Der kleine häßliche Vogel 2+ Materialmappe

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Der kleine häßliche Vogel 2+ Materialmappe
Junges Staatstheater Braunschweig
Spielzeit 2014/2015
www.staatstheater-braunschweig.de
[email protected]
Tel. (0531) 1234 542
Der kleine
häßliche Vogel
│2+
nach dem Bilderbuch von Werner Heiduczek &
Wolfgang Würfel
Materialmappe
Wie fühlt man sich, wenn man nicht ernst genommen und von anderen ausgeschlossen wird? Warum zählt immer noch viel zu oft das Aussehen und nicht die Fähigkeiten einer Person? Wieso ist Theater für die Allerkleinsten wichtig und sinnvoll?
Was erfahren die Kinder und welche Chance bietet diese spezielle Theaterform?
»So einen schönen Vogel
hab ich ja
noch nie gehört!
Was muss das
für ein
schöner Vogel sein,
wenn der so schön singt.
Nein, so ein schöner Vogel.«
Das Theater für die Allerkleinsten beschäftigt sich in der Regel mit einem Phänomen
und stellt die Narration in den Hintergrund, da kleine Kinder dieser noch nicht vollständig folgen können. Dennoch haben wir uns entschieden, in diesem Jahr unseren kleinsten Zuschauern die Geschichte des kleinen hässlichen Vogels zu erzählen.
Das Kinderbuch aus dem Jahr 1976 ist eine wunderbare Geschichte über Toleranz,
Mut und den Wert des Einzelnen.
Die Regisseurin hat sich dazu entschieden, den Text auf das Nötigste zu reduzieren
und stattdessen mit viel Musik und Bewegung zu arbeiten, und ermöglicht den Allerkleinsten so ein sinnliches, erstes Thetaererlebnis.
In dieser Materialmappe befinden sich inhaltliche Anregungen und Aufgaben zur
Vor- und Nachbereitung Ihres Theaterbesuchs.
Wir wünschen viel Spaß bei dem Theaterbesuch und hoffen, dass dieser neue Eindrücke liefert. Anregungen zur Gestaltung und zum Inhalt der Materialmappe nehmen wir gerne dankend entgegen.
Kathrin Simshäuser
für das Junge Staatstheater Braunschweig
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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Arne Frederik Ziegfeld & Anja Signitzer
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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Theater für die Allerkleinsten
Die jüngsten Zuschauer im Staatstheater sind zwei Jahre. Seit nunmehr fünf Spielzeiten gehört das Theater für die Allerkleinsten fest in den Spielplan. Mit »Der kleine
häßliche Vogel« setzt das Junge Staatstheater seine 2011 mit »Anfangen, Anfangen!« begonnene und mit »Um die Ecke« 2012, »Bunt und Weiß« 2013 und »Bis
später« 2014 weitergeführte Reihe des Theaters für die Allerkleinsten fort.
Theater für Zweijährige? Warum ist Theater für die Allerkleinsten so wichtig?
Kulturelle Bildung von Anfang an
In den vergangenen Jahren ist die frühkindliche Bildung ein immer wichtigeres
Thema in der Politik geworden. Bei der Umsetzung von Zielen zur Förderung von
Kindern ist bisher nicht viel passiert. Darum sind besonders Eltern und kulturelle
Einrichtungen gefordert, um Bildung für die Allerkleinsten zu ermöglichen.
Wir sind viele
Einer der Orte, an denen diese Bildung vermittelt wird, ist das Theater. Hier können
die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern am öffentlichen Leben teilnehmen und treffen
viele andere Kinder. Gemeinsam können sie durch das Erlebnis und den Umgang
mit Gegenständen oder Phänomenen neue Erfahrungen machen.
Wir sind dabei
Die Kinder sind nicht bloß Zuschauer, sondern erleben das Geschehen auf der
Bühne mit. Kinder und Künstler erkunden ihre Umgebung auf ähnliche Weise: Sie
sind offen und neugierig, vielfach interessiert und experimentieren gern.
Neues Erlebnis – Entdeckendes Spiel
Das Theater für die Allerkleinsten erzählt anders als das für die Erwachsenen. Die
mündliche Sprache ist, wie Geschichte und Charaktere, weniger wichtig. Stattdessen werden die Inhalte durch Handlungen, Rhythmen und die Schauspieler vermittelt. Es geht immer um Themen aus dem Alltag und darum, wie sie ihre Welt wahrnehmen. Die verschiedenen Sinneseindrücke stehen an erster Stelle, es geht mehr
um das Entdecken als das Erzählen.
Vom Schauen zum Tun
Nach der Aufführung dürfen die Kleinen selbst spielen. Dem natürlichen Drang zum
Entdecken, Ausprobieren und Bewegen wird damit Raum gegeben.
