Alte Zuchtlinien im Porträt Teil 2 Hindisvík – Zucht in der Bucht
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Alte Zuchtlinien im Porträt Teil 2 Hindisvík – Zucht in der Bucht
40 DIP 3/14 Aus Island Alte Zuchtlinien im Porträt Hindisvík liegt an der Nordspitze der großen Halbinsel Vatnsnes in Nordwestisland, ca. 50 km von Hvammstangi entfernt. Der Nordwind, der über das Nördliche Eismeer bläst, erreicht diese Bucht ungebremst, entsprechend unwirtlich kann es im Winter werden. Im Frühling ist es dagegen oft besonders schön dort, und es gibt nicht nur ein reiches Vogelleben, sondern auch einen Seehundruheplatz. Hindisvík ist seit 1995 nicht mehr ständig bewohnt, ebenso wie einige andere Höfe an der Küste von Vatnsnes. Das alte Wohnhaus aus der Blütezeit der Hindisvík-Zucht steht noch (erbaut ca. 1900, groß und stattlich für damalige Maßstäbe), ist aber nicht mehr bewohnbar. Ein neueres Wohnhaus (von 1940) ist dagegen in gutem Zustand und wird von den heutigen Besitzern im Sommer gelegentlich genutzt. FOTO: HANNÝ HEILER-NORLAND Teil 2 Hindisvík – Zucht in der Bucht … ... und in den wilden Bergen dahinter Von Caroline Mende, Nes im Skagafjörður Direkt hinter der Straße, die zum Wohn- der Name schon sagt, war Rauðskjóna haus führt, erheben sich Felswände und ein Fuchsschecke; die Scheckung setzte das Vatnsnes-Gebirge mit bis zu 900 sich jedoch bei ihren Nachkommen nur Meter hohen Bergen beginnt. Diese ab- minimal in Form weißer Fesseln fort. geschiedene Lage begünstigte die Isola- Die Fuchsfarbe jedoch kam weiterhin tion des Hindisvík-Pferdebestands, der häufig vor, außerdem Rappen und Brau- weitgehend frei in diesem ungefähr 25 x ne. Es handelte sich dabei um drei ge- 35 km großen Gebirge umherstreifte – trennte „Unterlinien“ innerhalb der Hin- Pferde allen Alters und Geschlechts, disvík-Linie, zwischen denen der Ver- auch die Hengste, zeitweise bis zu 140 wandtschaftsgrad geringer war als in- Individuen. So entwickelte sich eine So- nerhalb der Unterlinien. Bis 1995 existierte die Linie als reingezüchtete „Familienzucht“ (skyldleika- pen ausgewählter Stuten zugeordnet rækt), also mit hohem Inzuchtfaktor, die und sie zogen jeweils mit ihrer kleinen überall auf Rauðskjóna zurückging. Die Herde durch die Berge. Die Hengste typischen Merkmale der Linie waren da- FOTO: CAROLINE MENDE zialstruktur wie bei Wildpferden. Den Hengsten wurden jeweils kleine Grup- Wild geht es rund um Hindisvík immer noch zu – freie Herde, im Hintergrund das alte Wohnhaus deckten ihre Stuten, im nächsten Jahr durch sehr erbfest, wurden also mit sehr kamen die Fohlen zur Welt. Nur wenn hoher Wahrscheinlichkeit weitervererbt: Pferde eingeritten oder verkauft werden • relativ zierlich gebaut, mit trockenen sollten, wurde die Herde soweit möglich Gliedmaßen und sehr widerstandsfähig „nach Hause“ getrieben und im Pferch • feiner Kopf, die Stuten oft mit Hecht- die entsprechenden Pferde aussortiert. kopf Die Hengste stammten in der Regel aus • vergleichsweise der eigenen Linie, so dass selbst im schied zwischen männlichem und weib- Falle eines (offenbar relativ seltenen) lichem Kopf deutlicher Unter- „Hengsttauschs“ eine Fortführung der • distanziert gegenüber dem Menschen reinen Linie möglich war. auch nach dem Zähmen/Einreiten Die Hindisvík-Zuchtlinie ist bzw. war • harter eine der ältesten Linien Islands. Die setzungswillen Stammstute Rauðskjóna 394 frá Ána- • hohes Temperament gepaart mit Mut Charakter mit hohem Durch- stöðum wurde um 1885 geboren. Ána- Diese Merkmale führten auch bereits staðir ist ca. 40 km von Hindisvík ent- zur Blütezeit der Hindisvík-Zucht (unge- fernt und zu dieser Zeit gab es dort eine fähr 1930 bis 1960) dazu, dass die Pferde anerkannt gute Reitpferdezucht. Wie polarisierten. Viele Menschen waren ANZEIGE 41 42 DIP 3/14 Aus Island Hindisvík-Zuchtlinie Lage: Vatnsnes, Nordisland Prägende Züchter: FOTOS: ÁSTMUNDUR NORLAND; CAROLINE MENDE Jóhannes Sigurðsson (1858–1908), sein Sohn Sigurður Norland (1885-1971), dessen Neffen