Deep House aus Deutschland
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Deep House aus Deutschland
musikmarkt 02|15 recorded music 24_31_dance_Z 03.02.15 13:30 Seite 24 dance Herr Schulz, übernehmen Sie! Entspannte Grooves dominieren die Dancefloors von Lissabon bis Sydney. Eine junge Generation deutscher Deep-House-Produzenten erobert weltweit die Charts. Robin Schulz und Co. begeistern ein junges Publikum für elektronische Musik und verhelfen der „Dance Nation Deutschland“ zu neuem Renommee. | Junge DJs wie der Osnabrücker Robin Schulz sorgen weltweit für volle Dancefloors | Foto: Max Lacome Dass deutsche Elektro-Künstler weltweit einen guten Ruf genießen, ist nicht neu. Von Kraftwerk über Paul van Dyk bis Paul Kalkbrenner, vom Tresor über die „Mayday“ bis zum Berghain – Deutschland hat sich längst als wichtiger Impulsgeber im Bereich der elektronischen Musik etabliert. In den letzten zwei Jahren machte sich eine junge Riege von Nachwuchs-DJs aus Deutschland einen Namen. Allen voran Robin Schulz. Der 27-Jährige aus Osnabrück landete mit seiner Version von „Prayer In C“ des französischen Folk-Duos Lilly Wood & The Prick den Som- 24 merhit 2014 und schaffte es in 18 Ländern auf Platz eins der Charts. Bereits mit seinem Remix von „Waves“ des niederländischen Rappers Mr. Probz hatte es Robin Schulz auf die Pole Position der Hitlisten in GSA geschafft. Und sogar im derzeit in Sachen House-Musik verwöhnten Großbritannien erreichte der deutsche Senkrechtstarter die Chartsspitze. Mit beiden Remixen notiert Robin Schulz zudem in den Top 10 der deutschen Single-Jahrescharts. Remixe und Tracks von deutschen House-Produzenten wie Robin Schulz, Felix Jaehn oder Alle Farben dominieren europaweit die Charts. Mit hartem Techno oder kühlen MinimalBeats hat dieser neue Dance-Sound nichts zu tun. Stattdessen kombinieren die Newcomer entspannte, warme House-Grooves mit simplen, eingängigen Melodien – und schrecken selbst vor Querflöten- oder Saxofon-Soli nicht zurück. Es ist eine sanfte Mainstream-orientierte Variante von Deep House, einer, vereinfacht gesagt, langsameren und melodiösen Stilart von House, deren Ursprünge in Chicago liegen. Ein weiteres Merkmal vieler dieser neuen Produktionen: Die Kombination einer klassi- schen, oft folkigen Singer/Songwriter-Nummer mit typischen Deep-House-Elementen. Wankelmut hat es vorgemacht. Der Berliner DJ löste mit seinem Remix des Stücks „One Day/Reckoning Song“ – im Original vom israelischen Singer/Songwriter Asaf Avidan – via Soundcloud einen Internet-Buzz aus. Im Sommer 2012 wurde der Song offiziell als Single veröffentlicht und avancierte daraufhin zum Smash-Hit im deutschsprachigen Raum. Zahlreiche ähnliche Produktionen folgten. Neben Wankelmut und Robin Schulz landeten auch andere europäische Produzenten, darunter der Berliner Alle Farben, der Niederländer Bakermat, die beiden österreichischen Duos Klangkarussell und FlicFlac sowie die französischen DJ-Projekte Klingande und The Avener, mit ihren radiotauglichen House-Nummern in den Hitparaden. Aktuell mischt Felix Jaehn mit seinem Remix des Reggae-Songs „Cheerleader“ von OMI die Charts auf. Und Newcomer wie die beiden Kontor-Signings Lexer und Gestört aber GeiL stehen ebenfalls in den Startlöchern. Während Szene-Connaisseure den neuen Sound als