Mich konnte wenig schocken.

Transcrição

Mich konnte wenig schocken.
Jürgen Schadeberg
»Mich konnte
wenig schocken.«
An einem heiSSen Frühlingstag sitzt der Fotograf und Südafrika-Zeitzeuge Jürgen Schadeberg im Schatten
des Würzburger Kulturspeichers, wo gerade eine Ausstellung seines Werkes gezeigt wird. Als wäre es gestern
gewesen, berichtet Schadeberg von seiner Pionierarbeit als Chronist des Apartheid-Regimes, von brenzligen
Situationen – und einer nach wie vor tief zerrissenen Gesellschaft am Kap, die viele Hoffnungen des Kontinents
erfüllen soll. Spätestens, wenn in einem Jahr die erste Fußball-Weltmeisterschaft in Afrika beginnt.
interview: patrick großmann fotos: jürgen schadeberg / porträt: ali ghandtschi
H
err Schadeberg, wann immer man
ein Foto des jungen Nelson Mandela
betrachtet, handelt es sich mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
um eine Ihrer Aufnahmen. Gibt es ein Bild,
das Sie damals nicht gemacht haben – und
worüber Sie sich heute ärgern?
Jürgen Schadeberg: (überlegt) Oh, ich glaube,
da gibt es einige. Mir als Fotograf hätte es sehr
gefallen, wenn ich ihn mal hätte während der
Rasur fotografieren können; bei einer ganz
persönlichen, alltäglichen Handlung. Oder im
Kreise der Familie. Aufgrund der hohen
Sicherheitsvorkehrungen ist das ja auch nicht
einfacher, sondern schwieriger geworden in
den letzten Jahren.
Haben Sie diese Seite Mandelas gar nicht
kennengelernt oder nur nicht ablichten
dürfen?
Kennengelernt schon, aber das waren dann
fast immer Momente, in denen man besser
nicht fotografieren sollte; meist allein schon
aus Gründen des Anstands. Mandela versteht
nicht, warum die Öffentlichkeit ein Interesse
daran haben könnte. Er mag das ganz und gar
nicht, und das habe ich respektiert.
Spricht man von Ihnen und Ihrer Arbeit,
fällt häufig der Begriff „Vater der südafrikanischen Fotografie“. Angemessen?
Na ja... (lacht) Das ist mir manchmal doch ein
bisschen peinlich. Der einzige Grund, der
diese Bezeichnung vielleicht halbwegs
rechtfertigt, ist: Als ich seinerzeit 1950 nach
Südafrika kam, hatte sich dort noch keine
dokumentarische Fotografie etabliert. Und
zwar generell nicht, weder unter Schwarzen
noch unter Weißen. Eine Geschichte, wie sie
etwa der Ullstein-Verlag in Berlin schon in den
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Zwanzigern schrieb, war nicht existent. In
London, New York, den westlichen Metropolen gab es das – in Kapstadt oder Johannesburg: nichts. Es fehlten zudem die betreffenden Illustrierten. Und schwarze Fotografen
gab es erst Recht nicht, klar. Wo sowohl der
Zugang zu Ausbildung als auch das Geld fürs
nötige Material fehlt, wächst nichts.
Aber als Sie dann loslegten, gab es zumindest „Drum“.
Da fing das so langsam an, ja. „Drum“ war die
einzige Illustrierte, die explizit für die
schwarze Bevölkerung produzierte, gemacht
von den besten schwarzen Journalisten des
Landes. Außer mir waren lediglich der
Eigentümer sowie der Chefredakteur Weiße.
Meine Aufgabe bestand auch darin, junge
Leute zu finden und anzulernen, um eine
Fotoredaktion aufzubauen. Gut, in dieser
Hinsicht war ich notgedrungen eine Art
Pionier.
Erinnern Sie sich noch an das allererste
Treffen mit den „Drum“-Machern?
Wir trafen uns in einem winzigen Büro; zwei
Zimmer, zu dritt. Obwohl mein Englisch alles
andere als toll war, zog ich gleich am nächsten
Tag mit dem Journalisten Henry Nxumalo los
und habe fotografiert. Ich kam ja direkt aus
dem Nachkriegs-Deutschland, mich konnte
wenig schocken. „Drum“ hatte damals kein
Geld, wir alle waren freiberuflich tätig.
Meistens machten wir längere Reportagen
über das Leben und den Alltag in rein
schwarzen Neighbourhoods wie Sophiatown.
