Hohe Polit-Prominenz zu Gast in Griesheim

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Hohe Polit-Prominenz zu Gast in Griesheim
Hohe Polit-Prominenz zu Gast in Griesheim
SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel besucht Gerhart-Hauptmann-Schule – Schüler stellen Fragen zu Jugend und Bildung
Auf Einladung der SPD-Unterbezirksvorsitzenden Heike Hofmann war der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel am vergangenen Freitag an der Griesheimer Gerhart-Hauptmann-Schule zu Gast. In der 90-minütigen
Dialogveranstaltung hatten die obersten Klassen jedes
Schulzweigs die Möglichkeit, Fragen an den Parteivorsitzenden zum Thema Jugend und Bildung zu stellen.
Derzeit ist Sigmar Gabriel in
ganz Deutschland unterwegs,
um im direkten Dialog mit
den Bürgern Anregungen für
das SPD-Wahlprogramm zu
sammeln. In Griesheim standen die Themen Jugend und
Bildung an oberster Stelle.
Dazu hatten rund 100 Schüler Fragen vorbereitet, die sie
dem SPD-Oberhaupt stellen
konnten. Auch die SPD-Landtagsabgeordnete und Unterbezirksvorsitzende
Heike
Hofmann, Griesheims Bürgermeisterin Gabriele Winter
und die Direktorin der Gerhart-Hauptmann-Schule,
Brunhilde Muthmann, nahmen an der Diskussion teil.
Gabriel zeigte sich bodenständig und redefreudig, beantwortete jede Frage ausführlich
und allgemein verständlich.
Es war ihm ein großes Anliegen, mit den Schülern, die
die Zukunft der Region und
des Landes gestalten werden,
zu sprechen und machte sein
Anliegen deutlich: „Als ich so
alt war, wie ihr, so 15, 16, da
war klar, dass man die Schule
fertig macht und im Anschluss
eine Ausbildung und einen
festen Job bekommt. Heute ist
das alles anders. Viele junge
Menschen sind Vertreter der
‚Generation Praktikum’ und
kriegen in ihrem Beruf zu wenig Kohle. Deshalb ist es ganz
wichtig, sich mit den Themen
Jugend und Bildung auseinanderzusetzen“, so der SPDParteivorsitzende.
Schülerfrage: Herr Gabriel,
was halten Sie von Inklusion?
Sigmar Gabriel: Inklusion
bedeutet ja, dass man behinderte Menschen in die Gesellschaft integrieren will. Wie
ist das denn an eurer Schule?
Sie ist bestimmt barrierefrei,
so dass man zum Beispiel mit
dem Rollstuhl überall hinkommt. Aber wie sieht es mit
Unterricht in Gebärdensprache für Gehörlose aus? Vieles
ist schwierig umzusetzen und
wir beginnen erst, über Inklusion nachzudenken. Es wird
immer behinderte Menschen
geben, die niemals in der Industrie arbeiten können. Aber
es gibt Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die
Aufträge von der Industrie bekommen.
Ein großes Tabuthema in
der Gesellschaft ist Sexualität von Behinderten, das aber
dennoch eine große Rolle
spielt. Viele behinderte Menschen wollen auch eine Familie gründen. Die Gesellschaft
hat die Behinderten vor längerer Zeit ausgegrenzt, sie wollte nichts damit zu tun haben.
Jetzt soll es anders gemacht
werden, jetzt wollen wir die-
se Menschen reinholen in die
Gesellschaft. Aber bis dahin ist
es noch ein langer Weg.
Schülerfrage: Wie soll die
Bildungspolitik in Zukunft finanziert werden?
Gabriel: Wir brauchen dringend mehr Ganztagsschulen
in Deutschland. Doch woher
sollen wir das Geld nehmen?
Ich bin der Meinung, durch
höhere Steuern, die wir von
Menschen bekommen, die gut
verdienen. Ich verdiene zum
Beispiel ziemlich gut und bin
damit einverstanden, wenn
ich von meinem Gehalt mehr
abgebe. Aber das Geld soll natürlich nicht ‚verdaddelt’ werden, sondern es soll direkt in
der Bildung ankommen.
Schülerfrage: Ist ein bundesweit einheitliches Abitur geplant?
