darbietungen das historisch
verbürgte Mittelalter ausfindig zu machen. Die Company of St. George ist exakt diesem Mittelalter und nichts anderem verpflichtet.
Qualitätsanspruch - High Fidelity Reenactment
Die Company of St. George gilt als Massstab in der historisch getreuen Darstellung. Dieser
hart erarbeitete Status beruht auf unserer quellenorientierten Darstellung, die das Mittelalter kompromisslos lebendig machen will. So erwartet die Company of Saynt George von ihren Mitgliedern eine gewissenhafte und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem historischen Vorbild. Nur so kann es gelingen, unserem Ruf auch zukünftig gerecht zu werden.
Denn es bleibt noch viel zu tun. Jede Diskussion bringt neue Ideen und Hinweise, wo wir unsere Interpretation und die Ausrüstung noch verbessern können. Authentizität ist als Ziel
nicht erreichbar. Aber wir arbeiten hart daran, dem Anspruch näher und näher zu kommen.
Zusammenarbeit und Forschung
Fortschritt basiert auf dem Austausch von Wissen. Deshalb heissen wir den Austausch und
die Kooperation mit Institutionen und Einzelpersonen stets willkommen. Unsere Forschung
richtet sich nach archäologischen Funden, Museumsexponaten, Textquellen und historischen Abbildungen. Auf diese Art und Weise ergänzen und verbessern wir konstant unsere
Darstellung und Ausrüstung. Ziel ist es, unser Wissen und dasjenige unserer Partner über das
Alltagsleben im 15. Jahrhundert laufend zu aktualisieren und zu vertiefen.
Freundschaft
Die Company of Saynt George lebt von der Energie und dem Enthusiasmus ihrer Mitglieder.
Fröhliche und motivierte Mitglieder sind die Basis für jede erfolgreiche Veranstaltung und
ein erfülltes Hobby. Die unter uns gepflegte Freundschaft ist für die gute Stimmung in unserem Lager verantwortlich und hilft unserer Gruppe, interne wie äussere Konflikte meistern
zu können. Das gemeinsame Festhalten an den Zielen und das Teilen unserer Interessen und
Erfahrungen festigt unseren Zusammenhalt. Konsequenterweise nehmen wir deshalb unser
Hobby sehr ernst, uns selber aber bedeutend weniger.
- Was ist Reenactment für dich? Was bedeutet dir die Company?
Es ist die Faszination gelebter Geschichte. Welcher Mann und welche Frau hat als Kind nicht
vom Mittelalter geträumt? Natürlich war dieses Bild verromantisiert und von Filmen geprägt
und hatte nichts mit dem zu tun was wir darstellen. Aber die "Realität" ist bei weitem spannender als jeder Film. Natürlich können wir nie zu hundert Prozent behaupten "so war es",
bei vielem können wir nur annehmen das es so gewesen sein könnte. Ich liebe es mich mit
Quellen auseinanderzusetzen, in den Lagern eines Museums Originalstücke in den Händen
zu halten, zu fotografieren, auszumessen und zu versuchen sie nachzubauen. Ich liebe es
auch in unserer hochtechnologisierten, schnellebigen Zeit ständiger Erreichbarkeit abzuschalten und mit allen Sinnen zu geniessen. Am Ende eines Events bin ich körperlich zwar
erschöpft, aber geistig total erholt. Ich mag es mit meinen Händen zu arbeiten, Kleider zu
nähen, Leder zu bearbeiten oder auch banal Holz zu hacken und mich in Fertigkeiten zu üben
die heute beinahe vergessen sind. Es sind auch die grossartigen Momente die unvergessen
bleiben. Wann hat man schon die Gelegenheit nachts unter einem grandiosen Sternenhimmel angetan mit Harnisch, Helm und Laterne durch eine dunkle Burg zu schreiten? Und natürlich die Internationalität der Gruppe. Durch die Jahre in der Companie habe ich Leute aus
30
zwölf europäischen Ländern kennen gelernt von denen einige sehr gute Freunde geworden
sind. Es ist unglaublich spannend sich mit Leuten aus Schweden, Polen, England oder Finnland (um nur einige zu nennen) zu unterhalten. Ich finde Geschichte ist zu wissen wo wir
herkommen. Vieles ist vergessen gegangen, wartet aber nur darauf wieder entdeckt und
"gelebt" zu werden und darauf freue ich mich immer wieder.