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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Kontakte
Junges(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 542
Leiter Junges Staatstheater
AndreasSteudtner(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 521
Dramaturgie & Organisation
KathrinSimshaeuser(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 542
Dramaturgie
CarstenWeber(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 524
Theaterpädagogik
ThiemoHackel(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 541
Theaterpädagogik
AnneHartmann(AT)staatstheater-braunschweig.de
Tel. (0531) 1234 504
Herausgeber Staatstheater Braunschweig, Am Theater, 38100 Braunschweig
Generalintendant Joachim Klement Verwaltungsdirektorin Claudia Schmitz Leiter
Junges Staatstheater Andreas Steudtner Redaktion & Gestaltung Kathrin
Simshäuser (verantw.), Leslie Wathsack Fotos Volker Beinhorn Redaktionsschluss 11.4.2015
Änderungen vorbehalten
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Anja Signitzer
Arne Frederik Ziegfeld & Anja Signitzer
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Besetzung
Inszenierung & Bühne Juliane Kann
Kostüme Josephin Thomas
Musik Arne Frederik Ziegfeld
Liedtexte Robert Bohne, Juliane Kann, Anja Signitzer, Arne Frederik Ziegfeld
Masken Karoline Hinz
Licht Katharina Höffert
Dramaturgie Kathrin Simshäuser
Theaterpädagogik Thiemo Hackel
Mit
Anja Signitzer
Arne Frederik Ziegfeld
Regieassistenz & Spielleitung Robert Bohne Hospitanz Leslie Wathsack (Dramaturgie) Produktionsassistenz Karin Haberich, Marzieh Sargaran,
Christine Wagenleiter Ausstattungsleitung / Technische Direktion Ralf Wrobel
Ton-, Bühnen- & Beleuchtungstechnik Jens Hanking, Katharina Höffert,
Frank-Wolfgang Rosenthal Leitung Requisite Sascha Kaminski Leitung Kostümabteilung Ernst Herlitzius Leitung Maskenabteilung Nicolas Guth Maske Lisa
Widdeke Leitung Ausstattungswerkstätten Petra Röder Produktionsingenieur Stephan Busemann Leitung Malsaal Sonja Bähr Leitung Tischlerei Peter Kranzmann
Leitung Schlosserei Armin Zühlke Leitung Deko- & Möbelabteilung Axel Schneider
Premiere 12. April 2015 im Haus Drei
Aufführungsdauer ca. 40 Minuten, keine Pause
Aufführungsrechte Faber & Faber Verlag GmbH
Mit freundlicher Unterstützung
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Zu ästhetischen Eigenarten des
Theaters für die Allerkleinsten
von Gerd Taube (Leiter des Kinder – und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland)
Das Kindheitsbild der Gesellschaft
Das Theater für die Allerkleinsten ist stärker als andere Formen des Theaters davon
abhängig, welche Haltung die Gesellschaft gegenüber Kindern hat. Als was werden
Kinder begriffen? Als »human beings« oder als »human becomings«? Werden sie
als defizitäre Wesen, als gute, weil noch unverdorbene Menschen, als Menschen
auf einer bestimmten Entwicklungsstufe oder als Menschen mit speziellen Kompetenzen begriffen? Was wird von kleinen Kindern erwartet? Begreift man sie als
»human becomings«, was oder wie sollen sie dann werden? In den Ländern, in denen wir überzeugende Beispiele für ein Theater für die Allerkleinsten gesehen haben, ist der Status der Einrichtungen der frühkindlichen Bildung und Erziehung ein
anderer als in Deutschland. In Norwegen, Italien und Frankreich sind diese Einrichtungen Bestandteil des Bildungssystems und nicht diesem vorgelagert, wie dies in
Deutschland der Fall ist. Während die Bildungskarriere eines Menschen in Deutschland mit der Einschulung beginnt, beginnen die Kinder in den genannten Ländern ihren Bildungsweg bereits mit dem Besuch der Kinderkrippe bzw. des Kindergartens.
Diese Tatsache stellt eine ganz wichtige Voraussetzung für das Entstehen einer
Theaterkunst für die Allerkleinsten dar.
Ästhetische Aspekte Kommunikation
So wie jede theatrale Kommunikation basiert auch die Kommunikation im Theater
für die Allerkleinsten auf der gemeinsamen Anwesenheit von Spielern und Zuschauern in einem Raum und ihrer direkten oder indirekten Interaktion. Die theatrale
Kommunikation im Theater für die Allerkleinsten ist jedoch besonders fragil. Die Rezeptionshaltung im gewöhnlichen Theater ist derart konditioniert, dass sich die fehlende Balance der Kommunikation nicht entäußert und man sie damit auch kaum
äußerlich wahrnehmen kann.
Wahrnehmung
Kommunikation beruht auf wechselseitiger Wahrnehmung. Akteure und Zu-schauer
begeben sich in ein Verhältnis zueinander. Der Blickkontakt, den viele Akteure als
wesentliche Voraussetzung einer Aufführung für die Allerkleinsten beschreiben, ist
eine Methode wechselseitiger Wahrnehmung. Wahrnehmung heißt im Theater für
die Allerkleinsten nicht nur Hören und Sehen, sondern Wahrnehmen mit allen Sinnen.
Beteiligung
Das Theater für die Allerkleinsten muss immer eine gemeinsame künstlerische Erfahrung von Spielern und Kindern sein. Dieser Satz kann als ästhetischer Imperativ
für das Theater für die Allerkleinsten gelten. Die Fähigkeit, über die ein Spieler verfügen muss, ist die Fähigkeit, auf kleinste Stimmungsschwankungen im Publikum
einzugehen und die Balance der Kommunikation wieder herzustellen. Der Spieler
muss über eine besondere Sensibilität für das Publikum verfügen. Man könnte sagen, das Theater kehrt an seine Ursprünge zurück, beispielsweise zum Ritual, aus
dem bereits in der Antike Theaterformen entstanden sind, auf die sich das abendländische Theater immer wieder bezogen hat. Zu beobachten ist die tendenzielle
Aufhebung der Trennung zwischen Spieler und Zuschauer.
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Spieler
Das Theater für die Allerkleinsten spricht nicht von Darsteller, sondern von Spieler.
