Diagnostische Zuverl ä ssigkeit einer Kurzversion des

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Diagnostische Zuverl ä ssigkeit einer Kurzversion des
76 Originalarbeit
Diagnostische Zuverlässigkeit einer Kurzversion des
Elternfragebogens ELFRA-2 zur Früherkennung von
Sprachentwicklungsverzögerungen
Validity of a Short Form of the ELFRA-2 (German Version of the CDI-Toddler
Form) for Early Identification of Late Talkers
Autoren
S. Sachse, W. von Suchodoletz
Institut
Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München
Schlüsselwörter
䉴 Sprachentwicklungs䊉
verzögerung
䉴 Elternfragebögen
䊉
䉴 ELFRA-2
䊉
䉴 Kurzform
䊉
Zusammenfassung
&
Abstract
&
Hintergrund: Zur Früherkennung von Kindern
mit Sprachentwicklungsverzögerungen haben
sich Elternfragebögen als brauchbare Instrumente erwiesen. Einem generellen Einsatz des
ELFRA-2 bei der U7 steht allerdings dessen Länge
entgegen. Ziel der Studie war es, eine Kurzversion zu erarbeiten und hinsichtlich ihrer Verlässlichkeit zu überprüfen.
Methoden: 1397 Eltern wurden kurz vor dem
zweiten Geburtstag ihres Kindes ELFRA-2-Bögen
zugeschickt. Die Rücklaufquote betrug 71 %. Die
Bögen von einsprachig deutsch aufwachsenden
Kindern (n = 866) wurden auf zwei Stichproben
aufgeteilt. In der ersten Stichprobe wurden mit
regressionsanalytischen Methoden die aussagefähigsten Wortkategorien extrahiert und zu
einem Kurztest zusammengestellt. Anhand der
zweiten, unabhängigen Stichprobe wurde die
Validität der Kurzfassung überprüft.
Ergebnisse: Mittels schrittweiser Regressionsanalyse wurde anhand der Stichprobe 1 eine aus
42 Items bestehende Kurzversion erstellt. Diese
zeigte eine hohe Korrelation mit den Ergebnissen der Vollversion (r = 0,95). Die meisten Kinder
wurden mit der Kurz- und Langversion übereinstimmend als sprachlich unauffällig bzw. sprachretardiert klassifiziert (83 % Sensitivität und 97 %
Spezifität der Kurzversion in der unabhängigen
Stichprobe). Wurden Sprachauffälligkeiten mit
3 Jahren als Außenkriterium herangezogen, dann
waren die Trefferquoten bei einer Klassifikation
der Kinder mit der Kurz- und der Langform vergleichbar hoch.
Schlussfolgerungen: Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass mit einer Kurzversion des
ELFRA-2 die Erfassung zweijähriger, sprachentwicklungsverzögerter Kinder mit einer ähnlichen
Zuverlässigkeit wie mit der deutlich aufwändigeren Lang-version gelingt. Bei der Verwendung
einer Kurzversion ist eine sofortige Auswertung
Background: Parents’
questionnaires
are
assumed to be reliable instruments for early
identification of language retardation. The general use of the ELFRA-2 in practice, however, is
limited by its length. The goal of the study was to
construct and to evaluate a short version.
Subjects and Method: The ELFRA-2 was sent to
1397 parents shortly before their child’s second
birthday. The return rate of the questionnaire
was 71 %. Questionnaires of monolingual German
speaking children were included in the study
(n = 866) and randomly divided into two samples.
From the first sample the most informative word
categories were extracted by means of regression analysis and were used to compose a short
form. With the second independent sample the
validity of the short version was determined.
Results: By means of stepwise regression analysis within the first sample a short version consisting of 42 items was developed. The correlation
between scores of the short and the long version
was high (r = 0.95) and the classification (no language retardation vs. late talker) was congruent
for most children. The sensitivity and the specifity of the short form were 83 % and 97 %, respectively. For the prediction of language impairment
at the age of three years the short and the long
version reached similar detection rates.
