ein Leben für die Ken 1. Klassen Spaghetti al mare 3/11

Transcrição

ein Leben für die Ken 1. Klassen Spaghetti al mare 3/11
3/11
Interview
Frauenfussball
Hans Spuhler – ein Leben für die KEN
Fototermin
1. Klassen
Wortschatz
Spaghetti al mare
Info-Magazin der Kantonsschule Enge Zürich
kenzeichen 3/11
Editorial
Inhalt
B
Editorial
ildung ist wichtig – und sie ist die Hauptstütze unseres Wohlstands. Wer etwas erreichen
will, braucht Bildung, Fortbildung und Weiterbildung, benötigt Zeugnisse, Diplome und Zertifikate,
hat Primarschule, Sekundarschule, Gymnasium, Fachhochschule, Universität und mindestens ein Postgraduate-Institut besucht.
Und ist er damit fürs Leben gewappnet?
Vielleicht.
Hans Spuhler betont im Interview, das in dieser Ausgabe
auf S. 13 wiedergegeben ist, die Wichtigkeit der humanistischen Bildung und kritisiert die zunehmende Pädagogisierung der Lehrerausbildung. Damit legt er wohl den Zeigefinger auf einen wunden Punkt unserer Zeit – Bildung,
die in zu deutlich vorgegebenen Bahnen verläuft, birgt die
Gefahr in sich, dass sich Lernende nicht mehr als Zentrum
der Bildung erfahren, sondern als Abhängige eines vielleicht gut gemeinten, aber überregulierten Systems.
Und das ist im Grunde genommen schlimm. Denn Bildung
ist immer auch ein Weg der persönlichen Suche. Und zu
dieser gehört es auch, zu leiden, hartnäckig zu bleiben,
auf Abwege zu geraten, gar zu fallen, wieder aufzustehen,
zu forschen, in neue Gebiete vorzudringen, neugierig zu
bleiben, etwas zu durchleuchten, nicht alles zu glauben,
sich an Autoritäten zu orientieren, sie intellektuell herauszufordern, sie gar überbieten zu wollen, Lust an der
Diskussion über eine Sache finden und…und…und…
Kurz: Substanzieller Bildungserwerb kann nicht direkt
und in allzu strikten Bahnen verlaufen, er braucht Musse,
braucht Freiräume und verlangt nach Eigeninitiative. Es
sind dies Forderungen, denen gewiss in einem vielschichtigen Bildungsbetrieb wie der KEN Sorge getragen wird –
sei es im regulären Unterricht oder zum Beispiel in einem
Projekt der IPA (Bericht S. 7), an einem Schreibwettbewerb (Bericht S. 5) und im Ringen um eine Kurzgeschichte
(Wortschatz S. 18) – es sind dies aber auch Forderungen,
die in einer durchstrukturierten und zertifikatsgläubigen
Bildungsgesellschaft gelegentlich zu kurz kommen oder
gar ganz unter den Tisch fallen.
Darum: Eine Bildungseinrichtung sollte bemüht sein, eine
optimale Balance zwischen dem Beharren auf zwingenden
Vorgaben und dem Gewähren von Freiräumen zu finden.
Davon hängt letztlich wohl auch das Wohlbefinden der
Lernenden und der Lehrpersonen ab.
Viel Vergnügen bei der Lektüre dieses kenzeichens wünscht
Urs Bigler
Impressum
Kantonsschule Enge
Redaktion kenzeichen
Steinentischstrasse 10,
8002 Zürich
Info-Magazin der
Kantonsschule Enge Zürich
Nr.3, Oktober 2011
www.ken.ch/kenzeichen
Urs Bigler
Re k t o r a t
Chancen und Gewalt
Christoph Wittmer
3
Berichte
Elias – Chorkonzert in der Grossen Kirche Fluntern 4
Golzar Piranfar (N3b)
Herzklopfen vor der Diplomprüfung
Valentina Ivic (Handelsdiplom 2011)
5
Casinotheater Winterthur: der lustigste Text
wieder von der KEN5
Louisa Pajarola (W4d)
Maccabiah6
Avner Schächter (W3e) und Ethan Messinger (W4d)
Schawuot – ein jüdisches Wochenfest
6
IPA hilft, bildet und sensibilisiert
7
Swiss Youth Ragtime Piano Competition 2011
8
Julia Rabner (N2a), Géraldine Nordmann (N4a), Ana Rabner (N4a)
Niklas Zeller (H2b)
Martin Jäger (Musik)
Fototermin
Interview
Fussball – Frauen erobern den Rasen
Nubia Sivec (Handelsdiplom 11)
11
Hans Spuhler – ein Leben für die KEN13
Tiffany Sigg (N4b), Dorian Wiederkehr (H2a)
Der Blick von aussen auf die KEN
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Ehemalige
Sieben Jahre nach dem Handelsdiplom in
verantwortungsvoller Position
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Ke n a t u r
Der kleine Zoo an der KEN
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Wortschatz
Spaghetti al mare –
oder die Familie meines Freundes
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Te r m i n e
Oktober 2011 bis Januar 2012
20
Angelika Bühler (N2a)
Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11)
Liliane Preissle (Handelsdiplom 11)
Vanessa Da Cruz (W4d)
Herausgeber: KEN-Media ([email protected])
Auflage: 1250 Exemplare
Redaktion: Urs Bigler, Andreas Haag
Layout: Markus Kachel
Druck: Bader+Niederöst AG
Titelbild: Andreas Haag
2
3
Bild: Andreas Haag
Re k t o r a t
Chancen und Gewalt
Die «Kruste der Zivilisation» sei dünn, schreibt der ungarische
Schriftsteller György Konrad in einem Essayband, der in diesem
Herbst veröffentlicht wird und aus dem er kürzlich im Zürcher
Literaturhaus gelesen hat. Der Schriftsteller bezieht sich auf seine
Erfahrungen mit der ungarischen Geschichte, auf die Diktaturen
des 20. Jahrhunderts und auf die aktuelle Entwicklung in seinem
Land, in dem die Freiheit der Meinungsäusserung wieder eingeschränkt wird.
Wie rasch eine Gesellschaft, die als sicher eingestuft wird, erschüttert werden kann, zeigen auch die Ereignisse in London
im vergangenen Sommer. Kommentatoren verweisen auf die
fehlenden Bildungschancen und Zukunftsperspektiven in den
von Ausschreitungen betroffenen Gebieten. Es herrsche eine Art
Analphabetismus, eine sprachlose Wut der Jugend, die sich in
Plünderungen Ausdruck zu verschaffen suche.
Ob dies tatsächlich Gründe für die Krawalle sind, kann noch
nicht mit Sicherheit gesagt werden; sicher ist aber, dass Bildung
die Chance bietet, sich die Welt sprachlich anzueignen, die Geschichte und die Mechanismen der eigenen Gesellschaft zu erkennen und sich Perspektiven für das eigene Leben zu erarbeiten.
In einem Aufsatz schreibt ein Schüler der Kantonsschule Enge
zu diesem Thema: «Angesichts der Tatsache, dass Schweizer Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die Möglichkeit
haben, an einer guten Universität zu studieren, halte ich es für
sehr unwahrscheinlich, dass sich Krawalle solchen Ausmasses hier
entwickeln können.» Mit ihrem dualen Bildungssystem biete die
Schweiz dem Einzelnen ausserdem auch ohne Studienplatz eine
lebenswerte Zukunft. Der Schüler verweist in diesem Zusammenhang auch auf die vergleichsweise tiefe Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land.
Tatsächlich bietet die Schweiz einmalige Bildungs- und Berufschancen: Unsere Maturanden und Berufsmaturanden beginnen
ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule in der
Schweiz oder im Ausland, sie vertiefen ihre Sprachkenntnisse in
einem Zwischenjahr, ergreifen ein Bankpraktikum oder treten
sofort ins Berufsleben ein. Es gibt wohl weltweit keinen schulischen Werdegang, der mehr möglich macht.
Die Mittelschule ist denn auch ein sehr gefragter Weg für junge Menschen. Wir begrüssten nach den Sommerferien an unserer Schule mehr Erstklässlerinnen und Erstklässler als je zuvor,
und auch die Anzahl der Maturandinnen und Maturanden war
noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Es ist eine schöne Aufgabe, in einer grossen Schulgemeinschaft zusammen Perspektiven
zu eröffnen; damit verbunden ist aber auch die Verantwortung,
sich dafür einzusetzen, dass Bildung dazu genutzt wird, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken, wo er gefährdet
scheint. Denn gute Bildungssysteme sind – dies zeigt die Geschichte deutlich – nur dann ein Garant für Zukunftssicherheit
und Freiheit, wenn sie Arbeit ermöglichen und wenn der soziale
Friede nicht gefährdet ist.
Christoph Wittmer
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Berichte
Bild: Golzar Piranfar
Elias – Chorkonzert in der Grossen Kirche Fluntern
F
elix Mendelssohn war ein Genie. Das dachten bestimmt auch die Musikfachlehrer der Kantonsschulen Enge und Freudenberg, als sie nach einem geeigneten Werk für das diesjährige Chorprojekt suchten und
sich schliesslich auf Mendelssohns Oratorium Elias einigten
(Begriffserklärung für die Musik-Banausen unter uns: Ein
Oratorium ist die Vertonung einer geistlichen Handlung,
geschrieben für Solisten, Chor und Orchester).
Im August 2010 begannen die Proben zu diesem grossartigen
Stück, und im Mai 2011 fand die Aufführung in der Grossen
Kirche Fluntern statt. Neun Monate dauerte das Erlernen,
Proben, Verstehen, Verinnerlichen, Spüren, Liebgewinnen,
Leidsein, Umsetzen, Wieder-Liebgewinnen, Sich-überzeugen-Lassen, Sich-tragen-Lassen, Sympathie-Entwickeln…
Neun Monate wurde das Kind Elias gehegt, gepflegt, zurechtgestutzt, gelobt und grossgezogen, bis es dann bereit
war, in die Welt entlassen zu werden.
Das Oratorium handelt vom Propheten Elias, der über das
Volk unter König Ahab und Königin Isebel einen Dürrefluch ausspricht. Die Gründe dafür sind in unheilvoller
Romantik zu suchen: Ahab, über und über in seine Isebel
verliebt, erlaubt seinem Volk mit der Zeit immer mehr, die
fremden Götter seiner Frau anzubeten, allen voran den
Gott Baal. Somit wird der wahre Gottglaube immer rarer in
Israel, und Elias ist gezwungen, Gottes Dürrefluch auszusprechen. Dürre, Hungersnöte, Leid und Elend suchen das
Land heim. Währenddessen versucht Elias, den König zur
Vernunft zu bringen, wird aber nur von Isebel ernst genommen, die ihn als wahrhaftige Gefahr ansieht und deswegen
beschliesst, ihn töten zu lassen.