In den Aufführungen wird in der Regel kein spezieller Anlass für das Auftreten des
Spielers konstruiert wie etwa in der Exposition eines Dramas. Der Spieler ist da. Er
soll ernsthaft, wahrhaftig, ehrlich und präsent sein.
Sprache
Das Theater für die Allerkleinsten kennt viele Sprachen und ist nicht auf die Verbalsprache reduziert. Meist ist die Verbalsprache auch nicht das in der Hierarchie der
künstlerischen Mittel dominierende Mittel. Bilder, Töne, Klänge, Bewegungen, Materialität, Körper sind zumeist gleichberechtigte Ausdrucks-mittel.
Regeln und Grenzen
Jedes Spiel braucht Regeln. Diese Spielregeln müssen im Theater für die Allerkleinsten flexibel sein. Die Gesamtsituation ist gesetzt und kann von den Kindern
nicht verhandelt oder verändert werden. Daher sind für die Macher des Theaters für
die Allerkleinsten die folgenden Fragen von besonderer Bedeutung: Wie werden die
Kinder im Theater empfangen? Wie werden die Eltern als Begleiter, als Zuschauer
und als die Kinder Geleitende, Unterstützen-de mit den äußeren Regeln vertraut
gemacht? Die Eltern und Begleiter sind die ausschlaggebende Instanz, die über die
Akzeptanz der Regeln und Grenzen entscheidet. Die Mutter, die entscheidet, dass
ihr Kind mit seinem Weinen, seiner Unruhe das gemeinsame Erlebnis stört, spürt
diese Grenzen und akzeptiert sie. Der Vater, der während der Aufführung den Bühnenraum betritt, um ein Foto zu machen, hat die Regeln falsch oder gar nicht verstanden.
Geschichte
Ein dramatischer Konflikt als Interessenkollision zweier Figuren bzw. Figurengruppen existiert nicht oder kaum. Das Theater für die Allerkleinsten ist kein Illusionstheater. Die künstlichen Welten, die geschaffen werden, sind als Kunsträume
sichtbar. Das Erzeugen und das Machen dieser speziellen Welten werden nicht verschleiert, sondern gezeigt. Die Welten werden behauptet und diese Behauptung von
den Zuschauern akzeptiert. Das Theater für die Allerkleinsten ist aber nicht ohne
Geschichten. Die Geschichten oder Episoden werden aber nicht linear erzählt. Sie
basieren auf der Imaginationsleistung des Zuschauers. Jeder sieht so eine andere
Geschichte.
Zeit
Das Theater für die Allerkleinsten hat auch einen eigenen Umgang mit der Zeit. Es
hat einen eigenen Rhythmus, der dem Rhythmus des Publikums entspricht. Den
Rhythmus der Spieler und ihres Publikums verbindet das Atmen. Der gemeinsame
Atem ist das Band zwischen Spieler und Publikum, der die Spannung aufrecht erhält. Zum Theater für die Allerkleinsten gehört auch die Stille. Die Wiederholung von
Vorgängen findet sich ebenfalls häufig im Theater für die Allerkleinsten. Das Theater
findet in jeder Aufführung neu und anders statt. Keine Aufführung gleicht der anderen. Das trifft auf jede Form des Theaters zu. Im Theater für die Allerkleinsten dürfen weder Zuschauer noch Spieler mit der Haltung in die Aufführung gehen, dass
sie wüssten, wie die Kommunikation zwischen beiden funktioniert. Es ist immer ein
gemeinsames Wagnis.
aus: Gabi dan Droste (Hrsg.) Theater von Anfang an! Bildung Kunst und frühe Kindheit. S. 87, transcript Verlag 2009.
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Arne Frederik Ziegfeld
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Inhalt des Stücks
Im Anhang finden Sie den kompletten Text des
Bilderbuches zum selber lesen oder vorlesen.
Der kleine Vogel ist so hässlich, dass niemand mit ihm befreundet sein will. Deswegen weiß auch keiner von dem Talent, das er besitzt: Er kann ganz wunderbar singen. Um die anderen Vögel nicht zu stören, singt er immer nur nachts, ganz leise.
So kommt es, dass nur der Mond ihn hören kann. Der ist ganz verzaubert von dem
kleinen Vogel und erzählt begeistert der Sonne von diesem tollen Vogel, der so
schön singen kann. Die Sonne wird daraufhin ganz traurig, da sie den kleinen Vogel
niemals singen hören kann und beschließt, nicht mehr zu scheinen.
Die Welt wird ganz traurig und dunkel und die Vögel schicken den Habicht zur Sonne um herauszufinden, was los ist. Schließlich sei Sommer und die Kinder könnten
doch nur fliegen lernen, wenn die Sonne scheine. Der Habicht fliegt also zur Sonne
und diese klagt, ihr Herz sei so schwer und ihre Sehnsucht zu groß. Sie könne den
Tag erst wieder schön machen, wenn sie den kleinen Vogel hat singen hören.
Der Habicht macht sich auf den Rückweg, optimistisch, das Problem schnell aus der
Welt geschafft zu haben. Doch welchen der vielen kleinen Vögel meint die Sonne
denn nur? Er beschließt, dass eben alle Vögel vorsingen müssen und das ›Casting‹
beginnt.