Gabriel: Es ist kein bundesweites Zentralabitur geplant,
das halte ich auch nicht für
sinnvoll. Es kann eigentlich
nur schief gehen, denn die
Schulen sind überall unterschiedlich. Ich sage ganz klar
‚Ja’ zu gleichen Abschlüssen,
die im Land vergleichbar sind.
Wie die Schulen dort hinkommen, ist ihre Sache. Aber vor
einem bundesweit einheitlichen Schulsystem habe ich
ein bisschen Schiss.
Wer sich von euch heute
für einen technischen Beruf
entscheidet, dem sage ich exzellente Berufschancen voraus. Vom KFZ-Mechatroniker
bis zum Ingenieur – es fehlen
sehr viele Fachkräfte in ganz
Deutschland, technische Berufe werden in den nächsten
Jahren überall gebraucht.
Heike Hofmann: Wir wollen
die Bildungspolitik nicht aus
Wiesbaden diktieren, sondern
wir wollen den Schulen vor
Ort, wie der Gerhart-Hauptmann-Schule, mehr Freiheiten geben. Sie sollen zum Beispiel über ihre Lehrmittel und
Lehrmaterial wie Laptops etc.
selbst entscheiden.
Gabriele Winter: Ich habe als
Verwaltungsangestellte
24
Jahre im Hessischen Kultusministerium gearbeitet und
merke eure Angst und Befürchtung, dass das hessische
Abitur im Vergleich vielleicht
schlechter da steht, als anderswo. Ich kann euch nur
sagen, dass ich als Schülerin
viel gelernt, aber nach dem
Abitur auch Vieles wieder vergessen habe. Das Wichtigste
an meiner eigenen Schulzeit
war nicht nur der Unterricht,
sondern eigentlich etwas anderes. Ich habe einen Einblick
in das Leben bekommen und
das Lernen gelernt. Davon
profitiere ich heute in meinem
SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel (3. v. l.) beantwortete gemeinsam mit Griesheims Bürgermeisterin Gabriele Winter (l.), SPD-Landtagsabgeordnete Heike Hofmann (2. v. l.) und der GHS-Direktorin Brunhilde Muthmann (r.) alle Fragen der Schüler zu Jugend, Bildung, Finanzkrise und Benzinpreisen.han-foto
Beruf immer noch.
Schülerfrage: Warum werden ausländische Bildungsabschlüsse in Deutschland
nicht oder nur selten anerkannt?
Gabriel: Weil wir zu blöde
sind. Das ist das Problem des
Bildungsföderalismus.
An
dieser Stelle wäre ich für eine
zentrale Stelle, die alles einheitlich regelt. Ich bin nicht
dafür, dass man alles anerkennt, aber wenn eine ordentliche Ausbildung nachweisbar
ist, dann bin ich für eine Anerkennung. Es gibt heute zum
Beispiel in Kindergärten viele
Erzieher und Erzieherinnen,
die in ihrem Heimatland Ärzte
oder Ingenieure waren, aber
in Deutschland wird ihr Berufsbildung nicht anerkannt.
Das ist schade.
Schülerfrage: Worin unterscheidet sich die Bildungspolitik der SPD von der Bildungspolitik der CDU?
Gabriel: Die SPD möchte,
dass Bund und Länder in der
Bildungspolitik enger zusammenarbeiten. Der Bund
muss den Ländern Gelder
geben, weil die Länder es
allein nicht schaffen. Diese
Gelder könnten über die Reichensteuer
eingenommen
werden. Außerdem sieht die
SPD die Zukunft der Schule
in der Ganztagsschule. Darin
unterscheiden wir uns von
der CDU, die sich gerade im
Süden Deutschlands schon
oftmals gegen dieses Modell
gestellt hat.
