PDF herunterladen
Transcrição
PDF herunterladen
JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 37 4 Faun oder Clown? F rüher waren die Fußballer wie Götter. Oder wenigstens wie götterähnliche Mischwesen. Diego Maradona glich in seinen frühen Jahren einem neckischen Mittelfeld-Faun und der italienische Torhüter Dino Zoff erschien vielen als Gigant von furchteinflößender Physis, auch wenn seine Oberschenkel nicht wie bei den Giganten der griechischen Sagenwelt mit Schlangenschuppen bedeckt waren. Aber er wurde noch mit vierzig Jahren Weltmeister. Selbst der deutsche Abwehrspieler Hans-Peter Briegel erinnerte trotz seines wenig mythentauglichen Vornamens an eine enorm bemuskelte Fabelfigur und stellte seinen zentaurischen Körper der Mannschaft von Hellas Verona zur Verfügung. Und wenn Fußballer keine entrückten Fantasy-Figuren darstellten, dann erwiesen sie sich wenigstens als Springteufel oder Paradiesvögel wie George Best, Ente Lippens oder Sepp Meier. Der starke Eindruck, den sie hinterließen beruhte darauf, dass man im Grunde genommen wenig von ihnen wusste. Es gab mal ein Poster hier oder einen kurzen Fernsehbeitrag dort. Wenn man den versäumte, erfuhr man nicht, wie es zuhause bei Uli Hoeneß aussah. Man projizierte also als Junge wer weiß was in diese Fußball-Gestalten und manche von ihnen müssen bis heute hart schuften, um ihr überirdisches Image im Alter abzustreifen. Lothar Matthäus zum Beispiel unternimmt jede Anstrengung, sich endlich von der Unterstellung zu befreien, er sei ein göttliches Genie. Heute ist das alles völlig anders. Die Mythenbildung bei den aktuellen Nationalspielern will nicht Recht in Gang kommen, weil man einfach viel zu viel von ihnen weiß. Und das macht sie klein. Ununterbrochen posten sie Bildchen von sich in die sozialen Netzwerke. Lukas Podolski muss für seine viereinhalb Millionen Facebook-Anhänger stündlich ein Selfie mit erigiertem Daumen veröffentlichen, weil er: Mit Mesut auf einem Festwagen durch London fährt, in Österreich eingetroffen ist, mit Schweini auf einem Zimmer schläft und Schuhe mit seinem Namen drauf besitzt. Aber vielleicht macht das auch alles ein Sponsor und Lukas Podolski weiß in Wahrheit nichts von der Existenz des Internets. Das ist aber auch egal. Denn wenn die Stars sich nicht durch ständige Präsenz selber entzaubern, dann erledigen das eben ihre Fans. Das Internet ist übervoll mit blitzartig ventilierten Bildern, Einschätzungen und Meinungen zu öffentlichen Personen aus Film, Funk, Fernsehen, Sport und Politik. Es ist für die Betroffenen nicht einfach, damit zu leben. Ein Beispiel: Da sitzt ein Ehepaar zuhause vor dem Fernseher und sieht Sigmar Gabriel. Sagt der Mann: „Wahrscheinlich ist der Gabriel total übersäuert. Der sieht aus als würde er ständig aufstoßen.“ Früher blieb es dabei und diese Bewertung verließ das Wohnzimmer nicht. Heute hingegen wird das sofort ins Tablet getippt und bei Facebook von jenen Personen geliked, die Sigmar Gabriel ebenfalls übersäuert finden. Oder jemand anderen. Praktisch niemand kann mehr ungehindert zu einer Gottheit wachsen, nicht einmal Christiano Ronaldo, von dem es auf Facebook hieß, er habe zwar für einen Fußballer einen guten Körper, sei aber ein Muskelzwerg im Vergleich zu echten Bodybuildern und letztlich also gescheitert. Ronaldo ist für eine gerechte Beurteilung einfach dreißig Jahre zu spät auf die Welt gekommen. Aber selbst als real existierendes Fabelwesen hätte man es heute nicht leicht. Mal angenommen, man wäre tatsächlich als sagenhaftes Mischwesen geboren worden, zum Beispiel als Einhorn, dann hätte man heutzutage nicht viel zu lachen. Während man in seligen Zeiten der gedruckten Bilderbücher friedlich vor sich hin fliegen und sanft und hübsch sein konnte, würde heute ständig irgendwer seinen Senf zur Länge des Horns, dessen gedrechselter Form oder der Farbe des Fells loswerden. Man hätte dauernd Unterstellungen und Lügengeschichten zu dementieren. Immer müsste man sich wegen seines dicken Pferdehinterns rechtfertigen. Ganz sicher fände sich jemand, der rumerzählt, dass man in seiner Eigenschaft als Einhorn neulich an einem Kölner Dönerstand mit Essen geworfen oder in eine Hotellobby gepinkelt habe. Es macht überhaupt keinen Spaß mehr, etwas Besonderes zu sein. Das Internet ist schuld daran, dass es keine Götter mehr gibt. • 2. JUNI 2014