Agnar (1924-2012) und sein jüngerer Bruder Sverrir Norland, Agnars Sohn Ástmundur Norland (geb. 1966) Blütezeit: ca. 1930–1960 Prägende Zuchtpferde: • • Rauðskjóna 394 frá Ánastöðum (geb. 1885) Stjarni 118 frá Hindisvík (geb. 1918), Urenkel und Ururenkel von Rauðskjóna, V: ein Hindisvík-Fuchs unbekannten Namens, M: Rauðstjarna frá Hindisvík • Sörli frá Dalkoti (geb. 1926), V: Stjarni 118, M: Yngri-Gribba frá Hindisvík (Enkelin von Rauðskjóna 394) Ástmundur Norland, einer der prägenden Züchter in • Glóblesi frá Hindisvík (geb. 1964), V: Glói frá Hindisvík (Urenkel von Stjarni 118), M: Rauðstjarna (= Stygga-Rauðka) frá Hindisvík FOTO: ÁSTMUNDUR NORLAND (2) Island Ástmundur Norland (Großneffe) – Familienähnlickeit unverkennbar Huginn frá Hindisvík und Ástmundur Norland 1989 Húni frá Hindisvík in Deutschland ren wie Jóhannes’ Sohn Sigurður, der sich te des letzten Jahrhunderts und Verfasser ihr Idealbild der eigenständigen Pferdeper- den Nachnamen Norland gab und zu dessen der Buchreihe „Ætt og saga íslenska hest- sönlichkeit mit starker Ausstrahlung und Lebzeiten die Hindisvík-Zucht ihre Blütezeit sins á 20. öld“ (Abstammung und Geschich- Feuer. Bis heute sind die Hindisvík-Pferde erlebte. Sigurður war nach den Studienjah- te des isländischen Pferdes im 20. Jahrhun- umstritten und viele isländische Pferdeleute ren, die auch ein Jahr in Amerika beinhalte- dert), schreibt in Band 1 über ihn: „Ich kann assoziieren mit ihnen vor allem „schwierig ten, viele Jahrzehnte Bauer in Hindisvík und nicht beurteilen, ob Sigurður ein Pferde- mit ihnen überfordert, andere fanden darin im Umgang“ und „nur für wenige reitbar“. (abgesehen von einer kurzen Unterbrechung) mensch ist oder nicht, aber eins ist den Is- Als typisches Merkmal der Hindisvík-Zucht von 1911 bis 1955 Pfarrer in der ca. sieben Kilo- ländern schon lange klar: dass dieser Geist- (und auch als Begründung für die genannten meter entfernten Kirche des Hofs Tjörn. liche einer der begabtesten und einzigartigs- Schwierigkeiten) wird von Ortsansässigen Er war unverheiratet und kinderlos, eine he- ten Menschen des Landes ist. Etliche schö- rückblickend das Wildpferdeleben ohne jeg- rausragende Persönlichkeit in der Region, ne Momente habe ich mit Sigurður erlebt, liche Zuchtplanung mit hohem Inzuchtfaktor Dichter und vieler Sprachen kundig. Um ein und jeder einzelne davon ist mir in Erinne- gesehen. Beispiel zu nennen: Nachdem er seine Pfar- rung und hinterlässt das Bild eines besonde- Der Begründer der Hindisvík-Zuchtlinie war rertätigkeit altersbedingt aufgegeben hatte, ren Genies.“ der 1858 geborene Jóhannes Sigurðsson. Die legte er an der Hochschule Islands noch ei- Ámundi Jónsson auf dem Hof Dalkot, wie Stammstute Rauðskjóna 394 frá Ána- nen Studienabschluss in Altgriechisch ab. Sigurður 1885 geboren, war sein Verwand- stöðum war sein Reitpferd. Sinnigerweise Finanziell brachte er es zu einigem Wohl- ter, züchtete mit vielen Hindisvík-Pferden wurde Rauðskjóna im selben Jahr 1885 gebo- stand. Gunnar Bjarnason, Zuchtberater Mit- und kannte die Linie nach Einschätzung von 43 Gunnar Bjarnason so gut wie kein anderer. eher flache Hufe. Die Nachkommen sind Auf Dalkot wurde auch der Stjarni-118-Uren- von empfindlichem Gemüt, sehr tempera- kel Sörli frá Dalkoti geboren (Enkel seines mentvoll, gut in allen [fünf] Gängen und mit bekannten Namensvetters Sörli 141, gebo- sehr gutem Rennpass. Glóblesi 700 zeugt ren 1926), der später nach Deutschland kam. fein gebaute temperamentvolle, aber ge- 1970, im Jahr vor Sigurðurs Tod, übernahmen fühlskalte Fünfgangpferde.“ 1992 waren in seine Neffen Agnar und Sverrir die Zucht, Hindisvík allein 20 Stuten Glóblesi-Töchter obwohl sie ihren Wohnsitz nach wie vor in (der Bestand zählte zu der Zeit ca. 100 Pfer- der Hauptstadtregion hatten; Hindisvík war de). Er selbst wurde als für Hindisvík-Pferde ungewöhnlich seitdem nicht mehr ständig bewohnt. 