harmlose Wartezimmer-Hintergrundmusik bezeichnen, können Konsumenten allem Anschein nach kaum genug davon kriegen. Woher kommt dieses Wiederaufleben von Deep House in einer „softeren“, am Mainstream orientierten Version? Will Saul, der von London aus für das Berliner Indie-Label !K7 als A&R und selbst als DJ tätig ist, sieht die Ursprünge in UK. Dort stürmten in den vergangenen Jahren Acts wie Disclosure, Rudimental, Brach und MK sowie Route 94, Clean Bandit und Gorgon City mit HouseTracks die Top 10 der britischen Charts. Gleichzeitig ist es überall auf der Welt aufgrund der technologischen Entwicklungen einfacher und günstiger geworden, Musik zu produzieren. Gerade im Bereich elektronischer Musik reduziert sich das Equipment oft auf Laptop und ein paar Controller, wenig Hardware. Elektronische Musik habe sich in ihren Schwerpunkten schon immer in Wellen bewegt, meint Sven Väth, der bereits seit über drei Jahrzehnten als DJ tätig ist. „Nachdem es die letzten Jahre mit ,Minimal Techno’ eher ,unterkühlt’ auf den Dancefloors zuging, wünschen sich viele nun wieder mehr Wärme und Soul.“ Vor allem Kids würden den neuen Sound mögen. Neu ist vor allem die Kommerzialisierung: „Deep House gibt es schon seit vielen Jahren in diversen Sub-Genres, aber erst seit kurzer Zeit werden die Sound-Elemente auch im Pop Bereich akzeptiert“, erläutert Alexander Kralisch, Manager A&R Polydor Island bei Universal Music. Ob sich die neue Stilrichtung auf Dauer etablieren kann, wird sich zeigen. „Dass sich daraus ein eigenes Genre entwickeln wird, glaube ich nicht“, meint Wolfgang Boss, der früher selbst als DJ und Clubmanager arbeitete und heute von London aus als Executive Vice President A&R für Sony Music International tätig ist. „Aber die Verbindung von echten Pop-Songs und Dance-Produktionen wird sich sicherlich langfristig etablieren. Diese Songs – ob nun Deep oder Melodic Verbindung von Pop-Songs und Dance-Produktionen wird sich langfristig etablieren House genannt – werden nicht über die Clubszene, sondern von Radiosendern groß gemacht.“ Tatsächlich hat bei den Sendern ein Umdenken stattgefunden: Während Tracks etwa von Wankelmut vor einigen Jahren nicht im Tagesprogramm gespielt worden wären, kann man mittlerweile einen Deep-House-Song auch im Radio breaken – vorausgesetzt, die Qualität stimmt. Eine ähnliche Entwicklung machte laut Wolfgang Boss auch EDM durch: „Früher funktionierten die Tracks vor allem im Club, erst durch die Zusammenarbeit mit bekannten Popstars und Pop-Musikautoren entstanden radiotaugliche Songs.“ So arbeitete Top-DJ Avicii mit Soul-Sänger Aloe Blacc sowie Bluegrass-Musiker Daniel Tyminski zusammen und stürmte die Charts. In Deutschland kam Dance-Repertoire 2013 auf 3,5 Prozent Umsatzanteil am Gesamtmarkt. Zum Vergleich: Schlager verzeichnete 5,8, Klassik 7,2 Prozent (s. Grafik. S. 26). Der relativ geringe Anteil mag auch damit zusammenhängen, dass zahlreiche Dance-Produktionen der Kategorie „Pop International“ zugeordnet werden. „Dadurch erhält das Wachstum der letzten Jahre im Dance-Bereich kein Gesicht und der Erfolg vieler Dance-Acts spiegelt sich in den Marktanteilen gar nicht wider“, kritisiert Jens Thele, Chef des auf Dance spezialisierten Labels Kontor Records (s. Interview S. 30). 