Christine Haderthauer Bayerische Staatsministerin für Arbeit und
Transcrição
Christine Haderthauer Bayerische Staatsministerin für Arbeit und
BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 11.11.2010, 20.15 Uhr Christine Haderthauer Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Christine Haderthauer. Sie ist Juristin, Rechtsanwältin, Mitglied des Bayerischen Landtags seit 2003, sie war die erste Generalsekretärin der CSU, also die erste Frau in diesem Amt, und sie ist seit 2008 Bayerische Staatsministerin für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen. Ich freue mich, dass sie hier ist, herzlich willkommen, Frau Staatsministerin. Haderthauer: Ich grüße Sie, Herr Reuß. Reuß: Wenn man auf der Homepage Ihres Ministeriums nachliest, welche Aufgaben zu Ihrem Bereich gehören, dann bekommt man den Eindruck, Ihre Aufgaben sind fast so vielfältig wie das Leben selbst, denn dazu zählen Dinge wie z. B. Hilfe für werdende Mütter, menschenwürdige Versorgung Pflegebedürftiger, Kinderbetreuung, Produktsicherheit, Arbeitsmarktpolitik, Familienpolitik, Gleichstellung von Frauen und Männern, Unterbringung von Asylsuchenden, Fragen des Arbeitsschutzes usw. Wer so viele Aufgaben hat, hat doch vielleicht auch ein paar Prioritäten. Was ist Ihnen von all diesen Aufgaben mehr Lust, was mehr Last? Haderthauer: Das hängt halt alles sehr miteinander zusammen und deswegen gibt es diese klaren Abgrenzungen nicht, weder in meinem Kopf noch in meinem Herzen. Stattdessen konzentriere ich mich auf das, was politische Gestaltungsaufgabe ist und mache mir auch immer wieder bewusst – denn die Gefahr ist sehr groß, dass das im Alltag verschwimmt –, dass für all das, was mit der Sachbearbeitung zusammenhängt, ein Ministerium hervorragende Spitzenbeamte hat. Sie wären nicht nur nicht glücklich damit, wenn ich mich zu sehr in ihre Arbeit einmischen würde, sondern ich glaube, dass ich das gar nicht so gut könnte wie sie. Mir obliegt die politische Gestaltung, d. h. ich treffe die Leitentscheidungen, sorge aber auch immer für deren Anbindung – das ist ein persönliches Steckenpferd von mir, weil das meine ganze Auffassung von Politik durchwebt – an Werte, an Einstellungen. Aus meiner Sicht muss nämlich immer erkennbar sein, warum wir etwas so machen und nicht anders, denn es gibt eben auch immer Handlungsalternativen. Die Politik lebt nicht im luftleeren Raum, sondern muss bzw. sollte in der Bevölkerung immer auch akzeptiert und mitgelebt werden und dort verankert sein. Reuß: Der bayerische Staatshaushalt hat ein Gesamtvolumen von ungefähr 42 Milliarden Euro, Ihr Ministerium hat einen Etat von etwa 2,5 Milliarden. Sie haben Ihr Ministerium einmal als ein Zukunftsministerium beschrieben. Wenn ich das ein wenig zuspitzen darf: Müssen Sie nicht auch oft eine Art Reparaturbetrieb sein und all das, was anderswo schiefläuft, wieder gerade rücken? Haderthauer: Das ist vollkommen richtig, aber man darf sich eben nicht nur auf die Reparatur beschränken. Das ist überhaupt eine Schwäche von Politik, weil sie leider sehr stark in Wahlzyklen und sehr tagesaktuell denkt. Ich versuche jedoch genau das andere umzusetzen, nämlich an die echten Ursachen heranzugehen und nicht an vordergründige Anlässe, ich versuche nachhaltig zu gestalten und zu denken und vor allem der Prävention – die übrigens das beste Sparprogramm ist – Vorrang vor der Reparatur zu geben. Man bekommt dann aber in unserer sehr eindimensional diskutierenden Öffentlichkeit sehr leicht den Vorwurf, man würde sich gar nicht mehr um die Reparatur kümmern. Das stimmt jedoch nicht. Die Reparatur müssen wir sowieso machen, aber um die Prävention muss man sich aktiv kümmern, es muss immer jemand da sein, der das einfordert. Das ist etwas, was ich mir sehr stark vorgenommen habe. Reuß: Ich würde mir jetzt gerne einen ganz konkreten Punkt herausgreifen. Wir betrachten hier im alpha-Forum selten die aktuelle Tagespolitik, aber ein Punkt, der uns, der die gesamte Gesellschaft sicherlich noch länger beschäftigen wird, ist die Frage nach der Gleichstellung von behinderten Menschen. Es gibt den Artikel 118a der Bayerischen Verfassung, der dieses fordert, und es gibt eine Konvention der UNO zu den Fragen der Gleichstellung von Behinderten unter dem Thema "Inklusion", d. h. voller, wirksamer Teilhabe. Wie sehen Sie dieses Thema? Denn auf abstrakter Ebene wird das sicherlich große Zustimmung finden, aber wenn es konkret wird, wird die Sache etwas schwieriger. Haderthauer: Ich erlebe gerade für den Bereich, den ich zu verantworten habe, dass wir, d. h. dass auch meine Vorgängerinnen das bereits gemacht haben, noch bevor die UN-Konvention das festgeschrieben hat. Denn das Thema "Menschen mit Behinderung" ressortiert nun einmal im Sozialministerium – übrigens als Querschnitt, denn das ist wirklich ein klassisches Querschnittsthema. Auch das ist mit ein Grund dafür, warum ich ein Zukunftsministerium habe: Ich vereinige bei mir federführend sehr viele Querschnitte. Die aktuelle Diskussion spielt sich daher meiner Wahrnehmung nach sehr viel stärker im Bereich der anderen Ministerien ab, vor allem im Bereich des Kultusministeriums und dort vor dem Hintergrund der Inklusion vor allem bei der Frage der Bildungspolitik, der Schulpolitik. Das heißt aber nicht, dass ich mich gar nicht damit befasse, sondern ich befasse mich sehr stark damit und versuche vor allem auch immer deutlich zu machen, dass man sich das Ende anschauen muss: respice finem! Mir geht es also darum, dass man diese Dinge vor allem vom Ende her denken muss: Da gibt es auf der einen Seite Eltern – ich weiß das aus meinem glücklicherweise breiten Leben vor und außerhalb der Politik –, die eine möglichst individuelle Förderung für ihr Kind wollen. Auf der anderen Seite gibt es Eltern – und dabei ist es ganz egal, ob ihre Kinder nun eine Behinderung haben oder keine Behinderung haben –, die wollen, dass ihr Kind auf die derzeit angesagteste und mit dem besten Leumund behaftete Schule geht. Beides bekommt man aber nicht immer