War das nicht riskant? Auf der einen Seite
bedrohte und behinderte Sie das ApartheidRegime – und auf der anderen müssen Sie
als einziger Weißer, der sich in den
Townships blicken ließ, ebenfalls Hass auf
sich gezogen haben.
Was die Schwarzen anbelangt, so war ich zu
95 Prozent willkommen – die waren froh, dass
sich überhaupt jemand für ihre Probleme
interessierte. Da gab es höchstens hier und da
mal einen Spinner. Wissen Sie, es kommt
beim Fotografieren von Menschen ja auch
immer darauf an, wie man sich gibt, welche
Haltung man einnimmt. Wenn Sie beim
Bildermachen mit dem Objektiv auf einen
Straßenbauarbeiter, der in einem Erdloch
schuftet, herabschauen, dann brennt sich
diese Tonalität nicht bloß dem Bild ein. Auch
Ihr Objekt spürt diese Überheblichkeit – und
wehrt sich instinktiv dagegen. Ich dagegen
habe als Reportagefotograf immer versucht,
mich so gut es geht zurückzunehmen, die
Fliege an der Wand zu spielen. Genau wie Sie
als Journalist: Sie wollen ja auch meine
Geschichte, nicht Ihre.
Und die Weißen, wie reagierten die?
Das war ungleich unangenehmer. 1952 haben
wir für eine Titelstory eine tolle junge, schwarze Bluessängerin fotografiert. In Ermangelung
eines Strandes kamen wir auf die Idee, sie im
Bikini auf einen dieser gigantischen Sandberge, die bei der Goldgewinnung anfallen, zu
stellen. Die sind oben flach und groß wie ein
Fußballfeld. Irgendein weißer Anwohner
muss beobachtet haben, wie wir dort oben mit
Sack und Pack aufliefen und aus dem Blickfeld
gerieten – und rief prompt die Polizei. Als auf
einmal von allen Seiten Polizisten mit
Gewehren im Anschlag aus dem Nichts
auftauchten, war das eine gespenstische,
surreale Situation. Sie schubsten uns herum,
waren enorm aggressiv. Die dachten, wir
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machten da oben sonst was für unzüchtiges
Zeug: Sexuelle Handlungen zwischen Weißen
und Schwarzen standen seinerzeit ja unter
Strafe; dafür gab es immerhin neun Monate
Knast. Es blieb dann aber bei einer Ermahnung: Ob ich nicht wüsste, dass ich als Weißer
mit diesen Menschen nichts zu tun haben
sollte.
Was für eine Wirkung hatte das Erlebnis
auf Sie?
Es machte mich wütend. Ich ging zu einer
Sonntagszeitung, gab denen ein Interview und
verglich die Machenschaften der Polizei in
meinem jugendlichen Leichtsinn mit der
Gestapo. Und wie lautete am folgenden Tag
die Überschrift? „Deutscher mit Negerin auf
Minenberg erwischt.“ Es gab eine ganze Reihe
weißer Bekannter, die danach nicht mehr ans
Telefon gingen, wenn ich anrief. Da trennte
sich schnell die Spreu vom Weizen. Später
hatte ich dann auch durchaus mal Polizeipistolen an der Schläfe.
Was wussten Sie eigentlich über Südafrika
und seine Probleme, bevor Sie aus Hamburg
aufbrachen?
Ganz ehrlich: Ich hatte keine Ahnung. Weiter
als bis Thüringen war ich zuvor nicht
gekommen. Ein paar romantische Erzählungen, das war alles. Ich wäre auch viel lieber
nach New York gegangen. Aber Deutsche
waren in dieser Zeit verständlicherweise
äußerst unbeliebt. Überall. Außer in Südafrika.
Erinnern Sie sich an Ihre ersten Eindrücke
bei der Ankunft?
Ich war verstört und verunsichert. Ich bin
1950 mit dem Schiff von Southampton nach
Kapstadt gekommen und war über Nacht
plötzlich gezwungen, Englisch zu sprechen.
Schon als ich von Bord ging, tat mir die Zunge
weh. (lacht) Umso mehr freute ich mich
zunächst, im Zug nach Johannesburg einen
Mann Mitte 50 zu treffen, der fließend
Deutsch konnte. Doch das böse Erwachen
kam schnell: Es war Dr. Johannes van
Rensburg, der Anführer der rechtsextremen
Organisation Ossewa Brandwag. Ich war
entsetzt: Schon nach wenigen Minuten
begegnete ich dem größten Nazi, den ich je
getroffen habe. Nach einer halben Stunde
flüchtete ich in den Speisewagen und musste
erstmal ein paar Bier trinken. Ganz furchtbar,
aber im Nachhinein ein Glücksfall.