25 Jahre ging dies relativ gut, wurde aber dann Der Urvater: Stjarni 118 menschenfreundlich und weich im Umgang beschrieben, aber über feuriges Temperament verfügte auch er. zunehmend schwierig, so dass nach dem Rekordwinter 1994/95 die Entscheidung fiel, vorgestellt und dort wie folgt beschrieben: Sein 1981 geborener Sohn Huginn wurde die Zucht in Hindisvík aufzulösen und die „[...] schön, sehr feurig, fein gebaut, mit sehr nach Norwegen verkauft und war Teil der weitaus meisten Pferde zu verkaufen. Die guter Aufrichtung, gut gebaute und gerade norwegischen Mannschaft für die Welt- Tragweite dieser Entscheidung lässt sich da- Beine. Gebäude trocken und leicht, weiche meisterschaft 1991. Weitere bekannte Söhne ran ermessen, dass in der großen Tageszei- und federnde Bewegungen. Elite.“ Er wurde im Ausland, die in Europameisterschaften tung Morgunblaðið am 22. Oktober ein Arti- nicht nur in der Region um Vatnsnes, son- jeweils das Finale erreichten, waren zum kel darüber erschien. dern auch in anderen Landesteilen einge- Beispiel Seifur frá Kirkjubæ (1973 geboren, geritten von der Norwegerin Unn Kroghen) und Sóti frá Kirkjubæ (1974 geboren, geritten von Sigurbjörn Bárðarson). Der 1989 geborene Húni wurde nach Deutschland exportiert und war dort 1992 der zweitbeste dreijährige Hengst. Hlöðvir frá Hindisvík, 1985 geborener Glóblesi-Enkel, machte sich in Deutschland mit Andreas Trappe ebenfalls einen Namen und zeugte etliche Nachkommen unter anderem auf dem Waldhof und auf dem Lindenhof. Sigurbjörn Bárðarson charakterisierte 1983 die Hindisvík-Linie als hübsch, leicht gebaut, mit besonders feinem Haarkleid; empfindlich, intelligent, sehr temperamentvoll und Hrafnhildur frá Hindisvík, doppelte Ururenkelin von Glóblesi, Urenkelin von Hlöðvir FOTO: CAROLINE MENDE sehr eigenständig. Er sah darin keine Charakterfehler, aber führte es auf diese Merkmale zurück, dass nicht alle Menschen sich Agnars Sohn Ástmundur, genannt Tobbi, setzt. Vielfach waren seine Nachkommen auf diesen Pferden wohlfühlen. Sie verlangten Respekt und Wertschätzung von ihrem wohnt jedoch seit Herbst 2013 auf dem Hof Viergänger mit gutem Tölt. Sæból nahe Hvammstangi ca. 35 km von In der jüngeren Vergangenheit erregte vor Bereiter und ließen sich nicht zwingen; ihre Hindisvík entfernt und versucht – wenn auch allem Stjarnis Ururenkel Glóblesi 700 Auf- Eigenständigkeit ginge so weit, dass man in kleinem Stil – die Hindisvík-Linie zu erhal- merksamkeit (1964–1990). Wie der Name niemals die volle Kontrolle über sie erlangen ten, indem er Pferde mit Hindisvík-Vorfah- bereits sagt, war er ein Fuchs mit hellem könne. ren paart. Es fehlt dafür vor allem ein Langhaar und Blesse, der u. a. auf dem be- Die Hindisvík-Linie wurde über rund 100 Jah- Hengst mit nennenswertem Hindisvík-Erb- rühmten Hof Kirkjubær deckte, auf dem re isolierter und „reiner“ gehalten als alle an- anteil. Einige seiner Stuten zeigen dennoch Landsmót 1982 mit Nachkommen vorge- deren Linienzuchten, gelangte damit aber die klassischen Merkmale der Zucht mit fei- stellt wurde und den 1. Preis für Nachkom- zunehmend an ihre Grenzen und stellt damit nem Körperbau und zurückhaltend-scheuer men erhielt. Über seine Nachkommen heißt generell das Prinzip der Linienzuchten in Art. Es leben also seit kurzem wieder Pferde es dazu (eine gute Charakteristik der gene- Frage. Seit nunmehr fast 20 Jahren ist die mit Vorfahren aus der alten Linie in Hindis- rellen Merkmale der Hindisvík-Zucht): „Sie Zucht als solche aufgelöst. Ihr Einfluss bleibt vík. Nähere Informationen finden sich unter sind schmal und fein gebaut. Der Kopf ist ak- dennoch spürbar und man darf gespannt www.hindisvik.com im Internet. zentuiert, mit eher offenen Ohren, hartem sein, inwieweit die seit kurzem von Ásmun- Rückblickend war zunächst der Hengst oder sogar kaltem Gesichtsausdruck. Der dur Norland versuchte „Rückzucht“ mög- Stjarni 118 frá Hindisvík herausragend, ein Hals ist schlank, aber nicht genug aufgerich- lichst reiner Hindisvík-Pferde gelingen wird. Fuchs mit Stern. 1917 geboren, wurde er 1928 tet. [...] Gelenkige Beine, relativ gerade,