zusammen. Denn unsere Kinder sind sehr unterschiedlich – ganz unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Hier muss man daher sehr ehrlich miteinander diskutieren und dabei vermisse ich schon manchmal die nötige Differenziertheit in der öffentlichen Diskussion. Deswegen bemühe ich mich immer sehr darum, den Diskussionsparteien den Spiegel vorzuhalten und zu sagen: "Einerseits sollen also jetzt alle auf die Regelschule und andererseits wollt ihr, dass euren Kindern ganz individuell geholfen wird. Dies könnte sich ab und zu auch mal widersprechen." Reuß: Wir kommen später sicherlich noch einmal auf die aktuelle Politik zu sprechen, aber wir wollen hier im alpha-Forum immer auch die Menschen, die man aus der Berichterstattung kennt, ein bisschen näher kennenlernen. Deshalb interessiert mich natürlich auch Ihr allgemeines Politikverständnis. Es gibt von Wilhelm Liebknecht den schönen Satz: "Prinzipientreue ist die beste Politik." Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard war der Auffassung: "In diesen Zeiten ist alles Politik." Und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sagte einmal hier im alpha-Forum: "Politik ist einfach das Managen der Lebensbedingungen für die Menschen." Was ist Politik für Christine Haderthauer? Haderthauer: Das Leben gestalten auf der Basis der eigenen Wertüberzeugungen. Reuß: Ist Politik zuweilen auch ein undankbares Geschäft? Haderthauer: Ja, in hohem Maße. Das ist einfach so, das muss man wissen, wenn man das macht. Deswegen ist es auch ganz schön, wenn man das eigene Selbstwertgefühl, die eigene Identität nicht ausschließlich auf die Politik gegründet hat. Reuß: "Politiker sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Politiker", so Horst Seehofer und er sagte auch: "Ich halte die Bezeichnung 'Populist' nicht für ein Schimpfwort." Sehen Sie das auch so? Haderthauer: Solche allgemeinen Sätze sind eigentlich immer zustimmungswürdig, schwierig wird es, wenn das Ganze dann konkret wird. Ich finde es ganz wichtig – und deswegen habe ich soeben gesagt, Politik bestehe darin, das Leben zu gestalten –, dass man dann, wenn man Politik macht, auch wirklich weiß, was die Menschen bewegt. Denn Politik in einer Demokratie lebt vom Überzeugungsprozess: Man kann aber niemanden überzeugen, an dem man gnadenlos vorbeiredet. Das ist also schon mal das Allererste. Das Zweite ist, und das ist dieser Teil, wo der Spruch mit dem Populisten selbstverständlich stimmt, dass wir alle – und gerade auch Horst Seehofer – natürlich sehr stark den Anspruch haben, wenn wir in die Führung gehen, dass wir uns ankoppeln an die Probleme, die da sind. Die Lösung ist jedoch immer orientiert an unseren Überzeugungen und Werten. Wir haben selbstverständlich den Anspruch, denn sonst wären wir fehl am Platz, die Menschen auch von dieser unserer Lösung zu überzeugen. Man will immer strahlen, ausstrahlen, mitnehmen als Politiker. Wenn man niemanden bewegen möchte, dann sollte man etwas anderes machen. Reuß: Frauenförderung in Politik und Gesellschaft war Ihnen eigentlich immer ein großes Anliegen. Nun sind Sie sogar von Amts wegen dafür zuständig. Die CSU gilt ja allgemein als die männerlastigste Partei, nun aber hat der Parteivorstand eine Frauenquote beschlossen – zumindest für die Landes- und Bezirksebene, noch nicht für die Ortsvereinsebene. Nicht alle sind für diese Quote, auch nicht alle Frauen. Die stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union z. B. empfindet jede Art von Quote "als diskriminierend und undemokratisch, die jungen Frauen wollen ihrer Leistung wegen befördert werden und nicht wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit". Sie selbst haben Karriere gemacht ohne die Quote: Ist die Quote dennoch nötig? Haderthauer: Es gibt fast kein Mandat in der Politik, das nicht auf einer Quote beruht. Ich empfinde es daher schon als lustig, dass das erst dann, wenn es um die Frauenquote geht, so abfällig thematisiert wird. Es gibt die Bauernquote, die Handwerkerquote, die Niederbayern-, die Oberbayern-, die Unterfrankenund Oberfrankenquote usw. Das heißt, der Anspruch, die Bevölkerung möglichst repräsentativ abzubilden in der Politik, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft, auch auf der Ebene der Führungspositionen, wohnt uns inne, und natürlich ist dieser Anspruch auch immer gekoppelt an Leistung, das ist doch vollkommen klar. Erst jetzt, wenn es um die Frauen geht, sagt man plötzlich: "Igittigitt, da ist ja eine Quote!" Es ist also ein bisschen wenig durchdacht, wenn man so argumentiert. Gerade in der Politik ist das Argument, dass es doch bitte um Qualität gehen müsse, vollkommen untauglich. Denn was ist denn Qualität in der Politik? Qualität in der Politik besteht doch gerade darin, unterschiedliche Lebensrealitäten repräsentieren zu können. Deswegen gibt es in der Politik vollkommen zurecht die Landwirte, die Selbständigen – es wäre schön, wenn wir mehr von ihnen hätten – und überhaupt Menschen aus allen möglichen Bereichen, sodass die Wählerinnen und Wähler sagen können: "Der weiß, was mich bewegt, und deswegen wähle ich den!" Frauen führen nun einmal ein anderes Leben als Männer, haben oft und gerade auch in Deutschland immer noch andere Lebensentwürfe als Männer. Sie haben aber auch, und das erlebe ich immer stärker, andere Sichtweisen, andere Herangehensweisen, andere Arbeitsweisen. Das ist nicht bei jeder Frau der Fall, aber so ein bisschen kann man doch Unterschiede sehen. Es wird dringend Zeit, dass diese Qualität auch in die CSU einzieht – bzw. allgemein in die Politik, denn es gilt ja nicht nur für die CSU, sondern für alle Parteien, dass da zu wenig Frauen vertreten sind. Reuß: Ich darf noch einmal ein paar Zahlen zitieren. 