Conclusions: The results show that the validity
of the short and the long form are comparable
with respect to detection of late talkers. The time
necessary to complete the short version allows
its application during standard check-up examinations of children at the age of two years, and
also to immediately discuss its result with the
parents. Before the short form can be applied in
pediatric practice, however, a standardization is
necessary.
Key words
䉴 language retardation
䊉
䉴 parent questionnaire
䊉
䉴 German version of CDI
䊉
䉴 short form
䊉
Bibliografie
DOI 10.1055/s-2006-942174
Klin Pädiatr 2007; 219: 76–81
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0300-8630
Korrespondenzadresse
S. Sachse
Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie · Ludwig-Maximilians-Universität · Nußbaumstr. 7
80336 München
Tel.: + 089/45/22 90 35
Fax: + 089/51/60 47 56
Steffi[email protected]
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möglich und das Ergebnis kann den Eltern unmittelbar während
der Untersuchung mitgeteilt werden. Vor einem routinemäßigen
Einsatz bei der U7 sollte aber eine ausreichende Normierung der
Kurzversion abgewartet werden.
Hintergrund und Fragestellung
&
Eine Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen ist ein
wichtiges klinisches Anliegen. Die Notwendigkeit dazu wird aus
Langzeitstudien deutlich, in denen deutlich wurde, dass
Sprachentwicklungsstörungen langfristig zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der Entwicklungschancen eines Kindes führen.
Kinder, bei denen es nicht gelingt, sprachliche Rückstände bis
zum Einschulungsalter zu kompensieren, haben nach
Schuleintritt mit hoher Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten
beim Erwerb des Lesens und Rechtschreibens. Schulversagen
mit Klassenwiederholungen und frühzeitigem Schulabgang sind
die Folge. Der soziale Status dieser Kinder liegt im Erwachsenenalter deutlich unter dem nach Intelligenz und sozialem Hintergrund zu erwartenden Niveau. Sprachentwicklungsstörungen
wirken sich zudem negativ auf die Persönlichkeitsreifung aus.
Bei Kindern mit persistierenden Sprachauffälligkeiten ist im
Erwachsenenalter mit 40 %iger Wahrscheinlichkeit mit psychischen Störungen zu rechnen. Besonders häufig werden
soziale Ängste und ein antisoziales Verhalten beobachtet [13].
Damit bei der U7 Sprachentwicklungsverzögerungen nicht
übersehen werden, wurde von Grimm und Doil [4] der „Elternfragebogen für zweijährige Kinder: Sprache und Kommunikation – ELFRA-2“ entwickelt. Der ELFRA-2 basiert auf international
weit verbreiteten Elternfragebögen, den „MacArthur Communicative Development Inventories (Toddler Form) – CDI“ [2] und
dem „Language Development Survey – LDS“ [8].
Der ELFRA-2 besteht aus einer Wortliste mit 260 Wörtern und
aus Satzbeispielen. Die Eltern kreuzen an, welche Wörter und
Wortverbindungen ihr Kind schon spricht. Die syntaktischen
Fähigkeiten werden mit 25 Satzbeispielen, bei denen anzugeben
ist, welche der jeweils 3–5 Satzvarianten benutzt werden,
beurteilt. Mit 11 weiteren Items werden morphologische Fähigkeiten (z. B. Mehrzahlbildung) eingeschätzt. Nach bisherigen
Erfahrungen werden Kinder mit Retardierungen beim Spracherwerb, so genannte Late talkers, im Alter von 24 Monaten mit
dem Elternfragebogen ELFRA-2 recht zuverlässig erkannt [12].
Bislang konnte sich der ELFRA-2 bei der U7 jedoch noch nicht als
routinemäßig verwendetes Screening-Verfahren durchsetzen.
Ein wesentlicher Grund dafür dürfte der zeitliche Aufwand sein,
der für Ausfüllen und Auswertung erforderlich ist. Bei einer
Befragung gaben 32 % der Eltern an, dass sie zum Ausfüllen 20–
30 Minuten und weitere 15 % über 30 minuten benötigt hätten.
Nur ein Viertel der Eltern hält es für möglich, den neun Seiten
langen Fragebogen bei der U7 im Wartezimmer des Kinderarztes auszufüllen. In der Praxis ist eine höhere Akzeptanz nur zu
erwarten, wenn ein deutlich kürzeres Verfahren zur Verfügung
steht. Allerdings muss gewährleistet sein, dass mit einer Kurzversion Late talkers mit ähnlicher Zuverlässigkeit wie mit dem
ELFRA-2 erkannt werden.
