Mobbing Schule i n der

Transcrição

Mobbing Schule i n der
Mobbing
in
der
Schule
polis aktuell
Nr. 6
►Was ist Mobbing?
► Prävention und Intervention
► Perspektiven aus der Praxis
► Cybermobbing
► Hilfreiche Links, Materialien, Veranstaltungen
2009
polis aktuell
Liebe Leserin, lieber Leser!
Mobbing ist ein weit verbreitetes Phänomen mit
einschneidenden und oft lang wirkenden Folgen.
Nur wenige, besonders spektakuläre Situationen
werden breit diskutiert, doch der Alltag zu vieler
SchülerInnen und LehrerInnen ist durch Angst und
Stress aufgrund von Mobbing geprägt.
Aus der Sicht der Politischen Bildung ist die
Beschäftigung mit Mobbing eine Gelegenheit zur
Stärkung der Handlungskompetenz und Reflexionsfähigkeit von SchülerInnen, Lehrkräften, SchulleiterInnen und Eltern. In welchen Strukturen
bewegen und begegnen wir uns? In welchem Ausmaß können wir diese gestalten? Wie können Konflikte offen und respektvoll ausgetragen werden?
In diesem Heft beleuchten wir Mobbing und Bullying aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Licht auf
dieses Phänomen zu werfen, ist das zentrale Mittel, um es einzudämmen und zum Verschwinden
zu bringen, darin sind sich viele Menschen, die
sich mit Prävention und Intervention bei Mobbing
beschäftigen, einig.
Mobbing zum Thema machen, klare Vereinbarungen für den Umgang miteinander treffen und
Strukturen schaffen, die offene und respektvolle
Gespräche ermöglichen, sind die wichtigsten Elemente der Prävention.
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W as
ist
2009
Editorial
Niederschwellige Anlaufstellen für Betroffene
und Sensibilisierung der Lehrkräfte für Hinweise
auf Mobbing verbessern die Möglichkeiten
einer rechtzeitigen Intervention bei bestehenden
Mobbingprozessen.
Am deutlichsten gewaltmindernd wirkt eine Variable: Schulfreude. Schulen, in denen weitgehend
angst- und stressfrei miteinander gelernt und
gelebt wird, sind durch Mobbing am wenigsten
gefährdet.
Zahlreiche AutorInnen haben ihre Sichtweisen zu
dieser Ausgabe beigesteuert. Wir bedanken uns
hiermit herzlich! Besonders bedanken möchten
wir uns bei Ernst Schwager für das unterhaltsame
und erkenntnisreiche Gespräch zu Mobbing und
Sozialem Lernen. Viele zentrale Erkenntnisse und
Informationen daraus sind in die ersten beiden
Kapitel dieses Heftes eingeflossen.
Allen Lesenden wünschen wir hilfreiche Anregungen für ihre Tätigkeit!
Michael Nußbaumer
für das Team von Zentrum polis
[email protected]
M obbing ?
1.1. Begriff
Der Begriff Mobbing kommt aus dem Englischen (Mob
= Pöbel – anpöbeln) und bezeichnet ein soziales Phänomen, das zuvor mit Worten wie schikanieren, jemanden
fertig machen oder hänseln beschrieben wurde. Ein
Vorteil der Bezeichnung ist, dass damit physische und
psychische Angriffe gefasst werden können. Nachteil
ist, dass der Begriff inflationär eingesetzt und damit
unscharf wird.
Deswegen einige Klärungen und Grenzziehungen. Mobbing tritt innnerhalb von Menschengruppen auf, die
nicht einfach verlassen werden können. Es entstehen
und verhärten sich Beziehungs- und Verhaltensmuster
in hierarchischer Form, die gewalttätig und abwertend
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sind und für eineN der Beteiligten mit Leiden verbunden sind. Es liegt ein Ungleichgewicht der Kräfte vor,
zumindest subjektiv fühlt sich der oder die Gemobbte
in irgendeiner Weise hilflos.
Konflikte zwischen gleich mächtigen Parteien sind
ebenso wenig Mobbing wie einmalige Übergriffe oder
Gewalthandlungen oder Meinungsverschiedenheiten.
Mit den Worten des norwegischen Mobbing-Forschers
Dan Olweus:
Ein Schüler/eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder
wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über
eine längere Zeit den negativen Handlungen eines
Mobbing in der Schule
Nr. 6
oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist.
Der Begriff Bullying (Bully = brutaler Mensch, Tyrann)
wird manchmal synonym zu Mobbing verwendet,
manchmal wird damit der Schwerpunkt auf körperliche
Gewalthandlungen gelegt.
Bei diesen Definitionen und bei den meisten Untersuchungen und Überlegungen wird der Fokus auf Mobbing zwischen SchülerInnen gelegt. Dabei ist das Phänomen ebenso zwischen Lehrkräften und SchülerInnen
– in beiden Richtungen, wie zwischen LehrerInnen
anzutreffen und auch die Eltern können beteiligt sein.
Mobbing kann der formalen Hierarchiestruktur widersprechen (analog zu „Bossing“ am Arbeitsplatz).
• Mobbing ist asymmetrisch.
• Mobbing ist vorsätzlich (wobei das Ausmaß der
Folgen nicht bewusst sein muss).
• Mobbing beschädigt Selbstvertrauen, Lernmotivation, Gesundheit und Menschenwürde.
• Mobbing ist „nützlich“
– als Entlastungsventil für Aggression
– als Möglichkeit, sich zu den Starken zu gesellen
– als Vehikel für ein vermeintliches
Zugehörigkeitsgefühl
– für die eigene Aufwertung
• Mobbing hilft gegen Langeweile.
• Mobbing ist Lust am Quälen und am Missbrauch
von Macht.
• Mobbing vergeht nicht von allein.*
Literaturtipp
Dan Olweus: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können.
Bern: Huber & Lang Verlag, 2006.
Der Klassiker (es handelt sich um die vierte Auflage)
der Mobbingforschung.
1.2. Häufigkeit
Die Zahlenangaben schwanken nach Begriffsdefinition und Art der Untersuchung. Viele AutorInnen gehen
davon aus, dass das Phänomen in nahezu allen Schulklassen zu irgendeinem Zeitpunkt präsent ist.
Eine OECD-Studie aus 2009 hat ergeben, dass 16%
der österreichischen SchülerInnen angaben, kürzlich
gemobbt worden zu sein, gegenüber 11% im OECDSchnitt. Eine steirische Studie erhob, dass nahezu
* Berliner Anti-Mobbing-Fibel, Seite 8 (siehe
Literaturempfehlungen auf Seite 20).
Linktipp
Mobbing im Klassenzimmer. Bestandsaufnahme
körperlicher und psychosozialer Gewalt an drei
steirischen Hauptschulen. Masterarbeit von Erika
Vieregg.
Sehr informative Arbeit, deren empirischer Teil eine
Fragebogenuntersuchung an drei Hauptschulen im
ländlichen Bereich beinhaltet.
16% sind von starkem Mobbing – feindselige Handlungen mindestens einmal pro Woche über mindestens ein halbes Jahr hinweg – betroffen. 44% erfahren mehr oder weniger häufig Gemeinheiten gegen
sich. Davon gaben 16% an, dass sie von Lehrkräften
gemobbt würden.
„Es gibt in ein und derselben Schule Klassen, wo es
keinen einzigen Mobbingfall gibt, mit einer guten
Klassengemeinschaft, in der Kinder gut lernen können und sich wohl fühlen. Es gibt Klassen, da gibt es
ein Kind, das gemobbt wird, von mehreren oder vielen in der Klasse, und es gibt Klassen, da herrschen
nahezu kriegsähnliche Zustände, so unter dem Motto
‚jeder mobbt jeden'.“
w w w. i n t e r - u n i . n e t / f o r s c h u n g / d ow n l o a d s /
masterthesen/T_Vieregg_www.pdf
jedes achte Kind in den untersuchten Hauptschulen
von Mobbing betroffen war, im Durchschnitt wurden pro
Klasse drei Kinder regelmäßig schikaniert.
Umfassende norwegische Untersuchungen stießen
auf 15% der SchülerInnen zwischen acht und sechzehn Jahren, die in Mobbing involviert waren. Nach
deutschen Untersuchungen von Horst Kasper ist jedes
zehnte Schulkind einmal in der Woche oder täglich mit
Feindseligkeiten konfrontiert.
Mobbing ist demnach ein stark verbreitetes und leider
fast allen SchülerInnen in irgendeiner Form bekanntes
Phänomen, das allerdings stark von Schule zu Schule
und innerhalb einer Schule von Klasse zu Klasse
schwankt. Es ist nicht stärker an eine bestimmte Altersgruppe gebunden und betrifft Mädchen und Buben,
wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. Körperliche Gewalt ist bei Jungen häufiger als bei Mädchen,
bei denen verdecktere Schikanen üblicher sind. Bei
den häufigsten Mobbinghandlungen weiter unten wird
allerdings ersichtlich, dass psychisches Mobbing, vor
allem auf das soziale Ansehen, insgesamt stark gegenüber physischen Formen überwiegt.
Eine Wiener Untersuchung**, durchgeführt an zwei
Hauptschulen, hat nach Muttersprachen unterschieden und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass deutschsprachige SchülerInnen signifikant häufiger mobben
** Dagmar Strohmeier, Moira Atria, Christiane Spiel: Gewalt und
Aggression in der Schule; in: Erziehung und Unterricht, 2005, Seite
542–547.
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und auch häufiger gemobbt werden, als Vergleichsgruppen mit anderen Muttersprachen.
1.3. Handlungen und Folgen
Die häufigsten Mobbinghandlungen nach Kasper* sind:
1. Hinter dem Rücken über jemanden sprechen.
2. Gerüchte und Lügen verbreiten.
3. Schimpfworte und Spitznamen geben.
4. Jemanden lächerlich machen.
5. Jemanden einfach übersehen.
6. Abwertende Gesten oder Blicke verteilen.
7. Jemanden für dumm erklären.
8. Jemanden nachahmen.
9. Jemanden nicht zu Wort kommen lassen.
10. Anschreien.
Andere mögliche Handlungen sind Eigentum beschädigen, Geld erpressen oder Diskriminierung nach ethnischen oder anderen Kriterien.
Die Folgen von massivem Mobbing sind vielfältig. Bei
den Betroffenen verursacht es kurz- und mittelfristig
enormen psychischen Stress, soziale Ängste und das
Gefühl subjektiver Ausweglosigkeit. Mobbing verengt
und verdüstert die Weltsicht und das Weltempfinden
von Betroffenen und schränkt damit ihren Handlungsspielraum ein. Damit untergräbt Mobbing genau die
Ressourcen, die benötigt werden, um den Prozess
unterbrechen zu können. Der massive Verlust von Weltund Selbstvertrauen beeinflusst das Leben von Mobbing-Betroffenen häufig langfristig.
Damit einher gehen psychosomatische Erkrankungen
vielerlei Art, Magen-Darm-Erkrankungen, Schlafstörungen, depressive Erkrankungen etc. Es kann zur
Herausbildung von Traumata oder zur Reaktivierung
von Kindheitstraumata kommen.
Häufig ziehen sich Betroffene von allen sozialen Beziehungen zurück; zeigen permanent oder wiederkehrend
Symptome von Erschrecken (wie Druck auf der Brust,
Schweißausbrüche, trockener Mund, Herzklopfen,
Atemnot, Rückenschmerzen, Nackenschmerzen …).
Häufige Hinweise auf Mobbing sind Versuche, sich dem
Schulgang zu entziehen und/oder der plötzliche Abfall
schulischer Leistungen.
Jede fünfte Selbsttötung im Kinder- und Jugendalter
wird, laut eines Berichts der International Police Association, auf Schulmobbing zurückgeführt.
* Horst Kasper: Prügel, Mobbing, Pöbeleien. Kinder gegen Gewalt
in der Schule stärken. Berlin: Cornelsen Verlag, 2003.
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1.4. Mobbing als
Gruppenphänomen, Mobbing-Rollen
Mobbing blüht meist im Verborgenen, es finden keine
öffentlichen Gespräche über das Thema oder eine
bestimmte Situation statt. Gleichzeitig wissen meist
alle SchülerInnen im Klassenverband über die Vorkommnisse Bescheid und müssen sich in irgendeiner
Art und Weise dazu verhalten. Es gibt deutliche Hinweise, dass das Eingreifen von Zeugen und Zeuginnen
Mobbing wirksam stoppen kann.**
Das Umfeld für Mobbing muss also bereit und bereitet
sein. In schlecht integrierten Klassen kann Mobbing für
den Zusammenhalt funktional sein, vor allem, wenn
Gewalt soziale Anerkennung erhält. Neu zusammengewürfelte Klassen sind ebenso hoch gefährdet wie Klassen mit einer schlechten Klassengemeinschaft und
ausschließender Gruppenbildung.
Meist beginnt Mobbing „harmlos“ und schleichend.
Jemand reagiert auf „Ärgern“ in einer Weise, die als
„schwach“ eingestuft wird – mit Kränkung, Scham, (hilfloser) Wut oder ähnlichem. Die Umgebung wiederum
reagiert bestätigend oder ignorierend auf die Übergriffe
und Abwertungen. Gewöhnungseffekte stellen sich ein,
Machtmissbrauchsmuster schälen sich heraus und
Rollen schleifen sich ein. Gemobbte schämen sich und
holen keine Hilfe, ZeugInnen schweigen oder lachen
und werden zu MitläuferInnen, Mobbende verstärken
ihre Handlungen. Ein dunkles Geheimnis legt sich über
die Klasse.