Seit 40 Jahren führen die
Bildungspolitiker einen ideologischen ‚Schulkrieg’. Die
einen pochen weiterhin auf
das dreigliedrige Schulsystem, die anderen wollen, dass
die Schulzweige zusammenwachsen. Ich glaube, man
muss diesen ‚Schulkrieg’ beenden. Was wir brauchen sind
Leute vor Ort, zum Beispiel
Kommunalpolitiker, die über
schulische Themen entscheiden. Denn sie sind ganz nah
dran am Geschehen und wissen am besten, was die Leute
vor Ort brauchen. Hauptschu-
le und Realschule werden verschmelzen, das Gymnasium
wird wachsen. Meiner Meinung nach wäre es wichtig,
Sozialarbeiter stärker in die
Schulen zu integrieren. Das
Schulsystem in Skandinavien
ist unter anderem deshalb so
gut, weil es dort sehr viele Sozialarbeiter gibt, die an den
Schulen die gleiche Stellung
haben, wie Lehrer, und auch
gleich bezahlt werden. Da gibt
es keinen Unterschied. Der
Lehrer macht den Unterricht
und der Sozialarbeiter leitet
am Nachmittag das Theaterprojekt. Es wäre schön, wenn
das in Deutschland auch eines
Tages so wäre.
Schülerfrage: Was sagen Sie
zur Trennung von Staat und
Kirche und was halten Sie
von Religionsunterricht bzw.
Islamunterricht an Schulen?
Gabriel: Deutschland ist kein
laizistischer Staat, wie es zum
Beispiel in Frankreich der Fall
ist, und soll meiner Meinung
nach auch keiner werden. Ich
bin für Religionsunterricht
an Schulen, auch für unterschiedliche Konfessionen. In
einigen Gebieten startet schon
Islamunterricht an Schulen.
Die Schüler sollen Islamunterricht aber nur in deutscher
Sprache und von Religionslehrern erhalten, die an deutschen Institutionen ausgebildet wurden.
Neben
Bildungsthemen
brannten den GHS-Schülern
auch Fragen zur Staatsschuldenkrise im Euroraum sowie
zu den kontinuierlich steigenden Benzinpreisen unter den
Nägeln.
Schülerfrage: Herr Gabriel,
was sagen Sie zum Euro-Rettungsschirm?
Gabriel: In Deutschland gibt
es die Vorstellung, dass wir so
viel Geld an die Griechen zahlen, weil wir so nett sind. Doch
das stimmt nicht. Deutschland verdient sein Geld mit
dem Export. 44 Prozent des
Exports verkaufen wir in der
Eurozone. Das bedeutet:
Wenn die Menschen in der
EU kein Geld mehr haben, um
unsere Produkte, zum Beispiel
unsere Autos und Maschinen,
zu kaufen, dann werden die
Menschen in Deutschland
arbeitslos. Man muss sich
nur umschauen, wo es schon
Kurzarbeit gibt. Man kann
natürlich nicht einfach unvorstellbar große Mengen Geld
in ein Fass ohne Boden werfen. Obwohl uns die Griechen
beim Eintritt in die EU belogen
und betrogen haben, sagen
wir, dass wir jetzt helfen, denn
Deutschland ist unmittelbar
von der Krise betroffen. Es ist
ganz klar, dass dieser Prozess
noch sehr lange dauern wird.
Wir halten ganz klar fest an
Europa, denn die EU ist die
einzige Chance, vor allem in
einigen Jahren für die junge
Generation, in der Welt eine
Stimme zu haben. Die Welt
wird sich in den kommenden Jahren stark verändern.
Schwellenländer wie China,
Indien und Südamerika werden wirtschaftlich aufholen
und an Macht gewinnen,
wohingegen die Wirtschaftsmacht Europas stagniert.
Wenn Europa in 27 Einzelländer zerfällt, können Sie sicher
sein, dass ein chinesischer
Präsident nicht bei 27 Staatschefs anrufen wird, um nach
ihrer Meinung zu fragen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir
so viel Geld in die Finanzkrise
stecken, um der Rettung Europas eine Chance zu geben.
Schülerfrage: Wieso steigen
die Benzinpreise im Moment
so stark an?
Gabriel: Das liegt einerseits an
den Spekulationen und dem
Verhalten der Mineralölkonzerne und andererseits an der
starken Nachfrage. Wir versuchen gesetzliche Regelungen
zu finden, um Preisabsprachen des Konzerne entgegenzuwirken, aber das ist sehr
schwierig. Da es immer weniger Öl, aber immer mehr Menschen gibt, wird der Preis zusätzlich in die Höhe getrieben.
Ziel ist es deshalb, Motoren
zu entwickeln, die wenig oder
gar keinen Sprit brauchen, also zum Beispiel Elektroautos.
han