In welcher Hinsicht?
Nach diesen 30 Minuten wusste ich bestens
Bescheid über die südafrikanische Situation.
Was ich in dieser halben Stunde gelernt habe,
hätte sonst womöglich Monate gedauert. Ich
erhielt Einblick in die Gedankenwelt dieser
Leute, wusste sofort, wo ich stand. Die
Erfahrung hat mein Leben und mein Bild
dieser Nation geprägt: Statt Löwen und bunter
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Johannesburgs Vorort Sophiatown war berühmt für seine legendäre Jazz-Szene (1), die Schadeberg bald nach seiner Ankunft in Hinterzimmern und illegalen Bars dokumentierte. Im Zuge der
so genannten Removals von 1955 (2) wurden die schwarzen Bewohner des Quartiers zwangsgeräumt – und aus Sophiatown wurde die rein weiße Suburb Triomf (Afrikaans für „Triumpf“).
»Wenn ein Schwarzer heute
einen weißen Freundeskreis
hat, beschimpft man ihn als
‚Coconut’: außen schwarz,
innen weiß. Also umgibt
man sich weiterhin mit
Seinesgleichen.«
ZUR PERSON
Geboren 1931 in Berlin, bestieg Jürgen Schadeberg nach kurzer Lehrzeit bei einer Hamburger Presseagentur
als 19-Jähriger ein Schiff nach Kapstadt und folgte seiner Mutter nach Südafrika. Er ging nach Johannesburg
und baute als Chef-Fotograf und Art Director die Fotoredaktion des „Drum“-Magazins auf. Seine Aufnahmen des
Lebens in den Townships sowie der beginnenden Befreiungsbewegung machten den Deutschen zum Chronisten
eines vom Apartheid-Regime unterdrückten schwarzen Alltags; seine Bildberichterstattung aus den illegalen
Bars und Salons des schwarzen Künstlerviertels Sophiatown dokumentierte eine vibrierende Jazz- und Literaturszene. 1964 kehrte Schadeberg Südafrika auf Drängen der Sicherheitspolizei für 20 Jahre den Rücken und
fotografierte in Europa und Amerika für renommierte Magazine, bevor es ihn schließlich 1984 zurück ans Kap
zog, wo er sich fortan auf Dokumentarfilme zum Thema konzentrierte. 2007 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen. Jürgen Schadeberg lebt heute mit seiner Frau Claudia in Paris.
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Jürgen Schadeberg
Kultur gab es Rassenhass und reaktionäres
Denken in Reinkultur. Ich erinnere mich auch
an eine stets präsente Aggressivität. Stellen Sie
sich vor: Sie wollen abends mal raus und
geraten prompt in eine dieser damals üblichen
Hotelbars, zu denen nur weiße Männer Zutritt
hatten. Da war ständig bloß von „Kaffern“,
verfickten Fotzen und Scheißniggern die Rede.
Es wurde geflucht, gehetzt und gepöbelt – und
zwar von Leuten, die tagsüber in irgendwelchen Büros arbeiteten! Wenn man auch nur
das kleinste Bisschen dagegen einzuwenden
wagte oder nicht mitzog, wurde man sofort
zum Faustkampf aufgefordert. Da hieß es nur
noch: „Take off your jacket and come out!“ Das
waren vollkommene Idioten.
Wann haben Sie das andere Südafrika
kennengelernt?
Irgendwer verriet mir, dass es in der Nähe eine
„Shabeen“, also eine illegale Taverne gäbe, wo
sie Jazz spielen. Die Dinger gab es dort überall,
sie trugen Namen wie „39 Steps“ oder „The
Back Of The Moon“, und von Zeit zu Zeit kam
die Polizei vorbei und schloss eine. Also ging
ich hin – und war absolut begeistert: zwei
schummrige, kleine Räume, total verqualmt,
ein rein schwarzes Publikum, und irgendwo
spielte jemand Klavier und Saxophon. Ich
nahm einige Drinks und wollte gerade ein
paar Bilder schießen, als mich der Boss
antippte und mir riet, es lieber bleiben zu
lassen: „Guck dich nicht um, da hinten sitzen
Tootsies. Du bist hier der einzige Weiße, die
haben’s auf dich abgesehen. Geh jetzt besser.“
Ich wurde noch von den Gangstern verfolgt,
konnte aber zum Glück knapp entkommen.
So war Südafrika damals.
Sie kamen mit 19 Jahren ins Land. Gab es
etwas, das Ihnen als jungem Menschen von
Beginn an positiv auffiel?