Gibt es typische Mobbende und Gemobbte? Ja und
Nein. Grundsätzlich kann jede und jeder beide Rollen
übernehmen, häufig ist das auch der Fall im Laufe einer
Schulkarriere.
Gleichzeitig gibt es Aspekte einer Persönlichkeit und
eines familiären Systems, die es begünstigen die Opferoder TäterInnen-Rolle einzunehmen.
Nach Dan Olweus spielen äußerliche Merkmale (wie
Gewicht, Größe oder Haarfarbe) oder Zugehörigkeiten
zu Minderheitengruppen eine kleinere Rolle, als die
Körpersprache, die signalisiert, ob sich jemand zum
Opfer eignet. Gemobbte sind häufig besonders feinfühlige Kinder und Jugendliche, tendenziell auch „Überbehütete“. Bestimmte Wahrnehmungsfilter (alles auf
sich beziehen, persönlich nehmen) „erleichtern“ das
Einnehmen einer Opferrolle. Grundsätzlich sind Menschen, die in irgendeiner Form verletzbar sind, poten** Laut www.gemeinsam-gegen-gewalt.at/img/upload/
GewaltMobbing_ Gruppe_Studienergebnisse.pdf in 50% der
Fälle.
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Nr. 6
Mobbing in der Schule
Ein Anfang
Du hast aber einen schönen Pullover an!
Ist der aus dem Rot-Kreuz-Container?
Heute schon wieder den Rot-Kreuz-Pulli an?
Es riecht hier so komisch!
Da kommt wieder die Stinkerin!
Es ist ja nicht auszuhalten neben der! ...*
* nach der Berliner Anti-Mobbing-Fibel, siehe in diesem
Heft bei Literaturtipps auf Seite 20
ziell von Mobbing gefährdet – und wer wäre das nicht?
MobberInnen haben häufig eine positive Einstellung
zu Gewalt. Meist sind sie sich der Folgen ihrer Handlungen nicht bewusst (oder machen sich diese nicht
bewusst) und zeigen kein Mitgefühl. Es mangelt ihnen
an Einfühlungsvermögen. Ihre Motivation liegt meist in
einer Schwäche, die sie mit Mobbing-Handeln und dem
damit verbundenen Gefühl von Macht nicht mehr wahrzunehmen brauchen.
Mobbing kann als Versagen der Leitung gesehen werden, die eine große Rolle dabei spielt. Sie geht mit diesem Phänomen nicht kompetent um, ist mitunter aktiv
am Geschehen beteiligt oder ignoriert es. Oft wird die
Deutung eines Verhaltens als Mobbing nicht akzeptiert:
Der Gemobbte „übertreibt“, ist „zu sensibel“ oder durch
sein eigenes Verhalten „selber schuld“. Es wird unterschätzt, wie schwer es für die Opfer ist, sich überhaupt
um Hilfe zu bemühen. Vielen Lehrkräften erscheint das
Verhalten als der Altersstufe entsprechend normal („Zu
unserer Zeit war das genauso“)*.
Literaturtipp
Dieter Krowatschek, Gita Krowatschek: Cool bleiben? Mobbing unter Kindern; Lichtenau: Aol im
Persen Verlag, 2001.
Mit zahlreichen Übungen zu den Themen Mobbing,
Kooperation, Kommunikation, Wahrnehmung und
Sensibilisierung.
Drei ungünstige Modelle von Lehrkräfte-Verhalten:
• Sich nicht interessieren (als „Kinderkram“ abtun
oder wegschauen – beide Reaktionen legitimieren
Mobbing).
• Ausschließlich autoritär durchgreifen (abstrafen,
womöglich Kollektivstrafe, ohne die Situation zu
bearbeiten – das kann für das gemobbte Kind zu
einer Verschlimmerung der Situation führen, vor
allem wenn, nicht überprüft wird, ob sich etwas
geändert hat).
• Beteiligung (auch einmal mitzulachen – sich
lustigzu machen über eineN SchülerIn, ist sehr
gefährlich!)
1.5. Strukturelle Voraussetzungen
für M obbing in der S chule
Die Schule ist, als zeitintensiver Treffpunkt sehr unterschiedlicher Menschen, einer der gesellschaftlichen
Orte, an denen Mobbing stattfindet. Solange Mobbing
geduldet oder nicht wahrgenommen wird, ist die Schule
einer der Orte, an denen Mobbing geübt und gelernt
wird.
Einige der Faktoren, die Mobbing an Schulen
begünstigen:
⇒ Zugespitzte Hierarchie mit
fehlender Verantwortung
Die Schule ist eindeutig hierarchisch auf die Lehrkraft
hin zentriert. Kommunikationsstrukturen mit einer hervorgehobenen Position sind hochgradig Mobbing-anfällig. Dies trifft verstärkt dann zu, wenn diese Position
nicht in ihrer Schutz- und Vermittlungsfunktion wahrgenommen wird.
Lehrende fühlen sich allerdings häufig in erster Linie
für inhaltliche Vermittlung zuständig und nicht für die
sozialen Beziehungen der SchülerInnen untereinander. Dabei strukturieren sie diese Beziehungen ganz
entscheidend mit. Eine Person, die eine Gruppe leitet,
kann Beziehungsräume öffnen, in denen sich Kinder
und Jugendliche begegnen, Teamfähigkeit und der
respektvolle Umgang miteinander positiv eingeübt werden können. Formen hierfür sind zum Beispiel Morgenrunde, Soziales Lernen, Klassenrat etc.
Geschieht dies nicht, bleibt die Struktur auf die Lehrkraft hin zentriert. Diese gestaltet, häufig unbewusst,
die Kommunikation. Sie setzt – auch durch ihre unterschiedlich ausgeprägten Sympathien für die SchülerInnen – einen Rahmen, in dem allzu häufig „der Kampf
beginnt“.
Eine Schwerpunktverlagerung (auch hinsichtlich des
Auftrags an Lehrende) von Wissensvermittlung in Richtung Persönlichkeitsbildung/Beziehungsarbeit kann
Abhilfe schaffen.
⇒ Gruppe mit Zwangscharakter
Der Klassenverband kann nicht ohne weiteres verlassen werden. MitschülerInnen sucht man sich im Regelfall nicht aus. Dies ist, ähnlich wie im Berufsleben, eine
der Grundbedingungen für Mobbing.
* Nach einem Online-Artikel von Annemarie Rengens: „Mobbing
in der Schule“ www.eltern-bildung.at/eb/themenschwerpunkte/
expertenstimme/0511_Renges.php
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polis aktuell
⇒ Leistung, Wettbewerb, Bewertung
In der Schule herrscht eine Atmosphäre der Bewertung der Persönlichkeit, was durch die Doppelrolle der
Lehrenden (Vermitteln und Bewerten) gefördert wird.
SchülerInnen empfinden Leistungsbewertung stark als
(fehlende) Anerkennung der Persönlichkeit.* Hier zu
differenzieren ist in der gegebenen Struktur oftmals
schwierig. Weiters stehen die SchülerInnen stets in
unmittelbarem Vergleich zu ihren KlassenkollegInnen.
Die Kombination von Wertstress und Konkurrenz befördert, ähnlich wie in vielen Firmen, Mobbing.
Laut Olweus ist Schulversagen jedoch mögliche Folge,
nicht Ursache von Mobbing.
⇒ Langweilende Didaktik, monotone Methodik
Wird der Unterricht monoton gestaltet, werden die Kinder und Jugendlichen gezwungen, stundenlang ruhig
zu sitzen und Vorträgen zu lauschen, beginnen häufig
„Nebenprogramme“ zu laufen. Jemand wird, zur Unterhaltung und meist unbemerkt durch die Lehrkraft, sekkiert. Unterdrückte Vitalität erzeugt einen Druck, der
sich häufig destruktiv entlädt.
⇒ Militärisch-industrielle Organisationsstruktur
Das moderne Schulwesen hat sich vor 250 Jahren
nach dem Muster von Armee und Industrie gebildet. Bei
allen Reformen sind viele Grundzüge erhalten geblieben (Jahrgangsunterrichtung, 50-Minuten-Portionen,
normierte Vorgaben …). Das führt ebenso zu Über-,
als auch Unterforderung und zwar in körperlicher und
kognitiver Hinsicht. Die Mixtur aus Langeweile und
Stress ist idealer Nährboden für Mobbing.
In der Änderung dieser strukturellen Beförderer von
Mobbing liegt die Chance zu einem respektvollen und
angenehmen Schul- und Lernklima. Dazu mehr unter
Punkt 2.
1.5.1. Ursachen für Mobbing: Wertmangel
Jeder Mobbing-Prozess ist anders und es gibt vergleichbare Muster. Die Ursachen sind vielfältig und miteinander verknüpft. Sowohl personale Faktoren und familiäre Einflussfaktoren, als auch strukturelle (schulische,
gesellschaftliche) Bedingungen können zum Tragen
kommen.
An dieser Stelle wird der Zusammenhang von Wertgefühl und Mobbing beleuchtet.
Das Thema Selbstwert ist für das soziale Wesen
Mensch zentral. Die Kinder- und Jugendzeit mit ihren
vielen Veränderungen und ersten Kontakten mit Institutionen ist hier besonders wichtig.
* www.herder-lain.de/Materialien/thema_mobbing.doc, Seite 4
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Wettbewerb und Konkurrenz
Eine These ist, dass in einer Konkurrenz-Gesellschaft
Wert-Schätzung zu einem knappen Gut gemacht wird.
Konkurrenzkampf unterminiert das lebenswichtige
Gefühl der Zugehörigkeit und eröffnet den stetigen
Kampf ums Gewinnen und Verlieren.
„Sherif** unterteilte auf einem Ferienlager Jungen
in zwei verschiedene Gruppen, Freunde wurden
getrennt. Die Gruppen erhielten wettbewerbsorientierte Aufgaben. Die alten Freundschaften lösten
sich auf, neue (innerhalb der Gruppen) entstanden).
Zwischen den Angehörigen der beiden Gruppen bildeten sich Feindschaften (auch zwischen ehemaligen Freunden). In einer zweiten Phase erhielten
die beiden Gruppen übergeordnete, kooperative
Ziele. Die Feindschaften reduzierten sich, die alten
Freundschaften wurden wiederbelebt.“
In einer Situation, in der es für die anderen ein Nachteil
ist, wenn jemand etwas gut kann, entsteht Neid, Gewalt
und Mobbing. Es ist ganz entscheidend, welche Werte
vorgelebt werden und belohnt werden! Wird Zivilcourage und Kooperation statt Konkurrenz und Anpassung
belohnt, ist das die beste Mobbingprävention.
Linktipp
Achtsamkeit und Anerkennung. Informationen und
Bausteine zur Förderung des Sozialverhaltens in der
Grundschule. Herausgegeben von der deutschen
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die
Maßnahmen- und Methodensammlung ist einfach
und hilfreich, auch für höhere Schulstufen.
Download unter:
www.bzga.de/botmed_20420000.html
Leistung und Wert
Die Einführung der idealen Norm, die möglichst alle
erreichen sollten, produziert Mangel. Die Schule und
unsere Gesellschaft richtet ihre Aufmerksamkeit häufig auf die Unzulänglichkeiten. Selbstverständliche
Anerkennung und Wertschätzung zu geben – abseits
von Leistungsnormen – ist sekundäres Ziel im Bildungsstreben. Dadurch verknüpft sich häufig Leistung
und Selbstwert – nur wenn ich etwas gut kann, bin ich
auch gut. Diese Verknüpfung stellt den Selbstwert auf
wackelige Beine – eine Stresssituation, in der ich durch
Abwertung anderer mein Selbstwertgefühl zu steigern
versuche.
** Achtsamkeit und Anerkennung (siehe Tipp im Kasten auf Seite 7
dieses Hefts), Seite 57.
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P rävention
und I ntervention
In den Voraussetzungen für Mobbing finden sich die
besten Ansatzpunkte für eine Beendigung von Mobbing. Die Schule strukturiert Kommunikation zentral
auf die Lehrkraft zu*, deren Auftrag liegt primär in der
Vermittlung von Inhalten.
Mobbing ist ein deutliches Signal für gestörte Kommunikation und ein schlechtes soziales Klima. Die größte
Verantwortung und damit die besten Möglichkeiten zu
Änderungen liegen bei den Erwachsenen.
Wichtig ist demnach:
⇒ Sich selbst und die SchülerInnen für das Thema
Mobbing sensibilisieren,
⇒ Verbesserung des Umgangs miteinander sowie der
Schul- und Klassenkultur,
⇒ Abwechslungsreiche Methodik, partizipatorische
Didaktik und
⇒ Klarheit in den Verhaltensvereinbarungen.
Da Mobbing als festgefahrenes destruktives Muster
(Teufelskreis) beschrieben werden kann, ist es entscheidend, eine Außensicht einzubringen. Diese Außensicht
kann durch eine unbeteiligte Person entstehen (dazu
eignet sich der/die KlassenlehrerIn nur eingeschränkt),
die es den Beteiligten ermöglicht, ihr Verhalten „von
außen“ zu wahrzunehmen, d.h. mit Selbst-Distanz.