38 Prozent aller Umsätze mit Dance-Produkten wurden 2013 von den 30- bis 39-Jährigen erwirtschaftet, wie es im BVMI-Jahrbuch heißt. Die Gruppe ist im Vergleich zu 2012 sprunghaft angestiegen, während sich die Käufergruppe der 20- bis 29-Jährigen von 27 auf 19 Prozent verkleinert hat. Laut BVMI in- teressieren sich deutlich mehr Männer als Frauen für Dance-Musik. Hierzulande erfreuen sich CDs nach wie vor großer Beliebtheit bei den Konsumenten, das physische Geschäft ist stark. Dance ist jedoch – vor allem im Vergleich zu Rock- und Popmusik oder Schlager – ein digital getriebenes Genre, die Dance-Community ist sehr Internet-affin. Track-Downloads und Streams dominieren. „Nur wenige Ausnahmen, wie beispielsweise Avicii und David Guetta, erzielen einen höheren physischen Anteil – auch in Bezug auf Alben. Aber auch hier ist der digitale Anteil deutlich höher als in anderen Genres“, erläutert Frank Engel, Labelhead/Senior Director Marketing Polydor/Island. „Potenzial für physische Singles gibt es nur bei den richtig großen Hit-Singles.“ Die Berliner Agentur Guesstimate, die u.a. den Berliner DJ Alle Farben betreut, fährt viele Releases nur digital. „Gerade für Nachwuchskünstler ist das Digital-Only-Geschäft super“, betont Agentur-Chef Martina Heuser. Durch die Vermeidung von Produktionskosten sinke das finanzielle Risiko beim Label und somit der Erwartungsdruck. Durch ihre Internet-Affinität entdecken Dance-Fans gern neue Musik. „Sie beschränken sich weniger auf etablierte Künstler und sind immer auf der Suche nach neuen Acts“, so Wolfgang Boss. „Es gibt kaum einen Dance-Hit, der nicht vor dem offiziellen Release in irgendeiner Form im Internet kursierte.“ Die meisten der jungen DJ-Produzenten setzen auf den Streaming-Dienst Soundcloud, um ihre Musik erstmals bei einem interessierten Publikum zu testen. Die Musik-Plattform dient als Trend-Barometer (s. S. 31). musikmarkt 02|15 dance recorded music 24_31_dance_Z 03.02.15 13:30 Seite 25 Dance ist im Vergleich zu Pop/Rock und Schlager ein digital getriebenes Genre Gerade im Streaming-Bereich sind Dance-Artists ganz vorne mit dabei. Einer der meistgestreamten – und laut „Forbes“ bestbezahlten – EDM-Künstler weltweit ist derzeit Calvin Harris. „Auch Avicii und David Guetta sind beim Streaming überproportional erfolgreich und bei neueren Künstlern wie Kygo wird Streaming noch dominanter“, so Wolfgang Boss von Sony Music. Auch für deutsche Künstler sind Spotify und Co. durchaus eine lukrative zusätzliche Ein- 25 dance nahmequelle – sofern sie von anderen zu unterbereits bekannt sind und scheiden, dass diese bereit sich eine Fanbase aufgesind, sie zu unterstützen, baut haben. „Prayer In meint Martin Heuser von C“ von Robin Schulz Guesstimate. zum Beispiel wurde über Das ist zahlreichen deut180 Millionen Mal gestreschen Indie-Labels gelunamt. Auch andere deutgen. Kompakt, Get Physische Künstler, die musical, Gomma Records oder kalisch nichts mit dem Bpitch Control haben sich aktuellen Trend zu tun in den vergangenen Jahrhaben, sind bei Spotify zehnten international eigefragt. So wurde Fritz nen Namen gemacht und Kalbrenners Track „Fastehen jeweils für einen cing The Sun“ bei Spotify charakteristischen Sound. bislang über 3,5 Millio- | Dance kommt im Gesamtmarkt auf 3,5 Prozent Umsatzanteile | Grafik: BVMI, Quelle: GfK Panel Services „Wir machen mit Passion nen Mal gestreamt. „Das Musik und veröffentlichen ist natürlich eine große Zahl“, so der Berliner dreas Weitkämper, A&R Director bei Warner Pop/Electronic-Musik von neuen Künstlern, Produzent, „aber die Deals bewegen sich Music Central Europe. Das sieht Mathias Mo- die wir selber spannend finden“, erklärt Manach wie vor im Cent-Bereich. Deshalb kann dica, Chef des stilprägenden Münchner La- thias Modica. Auch bei !K7 wird Wert darauf man sich in etwa ausrechnen, wie wenig rele- bels Gomma Records, der selbst unter dem gelegt, lediglich mit Künstlern zusammenzuvant Spotify für viele Künstler ist, die nur auf Pseudonym Munk auflegt, anders: „Jedes ge- arbeiten, zu denen ein persönlicher Bezug bewenige Plays kommen.“ hörte Stück ist Werbung. Es kann gar nicht ge- steht. „Wir versuchen nicht, irgendetwas zu Die Vorliebe von Fans elektronischer Musik nug geklaut werden!“ fabrizieren, um uns damit auf diesen Minifür digitale Kanäle bringt auch Risiken mit Boom zu setzen und mehr Geld verdienen zu sich. Stichwort: illegale Downloads. „Die Indies mit viel Know-how können“, so Marie Clausen, Head of Global hohe Technologie-Affinität des Genres und Da viele Songs illegal umsonst erhältlich sind, Sales & Marketing des Indie-Labels !K7. „Am seiner Zielgruppen trägt dazu bei, dass dieses ist es für Labels wichtig, sich für den poten- besten ist es, nicht auf die Konkurrenz zu bliProblem eher größer zu bewerten ist“, so An- ziellen Käufer so klar zu positionieren und cken und seinem eigenen Thema treu zu blei- interview musikmarkt 02|15 recorded music 24_31_dance_Z 03.02.15 13:30 Seite 26 Wolfgang Boss (Sony Music): „Dance ist in Deutschland im Mainstream angekommen“ Wolfgang Boss: Der Boom ist hier nicht neu. Dance-Musik ist in England schon seit langer Zeit fester Bestandteil der Popkultur und das spiegelt sich dementsprechend auch in den Verkaufscharts wider. Das hat insbesondere damit zu tun, dass der nationale Sender BBC Radio 1 Dance unterstützt. Auch die Tageszeitungen zeigen Interesse an dem Thema. Dance hat hier einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, noch mehr als in Deutschland. Aber auch in Deutschland ist kommerzieller Dance mittlerweile im Mainstream angekommen. | Wolfgang Boss, Executive Vice President A&R Sony Music International | Foto: Sony Music musikmarkt: In Deutschland ist das physische Geschäft nach wie vor sehr dominant. Wie sieht es im Dance-Segment aus? Wolfgang Boss: Das Dance-Geschäft ist ja sehr stark Single-driven. Und bei Singles spielt die physische CD weitgehend keine Rolle mehr. Deutschland ist der einzige Markt, in dem physische Singles überhaupt noch relevant sind. In England oder Frankreich spielt das Format kaum noch eine Rolle. Die physische Variante hat nur noch bei den Alben eine Bedeutung. musikmarkt: Beobachten Sie in UK einen ähnlichen Boom in Sachen Dance-Musik? 