18 Prozent der CSUMitglieder sind weiblich, 9,3 Prozent der CSU-Kreisvorsitzenden sind Frauen, bei den Landtagsabgeordneten der CSU stellen die Frauen ungefähr 20 Prozent, bei den Bundestagsabgeordneten 13 Prozent. Nun will man aber eine Quote von 40 Prozent erreichen. Woran liegt es, dass bisher so wenige Frauen in solchen Ämtern sind? Wollten sie nicht oder konnten sie nicht oder durften sie nicht? Und von wo wollen Sie sie jetzt hernehmen? Haderthauer: Dafür gibt es ganz, ganz viele Ursachen, sich da nur auf die Frauenquote zu fokussieren, wäre falsch. Deswegen ist das, was wir beschlossen haben, nur ein Teil eines breiten Ansatzes auf diesem Gebiet. Es ist halt so, dass es immer wieder vor allem dieses Thema ist, das medial Beachtung findet. Wir unternehmen einen breiten Ansatz der Ermutigung und auch der Förderung von weiblichem Engagement. Es ist selbstverständlich nicht so, dass alle Frauen mutlos wären und man ihnen erst einmal gut zusprechen müsste. Aber Frauen haben einfach andere Prioritäten, nur die wenigsten von ihnen folgen dem Konzept "Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal". Deswegen haben die Frauen auch meistens mehr Brüche im Leben, positive Brüche wie z. B. die Geburt von Kindern, den Aufbau einer Berufskarriere. Vielleicht haben Frauen auch eine durchaus flexiblere Lebensstrategie. Mir geht es jedenfalls sehr stark um die "gestandenen Frauen" und nicht so sehr darum, dass man die jungen Frauen in großer Kontinuität hochzieht. Die Junge Union verliert dann sowieso die meisten Frauen irgendwann wieder: Die Junge Union bringt in der CSU die wenigsten Frauen in Ämter. Mir geht es darum, dass die Bäckersfrau oder die Freiberuflerin oder die Familienfrau sagt: "So, jetzt habe ich eine bestimmte Lebensphase hinter mir, in der ich ziemlich viel gemanagt habe. Nun komme ich in eine Lebensphase, in der ich Luft, Zeit und auch Ressourcen hätte, in die Politik zu gehen." Das muss diesen Frauen auch tatsächlich möglich sein. Reuß: Ist das ein Plädoyer für den Quereinstieg? Haderthauer: Ja, unbedingt. Der Quereinstieg ist auch ein klassisches Frauenthema, denn u. a. auch deswegen, weil der Quereinstieg so gut wie nicht möglich ist, haben wir so wenig Frauen in der Politik. Gerade in der CSU ist dieser Quereinstieg für Frauen nur sehr, sehr schwer möglich. Das liegt daran, dass in der CSU in der Vergangenheit die Mandatsträger immer sehr lange Zeit im Amt gewesen sind. Denn wir haben in der CSU ja nicht die Situation, wie sie die FDP letztens vorgefunden hat, als sie auf einen Schlag viele Positionen besetzen musste. Bei uns hingegen ist das alles gewachsen und deswegen ist das bei uns für die Frauen noch ein bisschen schwerer mit dem Quereinstieg. Reuß: Sie haben einmal vom "Gockelgetue" mancher Männer in der Politik gesprochen und weiter ausgeführt: "Ich habe noch nie so viele beleidigte Männer gesehen wie in der Politik." Es gibt diesbezüglich ja auch den schönen Satz von Margret Thatcher, der ehemaligen britischen Premierministerin: "Wenn Sie in der Politik etwas gesagt haben wollen, wenden Sie sich bitte an einen Mann. Wenn Sie etwas getan haben wollen, wenden Sie sich bitte an eine Frau." Die Präsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Stamm, sagte einmal: "Ich habe vielleicht manchmal mit zu viel Herz Politik gemacht." Machen Frauen anders Politik als Männer? Haderthauer: Ich bin der festen Überzeugung, dass das so ist und erlebe das auch so, je länger ich dabei bin: Ich erlebe es heute so und ich habe es früher schon so erlebt, dass Frauen im Agieren, im Denken, im Handeln vom Grundsatz her ein bisschen anders aufgestellt sind. Da kommen dann immer ganz wütende Proteste, wenn ich das in Vorträgen sage, weil es selbstverständlich auch immer wieder Ausnahmen von der Regel gibt. Aber in der Regel erlebe ich das genau so. Frauen sind weniger in Richtung auf Strukturen, auf Macht, auf Taktik und Strategie orientiert. Das tatsächliche Tun ist ihnen stattdessen viel wichtiger: eine Sache zum Erfolg zu bringen. Was deswegen Frauen in der Politik ganz stark lernen müssen, ist, dass sie über das, was sie tun, auch sprechen; ohne das geht es einfach nicht, wie auch ich nachdrücklich lernen musste. Ich agierte aufgrund meiner Anwaltstätigkeit immer so: Sache erledigt, weglegen, nächste Sache machen. Dass man in der Politik in einer Demokratie zwingend auch darüber sprechen muss, was man gemacht hat, ist etwas, was man einem Mann nicht antrainieren muss. Reuß: "Ich bin nicht obrigkeitshörig", haben Sie einmal gesagt. Eine große deutsche Tageszeitung hat einmal über Sie geschrieben: "Es ist ihr unberechenbares Mundwerk, das Christine Haderthauer zu den gefährlichsten Geschützen in Horst Seehofers Kabinett macht." Sie halten mit Ihrer Meinung selten hinter dem Berg, was selbstverständlich auch manchmal Kritik an Ihnen provoziert. In einem Interview im April 2009 wurden Sie nach Vorbildern gefragt und Sie haben u. a. mit Adenauer, Richard von Weizsäcker, Hildegard Hamm-Brücher geantwortet. Es wurde dann nachgehakt und man fragte Sie, wie Sie es denn mit Franz Josef Strauß hielten. Daraufhin sagten Sie, er sei zwar "superinteressant und imponierend und faszinierend" gewesen, bei ihm habe es aber viele Dinge gegeben, "die ich jetzt vielleicht anderen nicht zur Nachahmung empfehlen würde". Man kann nachlesen, dass es daraufhin heftige Kritik an Ihnen gegeben hat – wohl stärker hinter den Kulissen als in der Öffentlichkeit. Würden Sie solch ein Interview noch einmal geben oder lernt man daraus, dass man in der Politik vielleicht doch nicht alles sagen darf, was man denkt? Haderthauer: Ach, wissen Sie, das lernt man nicht daraus. Ich habe eigentlich am meisten aus den Reaktionen darauf gelernt: Das offenbart dann doch so einiges, was da unterwegs ist. Das fand ich am interessantesten. Das Interview selbst war gar nicht so interessant, weil ich nämlich nicht nach meinen Vorbildern, sondern nach heutigen Vorbildern für unsere Jugend gefragt worden bin. Eingebettet in diesen Kontext war auch meine Antwort gar nicht so skandalös. Aber Sie wissen ja, wie das ist: Wenn jemand Lust daran hat, dann zieht er das eben auf diese Weise hoch. Ich fand jedenfalls die Reaktionen sehr interessant, aber ich habe mir seitdem auch weiterhin den Mund nicht verbieten lassen und werde