Diese Fähigkeit ist auch eine wichtige Qualifikation für
Lehrkräfte – kann ich sowohl mich in meiner Rolle und
mit meinen Gefühlen wahrnehmen (in der Filmsprache:
Nahaufnahme) und dann oder gleichzeitig die Situation
in ihrer Gesamtheit wahrnehmen (in der Filmsprache:
Totale): Wer verhält sich und reagiert wie? Wie kann
ich mein Verhalten anders anlegen, wie reagieren die
SchülerInnen darauf? Wie gehen sie miteinander um?
Klar ist, dass gemobbte Kinder und Jugendliche Unterstützung benötigen. Weniger klar wirkt dies im ersten
Moment für die MobberInnen. Doch auch sie brauchen
Stärkung und Stützung – damit sie die Krücke Mobbing
nicht mehr nötig haben.
Einige konkrete Maßnahmen:
• Wöchentliche schülerInnengeleitete Gesprächsrunde mit Begleitung durch die Lehrkraft und klaren Gesprächsregeln. Im Fokus der Aufmerksamkeit soll das (Un-)Wohlgefühl in der Klasse sein.
* Das Soziologie-Institut der Universität Linz hat eine Studie
durchgeführt, die einen klaren Zusammenhang zwischen mehr
Mitbestimmung und weniger Gewalt an Schulen belegt. Weitere
Auskünfte: [email protected]
Ausführlich auf Seite 16 von „Achtsamkeit und
Anerkennung“. **
• Entflechtung von Lern- und Prüfungssituation.
Eine bewusste Trennung eröffnet einen Raum, in
dem Neugierde und Fehler-Machen Platz erhalten
(„Achtsamkeit und Anerkennung“, Seite 17).
• Selbstreflexion der eigenen Erwartungen. Menschen teilen sehr schnell ein – und reagieren auf
die Erwartungen anderer. Stigmatisierte Kinder
geraten so schnell aufs Abstellgleis als Störenfried
und verhalten sich entsprechend. Ein Selbstreflexionsbogen findet sich auf Seite 23 von „Achtsamkeit und Anerkennung“.
• Achtungsvoller Umgang mit schlechten Noten.
Mit schlechten Noten werden Kinder und Jugendliche gern allein gelassen. Tipps zu einem besseren
Umgang mit diesem Thema finden sich auf Seite
19 von „Achtsamkeit und Anerkennung“.
• Niedrigschwellige Hilfsangebote. Mobbing ist für
Betroffene häufig mit Scham und Schweigen verbunden. Angebote wie ein Kontakttelefon, besetzt
durch eine Vertrauensperson an der Schule,
erleichtern den Zugang zu Hilfe drastisch.
• Mobbing thematisieren. Im Unterricht oder idealerweise als Anti-Mobbing-Kampagne der ganzen
Schule.
• Klare Zuständigkeit. Eine Gruppe/ein Gremium
einrichten, dessen Aufgabe es ist, sich mit Mobbing und Prävention auseinanderzusetzen und
Zuständigkeiten und Abläufe bei Mobbing-Fällen
klar festzulegen.
• Wertschätzendes Klima. Anerkennung schenken,
sich selbst und anderen, ist ein zentraler Bestandteil von Mobbingprävention. Eine einfache Übung
dazu finden Sie am Ende dieses Heftes.
** Empfehlenswert zum Thema: polis aktuell 5/07: Mitreden –
Mitgestalten – Mitentscheiden. Zum Download auf
www.politik-lernen.at > polis Shop > polis aktuell
www.politik-lernen.at
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polis aktuell
Linktipps
Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt ein
pdf zur Verfügung: Veränderung der Schulkultur als
Ansatz schulischer Gewaltprävention.
www.bpb.de/publikationen/845U9E.html
Die Lösung, um Gewalt in der Schule (strukturelle
Gewalt, Gewalt durch Lehrkräfte, Gewalt gegen Lehrkräfte, Gewalt unter SchülerInnen) zu beenden, sehen die Autoren in einer umfassenden Entwicklung
der Schulkultur. Keine Variable wirkt deutlich lernfördernder und gewaltmindernder als Schulfreude!
Ein gutes Sozialklima fördert die Lernkultur.
Der niederösterreichische Landeselternverband hat
ein PDF erstellt: Verhalten vereinbaren. Schulkultur
im Dialog.
www.landeselternverband.at//pdf/__Verhaltensvereinb_Leitfaden.pdf
Der Wechsel von einer Kultur des Anordnens zu
einer Kultur des Vereinbarens wird darin konkret herausgearbeitet und vorgestellt. Ein wichtiger Beitrag zu mehr Schulzufriedenheit und damit
Gewaltprävention.
Anti-Mobbing-Strategien für Klassenvorstände. Erstellt von Emma Kiesenhofer, Schulpsychologie Steyr
www.lsr-ooe.gv.at/schulpsychologie/files/Mobbing_
in_Schulklassen_und_Schulhauskultur.pdf
Fragebogen zu SchülerInnenmobbing (Smob), nach
Heinz Leymann. Zum Feststellen, ob gemobbt wird.
www.schuelerpartizipation.de/Schueler/smob-fb.htm
Mobbing. Themenblätter im Unterricht. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Gratis-Download:
www.bpb.de/files/RQFPM0.pdf
Die Arbeitsblätter in Form von Foto-Geschichten
eignen sich gut zum Einstieg ins Thema. Ausgangspunkte für Rollenspielen und Diskussionen zu persönlichen Erfahrungen und der Situation in der
Klasse.
Die folgenden Tipps und Präventionsprogramme wurden von Elisabeth Wolm (ARGE-AHS Peer Mediation)
und Gottfried Banner (SSR für Wien, Schulpsychologie),
ExpertInnen für Peer-Mediation, zusammengestellt:
Handlungskonzepte bei Mobbing
Elternebene
• Sich bewusst machen, dass bei fortgeschrittenem
Mobbing das Kind die Situation nicht aus eigener
Kraft lösen kann!
• Ein Mobbingtagebuch anlegen (die Vorfälle
schriftlich dokumentieren).
• LehrerInnen fortlaufend informieren und nachfragen, ob etwas gegen Mobbing unternommen
wurde.
• Anzeichen für Mobbing beim Kind ernst nehmen
und nicht zu lange warten, etwas dagegen zu
unternehmen.
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• Das Kind anhalten, sofort der Lehrkraft Bescheid
zu geben bzw. sich Hilfe/ Unterstützung zu holen.
• Nicht die Schuld ausschließlich bei den eigenen
Kindern suchen.
• Auch von Gesprächen mit den Eltern der „Mobbenden“ und den „Täterinnen“selbst ist abzuraten, da dadurch die Position des gemobbten Kindes weiter geschwächt werden kann.
• Sich rechtzeitig professionelle Hilfe holen.
Klassenebene
• Analyse der Klassenstruktur durch anonymen Fragenbogen und Soziogramm.
• Klassenregeln vereinbaren und Folgekatalog mit
SchülerInnen erarbeiten.
• Regelmäßige Gespräche mit Klasse.
• Durch Unterrichtsmaterialien für das Thema Mobbing sensibilisieren.
• Alle SchülerInnen ermutigen, Mobbing anzusprechen und dagegen etwas zu tun.
• Trainingsprogramme für soziale Kompetenz und
Zivilcourage durchführen.
• Einzelgespräche mit den TäterInnen führen und
mit deren Eltern verbindliche Absprachen treffen
(schriftlich).
• Moderierter Elternabend zum Thema Mobbing.
• Klasseninterventionen durch ExpertInnen.
• Im Anlassfall: Klassenkonferenz.
• Im Anfangsstadium: Streitschlichtung durch
Peers.
Schulebene
• Anti-Mobbing-Vereinbarung verfassen.
• Verstärkte Gang- und Pausenhofaufsicht.
• Informationen und Fortbildungen für das
LehrerInnenteam.
• Elternbrief zum Thema Mobbing.
• Geschlechtsspezifische Selbstbehauptungstrainings organisieren.
• Einrichtung von „Anlaufstellen“ für Mobbing.
Das Anti-Bullying Konzept nach Dan Olweus: Ziel
dieses Konzeptes ist es, ein langfristiges engagiertes
Handeln aller Schulbeteiligten zu erreichen.
Die Umsetzung sieht vor, dass ein Vertrag von Eltern
und SchülerInnen unterschrieben wird. Auch die Lehrkräfte erhalten einen entsprechenden Vertrag.
Kommt es zu einem Bullying-Vorfall, bekommen sowohl
TäterInnen wie Opfer die Möglichkeit, in einem eigens
dafür vorgesehenen Raum ihre Sichtweise des Vorfalls darzustellen. Eine Kopie der Sichtweisen ergeht
an beide Elternteile, die ebenfalls zu einer Stellungnahme aufgefordert werden. Die SchülerInnen suchen
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Mobbing in der Schule
im Anschluss mit Unterstützung von Lehrenden oder
StreitschlichterInnen Lösungen zu ihrem Konflikt.
Außerdem finden intensive Klassengespräche statt.*
Die Farsta Methode ist nach einem Stadtteil im Stockholm benannt und wurde dort von einem Team erarbeitet und mit Erfolg angewendet. Diese Methode konfrontiert Mobbende unvorbereitet mit ihrem Verhalten
(nach genauen Recherchen und Gesprächen mit dem
Opfer).
Das Gespräch verläuft nach einem klar vorgegeben Gesprächsleitfaden, wobei keine Diskussionen
und Rechtfertigungen zugelassen und der oder die
TäterInnen in die Verantwortung genommen werden. Zugeständnisse werden protokolliert und nach
einem längeren Beobachtungszeitraum erfolgt ein
Evaluationsgespräch.
Der No Blame Approach Ansatz wurde vor zehn Jahren
in England entwickelt und versucht, ohne Schuldzuweisungen und Ursachenklärung auszukommen.
Nach dem Gespräch mit dem Opfer und mit dessen Einverständnis wird eine Unterstützungsgruppe aus circa
sechs bis acht MitschülerInnen organisiert, die aus
TäterInnen, MitläuferInnen und HelferInnen besteht.
Das Opfer nimmt an diesem Gespräch nicht teil.
Das Problem des gemobbten Klassenmitglieds wird
ohne Ursachenklärung und Schuldzuweisung aufgezeigt und die Gruppe um Vorschläge gebeten, damit es
dem oder der Gemobbten in Zukunft in der Klasse besser geht. Die Verantwortung für die Umsetzung wird der
Gruppe übergeben. In Nachfolgegesprächen wird der
weitere Prozess reflektiert.
Die Peer Mediation ist eine Methode, durch die SchülerInnen zu Peers, das heißt zu StreitschlichterInnen
für ihre MitschülerInnen ausgebildet werden. Das
geschieht in der AHS ab der fünften Klasse. Die Ausbildung dauert zwei Jahre und schließt mit einem Zertifikat ab.
Häufig geht es bei Mediationen in der Schule um das
Thema Mobbing. Ein Fallbeispiel aus der Praxis zeigt
eine typische Ausgangssituation:
„Der Klassenvorstand einer zweiten Klasse wendet
sich an die Peer MediatorenInnen: In seiner Klasse
gibt es eine Schülerin, die offenbar zur Außenseiterin
geworden ist ,weil sie oft Streit anfängt, in der Pause
* Dan Olweus hat auch ein viel erprobtes und erfolgreiches
Anti-Mobbing-Konzept entwickelt, das unter anderem eine
Fragebogenerhebung, einen Pädagogischen Tag zum Thema
und eine von der Schulkonferenz beschlossene Anti-MobbingKampagne vorsieht. Auf Klassenebene plädiert er für regelmäßige Klassengespräche.
andere beschimpft und manchmal Aktionen setzt, um
Aufmerksamkeit von anderen zu bekommen. Man sagt
auch, dass sie ‚stinkt’. In den Pausen wird sie von den
Buben durch verschiedene Schikanen dafür ‚bestraft’.“
Linktipp
www.peermediation.at
In diesem Fall befragen die Peers die SchülerInnen einzeln, verschaffen sich einen möglichst objektiven Überblick und beginnen dann mit der Mediation.
Die Mediation soll keine Schuldfragen klären, sondern
eine Lösung finden, mit der alle beteiligten Konfliktparteien „leben“ können.
Der Klassenvorstand hat das Problem in die Kompetenz der Peers übertragen. Er wird dadurch entlastet
und die Peer MediatorInnen erarbeiten mit den Konfliktparteien eigenständig, vertraulich und allparteilich
Lösungen. Da es sich bei diesem Fallbeispiel um Mobbing handelt, bietet sich eine so genannte „Klassenmediation“ an, das bedeutet, es wird versucht, alle SchülerInnen der Klasse in die Mediation einzubeziehen.
Die Peer MediatorInnen bemühen sich, die Gefühle
und unterschiedlichen Sichtweisen zu verstehen, ohne
eigene Interessen und Meinungen zu vertreten.
Das setzt voraus:
• Die Mediation ist freiwillig und am Ende einer
Mediation soll eine für alle Streitparteien verbindliche Lösung herauskommen.