Alle Vögel singen, doch keiner kann die Sonne hinter den Wolken hervorlocken. Der
Adler wird wütend auf den Habicht, denn er glaubt, dass der Habicht alle an der Nase herumgeführt hat. Er will ihn ins Meer stürzen. Doch der Habicht beteuert, dass
er die Wahrheit gesagt hat und bittet um eine weitere Stunde, um den kleinen Vogel
zu finden. Der Adler gewährt ihm diese Stunde, doch der Habicht ist verzweifelt,
was kann er noch tun? Da taucht der kleine hässliche Vogel auf und fragt, ob er helfen könne. Schließlich habe er noch nicht gesungen. Der Habicht glaubt nicht, dass
der kleine häßliche Vogel die Sonne scheinen lassen kann, lässt ihn aber letztendlich doch singen, schließlich hat er nichts mehr zu verlieren. Der kleine hässliche
Vogel fängt an zu singen und er singt so schön, dass alle Vögel den Kopf auf die
Seite legen und der Habicht sogar weinen muss. Vor Freude, aber auch, weil er sich
schämt. Die Sonne hört den schönen Gesang und kommt hinter den Wolken hervor.
Alle sind glücklich, aber am glücklichsten ist der kleine hässliche Vogel.
In unserer Inszenierung wird der kleine hässliche Vogel von dem Musiker Arne Frederik Ziegfeld dargestellt, der alte Baum, auf dem der Vogel sitzt, ist ein Klavier. Anja Signitzer ist die Erzählerin, die in die Rolle des Habichts, der schönen Vögel und
der Sonne schlüpft. Es gibt acht schöne Vögel, die alle einzeln vorgestellt werden
und alle ein Lied vorsingen, um die Sonne wieder scheinen zu lassen.
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Anja Signitzer
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»Ich wünsche mir, dass die
Menschen erkennen, dass das
Weinen im Leben ebenso wichtig ist,
wie das Lachen.
Denn ohne Trauer erkennen wir
nicht, was Glück bedeutet.« Werner Heiduczek
Über den Autor Werner Heiduczek
Werner Heiduczek wurde 1926 in Hindenburg / Oberschlesien geboren. Nach einer
höheren Schulausbildung wurde er 1943 zur Wehrmacht eingezogen und geriet in
Gefangenschaft. Er wurde 1945 wieder frei gelassen und hielt sich einige Zeit mit
Hilfsjobs über Wasser. Er studierte bis 1949 Pädagogik und Germanistik in Halle /
Saale und arbeitete sich bis hin zum Direktorat einiger Schulen. Dem Lehrerwesen
wollte er jedoch stets entfliehen, was ihm auch gelang, als er sich 1965 entschied,
als freischaffender Schriftsteller zu arbeiten.
Als solcher wurde Werner Heiduczek mit der für Kinder geschriebenen Erzählung
»Jule findet Freunde« (1958) bekannt, für die er mit dem Literaturpreis des »Ministeriums für Kultur« ausgezeichnet wurde. 1964 begann er Literatur für Erwachsene zu
schreiben, die oft autobiographische Teile beinhaltete und sein Leben in der DDR
verarbeitete. Außerdem veröffentlichte er seine Biographie »Im Schatten meiner Toten« (2005 in Leipzig), in der er vermehrt auf seine Kindheit in einem katholischen
Elternhaus in Oberschlesien eingeht.
Werner Heiduczek wurde 1995 mit dem Eichendorff-Preis der Stadt Wangen im Allgäu und 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
»Der kleine hässliche Vogel« erschien erstmalig 1976 mit Illustrationen von Werner
Würfel. Werner Heiduczek lebt heute in Leipzig.
Quelle: http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/heiduczek-werner-2
Über den Illustrator Wolfgang Würfel
Wolfgang Würfel wurde 1932 in Leipzig-Connewitz geboren. Die Grund- und Mittelschule besuchte er in Flöha, wohin die Familie nach dem Krieg umzog. Von 1946
bis 1949 absolvierte er eine Lehre im Malerhandwerk und schloss mit der Gesellenprüfung ab. Nebenher ging er zum abendlichen Akt-Zeichnen zur Volkshochschule
in Chemnitz.
1949 wurde er an der Kunsthochschule Dresden (heute: Hochschule für Bildende
Künste Dresden) angenommen, das Studium konnte er aber aus finanziellen Gründen nicht aufnehmen. Ab 1951 arbeitete er erstmals im Rahmen der Weltfestspiele
der Jugend für die Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG).
Zwischen 1950 und 1955 studierte er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee
Hochschule für Gestaltung bei Arno Mohr und Ernst Rudolf Vogenauer. 1955 beendete er sein Studium mit einer Diplomarbeit zu Lion Feuchtwanger und begann eine
freiberufliche Tätigkeit als Maler und Grafiker.
Durch seinen Lehrer Werner Klemke wurde er zur Illustration und den grafischen
Techniken, wie Holzstich, angeregt. Er illustrierte 152 Bücher – Kinderbücher, MärDer kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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chen und Fabeln, Feuilletons, Aphorismen und Essays, Humor. Dabei verwendete
er Techniken wie z. B. Holzstich, Schabkunst, Ölgrafik und Federzeichnung.
Weiterhin illustrierte er diverse Schul- und Lehrbücher. Ab 1968 illustrierte er 20
Jahre lang tausend Feuilletons des Schriftstellers Heinz Knobloch, die unter der
Rubrik „Mit beiden Augen“ in der Wochenpost erschienen.
Wolfgang Würfel lebt in Glienicke/Nordbahn.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_W%C3%BCrfel
Vorbereitung
Für den Besuch der Vorstellung ist keine spezielle Vorbereitung notwendig, dennoch gibt es hier ein paar Anregungen für die Einbettung des Vorstellungsbesuches.