das auch in Zukunft nicht zulassen. Mein Sohn hat einmal so schön zu mir gesagt: "Mama, dich haben so viele Menschen gewählt, aber nicht deswegen, damit du allen gefällst, sondern damit du das machst, was sie von dir erwarten und wofür du stehst." Damit ist eigentlich sehr schön umschrieben, worum es mir geht. Und das ist auch das, was für mich Politik schön macht: dass ich sie mit dem ausfülle, wofür ich stehe und was ich denke. Ich muss aus meiner Tätigkeit in der Politik nicht auf Teufel komm raus mein Selbstwertgefühl beziehen, denn ich habe mich bereits bewährt im Leben. Das gibt mir doch eine gewisse Unabhängigkeit. Reuß: Ich möchte noch kurz bei diesem Thema bleiben. "Der Umgang mit der Wahrheit ist ein Problem in der Politik", sagt Horst Seehofer. Wie offen konnten Sie sein, wie oft muss man sich dann doch der Fraktionsdisziplin, der Parteidisziplin, der Koalitionsdisziplin unterwerfen? Wie oft kann man die Dinge doch nicht so deutlich ansprechen, wie man sie selbst empfindet? Haderthauer: Ich habe mich bis jetzt noch nie in irgendeiner Weise verbogen oder Dinge anders gesagt, als ich sie empfinde. Ich mache es dann halt so, dass ich manchmal nichts sage. Es gibt in der Politik ja auch sehr dezente Mittel, die jedoch alle Eingeweihten sofort verstehen, wenn man sich z. B. von bestimmten Dingen distanziert. Manchmal sagen ja auch Menschen, die mich beraten wollen: "Frau Ministerin, sagen Sie lieber nichts zu diesem Thema, denn da können Sie nichts gewinnen." Das ist dann immer der Moment, wo ich mir denke: "Hallo? Es geht nicht darum, dass ich da immer etwas gewinne." Also sage ich dann sogar ganz bewusst zu diesen Themen etwas. Ich glaube, man muss an diese ganze Sache offensiv herangehen. Womit ich immer wieder kämpfe ist z. B., wenn die CSU sagt: "Ach nein, bestimmte Dinge vertreten wir im Bund jetzt lieber nicht, weil wir uns damit ja ohnehin nicht durchsetzen können und hinterher stehen wir dann nur blöd da." Ich sage dann aber immer: "Das wäre doch mal wieder ein guter Anlass, den Menschen zu erklären, wie Demokratie funktioniert." Denn unser Anspruch muss doch darin bestehen, bestimmte Dinge auch wirklich einzubringen. Das müssen wir vorher deutlich machen und wir müssen eben auch dazusagen: "Nein, lieber Bürger, das ist kein Streit, sondern wir wollen hier einfach nur unsere Meinung kundtun." Wenn man dann überstimmt wird, dann muss man das eben hinnehmen. Man kann in einer Demokratie nicht verlangen, dass man ständig die eigene Meinung durchsetzt. Denn das hätte ja nichts mehr mit Demokratie zu tun. Es gehört also auch dazu, erklären zu können: "Wisst ihr was? Die anderen haben sich durchgesetzt, ich bin zwar immer noch anderer Meinung, aber ich bin auch ein guter Demokrat und deswegen trage ich dieses Ergebnis, diese Lösung nun auch mit, weil wir ansonsten nämlich nicht handlungsfähig wären." Das geschieht aber viel zu selten, sondern das Ganze wird immer nur gockelmäßig nach Sieg oder Niederlage aufgezogen. Dadurch haben die Bürger eben auch ein bisschen das Gefühl dafür verloren, wie politische Prozesse wirklich ablaufen. Reuß: Sie waren Generalsekretärin, sind heute Staatsministerin und haben über 520 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium. Wie führen Sie? Was ist Ihr Verständnis von Führung? Haderthauer: Mein Verständnis von Führung sieht so aus, dass ich es liebe, schlau gemacht zu werden, noch schlauer gemacht zu werden über bestimmte Fragen, die anstehen. Das heißt, ich mache in der Regel, was die Hierarchie betrifft, sehr flache, durchaus große Runden, denn ich will da nicht nur den Amtschef, den Abteilungsleiter und den Referatsleiter mit dabei haben, wenn es darum geht, dass ich ein Gefühl für eine Sache bekomme. Das sind nämlich im Grunde alles Dolmetscher des Sachbearbeiters, weswegen ich dann eben auch gleich direkt den Sachbearbeiter mit dabei haben möchte in so einer Runde. Das stieß am Anfang ein bisschen auf Befremden, weil ich nicht immer bestimmte Hierarchieebenen einhalte. Das mache ich bis heute nicht, aber inzwischen hat sich das Haus daran gewöhnt. Das führt natürlich oft dazu, dass man den zunächst gefassten Eindruck von einer Sache revidieren muss, wenn man erst einmal mit den Fachleuten oder auch mit Verbänden gesprochen hat. Denn es ist ganz wichtig für mich, auch mit denen ins Gespräch zu kommen, die in einer Sache vor Ort zu tun haben wie eben z. B. die Verbände. Es kann also sein, dass man nach diesen Gesprächen schlauer ist, dass man eine differenziertere Meinung bekommt und deswegen die eigene Ersteinschätzung verändert. Ich halte das für absolut wichtig, denn nichts ist schlimmer als die Selbstgerechtigkeit des ersten Eindrucks. Aber die Entscheidung treffe zum Schluss ich. Nach einem solchen Prozess, bei dem man auch sehr schön mit mir diskutieren kann und in dem ich, wie gesagt, sehr offen bin, verlange ich, dass die Entscheidung, die getroffen wurde, auch mitgetragen wird, dass sie wirklich loyal und auch fair mitgetragen wird. Das ist der Preis, den ich einfordere für einen vorher stattfindenden sehr ehrlichen Diskussionsprozess. Reuß: Ich möchte gerne noch einmal auf die Außenwirkung von Politik und Politikern zu sprechen kommen. Sie haben vorhin vom Gockelgehabe gesprochen und haben auch einmal gesagt: "Ich bin kein Fan von ShowWortmeldungen." Es gibt hierzu auch den schönen Satz des ehemaligen SPD-Politikers Peter Glotz: "Der Unterschied zwischen einem Schauspieler und einem Politiker ist graduell, nicht prinzipiell." Sehen Sie das auch so? Haderthauer: Nein, gar nicht! Das sehe ich überhaupt nicht so, wobei ich hier aber nur von mir ausgehen kann. Ich weiß allerdings, dass es alles gibt: Es gibt in der Politik auch Schauspieler. Aber mein Politikverständnis ist das überhaupt nicht. Mein Politikverständnis besteht darin, dass ich mich manchmal in die Pflicht nehme, um die Dinge dann auch kompatibel für die Öffentlichkeit darzustellen und zu "verkaufen". Dazu muss ich manche Dinge auch erst einmal übel runterbrechen – "übel" in