• Peer Mediation ist eine demokratische Methode,
mit der SchülerInnen miteinander arbeiten, produktiv und gewaltfrei Konflikte lösen.
• Peer Mediation in einer Schule setzt voraus, dass
LehrerInnen Kompetenzen und Macht an die
Peers abgeben und ihnen vertrauen.
• Peers sind keine Sheriffs oder Ersatzklassenvorstände, Peers sind allparteilich, es gibt keine
Opfer-TäterInnen-Rollen und keine Zuweisung von
Schuld oder Unschuld.
• MediatorInnen sind für den Ablauf des Gesprächs,
nicht für den Inhalt verantwortlich.
• Peers lernen in ihrer Ausbildung, wo ihre Aufgaben enden: Sie regeln keine Notenprobleme,
keine disziplinären Probleme. Sie sind keine
TherapeutInnen.
• Peers mediieren nicht zwischen LehrerInnen und
SchülerInnen und nicht zwischen Lehrkräften.
• Wenn körperliche Gewalt im Spiel ist, soll Peer
Mediation nur begleitend oder im Anschluss an
Disziplinarmaßnahmen stattfinden.
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polis aktuell
Peer Mediation ist eine Methode, die SchülerInnen in
die Lage versetzt, einen Streit verbal und gewaltfrei
zu lösen. Verschiedene Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und auch kulturell bedingte Konflikte, die
oft Gründe für Mobbing sind, werden ausgelotet und
berücksichtigt.
Es gibt keine konfliktfreie Schule, aber eine Schule, in
der Konflikte mit Peer Mediation besser gelöst werden
können.
„Mobbing“ ist immer eine „Krankheit“ eines Systems,
nicht die „Krankheit“ einer Person oder Gruppe.
Im Sinne der Grundsätze der Peer Education geht es
um:
• Eine Verbesserung der Konfliktkultur.
• Mehr Wertschätzung im Umgang miteinander.
• Gewalt- und Konfliktprävention.
• Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz.
Peer Mediation funktioniert an Wiener AHS gut, weil die
Peers von den SchülerInnen als ihresgleichen akzeptiert werden. Die Konfliktparteien erleben den Erfolg
der Mediation direkt. In mehr als 45 Wiener AHS gibt es
seit fast 15 Jahren das Modell der Konfliktlösung durch
Peer Mediation. Es wurden mehr als 800 SchülerInnen
zu Peers ausgebildet. Die Erfahrung zeigt, dass in diesen Schulen Mobbing viel weniger oft vorkommt und
die Streitkultur besser funktioniert.
3
Perspektiven aus der Praxis
Es gibt in Österreich einige Initiativen und Personen,
die sich seit Jahren intensiv mit Mobbingprävention
und –intervention an Schulen beschäftigen. Einige
davon stellen im Folgenden ihre Zugänge dar, berichten
von ihren Erfahrungen aus der Praxis und den daraus
gewonnenen Erkenntnissen.
3.1 „Stopp! Ich mische mich ein.“
Forumtheater als kreatives
Werkzeug gegen Mobbing
Michael Wrentschur und Martin Vieregg von InterACT
berichten von ihrer gewaltpräventiven Theaterarbeit.
Prolog: Auf der Bühne:
Szene 1:
Wiederholt spricht ein Lehrer abwertend über eine
Schülerin, weil sie nicht alles versteht. Die Situation
eskaliert und der Lehrer brüllt die Schülerin an.
Szene 2:
Mädchen hänseln eine ausländische Mitschülerin
wegen ihres Aussehens und ihrer schlechten Sprache.
10
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Sie tuscheln, kichern und lassen beleidigende Bemerkungen fallen, wenn sie sich zu Wort meldet.
Szene 3:
Buben lauern zu viert wieder einmal einem Mitschüler
auf dem Schulweg auf und erpressen von ihm Geld.
Vor lauter Angst vertraut er sich keinem Kollegen oder
Erwachsenen an. Zwei Zeugen wissen nicht, was sie
tun sollen.
Szenen wir diese sind Realität in österreichischen
Klassenzimmern – in der theaterpädagogischen Arbeit
werden SchülerInnen dabei unterstützt, Konflikte und
Gewaltsituationen zu bearbeiten. Gemeinsam werden
reale Situationen rekonstruiert, in theatrale Szenen
transformiert, um schließlich auf spielerische Art und
Weise bessere Lösungen zu finden. Seit vielen Jahren
führt InterACT Workshops und Projekte mit SchülerInnen zu den Themen Gewalt, Ausgrenzung und Mobbing durch. Dabei spielt das Forumtheater eine wesentliche Rolle.
2009
Nr. 6
Mobbing in der Schule
Gewaltpräventive Theaterarbeit von InterACT
InterACT, die Werkstatt für Theater und Soziokultur, ist
eine professionelle Theater- und Kulturinitiative, die
Theater und szenisches Spiel für eine Kultur des Dialogs und des Zusammenlebens, für Empowerment und
Partizipation sowie für persönliche und soziale Veränderungsprozesse nutzbar macht.
Im Mittelpunkt der gewaltpräventiven Theaterarbeit stehen die Entwicklung realitätsnaher, lebendiger Szenen
und die aktive Miteinbeziehung des Publikums bzw. der
TeilnehmerInnen. Durch Mit-Spielen im geschützten
Rahmen kann ausprobiert werden, wie Situationen
von Gewalt „anders“ begegnet werden kann, sowohl
als BeteiligteR, als auch als AußenstehendeR. Dabei
orientieren wir uns an der Lebenspraxis der Kinder
und Jugendlichen, die in das szenische Spiel Erfahrungen und Geschichten aus ihrem Alltag einbringen,
diese gestalten, darstellen und verändern können.
Theatrales Handeln sehen wir als Probehandeln in
einem geschützten Raum, wobei gefundene Haltungen
und Handlungen wiederum in den Alltag nachwirken
können.
Einen geeigneten Rahmen stellen dafür sogenannte
„Powerplays“ dar – einwöchige Intensiv-Theaterworkshops. Diese sind eine Form aktivierender, lebensnaher
und auf Veränderung abzielender Theaterarbeit. Über
nonverbale Theaterspiele und -übungen werden die
Sensibilität, das Vertrauen und die Kooperation innerhalb der Gruppe hergestellt. Mit Formen des „Bildertheaters“ werden Erlebnisse von Unterdrückung, Stress,
Gruppendruck, Gewalt und/oder Ausgrenzung aus dem
eigenen Alltag aufgespürt, verkörpert und bearbeitet. Im Laufe des intensiven Prozesses entwickeln die
Jugendlichen kurze theatrale Szenen, die als interaktives Forumtheater in der Schule aufgeführt werden.
Alltags-Szenen rekonstruieren
Ob am Schulweg, im Schulhof oder im Klassenzimmer
selbst: Die Szenen und Handlungen, die Jugendliche in
unseren Workshops und Projekten zum Thema Mobbing und Gewalt zum Ausdruck bringen, sind vielfältig
und betreffen eine Bandbreite von Situationen. Da
gehören böse Gesten, demonstrativ den Rücken zukehren, stillschweigendes Verachten, links liegenlassen,
hänseln, drohen, abwerten, beschimpfen, herabsetzen,
bloßstellen, schikanieren genauso dazu wie ausgrenzen, schlagen, schubsen, treten, kneifen, festhalten,
erpressen, nötigen. Und das betrifft nicht nur die SchülerInnen untereinander, sondern auch Handlungen
von LehrerInnen, die Jugendliche mit missglückten
Arbeiten vor der ganzen Klasse bloßstellen, sie vor den
MitschülerInnen verächtlich machen, auslachen, ihre
Noten öffentlich triumphierend bekannt geben, Kinder
mit ironischen Bemerkungen beleidigen, sie ungefragt
drannehmen oder sich abfällig über die „Dummheit“
einzelner Kinder äußern.
In den Workshops und Projekten mit Jugendlichen werden die Situationen nicht nur in Theaterszenen übertragen, angeschaut, diskutiert und analysiert. Vielmehr
geht es in Folge darum, Handlungsalternativen und
Lösungsmöglichkeiten zu finden – beim Forumtheater wird das Theater zum Proberaum für das wirkliche
Leben. Wie das funktioniert?
Was ist Forumtheater?
Forumtheater wurde vom Brasilianer Augusto Boal
(1931–2009) als eine zentrale Methode des „Theaters
der Unterdrückten“ entwickelt. Es ist eine interaktive
Theaterform, bei der das Publikum alternative Handlungen und Handlungsweisen zu einer vorgespielten
Szenenfolge ausprobieren kann. Die Darstellenden
reagieren darauf aus ihren Rollen – wie im wirklichen
Leben!
Forumtheaterstücke werden zumeist aus konkret erlebten Konfliktsituationen entwickelt. Die
Grundszene, die das Publikum sieht, zeigt, wie gesellschaftliche Realität erlebt wird. Sie mündet in ein unbefriedigendes und ungelöstes Ende. Der Joker – eine Art
ModeratorIn – vermittelt zwischen dem Geschehen im
Publikum und auf der Spielfläche, achtet auf die Einhaltung der Spielregeln und aktiviert die Zuschauenden durch seine Fragen: Was würdet ihr an Stelle jener
Rollen, für die die Situation schlecht ausgeht, anders
machen? Wie könnte die Geschichte anders ausgehen?
Darüber wird nicht einfach geredet, vielmehr ist das
Publikum eingeladen, sich über „Einstiege“ aktiv am
Geschehen zu beteiligen und der Szene einen neuen
Verlauf zu geben. Dazu wird die Grundszene zunächst
wiederholt, bis jemand „Stopp!“ ruft und eine Handlungsidee erproben möchte. Er/sie kann nun in jene
Rollen schlüpfen, die in dem dargestellten Konflikt ohnmächtig, ratlos oder unterdrückt erscheinen und alternative Handlungsweisen erproben. Die restlichen DarstellerInnen reagieren darauf, wodurch die Folgen des
Handelns sichtbar und erlebbar gemacht werden. Eine
bunte Palette an wirksamen Handlungsmöglichkeiten
und Lösungsvorschlägen entsteht.
Stopp! – Ich mische mich ein und
ich ziehe eine Grenze
Genau das passiert bei den Forumtheateraufführungen in den Schulen: Die Zuschauenden können
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polis aktuell
„Stopp!“ rufen und zu den von den SchülerInnen entwickelten Szenen alternative Handlungsweisen ausprobieren. Aus unserer Erfahrung stellt Mobbing nicht nur
ein Problem der Opfer oder TäterInnen dar, sondern ist
vielmehr ein Gruppenphänomen, ein System gestörter
Kommunikation. Die Opfer werden isoliert, die TäterInnen bekommen keine Rückmeldung über die Auswirkungen ihrer Schikane und die passiv Zusehenden
sind ratlos, haben Angst oder verhalten sich voyeuristisch. Oft fehlt der Mut, sich einzumischen. Vieles wird
geduldet, um den dann befürchteten Konflikt zu vermeiden. Situationen von Mobbing eskalieren vor allem
dann, wenn keine rechtzeitigen und hinreichenden
Interventionen erfolgten – und genau dazu ermutigt
und aktiviert Forumtheater: So können zum Beispiel
SchülerInnen probeweise versuchen, sich an eine Person zu wenden, die helfen kann, sie können Strategien
erproben, wie sie sich zur Wehr setzen, wie sie Verbündete finden können, wie den Mobbenden ihre Macht
genommen werden kann. Auch Lehrkräfte können sich
an den Aufführungen beteiligen und durch einen klaren Standpunkt sich selbst erproben. Auf spielerische
Art wird den SchülerInnen und den LehrerkollegInnen
ein anderes Verhalten vorgelebt. Das Spiel ermöglicht
allen Beteiligten einen Perspektivenwechsel, es werden
Motivationen und Hintergründe sichtbar gemacht. Ziel
ist es, weder Opfer noch TäterInnen zu stigmatisieren,
sondern vielmehr eine offene theatrale Diskussion zu
ermöglichen, wo es darum geht, Mobbing zu erkennen,
eigene und fremde Bedürfnisse wahrzunehmen und
auszudrücken. Durch das Ziehen von klaren Grenzen
kann ausprobiert werden, wie Opfer geschützt und
unterstützt bzw. TäterInnen zur Rede gestellt und vielleicht sogar aktiv in die Lösung miteinbezogen werden
können.
Epilog: … wie im Leben
Wenn Mobbing länger dauert, ist es in der Regel
schwieriger, Lösungen zu finden und auch die see-
12
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2009
lischen und körperlichen Beeinträchtigungen werden
stärker. Umso wichtiger sind präventive Maßnahmen
und Projekte gegen Gewalt und Mobbing: Forumtheater
eignet sich als Methode, die zu zivilcouragiertem Handeln ermutigt und die Möglichkeiten eröffnet, sowohl
aus der Sicht des Opfers und der ratlos Zuschauenden,
auf Mobbing und Gewalt zu reagieren und vor allem
handlungsfähig zu bleiben. Das kann insgesamt dazu
führen, Dynamiken von Gewalt und Mobbing sensibler
wahrzunehmen und zu unterbrechen, alternative Handlungsweisen im Umgang mit Gewalt und Konflikten zu
entdecken und andere Formen der Konflikt- und Problemlösung zu erproben. Entscheidend für den langfristigen Erfolg ist jedoch die Einbettung von – zum Beispiel „Powerplays“ – in ein gesamtschulisches Konzept
gegen Mobbing und für ein respektvolleres Miteinander
aller in der Schule beteiligten Personen.