Die Toddler Form der Vollversion des CDI, von der bei der Entwicklung des ELFRA-2 ausgegangen worden war, besteht aus
zwei Parallelversionen (Form A und B) mit jeweils 680 Wörtern.
Da derartig umfangreiche Elternfragebögen für viele Anwendungen ungeeignet sind, wurden Kurzformen mit 100 Wörtern
und einer Frage zur Satzbildung („Hat ihr Kind bereits begon-
nen, Wörter zu kombinieren?“) erstellt. Die Wörter wurden
nach theoretischen Erwägungen (Zeitpunkt des Auftretens in
der Sprachentwicklung, semantische und linguistische Kategorie, Eindeutigkeit) aus der Langform extrahiert. Die Kurzformen
werden von den Autoren sowohl für den praktischen Einsatz als
auch für die Forschung als geeignet angesehen [3]. Für den spanischen Sprachraum wurden auf der Grundlage des CDI ebenfalls zwei Kurzformen mit je 100 Wörtern erarbeitet und
normiert. Eine der Versionen bezieht die drei längsten
Äußerungen des Kindes in die Bewertung ein. Eine Erhebung
von Sprachdaten mit dieser Kurzform bei 140 Krippenkindern
im Alter von 15–30 Monaten zeigte, dass die Werte eine ähnliche Streuung wie die der Langform aufweisen. Dies weist nach
Ansicht der Autoren darauf hin, dass die Kurzform in der Lage
ist, Kinder im unteren Leistungsbereich zu identifizieren [6].
Der LDS, der ähnlich wie der CDI zur Beurteilung der frühen
Sprachentwicklung eingesetzt werden kann und der als Zweites
Verfahren zur Konstruktion des ELFRA-2 herangezogen worden
war, besteht aus einer Wortliste mit 310 Wörtern und einer
allgemeinen Frage zur Bildung von Wortverbindungen. Er ist
damit ähnlich lang wie der ELFRA-2. Für diesen Test wurde
unseres Wissens bislang keine Kurzform erstellt.
Zielstellung der vorliegenden Studie war es, für den Zeitpunkt
der U7 eine Kurzfassung des ELFRA-2 zu erarbeiten und zu überprüfen, wie gut die Ergebnisse der Kurzfassung mit denen der
Originalversion übereinstimmen und ob die Kurzfassung zur
Früherkennung von Late talkers geeignet ist.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
&
1397 Eltern wurden ein bis zwei Wochen vor dem zweiten
Geburtstag ihres Kindes ELFRA-2-Bögen zugeschickt. Die
Adressen entstammten dem Geburtsanzeiger einer Zeitung, die
über die Geburt eines Kindes informiert, wenn Eltern der Bekanntgabe nicht ausdrücklich widersprochen haben. Die Rücklaufquote betrug 71 % (n = 996). In die Auswertung wurden nur
ELFRA-2-Bögen von Kindern einbezogen, die einsprachig deutsch aufwuchsen (n = 866, Alter: 58 % = 23 Monate, 37 % = 24
Monate, 5 % = über 24 Monate; Geschlecht: Jungen zu
Mädchen = 51 zu 49 %). Die Gesamtgruppe wurde nach dem
Zeitpunkt des Eintreffens der Bögen in zwei gleich große Stichproben unterteilt. Die Gruppen unterschieden sich nicht nennenswert hinsichtlich Alter, Geschlecht und dem Prozentsatz an
Late talkers (19 bzw. 17 %). Dabei wurden Kinder mit einem
Wortschatz unter 50 und Kinder, die bei einem Wortschatz
zwischen 50 und 80 im Syntaxund Morphologiewert den kritischen Wert unterschritten, als Late talkers klassifiziert. Dieses
Vorgehen entspricht den im Handbuch vorgegebenen ELFRAKriterien für sprachliche Risikokinder.