Einige weitere mirakulöse Vorkommnisse führen schliesslich
dazu, dass die Baalspriester nach
erfolglosem Beschwören ihres
Gottes vernichtet werden und
durch Elias‘ Gebet endlich Wolken aufziehen. Dennoch gelingt
es Isebel, das Volk gegen den
Propheten aufzuhetzen und ihn
in die Wüste zu jagen. Dort wird
er von Gott und seinen Engeln
ermuntert, zurückzukehren und
der Rebellion ein Ende zu setzen, was dann auch geschieht. Elias‘ Leben endet damit, dass
er in einem feurigen Wagen zum Himmel hochfährt.
Das Projekt bestand aus Rezitativen, Chören, Arien, Terzetten und Quartetten, Ariosa und Sprechchören und wurde
von Konrad Jenny geleitet. Neben den Chören, die sich aus
Schüler/innen und Lehrpersonen der KEN und KFR zusammensetzten, waren auch Fabrice Raviola (Elias), Rafael
von Matt (Sprecher), Christina Bosbach (Sopran), Barbara
Schroeder (Alt), Andri Calonder (Tenor) und Erwin Heusser (Bass) mit von der Partie. Begleitet wurden die Sänger/
innen vom Orchester La Partita. Eines der Highlights war
der Engelschor, bestehend aus 12 Schülerinnen, der auf der
Empore der Kirche platziert war und mehrere solistische
Einlagen hatte.
Nach den beiden Auftritten (25. Mai 2011 und 27. Mai 2011)
machte sich bestimmt bei allen (oder den meisten) diese berühmte Wehmut bemerkbar, die sich immer nach Abschluss
einer grossen Sache meldet, für die man in einer Gemeinschaft viel Zeit und Herzblut hergegeben hat. Rückblickend
kann man sagen, dass das Repertoire des KEN-Chors um
ein weiteres überragendes Werk und das Erinnerungsvermögen der Chormitglieder um eine weitere grossartige, unvergessliche Erinnerung reicher sind. Ich glaube, ich werde
mit Freude an dieses Erlebnis zurückdenken. Auf jeden Fall
wäre Mendelssohn stolz auf uns, da bin ich sicher.
Golzar Piranfar (N3b)
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V
on allen Seiten hört man, wie man
sich auf die bevorstehenden Sommerferien freut.
Nur noch wenige Wochen, bis zur schönsten
Zeit im Jahr!
Für jemanden in meiner Situation ist es allerdings schwierig, diese Freude zu teilen. Der
Grund sind die Diplomprüfungen, die in genau
vier Wochen anstehen. Meine Klassenkameraden und mich erwartet ein Monat voller Lernstress und Angst, in der verbleibenden Zeit
genug für die Prüfungen zu lernen.
In jedem Fach versuchen uns die Lehrer bestmöglich vorzubereiten, womit sie uns manchmal zusätzlich verunsichern. Zu Hause gibt
man sich Mühe, sich zu konzentrieren, was
nicht immer gelingt. Man schafft es vielleicht
höchstens, seine Blätter zu ordnen. Und irgendwann ist man von der Menge erschlagen,
die es eigentlich zu bewältigen gilt. Man bemerkt, welche Spuren drei Schuljahre hinterlassen haben. Der innere Schweinehund
meldet sich und wird kurz vor dem Diplom
womöglich noch siegen.
In der Tutoratswoche beschäftigen sich einige
zum ersten Mal ernsthaft mit den bevorstehenden Prüfungen. Davor kann man sich auch
schwer drücken, da die Anwesenheitszeiten,
die unglaubliche acht Stunden betragen,
streng kontrolliert werden. Die nächsten zwei
Wochen bringen eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Zuversicht und Zweifel wechseln ab. Die
Nervosität steigt. In den verbleibenden Lektionen sehen Lehrer von einer strengen Stoffvermittlung ab und lassen sich zu Gesprächen
hinreissen, andere halten bis zuletzt an ihrem
Unterrichtsplan fest.
Zu Hause ist man müde wie sonst, allerdings
hat man schnell ein schlechtes Gewissen,
wenn man nicht lernt. Einige legen nach einem Nickerchen Nachtschichten ein, andere
gönnen sich den Schlaf des Sorglosen.
Egal für welche Lernmethode man sich entscheidet, hinter die Bücher muss jeder, und
zwar nicht nur am vorherigen Abend, wie es
sonst oft der Fall ist. Auch wenn die Angst
stark ist, werden die meisten die Diplomprüfungen positiv abschliessen und mit einem
lachenden und einem weinenden Auge an der
Diplomfeier teilnehmen, im Wissen, dass ein
Abschnitt ihres Lebens nun vorbei ist.
Valentina Ivic (Handelsdiplom 2011)
Casinotheater Winterthur:
der lustigste Text wieder
von der KEN
Ein Erlebnisbericht (Louisa Pajarola W4d)
Gewinner des Wet tbewerbs:
Enrico Cannazza und
Samantha Schrepfer ( H2b)
Bild: Urs Bigler
Herzklopfen vor
der Diplomprüfung
Das Licht der unzähligen Scheinwerfer blendete mich und machte es mir unmöglich,
mehr als schemenhafte Schatten im Publikum zu erkennen. Ich zitterte leicht und hoffte, nicht zu stolpern, den Hosenstall nicht sperrangelweit offen oder nicht irgendwo auf
meinen Kleidern einen Fleck zu haben, geschweige denn, vor dieser lachwilden Meute
nicht irgendetwas Dämliches rauszulassen.
Eigentlich hatte ich keine Wahnsinnsaufgabe, ich sollte nur auf die Bühne stehen, den
Herren Komiker unseren Sketch überreichen und noch etwas zur Idee und zum Schreibprozess sagen. Ein Kinderspiel. Nur, was gab es da zu erzählen?
«Wir mussten in der Deutschstunde in Zweiergruppen einfach irgendeinen Sketch für
Sie schreiben. Also haben wir (Vanessa und ich) uns hingesetzt und angefangen, die
dümmsten (logischerweise fallen einem so auf Knopfdruck immer die allerbesten Witze
ein) Sachen in einen Dialog zwischen Gott und einem Engel zu packen. Anschliessend
führte jede Gruppe ihr Stück der Klasse vor und die Besten kamen eine Runde weiter
an die KENComedy. Einige unserer Lehrer schlüpften in die Rolle von Schauspielern und
führten die von den Schülerinnen und Schülern verfassten Sketche auf. Die Zuschauer
stimmten ab, welche es ins Casinotheater Winterthur schaffen sollten. Nach der Auslosung folgte eine äusserst spannende Auseinandersetzung darüber, inwiefern Ideen bei
namhaften Künstlern geborgt werden können – ein Prozess, bei dem ein Gewinner aus
dem Rennen fiel. Unsere Arbeit durfte nachrücken. Und so kamen wir mit den anderen
Gewinnergruppen der KEN am heutigen Dienstagabend hierher und hier stehe ich jetzt.»
Ich kam zum Schluss, dass sie das alles sicher nicht ganz so genau wissen wollten und
reduzierte unseren Werdegang auf zwei prägnante Sätze. Ich glaube, das Publikum war
dankbar dafür.
Viktor und Mike spielten die Dialoge aller Anwärter vor und alle amüsierten sich recht
gut. Vor allem die Witze, in denen Mike einen ausländischen Akzent imitieren musste,
begeisterten, und zum Schluss gewann auch ein Sketch mit diesem Sujet. Die Gruppe
(Samantha Schrepfer, H2b, und Enrico Cannazza, H2b) stammte ebenfalls aus unserer
Schule, und mich hatte ihr Werk schon an der KENComedy zum Lachen gebracht. So bekam es auch hier den meisten Zuspruch und wurde vom Applausometer der Zuschauer
zum Sieger gekürt.
Als die Show vorbei war, durften wir den Kabarettisten die Hände schütteln und ein
Erinnerungsfoto machen. Sie waren sehr locker und entspannt und machten uns Komplimente zu unserem Gott-und-Engel-Text. Ich war positiv überrascht, dass sie so natürlich, menschlich und frei von jeglichen Starallüren auf uns zu gekommen waren.
Als wir erwähnten, dass wir ab und zu ihre Sendungen guckten, gaben sie uns eine Visitenkarte, damit wir uns für einen Live-Besuch anmelden konnten.
Alles in allem war der Abend sehr amüsant und unterhaltsam, und es war interessant,
diesen beiden Schauspielern, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, auch mal
persönlich zu begegnen.
Louisa Pajarola (W4d)
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Maccabiah
Vom 5.–13. Juli wurden in Wien die europäischen MaccabiahSpiele durchgeführt. Hierbei handelt es sich um die grösste
internationale jüdische Sportveranstaltung, die alle vier Jahre
in Israel – und um zwei Jahre verschoben – in Europa oder
an einem anderen Ort auf der Welt stattfindet. Dieses Mal
nahmen über 2000 Athleten aus 37 Nationen daran teil und
massen sich im Golf, Tennis, Fechten, Schwimmen, Basketball
und in vielen anderen Sportarten mehr.
Wir durften die Schweiz mit einer Fussballmannschaft vertreten. Die Spiele wurden während einer Eröffnungsfeier in
der Innenstadt mit diversen show acts eröffnet; danach konnte es mit dem Kräftemessen losgehen. Unsere Gegner waren
Mexiko, England, Belgien und das Gastgeberland Österreich.
Zwei von vier Spielen entschieden wir für uns, die anderen
beiden verloren wir.
Auch wenn wir uns am Schluss mit dem sechsten Rang begnügen mussten, so war alleine die Teilnahme an einem
solchen Anlass ein unvergessliches Erlebnis. Das Durchschnittsalter unserer Mannschaft war mit Abstand das tiefste, vielleicht war auch das mit ein Grund, weshalb wir die
Zeit so geniessen konnten. Unser Teamgeist blieb trotz den
Niederlagen ungebrochen, und da sehr viele Spiele am gleichen Ort stattfanden, nützten wir die Gelegenheit, andere
Wettkämpfe zu besuchen und unsere Sportkollegen in den
anderen Disziplinen anzufeuern.
Während der spielfreien Zeit waren wir meistens als Mannschaft unterwegs und konnten ein wenig die Stadt mit ihren
Sehenswürdigkeiten erleben.
Insgesamt sahen sich 60’000 Zuschauer die sportlichen Anlässe an, unter anderem auch unsere Fussballspiele.