Aus ZuschauerInnen sind „Zuschau-SpielerInnen“
geworden – auf der Bühne wie im wirklichen Leben!
Linktipp
www.interact-online.org
3.2 Mobbing – über
Betroffene und Beteiligte
Angelika Wallner bildet Peer MediatorInnen aus und
führt als freie Referentin für das Friedensbüro Salzburg
Präventions- und Interventionsworkshops zum Thema
Konfliktlösung/Mobbing durch. Im folgenden Artikel
schildert sie Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesen
Workshops:
„Du stinkst!“ sagt Roman zu Paul und macht einen
extra großen Bogen um ihn. Bernhard hält sich demonstrativ die Nase zu, ein paar Mädchen kichern. Anfangs
hat Paul noch mitgelacht, jetzt, nach mehr als einem
halben Jahr, ist ihm das Lachen vergangen angesichts
der täglichen Provokationen und Anfeindungen seiner KlassenkameradInnen. Stattdessen wird er rot im
Gesicht, spürt wie eine Riesenwut in ihm aufsteigt und
hört Jussuf rufen: „Gleich wird er wieder zuschlagen,
der Loser!“ Tatsächlich ist dies Pauls derzeitige Strategie, mit den täglichen Beleidigungen umzugehen. Das
ermuntert die anderen Jugendlichen der 3a aber erst
recht, weiter auf ihm herumzuhacken.
Leider wählen SchülerInnen, die wie Paul in eine Außenseiterrolle geraten sind, häufig Bewältigungsstrategien,
die gut nachvollziehbar, aber völlig kontraproduktiv
sind.
Nr. 6
Mobbing in der Schule
Karl Dambach bezeichnet dieses Phänomen als Kreisprozess: Die Gruppe drängt jemanden in eine Außenseiterrolle, diese Person reagiert zum Beispiel mit
Rückzug, mit außerordentlich starken Aggressionsausbrüchen oder auch mit überheblichem, prahlerischem
Verhalten. Die Gruppe erkennt das jedoch nicht als
Reaktion oder Abwehrverhalten des/der AußenseiterIn, sondern findet genau darin die Begründung für die
Ausgrenzung. Wie oft habe ich im Austausch mit den
SchülerInnen einer Klasse, in der es zu Mobbingvorfällen gekommen ist, folgenden Satz gehört: „Der ist doch
selber schuld – soll er sich doch normal benehmen!“
Doch Paul fühlt sich den täglichen Machtdemonstration
der Klassenkameradinnen völlig ausgeliefert. Egal wie
er sich verhält, die anderen finden immer einen Grund,
ihn fertig zu machen.
Weshalb demonstrieren Kinder und Jugendliche ihre Macht auf so verletzende Weise?
Zum einen dient Mobbing als Entlastungsventil für
Aggressionen, es trägt andererseits aber auch dazu
bei, das Gemeinschaftsgefühl oder die Identität einer
Gruppe zu festigen. Oft ist Mobbing auch ein Mittel, um
von der eigenen Angst abzulenken – von der Angst, in
der Schule zu versagen, nicht ausreichend beachtet
oder anerkannt zu werden oder selbst zu den Betroffenen zu gehören.
Wer kann was gegen Mobbing unternehmen?
Gestörte Kommunikation auf Schul- oder Klassenebene, schwelende ungelöste Konflikte, überfüllte Klassenräume und vor allem unklare Strukturen und Regeln
sind ein guter Nährboden für Mobbing. Deshalb ist es
im präventiven Sinne wichtig, Projekte durchzuführen
oder Maßnahmen fix zu installieren, die eine konstruktive Kommunikations- und Streitkultur in der Schule
ermöglichen (Kommunikationstrainings, Mediationsprojekte etc.).
Besonders wichtig ist außerdem, dass alle Erwachsenen, die von einer Mobbingsituation Kenntnis erlangen
– in den meisten Fällen also Eltern, Lehrpersonen und
DirektorInnen – das nötige Problembewusstsein entwickeln und bereit sind, sich für die Änderung der Situation einzusetzen. Eltern sollen Veränderungen im Verhalten ihrer Kinder im Auge behalten und Ängste ernst
nehmen; sie sollen nach Möglichkeit dafür sorgen, dass
das Kind Zugang zu Selbstwert stärkenden Maßnahmen erhält und vielleicht außerhalb der Klasse positive Erfahrungen in einer Gruppe machen kann (Sport,
Musik …). Und sie sollen mit Schulleitung und Lehrpersonen eine gemeinsame Vorgehensweise planen.
Auch wenn sich LehrerInnen für den Umgang mit diesem Thema häufig nicht kompetent genug fühlen, so
ist es zumindest notwendig, vor den SchülerInnen klar
Stellung zu beziehen und Grenzen zu setzen – und das
möglichst im Einklang mit dem Kollegium.
Sich zusätzlich professionelle Hilfe zu holen, ist meiner Erfahrung nach in vielen Situationen hilfreich, weil
Lehrpersonen ja auch Teil des Systems sind und somit
die Außensicht fehlt.
Pauls Klassenlehrerin hat diese Möglichkeit in Anspruch
genommen und erreicht, dass sich die Situation für
den Schüler enorm verbessert hat. Unter Einsatz von
mediativen Methoden habe ich gemeinsam mit einem
Kollegen vom Friedensbüro Salzburg mit der gesamten
Klasse gearbeitet.
Konfliktbearbeitung mit der ganzen Klasse
als eine Form der Mobbingintervention
Weil schließlich nicht nur die direkt von Mobbing
betroffenen Personen unter der Situation leiden, sondern auch das Klassenklima, haben häufig viele in der
Klasse Interesse daran, etwas zu verändern. Außerdem
tragen nicht nur die AkteurInnen, die verletzende Spitznamen geben oder MitschülerInnen (körperlich) angreifen, Verantwortung, sondern auch die ZuschauerInnen,
die nichts gegen die Anfeindungen unternehmen, weil
sie gerade durch ihre passive Haltung die Situation verschärfen. So können alle in der Klasse, haben sie erst
einmal den Ernst der Lage erkannt, Ideen zur Verbesserung der Situation beisteuern.
In der Arbeit mit den Kindern bzw. Jugendlichen verzichte ich auf die Verwendung der Begriffe Opfer und
TäterIn. Als Opfer trägt man den Stempel der Hilflosigkeit, und damit wird einem genau jene Eigenverantwortung abgesprochen, die man unbedingt benötigt,
um von sich aus einen Beitrag zum Durchbrechen des
Systems beziehungsweise Kreisprozesses zu leisten.
Wird man hingegen auf die TäterInnenrolle festgelegt,
bleibt einem nichts anderes übrig, als in Widerstand
zu gehen, will man das eigene Gesicht nicht verlieren.
Beide Aspekte sind nicht hilfreich für das Auflösen
einer Mobbingsituation. Deshalb spreche ich lieber von
Betroffenen und Beteiligten.
Bei dieser Form der Arbeit mit allen Betroffenen und
Beteiligten ist es meiner Erfahrung nach unumgänglich, sich erst das Einverständnis der SchülerInnen zu
holen, das Thema zu besprechen. Indem nicht nach
Schuld gesucht wird, gelingt es ein Vertrauensklima zu
schaffen, das den SchülerInnen ermöglicht, über ihre
Absichten, Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und
gegenseitiges Verständnis zu entwickeln. Wenn es auf
diese Weise gelingt, einen Perspektivenwechsel herbeizuführen, können alle gemeinsam Ziele für den konstruktiven Umgang miteinander erarbeiten.
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13
polis aktuell
Aufgrund eigener Erfahrungen und der oben genannten Forschungsergebnisse sowie der politischen Willenskundgebungen haben wir – drei Lehrerinnen und
Therapeutinnen der Logotherapie und Existenzanalyse
nach Viktor Frankl – uns entschlossen, zu einem Spezialthema der Gewaltprävention, dem „Mobbing“, ein
Unterstützungs- und Lernangebot in den Bereichen Sensibilisierung, Prävention und Intervention anzubieten.
3.3 Ausgemobbt?
Christine Wildner ist in der Mobbingprävention und
-intervention tätig. Ihre Zugangsweise schildert sie im
folgenden Artikel.
(Kontakt:[email protected])
Am 28. November 2008 war ein österreichweiter Aktionstag gegen Gewalt in der Schule anberaumt: „Alle
Schulen sollen ein Zeichen setzen: Gewalt hat in der
Schule keinen Platz! Deshalb habe ich alle Schulen
aufgefordert an diesem Tag im Rahmen des Unterrichts
Schwerpunktprogramme zur Gewaltprävention zu setzen“, forderte Unterrichtsministerin Claudia Schmied.
Zwar gibt es jetzt schon einige Schwerpunktkurse zur
Gewaltprävention in der Klasse/an der Schule für LehrerInnen, doch die Ministerin meinte: „Hier müssen
wir noch nachlegen. Unsere LehrerInnen brauchen
ein gutes Rüstzeug. Die Erfahrungen zeigen, dass der
Grund für Gewalt an der Schule nicht primär in der
Schule entsteht. Häufig ist die Schule der Ort, an dem
SchülerInnen ihre Probleme aus dem Elternhaus oder
dem Freundeskreis abreagieren. Die Schule muss
aber bestmöglich mit den Problemen der Jugendlichen
umgehen. Deshalb müssen wir alle PartnerInnen in
ein Boot holen, den LehrerInnen das beste Rüstzeug
geben, klare Regeln schaffen und ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellen“.
Laut einer der letzten Studien des „Instituts für die
Stressprophylaxe und Salutogenese“ sind SchülerInnen
in den vergangenen Jahren gewaltbereiter geworden –
und zwar sowohl im Umgang mit ihren MitschülerInnen,
als auch mit den PädagogInnen selbst. 13 Prozent der
befragten 705 LehrerInnen geben an, im Schuljahr
2007 körperlich von Schülern attackiert worden zu
sein. Acht von zehn LehrerInnen berichten von einer
Zunahme der Beschimpfungen unter SchülerInnen. 62
Prozent orten mehr Drohungen und je 65 Prozent mehr
„Raufen und Schläge“ sowie Vandalismus.
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Mobbing findet sich vom Kindergarten an in allen
Schulformen und Schulstufen, in allen Altersstufen und
bei beiden Geschlechtern. Dennoch wird es oft nicht
erkannt, verharmlost, vertuscht oder ignoriert. Aber es
verursacht immenses und nachhaltiges persönliches
Leid bei den Opfern, begünstigt eine negative Entwicklung bei den Mobbenden und erschwert das Lernen für
alle, indem es das gesamte Klassen- und Schulklima
stark beeinträchtigt. Das Ergebnis ist, dass der Lernerfolg der SchülerInnen und das Engagement der LehrerInnen im Unterricht und in ihrem Bildungsauftrag stark
leiden. Es entstehen kaum abschätzbare Schäden und
Kosten. Für effektive Maßnahmen ist die Beteiligung
aller Betroffenen notwendig, der Schulleitung, der LehrerInnenschaft, der SchülerInnen, der Eltern, der SchulärztInnen und SchulpsychologInnen und aller weiteren
im Umfeld der Schule tätigen Personen.
Darum stellen wir auch für alle Betroffenen Angebote in
den drei Bereichen Sensibilisierung, Prävention und
Intervention zur Verfügung. Der existenzanalytische
Ansatz bei unserer Arbeit bietet entscheidende Hilfen
bei der Entwicklung der Wahrnehmung der Problematik,
bei persönlichen Stellungnahmen, bei verantwortungsvollem Handeln aller Beteiligten und beim Wert- und
Sinnerleben in der Schule. Aus den genannten Gründen
ist Mobbing/Bulling-Prävention bei LehrerInnen heute
mehr denn je gefragt. Um aber wirklich erfolgreich zu
intervenieren, bedarf es theoretischen Wissens, praktischer Erfahrung und methodischen Könnens. Es gilt
für alle Lehrenden an den Schulen, Stärken und Schwächen sowie die oft verdeckten Bedürfnisse und Anliegen von Mobbingbeteiligten zu erkennen, Lernprozesse
einzuleiten und zu nutzen, diese aber auch zu steuern
und zu begleiten. Ausdruck von pädagogischer Professionalität der LehrerInnen ist es, die eigenen Fähigkeiten effizient und verantwortlich einzubringen, klare
Kommunikationsstrukturen zu schaffen und zu nutzen,
mit Konflikten konstruktiv umzugehen und dabei die
gesetzten Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren.
Im Rahmen dieser Veranstaltungsprofile empfehlen
wir zum Sensibilisierungsbereich Vorträge im Ausmaß
von ein bis drei Stunden – zum Erfassen und Verstehen der Mobbingproblematik sowohl für SchülerInnen
2009
Nr. 6
Mobbing in der Schule
als auch für LehrerInnen, Eltern, SchulleiterInnen, LandesschulinspektorInnen, BezirksschulinspektorInnen,
Schulgemeinschaftsausschüsse, Schulforen, SchulärztInnen, KinderärztInnen, KindergärtnerInnen und für alle Studierenden dieser Bereiche. Diese Informationsveranstaltungen sollen an den Schulen und Fortbildungseinrichtungen der Institution Schule laufend
durchgeführt werden und zwar nach InteressentInnengruppen getrennt, um den jeweils höchstmöglichen
Informationsstand zu erreichen. Diese Anstrengungen
zum Erwerb der Grundkenntnisse für den Umgang mit
Mobbingopfern und TäterInnen soll schon viel früher
entwickelt werden – nicht erst im Krisenfall, denn dann
können verschiedene präventive Maßnahmen gar nicht
mehr gesetzt werden.