Anhand der Stichprobe 1 wurde eine Kurzform erarbeitet, indem
mittels Regressionsanalyse diejenigen Wortkategorien extrahiert wurden, die am besten zwischen sprachlich altersgerecht
und sprachlich verzögert entwickelten Kindern unterschieden.
Durch einen Vergleich mit den Ergebnissen der ELFRA-Originalfassung wurde die Übereinstimmung von Kurzform und Lang-
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Abb. 1 Durchschnittliche Leistungen der Kinder
mit bzw. ohne Sprachentwicklungsverzögerung
der Stichprobe 1 (n = 433) in den einzelnen
Wortkategorien des ELFRA-2 (Mittelwerte und
Standardabweichungen).
Tab. 1 Mittels Regressionsanalyse für eine Kurzform ausgewählte Items
Abb. 2 Prozentsatz der zwischen Kurz- und Langform
übereinstimmenden Klassifikationen bei einer Berücksichtigung
einer zunehmenden Anzahl von Items (schrittweise binär logistische
Regressionsanalyse; unabhängige Variablen: Rohwerte in den
einzelnen Wortkategorien und zusätzlich ein allgemeines Item zur
Syntaxentwicklung).
form sowohl dimensional (Korrelationsanalyse) als auch
kategorial (Berechnung von Gesamttrefferquote, Sensitivität
und Spezifität) überprüft. Für die Kurzform wurde ein Cut-offWert bestimmt.
Mit der Stichprobe 2 wurde kontrolliert, ob die in der Ursprungsstichprobe gewonnenen Ergebnisse mit einer unabhängigen Kindergruppe reproduzierbar sind.
Ergebnisse
&
Erarbeitung einer Kurzform anhand der Stichprobe 1
Die aus 260 Wörtern bestehende Wortschatzliste des ELFRA-2
ist in 20 Kategorien mit jeweils 5–31 Wörtern unterteilt.
Für jede Kategorie wurde ein Summenwert gebildet. Wie aus
䉴 Abb. 1 hervorgeht, liegen die Werte von sprachlich unauffällig
䊉
entwickelten und sprachretardierten Kindern in einzelnen
Wortkategorien relativ eng beieinander, während sie sich in
anderen deutlich unterscheiden. Für einen Kurztest sind demzufolge nicht alle Wortkategorien gleich gut geeignet.
Der zweite Teil des ELFRA-2, der Satzbeispiele und Beispiele für
Wortendungen enthält und über die Hälfte des Fragebogenheftes ausmacht, wird bei einer Zuordnung der Kinder zu den
Gruppen sprachlich altersgerecht bzw. verzögert entwickelte
Kinder nur relativ selten berücksichtigt. In unserer Stichprobe
wurden 84 % der Late talkers alleine über das Wortschatzkriterium klassifiziert. Die Auswertung des Fragebogenabschnittes
zur Grammatikentwicklung ist zudem etwas aufwändiger als
die der Wortliste. Für einen einfach zu handhabenden Kurztest
bieten sich deshalb die Skalen „Syntax“ und „Morphologie“
weniger als die Skala „Wortschatz“ an. Eine Ausnahme macht
die allgemeine Frage zur Satzentwicklung („Hat Ihr Kind schon
damit begonnen, Wörter miteinander zu verbinden?“). Bei 99 %
Analyseschritt: Wortkategorie „Essen und Trinken“ (Apfel, Banane, Birne,
Brot, Ei, Eis, Käse, Kartoffeln, Keks, Kuchen, Milch, Saft, Suppe, Wasser,
Wurst)
Analyseschritt: Wortkategorie „Draußen“ (Baum, Blume, Garten, Haus,
Mond, Park, Rutsche, Sandkasten, Schaukel, Schnee, Spielplatz,
Stein, Sterne, Stock, Tankstelle, Wald, Wind)
Analyseschritt: Allgemeine Frage zur Satzentwicklung (Hat Ihr Kind schon
damit begonnen, Wörter miteinander zu verbinden?)