In einem solch grossen Rahmen mit anderen Sportlern zusammenzutreffen war ein einmaliges, bereicherndes und unvergessliches Erlebnis.
Trotzdem sei kurz erwähnt, dass alle Delegationen bei jedem
Transport mit dem Bus vom Hotel zu den Austragungsorten von Polizisten begleitet und wir auch im Hotel rund um
die Uhr von Sicherheitsleuten bewacht wurden. Wir können
nicht beurteilen, ob das mit der Grösse des Anlasses zu tun
hatte oder eher damit, dass Maccabiah eine jüdische Veranstaltung ist – unserer Freude konnte es keinen Abbruch tun.
Wir danken für die Gelegenheit, die uns hier gegeben wurde
– wir genossen die Zeit in Wien sehr!
Avner Schächter (W3e) und Ethan Messinger (W4d)
Schawuot – ein jüdisches
Wochenfest
Gelegentlich bleiben Schüler/innen der KEN vom Unterricht fern, weil
sie mit ihrer Familie ein religiöses Fest feiern. Julia Rabner (N2a), Géraldine Nordmann (N4a) und Ana Rabner (N4a) berichten im folgenden
Artikel über das jüdische Wochenfest Schawuot, das 50 Tage nach dem
Pessachfest stattfindet und dieses Jahr auf den 8. Juni fiel.
Der herrliche Duft frisch gebackenen Käsekuchens steigt uns direkt in die Nase,
wenn wir an Schawuot denken. Die ganze Familie ist versammelt, es werden
zahlreiche Freunde eingeladen, der Tisch ist festlich angerichtet und in der
Küche steht das Essen bereit. Im Judentum beginnt dieses Fest mit Sonnenuntergang. Das bedeutet, dass der Feiertag am Abend anfängt. Wenn wir von
der Schule nach Hause kommen, helfen wir bei den Vorbereitungen. Meistens
müssen in der Küche noch die letzten Köstlichkeiten fertig hergerichtet, die
Tische gedeckt oder sonstige kleinere Arbeiten abgeschlossen werden. Wenn im
Haus alles erledigt ist, bereiten wir uns selbst auch vor, indem wir uns mit Vorfreude auf den Anlass festlich anziehen. Auf dem Weg in die Synagoge lassen
wir den Alltag hinter uns und freuen uns auf die folgende Zeit im Familien- und
Freundeskreis. In der Synagoge beginnt der Feiertag nun richtig. Es werden
spezielle Gebete gesagt, wir singen viel und eine fröhliche Stimmung verbreitet
sich. Nach dem Gottesdienst spazieren wir mit knurrenden Mägen nach
Milchspeisen
Hause. Wir empfangen unsere Gäste
Im Judentum befolgen wir strikte
oder werden von den Gastgebern
Regeln hinsichtlich der Trenempfangen. Das köstliche Essen wird
nung von Milch und Fleisch. Dies
aufgetischt. An diesem Feiertag vergeht darauf zurück, dass in der
zehren wir keine Fleischprodukte,
Tora (altes Testament) dreimal
sondern vorzugsweise Milchspeisen.
folgender Vers vorkommt: «Du
sollst ein Zicklein nicht in der
Am nächsten Morgen stehen wir reMilch seiner Mutter garen.»
lativ früh auf, um rechtzeitig zum
Daraus schlossen die Weisen,
Gottesdienst in der Synagoge zu
dass Milch- und Fleischkonsum
erscheinen. Den Höhepunkt des Gekomplett zu trennen seien.
bets bildet die Lesung aus dem BuAn Schawuot pflegen wir vorche Ruth. In diesem Buch wird die
Geschichte der Moabiterin Ruth erwiegend Milchspeisen zu essen,
zählt, die aus Liebe zu ihrer Schwieda in der Tora steht: «Und ich
germutter Noomi zum Judentum
bin herniedergefahren, dass
konvertiert.
ich sie errette aus der Ägypter
Hand und sie herausführe aus
Zusätzlich zur Lesung aus dem Budiesem Lande in ein gutes und
che Ruth wird ein Abschnitt aus
weites Land, in ein Land, darin
der Tora, der Bibel, vorgelesen. Im
Milch und Honig fliesst.»
Mittelpunkt steht hier die Aufzäh-
7
lung der zehn Gebote. Diese werden je
nach Brauch der Synagoge von der ganzen
Gemeinde gesungen, manchmal sogar im
Stehen.
Nach dem Gottesdienst kehrt man nach
Hause zurück, um mit der Familie und den
Gästen zu Mittag zu essen. Auch hier pflegt
man nur milchige Speisen zu sich zu nehmen. Auf den kulinarischen Genuss folgt
die Ruhezeit. Wir gehen dann gerne an die
frische Luft, später bleibt immer noch genug Zeit für einen kleinen Mittagsschlaf.
Am Abend findet in der Synagoge das
Abendgebet statt, an dem jedoch meist
nur unsere Väter teilnehmen.
Da, wie schon erwähnt, der Tag im Judentum am Abend zuvor beginnt, ist am Abend
Schawuot zu Ende, und wir freuen uns
schon auf den nächsten Feiertag.
Julia Rabner (N2a),
Géraldine Nordmann (N4a),
Ana Rabner (N4a)
IPA hilft, bildet und sensibilisiert
Bild: Pietro Tomasini
Buch Ruth
Im Judentum gibt es fünf verschiedene
«Megilloth», Buchrollen, die je an einem
Feiertag in der Synagoge vorgelesen
werden.
Das Buch Ruth erzählt die Geschichte einer
jüdischen Familie, die wegen einer Hungersnot in ihrer Heimat Betlehem nach Moab
flieht. Elimelech und Noomi, die Eltern,
ziehen mit ihren beiden Söhnen Machlon
und Kiljion in die Fremde, wo bald darauf
Elimelech stirbt. Beide Söhne heiraten eine
Moabiterin, Ruth und Orpa. Kurz nach der
Heirat sterben beide Söhne, und Noomi
bleibt als verwitwete Frau mit ihren beiden
ebenfalls verwitweten Schwiegertöchtern
allein zurück.
Als Noomi sich entscheidet, in ihre Heimat
zurückzukehren, bleibt Orpa in Moab. Ruth
jedoch zieht mit ihrer Schwiegermutter
nach Israel.
W
ährend eines Lehrer-Austausches im Jahre 1993
bat ein albanischer Französischlehrer den Geschichtslehrer Pietro
Tomasini um Hilfe für seine Schule in Gjirokastër (Südalbanien). Diese war in einem
desolaten Zustand, auch mangelte es den
Menschen an Kleidern, Essen, Büchern und
vielen anderen Dingen des alltäglichen Lebens. Pietro Tomasini beschloss zusammen
mit seiner Partnerin zu helfen und begann
mit einer Gruppe von Schülern und Lehrern
der KEN Material zu sammeln, das anschliessend nach Gjirokastër transportiert wurde.
Schon bald interessierten sich auch andere
Bildungseinrichtungen in dieser Stadt für
die Hilfe aus der Schweiz, und so unterstützte der Verein Partner für Gjirokastër (PfG)
diese mit grossem Engagement. Mit steigendem Aufwand wuchs auch die Zahl der
freiwilligen Helfer – es waren dies vor allem
Schülerinnen und Schüler der Kantonsschulen Enge und Wiedikon. Nach einem Dutzend
erfolgreichen Hilfstransporten entschieden
P. Tomasini und seine Partnerin, dass das
Hobbyprojekt mittlerweile zu umfangreich
geworden sei und nicht mehr einfach vom
Lehrerpult bzw. vom Schülertisch aus betrieben werden könne. Also folgten die Umbenennung zu International Project Aid (IPA)
und der Umzug in ein eigenes kleines Büro
an der Wildbachstrasse (gegenwärtige Adresse: Bederstrasse). P. Tomasini reduzierte
die Zahl seiner Lektionen und konzentrierte
sich von da an auf die Weiterentwicklung
des kleinen Hilfswerks.
IPA zeichnet sich dadurch aus, dass man mit
Schweizer Jugendlichen zusammenarbeitet
und die gleich strengen Qualitätsanforde-
rungen wie andere namhafte Organisationen erfüllt (ZEWO-Gütesiegel). Neben Projekten in Albanien kamen mit der Zeit auch
solche in Kamerun dazu.
Obwohl P. Tomasini gerne überall helfen
würde, hat er sich vorläufig auf diese beiden Länder beschränkt. IPA investiert vor
allem in Bildungsprojekte, denn P. Tomasini
ist der Meinung, dass Bildung der Schlüssel
zu Wohlstand sei. Ungebildete Menschen
seien oft nicht fähig, sich zu organisieren
oder Aufgaben aufzuteilen. Hilfe zur Selbsthilfe, das ist der Leitspruch von P. Tomasini,
den er möglichst in allen Projekten umsetzen möchte. Das Geld für diese kommt von
grossen Stiftungen und auch von privaten
Spendern.
Eine Kernkompetenz von IPA ist die Zusammenarbeit mit Schulen. Die Schülerinnen
und Schüler haben die Möglichkeit, sich
ein Projekt von IPA auszusuchen und es
dann selbständig zu betreuen. Dazu gehört: Abklären und planen des Projekts
in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern,
Budget erstellen, Projekt beschreiben und
präsentieren und sich um das Fundraising
kümmern – kurz: das Erlernen von Projektmanagement in einem sozialen Einsatz.
Meist sind innovative Ideen gefragt, z.B.
veranstalteten Schüler auch schon Konzerte
und sammelten so Geld für ihr eigenes Projekt. Bei diesen Jugend-Projekten geht es
P. Tomasini nicht um die Geldsammlung. Im
Zentrum stehen die Schülerinnen und Schüler. Sie sollen fachliche und überfachliche
Kompetenzen erlernen und für Fragen der
Entwicklungszusammenarbeit sensibilisiert
werden. Diese Arbeit ist es denn auch, die P.
Tomasini sehr viel Spass macht.
Niklas Zeller (H2b)
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«Ragtime is a good time» – mit diesem Motto endete der erste Jugendwettbewerb für Ragtime-Piano, der am Freitag, dem 16. September 2011, in der Aula
der Kantonsschule Enge über die Bühne ging. Fünf junge Kantonsschüler/innen
im Alter von 15 bis 18 Jahren spielten um den ersten Preis: eine Reise in die USA
ans West Coast Ragtime Festival im November 2011. Nach einem spannenden Final
mit ausgezeichneten Leistungen entschied die 16-jährige Valerie Kazik von der
Kantonsschule Zürcher Oberland das Rennen für sich. Mit Scott Joplins Rag-Walzer
Bethena und Vincent Youmans Tea For Two überzeugte sie die fünfköpfige Jury
am meisten. Den Publikumspreis erhielt der jüngste Teilnehmer, der 15-jährige
Maurice Imhof von der Kantonsschule K+S Rämibühl.