Im Rahmen einer intensiveren Prävention am Schulstandort soll besonders mit LehrerInnen und interessierten SchülerInnen gearbeitet werden: zum Beispiel
mit KlassenlehrerInnenteams, mit Steuergruppenmitgliedern der Schulentwicklung, mit SchülerInnen der
Peer-Mediation oder mit SchulsprecherInnen. Als Zeiten
empfehlen sich Pädagogische Tage, Projekttage, Gruppen- und Einzelsupervisionsstunden, Extra-Coaching
für KlassenlehrerInnen und schulinterne Workshops.
Soll hier ein Erfolg erzielt werden, ist nachhaltiges
Arbeiten der Betroffenen an ihren jeweiligen Bedürfnissen über einen längeren Zeitraum am hilfreichsten. In
diesem Zusammenhang gilt es, besonders die Schulpartnerschaft – Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen – zu
begründen, zu stärken und zu dauerhaftem Leben zu
erwecken. Dafür können die verbindlichen Verhaltensvereinbarungen an einer Schule herangezogen werden:
Das sofortige Eingreifen bei physischer und psychischer
Gewalt sowie Konsequenzen bei Nichteinhaltung der
gemeinsam erarbeiteten Regeln.
Im Rahmen der Intervention im Krisenfall an einer
Schule braucht es oft Beratung und Begleitung von
ExpertInnen. Denn LehrerInnen und DirektorInnen und
natürlich auch Eltern sehen und bewältigen oft nur ihre
jeweils spezifischen Aufgaben und sind für Ausnahmesituationen wenig gerüstet. Fachkundige Krisenintervention, themengerechte Moderation, empathische
Supervision für alle Betroffenen und Rechtsbeistand
für heikle Situationen sind dann unerlässlich. Haben
aber Sensibilisierung und weitreichende Präventionsmaßnahmen an der Schule schon ihre Wirkung
erreicht, wird der Krisenfall sicherlich seltener eintreten. Diese Präventionsarbeit ist auch finanziell von Vorteil, denn Gelder für Krisenintervention aufzutreiben,
ist bei den finanziellen Notständen im Bildungsbereich
kaum möglich.
3.4 Mobbingprävention
in der S chule
Sarah Galehr (Mitarbeiterin beim Projekt „Diversity im
AMS“) und Andreas Görg (Antimobbing-Trainer und
Coach) beleuchten das Thema Mobbing auch aus
struktureller Sicht. Eine Langfassung ihres Artikels finden sie unter:
www.politik-lernen.at > polis Shop > polis aktuell
Das Internet ist voller guter Ratschläge, was zur Prävention von Mobbing in der Schule alles getan werden
sollte. Allerdings fehlt in diesem Pool der Ratschläge
ganz offensichtlich die Beschäftigung mit dem Schulsystem als Quelle von Mobbing und als Ansatzpunkt der
Prävention. Ohne Auseinandersetzung mit Schule als
Organisation in einer sich rapide wandelnden Gesellschaft bleiben die guten Ratschläge fromme Wünsche:
Denn einerseits produziert das anachronistische Schulsystem selbst immer mehr Mobbingpotenzial, andererseits fehlt es an Ressourcen bzw. verunmöglicht die
starre Organisationsstruktur der Schule eine effektive
und umfassende Mobbingprävention. Daher scheitert
die Verhinderung von Mobbing im Rahmen des Bestehenden allzu oft.
Mobbing oder Konflikt?
Wichtig ist zunächst, Mobbing von Konflikten zu unterscheiden. Konflikte sind in allen sozialen Konstellationen angelegt und können immer wieder Ausbrüche
und Eskalationen hervorrufen. Konfliktausbrüche zu
vermeiden ist nicht immer möglich, nicht einmal immer
wünschenswert. Denn Austragung von Konflikten und
deren Lösung bieten im besten Falle ein Potenzial,
um soziale Bindungen zu stärken und die Qualität der
Lebens- und Arbeitssituationen zu verbessern. Eskalationen können Konfliktbewusstsein und Lösungsbereitschaft erzeugen. Und auch Trennung der Konfliktparteien kann eine willkommene Lösung eines
Konfliktes bedeuten. Nicht so bei Mobbing. Mobbing ist
ein destruktives Konfliktventil. Mobbing trägt nichts zur
Konfliktlösung bei, sondern wiederholt sich ständig. Das
Ausmaß der Angriffe steht bei Mobbing in keiner Relation zu den Konflikten, die zwischen den Angreifenden
und den Angegriffenen existieren mögen. Daher sind
bei Mobbing die Angegriffenen in der Regel austauschbar. Oft wird allerdings ein Scheinkonflikt zwischen den
am Mobbingprozess Beteiligten aufgebauscht. Das hat
zur Konsequenz, dass die bei Konflikten üblichen Austragungsformen (Deeskalation, Diskussion, Mediation,
Vereinbarung von Verhaltensrichtlinien und Grenzen,
Trennung der Konfliktparteien) bei Mobbing nur zu kurzlebigen Scheinlösungen führen und ein Wiederaufflam-
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polis aktuell
jedoch zunehmend zum Problem und zum Nährboden
für Mobbing.
men des Angriffsverhaltens (eventuell in anderer Form
gegen andere Personen) nicht verhindern. Die dem
Mobbing tatsächlich zugrundeliegenden Konflikte sind
ganz überwiegend in anderen sozialen Verhältnissen,
Widersprüchen und Strukturmängeln zu suchen. Konflikte sind lösbar. Mobbing ist nicht unmittelbar lösbar,
nicht wenn nicht zuvor die zugrundeliegenden Konflikte
entdeckt und entschärft wurden.
Ein Fall für die Psychologie?
Bei der Beschäftigung mit dem Thema Mobbing ist
stets zu berücksichtigen, dass dieser Diskurs ab
Anfang der 1990er Jahre im deutschsprachigen Raum
aus dem Feld der Arbeitspsychologie kommt. Dieser
Hintergrund prägt und verzerrt den Mobbingdiskurs
bis heute. Vor allem die Erklärungen der Mobbingursachen bleiben allzu sehr im Psychologischen verhaftet,
während die gesellschaftlichen und organisatorischen
Dimensionen des Phänomens unterbelichtet bleiben.
Dabei sind es gerade soziale Entwicklungen und problematische Organisationsstrukturen, die Mobbingverhalten auslösen oder eindämmen. Die Entwicklung
bzw. Entfesselung der psychologischen Dispositionen
von MobberInnen ist insbesondere die Konsequenz
dieser gesellschaftlichen (inklusive familiären) und
organisatorischen Ursachen. Dementsprechend ist es
nicht damit getan, Mobbing allein mittels Mangel an
sozialer und emotionaler Kompetenz, ungefestigter
Persönlichkeit, dem individuellen Streben nach Macht
und Anerkennung sowie der Herstellung und Aufrechterhaltung von stabilen informellen Gruppenhierarchien
zu erklären.
Die Veränderungen in der Arbeitswelt sind in ihrer Dramatik unübersehbar, während die Schule als Institution
in Österreich scheinbar seit den späten 1970er Jahren
– abgesehen von den Versuchen der Integration von
Kindern mit besonderen Bedürfnissen in den Regelunterricht ab Anfang der 1990er Jahre – in einem Zustand
der Erstarrung verharrt. Genau diese Erstarrung wird
16
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Die Starre des Schulsystems steht im Widerspruch zu
den rezenten rasanten Entwicklungen in der Gesellschaft, die auch Kinder und Jugendliche erfassen.
Die Entwicklungen der Kinder und Jugendlichen laufen aufgrund des vielfältigeren gesellschaftlichen und
medialen Angebots immer mehr auseinander. Die an
den Schulen vermittelte Allgemeinbildung hat immer
weniger mit dem zu tun, was den SchülerInnen in der
Realität außerhalb der Schule entgegentritt, wodurch
das Lernen zur Schikane werden kann. Die LehrerInnen
können sich normalerweise nur auf jene SchülerInnen
konzentrieren, die in ihrem Fach den guten Durchschnitt bilden. Informell gründet sich also so etwas wie
eine Interessengruppe, mit dem Unterschied, dass alle
weniger Interessierten ebenfalls anwesend sein müssen. Hochbegabte werden in dieser Struktur tendenziell ebenso vernachlässigt wie Kinder und Jugendliche
mit auffälligem Sozialverhalten und/oder Lernschwierigkeiten. Unterforderung und Überforderung sind gleichermaßen Nährboden für Mobbing. Die LehrerInnen
sind heute mehr denn je mit Ablehnung seitens einer
zunehmenden Zahl von SchülerInnen konfrontiert, an
deren Fähigkeiten und Möglichkeiten der Unterricht
schlicht vorbeigeht. Das liegt wohlgemerkt weniger an
der Begeisterungsfähigkeit und Motivation der LehrerInnen, sondern viel mehr an der vorgegebenen Struktur von Schule und Unterricht. Leistungsdruck, Erwartungsdruck der Eltern und des sozialen Umfeldes in
Verbindung mit dem Notensystem und der Möglichkeit
zu versagen und durchzufallen, machen die Schule
für manche Kinder und Jugendlichen zu einem Raum
des Leidens und des Kampfes, in dem sie strukturell
unterlegen sind. Mit steigendem Druck und sinkendem
Handlungsspielraum kommt es eher zum Rückgriff auf
destruktive Ventile – bei SchülerInnen und Lehrkräften.
Wie gelingt Mobbingprävention?
Langfristig effektive Mobbingprävention ist nur durch
strukturelle Reduktion des Mobbingpotenzials möglich,
weshalb einem Engagement von LehrerInnen, Eltern
und SchülerInnen insbesondere zur Modernisierung
der Schulstrukturen die höchste Priorität aus mobbingpräventiver Sicht zukommt.
Kurzfristig sind die Organisierung der Mobbingprävention und deren schrittweise Institutionalisierung von
zentraler Bedeutung, um dem Burnout von isolierten
EinzelkämpferInnen vorzubeugen. Institutionalisierung
von Mobbingprävention erfordert eine breite Basis und
die Unterstützung der Schulleitung.
2009
Nr. 6
Mobbing in der Schule
Die wesentlichen Angelpunkte für Mobbingprävention in einem unflexiblen organisatorischen Rahmen
sind Konfliktkultur und Transparenz. Der Aufbau einer
Konfliktkultur bedeutet erstens, destruktives Verhalten
weder zu ignorieren noch zu tabuisieren, sondern es
zu erkennen und sachlich zu bearbeiten, ohne in das
TäterIn/Opfer-Schema zu verfallen und somit die MobberInnen zu dämonisieren. Mobbing hat immer System.
Zweitens ist es empfehlenswert, dass Schulen eigene
Normen oder Leitbilder sowie Unterrichtsmethoden
zum Umgang mit dem auf mehreren Ebenen entstehenden Konfliktdruck entwickeln und verbreiten. Transparenz bedeutet, zu wissen, wer was entscheidet und
wo gegebenenfalls interveniert werden kann, wenn Entscheidungen zu einem Konfliktdruck führen.
Außerdem können Beispiele zum erfolgreichen Umgang
mit Mobbingfällen gesammelt und diskutiert werden.
Die Beispiele müssen nicht aus eigener Erfahrung
stammen; sie können auch im Internet recherchiert
werden. Sowohl im Lehrkörper, als auch in den Klassen
soll ein offenes Klima entstehen, in welchem mobbingfördernde Situationen frühzeitig erkannt und möglichst
neutralisiert werden.
Zur Konfliktkultur gehört auch ein gut zugängliches
und gegebenenfalls interventionsmächtiges Unterstützungs- und Beschwerdewesen. Eine MobbingAnlaufstelle wird von SchülerInnen, Lehrenden, SchulpsychologInnen und Eltern besetzt, sodass sich die
Betroffenen ihre AnsprechpartnerInnen aussuchen
können. Aber auch für einzelne LehrerInnen sollte die
Anlaufstelle ein Stützsystem (bestehend aus MediatorInnen, SozialarbeiterInnen und anderen externen
ExpertInnen) bereitstellen. Die Anlaufstelle sollte sich
ebenfalls von externen Fachleuten Unterstützung
holen können. Jene Personen, die die Anlaufstelle
betreuen, müssen sich neben besonderer Integrität
durch fachlich-inhaltliche Kompetenz auszeichnen und
benötigen daher eine fachliche Schulung.
Mobbing als solches wahrzunehmen gelingt meist am
ehesten über das (Er)Kennen der Symptomatiken.
Es ist meist kontraproduktiv, Mobbende bloßzustellen
oder zu bestrafen, weil damit ein zusätzlicher Konfliktdruck geschaffen wird, der sich tendenziell erneut entladen wird: entweder auf die Angegriffenen oder auf
neue Opfer oder in einer anderen destruktiven Form.