Themen der Inszenierung
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Vogellieder
Wetter, Tages- / Jahreszeiten
Was macht mich glücklich oder traurig?
Was ist schön, was ist hässlich?
Töne, Laute
1 / Vogellieder
Welche Vogellieder kennen die Kinder?
Einige Melodien der folgenden Lieder sind in dem Theaterstück eingebaut und
werden von den Kindern sicherlich erkannt:
»Alle Vögel sind schon da«
»Alle meine Entchen«
»Kommt ein Vogel geflogen«
»Auf einem Baum ein Kuckuck«
»Der Kuckuck und der Esel«
»Die Vogelhochzeit «
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2 / Wetter, Tages- / Jahreszeiten
Wann scheint die Sonne? Wann scheint der Mond? Wann regnet es?
In unserer Geschichte treffen sich Mond und Sonne ganz kurz als der Mond unterund die Sonne aufgeht. Da die Sonne traurig ist, weint sie und es regnet auf der
Welt.
Es können verschiede Bilder gemalt werden:
Eine fröhliche Sonne und eine traurige Sonne.
3 / Töne, Laute
Fragen stellen
Womit kann man Musik / Geräusche / Töne machen?
Welche schönen Geräusche kennst du? Welche gefallen dir nicht?
Wo kann man überall singen?
Spiele
Es werden Bilder hochgehalten (z.B. von verschiedenen Tieren etc.). Zu jedem Bild
gehört ein entsprechendes Geräusch. Die Kinder müssen zum Beispiel bei einem
Tiger klatschen, bei einem Baum stampfen etc.
o
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Stampft so laut wie eine Elefantenherde, piepst so leise wie eine Maus….
Auf einer Skala von 1-5: seid so laut wie 2/5/1…
Wie lange kannst du leise sein?
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Anja Signitzer
Arne Frederik Ziegfeld & Anja Signitzer
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Anja Signitzer
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Nachbereitung
Eindrücke nach dem Theaterbesuch
Hier finden Sie eine Sammlung von Anregungen und Aufgaben, bei denen sich die
Kinder mit der Ästhetik der Inszenierung und den Themen auseinandersetzen können. Die Reihenfolge der Sammlung hat keine Bedeutung.
1 / Ästhetik des Stückes
Die Kostümbildnerin Josephin Thomas hat sich bei den Kostümen an den schönen
Illustrationen aus dem Bilderbuch orientiert. Das Kostüm der Erzählerin ist auch die
Bühne und wird wie ein Bilderbuch immer weiter entblättert.
Kostüme
– Wie wurde die Sonne / der Mond dargestellt?
– Wie sah der Habicht aus?
– Wie sah der kleine hässliche Vogel aus?
2 / Die schönen Vögel
Es gibt acht schöne Vögel, die in unserer Inszenierung jeweils mit einer Geste / einem Laut dargestellt werden. Welche waren das?
1. Silberreiher // Beinschlag
2. Habicht // Flügelschlag
3. Spatz // kugeliger Bauch & »Piep«
4. Eule // aufplusterndes Gesicht & Bewegung des Halses
5. Turteltaube // Bewegung der Schultern & »Gurr«
6. Rotkehlchen // Bewegung der Arme, Hände & »Tschiripp Tschiripp«
7. Stockente // Mit dem Po wackeln & »Nack Nack«
8. Specht // dreimal mit dem Fuß aufstampfen
Diese Bewegungen könnte man mit den Kindern nachstellen.
Welche Vögel gibt es noch? Welche typischen Bewegungen oder auch Laute könnte man den Vögeln zuordnen?
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3 / Was ist schön? Was ist hässlich? Und warum?
Wie sieht ein richtig schöner Vogel aus? Was braucht er, um schön zu sein? Oder
ist ein Vogel durch sein Talent vielleicht auch schön, auch wenn sein Kopf zu groß
ist?
Es gibt im Internet viele verschiedene Ausmalbilder, wenn die Kinder noch keine eigenen Vögel malen können. Ein Beispiel:
4 / Was macht mich glücklich oder traurig?
Bastelideen
»Stimmungsbarometer«
Unterschiedliche Gefühle werden von den Kindern mimisch dargestellt und fotografiert. Die Fotos werden anschließend auf eine Scheibe geklebt. In die Mitte der
Scheibe wird ein Zeiger angebracht, der beweglich ist. So kann man immer seine
aktuelle Stimmung anzeigen.
Spiele
»Spiegelbild«
Zwei Kinder kommen in die Kreismitte. Eines der Kinder drückt nur mit Gesten
und Mimik einen bestimmten Gefühlszustand aus. Das zweite Kind stellt sich dem
ersten gegenüber auf. Als »Spiegelbild« muss es alle Gesten und auch den Gesichtsausdruck des anderen Kindes genau nachmachen. Für kurze Zeit verharren
beide Kinder in ihrer Haltung, damit die anderen sich Bild und Spiegelbild in Ruhe
ansehen können. Welches Gefühl stellen die beiden dar?
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Theaterknigge
Ein Theater ohne Publikum ist wie …
… eine Welt ohne Sonne.
… schön ohne häßlich.
… Vögel ohne Federn.
Daher freuen wir uns darüber, dass ihr da seid!
Da es im Theater ein paar Regeln zu beachten gibt, haben wir dieses kleine Lexikon
als Hilfe für euch zusammengestellt:
Abendkleid, das: Viele Menschen ziehen sich gerne schön an, wenn sie ins
Theater gehen. Sie wollen den Schauspielerinnen und Schauspielern ihren Respekt
erweisen, oder selber auch ein bisschen glitzern, falls jemand zu ihnen in die Loge
schaut. Heute ist schicke Kleidung aber keine feste Regel mehr im Theater.