Vor dem Wettbewerb und während der Pause spielten verschiedene RagtimeEnsembles aus den USA im Foyer. Damit verbreiteten sie schon im Eingang der
Aula eine freudige Ragtime-Atmosphäre. Nach der Pause präsentierte das in den
USA äusserst beliebte Ragtime-Duo Ivory & Gold mit Jeff Barnhart (Piano) und
Anne Barnhart (Querflöte) ein musikalisches Programm der Extraklasse. Neben
Ragtime wurden auch atemberaubende Stride-Stücke von Fats Waller und eine
spezielle Version von Gershwins Summertime dargeboten: Anne Barnhart spielte
mit der Querflöte in den Resonanzkörper des Konzertflügels hinein und zauberte
damit unerahnte Klänge hervor.
Im letzten Teil kam auch der Chor der Kantonsschule (Leitung: Martin Jäger) zu
einem Auftritt. Mit Songs von Irving Berlin wie Simple Melody und Alexander’s
Ragtime Band begeisterten die jungen Leute das Publikum. Dazwischen boten
die Gäste aus den USA eine witzig-romantische Ragtime-Barbershopnummer dar, in welcher die Tuba das ersehnte Girl im
Mondenschein parodierte. Nach dem alten Ragtime-Klassiker
Dill Pickles von Chas Johnson, den ich zusammen mit den Musikern aus den USA spielte, endete der vielfältige Abend mit dem
Chorblues Mailtrain. Ein langer Applaus des Publikums bestätigte, dass Ragtime auch heute noch ein äusserst unterhaltsamer
Musikstil ist.
Swiss Youth Ragtime
Piano Competition 2011
Bilder: Andreas Haag
Martin Jäger (Musik)
F o t o t e r mi n
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Bilder: Andreas Haag
A1a
N1a
N1b
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N1d
H1a
H1b
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I n t e r v ie w
Fussball – Frauen erobern den Rasen
Bild: Andreas Haag
Fragen von Nubia Sivec (Handelsdiplom 11)
«Was, du spielsch Fuessball?!» Ein Lachen der Verunsicherung folgt. Warum reagieren alle ungläubig auf
meine Antwort, dass ich Fussball spiele? Nur, weil ich
nicht aussehe wie ein Mannsweib? Offenbar ist es für
viele immer noch nicht selbstverständlich, dass Frauen Fussball spielen, und viele muten mir diesen Sport
nicht zu. Ich habe mich also gefragt, was man für eine
Einstellung vor zwanzig Jahren hatte, als Frauenfussball noch unüblicher war. Eine Deutschlehrerin der KEN,
Frau Valeria Soriani, die schon vor über zwanzig Jahren
mit diesem Sport begonnen hatte, erklärte sich bereit,
meine Fragen zu beantworten.
Wann fingen Sie an, Fussball zu spielen?
Ich begann bereits mit sechs Jahren, Fussball zu spielen beim FC Dielsdorf (im gleichnamigen Dorf im Zürcher Unterland wuchs
ich auf). Damals gab es noch keine Juniorinnen, also spielte ich mit den Jungs. Das
ging so lange gut, bis ich ein gewisses Alter
erreichte.
Warum begannen Sie mit diesem Sport?
Waren es Männer in Ihrem Haushalt, die Sie
dazu brachten?
Obschon ich mit zwei grossen Brüdern
aufwuchs, war Fussball zu Hause nie ein
Thema. Sie mochten den Sport beide nicht
und spielten später Handball. Meine Leidenschaft galt hingegen schon immer dem
Fussball. Woher ich die habe, weiss ich
nicht, denn meine Eltern waren dagegen,
dass ich mit dem Fussballspielen anfing,
und dieser Sport war in unserer Familie
nicht besonders populär.
Faszination Fussball – können Sie die
erklären?
Oh ja, natürlich. Ich bin ja selber ein «Opfer»
dieser Faszination, jeden Sonntag erwacht
sie von neuem auf dem Fussballfeld – scheint
die Sonne, steigt mir der Duft des frisch gemähten Rasens in die Nase und pfeift der
Schiedsrichter das Spiel an, steigt mein Puls,
und ich verspüre eine angenehme Aufregung, die mich alles andere vergessen lässt.
Mich fasziniert die Vielseitigkeit dieses
Sports. Körperlich wird man stark gefordert, gleichzeitig muss man aber auch den
Kopf bei der Sache haben, Spielzüge der
Mitspielerinnen vorausahnen, mitdenken,
allzeit bereit sein. Die Spielsituation kann
blitzschnell ändern, und dann muss man
angemessen reagieren. Teil der Faszination
ist gewiss auch das Hochgefühl, wenn man
ein Tor schiesst oder an der Aktion, die dazu
führt, beteiligt ist. Der Teamzusammenhalt
– in guten und in schlechten Zeiten – ist
ebenfalls ein Aspekt, der mich fasziniert.
Man steht alles zusammen durch, motiviert
sich im Fall einer Niederlage und feiert einen erfolgreichen Fussballtag im Team.
Gerade wenn man viele Jahre in derselben
Mannschaft spielt, kommen da einige tolle
12
und verbindende Erlebnisse zusammen –
auch abseits des Rasens.
Ich gucke mir zudem auch gerne Spiele
im Fernsehen an, und finde diese oft sogar spannender als irgendeinen Krimi,
vornehmlich aus denselben Gründen wie
oben beschrieben.
Haben Sie auch Widerstände in Ihrem
Umfeld gespürt bzw. Unverständnis?
Wie bereits erwähnt, waren meine Eltern
dagegen, dass ich einem Frauenteam beitrat. Sie fanden, Fussball sei kein Sport
für Frauen und die Verletzungsgefahr sei
viel höher als in anderen Sportarten. Ein
grosses Thema war damals auch die Homosexualität im Frauenfussball – sicherlich nicht bloss ein Klischee. Als ich mit
18 in der Nationalliga A beim SV Seebach
spielte, war die Hälfte der Spielerinnen homosexuell. Mir machte das jedoch nichts
aus und es beeinflusste mich weder positiv
noch negativ. Meine Eltern blieben aber
konsequent und weigerten sich, mich ins
Nachbardorf zum Training zu fahren – es
gab nur da eine Frauenmannschaft. Ich
setzte mich dennoch durch, behalf mich
mit dem Fahrrad oder nahm den Zug. Da
ich bereits zu einer Zeit Fussball spielte, in
der es eher ungewöhnlich war, wenn ein
Mädchen diese Sportart ausübte, musste ich hin und wieder anderen Menschen
erklären, warum ich mich ausgerechnet
für diesen Sport entschieden hatte. Im Gegensatz zu meinen Eltern brachten mir die
meisten Mitmenschen aber eher Bewunderung als Unverständnis entgegen.
Homosexualität im Frauenfussball – kein
Klischee?
Noch vor 20-25 Jahren gab es im Fussball
tatsächlich viele homosexuelle Spielerinnen. Ich vermute, das lag unter anderem
daran, dass dieser früher einfach eine absolute Männerdomäne war, von der man
sagte, es gehe in ihr ruppig zu und her.
Dass eine solche Sportart eher Frauen anzieht, die körperlich kämpfen und zupacken können, liegt auf der Hand. Zudem
gab es lange keine Juniorinnenmannschaften, also mussten Frauen mit Jungs zusammen spielen. Wenn eine Frau in diesem
Fall nicht auf der Bank sitzen wollte, musste sie einstecken können und unzimperlich
in den Zweikampf einsteigen.
Natürlich gab es auch schon immer – wie
in meinem Fall – Mädchen, die nicht homosexuell sind und gerne Fussball spielen.
Im Laufe der letzten 20 Jahre hat sich der
kenzeichen 3/11
Frauenfussball zudem völlig verändert.
Unzählige Frauenmannschaften (was für
ein dämliches Wort!) wurden neu gegründet, ebenso Clubs mit Juniorinnen, und
heute überwiegt der Anteil der heterosexuellen Mädchen und Frauen im Fussball –
zumindest in den tieferen Ligen. Letztlich
spielt es meiner Meinung nach aber keine
Rolle, ob eine Fussballerin homo- oder heterosexuell ist. Was zählt, ist der Spass und
die Fairness auf dem Platz!
Was sagen Sie zum Vorurteil, Frauen könnten keinen Fussball spielen?
In gewisser Hinsicht ist es unbestritten,
dass die weibliche Anatomie schwächer
und die körperliche Leistungsfähigkeit
begrenzter ist als die der Männer. Auch
da gibt es natürlich Ausnahmen, aber im
Grossen und Ganzen sind das biologische
Tatsachen. In Länderspielen beobachte ich
immer wieder, dass Frauenfussball langsamer, weniger athletisch, dafür aber oft
auch etwas gepflegter ist. Man sieht haufenweise schöne Spielzüge, weil das Spieltempo niedriger ist. Mit Können hat das
meiner Meinung nach jedoch wenig zu
tun. Frauenfussball ist einfach anders als
Männerfussball; ich würde das nicht werten. Was Technik und Taktik anbelangt,
stehen Frauen meiner Meinung nach den
Männern in nichts nach.
Karriere im Frauenfussball – was für Tipps
können Sie geben bzw. was müsste sich
ändern, damit frau davon leben könnte?
In der Schweiz würde ich jeder Frau raten,
keine Karriere anzustreben oder nicht allzu
viel dafür zu opfern. Da wir keine Profiliga
haben wie zum Beispiel Deutschland oder
die USA, wird der Frauenfussball kaum
gefördert und man kann ihn höchstens als
aufwändiges Hobby betreiben, da man keinen Lohn erhält. Ich habe in meinen «jungen Jahren» in der obersten Liga gespielt
und ein wenig diese Luft geschnuppert.
Der Konkurrenzkampf ist beträchtlich,
und ich habe mich schnell einmal gefragt,
wofür ich den Aufwand treibe: Dreimal in
der Woche Training und am Wochenende eine lange Anreise zu einem Match irgendwo in der Schweiz – das zehrt an der
Substanz, wenn man gleichzeitig versucht,
die Matura erfolgreich zu bestehen. Hätte
man in der Schweiz wirklich die Möglichkeit, eine Profikarriere anzustreben, dann
lohnte sich der Einsatz auf alle Fälle, aber
mit den momentanen Perspektiven würde
ich jeder abraten, vom Fussball leben zu
wollen – oder ihr nahelegen, im Ausland
ihr Glück zu versuchen. Ich denke nicht,
dass Frauenfussball in der Schweiz je eine
grosse Rolle spielen wird. Wir sind keine
Fussballnation und die Frauen werden viel
zu wenig gefördert. Es ist aber schön, mitzuerleben, wie stark die Zahl der aktiven
Mädchen und Frauen zugenommen hat
und hoffentlich noch weiter zunimmt!