26 musikmarkt: Jens Thele von Kontor Records kritisiert, dass Dance oft unter die Sparte Pop fällt und dadurch an Aufmerksamkeit verliert. Sehen Sie das ähnlich? Wolfgang Boss: Die Genres vermischen sich eben immer mehr. US-Künstler wie Chris Brown kommen ja ursprünglich aus der R’n’B-Sparte. Heute landen sie ihre größten Hits mit 128-BPM-Tracks, die europäischen Produktionen nachempfunden sind. Viele Popsongs klingen heute nach Dance-Musik. Da lassen sich keine genauen Grenzen mehr ziehen. musikmarkt: Welche Position nimmt Deutschland als Dance-Standort im internationalen Vergleich ein? Wolfgang Boss: Früher galten Dance-Acts aus Deutschland in UK als weniger cool. Formationen wie Scooter oder Cascada waren in England zwar kommerziell sehr erfolgreich, wurden von vielen Briten jedoch nicht sehr ernst genommen. Das hat sich inzwischen geändert. Es gibt eine neue Generation junger deutscher Deep-House-Produzenten, die sehr respektiert wird. Auch in anderen Sub-Genres elektronischer Musik wie etwa Techno sind die Deutschen in England hoch angesehen. Das Image deutscher Dance-Produktionen hat sich gewandelt. musikmarkt: Welches sind die wichtigsten Absatzmärkte für deutsches Dance-Repertoire? Wolfgang Boss: Da Songs übers Internet über Grenzen hinweg verbreitet werden und die Radiostationen darauf achten, was in anderen Ländern läuft, ist der europäische Markt mittlerweile recht homogen. Es gibt kaum noch erfolgreiche Dance-Produktionen, die lokal steckenbleiben. Natürlich sind Deutschland und Großbritannien – Europas größte Musikmärkte – auch die wichtigsten Absatzmärkte. Dann folgen Frankreich, Benelux und Italien. | rw Das komplette Interview: www.musikmarkt.de/-339463 | Wolfgang Boss, früher selbst als DJ und Clubmanager aktiv, ist Inhaber des Sony-Music-Joint-Venture-Labels B1 Recordings und von London aus als Executive Vice President A&R für Sony Music International tätig. Er feierte u.a. Erfolge mit Dance-Projekten wie Klingande, Bob Sinclar, Bakermat und Alle Farben. ben, sonst besteht die Gefahr, dass man in ein fremdes Fahrwasser gerät und sich irgendeinem Trend anschließt, was dann weder glaubhaft noch langlebig ist.“ Neben den Indie-Labels setzen auch die Majors wieder verstärkt auf Dance-Repertoire. Synergien werden geschaffen. Warner Music habe sich bereits vor fünf Jahren auf internationaler Ebene ein Dance-Label-Netzwerk aufgebaut, so Andreas Weitkämper. „Dieses besteht aus spezialisierten Imprints unseres Hauses, die in allen relevanten Key-Märkten etabliert wurden.“ So hat Warner in den USA das Label Big Beat von Atlantic Records wiederbelebt. „In UK wurde ffrr reaktiviert und One More Tune gegründet. Außerdem wurden die Labels Bromance in Frankreich und Bitclap in Deutschland aus der Taufe gehoben“, so Weitkämper. Letztes Jahr hat Warner Music ein Joint Venture mit WePLAY gegründet. Gemeinsam etablierten der Hamburger Major und die Kölner Dance-Spezialisten Robin Schulz. Künftig soll das gemeinsame Repertoire durch das Warner-Music-Dance-Network global vermarktet werden. Auch Universal Music verfügt über eine langjährige Tradition, was Dance-Signings anbelangt. Das Zeitgeist-Label zum Beispiel konzentrierte sich bereits vor über 15 Jahren auf das Genre. die über langjähriges Know-how verfügen und Künstler langfristig aufbauen, gelten jedoch nach wie vor als wichtigste Impulsgeber. „Kontor hat in diesem Bereich einen sehr guten Job gemacht“, so Frank Engel von Universal Music. Das Hamburger Label konzentriert sich seit über 20 Jahren ungeachtet von kurzlebigen Trends auf elektronische Musik und war maßgeblich daran beteiligt, DanceMusik „Made In Germany“ zu fördern. musikmarkt 02|15 dance recorded music 24_31_dance_Z 03.02.15 13:30 Seite 27 Go West! | Wankelmut brachte den Stein mit seinem Remix von „One Day/Reckoning Song“ ins Rollen | Foto: Klaus Westermann „Das Interesse der Majors ist ein Indikator dafür, wie viele Menschen mit Dance-Musik erreicht werden“, so Martin Heuser von Guesstimate, die für Alle Farben einen Deal mit dem Sony-Music-Joint-Venture-Label B1 Recordings vereinbarten. „Die Expertise der Indies und die Kraft der Majors bewegen sich aufeinander zu.