So, ich hoffe, ich konnte Deine Fragen zu Deiner Zufriedenheit beantworten. Fallsnoch etwas
auftauchen sollte kannst Du jederzeit nachfragen. Wir sind übrigens vom 21. bis 26. Juli auf
der Lenzburg zu Gast.
Viele Grüsse
Thomas
Von: Thomas Rauber [mailto:[email protected]]
Gesendet: Montag, 13. Juli 2009 15:49
An: [email protected]
Betreff: RE: AW: AW: Maturaarbeit
Hoi Marco!
Nein, der Träger dieses Stiefels gehört definitiv nicht zu uns... :)
Niemand bei uns trägt Stiefel mit Gummisohlen und Maschinennähten. *gg*
Ich vermute das ist einer von den "Basilisken" oder ein Besucher. Die Basilisken waren eine
zweite Gruppe die in Gruyeres auch ihr Lager hatten, aber unten in der Stadt. Sie stellen
auch 15tes-Jahrhundert dar, aber mehr für den Bereich Mittelaltermarkt und ohne den hohen Anspruch den wir haben. Bitte dieses Foto nicht in Bezug mit der Companie of St.
George verwenden.
Viele Grüsse
Thomas
From: [email protected]
To: [email protected]
Subject: AW: AW: Maturaarbeit
Date: Mon, 13 Jul 2009 15:25:33 +0200
Hallo Thomas,
Ja, es ist gut möglich dass es sich um einen Besucher handelt. Leider ist kein Ganzkörperfoto
vorhanden.
Das Einzige was mich eben zweifeln lässt, ist dass er den Stiefel präsentiert.
Im Anhang findest du ein Bild.
Viele Grüsse
Marco
31
Von: Thomas Rauber [mailto:[email protected]]
Gesendet: Montag, 13. Juli 2009 12:57
An: [email protected]
Betreff: RE: AW: Maturaarbeit
Hallo Marco
Also ich würde die Hand ins Feuer legen, dass alle Teilnehmer im Companie-Lager SchuhRekonstruktionen nach Originalfunden getragen haben.
Das was Du ansprichst ist manchmal ein Problem auf Veranstaltungen, nämlich zahlende
Besucher in teilweise nicht schlechter Gewandung, die herumgehen, Zigaretten rauchen und
fotografieren. Für den normalen Besucher der sich nicht mit der Materie auseinadersetzt ist
es oft nicht leicht zu unterscheiden wer gehört dazu und wer nicht. In Gruyeres hatte ich
zum Beispiel Besuch von einem Freund der mir dann gleich gesagt hat, dass die Companie
gar nicht so Autentisch sei wie ich immer erzähle, er hätte schon jemand von uns mit Fotoapperat gesehen. Das war dann aber eben eine Besucherin.
Wenn Du magst kannst Du mir ja das Bild schicken.
Viele Grüsse
Thomas
From: [email protected]
To: [email protected]
Subject: AW: Maturaarbeit
Date: Mon, 13 Jul 2009 12:17:06 +0200
Guten Tag Thomas
Danke für deine ausführlichen Antworten! Ist es möglich, dass einige Mitglieder der Company
total „unauthentische“ Schuhe tragen? Die meisten Schuhe die ich auf Foto habe, sind nämlich
den archäologischen Vorbildern sehr nahe, nur ein Paar Stiefel überhaupt nicht, was mich
zweifeln
lässt, ob der Besitzer ein Mitglied ist oder nicht.
Gerne würde ich auf die Lenzburg kommen.
Viele Grüsse
Marco
Von: Stefan von der Heide [mailto:[email protected]]
Gesendet: Dienstag, 7. Juli 2009 23:31
An: Marco Hostettler
Betreff: Re: Maturarbeit
Guten Tag Herr Hostettler,
gerne beantworte ich Ihre Fragen soweit möglich.
32
>Ich verarbeite rein vegetabil, also mit pflanzlichen Gerbmitteln gegerbtes Ziegen- und Rindeder, sowie auch sämisch gegerbtes Hirschleder.
>Die Vorbilder entnehme ich archäologischen Publikationen und zeitgenössischen bildlichen
Darstellungen.