Ein unglaublich erfrischender Galgenhumor.
Die Schwarzen wussten bei aller Drangsalierung: Wir sind in der absoluten Mehrheit,
unsere Zeit wird kommen früher oder später.
Zudem trugen die Apartheids-Gesetze
geradezu skurril blödsinnige Züge, über die
man bei Licht betrachtet eigentlich bloß
lachen konnte. Um uns herum wurden dann
nacheinander – angefangen von Ghana über
Kenia und Tansania – etliche ehemalige
Kolonien unabhängig. Es schien sich was zu
tun auf dem Kontinent. Entsprechend ging
1960 auch der ANC mit Nelson Mandela
davon aus, innerhalb der nächsten zwei Jahre
die Macht zu übernehmen. Eine krasse
Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte.
Würden Sie sich als Idealisten bezeichnen?
Das vermutlich schon, ja. (überlegt) Ich würde
aber nie behaupten, dass ich seinerzeit
vorrangig politisch motiviert oder parteiisch
war. Wenn der ANC sich danebenbenimmt,
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Abbildungen von oben im Uhrzeigersinn:
1955 mussten Schwarze in der Öffentlichkeit bereits
spezielle Ausweise mit sich führen. Die Angst vor rassistischen Übergriffen war überall spürbar.
Der junge Nelson Mandela in seiner Anwaltskanzlei (1952).
Glücksspiel in einem verrauchten Hinterzimmer (1955).
Szene aus der „Drum“-Redaktion, für die Schadeberg das
Foto-Ressort aufbaute und leitete (1953).
gespräch
»Statt sich internen Missständen zu widmen, ist Südafrika viel zu
sehr damit beschäftigt, nach außen hin hektisch internationale
Standards zu demonstrieren.«
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Jürgen Schadeberg
»Wenn der ANC sich danebenbenimmt, kritisiere ich die auch. Ich
verspüre ein generelles Anliegen, in Situationen, in denen zuviel
Unmenschlichkeit herrscht, dokumentarisch tätig zu werden.«
1994, nach der Abwahl des Apartheid-Regimes, fotografierte Jürgen Schadeberg die ANC-Führungsriege ein zweites Mal
am Ort ihrer jahrelangen Inhaftierung auf Robben Island. Insbesondere das Portrait von Nelson Mandela ging um die Welt.
Junge Mädchen beim Tanz in den Straßen von Kliptown, einem Vorort des einstigen Townships Soweto (2003).
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was ja durchaus auch vorkommt, kritisiere ich
die ebenso. Ich sehe mich als Beobachter und
verspüre ein generelles Anliegen, in Situationen, in denen zuviel Unmenschlichkeit
herrscht, dokumentarisch tätig zu werden.
Sie haben mit Unterbrechungen lange in
Johannesburg gelebt. Als Sie 1964 das erste
Mal zurück nach Europa gingen – ist Ihre
Arbeit dort auf Interesse gestoßen?
Kein bisschen; sogar 1984 war das noch so. Ich
plante einen Bildband zum Thema – und die
Verleger zeigten mir reihenweise einen Vogel.
Es hieß immer nur: „Mandela? Wer will denn
Bilder von dem Typen sehen?“ (lacht)
Wenn Sie heute nach Johannesburg
zurückkehren, was empfinden Sie da? Die
Stadt hat sich ja schon enorm verändert –
und mit ihr Ihre Portraits von Johannesburg, die heute vornehmlich in Farbe statt
schwarzweiß sind.
Das stimmt, vor allem hat sie sich vergrößert.
Und sie ist bunt geworden: Nicht nur der
tiefblaue Himmel, selbst die an jeder Ecke
greifbare Armut schreit in allen Farben, ist
unfassbar lebendig. Die Ärmsten tragen Shirts
und Schuhe in den grellsten Farbtönen –
denselben, die das billige Plastik der modernen Industriegesellschaften zieren. Das wollte
ich mit „Tales From Jozi“ fühlbar machen.
Natürlich ist es großartig, dass die Rassentrennung Geschichte ist. Stattdessen hat man jetzt
allerdings andere soziale Probleme. Johannesburg kann auch heute nicht verleugnen, dass
es vor 120 Jahren aus einem einzigen Grund
gegründet wurde: des Goldes wegen. Bis
daraus eine Stadt für Menschen geworden ist,
werden vermutlich weitere 120 Jahre
vergehen. Ein Schicksal, das im Übrigen auch
den Öl-Metropolen des Mittleren Ostens
bevorsteht.
Heute gilt Johannesburg weithin als
gefährlichstes Pflaster der Welt.
