Peter Gabriel - Waldbühne Berlin

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Peter Gabriel - Waldbühne Berlin
25.05.14
Peter Gabriel in der Waldbühne - Einer Legende wird
gehuldigt
Erinnerungsarbeit auf offener Bühne: Seit zwei Jahren ist Peter Gabriel mittlerweile
auf Tournee. Der Abend in der Waldbühne ist musikalisch von höchster Brillanz, aber
völlig überraschungsfrei.
Von Peter E. Müller
Die Waldbühne erlebt das Gesamtkunstwerk von Peter Gabriels Karriere / Foto: dpa
Es ist das letzte Konzert einer Tournee, die den britischen Rockmusiker Peter Gabriel zwei Jahre lang
durch die USA und Europa geführt hat. Und es ist gleichzeitig der Auftakt zur diesjährigen Open-airSaison in der Waldbühne. Schon am frühen Sonntagabend pilgern Tausende Richtung
Olympiagelände, um den Mann zu erleben, der ihr Leben in den 70er- und 80er-Jahren begleitet hat.
Peter Gabriel, den künstlerisch wie politisch engagierten Entertainer, der Ende der Sechziger mit
Genesis den Prog-Rock geprägt hat, bevor er seine erfolgreiche Solokarriere startete. Er leistet mit
seiner Jubiläumsshow "Back To Front" Erinnerungsarbeit auf offener Bühne.
Man erlebt einen furiosen Auftritt, den man im vergangenen Herbst schon einmal in der O2 World
sehen konnte. Eine perfekt inszenierte Show mit optischen Reizen und musikalischen Höhenflügen.
Herzstück ist das 1986 erschienene Hitalbum "So", das zu Beginn der Tournee 25 Jahre alt geworden
ist und das er komplett vom ersten Stück "Red Rain" bis zum letzten Stück "In Your Eyes" aufführt.
Und zwar mit genau jenen Musikern, mit denen er diese Stücke auf Platte und zuletzt vor 27 Jahren in
der Waldbühne gespielt hat. Am 11. September 1987 war das, und so manch einer der in Ehren
ergrauten Fans im mit rund 19.500 Besuchern prall gefüllten Waldbühnenrund wird wohl schon
damals diese großartige Band in diesem magischen Amphitheater erlebt haben.
In Ehren ergraut, aber Frische wie am ersten Tag
Bassist Tony Levin, Gitarrist David Rhodes, Keyboarder David Sancious und Schlagzeuger Manu
Katché formieren die Band. Auch sie sind in Ehren ergraut, geben den Stücken aber eine
spielfreudige Frische wie am ersten Tag. Über zwei Projektionswände links und rechts des
Bühnenzelts laufen vor dem Konzert mit Handykameras aufgenommene Filmschnipsel. Von
Menschen in Not. Von Menschen, die demonstrieren. Von Menschen, die von brutalen Schlägern
niedergeknüppelt werden. "See it. Film it. Change it. Exposing The Truth", lautet die Botschaft.
Peter Gabriel ist ein unprätentiöser Popstar. Er ist rundlicher geworden. Der Schädel ist kahl, das
Bärtchen grau. Der 64-Jährige versucht erst gar nicht, sich auf betont jugendlich zu trimmen. Lässig
schlendert er um 19.45 Uhr in der Abendsonne auf die Bühne, um die beiden skandinavischen
Sängerinnen Jennie Abrahamson und Linnea Olsson anzukündigen, die mit Cello, Xylofon und
betörenden Stimmen das Vorprogramm bestreiten. Sie werden später zur Band stoßen und Gabriel
bei Klassikern wie "Don't Give Up" unterstützen.
Massenpicknick mit Kartoffelsalat aus der Tupperdose
Man kommt sich vor wie bei einem Massenpicknick mit Kartoffelsalat aus der Tupperdose und nicht
wie bei einem Konzert mit einem der innovativsten, richtungweisendsten und konsequentesten
Popstars der Rockgeschichte. Der Abend ist musikalisch von höchster Brillanz, aber völlig
überraschungsfrei. Was auch daran liegt, dass Gabriel gleich zu Beginn wie der Maitre d'hotel in
einem nostalgischen Edelrestaurant die Menü-Folge erläutert. Als Vorspeise gibt es einige akustisch
gespielt Songs, als Hauptgericht mit voller Rockband-Besetzung all die Hits, die nicht auf "So"
vorkamen, und als Nachspeise wird das komplette Album "So" gereicht.
Die letzten Sonnenstrahlen streifen den äußersten Rand der Waldbühne, als Gabriel den Abend am
Flügel eröffnet, nur begleitet von Bassist Tony Levin, mit einem seit mittlerweile zwei Jahren
unvollendeten Stück, das den Arbeitstitel "O But" trägt. Er wolle demonstrieren, wie so ein Lied im
Proberaum entsteht, aus dem gemeinsamen Spiel mit Worten und Harmonien nämlich. Er singt ein
seltsames Kauderwelsch mit wehmütiger, angerauter Stimme, er legt sich so tief in den Song, dass er
plötzlich auf bewegende Weise vollkommen wirkt. "Meine Frau hat gesagt, ich solle ankündigen, dass
das Lied nicht fertig ist", sagt er. "Sonst haltet ihr mich wohlmöglich noch für betrunken."