Wie würden Sie den Frauenfussball an der
KEN fördern? Warum sollen Ihrer Meinung
nach mehr Frauen Fussball spielen?
Eine schwierige Frage, da ich denke, dass
die Kernaufgabe der KEN nicht darin besteht, den Frauenfussball zu fördern. Es
gibt heute zahlreiche Clubs, die ein Frauenteam haben, und somit steht der Weg
aufs Fussballfeld jedem Mädchen und
jeder Frau offen. Es ist heute nicht mehr
schwierig, Anschluss an eine Mannschaft
in der Nähe des Wohnorts zu finden.
Man könnte natürlich an der Fussballnacht ein reines Frauenteam stellen oder
ein Freifach Frauenfussball anbieten. Eine
weitere Möglichkeit wäre natürlich auch,
eine Mannschaft zu gründen für die Alternativliga, die eine eigene Meisterschaft
hat und jeden Sonntag auf dem Hardhof
Spiele veranstaltet. Das Training ist etwas
lockerer als in den Clubs und weniger verbindlich, und es steht der Spass im Vordergrund, sich einmal in der Woche zum
Kicken zu treffen.
Ich finde nicht, dass mehr Frauen Fussball
spielen sollen, sondern bin vielmehr der
Ansicht, dass jeder die Sportart findet und
ausübt, die er/sie will – das gilt natürlich
auch für die Männer. Frauenfussball ist
kein Tabuthema und das Spiel mit dem
runden Leder keine reine Männerdomäne
mehr, wie das früher der Fall war, deshalb
kann heute jedes Mädchen/jede Frau völlig
frei entscheiden, ob sie diese Sportart ausüben will.
Nubia Sivec (Handelsdiplom 11)
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Hans Spuhler – ein Leben für die KEN
Bild: Andreas Haag
Hans Spuhler, ehemaliger Schüler, Lehrer
und Prorektor der KEN, verlässt unsere
Schule auf Ende des Sommersemesters.
Wenige Menschen kennen die Kantonsschule Enge schon so lange und haben die stetigen Veränderungen selbst miterlebt wie
er. Das veranlasste uns dazu, ein ausführliches Interview mit einem Langzeitkenner
der Schule zu führen.
E
nde dieses Semester treten Sie nach 41 Jahren
im Dienste der KEN in den Ruhestand –
welche Funktionen haben Sie während dieser
Zeit ausgeübt?
Seit 1970 arbeite ich als Deutsch- und Geschichtslehrer
an der Kantonsschule. Dies tat ich 17 Jahre, um dann
weitere 17 Jahre als Prorektor die Schule mitzugestalten. Nun bin ich seit sieben Jahren wieder ausschliesslich Lehrer und unterrichte ein volles Pensum.
Als sie als Lehrer begannen, wie war das Schulklima an
der KEN?
Ich kannte die Schule schon von früher, denn ich war
hier selbst einmal Schüler. Als ich 1961, also vor 50 Jahren, an die KEN kam, herrschte ein anderes Klima. Seitdem vollzog sich ein grosser Strukturwandel, schon die
Namensveränderung bringt das zum Ausdruck. Damals hiess unsere Schule noch Handelsschule und war viel stärker
auf die Wirtschaftsfächer ausgelegt. Zu Beginn waren keine Frauen im Lehrerzimmer oder in den Unterrichtsräumen anzutreffen,
weder Lehrerinnen noch Schülerinnen. Mit der Zeit änderte sich
der «Geist der Schule», er wurde offener und transparenter.
Gab es Lehrer, die Sie in Ihrer Art zu unterrichten, beeinflussten?
Da gab es wohl welche, die mich beeinflussten – mein Deutschund mein Geschichtslehrer zum Beispiel. Ersterer unterrichtete
damals mit modernen Methoden, er verwendete u.a. ein Tonband
und engagierte sich stark für seine Schüler. Letzterer überzeugte
mich mit seiner Didaktik, seiner Art, den Stoff einzuführen und
stets für den Überblick besorgt zu sein.
Wahlkurssystem. Aber auch die Erweiterung des Unterrichtsspektrums war mir wichtig. So führten wir 1989, als der Eiserne
Vorhang aufging, Russisch ein, damals fast eine Pionierleistung.
Später setzte ich mich z.B. für die Fächer Chinesisch, Arabisch
und Hebräisch ein. Die ersten beiden wurden schliesslich auch im
Unterrichtsangebot aufgenommen.
Gab es auch Enttäuschungen?
Nein, ich habe stets versucht, mir realistische Ziele zu setzen.
Wenn man sich keine Illusionen macht, ist man eher zufrieden.
Was waren Ihre Ziele, als Sie sich für das Amt des Schulleiters
bewarben?
Sicher war da ein Bedürfnis, eine Schule mitzugestalten. Ganz im
Sinne der offenen Architektur Schaders waren mir Transparenz
ein Anliegen sowie die Bereitschaft der Lehrpersonen und Schüler/innen, eigenständig und kritisch zu denken.
Wie viele Rektoren haben Sie erlebt? Wie war die Zusammenarbeit
mit ihnen?
Wenn ich meine eigene Schulzeit einrechne, so waren es sechs,
sonst vier. Die Zusammenarbeit klappte eigentlich gut, es ist eine
wichtige Eigenschaft eines Prorektors, dass man mit vielen unterschiedlichen Charakteren produktiv zusammenarbeiten kann.
Sehr schön war es, mit Rektor Wüthrich und den Prorektoren
Wyss und Limacher die Schule zu führen, wir bildeten ein richtiges Dream-Team.
Welche Projekte lagen Ihnen als Schulleiter besonders am Herzen?
Mir lag viel daran, Reformen vernünftig umzusetzen, insbesondere die noch heute bestehende Reform der Oberstufe mit dem
Geschichtsstudium – hat Sie Ihr Interesse für Politik dazu bewogen?
Schon im Alter von 10 Jahren interessierte ich mich für Politik –
die Welt sprach von der Suez-Krise und dem Ungarnaufstand. Mit
kenzeichen 3/11
diesem Interesse ist natürlich auch jenes für Geschichte verbunden,
denn Politik ist ja immer auch aktuelle Geschichte. Dieses Interesse
liess nie nach, so dass ich mich nach der Matura entschied, das Studium der Geschichte aufzunehmen.
Stichwort Schulpolitik in den letzten 40 Jahren – gibt es Politiker
bzw. Tendenzen, die in Ihren Augen förderlich für den Schulbetrieb
waren? Oder ihm gar schadeten?
Vor ein paar Jahrzehnten war das Konzept einer Dezentralisierung
der Mittelschulen aktuell, es sah vor, im Kanton Zürich mehrere
Mittelschulen an verschiedenen Orten, z.B. auch in Horgen, einzurichten. Stattdessen beschloss man, den Standort Zürich weiter auszubauen, sodass ein riesiger Mittelschul-Komplex entstand. Meiner
Meinung nach war das auf längere Sicht ein Fehlentscheid. Denn
die Schüler nehmen teilweise lange Schulwege in Kauf, die Schulen
werden grösser und somit anonymer, was die Offenheit, von der ich
gesprochen habe, hemmt. Weiter ist mir aufgefallen, dass sich die
Mittelschule in den letzten Jahren immer mehr zur Erziehungsanstalt gemausert hat und somit die Jugendlichen mehr als Schüler/
innen und weniger als Gymnasiasten und Gymnasiastinnen wahrgenommen werden.
Als Schulleiter haben Sie einige Lehrer eingestellt – mit welchen
Qualitäten konnten die Kandidaten bei Ihnen Punkte sammeln?
Ich habe in meiner Auswahl vor allem auf zwei Kriterien geschaut,
die mir wichtig waren: zum einen auf die Bereitschaft zum Engagement und zum anderen auf eine humanistische Grundeinstellung.
Eine zukünftige Lehrperson sollte sich für die KEN einsetzen und
eine humanistische Haltung auch in den Schülern wecken können.
Ich wollte es vermeiden, Fachidioten anzustellen.
Würden Sie wieder Lehrer werden? Den Beruf auch weiterempfehlen?
(Antwortet schnell und entschlossen) Ja, wobei das Weiterempfehlen schon wieder etwas ganz anderes ist. Die Ausbildung unterscheidet sich heutzutage wesentlich von jener zu meiner Zeit. Meiner
Meinung nach werden Lehramtskandidaten zu fest eingeschränkt
und in ihrer Ausbildung zu fest pädagogisiert. Eine Einengung, die
fragwürdig ist. Ich finde, man sollte dieser Tendenz entgegenwirken und den Lehrpersonen wieder den nötigen Freiraum gewähren.
Die Zukunft der KEN- was wäre wünschenswert, was weniger?
Ich würde mir wünschen, dass der Geist der Schule, den ich im Verlauf des Interviews schon einige Male erwähnt habe (Transparenz,
Offenheit, breites Spektrum), von der Schulleitung auch weiterhin
getragen und gefördert wird, was meiner Ansicht nach zurzeit der
Fall ist.
Wenn man an eine vollgepackte Agenda gewöhnt ist- erweist sich
dann der Ruhestand nicht als eine Herausforderung? (Ihre Pläne?)
Das ist die Frage, die mir derzeit am meisten gestellt wird, und ich
muss Ihnen ehrlich sagen, ich beantworte sie nicht so gerne, da ich
mir noch nicht allzu grosse Gedanken darüber gemacht habe. Ich
werde aber versuchen, meine neuen Freiräume auszuleuchten, etwas lässt sich dabei sicher finden. Ich bin optimistisch.
Tiffany Sigg (N4b), Dorian Wiederkehr (H2a)
Der Blick von
aussen auf die KEN
W
ie nimmt man unsere Schule und unsere Umgebung wahr, wenn man aus
einem anderen Kulturraum kommt?
Angelika Bühler (AB, N2a) nützte die Gelegenheit, im
folgenden Interview mit Janina Jentner (JJ, N2a) dieser Frage nachzugehen. Janina besuchte sechseinhalb
Jahre das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erlangen und
ist seit Februar 2011 Schülerin der KEN.
Bild: Angelika Bühler
14
AB: Die KEN und Zürich – ein Kulturschock oder
ein Eintauchen in eine neue spannende Welt?