dem Sinne, weil es mir manchmal fast leidtut um die Differenziertheit der Sachverhalte, weil ich es schade finde, wenn ich die Dinge so vereinfachen muss, damit ich sie irgendwie in die Medien bekomme. Manchmal ist das sehr schade, weil das wirklich hochkomplexe Dinge sind. Natürlich gibt es in der Politik auch die Schauspieler, die Wellensurfer, die Egomanen usw. Mei, das ist halt wie im echten Leben: Auch diesbezüglich ist die Bevölkerung repräsentativ vertreten in der Politik. Reuß: Ich würde hier gerne eine kleine inhaltliche Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Christine Haderthauer näher vorstellen wollen. Sie sind am 11. November 1962 in Neumünster in Schleswig-Holstein geboren, dann aber hier in München aufgewachsen. Wie würden Sie denn Ihre frühe Jugend beschreiben? Was hat Sie geprägt? Haderthauer: München hat mich sehr stark geprägt. Ich bin ja in Schwabing aufgewachsen und ich weiß noch, dass ich damals wahnsinnig stolz darauf war, eine rote kurze Lederhose mit weißen Herzerln als Hosentaschen zu besitzen. Vorne auf dem Latz hatte diese Hose selbstverständlich auch ein Hirschhorn-Medaillon drauf. Ich hatte damals streichholzkurze Haare, war aber gleichzeitig doch sehr sensibel und mädchenhaft. Ich habe also schon damals ziemlich viele Gegensätze in mir vereint und bin z. B. bereits mit sechs, sieben Jahren mit großer Leidenschaft bei Tante Inge zum Ballettunterricht gegangen. Andererseits habe ich aber bis heute auch noch folgende Erinnerung. Ich saß mit meiner kurzen Lederhose auf einem Baum vor unserem Haus – wir wohnten damals im vierten Stock eines Mietshauses – und hörte, wie unten ein vorbeigehendes Mädchen zu seiner Mama sagte: "Schau mal den Jungen dort oben!" Das hat mich zutiefst gekränkt, obwohl ich ja wirklich ausgesehen habe wie ein Junge und mich auch so verhalten habe. Und ich weiß noch eine Sache, an die ich z. B. in meiner Zeit als Generalsekretärin öfter mal denken musste: Ich habe mich in der vierten Klasse mal auf dem Pausenhof mit dem Stärksten in unserer Klasse geprügelt. Na gut, nicht richtig geprügelt, aber wir haben uns doch immerhin im Staub gewälzt, weil er vermutlich irgendetwas Unbotmäßiges, was ich ganz furchtbar fand, gemacht oder gesagt hatte. Unsere Lehrerin, die ich tief verehrte, hat uns getrennt und mir dann erklärt, dass ein Mädchen so etwas nicht macht. Von da an war ich Frauenrechtlerin! (lacht) Denn ich fand es vollkommen ungerecht, dass ich so etwas nicht machen durfte. Reuß: Sie haben sehr früh, nämlich mit 15 Jahren, Ihren Vater verloren und später gesagt, er sei die zentrale Figur in Ihrer Familie gewesen: "Das hat mich sehr mitgenommen. Als Älteste von drei Schwestern sah ich mich plötzlich als Familienoberhaupt." Sie sind dann, wie Sie später ebenfalls gesagt haben, sozusagen überhaupt nicht mehr aufgefallen, denn Ihre Pubertät fiel quasi aus. Mussten Sie damals schneller als andere erwachsen werden? Haderthauer: Ja, schon. Denn unsere Familienstruktur war in der Tat so, dass ich nach dem Tod meines Vaters zum Familienoberhaupt wurde. Ich war einfach diejenige mit der größten Autorität – auch mit mehr Autorität als meine Mutter. Dadurch entsteht halt einfach eine Gruppendynamik und nach einiger Zeit ist es dann eben so. Aber eigentlich war das schon auch sehr merkwürdig: Einerseits sind solche Dinge wie die Pubertät regelrecht ausgefallen, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass dieses Erwachsenwerden, indem man sich von den Eltern absetzt, bei mir überhaupt nicht vorhanden war und ist. Zumindest meine Kinder behaupten nämlich, dass sie mich als jemanden erleben, der immer noch ein ganz großes Kind in sich hat. Reuß: Sie haben nach dem Abitur Jura studiert, und wenn man das alles so nachliest, kann man wirklich nur staunen ob Ihrer Kraft und Ihres Durchhaltevermögens. Sie wurden noch vor dem Ersten Staatsexamen schwanger und haben dann hochschwanger dieses Erste Staatsexamen gemacht. Haderthauer: Sie haben aber gut recherchiert. Reuß: Beim Zweiten Staatsexamen waren Sie dann bereits zweifache Mutter. Sie mussten also das alles unter einen Hut bringen: Familie, Studium und später den Beruf. Wie schafft man das? Wie ordnet man sich da? Hat man manchmal auch ein bisschen ein schlechtes Gewissen, mal in die eine und mal in die andere Richtung? Haderthauer: Das mit dem schlechten Gewissen kam erst später. Im Studium und im Referendariat ging das noch wunderbar. Sie haben soeben gesagt, dass ich das unter einen Hut bringen musste: Das war traumhaft schön, das war wirklich eine wunderschöne Zeit für mich. Mich stört es daher, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als etwas irgendwie Lästiges gesehen wird, wenn in der Öffentlichkeit darüber gesprochen wird. Ich frage mich dann oft, was Kinder denken, die dabei zuhören, denn sie müssen sich dabei ja quasi wie ein Hindernis vorkommen, das man irgendwie wegorganisieren muss. Nein, das war eine wunderschöne Zeit. Ich habe das selbstverständlich nicht alleine geschafft, sondern ich habe das mit meinem Mann im Team geschafft. Als Sozialministerin werde ich heute öfter mal gefragt, ob ich überhaupt wüsste, wie das ist, wenn man auf HartzIV-Niveau leben muss. Ich antworte dann immer: "Ja, das weiß ich, das habe ich jahrelang gemacht!" Aber das ist nicht das Thema dabei. Wir haben damals mit unserer Tochter in einer kleinen Studentenbude gelebt, aber das war Glück pur. Das war allerdings ein ständiges Organisieren, ein Arbeiten in der Nacht und am Wochenende. Aber wir haben das gemacht, was uns mit Sinn und Lust erfüllt hat. Wenn das so ist, dann kann man wirklich ganz viel Kraft mobilisieren. Reuß: Wenn ich es richtig nachgelesen habe, dann spielen Sie auch sehr gut Geige und Klavier. Kommen Sie denn noch dazu? Was bedeutet Ihnen Musik? Haderthauer: Musik bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich hatte als Kind neben dem Ballettunterricht Klavierunterricht. Weil ich dann wohl immer noch überschüssige Energie hatte, habe ich mit elf Jahren