Gabriel macht alle Ansagen auf Deutsch
Auch so eine charmante Eigenart von Peter Gabriel: Er macht all seine Ansagen auf Deutsch. Er liest
die Texte von mitgebrachten Spickzetteln ab. "Heute ist das letzte Konzert dieser Tournee", sagt er
und dankt der Band, der Crew und ganz speziell Tour-Manager Dave T., Happy-Birthday-Singen
inklusive. Deutsch ist ihm nicht fremd. Schließlich hat er ja schon 1980 Stücke wie "Spiel ohne
Grenzen" auf Deutsch gesungen. Oder "Jetzt kommt die Flut", das er dann doch als kleine
Überraschung in den Zugabenteil packt. Für die akustische Version von "Come Talk To Me" erscheint
die komplette Band, "Shock The Monkey" klingt in abgespeckter Form mit Akkordeon und AkustikGitarren höchst überzeugend, und mit "Family Snapshop" beginnt der Hauptgang.
Mitten im Stück wird der Sound elektrisch, laut und fordernd. Fünf roboterhaft mysteriöse
Scheinwerferkräne werden zum Leben erweckt und von kräftigen Mitarbeitern in einer gespenstischen
Science-Fiction-Choreografie über die Bühne gerollt. Sie schweben übers Areal, heben und senken
sich, mal neugierig, mal leidend, mal bedrohlich. Sie tauchen die Hoffnung spendende Welt des Peter
Gabriel erst in gleißend helles, später in buntestes Licht. Das ist imposant anzusehen. "Digging In The
Dirt" spielen sie und "Secret World" und natürlich "Solsbury Hill", den ersten Solohit von 1977, bei dem
Gabriel auf charmant tapsige Art über die Bühne marschiert. Und nun ist es Zeit für die Nachspeise,
die freilich der eigentliche Hauptgang ist und den Gästen übergangslos serviert wird.
Feurrot wird die Bühne bei "Red Rain"
Die Waldbühne erlebt das Gesamtkunstwerk einer Karriere. Das Lebenswerk eines Musikers, der
immer versucht hat, neue Wege zu beschreiten, der mit düsteren Songs von Schmerz und Untergang
und auch mal hemmungslos kitschigen Balladen die Welt ein bisschen besser machen will. Feuerrot
wird die Bühne bei "Red Rain" ausgeleuchtet. Kunstvolle Videoeinspielungen illustrieren die einzelnen
Songs. Bei "Sledgehammer", Gabriels größtem Hit, kommt Bewegung ins Freilichttheater. Auch auf
der Bühne wird getanzt. Gabriel, flankiert von Bassist Levin und Gitarrist Rhodes, stakst im Rhythmus
an die Rampe und zurück. Es ist nahezu dieselbe Choreografie wie vor 27 Jahren an dieser Stelle.
"Don't Give Up", die Mutmacher-Ballade, die Gabriel auf dem Album gemeinsam mit Kate Bush
gesungen hat, erklingt nun im Duett mit einer hinreißenden Jennie Abrahamson. "Mercy Street", das
auf einem Gedicht von Ann Sexton basiert und mit einem wunderschönen A-cappella-Satzgesang
beginnt, singt Gabriel auf dem Boden liegend, von den Roboterkränen auf unheimliche Weise
beobachtet. Auch "This Is The Picture (Excellent Birds)" erklingt, ein eher experimentelles Stück, das
es nicht auf die Original-LP geschafft hatte, sondern erst später hinzugefügt wurde.
Tosender Applaus in der Waldbühne
"So" erschien 1986 als Vinyl-Schallplatte. Damals musste man Songs mit kräftigem Basseinsatz an
den Anfang einer LP stellen, weil die Rillen zum Ende hin zu eng wurden, um die volle Dynamik
wiederzugeben. Deshalb war das von afrikanischen Beats geprägte Stück "In Your Eyes", bei dem auf
Platte der senegalesische Sänger Youssou N'Dour mitwirkte, das erste auf Seite zwei. Erst mit der
CD-Version konnte das Stück wie geplant am Ende stehen. Was es nun auch in einer sehr langen
Version und wieder mit Jennie Abrahamson, die den N'Dour-Part übernimmt, in der Waldbühne tut.
Tosender Applaus wogt durch das Freilichttheaterrund. Einer Legende wird gehuldigt.
Unter stürmischem Jubel kehren die Musiker zurück. Gabriel singt, nur begleitet von Bassist Tony
Levin, das abgründige "Jetzt kommt die Flut" komplett auf Deutsch. Mit "The Tower That Ate People"
vom 2000er-Album "OVO" ziehen sie nochmal alle Bühnenshow-Register. Einem Ufo gleich senkt sich
ein gewaltiger Lichtkranz und nimmt Gabriel in einem sich bis zur Bühnendecke schlängelnden
Gebilde gefangen. Als allerletzte Zugabe dann "Biko" von 1980, das Lied, das Gabriel für den im
Gefängnis zu Tode gefolterten südafrikanischen Anti-Apartheid-Aktivisten Steve Biko geschrieben
hatte. Nach Ende der Apartheid hat er das Stück lange nicht mehr gespielt. Er widmet es nun all den
mutigen jungen Menschen, deren neue Waffe gegen Lügen und Unterdrückung die Handykamera ist
und die sich überall auf der Welt gegen Unrecht und Gewalt wehren. Er singt es mit stolz erhobener
Faust. Die Waldbühne stimmt ein und singt den Refrain noch lange und lauthals mit.
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Quelle:http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article128406183/Peter-Gabriel-in-derWaldbuehne-Einer-Legende-wird-gehuldigt.html

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