Sobald die Angriffe gestoppt sind, muss der Konfliktdruck im Hintergrund bearbeitet werden, sonst besteht
die sehr große Gefahr, dass sich die Angriffe fortsetzen.
Dies kann wiederum paradoxerweise durch Ermächti-
gung der MobberInnen passieren, indem sie lernen,
sich in (echten) Konflikten zu behaupten.
Umsonst sind diese Interventionen dann, wenn die Einstellung der LehrerInnen nicht vom Wunsch nach einer
anti-diskriminatorischen Schule, einer Schule ohne
Mobbing beseelt ist. Zwar ist eine gute materielle Ausstattung einer Schule notwendig, damit sie funktioniert. Für gut funktionierende Beziehungen sind aber viel
mehr innere Bilder und Konstrukte von Bedeutung, die
das Handeln der LehrerInnen prägen. Die Förderung
von Autonomie, (Eigen-)Verantwortlichkeit und Konfliktlösungskompetenz der SchülerInnen ist wichtig, um
eine offene, partnerschaftliche Kommunikationskultur
zu etablieren, die das Auftreten von Mobbing, wenn
schon nicht verhindert, dann zumindest minimiert.
3.5 Gewalt
gegen
LehrerInnen
Im Folgenden referieren wir einige Erfahrungen und
Schlussfolgerungen aus der therapeutischen Praxis
zum Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“, ausgehend
von einem Gespräch und einem Schreiben von Christa
Lopatka, Ärztin und Psychotherapeutin (Existenzanalyse). Sie ist Teil eines Teams, das österreichweit Seminare und pädagogische Tage zum Thema Mobbing an
Schulen und Kindergärten veranstaltet.
Ein Aufklärungsleitfaden und eine Medienliste zur
Aufklärung von SchülerInnen über Gewalt und Mobbing
werden auf Anfrage kostenlos zugesendet:
[email protected]
Lehrkräfte schildern in Supervisionsgruppen, Einzelgesprächen und Fortbildungen hoch belastende Situationen aus dem Unterrichtsalltag. Hauptaufgabe in
manchen Klassen ist es, eine Situation herzustellen,
in der Unterricht überhaupt möglich ist – und teilweise
gelingt das nicht. In erster Linie dann, wenn einige
SchülerInnen sehr aggressiv gegen MitschülerInnen
und auch LehrerInnen vorgehen. Bei jüngeren und bei
männlichen Kindern ist es stärker physische Gewalt,
vor allem gegen KlassenkollegInnen („schlägt, tritt
und beißt“), bei Älteren und Mädchen sind es meist
psychische Mobbinghandlungen, die sich auch gegen
Lehrkräfte richten (verspotten, ignorieren, abwerten,
ausgrenzen). Gespräche mit Eltern helfen nicht immer
weiter und die Lehrkräfte fühlen sich allein gelassen
oder zögern damit, sich um Hilfe an Schulleitung und
KollegInnen zu wenden.
Die Rolle des Lehrenden ist meist sehr exponiert – die
Kommunikation ist auf sie zentriert, was auch deren
negative Seiten einschließt. Zudem beinhaltet die Rolle
www.politik-lernen.at
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polis aktuell
hohe Erwartungen: Lernerfolge der SchülerInnen, faire
Bewertung, Verantwortung für das Klassenklima. Teils
widersprüchliche Erwartungen kommen von Eltern, Leitung, KollegInnen und medialer Öffentlichkeit. So kann
hoher Druck entstehen, der zu Verengung der Wahrnehmung und einer (empfundenen) Reduktion eigener
Handlungsmöglichkeiten führt. Kombiniert mit dem
teils noch verbreiteten Selbstbild des/der EinzelkämpferIn ergibt das einen Cocktail, der Menschen gegen
Mobbing besonders verwundbar macht.
Ein Schulklima, in dem Anerkennung ein rares Gut ist
(Benotungssystem, Elterndruck, negatives mediales
LehrerInnenbild), bereitet den Boden für Mobbing –
auch gegen Lehrkräfte. Jede (vermeintliche) Schwäche
bietet in dieser „Kampfatmosphäre“ eine Angriffsfläche.
Laut Lopatka erzeugen Gewalthandlungen und Mobbing bei manchen Kindern ein Euphorie-Gefühl, das ihre
emotionalen Defizite überdeckt. Da solche Handlungen zwar eine Machtposition einbringen können, aber
keine Beziehungssicherheit, ergibt sich eine Art Wiederholungs- bis Eskalationszwang in diesem Verhaltensmuster. Das so erreichte Pseudoselbstwertgefühl muss
4
durch immer neue Übergriffe genährt werden. Oft fehlt
dabei jegliches Gefühl für die Folgen der eigenen Taten.
Verantwortung wird nicht übernommen, ethische Werte
spielen keine Rolle.
Ein LehrerInnenteam an der Schule, das speziell für
Gewaltprävention und -intervention zuständig ist,
unterstützt von einem/einer externen Coach, könnte
Abhilfe schaffen. Dieses Team sollte auch in Konflikten
zwischen Lehrpersonen und Eltern vermitteln.
Konfrontationsgespräche mit Mobbenden müssen klar
zwischen einer kompromisslosen Ablehnung verletzenden Verhaltens und einer Wertschätzung der Person
unterscheiden.
Der Lehrberuf ist in hohem Maß ein Beziehungsberuf.
Gewaltprobleme gehören zum Schulalltag. Deswegen
sollte Persönlichkeitsbildung und Selbsterfahrung ein
zentraler Bestandteil der Lehrkräfteaus- und -fortbildung sein. Das regelmäßige Reflektieren schwieriger
Berufssituationen in Supervisionen und Intervisionen
sollte zum pädagogischen Berufsbild zählen.
Sonderform Cybermobbing
Dagmar Strohmeier und Petra Gradinger von der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien berichten
aus ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit zum Thema
Cybermobbing:
Österreich hat sich durch die Unterzeichnung der Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, alle Kinder und
Jugendlichen vor jeder Form körperlicher oder geistiger
Gewaltanwendung zu schützen (Artikel 19). Gewaltprävention ist somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
die mit der Umsetzung grundlegender Werte in einer
Gesellschaft aufs engste verknüpft ist und das Bildungswesen in besonderem Maße betrifft. Vor diesem
Hintergrund macht es Sinn, Gewaltprävention als eine
Kernaufgabe von Bildungseinrichtungen zu begreifen.
Insbesondere Schulen stellen jene gesellschaftlichen
Institutionen dar, an denen grundlegende Werte nicht
nur gelehrt, sondern auch gelebt werden sollten.
Ein Gewaltphänomen, das wissenschaftlich sehr gut
untersucht und in der Schule sehr relevant ist, ist
Mobbing (auch: Bullying). In den letzten Jahren wurde
zunehmend Mobbing mit neuen Medien (englisch:
18
2009
www.politik-lernen.at
Cyberbullying) untersucht. Cyberbullying umfasst systematische, wiederholte negative Verhaltensweisen, die
mit Hilfe neuer Medien (z.B. Computer, Mobiltelefon
etc.) durchgeführt werden mit dem Ziel, einer Person zu
schaden bzw. sie systematisch fertig zu machen oder
zu quälen.
Filmtipp
Ben X, 2007, 93.min.
Ben leidet an Autismus (Asperger-Syndrom). Auf seine Andersartigkeit reagieren seine MitschülerInnen
gnadenlos. Ben ist täglich Mobbing-Angriffen ausgesetzt. Zuflucht findet er nur in einem Online-Rollenspiel. Eines Tages eskaliert die Situation: Ben wird in
der Klasse brutal erniedrigt und dabei gefilmt. Das
Video taucht im Internet auf. Ben sieht nur mehr einen Ausweg: Selbstmord. Ein Film, der nicht kalt lässt,
mit einer starken Botschaft und einem tollen Schluss.
Unterrichtsmaterial zum Film:
http://www.kinofenster.de/filmeundthemen/
archivmonatsausgaben/kf0802/ben_x_film/
Schulvorstellungen buchbar bei:
Cinema Paradiso, 3100 St. Pölten, Rathausplatz 14,
T 02742 343 21, [email protected]
Nr. 6
Mobbing in der Schule
Was unterscheidet Mobbing mit neuen
Medien von Mobbing im Allgemeinen?
1. Es ist für Opfer viel schwerer, sich zu entziehen.
2. Es kann ein potenziell sehr großes Publikum
erreicht werden.
3. Es kann von „unsichtbaren“ und anonymen TäterInnen ausgeführt werden.
4. Die Mechanismen, die Mobbing mit neuen Medien
aufrecht erhalten, sind zum Teil andere als bei herkömmlichem Mobbing. TäterInnen sehen ihre Opfer
nicht unmittelbar nach der Tat (Hemmung / Lustgewinn fällt weg).
Was weiß man über Mobbing mit neuen Medien?
1. Es wird wesentlich seltener ausgeführt als Mobbing
im Allgemeinen.
2. Es scheint mit dem Alter der Jugendlichen zuzunehmen (Mobbing geht zurück).
3. Hinsichtlich Geschlechtsunterschiede gibt es widersprüchliche Ergebnisse:
a.Der technische Aspekt von Cyberbullying könnte
für Jungen ansprechender sein.
b.Der indirekte, nicht physische Aspekt könnte für
Mädchen ansprechender sein.
Warum mobben Jugendliche andere Jugendliche?
1. Weil sie damit ein Ziel erreichen wollen.
Zum Beispiel:
• Macht auszuüben
• andere dominieren
• Anerkennung in der Gruppe bekommen
Mobbing ist das „Instrument“ dafür, ein Ziel zu erreichen („instrumentelle Aggression“).
2. Weil sie sich ärgern und mit ihrer Wut nicht umgehen
können.
Zum Beispiel:
• Uneindeutige Situationen werden als Provokationen interpretiert.
• Es stehen keine Verhaltensalternativen zur
Verfügung.
Mobbing ist die „Reaktion“ auf eine Provokation („reaktive Aggression“).
Wie ist die Situation in Österreich?
Im Folgenden stellen wir einige zentrale Ergebnisse
einer Studie aus Österreich vor. Die Studie wurde von
Petra Gradinger, Dagmar Strohmeier und Christiane
Spiel verfasst. Nachgelesen werden kann die Studie in
der Zeitschrift für Psychologie*.
* Gradinger/Strohmeier/Spiel: Traditional Bullying and
Cyberbullying; in: Journal of Psychology. Special Issue: Abusive
Relationships in Cyberspace. Hogrefe Verlag, 2009.
Was wurde in der Studie untersucht?
• Auftretenshäufigkeit von Mobbing mit neuen
Medien im Vergleich zu herkömmlichem Mobbing
• Geschlechtsunterschiede
Wer wurde in der Studie untersucht?
761 Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren
Die Stichprobe ist repräsentativ für alle Schultypen
(9. Schulstufe) in Österreich.
Eine Fragebogenstudie wurde in zehn Schulen vier verschiedener Schultypen in Wien durchgeführt.
Wie häufig kommt Mobbing mit
neuen Medien in Österreich vor?
Im Vergleich mit anderen Verhaltensweisen wird Mobbing mit neuen Medien selten aktiv ausgeführt. 3% der
Mädchen und 8% der Jungen waren zumindest einmal
als TäterIn in Mobbing mit neuen Medien involviert.
Auch Opfer von gemeinen Attacken mit neuen Medien
zu werden, kommt selten vor. Etwa 7% der SchülerInnen
wurden einmal mit Hilfe des Handys oder Computers
beleidigt oder verletzt. Hier gibt es keine Unterschiede
zwischen Mädchen und Jungen.
Es gibt kaum SchülerInnen, die nur
TäterInnen von Mobbing mit neuen Medien sind.
Wenn jemand als TäterIn neue Medien einsetzt, dann
setzt er/sie auch andere Mobbinghandlungen.
Es gibt kaum SchülerInnen, die nur
Opfer von Mobbing mit neuen Medien sind.
Wenn jemand Opfer von Attacken mit neuen Medien
ist, dann ist er/sie auch Opfer von anderen Arten von
Mobbing.
Wenn in der Schule ein Fall von Mobbing
neuen
L i nmit
ktip
ps
Medien
auftritt, ist davon
auszugehen,
das die
Die österreichische
Informationsunddass
Koordinie„Spitze
des Eisbergs”
ist, weil andere
Verhaltensweisen
rungsstelle
Saferinternet.at
unterstützt
UserInnen
bei vorkommen.
der sicheren Handhabung von Internet, Handy
auch
und Computerspielen. Sie widmet sich auch dem
Phänomen Cybermobbing und gibt Tipps zum Umgang mit Mobbingfällen.
www.saferinternet.at/themen/cyber-mobbing
Besondere Tipps bei Belästigungen durch das Handy
gibt es auf Handywissen.at:
www.handywissen.at/belaestigung
Für Lehrende als Betroffene von Cybermobbing gibt
es ebenfalls hilfreiche Tipps:
www.saferinternet.at/themen/cyber-mobbing
> Was tun, wenn Lehrende das Opfer sind?