JJ: Den Ausdruck Kulturschock halte ich für unpassend. Allerdings gibt es deutliche kulturelle
Unterschiede. Ich habe den Eindruck, dass die
Lehrer hier höheren Respekt geniessen und deshalb unnahbarer erscheinen.
Unnahbar, wie meinst du das?
Mit unnahbar meine ich distanziert, vielleicht
nicht so kumpelhaft wie in Deutschland. Ich erlebte zum Beispiel in Deutschland Lehrpersonen, die
die ganze Klasse zu sich nach Hause einluden und
mit Pizza verköstigten. Oder sie organisierten einen
Grillabend zum Abschluss eines Englischleistungskurses. Das sind aber seltene Einzelfälle.
Dieser erste vergleichende Eindruck hat sich allerdings in den letzten Wochen gar nicht mehr bestätigt. Die persönliche Anteilnahme und auch das
Engagement der KEN-Lehrer für die Klasse ist der
Regelfall und nicht die Ausnahme, das ist für mich
ungewohnt und ich weiss es zu schätzen.
Was die Freizeitaktivität angeht, so habe ich gehört,
dass auch an dieser Schule einige Lehrer manches
veranstalten für die Schüler – vielleicht ist die Bereitschaft zur ausserschulischen Aktivität ja wirklich
von Lehrperson zu Lehrperson verschieden. Könnte
dein Ersteindruck daher kommen, dass Deutsche
einen anderen Umgang miteinander pflegen?
15
Vielleicht könnte man ihn lockerer nennen. Sitzt
man zum Beispiel in Deutschland in einem Bus,
so kommt man fast immer mit jemandem ins Gespräch. Und man geht viel direkter auf eine unbekannte Person zu. Direktheit ist wohl eine Eigenschaft, für die wir Deutschen bekannt sind. Diese
Direktheit ist gewöhnungsbedürftig und kann auch
auf die Nerven gehen, deshalb wäre manchmal
mehr Zurückhaltung gut.
Und in der Schule, Thema Lockerheit?
Die Schule ist wohl strenger hier. Schüler werden
im Unterricht gefordert – wer sich im Gymnasium
hängen lässt, kriegt dies schneller zu spüren, wird
viel schneller provisorisch oder muss wiederholen.
Auch was die Kleidervorstellung angeht, so ist jene
in Deutschland wohl lockerer. Hier sollte man wohl
nicht mit einem überkurzen Minirock durch die
Halle der KEN stöckeln.
Weniger streng an der Schule – ist der Umgang unter
den Schülern auch freier, lockerer?
Frei, locker – ich weiss nicht recht, ob diese Begriffe
in diesem Zusammenhang angebracht sind. Ich denke aber, dass die deutschen Schüler respektloser gegenüber Gleichaltrigen sind und ihren Respekt nur
gegenüber Autoritätspersonen wie Lehrern zeigen,
dies aber immer weniger tun. An der KEN geben sich
Schüler im Umgang miteinander sehr harmonisch,
Lehrer werden als Autoritätspersonen anerkannt. Für
mich neu waren hier der sehr respektvolle Umgang
der Schüler untereinander und die gegenseitige Toleranz. Man steht sich in der Klasse nah, da man mehr
gemeinsam unternimmt.
Verbundenheit in der Klasse – wie steht es mit der
Verbundenheit der Schweizer mit den Europäern?
Wenn man Verbundenheit als eine künstliche
Gruppierung von europäischen Staaten mit gemeinsamer Währung sieht, dann hat sich die
Schweiz eine hohe Eigenständigkeit bewahrt. Dies
ist zwar nicht immer unproblematisch, trotzdem
blicken manche Staaten der Eurozone eher neidisch
auf die Eidgenossen.
Die Schweiz geht mit anderen Kulturen positiv um.
Alleine in Zürich leben Mitmenschen aus rund 160
Nationen weitgehend harmonisch neben- und miteinander. Toleranz in allen Bereichen wird hier aktiv
gelebt und nicht nur auf dem Papier gefordert.
Ich denke, dass Spitzenpositionen der Schweiz bei
Lebensqualität, Kultur, Gesellschaft, politischer Mitbestimmung und in anderen Bereichen das Ergebnis
einer für die Schweiz ausgewogenen Mischung aus
Eigenständigkeit und internationaler Verantwortung sowie Verbundenheit ist.
Vielen Dank für deine Schilderungen und Eindrücke.
Ich wünsche dir eine erlebnisreiche Zeit an der KEN!
E h em a l i g e
Sieben Jahre nach
dem Handelsdiplom in
verantwortungsvoller Position
Viele Schüler/innen verlassen jedes Jahr die KEN mit dem Handelsdiplom oder mit der Maturität. Welches ist ihr weiterer Werdegang? Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11) befragte Priska
Fröhli, die von 2001 bis 2004 die KEN besuchte. Für das Profil
HMS+ hatte sie sich entschieden, weil es sie reizte, länger die
Schulbank zu drücken als in einer gewöhnlichen KV-Lehre. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Arbeitswoche in
Prag und das Konzert mit Freddy Washington. Stünde sie wieder
vor der Wahl, würde sie erneut die KEN besuchen.
Was für ein Praktikum absolviertest du nach den drei Jahren HMs+?
Mein Praktikum absolvierte ich bei der Invico Capital Corporation AG in
Zürich, einer kleinen internationalen Treuhandfirma. Nach der Schule,
während der man verhältnismässig viel Freizeit und Ferien geniesst, war
es eine rechte Umstellung, ins Berufsleben einzusteigen. Nach kurzer Zeit
gewöhnte ich mich jedoch an den neuen Rhythmus, die Arbeit war spannend, und ich konnte vieles lernen.
Du arbeitetest in der Buchhaltung – war das nicht am Anfang eine Überforderung?
Meine Arbeit bestand im Betreuen von Buchhaltungen, aber auch andere
Aufgaben hatte ich zu erledigen. Nach der Einführung durch einen Mitarbeiter konnte ich schon bald relativ selbständig einfache Buchhaltungen übernehmen. Ich finde, die Praxis ist ganz anders als die Theorie.
Wenn man selber eine Buchhaltung führt, versteht man die Zusammenhänge und die Theorie um einiges besser.
16
kenzeichen 3/11
Wie fühltest du dich, als du den ersten Lohn bekamst?
Grossartig! Es war ein tolles Erlebnis, als mir zum ersten
Mal der Lohn ausbezahlt worden war. Ich empfand dies
als einen weiteren Schritt in die Selbständigkeit. Ich war
nicht mehr auf das Sackgeld der Eltern angewiesen und
konnte mir auch mal etwas leisten, was zuvor nicht in
Frage gekommen war.
Hast du dich weitergebildet?
Nach dem Praktikum arbeitete ich noch ein halbes Jahr
zu 100% in derselben Unternehmung und ging danach
sechs Monate nach Kanada, um mein Englisch zu verbessern und um zu reisen. Anschliessend begann ich ein
Teilzeitstudium in Betriebsökonomie an der ZHAW in
Winterthur, das ich soeben abgeschlossen habe. In dieser Zeit arbeitete ich zu 80%, wechselte in der Hälfte des
Studiums den Arbeitgeber und studierte ein Semester in
Finnland.
Warum wechseltest du den Arbeitgeber?
Bei Invico lernte ich sehr viel und hatte Einblick in die
verschiedensten Bereiche einer Treuhandgesellschaft.
Dadurch, dass im Schnitt nur immer ca. 7-10 Leute bei
Invico arbeiteten, wurde ich schon im Praktikum relativ schnell wie eine vollwertige Mitarbeiterin behandelt
und konnte (natürlich mit Unterstützung vom Vorgesetzten) die unterschiedlichsten Aufgaben selbständig
übernehmen (Buchhaltungen, Gesellschaftsgründungen, Liquidationen, Administration von Gesellschaften, GV organisieren und protokollieren, etc.). Nach
fünf Jahren wollte ich jedoch eine etwas grössere Unternehmung kennenlernen und entschied mich für die
KENDRIS private AG.
Hitze im Schulzimmer während des Sommers, der Blick
auf den Stundenplan in der Hoffnung, dass wieder eine
Stunde ausgefallen ist, Prüfungen schreiben …
Was gefällt dir besser – Schule oder Arbeit?
Nach der Schule war ich froh, nur noch zu arbeiten,
doch nach einiger Zeit reizte es mich wieder, etwas
Neues zu lernen. Weil ich die Arbeit nicht aufgeben
wollte, entschied ich mich für ein Teilzeitstudium. Im
Augenblick freue ich mich, nur zu arbeiten und nicht
mehr nebenbei auch noch zur Schule gehen zu müssen. Es wird allerdings bestimmt wieder der Zeitpunkt
kommen, zu dem ich beschliesse, eine zusätzliche Weiterbildung zu absolvieren (sie muss ja nicht mehr unbedingt vier Jahre dauern).
Die KEN – ein Sprungbrett fürs Leben?
Meiner Meinung nach schon. Ich würde dieselbe Wahl
treffen.
Noch einen Rat für gegenwärtige HMS+-Schüler/innen?
Versucht, eine Praktikumsstelle in einem Bereich zu
finden, der euch interessiert. Das macht die Umstellung
einfacher und ihr seid motivierter für die Arbeit. Und
verbringt eure Freizeit nicht nur mit Lernen, sondern behaltet eure Hobbys!
Janine Waldvogel (Handelsdiplom 11)
Welches ist deine Funktion?
Im Moment bin ich noch Junior Trust Officer, doch im
Herbst, wenn das neue Geschäftsjahr beginnt, werde ich
aufgrund meiner abgeschlossenen Ausbildung befördert.
Wenn du an die KEN zurückdenkst, was kommt dir
spontan in den Sinn?
Die Anreise mit dem Zug, die Pausen in der Raucherecke (obwohl ich nie geraucht habe), die unerträgliche
Bilder: Liliane Preissle
Was sind deine Aufgaben?
Ich arbeite in der Trust and Corporate AdministrationAbteilung der Kendris. Meine Aufgabe sind die tägliche Betreuung von Trusts und Gesellschaften sowie die
Vermögensverwaltung. Die Trusts und Gesellschaften
können verschiedene Vermögenswerte halten wie zum
Beispiel Geld, Autos, Häuser, Yachten, Flugzeuge, Wohnungen etc. Die Vermögenswerte müssen richtig versichert sein und können verkauft oder gekauft werden. In
meinen Verantwortungsbereich gehören zudem Buchhaltungen für Trusts und Gesellschaften sowie die Erstellung von Protokollen. Auch stehe ich in Kontakt mit
Banken, Anwälten und Partnerfirmen.