Analyseschritt: Wortkategorie „Bekleidung“ (Handschuhe, Hose, Jacke,
Jeans, Mütze, Pullover, Schuhe, Socken, Strumpfhose)
der sprachlich unauffällig entwickelten Kinder wurde diese
Frage bejaht, während dies bei den Late talkers nur bei 44 % der
Fall war. Das Item zum Auftreten von Wortverbindungen scheint
demnach besonders gut zwischen sprachlich unauffälligen und
auffälligen Kindern zu differenzieren und wurde deshalb aus
dem Syntax- und Morphologie- Teil des Fragebogens als einziges
für einen Kurztest in Betracht gezogen.
Um zu entscheiden, welche Wortkategorien des ELFRA-2 in
einen Kurztest aufgenommen werden sollten, wurde eine schrittweise binär logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Die
abhängige Variable bildete die nach dem ELFRA-2-Ergebnis
vorgenommene Gruppeneinteilung in sprachlich unauffällig
entwickelte Kinder und Late talkers. Als unabhängige Variablen
dienten die 20 Wortkategorien der Wortschatzliste und zusätzlich die Antwort auf die Frage nach der Produktion von Wortverbindungen. Bei der schrittweisen Regressionsanalyse werden
die einzelnen unabhängigen Variablen nacheinander in die
Berechnung aufgenommen. Die am meisten zur Gruppendifferenzierung beitragenden Variablen werden dabei zuerst
berücksichtigt. Wie 䊉䉴 Abb. 2 zeigt, nahm in den ersten vier
Analyseschritten der Prozentsatz der zwischen Kurz- und Langform übereinstimmenden Klassifikationen annähernd linear zu,
um dann ein Plateau bei einer Übereinstimmung von etwa 98 %
zu erreichen. Der erste Analyseschritt beinhaltete die Wortkategorie „Essen und Trinken“ mit 15 Wörtern, der zweite nahm
zusätzlich die Kategorie „Draußen“ mit 17 Wörtern auf, der
dritte die Frage nach Wortverbindungen aus dem Syntax-Teil
des Fragebogens und der vierte Schritt die Kategorie „Bekleidung“ mit 9 Wörtern. Der fünfte Schritt, der die Wortkategorie
„Verben“ mit 40 Items beinhaltete, führte zu keiner besseren
Übereinstimmung der diagnostischen Zuordnung und das Hinzufügen weiterer Wortkategorien erbrachte erst im elften Schritt
einen weiteren Anstieg der Übereinstimmungen. Die 42 Items
der ersten vier Schritte führen demzufolge zu einer relativ
zuverlässigen Gruppenzuordnung und wurden deshalb zu einer
Kurzfassung zusammengestellt (䊉䉴 Tab. 1).
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Abb. 3 Beziehung zwischen dem Ergebnis
der Kurzform und dem Wortschatz-Wert im
ELFRA-2 (Scatterplot; senkrechte Linie: kritischer
Wortschatz-Wert des ELFRA-2, horizontale Linie: als
kritischer Wert festgelegter Bereich im Kurztest).
Die Übereinstimmung zwischen dem Gesamtwert der Kurzfassung und dem Wortschatz-Wert des ELFRA-2 erwies sich als
sehr hoch (Pearson-Korrelationskoeffizient r = 0,946; p < 0,01)
und über den gesamten Leistungsbereich zufrieden stellend
(䊉䉴 Abb. 3). Wird für den Kurztest ein Cut-off-Wert von 15
gewählt, dann unterschreiten alle Kinder, die im ELFRA-2 einen
Wortschatz unter 50 hatten, diesen Wert und zusätzlich einige
Kinder mit einem ELFRA-2-Wortschatz im Grenzbereich (50–
80). Werden Kinder mit einem Wert unter 15 als sprachretardiert eingestuft, dann ergeben sich in dieser Stichprobe mit der
Kurzfassung 17 % Late talkers gegenüber 19 % bei einer Klassifikation nach den im Handbuch angegebenen ELFRA- 2-Kriterien. 88 % der im ELFRA-2 als Late talkers klassifizierten Kinder
wurden auch mit dem Kurztest als sprachretardiert identifiziert
(Sensitivität) und 99 % der Nicht-Late talkers nach ELFRA-2 als
sprachunauffällig (Spezifität). Die Gesamttrefferquote betrug
97 % (䊉䉴 Abb. 4). Für diese Stichprobe zeigen die Ergebnisse somit
sowohl bei dimensionaler als auch bei kategorialer Betrachtungsweise eine gute Überstimmung zwischen ELFRA- 2-Kurz- und
Vollversion.