darauf bestanden, auch Geige spielen zu dürfen. Mein Vater hatte früher Geige gespielt und seine Geige lag wohlbehütet in irgendeinem schönen Schrank bei uns. Es hieß dann aber zunächst, das sei zu viel und ich würde doch schon zwei Mal in der Woche ins Balletttraining gehen, hätte Klavierunterricht und sei auch noch im Chor in der Schule. Aber ich wollte das unbedingt und habe das auch durchgesetzt und Geige gelernt. Ich bin dann auch ins Schulorchester gekommen und es war ein sagenhaftes Erlebnis, im Orchester zu spielen. Mit diesem Orchester haben wir wirklich große Sachen aufgeführt: Das hat mir wahnsinnig viel gegeben. Ja, Musik gehört bei mir unbedingt zum Leben mit dazu. Aber das wird leider zu wenig gelebt heutzutage bei unseren Kindern und Jugendlichen. Reuß: Es gibt diesen schönen Satz von Victor-Marie Hugo, der einmal gesagt hat: "Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann, worüber es aber unmöglich ist zu schweigen." Ich glaube, das hat man auch aus dem herausgehört, was Sie gerade gesagt haben. Sie sind dann auch politisch aktiv geworden, zunächst in der Frauen Union und 2002 wurden Sie dann in den Stadtrat von Ingolstadt gewählt. Es gibt dieses schöne amerikanische Sprichwort: "Die wahre Politik beginnt in der Kommunalpolitik." Was kann man denn von der Kommunalpolitik für die Landespolitik lernen? Haderthauer: Ganz, ganz, ganz viel! Eigentlich das ganze Gockelgetue! Nein, im Ernst, man lernt da z. B., was eine Sitzungsdynamik ausmacht. Ich habe allerdings nicht in der Frauen Union begonnen, sondern es begann in der CSU. Ich bin bereits als Studentin in die CSU eingetreten, und zwar schon damals in diesem Bewusstsein: "Die Bürgerlichen sind immer viel zu brav, zu redlich und zu still. Sie müssen endlich auch mal so 'unanständig' und so platt und damit wirkungsvoll argumentieren, wie das die Opposition ständig macht." Natürlich war Franz Josef Strauß ein ganz großer Motor damals – das ist übrigens kein Widerspruch zu meiner Äußerung bezüglich der Vorbildfunktion. Denn er war wirklich ein mitreißender Dynamiker mit den richtigen Inhalten. Ich war allerdings zuerst einmal in der Tat stillgelegt im Hinblick auf die Politik, weil man mit der Familie, mit der Ausbildung, mit dem Beruf und mit diversen Umzügen genug am Hals hat. So ist es dann eben bei mir zu diesem klassischen Quereinstieg gekommen: Bei mir ist dieser Quereinstieg geglückt dank eines unglaublich aufgeschlossenen Kreisverband der CSU vor Ort, dank einer großen Aufgeschlossenheit und Förderung durch Horst Seehofer, der damals mein Bundestagsabgeordneter gewesen ist, durch den damaligen Staatssekretär Hermann Regensburger und durch unseren damaligen Oberbürgermeister. Die tatsächliche "Reaktivierung" für die Politik ergab sich dann mit der Kommunalwahl im Jahr 2002. Kurz davor hatte ich allerdings schon den Vorsitz der Frauen Union übernommen und dort auch mal ein bisschen Leben in die Bude gebracht. Reuß: 2003 sind Sie als Direktkandidatin für den Wahlkreis Ingolstadt-Neuburg an der Donau in den Landtag gewählt worden, und zwar mit dem fantastischen Ergebnis von über 60 Prozent. Das war damals die Landtagswahl, bei der Ministerpräsident Edmund Stoiber die Zweidrittelmehrheit der Mandate für die CSU holen konnte. Ist es als Parlamentsneuling eher schwieriger, in eine Fraktion zu kommen, die eine solche Übermacht hat, weil es da nicht auf jede Stimme ankommt? Oder ist es vielleicht sogar leichter, weil man sich, weil es eben nicht auf jede Stimme ankommt, auch mal eine abweichende Meinung leisten kann? Haderthauer: Auch diesbezüglich ist es sehr schön, wenn man kommunalpolitisch verankert ist, weil man nämlich dadurch auch diese Sache für sich bereits abgeklärt und erprobt hat. Das mit der abweichenden Stimme ist für mich allerdings kein Thema, denn ich habe ja vorhin bereits gesagt: Ich bin eine heftige Diskutantin, die für andere manchmal auch anstrengend sein kann, d. h. ich bringe in die Diskussionen meine abweichenden Äußerungen sehr leidenschaftlich ein. Aber wenn ich es nicht schaffe, meine Positionen einfließen zu lassen in die Gesamtmeinung, dann habe ich nicht den Anspruch an mich, nicht mehr mitstimmen zu können, weil das nicht meine Meinung ist. Denn dann wären wir nicht mehr handlungsfähig. So etwas können sich die Freien Wähler erlauben, ich jedoch halte das nicht für einen geeigneten demokratischen Ansatz. Nein, ich gehe, auch wenn ich mich nicht durchsetzen konnte, als gute Demokratin mit – außer es geht um irgendwelche existenziellen Gewissensfragen, aber da gibt es bei uns sowieso nie einen Fraktionszwang. Ansonsten kam es für mich jedenfalls nie infrage, anders als die Fraktion abzustimmen. Das war also das geringste Problem. Schwierig war hingegen, dass es der Fraktion insgesamt nicht gut getan hat, dass wir diese große Zweidrittelmehrheit hatten. Das war aber der Beginn meiner Abgeordnetenzeit im Landtag und deswegen hat mich das damals doch sehr geprägt. Reuß: Nachdem die Union die Bundestagswahl 2005 knapp gewonnen hatte, erklärte der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber, er würde nach Berlin gehen und dort ein Superministerium übernehmen. Er hat sich dann aber im Laufe der Koalitionsverhandlungen doch anders entschieden und blieb in München. Dies hat zu heftigen Turbulenzen geführt innerhalb der CSU, denn seine Nachfolge war eigentlich fast schon geregelt gewesen. Schließlich gab er dann ein wenig gedrängt von der Landtagsfraktion der CSU sein Amt auf und im Oktober 2007 wurden Günther Beckstein Ministerpräsident, Erwin Huber Parteivorsitzender und Sie zur Generalsekretärin Ihrer Partei berufen. Kam diese Berufung für Sie überraschend? Haderthauer: Zu diesem Zeitpunkt kam die Berufung dann nicht mehr überraschend, weil eine solche Berufung ja doch einen wochenlangen Gesprächs- und Entscheidungsprozess voraussetzt – übrigens auch auf meiner Seite. Als ich das das erste Mal mitbekommen habe, bin ich im Grunde genommen nicht aus allen Wolken gefallen, denn Erwin Huber hatte