Essen, das: Ihr könnt euch vorstellen wie sehr es stören würde, wenn bei ganz
leisen oder traurigen Szenen plötzlich jemand im Publikum in einen knackigen Apfel
beißen würde. Und dann stellt euch vor, dass jemand neben euch eine Knistertüte
auspackt ... Also, das Essen im Theater ist grundsätzlich nicht erlaubt.
Fotografieren, das: Auch das Fotografieren ist leider nicht erlaubt. Wenn ihr
schöne Bilder von dem Stück haben wollt, fragt doch im Theater nach. Meistens gibt
es Erinnerungsbilder zum mit nach Hause nehmen auf Plakaten und Postkarten.
Handy, das: Natürlich ist wichtig, dass eure Freunde erfahren, dass ihr grade im
Theater seid, aber bitte nicht während der Vorstellung. Wie sollen sich denn die
Schauspielerinnen und Schauspieler an ihren Text erinnern, wenn ständig jemand
dazwischen quatscht? Ihr könnt euch vorstellen, wie allein das Klingeln eines
Handys alle Menschen auf der Bühne und im Publikum stört.
Klatschen, das: Nachdem ein Stück vorbei ist, kommen die Schauspielerinnen und
Schauspieler auf die Bühne und alle können heftig applaudieren. Je besser einem
das Stück gefallen hat, desto lauter kann der Applaus sein.
Unterhalten, das: Vermeidet es bitte, euch während der Vorstellung zu unterhalten.
Die Schauspieler können euch, anders als im Kino, hören! Merkt euch eure
Anmerkungen und Gedanken einfach, bis das Stück zu Ende ist, dann habt ihr noch
genug Zeit über das Gesehene zu diskutieren.
Turnschuhe, die: Turnschuhe sind im Theater erlaubt. Vielleicht solltest du sie
nicht grade ausziehen, wenn du deine Füße vorher nicht gewaschen hast und deine
Socken stinken könnten.
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Arne Frederik Ziegfeld
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Anhang 1 \ Songtexte
ICH BIN HÄSSLICH // © Juliane Kann, Arne Frederik Ziegfeld
Alle sagen ich bin hässlich
Die das sagen sind so schön
Und will ich sie mal etwas fragen
Sagen sie mir ich soll gehen
Auf meinen alten Baum sitz ich
allein, Tag aus Tag ein
Und keiner will mich hören
das ist so gemein, muss das sein
Doch wenn der Mond als einzige Laterne
Hoch am Himmel steht
Dann trau ich mich zu singen
Und ich singe dieses Lied
Wenn man hässlich ist, ist das Leben hässlich
und wenn man schön ist, ist das Leben schön
Ach ich armer hässlicher kleiner Vogel
ich wünschte ich wäre schön
Alle sagen ich bin hässlich
Die das sagen sind so schön
Ach ich bin so schrecklich hässlich
Selbst die Hunde laufen fort, wenn sie mich sehen
SONNENLIED // © Juliane Kann, Arne Frederik Ziegfeld
Seit du nicht mehr da bist
Fehlt der Erde ihre Farbe
stellst auf stur wenn man dir sagt
dass es ohne dich nicht geht
Lass mich eine Frage fragen
ob du noch erwägst zu sagen
Ob es irgendwann mal wieder
Besser um dich steht
Ich traue mich, ich sing für dich
Wenn du nicht lächelst, lächeln wir auch nicht
Das Lächeln fehlt auf deinem Gesicht
Das steht dir nicht gib uns dein Licht
Die Nacht hat noch nicht angefangen
Bisher war ich bei Tag befangen
Ich singe für ihn wie für Dich
Unterschiede mach ich nicht
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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Hässlich bin ich, du bist schön
Lass uns ab jetzt zusammen gehen
Wirklich schönes sieht man nicht
Doch schöner werde ich durch dich
Ich traue mich, ich sing für dich
Wenn du nicht lächelst, lächeln wir auch nicht
Das Lächeln fehlt auf deinem Gesicht
Das steht dir nicht gib uns dein Licht
Ich traue mich, ich sing für dich
Wenn du nicht lächelst, lächeln wir auch nicht
Das Lächeln fehlt auf deinem Gesicht
Das steht dir nicht gib uns dein Licht
Ich singe hier ich armer Thor
Und laufe rosa an vor Scham
Komm hinter deinen Wolken vor
Uns stinkt dein grauer Gram
Anhang 2 \ Textvorlage
Der kleine häßliche Vogel
Eine Bilderbucherzählung von Werner Heiduczek
mit Illustration von Wolfgang Würfel
Der Kinderbuchverlag Berlin 1976
Es war einmal ein kleiner Vogel. Er war häßlich. Noch häßlicher als schmutziger
Schnee. Er saß allein auf einem Baum. Der war alt und hatte keine Blätter mehr. In
den schönen grünen Baumkronen saßen die anderen Vögel. Und wenn der kleine
Vogel zu ihnen wollte, da gab es großes Geschrei. Er war wirklich ein häßlicher Vogel. Selbst die Hunde liefen fort, wenn sie ihn sahen.