Überprüfung der Zuverlässigkeit der Kurzform anhand
der unabhängigen Stichprobe 2
Eine hohe Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen der
Lang- und Kurzform in der Stichprobe 1 war zu erwarten, da
anhand dieser Stichprobe der Kurztest entwickelt wurde. Um die
Zuverlässigkeit der Kurzversion zu belegen, ist eine Überprüfung
in einer von der Testkonstruktion unabhängigen Kindergruppe
erforderlich. Hierzu diente die Stichprobe 2 (n = 433). In dieser
zweiten Kindergruppe ergab sich gleichfalls eine sehr hohe Korrelation zwischen den Ergebnissen der Kurz- und Langform von
r = 0,948 (p < 0,01). Sowohl bei einer Einstufung mit der Kurzform
als auch bei einer Klassifikation nach den ELFRA-2-Kriterien
wurde eine Häufigkeit von Late talkers von 17 % ermittelt.
Für den Einsatz der Kurzversion in der Betreuungspraxis ist
entscheidend, wie sicher Late talkers erkannt (Sensitivität) und
wie zuverlässig sprachlich unauffällig entwickelte Kinder richtig
klassifiziert werden (Spezifität). Als Kriterium dafür, ob eine
Sprachentwicklungsverzögerung vorliegt, wurde die ELFRA-2Einstufung nach den im Handbuch vorgegebenen Merkmalen
herangezogen. Wie 䊉䉴 Abb. 4 ausweist, unterscheiden sich Sensitivität und Spezifität der Kurzversion in der Stichprobe zur
Erstellung der Kurzfassung und in der unabhängigen Stichprobe
kaum voneinander. Die Gesamttrefferquote liegt in der Stichprobe 2 nur geringfügig unter dem Wert der Ursprungsstichprobe, anhand der die Kurzfassung erarbeitet worden war.
Abb. 4 Spezifität, Sensitivität und Gesamttrefferquote der Kurzform
(Cut-off-Wert < 15) für die Erfassung von Late talkers (klassifiziert nach
ELFRA-2-Kriterien) in einer unabhängigen Stichprobe verglichen mit den
Werten in der Ursprungsstichprobe.
In einer Subgruppe der Stichprobe 2 wurde außerdem überprüft,
wie hoch Sensitivität und Spezifität der Kurzform einzuschätzen
sind, wenn als Kriterium, ob eine Spracherwerbsstörung vorliegt
oder nicht, der Sprachentwicklungsstand im Alter von drei
Jahren herangezogen wird. Dazu beurteilten 149 Eltern ein Jahr
nach der Erstuntersuchung die sprachlichen Fähigkeiten ihres
Kindes mit einer für dreijährige Kinder geeigneten Version des
ELFRA-2. Bei dieser Version handelt es sich um einen im ELFRA2-Handbuch beschriebenen Fragebogen zur Beurteilung syntaktischer und morphologischer Fähigkeiten. Als sprachauffällig
wurden von uns Kinder eingestuft, die hinsichtlich ihrer grammatischen Fähigkeiten mehr als eine Standardabweichung
unterhalb des im Handbuch angegebenen Mittelwertes lagen.
Auch bei der Wahl dieses Außenkriteriums ergaben sich für die
Kurzform hohe Trefferquoten, die mit denen der Originalfassung
des ELFRA-2 vergleichbar waren (䊉䉴 Abb. 5).