mich ja im Wirtschaftsausschuss, in dem ich als einzige CSU-Frau gesessen habe, oft erlebt. Dorthin war ich berufen worden, da ich vor meiner Zeit im Landtag eine eigene Rechtsanwaltskanzlei aufgebaut hatte und selbstständig tätig gewesen bin. Und auch Günther Beckstein und die Fraktion hatten mich erlebt. In dieser Situation war ich jedenfalls mal ganz männlich: Die Männer sagen ja immer, wenn ihnen ein Posten angeboten wird, warum man nicht schon viel früher auf sie gekommen sei. Demgegenüber fragen die Frauen zuerst immer: "Oh, kann ich das überhaupt?" In dieser Situation habe ich mich doch eher ein wenig männlich verhalten. (lacht) Reuß: Sie gelten als sehr eigenständiger Kopf, aber nicht unbedingt als Scharfmacherin. Theo Waigel hat über die Eigenschaften eines Generalsekretärs einmal folgendes schöne Wort geprägt: "Mut braucht er, Durchsetzungsvermögen, Erfahrung im Management, Gespür für den sozialen Wandel. Aber er muss auch der Minenhund der CSU sein. Er darf daher nicht zu zart besaitet sein." Erwin Huber meinte zu diesem Amt, er müsse den Truppen voranmarschieren und die Lufthoheit über den Stammtischen verteidigen. Die Generalsekretäre hatten in der Presse oft auch Beinamen, Edmund Stoiber z. b. galt als das "blonde Fallbeil", Markus Söder galt als "Lautsprecher". Sie selbst haben sich hingegen als "Botschafterin" bezeichnet. Diese Bezeichnung klingt für eine Generalsekretärin doch etwas ungewohnt. Wie war denn Ihr Selbstverständnis in diesem Amt? Haderthauer: Mein Selbstverständnis war nicht das des Minenhundes oder des Scharfmachers, weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass diese Zeiten vorbei sind. Ich habe das auch schon früher als "Politikkonsumentin", die ich in meinem früheren Leben eben auch gewesen bin, nicht wirklich als der Sache förderlich erachtet. Ich denke, ich habe deswegen auch eher diesen Stil des Überzeugens gewählt: Ich will nicht überschreien, sondern überzeugen. Ich habe deswegen plötzlich auch von Menschen, die sich gar nicht mehr so mit dem CSU-Wählen beschäftigt hatten, Rückmeldungen bekommen. Sie haben gesagt: "Wir sind inhaltlich sehr wohl bei euch, aber uns hat einfach der Stil nicht mehr gefallen." Deswegen glaube ich, dass es gar nicht so schlecht gewesen ist, hier auch mal anders vorzugehen: Wenn das schon mal eine Frau macht, dann war es auch sinnvoll, in diesem Amt einen anderen Stil zu fahren. Andererseits hat man nicht wirklich die Wahl: In so einem Amt, genauso wie in dem Amt, das ich heute bekleide, kann man überhaupt nur dann erfolgreich sein, wenn man authentisch ist. Das heißt, diese Wahl stellte sich für mich im Grunde genommen gar nicht, denn dieses Amt muss man aufgrund der eigenen Überzeugung so prägen und ausfüllen, wie man es selbst für richtig hält. Reuß: Heinrich Lummer, der ehemalige Innensenator von Berlin, meinte einmal: "Konservativ heißt nicht die Asche, sondern das Feuer zu bewahren." Sie selbst haben gesagt: "Konservativ ist, dass wir den Menschen aufzeigen, wie sie die Werte Familie, Ehe und Zeit für Kinder in der heutigen Welt leben können." Aber Sie haben auch gesagt: "Die Debatte über ein konservatives Profil bewegt sich auf einem viel zu abstrakten Niveau." Würden Sie denn von sich selbst sagen, Sie seien eine konservative Politikerin? Und wenn ja, was heißt für Sie konservativ? Haderthauer: Ich bin durch und durch konservativ. Aber weil sich die Debatte ständig auf einem so abstrakten Niveau bewegt, versteht auch jeder etwas anderes unter "konservativ". Deswegen beantworte ich auch gleich Ihre zweite Frage. Konservativ heißt für mich, das Leben jetzt zu gestalten, und zwar auf der Basis unserer Werte. Das betrifft nicht nur die Familie, sondern z. B. auch die Ordnungspolitik. Denn auch hier versündigen wir uns ja ständig an so sinnvollen Grundsätzen wie der Subsidiarität: "Lass die kleine Einheit machen, was die kleine Einheit machen kann! Misch dich nicht ständig ein mit irgendwelchen Reglementierungen! Lass die einfach mal arbeiten und mach du das, was deins ist!" Denn es ist einfach so, dass der Staat heutzutage so viele ordnungspolitische Sünden macht wie schon lange nicht mehr – weil es ihm halt einfach viel zu gut geht und weil er denkt, dass er nur über ständiges Aktivsein irgendwie Wählerstimmen gewinnt, anstatt endlich mal ganz klar und sauber Verantwortungen zuzuordnen. Ja, und inhaltlich geht es mir wirklich um diese Werte: um das Übernehmen von Verantwortung, um die Familie. Hier geht es mir nicht um die Strukturen, sondern darum, was in den Familien wirklich passiert. Diese persönliche Bindungsarbeit, dieses persönliche Bindungsgeschehen kann man nicht outsourcen an professionelle Pflegekräfte oder professionelle Erzieher. Es geht dabei auch um die Frage, was in der heutigen Zeit für uns eigentlich Bildung ist. Das ist nämlich, wenn wir es richtig machen, etwas ganz anderes als früher. Das dann aber auch in politische Maßnahmen umzusetzen, ist mir ein Anliegen. Wir hatten vorhin über Prävention statt Reparatur gesprochen: Auch das ist eine ganz klare Wertorientiertheit. Und das ist für mich konservativ. Dies alles muss jedoch bitte schön in die Moderne gebracht werden, d. h. es bringt nichts, diesbezüglich nur von alten Zeiten zu schwärmen. Reuß: Sie mussten, frisch im Amt und kaum eingearbeitet, als Generalsekretärin gleich zwei Wahlen organisieren: zuerst die Kommunalwahlen und dann die Landtagswahl im September 2008. Diese Wahl war ein Debakel für die CSU, sie verlor 17 Prozent und rutschte von über 60 Prozent auf 43 Prozent ab. Man sprach von einem Erdrutsch und Sie selbst mussten in Ihrem Wahlkreis ebenfalls eine Einbuße von 20 Prozent hinnehmen. Sie haben vorhin bereits gesagt, dass diese Zweidrittelmehrheit gar nicht so gut gewesen sei und dass sie zumindest in der Wahrnehmung der Menschen vielleicht auch ein wenig zu Übermut geführt hat. Sie haben nach dieser Wahl genauso wie der Parteivorsitzende Ihr Amt zur Verfügung gestellt. Sie haben gesagt: "Mit einer solchen Wahlniederlage geht