So saß er allein auf seinem Baum, und manchmal weinte er und sagte: „Ach, wäre
ich doch ein schöner Vogel. Wenn man häßlich ist, ist das Leben häßlich. Und wenn
man schön ist, ist das Leben schön. Ach, ich armer, häßlicher kleiner Vogel.“
Aber er sagte es ganz leise. Denn niemand wollte ihn hören. Nur nachts, wenn die
anderen Vögel schliefen, machte er den Schnabel auf und sang ganz leise, damit er
die anderen in ihren Nestern nicht weckte. Und das klang so schön, daß die Gräser
unter dem alten Baum sich im Schlaf hin und her wiegten und daß die Sterne die
Wolken fortschoben und zu ihm hinabschauten. Der Mond aber jammerte und sagte: „Ach, was für ein Unglück. Warum bin ich gerade jetzt nur halb. Einen so schönen Vogel habe ich noch nie gehört.“ Und er blieb stehen und wollte gar nicht weiter
über den Himmel gehen und sagte immerfort: „Was muß das nur für ein schöner
Vogel sein, wenn der so schön singt. Nein, so ein schöner Vogel.“
Es war ein alter Mond. Und deswegen sagte er immer dasselbe. Aber der kleine
Vogel hörte es gern. Und weil so viel Freude in ihm war, sang er noch schöner. Die
beiden verstanden sich ganz gut. Der Mond und der Vogel. Ich glaube, sie liebten
sich. Wenn der Mond fortging, wurde der kleine Vogel ganz stumm. So eine Sehnsucht hatte er.
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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So kam es, daß die Sonne den kleinen Vogel nie hören konnte. Und sie hätte ihn so
gern gehört. Denn wenn der Mond ihr für kurze Zeit begegnete, erzählte er, was für
einen schönen Vogel er doch gehört hätte. Er erzählte jeden Tag dasselbe. Er war
wirklich ein alter Mond.
Die Sonne aber wurde von Tag zu Tag trauriger. „Ach, wäre ich doch keine Sonne“
,sagte sie. „Ein Mond hat es viel besser.“ Und wenn sie sich für den Tag schön
machte, sah sie in den Spiegel und sagte: „Was nützt mir all die Schönheit, wenn
ich das Lied nicht hören kann. Ich werde sterben und habe den kleinen Vogel nicht
gehört.“
Und weil die Sonne traurig war, war auch der Tag traurig. Er wickelte sich in nassen
Nebel und nieselte vor sich hin. Und weil der Tag traurig war, waren auch die Bäume traurig und die Häuser und die Vögel und die Drähte und die Antennen. Es war
überhaupt eine traurige Welt.
So konnte es nicht weitergehen. „Flieg durch die Wolken“, sagten die Vögel zum
Habicht, „und frag die Sonne, was los ist. Schließlich ist Sommer. Und wenn Sommer ist, ist Sommer. Und da hat sie sich dran zu halten. Wie sollen unsere Jungen
fliegen lernen, wenn sie solche verrückten Sachen macht. Nein, so was. Was sie
sich nur denkt?“
Und der Habicht flog durch die Wolken und fragte die Sonne: „Was ist mit dir los?
Schließlich ist Sommer. Und wenn Sommer ist, ist Sommer. Wie sollen unsere Jungen fliegen lernen, wenn du solche verrückten Sachen machst?“
„Ach“, sagte die Sonne. „Ich habe ein krankes Herz und werde streben.“
„Ja, ja“, sagte der Habicht und machte ein trauriges Gesicht. Denn er war ein kluger
Habicht und dachte, wenn die Sonne jammert, muß ich mit jammern, das schmeichelt ihr, denn sie ist eine schöne Sonne.
„Wenn ich sterbe, müßt ihr auch sterben“, sagte die Sonne.
„Ja, ja“, sagte der Habicht. Und sein Gesicht war noch trauriger.
Was für ein dummer Habicht, dachte die Sonne. Dem macht das Sterben nichts
aus. „Aber ich will nicht sterben“, sagte sie.
„Ich auch nicht“, sagte der Habicht, „meine Jungen können noch nicht fliegen.“
„Was redest du dann so ein dummes Zeug“, sagte die Sonne.
Und der Habicht sagte: „Ja, ja. Was rede ich nur für dummes Zeug. Entschuldige,
ich bin ein dummer Habicht. Lassen wir also das sterben, und machen wir wieder
unsere Arbeit. Mach du den Tag schön, und wir wollen unsere Jungen fliegen lehren.“
„Das kann ich nicht“, sagte die Sonne.“Mein Herz ist krank und meine Sehnsucht zu
groß. Ich muß den kleinen Vogel singen hören. Dann kann ich wieder den Tag
schön machen.“
„Wenn´s weiter nichts ist“, sagte der Habicht.
„Ach, wie willst du es wohl besorgen?“ sagte die Sonne. „Du kannst ja selbst nicht
einmal singen. Alle Mäuse laufen in ihre Löcher, wenn sie dich schreien hören. Wie
willst du das wohl besorgen?“
„Laß mich nur machen“, sagte der Habicht, „wenn die Erde sich einmal gedreht hat,
hörst du den kleinen Vogel singen.“
Und er flog durch die Wolken zurück und rief alle Vögel, und sie machten eine Versammlung. Auch der kleine Vogel kam. Denn er dachte: Es muß wohl eine wichtige
Versammlung sein, wenn sie von überallher kommen, vom Wald und vom Fluß, von
den Bergen und vom Meer, vom Feld und vom Sumpfgras. Da darf ich nicht fehlen,
bei einer so wichtigen Versammlung. Und er kam und sagte: „Guten Tag.“
Aber keiner hörte ihn. Nur der Pfau spreizte seine Federn und schrie: „Was willst du
denn hier, du häßliches Ding? Man wird ja, nein, man wird ja, ganz melancholisch
wird man.“
„Nun laßt ihn schon“, sagte der Habicht, „schließlich ist er ja auch ein Vogel,“ Und
da der Habicht zur Sonne geflogen war und Rat wußte. Wie sie wieder zum Leuchten gebracht werden sollte, hörte man auf ihn. Und der kleine Vogel blieb da. Er
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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setzte sich ganz nach hinten unter eine Distel und bedeckte mit den kurzen Flügeln
sine Beine, denn er fror auf der kalten Erde.