Diskussion
&
Elternfragebögen haben sich als geeignet erwiesen, den
Sprachentwicklungsstand eines Kindes ausreichend zuverlässig
zu erfassen [7, 9, 11] und Kinder mit einer unauffälligen Sprachentwicklung von Late talkers abzugrenzen [5]. Bis zu einem Alter
von 21/2 Jahren ist die Treffsicherheit von Elternratings genauso
hoch wie diejenige individueller Sprachtests. Einem generellen
Einsatz solcher Fragebogen steht allerdings deren Länge entgegen. Für den CDI wurden deshalb sowohl für den englischen als
auch für den spanischen Sprachraum deutlich kürzere Versionen entwickelt, die für 8 bis 18 (Infant form) bzw. 16 bis 30
Monate (Toddler form) alte Kinder normiert wurden [6].
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Abb. 5 Spezifität, Sensitivität und Gesamttrefferquote der
Kurzform und des ELFRA-2 für die Erfassung von Kindern mit einer
Sprachentwicklungsstörung im Alter von drei Jahren.
Als entscheidendes Kriterium für das Sprachniveau ein- und
zweijähriger Kinder erwies sich der Wortschatz. Vergleichbar
mit den CDI-Kurzformen besteht deshalb die hier vorgestellte
Kurzversion des ELFRA-2 aus einer Wortliste und nur einer einzigen Frage zu grammatischen Fähigkeiten. Die Syntaxfrage, ob
das Kind begonnen hat, Wörter aneinander zu reihen, fand
Berücksichtigung, da das Auftreten von Zweiwortsätzen einen
wichtigen Meilenstein in der Sprachentwicklung darstellt, dem
in der Regel ein schneller Zuwachs von Wortschatz und grammatischen Fähigkeiten folgt. Im Gegensatz zu den Autoren des
CDI ging es uns aber bei der Entwicklung einer Kurzform nicht
darum, mit einem in der Praxis leicht einsetzbaren Test den
Sprachentwicklungsstand eines Kindes in allen Leistungsbereichen zu erfassen, sondern um ein Verfahren, das zum Zeitpunkt
der U7 möglichst zuverlässig zwischen altersgerecht entwickelten und sprachretardierten Kindern unterscheidet. Deshalb
erfolgte die Extraktion der aussagefähigsten Items nicht – wie
beim CDI – nach dem Schwierigkeitsgrad der Wörter und nach
linguistischen Gesichtspunkten, sondern danach, welche
Wortkategorien Late talkers am besten identifizieren.
Die von uns gefundene Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen von Kurz- und Langform (Stichprobe 1: r = 0,946 bzw.
Stichprobe 2: r = 0,948) sind mit denen der CDI-Versionen vergleichbar. Fenson et al. [3] geben für 22–27 Monate alte Kinder
Korrelationen der Lang- mit der Kurzversion zwischen 0,84 und
0,95 an. Bei einer Überprüfung der Übereinstimmungen in einer
von der Testkonstruktion unabhängigen Stichprobe betrug die
Korrelation zwischen Kurz- und Langform für die Form A r = 0,74
(überprüft bei 28 Kindern) und für die Form B r = 0,93 (überprüft
bei 40 Kindern). Reznick & Goldsmith [10], welche die CDI unter
Berücksichtigung der Auftretenswahrscheinlichkeit der Wörter
in fünf Parellelformen mit je 123 Items aufgeteilt hatten, berichteten über Korrelation der Kurzformen mit der Vollversion
zwischen 0,42 und 0,82. Für die spanischen Adaptationen des
CDI liegen uns keine genaueren Angaben vor. Einem Tagungsbericht ist zu entnehmen, dass die Korrelationen zwischen Kurzund Langform hoch signifikant (p < 0,01) waren [6].
Der Itempool der hier vorgestellten Kurzform ist mit 42 Items
deutlich kleiner als der aus 100 bzw. 123 Items bestehende der
verschiedenen CDI-Kurzversionen. Bei der Entwicklung unseres
Kurztests war eine Beschränkung auf 41 Wörter und eine Syntaxfrage möglich, weil nur der Altersbereich um den Zeitpunkt
der U7 erfasst werden sollte. Die Toddler-Formen der CDI-Varianten hingegen sind zur Beurteilung der Sprachentwicklung von
Kindern zwischen dem 16. und 30. Lebensmonat vorgesehen.