Und nicht ohne Grund. Der Unterschied zu
früher ist lediglich folgender: Damals war die
Stadt vor allem für die schwarze Bevölkerung
gefährlich – heute macht sie auch diesbezüglich keine Unterschiede mehr. Am Ende hielt
mich nicht mehr viel dort, zumal auch
kulturell immer weniger passierte. Kapstadt
dagegen ist eine reine Touristenstadt, Durban
schrecklich provinziell. Wer es sich als
Künstler leisten kann, geht im Grunde weg.
Man ist extrem isoliert, da helfen auch keine
Flugverbindungen.
Sie sprachen gerade davon, dass die
Rassentrennung heute Geschichte sei. Wie
gespräch
beurteilen Sie aber das Miteinander von
Schwarz und Weiß?
Als nach wie vor belastet – und zwar in beide
Richtungen. Schauen Sie, wenn ein Schwarzer
sein Kind heute auf eine Schule schickt, die in
einem ehemals weißen Viertel liegt, oder
einen weißen Freundeskreis hat, beschimpft
man ihn als „Coconut“: außen schwarz, innen
weiß. Das hört keiner gern, also umgibt man
sich weiterhin mit Seinesgleichen. Und dann
gibt es das Problem der Mischlinge, die unter
den weißen Herren diskriminiert wurden und
unter den schwarzen Machthabern dasselbe
Schicksal erleiden. Da bekommt man
durchaus einen Job nicht, weil das Haar zu
glatt ist. Ganz zu schweigen von den Ausschreitungen gegen Gastarbeiter. Was dieser
Gesellschaft meiner Ansicht nach heute – und
im Gegensatz zu früher – wirklich fehlt, ist
Humor. Es gibt noch nicht einmal einen Sinn
für Satire.
In gut einem Jahr findet in Südafrika die
Fußball-WM statt. Chance oder Bürde für
das Land und seine Bevölkerung?
(überlegt) Ich bin skeptisch. Erinnern Sie sich
an die Bewerbung Kapstadts um die Ausrichtung der Olympischen Spiele? Das hätte man
nie und nimmer geschafft. Derzeit kämpft
man mit dem Bau des Fußballstadions, der
hoffnungslos hinterherhinkt. Statt sich den
internen Missständen zu widmen, ist
Südafrika viel zu sehr damit beschäftigt, nach
außen hin hektisch internationale Standards
zu demonstrieren und darüber den eigenen
monströsen Minderwertigkeitskomplex zu
kaschieren. Hauptsache, der Schein wird
gewahrt.
Ich hatte Sie eingangs nach Fotos von
Mandela gefragt, die Sie nicht realisieren
konnten. Fallen Ihnen andererseits Bilder
ein, die Sie im Rückblick lieber nicht
geschossen hätten? Beziehungsweise lieber
anders?
Nein. (lacht) Wenn ich etwas bereue, dann
tatsächlich eher Versäumnisse. Sehen Sie,
wenn einem hinterher auffällt, dass man Teil
einer politischen und sozialen Situation war,
ohne deren Tragweite zu spüren – das tut
schon weh. Aber oft kann man das in dem
Moment gar nicht abschätzen. Auf unzähligen
Kontaktbögen werden Sie Bilder finden, die je
nach vorherrschendem Zeitgeist wichtiger
gewesen wären als jene, die jeweils tatsächlich
ausgewählt und abgedruckt wurden. Darin
liegt das unauflösliche Dilemma eines jeden
Reportagefotografen. :::
Heute und gestern: Zweimal
Südafrika von Jürgen Schadeberg
Zwei Bildbände geben einen hervorragenden Einblick in Schadebergs faszinierende Innensichten des Lebens am Kap: Während
das jüngst mit dem Deutschen Fotobuchpreis geadelte und in
Schwarzweiß gehaltene „Jürgen Schadeberg“ (Hatje Canz, 58 Euro) die besten Bilder des Fotografen aus
den Tagen der Apartheid vorstellt, widmet sich „Tales From Jozi“ (Protea Boekhuis, zu beziehen über Galerie Seippel, Köln; Preis auf Anfrage) dem Ist-Zustand des Landes. In grellbunten, manchmal schockierenden
Farben wird der Alltag eines an den Rand der Gesellschaft gedrängten, noch immer bettelarmen Teils der
farbigen Bevölkerung portraitiert – geprägt von Gewalt, Provisorien und einem unerschütterlichen Galgenhumor. Hier wie dort regiert Jürgen Schadebergs sezierender, dabei stets teilnahmsvoller Blick.
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