automatisch einher, dass man sein Amt zur Verfügung stellt. Das ist eine berechtigte Erwartung der Menschen und der Parteibasis." Wenn Sie zurückblicken: Was waren denn Ihrer Meinung nach die größten Fehler, die zu dieser Wahlniederlage geführt haben? Haderthauer: Das waren eigentlich längerfristige Entwicklungen. Ich habe bis heute – sogar von vielen, die es möglicherweise nicht so gut mit mir meinen – noch kein einziges Mal gehört, dass jemand da oder dort einen brachialen Fehler gemacht habe, dass z. B. ich hier oder dort einen brachialen Fehler gemacht hätte, der das Wahlergebnis beeinflusst hat. Nein, aus meiner Sicht hatte das mit Entwicklungen zu tun, die bereits sehr viel früher – also noch vor den Jahren 2007 und 2008 – begonnen hatten und die dann auch nicht mehr aufgehalten werden konnten, die z. T. sogar noch vertieft wurden. Ich kam mir während dieses ganzen Jahres oft ein bisschen vor wie jemand, der versucht, mit einem Schlauchbootmotor die "Titanic" auf anderen Kurs zu bringen. Aber das sind natürlich Dinge, bei denen man eben eine gewisse Schuss- und Krisenfestigkeit braucht. Die bringt man aber auch mit – wenn ich das so flapsig ausdrücken darf –, wenn man schon mal Kinder geboren, ein Haus gebaut und einen Betrieb aufgebaut hat usw. Mir hat das alles jedenfalls in diesen Momenten sehr, sehr geholfen. Man versucht dann halt einfach, die Dinge so gut wie möglich zu machen. Ich persönlich habe sehr viel aus dieser Zeit mitgenommen: vieles an Netzwerken, an reicher Kenntnis über die Partei, an vielen Verbindungen in die Parteibasis hinein. Ich habe auch viel über Strömungen und Empfindungen in der Partei mitbekommen. Ich hatte das auch vorher schon ein wenig mitbekommen, aber diese Wahrnehmung hat sich dann noch sehr verstärkt in diesem Jahr, weil ich aufgrund der beiden Wahlkämpfe eben auch unglaublich viel herumgekommen bin im Land. Reuß: Ich würde Ihnen gerne ein paar Sätze halb vorgeben mit der Bitte, dass Sie sie beenden. Wenn ich sagen müsste, ob ich meinen Rücktritt vom Amt der CSU-Generalsekretärin eher bedauert oder eher bereut habe, dann antworte ich … Haderthauer: … dass dieser Rücktritt damals absolut zwangsläufig gewesen ist. Aber ich habe ihn nicht persönlich genommen. Reuß: Wenn ich gefragt werde, ob die Steigerung Freund, Feind, Parteifreund stimmt, dann sage ich … Haderthauer: … dass das immer so ist, wenn es um Macht geht. Das ist daher auch nicht alleine nur in der Politik so. Reuß: Wenn Horst Seehofer sagt, Politik sei so etwas wie eine Sucht, dann … Haderthauer: … hat auch das mit erfüllendem Berufsverständnis zu tun und nicht alleine mit der Politik. Aber der sehr ausfüllende Charakter ist in der Politik absolut gegeben. Reuß: Barbara Stamm, die jetzige Präsidentin des Bayerischen Landtags, sagte einmal: "Ich habe mir in der CSU mitunter auch schwer getan." Gilt das für Sie auch? Haderthauer: Ja, natürlich. Aber das betrifft auch wieder nicht nur die CSU, das ist immer so, wenn man in einem Beruf nach oben kommt. Reuß: Wir sind bereits fast am Ende unseres Gesprächs, weswegen ich jetzt gerne noch einmal ein bisschen persönlich werden möchte. Wenn man als Politikerin von Termin zu Termin hetzt, wenn man derart im Tagesgeschäft gefangen ist, dann gibt es, wie ich vermute, auch dabei ab und zu Erlebnisse, die einen nachdenklich machen. Mitte September 2010 sind Sie, von einem Termin zurückkommend, auf der Autobahn gefahren und wurden sogar noch überholt von der Wagenkolonne des Ministerpräsidenten, als Ihnen plötzlich ein Geisterfahrer entgegenkam. Zum Glück ist nichts passiert, die Fahrer konnten rechtzeitig ausweichen. Aber Sie haben später gesagt, dass einem da doch der Atem stocke. Wird man danach ein bisschen nachdenklicher und fragt sich, warum man das alles macht? Haderthauer: Man wird sehr nachdenklich und das ist auch etwas, das so tief drinsitzt, dass das bei mir erst am Wochenende danach so richtig hochgekommen ist, als ich zwischen all den Terminen endlich mal ein bisschen Luft hatte. Wir haben unmittelbar danach eigentlich business as usual gemacht, weil das ja auch gar nicht anders geht. Bei mir war es so, dass es mir dann aber an diesem darauffolgenden Wochenende richtig schlecht ging. Dazu hat aber auch beigetragen, dass diese Sache in der Presse so hochgekommen ist. Offenbar ist es nicht möglich, so etwas unter der Decke zu halten. Ich kam am Donnerstag aus Berlin und hatte hier in München dann gleich zwei Pressekonferenzen, allerdings zu ganz anderen Themen. Aber die Journalisten halten einem dann doch genau zu diesem Vorfall das Mikro unter die Nase. Ich wollte dann auch nicht so vorgehen, dass ich dazu nichts sage, denn dass die Bevölkerung an so etwas Anteil nimmt, ist ja ganz klar. Aus diesem Grund ist dieses Erlebnis dann aber auch in mir noch einmal ganz anders hochgekommen. Aber die Frage, warum ich das mache, was ich mache bzw. was ich da eigentlich mache, hat sich für mich deswegen überhaupt nicht gestellt. Ich empfinde das Dasein als Politikerin als ausfüllende und sehr sinnvolle Tätigkeit für mich. Wenn das nicht mehr der Fall wäre, dann würde ich damit aufhören. Reuß: Das war ein schönes Schlusswort. Ich würde gerne, wenn Sie erlauben, unser Gespräch mit einigen Kurzbeschreibungen beenden, wie man sie in der Presse über Sie lesen kann. "Christine Haderthauer hat ein Gespür dafür, was die Menschen im Land bewegt. Die Parteidisziplin ist ihr dabei manchmal egal", so der "Donaukurier". "Sie ist charmant in der Art und konsequent in der Sache", so die "Nürnberger Nachrichten". Und die "Welt" schrieb über Sie: "Christine Haderthauer ist schnell, smart und zäh, freundlich und obendrein noch aufgeräumt." Dem ist nichts hinzuzufügen. Noch einmal ganz herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-Forum, heute mit Christine Haderthauer, der Bayerischen Staatsministerin für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen. Herzlichen Dank für Ihr Interesse, fürs Zuschauen und fürs Zuhören, und auf Wiedersehen. © Bayerischer Rundfunk