17
Ke n a t u r
Der kleine Zoo an der KEN
Ich bin verabredet mit Daniel Blaser. Er ist für die verschiedenen Tiere der KEN und KFR zuständig und betreut einen
kleinen Zoo, in dem Amphibien, Reptilien, Nager und andere
Tiere leben. Als ich deren Zuhause betrete, fällt mir als Erstes
ein strenger Geruch auf, dann stelle ich fest, dass der Raum
sehr übersichtlich ist, und
ich bin beeindruckt von
den vielen Tieren, die ich
erblicke.
Daniel Blaser erklärt mir,
dass der strenge Geruch
von den Mäusen bzw. deren Ausscheidungen komme, und ich erfahre, dass
sich diese Tiere mit Abstand am schnellsten fortpflanzen. Der weibliche
Zyklus der Maus beträgt
vier Tage, ist sie trächtig,
bekommt sie nach drei
Wochen ihren Nachwuchs.
Vier Stunden nach der Geburt kann sie erneut befruchtet werden und somit
erreicht sie den Status der
Dauerträchtigkeit – mit
jedem Gebären vergrössert
sich der Wurf und erreicht mit 18 Jungen beim sechsten Mal
ihren Höhepunkt. Eine unerhörte Fruchtbarkeit, die vom Appetit der Reptilien in Schranken gehalten wird – denn der
Nachwuchs wird als Nahrung für Schlangen und allerlei andere Kaltblüter verwendet. Jungmäuse, die nicht verfüttert
werden, dienen der weiteren Zucht.
Als Nächstes begebe ich mich zum hinteren Teil des Raumes, wo zwei Chamäleons in verschiedenen Terrarien ihre
Unterkünfte haben. Vom Gang aus habe ich die beiden Echsen noch nie gesehen, und ich merke, wie meine Neugierde
wächst. Daniel Blaser will sie mir genauer zeigen, nimmt das
Männchen aus seinem Reich und gibt es mir in die Hände.
Ich staune nicht schlecht und betrachte das Wesen, dessen
scherenartige Füsse sich an meinen Händen festklammern
und dessen Augen sich unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen drehen.
Damit es den Tieren gut geht, braucht es eine artgerechte
Haltung. Dazu verhelfen zum Beispiel Wärmelampen bzw.
UV- Lichter, die nicht ganz billig sind und alle sechs Monate
erneuert werden müssen. Die richtige Temperatur ist für die
Reptilien ein Muss. Aber auch in anderen Belangen wird stets
Wert darauf gelegt, dass den Bedürfnissen der Tiere entsprochen wird.
Neben dem Terrarium der Chamäleons leben junge Kornnattern. Eine von ihnen darf ich ebenfalls in die Hände nehmen.
Schnell bemerke ich, dass ich doch ein bisschen mehr Respekt vor den jungen Schlangen habe als vor dem Chamäleon.
Sie züngelt mich an, bewegt sich langsam und ihre Haut fühlt
sich wie glattes, weiches Leder an.
Nachdem meine neue Freundin wieder versorgt worden ist,
zeigt Daniel Blaser mir die anderen Schlangen. Zuerst stellt
er mir die grosse Königspython im Wasser vor, danach die
einheimische Ringelnatter.
Daniel Blaser, ein bekennender Reptilienliebhaber, kann mir
viel über die Schlangen berichten. Die Königspython wird oft
für den Unterricht gebraucht, da sie von Natur aus gelassener
ist als die kleinen Ringelnattern, die unter Stress keinen Augenblick ruhig sein können. Im Ganzen gesehen brauchen die
Schlangen weniger Aufmerksamkeit als die Nager, obschon
diese im kleinen Zoo zahlenmässig untervertreten sind. Der
Zeitaufwand für die Pflege von Echsen, Schildkröten und
Schlangen ist gering, da eine Schlange nur alle ein bis zwei
Wochen gefüttert werden muss und dementsprechend wenig
Kot ausscheidet. Im Gegensatz dazu verursacht zum Beispiel
ein Degus sehr viel mehr Unrat, denn er hat einen schnelleren Stoffwechsel und braucht täglich Nahrung.
Der Rundgang durch das kleine Tierreich geht weiter und ich
sehe von den Tannreks, einer Igelart, bis hin zu den Vogelspinnen alle Zoobewohner. Manche Tiere machen mir Angst,
andere würde ich am liebsten gleich mitnehmen. Hier lebt
Jung und Alt beisammen. Somit ist mir schnell klar, dass Daniel Blaser hier auch mit Krankheit und Tod konfrontiert ist.
Berührungsängste darf er in diesem Beruf keine haben, als
Tierpfleger muss er einen natürlichen Zugang zum Leben und
Sterben finden. Manche Tiere tötet er lieber fachgerecht, als
sie noch wochenlang leiden zu lassen. Probleme tauchen vor
allem in der Beurteilung von Reptilien auf, diesen ist es nicht
so leicht anzusehen, wenn sie leiden. Mit den Krankheiten
wird es gefährlich, wenn diese vom Tier auf den Menschen
übertragbar sind. Es handelt sich dann um sogenannte Zoonosen. Besonders riskant sind Salmonellen, diese sind für
die Tiere ungefährlich und können für Menschen sogar zu
einer tödlichen Lebensvergiftung führen. Damit man diesen
Gefahren vorbeugen kann, müssen die grundsätzlichen Hygienemassnahmen befolgt werden.
Mein Besuch bei Daniel Blaser neigt sich dem Ende zu, und
ich bedanke mich herzlich bei ihm. Ich konnte einige neue
Eindrücke gewinnen und mir ein genaueres Bild von den verschiedenen Tieren machen, an denen ich tagtäglich vorbeigehe und die ich jetzt ein wenig besser kenne als zuvor.
Liliane Preissle (Handelsdiplom 11)
(Red: Herr D. Blaser hat unterdessen die KEN verlassen, um eine
Vollzeitstelle anzutreten; sein Nachfolger ist Hr. Roger Meier.)
18
kenzeichen 3/11
Wortschatz
Spaghetti al mare – oder die Familie meines Freundes
N
och vier Stationen.
Gedankenverloren schaue ich
aus dem Fenster und zähle die
vorbeirasenden Bäume. In meinem Kopf
scheint die Zeit still zu stehen, während
um mich herum die übliche Pendlerhektik
herrscht. Geschäftsleute mit Aktenkoffern
und Frauen in viel zu hohen Absätzen huschen an mir vorbei.
Noch drei Stationen.
Unruhig rutscht er auf dem Sitz gegenüber
hin und her.
Ob es ihm wohl genauso geht wie mir?
Unsere Blicke treffen sich, und ich versuche
zu lächeln.
Noch zwei Stationen.
Keiner von uns spricht ein Wort, und ich
widme mich wieder den vorbeirasenden
Bäumen. Draussen erkenne ich schon die
ersten Wolken am Himmel.
Na super, und ich hab keinen Regenschirm
dabei, auch das noch! Soll ich mich etwa pudelnass bei seinen Eltern vorstellen?
Er bemerkt meinen Blick und grinst: «Keine
Angst, wir wohnen nicht weit vom Bahnhof
entfernt. Deiner Frisur wird schon nichts geschehen!»
Wieso muss er auch meine Gedanken lesen
können?!
Noch eine Station.
Die letzte Station.
Ich könnte einen Migräneanfall vortäuschen und einfach wieder umkehren. Oder
unauffällig die Notbremse ziehen. Für Notfälle ist die ja da.
Nein, versuche ich mir Mut einzureden, da
musst du nun durch. Es ist ja nicht so, dass du
niemals zuvor eine solche Situation erlebt hast.
Ich atme tief ein und blicke an mir herunter. Alles noch sauber, kein Fleck auf meinen
neuen Jeans. Das ist gut so. Man soll nicht
von mir denken, ich liefe mit schmutzigen,
abgenutzten Kleidern herum. So was will
man als Mutter nicht sehen. Würde mein
Sohn mir eine Frau mit verdreckten Klamotten und Hippie-Frisur als seine neue
Freundin vorstellen, würde ich sie mit einem
Besen aus dem Haus jagen.
Der Zug verlangsamt sein Tempo und fährt
im Bahnhof ein.
Eine gute Geschichte entsteht aus dem Bauch heraus – diese Weisheit ist oft zu
hören und vermutlich so berechtigt wie die Behauptung, dass man für eine Suppe
Wasser benötige.
Doch wie mit dem Füllen einer Pfanne mit Wasser noch keine Suppe gekocht ist,
ergeben auch beim Schreiben zündende Einfälle allein noch keine gute Geschichte. Erst das Wissen um die Zutaten und die nötigen Herstellungsschritte sorgt
dafür, dass das Resultat geniessbar ist.
Verdichten, bildhaftes Umsetzen, Abwechslung im Erzählfluss durch richtigen
Einsatz der erlebten Rede, durch gekonntes Kombinieren von Erzählzeit und
erzählter Zeit etc. – aus zahlreichen Zutaten sind im richtigen Augenblick die
passenden auszuwählen und schmackhaft zu kombinieren, ein Handwerk, das
mitunter sehr viel Geduld und Fingerspitzengefühl voraussetzt.
Praktisch geübt hat dieses Handwerk die Klasse W3d im letzten Sommersemester. Dabei herausgekommen sind fast zwei Dutzend Geschichten, die Einblick in
das Erleben von Jugendlichen geben und alle auf ihre Art unterhaltsam sind. Ein
kleiner Ausschnitt dieses Schaffens ist hier abgedruckt: die Kurzgeschichte von
Vanessa Cruz (W4d), in der die Protagonistin, eine junge Frau, den Eltern ihres
Freundes vorgestellt wird und sich während eines Nachtessens im engen Familienkreis zu bewähren hat.
Sorgfältig und mit zitternden Beinen versuche ich, mich an einer Kindergartengruppe
vorbeizudrängen, die offenbar den ganzen
Waggon in Beschlag genommen hat. Schreiend und lachend versperren zwei Dutzend
Rotznasen den Gang, während die Kindergärtnerin in Ruhe am Telefon quasselt und
ihren letzten Besuch im Schönheitsstudio so
ausführlich wie nur möglich schildert.
«Ich wollte meine Nägel in Azurblau, passend zu meinem neuen Oberteil, und die
blöde Kuh schmiert mir tatsächlich cyanblauen Nagellack drauf! C-Y-A-N-B-L-A-U!
Kannst du das fassen?!»
Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf
schiesst.
Sie soll sich lieber um ihr Rudel kümmern
und schauen, dass einem die wildgewordenen Affen nicht alle zwischen die Beine geraten!