“ Bereits in der Vergangenheit gab es immer wieder „Dance-Wellen“, auf welche die Majors mit eigenen Departments und Sub-Labels reagierten. Die spezialisierten Indie-Labels, Deutsches Dance-Repertoire ist weltweit gefragt. Die wichtigsten Absatz-Märkte sind vor allem die europäischen Länder – Frankreich, Italien, Benelux und natürlich Großbritannien (s. Interview S. 26). Der europäische Markt ist in den vergangenen Jahren homogener geworden, da Songs dank des Internets über Grenzen hinweg verbreitet werden und die jeweiligen Radiostationen darauf achten, was in anderen Ländern läuft. „Es gibt kaum noch erfolgreiche Dance-Produktionen, die lokal steckenbleiben“, so Wolfgang Boss. Einem Künstler in den USA zum Durchbruch zu verhelfen, ist allerdings nach wie vor sehr schwierig. Viele Songs, die in Europa SmashHits waren – etwa von Klingande oder Bakermat – konnten in Amerika nicht richtig Fuß 27 musikmarkt 02|15 recorded music 24_31_dance_Z 03.02.15 13:30 Seite 28 dance fassen. Um den US-Markt zu knacken, ist eine starke Konzeption gefragt, meint Marie Clausen von !K7. Das 1985 in Berlin von Horst Weidenmüller gegründete Label hat sich über die Jahre ein breites Netzwerk aufgebaut und u.a. Büros in New York und London eröffnet. Präsenz vor Ort ist eine der zentralen Voraussetzungen, um im US-Markt überhaupt eine Chance zu haben. „Unsere Teams in den Staaten konzentrieren sich vor allem darauf, neue Künstler im amerikanischen Markt bekannt zu machen und maßgeschneiderte Marketing-Kampagnen für diesen Markt vorzubereiten“, so Clausen. Wieso ist es so schwierig, den amerikanischen Markt im Dance-Bereich trotz des riesigen Erfolgs in Europa zu knacken? „Das ist durch die Struktur des Marktes bedingt“, erläutert Wolfgang Boss. „Die Musik wird ja letztendlich nicht über die Clubs oder das Internet, „Es ist eher so, dass die deutsche Szene die amerikanische mit neuen Impulsen versorgt“, fügt Andreas Weitkämper hinzu. „So werden mittlerweile z.B. deutsche TechnoProduzenten von amerikanischen Künstlern zu Kollaborationen eingeladen.“ US-Dubstep-Star Skrillex schloss sich beispielsweise für das Seitenprojekt Dog Blood mit dem Hamburger Produzenten Boys Noize zusammen. Newcomer-Förderung Mit Robin Schulz, Bakermat und Alle Farben konnten in jüngster Zeit zahlreiche Nachwuchstalente am Markt etabliert werden. Die meisten Branchenkenner sehen bei der Newcomer-Förderung im Bereich elektronischer Musik jedoch noch Verbesserungspotenzial. Mathias Modica etwa verweist auf Skandinavien und fordert mehr Geld für Musikunterricht. „Vor allem im Bereich der Blogs über wenige Single-Veröffentlichungen schon in relativ kurzer Zeit bekannt machen, meint Wolfgang Boss von Sony Music. Dass im schnelllebigen, durch das Internet beschleunigten Dance-Segment nur One-Hit-Wonder aufgebaut würden, lässt er nicht gelten. „Langfristiger Aufbau bei einem Künstler wie Wankelmut heißt ja nicht unbedingt, weiter Radio-Hits haben zu müssen. Soweit ich das beurteilen kann, wird Wankelmut von seinem Management sehr bewusst vor allem als respektierter DJ und Produzent im Bereich der elektronischen Musik aufgebaut. Dazu gehören auch weniger kommerzielle Veröffentlichungen auf speziellen kleineren Labels sowie vor allem DJ-Gigs auf möglichst vielen etablierten Events und in den einschlägigen Clubs weltweit.