>Das Nähmaterial wird als Pechdraht bezeichnet und besteht je nach Anwendungsbereich
aus 2 - 10 Leinen- oder Hanffäden, die miteinander verzwirnt, gepecht und gewachst werden. Wenn Sie das näher interessiert, kann ich Ihnen auch eine Anleitung zum Herstellen von
Pechdrähten zukommen lassen.
>Schuhmacher brauchen nur wenige Werkzeuge: Hammer, Messer (Halbmondmesser,
Schärfmesser, Randmesser Beschneidemesser), Zwickzangen schmal und breit, Nähahlen
(gerade und gebogen), Spannriemen und Leistenhaken.
>Die erste Hürde besteht darin, die Fußmaße auf einen Holzleisten proportional richtig zu
übertragen. Dieser Leisten ergibt die spätere Schuhform. In ihm sind bereits mode- und konstruktionsbedingte Erfordernisse berücksichtigt. Die nächste Aufgabe liegt im richtigen Umsetzen des dreidimensionalen Leistens in eine zweidimensionale Form, damit es möglich ist,
das Schuhoberteil auf Papier entwerfen zu können. In einem dritten Schritt wird das Oberteil
aus Leder ausgeschnitten und zusammen genäht. Im letzten Schritt heftet man die Sohle auf
den Leisten, spannt das Oberteil mit Hilfe von Nägeln darüber (man zwickt den Schuh), näht
Oberteil und Sohle zusammen, zieht den Leisten heraus, dreht den Schuh um, sodaß alle Nähte innen liegen, steckt den anderen Leisten anschliessend in den fertigen Schuh hinein
und formt ihn durch manuelle Bearbeitung an den Leisten an. Das ist mal ganz grob der
Werdegang eines mittelalterlichen wendegenähten Schuhs.
> Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der Empfindlichkeit der Füße und des Geschicks des Schuhmachers. Gesund sind sie wegen des chemiefreien Leders und der anatomischen Form.
> Eine heikle Frage: Die Tragedauer im Reenactment richtet sich nach dem Gang des Trägers,
der Bodenbeschaffenheit und des Wetters. Naturboden :-) / Kopfsteinpflaster, Kies :-I / Asphalt und Schotter :-(
Man schätzt die Tragedauer wendegenähter Schuhe im Mittelalter incl. Reparaturen auf ca.
3 -4 Monate, wobei das natürlich ebenfalls von den o. g. Faktoren abhängig war, wenn man
mal von Asphalt und Schotter absieht.
> Durch Aufnähen von Lederstücken auf schadhafte Stellen, ggf. auch Herausschneiden von
schadhaften Stellen und Ersetzen durch Ergänzungen aus neuem Leder.
Was die Bilder angeht: meinen Sie Bilder von fertigen Schuhen oder von Arbeitsvorgängen?
Mit freundlichen Grüßen
Meister Knieriem
Stefan v.d. Heide
----- Original Message ----From: Marco Hostettler
To: [email protected]
Sent: Tuesday, July 07, 2009 10:27 AM
Subject: Maturarbeit
Guten Morgen Herr Von der Heide
33
Ich , Marco Hostettler, arbeite zur Zeit an meiner Maturitätsarbeit, die sich um
mittelalterliche Schuhe dreht.
Ich setzte mich mit Christian Folini, von der Company of Saynte George, in Verbindung
um meine Untersuchung über Schuhe durchzuführen. Ein Gruss von ihm.
Er empfahl mir, mich mit Ihnen in Kontakt zu setzen und Sie über das Thema auszufragen.
Ich wäre froh wenn Sie mir folgende Fragen dazu beantworten würden:
-
Was verwenden Sie für Leder?, Wie ist es gegerbt?
Was für Vorbilder verwenden Sie für die Schnittmuster?
Wie ist der Faden gemacht?
Was für Werkzeug verwenden Sie zur Bearbeitung?
Was sind die Hauptschwierigkeiten in der Herstellung?
Glauben Sie dass die Schuhe gesund/angenehm sind?
Was ist die durchschnittliche Lebensdauer im Reenactment/im Mittelalter?
Wie Flickt man am besten?
Sollten Sie vielleicht zwei, drei Bilder dazu haben, fände ich es Nett wenn Sie sie mir schicken
könnten.