Der Habicht aber fing an.
„Vögel“, rief er, und es wurde ganz still. Man hörte, wie die Blätter aneinander rieben, so still war es. Das gefiel dem Habicht, und er rief gleich noch einmal: „Vögel!“
Aber es konnte nicht mehr stiller werden. Den Blättern war es gleich, Habicht, „und
ihre Sehnsucht ist zu groß. Sie kann erst dann den Tag wieder schön machen,
wenn sie den kleinen Vogel hat singen hören.“
„Welchen kleinen Vogel?“ fragte die Lerche. „Es gibt so viele kleine Vögel.“
„Ich weißes auch nicht“; antwortete der Habicht. „Wir müssen eben jeden singen
lassen.“
Und alle kleinen Vögel mußten vortreten und ihr Lied singen. Die Meise sang und
der Fink Und das Rotkehlchen und der Zaunkönig. Selbst der Spatz mußte vortreten. Aber all diese Lieder kannte die Sonne schon. Ihre Sehnsucht blieb und so
auch ihre Traurigkeit. Und der Tag nieselte weiter vor sich hin. Es war wirklich ein
trauriger Tag. Nichts wollte helfen. Und die Vögel fingen an den Habicht zu beschimpfen, weil sie glaubten, er hätte sie betrogen. Ja, der Adler war so zornig, daß
er zum Habicht hinflog, ihn packte und ihn töten wollte.
„Töte mich nicht“, bat der Habicht. „Es ist alles so, wie ich es gesagt habe. Wenn du
mich tötest, ist alles verloren.“
Aber der Aller hörte nicht auf das, was der Habicht sagte.
Er flog mit ihm auf einem hohen Felsen und wollte den Habicht in das Meer stürzen.
Der Habicht hatte große Angst. „Gib mir die Stunde Zeit bis zum Abend“, bat er.
„Wenn ich bis dann den kleinen Vogel nicht gefunden habe. Magst du mich töten.“
„Gut“, sagte der Adler. „Ich gebe dir eine Stunde. Hast du bis dahin den Vogel nicht
gefunden, stürze ich dich ins Meer.“ Und er brachte den Habicht wieder zurück zu
den anderen Vögeln.
Der Habicht setzte sich auf einen Stein und dachte nach. Aber sosehr er auch
nachdachte, es fiel ihm nichts ein. Seine scharfen Augen gingen noch einmal über
alle Vögel hin. Alle hatten sie gesungen, und doch war die Sonne fortgeblieben. Er
sah auch den häßlich kleinen Vogel unter der Distel: Der hatte nicht gesungen. Derr
kann mir auch nicht helfen, dachte der Habicht, ein Spatz singt schöne als der. Es
blieb nur noch wenig Zeit. Der Habicht ließ sine Flügel fallen, senkte den Kopf und
wartete auf seinen Tod.
Der kleine Vogel sah, wie der Habicht dasaß, und es ihm das Herz abdrückte. Der
Schmerz des Habichts bereitete auch ihm Schmerz. Er flog unter seiner Distel hervor und setzte sich zum Habicht auf den Stein. „Sei nicht traurig“, sagte er.
„Wie soll ich nicht traurig sein“, sagte der Habicht. „Ich habe den kleinen Vogel nicht
gefunden, der die Sonne zum Leuchten bringt. Und in wenigen Minuten wird mich
der Adler ins Meer stürzen.“
„Wie kann ich dir helfen?“ fragte der kleine Vogel.
„Es kann mir keiner mehr helfen“, antwortete der Habicht.
„Alle Vögel haben schon gesungen, und ich weiß keinen Ausweg mehr.“
„Ich habe noch nicht gesungen“, sagte der kleine Vogel.
„Ach du“, sagte der Habicht. „Was willst du schon singen?
Du bist do häßlich, wie kannst du da die Sonne zum Leuchten bringen?“
„Laß es mich versuchen“, sagte der kleine Vogel.
Ich muß so und so sterben, dachte der Habicht. Also soll er singen.
Und der kleine Vogel saß auf dem Stein neben dem Habicht und sang. So schön
sang er, daß sich die Wolken zerteilten und die Sonne auf die Welt schien. Das
Gras hörte auf, sich zu wiegen, und die Blätter hörten auf, sich aneinander zu reiben.
Alle Vögel saßen da und hielten den Kopf zur Seite.
Der Habicht mußte weinen. So glücklich war er, und er schämte sich wohl auch.
Noch glücklicher aber war der kleine, häßliche Vogel. Er war wirklich ein häßlicher
vogel.
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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Literaturtipp / Link
Hirtler, Sabine
»Kinder brauchen Musik, Spiel und Tanz: Rhythmik als ganzheitliches
Bildungsangebot in der frühkindlichen Erziehung«
http://www.kindergartenpaedagogik.de/1362.pdf
Der kleine häßliche Vogel – Materialmappe
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