“ Wie lange der aktuelle Boom noch anhalten wird, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. | (oben, v.l.): Frank Engel (Universal), Alexander Kralisch (Universal), Andreas Weitkämper (Warner), Mathias Modica (Gomma), Marie Clausen (!K7); (unten, v.l.): Martin Heuser (Guesstimate), Oliver Vordemvenne (i-Motion), Fritz Kalkbrenner, Sven Väth, Will Saul (!K7) | Foto: zvg, Munk: Stefanos Notopoulos, Väth: Daniel Woeller sondern übers Radio groß. In Europa sind die jungen Sender bereit, Produktionen von unbekannten Deep-House-Produzenten auf Rotation zu nehmen. In den USA ist nationale Radio-Promo nach wie vor viel schwieriger – und kostspieliger.“ Deutsche DJs gefragt Während die US-amerikanische Popkultur seit Jahrzehnten tonangebend ist, scheint sich das Blatt zu wenden – zumindest im DanceBereich. „Momentan setzt langsam der EDMKater ein und der Markt öffnet sich für ,softere’ Sounds“, so Alexander Kralisch von Universal. Die US-EDM-Kultur, deren Wurzeln ohnehin in Europa liegen, hat keinen Einfluss auf die hiesige Szene. „Die deutsche elektronische Musikszene ist saturiert genug und kann dadurch die eigene stilistische Prägung beibehalten“, erklärt Fritz Kalkbrenner. 28 und Online-Magazine kann in Deutschland noch einiges passieren“, meint Alexander Kralisch. Auch der Live-Sektor spielt eine wichtige Rolle bei der Etablierung von neuen DanceKünstlern. In Deutschland gibt es neben Clubs und kleineren Festivals einige Megaevents wie den von BigCityBeats veranstalteten „World Club Dome“, der letztes Jahr an zwei Tagen 60 000 Besucher nach Frankfurt lockte. „Mayday“ und „Nature One“ existieren bereits seit Mitte der Neunziger. Was hat sich seitdem verändert? „Die Events sind gewachsen und zu starken Marken gereift“, so Oliver Vordemvenne vom Veranstalter i-Motion. Dank des Erfolgs von Acts wie Robin Schulz begeistere sich ein jüngeres Publikum für elektronische Musik. Im Gegensatz zum Rock- und Schlager-Genre kann man im Dance-Bereich einen Act auch „Fest steht nur, dass Dance ein starkes, innovatives und eigenständiges Genre ist, welches es in verschiedenen Formen immer geben wird“, so Frank Engel. Es wird aber auch wieder eine Zeit geben, in der Dance-Produktionen weniger dominant in den Charts sein werden. „Viele Leute verlieren innerhalb kurzer Zeit den Spaß an den tollsten Songs, weil es den Repeat-Knopf gibt“, meint Martin Heuser. Wolfgang Boss dagegen meint: „Mittelfristig gesehen denke ich, dass Dance in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch stärker werden wird. Vor allem deshalb, weil Dance immer mehr mit der Mainstream-Popmusik verschmilzt.“ Und der nächste Robin Schulz wartet bestimmt schon. | Renzo Wellinger Mehr Informationen: www.musikmarkt.de/-340606 Hier finden Sie die ausführlichen Interview mit allen Zitatgebern