Während dieser Zeit verdreifacht sich der Wortschatz und bei 16
Monate alten Kindern sind ganz andere Wörter zu einer Bestimmung des Sprachniveaus aussagefähig als bei 30 Monate alten.
Ein Test für eine solch große Altersspanne muss zwangsläufig
umfangreicher sein als ein solcher für einen eng begrenzten
Altersbereich. In dem von uns betrachteten Altersbereich vom
23. bis zum 24. Lebensmonat ist mit einer nur geringen
Veränderung des Vokabulars zu rechnen. Nach einer Studie von
Feldman et al. [1] erhöht sich der Wortschatz in dieser Zeit
lediglich um etwa 7 %. Eine Berücksichtigung der altersbedingten Zunahme des Wortschatzes ist somit bei der Konstruktion eines Tests für diesen begrenzten Altersbereich nicht
erforderlich und relativ wenige Items ermöglichen eine reliable
Erkennung einer Sprachentwicklungsverzögerung.
Die von uns erarbeitete Kurzform zeigte nicht nur eine hohe
Korrelation mit dem Wortschatzergebnis der Vollversion,
sondern stimmte auch hinsichtlich der Zuordnung eines Kindes
als Late talker bzw. als sprachlich altersgerecht entwickeltes
Kind weitgehend mit der Langform überein. Wurde die ELFRA2-Klassifikation als „Goldstandard“ benutzt, dann waren auch in
der unabhängigen Stichprobe Sensitivität und Spezifität der
Kurzversion mit 83 bzw. 97 % recht hoch. Wurde der Sprachentwicklungsstand mit drei Jahren als Bewertungsmaßstab herangezogen, dann unterschieden sich die Trefferquoten von Kurz- und
Vollversion nicht nennenswert voneinander. Ob mit den CDIKurzformen ähnlich hohe Trefferquoten erreicht werden, ist
nicht bekannt, da unseres Wissens für diese Verfahren bislang
keine Daten zu Sensitivität und Spezifität hinsichtlich der Erfassung von Late talkers publiziert wurden.
Insgesamt konnte in der Studie gezeigt werden, dass im Alter von
23 und 24 Monaten mit einer Kurzform des ELFRA-2 der
Sprachentwicklungsstand eines Kindes ähnlich zuverlässig wie
mit der Langform beurteilt werden kann und dass Late talkers
mit einer vergleichbaren Trefferquote erfasst werden. Die 42
Items der Kurzversion lassen sich in wenigen Minuten beantworten. So viel Zeit steht den Eltern vor der U7 im Wartezimmer
des Kinderarztes in der Regel zur Verfügung und auch Mütter aus
bildungsferneren Schichten werden sich nicht überfordert fühlen.
Bei der Auswertung ist lediglich die Anzahl der angekreuzten
Wörter zu bestimmen. Das Ergebnis kann deshalb bereits
während der Untersuchung vorliegen und mit den Eltern besprochen werden. Wenn aus organisatorischen Gründen ein Einsatz der Vollversion des ELFRA-2 auf Schwierigkeiten stößt oder
die Eltern über unzureichende Kompetenzen verfügen, dann
bietet sich somit die Kurzform als sinnvolle Alternative an.
Bevor allerdings die beschriebene Kurzversion des ELFRA-2 zur
Anwendung in der kinderärztlichen Praxis empfohlen werden
kann, sind eine Normierung und eine Überprüfung des von uns
verwendeten Cut-off-Wertes erforderlich. In der vorliegenden
Studie hatten die Eltern die Langform ausgefüllt, aus der für die
Kurzform besonders gut differenzierende Wortkategorien extrahiert wurden. Es kann aber nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das Antwortverhalten der Eltern bei
wenigen Wörtern identisch ist mit dem bei der Bearbeitung
einer umfangreichen Wortliste. In einer nachfolgenden Studie
ist deshalb zu klären, wie das Ergebnis ausfällt, wenn Eltern nur
die 42 Items der Kurzversion vorgelegt werden.
Sachse S, von Suchodoletz W. Diagnostische Zuverlässigkeit einer … Klin Pädiatr 2007; 219: 76–81
Originalarbeit 81
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