Dürfte ich in dem Falle die Bilder in meiner Arbeit auch verwenden?
Mit freundlichen Grüssen
Marco Hostettler
Hagacherweg 21d
3608 Thun
079 852 44 91
Von: Stefan von der Heide [mailto:[email protected]]
Gesendet: Freitag, 10. Juli 2009 20:40
An: Marco Hostettler
Betreff: Re: Herstellen eines Pechdrahtes
Guten Tag Herr Hostettler,
wetterfest im Sinne von wasserdicht wie Gummistiefel sicher nicht. Wenn man mit solchen
Schuhen eine zeitlang im Regen herumläuft, sind die Schuhe durchnäßt. Wie unsere Vorfahren das Problem bei Überlandreisen gelöst haben, ist mir nicht bekannt. Ich kann mir aber
vorstellen, daß sie sich untergestellt haben und abgewartet haben, bis der Regen aufgehört
hat und das Wasser sich verlaufen hatte.
Zum Thema Schuhnägel: Letztes Jahr wurde in Paderborn ein Fund von mehreren genagelten
Schuhsohlen gemacht, der ziemlich sicher aus dem 15. Jh. stammt. Damit war in der Reenactmentszene eine lange Diskussion beendet. Die Nägel werden in Teilsohlen, die auch als
Sohlenflicken bezeichnet werden, eingeschlagen und diese dann an den umlaufenden Rand
der ersten Sohle festgenäht. Auf diese Weise beeinträchtigen die Nägel nicht die Haltbarkeit
der Sohlennähte. Der Sinn dieser Nägel liegt in der Verschleißminderung und der besseren
Griffigkeit der Sohle auf Naturboden und ungepflasterten Wegen.
34
Mit freundlichen Grüßen
Meister Knieriem
Stefan v.d. Heide
----- Original Message ----From: Marco Hostettler
To: 'Stefan von der Heide'
Sent: Thursday, July 09, 2009 10:14 AM
Subject: AW: Herstellen eines Pechdrahtes
Guten Tag Herr v. d. Heide,
Vielen Dank für die Anhänge und Informationen. Die Bilder haben leider eine etwas schlechte Auflösung,
und um die Zeitschrift kommen zu lassen ist der Abgabetermin der Arbeit leider etwas zu
knapp…
Aber so wichtig ist dies auch nicht. Die Anleitung für den Pechdraht konnte ich öffnen.
Ich würde gerne noch wissen, ob solche Schuhe wetterfest sind?
Viele Grüsse
Marco Hostettler
Von: Stefan von der Heide [mailto:[email protected]]
Gesendet: Mittwoch, 8. Juli 2009 20:25
An: Marco Hostettler
Betreff: Herstellen eines Pechdrahtes
Guten Tag Herr Hostettler,
hier nun die Anleitung zum Herstellen von Pechdrähten.
Wenn Sie weitere Fragen haben, können Sie sich jederzeit an mich wenden.
Mit freundliche Grüßen
Meister Knieriem
Stefan v.d. Heide
Von: Stefan von der Heide [mailto:[email protected]]
Gesendet: Sonntag, 12. Juli 2009 20:36
An: Marco Hostettler
Betreff: Fw: Genagelte Schuhe
Guten Tag Herr Hostettler,
im Anhang das Foto des Fundes und die Kontaktdaten der Archäologin.
Mit freundlichen Grüßen
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Meister Knieriem
Stefan v.d. Heide
----- Original Message ----From: Jens Börner
To: [email protected]
Sent: Sunday, October 05, 2008 8:06 PM
Subject: Genagelte Schuhe
Hi Stefan,
Hier das versprochene Foto, und Kontaktdaten der Archäologin:
M. Gaertner-Krohn
Museum in der Kaiserpfalz
Am Ikenberg 2
33098 Paderborn
Tel. 05252/105110
mit freundlichen Grüßen
Jens Börner
Diu Minnezît
Rekonstruktion von Sachkultur und Alltag des deutschen und französischen Mittelalters
http://www.diu-minnezit.de
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9. Eidesstattliche Erklärung
Hiermit bestätige ich, die vorliegende Arbeit selbstständig und unter Angabe aller benötigten
Quellen verfasst zu haben.
Datum und Unterschrift
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