Mit geballten Fäusten beginne ich den Kampf,
und nach einigen unsanften Schubsern und
Kratzern gelangen wir endlich zur Tür.
Der Zug zischt und quietscht und kurz darauf sind wir draussen.
Am Himmel schieben dicke Wolken und
kein einziges blaues Fleckchen ist mehr zu
entdecken. Das kann nur ein schlechtes
Omen sein.
Schnellen Schrittes machen wir uns auf den
Weg und begeben uns in Richtung Oberdorf, bis er vor einem kleinen, alleinstehenden Häuschen haltmacht.
«Bist du so weit?», fragt er und zwinkert mir
zu.
Ich nicke zögerlich und ignoriere die Stimme, die in meinem Kopf laut um Hilfe
schreit. Hektisch streiche ich mir die verschwitzten Haare aus dem Gesicht, richte
ein letztes Mal meine Frisur und mache
mich auf das Schlimmste gefasst.
In was bin ich hier nur hineingeraten?
Langsam gehen wir durchs Gartentor und
begeben uns zur Haustür.
Meine Wangen glühen und die Knie fühlen
sich ungefähr so weich an wie der grässliche
Wabbel-Pudding, den meine Schwester gestern stolz zubereitet hat.
Ich trete einen Schritt hinter ihn, doch es ist
nun zu spät, um sich zu verstecken.
Man hört hastige, sich nähernde Schritte, der
Schlüssel wird umgedreht und die Haustür
geöffnet, deren Knarren und Ächzen beinahe das laute, unkontrollierte Pochen meines
Herzens übertönt. Zum Vorschein kommt
eine kleine, rundliche Frau mit Schürze und
schwingendem Kochlöffel in der Hand, die
italienischer nicht sein könnte und mich von
Kopf bis Fuss mustert.
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Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen
schiesst, und senke schnell meinen Blick.
«Endlich! Das Essen ist schon lange fertig!»,
höre ich sie mit italienischem Akzent sagen,
«und du bist also seine neue Freundin?»
Sie wendet sich mir zu und streckt mir ihre
Hand hin.
Widerwillig reiche ich ihr die meine und
lasse den knochenzerquetschenden Händedruck über mich ergehen.
Dieses Gesicht – will sie mich mit ihrem
Kochlöffel grün und blau schlagen?
Habe ich den Auftritt schon in den ersten
dreissig Sekunden vermasselt?
Auf wackligen Beinen trete ich ein und folge ihr mit etwas Sicherheitsabstand zum
Esstisch, wo sich schon der Rest der Familie
versammelt hat.
Alle Blicke sind auf mich gerichtet, wie Wölfe gaffen sie mich an.
Wölfe, die das Schaf gesichtet haben und nun
in die Enge treiben, um es zu zerfleischen.
Jetzt bitte, bitte kein Fettnäpfchen!
Ich danke dem Schicksal, dass ich mit einem
Italiener und keinem Asiaten zusammen
bin und keinen halbjährigen Mit-StäbchenEssen-Für-Anfänger-Kurs habe belegen
müssen.
Was kann bei Pizza, Pasta und Amore schon
falsch laufen?
Ich schaue kurz zu meinem Freund und setze mich an den Tisch.
«Ich hoffe, du magst Spaghetti al mare.
Christoph hat das Menu für heute ausgesucht.»
Verständnislos starre ich sie an, nicke jedoch
aus Höflichkeit.
Spaghetti al WAS?!
Was hat sie gekocht?
Meine mangelnden Italienisch-Kenntnisse
werden mir wieder einmal zum Verhängnis.
Ich schicke ein kurzes Stossgebet zum Himmel, auf dass Christoph, sein Bruder, einen
guten Geschmack in Sachen Essen habe.
Denn einen guten Kleidergeschmack hat er
definitiv nicht - sein grünes, in die Hosen
gestopftes Hemd und die viel zu engen Jeans
lösen in mir eine Mischung aus Ekel und
Mitleid aus, was ich, seinem irritierten Ausdruck nach zu schliessen, offenbar schlecht
verbergen kann.
Schlagartig breche ich den Blickkontakt ab
und stiere wieder den vor mir liegenden,
weissen Teller an.
Das Essen wird aufgetischt, ich schaue kurz
ins Innere des riesen Topfes, und das Herz
bleibt mir stehen. Das reinste Grauen hat
sich in diesem Gefäss zusammengefunden:
Dutzende von Muscheln und vielbeinigen
Garnelen! Nicht mundgerecht, sondern
zum Knacken und Schälen! Alles, um mich
zu peinigen! Nun hat mein letztes Stündlein
geschlagen! Dieser Christoph!
Ich werfe ihm einen bösen Blick zu und
wünsche ihm Hölle und Verderben.
Doch er lacht nur. Ein hinterlistiges, fieses
Lachen.
Lacht er mich aus?!
Oh, wie ich ihm das heimzahlen werde!
Es kommt mir vor, als versuchte er mich
absichtlich zu schikanieren. Ich, der tollpatschigste Mensch auf dieser Welt, komme
kaum 100 Meter weit, ohne zweimal über
meine eigenen Füsse zu stolpern, und jetzt
soll ich es noch mit einer Horde Hartschalenmuscheln und tausendbeinigen Garnelen
aufnehmen?
Mein Gebet ist offensichtlich nicht oben angekommen.
Friedlich grinsend beginnt Teufels-Christoph Spaghetti und Meeresfrüchte auf seinen Teller zu schöpfen und kämpft sich vor,
bis jeder am Tisch eine gute Portion vor sich
hat. Nach Hilfe suchend, blicke ich meinen
Freund an.
Das wird ein reines Desaster.
Wie kann er mir nur so etwas antun?
Sieht er nicht, dass sein Bruder Christoph
mich provoziert?
Oder bilde ich mir das nur ein?
Nun gut, länger kann ich das Verhängnis
nicht mehr aufschieben. Ich greife zitternd
zur Gabel und beginne mit dem Leichteren:
den Spaghetti.
Langsam, Gabel für Gabel, damit kein
Saucen-Tröpfchen auf die Idee kommt, auf
meiner Kleidung zu landen, fange ich an zu
essen.
«So, du bist also an der gleichen Schule?»,
höre ich die Mutter von dem anderen Tischende fragen, während ich mir gerade eine
riesige Portion Spaghetti in den Mund schiebe. «Mhmm!», gebe ich von mir, versuche
den grossen Happen hinunterzuschlucken
und bereite mich mental auf das Verhör vor.
Und das folgt auf Fuss: Bist du denn auch gut
in der Schule? Was arbeiten deine Eltern?
Wo kommst du eigentlich her? Kannst du
Italienisch? Wieso lässt du die ganzen Meeresfrüchte beiseite? Magst du die nicht?
Ich kann mir nun vorstellen, wie sich ein
Gefangener während einer Befragung
durchs FBI fühlt, und entscheide mich, nur
stichwortartig zu antworten und mich stattdessen demonstrativ mit den Muscheln anzulegen.
Hilflos drehe ich sie hin und her, doch die
Schalen scheinen absolut dicht zu sein.
Ich erkläre den Mistviehern den Krieg, zerre
und schneide, doch die Schalen lassen sich
einfach nicht öffnen.
Ich beginne mich zu fragen, wie die andern
das Kunststück geschafft haben, denn es
scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit zu
sein, in das kostbare Innere dieser Schalentiere zu gelangen.
Ich schaue peinlich berührt in die Runde
und hoffe, dass niemand etwas bemerkt.
Doch nichts dergleichen. Die Augen alle
auf mich gerichtet, beobachten sie meinen
Kampf, in dem die Schalengegner momentan ganz klar in Führung sind. Mein ganzes
Blut schiesst in den Kopf und das Herz rast
in meiner Brust.
Es hätte ja nicht anders kommen können.
War ja klar, dass ich mich blamiere.
Wütend über mich selbst, steche ich mit der
Gabel auf meinen Teller, doch anstatt die
gehofften Spaghetti zu treffen, treffe ich die
Muschel.
Wie ein Gummiball spickt dieses verdammte Ding von meinem Teller und findet sein
Ziel direkt im Gesicht von Christoph.
Oh Gott!
Ich erstarre. Niemand bewegt sich, niemand
sagt ein Wort. Man kann nur noch die Grillen draussen auf der Wiese zirpen hören.
Sekunden vergehen, die sich wie Stunden
anfühlen.
Ich merke, wie mir der Schweiss langsam die
Stirn runterrollt. Ich würde am liebsten heulen. Das ist also ihr erster Eindruck von mir ein muschelwerfendes, ungeschicktes Kind!
Ich sollte mich schon mal auf einen Rauswurf gefasst machen.
Und plötzlich prustet er los. Und mit ihm
die ganze Familie.
Christoph mit einem kleinen roten Fleck im
Gesicht kann sich vor Lachen nicht mehr
halten. «Da hast du aber gut gezielt!», grölt er.
Mit grossen Augen schaue ich ihn an.
«Gut gemacht! Der hat es verdient!», höre
ich den Vater sagen, der zum ersten Mal das
Wort ergreift.
Ich versuche zu lächeln, doch ich spüre immer noch die Anspannung.
Tief durchatmen.
«Er wollte doch seine Spaghetti al irgendwas. Da hat er sie!», gebe ich zurück.
Alle lachen und erstmals fühle ich mich
wohl.
Christoph zwinkert mir zu und ich merke,
wie die Hand meines Freundes nach der
meinen tastet.
Vanessa Da Cruz (W4d)
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kenzeichen 3/11
Achtung: Termine können im Laufe des Semesters ändern.
Massgebend ist der Terminkalender auf der KEN-Homepage: www.ken.ch.
Te r mi n e
Oktober 2011 bis Januar 2012
Oktober
Herbstferien
Mo. 10. – Fr. 21.10.
November
Mi. 23.11.
13.30 Uhr
Gesamtkonvent
Unterricht ab 13.10 Uhr eingestellt
Do. 24.11.
18.30 Uhr
Gründung YES Mini Unternehmen
(Aula)
Mo. 28.11.
19.00 Uhr
Kammermusik-Konzert
(Saal Liceo artistico)
Mi. 21.12.
19.00 Uhr
Weihnachtskonzert Blasorchester
Öffentliches Konzert (Aula)
Fr. 23.12.
11.30 Uhr
Weihnachtskonzert Blasorchester (Aula)
Dezember
Schulschluss vor den Weihnachtsferien nach Stundenplan
Mo. 26.12.2011 – Fr. 6.1.2012
Weihnachtsferien
Januar 2012
Mo. 9.1.2012
Schulbeginn nach den Weihnachtsferien

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