Saferinternet.at hat auch ein umfangreiches Broschürenservice eingerichtet mit Bestellmöglichkeit oder
zum Download:
www.saferinternet.at/broschuerenservice
www.politik-lernen.at
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polis aktuell
5
Hilfreiche Hinweise und Übungen
Weiße Feder – Gemeinsam gegen Gewalt
www.gemeinsam-gegen-gewalt.at > Gewalt & Mobbing
Die weiße Feder ist eine Initiative des Unterrichtsministeriums, die ein klares Zeichen gegen Jugendgewalt
setzt. Sie widmet sich auch ausführlich dem Thema
Mobbing und hält für alle relevanten Gruppen – Eltern,
SchülerInnen und Lehrkräfte – wertvolle Inhalte und
hilfreiche Vorgehensweisen bereit.
Unter anderem werden verbreitete Glaubenssätze aufgezählt und in Frage gestellt:
• Mobbing ist harmlos.
Ganz im Gegenteil, die Folgen von Mobbing können sehr dramatisch sein. Drastisches Beispiel
ist die erhöhte Suizidrate von Gemobbten und
MobberInnen.
• Mobbing unter Kindern und Jugendlichen ist nur
ein vorübergehendes Verhalten.
In Mobbing-Situationen verstärken sich und bilden
sich Muster aus, die meist in anderen Situationen
später tragend werden. Auch der konkrete Mobbingfall endet selten „von allein“.
• Kinder, die gemobbt werden, müssen sich wehren
und zurückschlagen.
Passives Erdulden reduziert Mobbing meist nicht,
sondern fördert es meist noch. Gewalttätige Reaktion verschlimmert die Situation allerdings häufig.
Auf der Webseite der Weißen Feder gibt es zahlreiche
hilfreiche Tipps, unter anderem eine Übersicht über
bewährte Gewaltpräventionsprogramme aus verschiedenen Ländern und für unterschiedliche Schulstufen
(unter dem Stichwort: Gewaltprävention). Besonders
interessant die prämierten Schulprojekte zum Thema
„Mobbing, Vandalismus, happy slapping – alltägliche
Kavaliersdelikte?“
www.gemeinsam-gegen-gewalt.at >
Projekte & Initiativen > SchülerInnenprojekte
Faire Schule
Auf der Homepage von Faire Schule werden zahlreiche
Projekte vorgestellt, die sich mit den Themen Mobbing- und Gewaltprävention und Fairness aktiv auseinandersetzen. Von Spielübungen, Peer-Mediation,
Verhaltensvereinbarungen, Hilfe beim Schuleinstieg,
konstruktivem Streiten und wertschätzendem Umgang
miteinander reicht die Palette bis zu Sozialem Lernen,
„Disziplinarkommittee statt Disziplinarkonferenz“ oder
dem Projekt Recht hat Jede/r?!
www.faireschule.at/good_practice
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www.politik-lernen.at
Schulpsychologie und Gewaltprävention
Die Schulpsychologie hat auf ihrer Homepage hilfreiche
Downloads zum Thema Gewaltprävention und Gesundheitsförderung zur Verfügung gestellt:
www.schulpsychologie.at/?id=45
VISIONARY
ist ein europäisches Kooperationsprojekt zum Thema
„Gewalt, Mobbing und Bullying in der Schule“, das sich
an LehrerInnen, Eltern, ExpertInnen und SchülerInnen
richtet. Die BetreiberInnen des Portals wollen alle unterstützen, die Informationen zu diesem Thema suchen
oder sich mit Anderen, die ähnliche Probleme oder
Interessen haben, austauschen möchten – sowohl im
deutschsprachigen Raum wie auch international.
www.gewalt-in-der-schule.info
Gleichbehandlung in der Schule.
Wie betrifft mich das als LehrerIn?
Handlungsmöglichkeiten im Rahmen
des Gleichbehandlungsrechtes.
Seminar für Lehrkräfte aller Schulstufen.
ETC Graz, 9. November 2009, 9 bis 17 Uhr.
www.etc-graz.at
Nicht wegschauen! Was tun bei Mobbing?
DVD mit Arbeitsmaterialien. Entlehnbar bei:
www.tirol.gv.at/medienzentrum
Macht. Gewalt. Schule.
Fachtagung „Mobbing- und Gewaltprävention“. Freier
Eintritt, Anmeldung bis 9. Oktober.
Linz, 19. Oktober, 15 bis 19 Uhr.
KIJA Oberösterreich: www.kija-ooe.at
Berliner Anti-Mobbing-Fibel
Was tun wenn. Eine Handreichung für eilige Lehrkräfte.
Zusammengestellt von Walter Taglieber.
Kurz, prägnant, hilfreich.
www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/
hilfe_und_praevention/gewaltpraevention/anti_
mobbing_fibel.pdf
2009
Mobbing in der Schule
Nr. 6
Beratungsstellen, speziell für Schulen
147 Rat auf Draht
Die Jugend-Hotline des ORF berät Jugendliche
kompetent zu vielen Themen, darunter auch psychische und physische Gewalt an der Schule.
Rund-um-die-Uhr-Dienst.
http://rataufdraht.orf.at
Kijas – Kinder und Jugendanwaltschaften
Die Kijas sind Einrichtungen des jeweiligen Bundeslandes und vertreten die Interessen von Kindern und
Jugendlichen auf Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention von 1992. Sie beraten und unterstützen bei
Problemen aller Art und wollen Kindern und Jugendlichen bei schwierigen Situationen zur Seite stehen.
Ihre Dienste sind kostenlos und vertraulich.
Die Kontaktdaten der einzelnen kijas finden sich hier:
www.kija.at
Schulpsychologische Beratungsstellen
Die Schulpsychologischen Beratungsstellen stehen
allen Beteiligten am Bildungsprozess – Lehrkräften,
Eltern, SchülerInnen – zur Verfügung und beraten individuell bei Schullaufbahnfragen und bei Konfliktfällen
und Krisen.
www.schulpsychologie.at/schuelerber
Literatur
Christina Zitzmann: Alltagshelden. Aktiv gegen Gewalt
und Mobbing – für mehr Zivilcourage.
Schwalbach: Wochenschau Verlag, 2007.
Sehr gut aufgebautes Praxishandbuch mit zahlreichen
Übungen.
Mustafa Jannan: Das Anti-Mobbing-Buch. Gewalt an
der Schule – vorbeugen, erkennen, handeln.
Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 2008.
Horst Kasper: Wer mobbt, braucht Gewalt. Das Handbuch für die mobbingfreie Schule.
Stuttgart: Süddeutscher Pädagogischer Verlag, 2004.
Übersichtliches Handbuch, das die institutionelle Perspektive mit herein nimmt.
Rosemarie Portmann: Spiele, die stark machen.
München: Don Bosco Verlag, 1998.
Übungen & Spiele zur Hebung des Selbstwertgefühls
und des Selbstvertrauens.
Achim Schröder, Helmolt Rademacher, Angela Merkle (Hg.): Handbuch Konflikt- und Gewaltpädagogik.
Verfahren für Schule und Jugendhilfe. Schwalbach:
Wochenschau Verlag, 2008.
Sir Peter Ustinov Institut zur Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen (Hg.): Kompetenz im Umgang
mit Vorurteilen. Vorurteilsbewusstes Unterrichten an
Grundschulen. Wien: Sir Peter
Ustinov Institut, 2009.
→ Theoretisch-didaktische
Grundlagen
→ Lehrplananbindung
→ Leitideen
→ Anregungen für die
Unterrichtspraxis
Kostenlos erhältlich im polis Shop:
www.politik-lernen.at/content/site/gratisshop/shop.
item/105631.html
Ein Fragebogen*
Ein erster oberflächlicher Eindruck von verdeckten
Vorgänge in der Klasse und zum Ausloten des Klassenklimas. Unbedingt im Anschluss gemeinsam
besprechen.
Wie fühlst du dich in der Klasse?
oo gut
oo geht so
oo schlecht
Das Klima in meiner Klasse empfinde ich als:
oo gut
oo geht so
oo schlecht
Der Zusammenhalt der SchülerInnen in meiner
Klasse ist:
oo gut
oo eher gering
oo nicht vorhanden
Wie schätzt du dein Ansehen in der Klasse ein?
oo Ich bin sehr beliebt.
oo Die meisten mögen mich.
oo Einige mögen mich, andere nicht.
oo Ich bin eher unbeliebt.
oo Eine/r oder mehrere sind gemein zu mir.
oo Die meisten sind gemein zu mir.
oo Ich werde von den anderen ignoriert.
Welche Aussage trifft auf deine Klasse zu?
oo Eine/r ist, einige sind sehr nett
oo Eine/r gibt, einige geben den Ton an.
oo Eine/r wird, manche werden nicht gemocht.
oo Eine/r wird, manche werden von anderen regelrecht gequält.
* Berliner Anti-Mobbing-Fibel, Seite 16
www.politik-lernen.at
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polis aktuell
Unterrichtsübung: Respektello/Respektella*
Die Teilnehmenden finden sich in Kleingruppen. Sie erhalten ein A4-Blatt, auf das sie eine Fantasiefigur zeichnen können (Respektello/a). Auf selbstklebende Zettelchen (Post-it) schreiben sie ihre Talente und guten Seiten.
Diese kleben sie dann auf das A4-Blatt.
In einem zweiten Schritt werden weitere Zettelchen beschrieben – diesmal mit Fähigkeiten und positiven Eigenheiten der anderen Mitglieder der Kleingruppe. Die SchülerInnen kleben diese wertschätzenden Aussagen auf
den oder die Respektello/a der betreffenden Person.
In einem weiteren Schritt werden auch an Mitglieder der anderen Kleingruppen solche wertschätzenden Post-it
verschenkt – am Ende hat jedeR eine Figur voller Zettel, auf denen steht, was alles an ihm/ihr schätzens- und
liebenswert ist.
* Diese Übung wurde im Projekt „Recht hat jede/r ?!“ in dieser oder ähnlicher Form häufig erfolgreich (strahlende Gesichter der
Teilnehmenden) erprobt.
Unterrichtsübung: Die Wunschfrage*
Ziele: In dieser Übung werden
persönliche Veränderungswünsche für die Klassensituation formuliert und konkrete Veränderungsstrategien ausgehandelt.
Ablauf: Die Teilnehmenden sollen
es sich bequem machen und ihr
Vorstellungsvermögen erproben:
„Du verfügst über grenzenlose
Wunschkraft, kannst jede Situation,
die dir nicht gefällt, verändern.“
In einem zweiten Schritt konkretisiert sich die Aufgabe: „Überlege,
was du mit dieser Gestaltungskraft in deiner Klasse verändern
würdest. Wenn du morgen in die
Klasse kommst, hat sich alles nach
deinen Wünschen verändert. Was
wäre anders?“
Die Antwort auf diese Frage, soll
jedeR auf einem Zettel gut lesbar notieren. Diese Wunscherfüllungszettel werden eingesammelt und neu verteilt. Der Reihe nach entfalten die
SchülerInnen „ihre“ Wunschzettel und lesen vor. Die Lehrkraft sammelt die Zettel ein und klebt sie gut sichtbar
an die Tafel.
In einem nächsten Schritt werden diese Zukunftsbilder gemeinsam sortiert – welche gehören zusammen/ähneln
sich, welche widersprechen sich? Welche Ebenen sind betroffen (Architektur und Raumgestaltung; Regeln; Unterricht; Umgang miteinander etc.)?
Nun bilden sich selbst gewählte Kleingruppen in beliebiger Größe, die sich ein zusammengehörendes Bündel an
Wünschen aussuchen und konkrete Veränderungsschritte vorschlagen.
Im Plenum präsentieren die Kleingruppen ihre Ergebnisse. Nun beginnt ein Aushandlungs- und Einigungsprozess. Welche Ziele werden von allen geteilt? Welche Anliegen sind nicht allen wichtig, rufen aber auch keinen
Widerspruch hervor? Wo gibt es Interessenskonflikte?
Ziel des Prozesses ist eine Vereinbarung, die von allen unterschrieben wird. Für jedes Ziel gibt es konkrete Veränderungsschritte, die in einer vereinbarten Zeit von namentlich genannten Personen durchgeführt werden sollen.
Abschließend soll der Einigungsprozess reflektiert werden.
Wichtig: Weniger ist mehr! Nach einer festgesetzten Zeit die Umsetzung evaluieren!
* Die Übung wurde in abgewandelter Form dem Buch „Alltagshelden“ von Christina Zitzmann entnommen (siehe
Literaturempfehlungen auf Seite 21).
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www.politik-lernen.at
2009
Nr. 6
Mobbing in der Schule
www.politik-lernen.at
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Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule
polis aktuell
Nr. 6
2009
polis aktuell: Mobbbing in der Schule, Nr. 6, 2009
Herausgeber: Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule, Helferstorferstraße 5, 1010 Wien
T 01/42 77-274 44, [email protected], www.politik-lernen.at
Autor dieser Ausgabe: Michael Nussbaumer
Beiträge: Gottfried Banner, Sarah Galehr, Andreas Görg, Petra Gradinger, Christa Lopatka, Dagmar Strohmeier, Martin
Vieregg, Angelika Wallner, Christine Wildner, Elisabeth Wolm, Michael Wrentschur
Titelbild: fotolia.de, Bilder im Heft: InterACT
Zentrum polis arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur,
Abteilung Politische Bildung, Umweltbildung und VerbraucherInnenbildung.
Projektträger: Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte-Forschungsverein
P.b.b. Verlagspostamt 1010 Wien, GZ 03Z035275M

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