d1295618584Tragisches Schicksal nach Hirntumor

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d1295618584Tragisches Schicksal nach Hirntumor
Tragisches Schicksal nach Hirntumor-Operation
Im Januar 2009 musste sich Frau H.
wegen eines Hirntumors in Spitalbehandlung begeben. Weil der Tumor
wuchs, plante man vor dem eigentlichen operativen Eingriff den künstlichen Verschluss eines Blutgefässes
(Embolisation) um die Gefahr einer
Blutung zu verringern.
Unerwartete Komplikation
Als Frau H. nach der Operation erwachte, war sie auf einem Auge
blind. Was genau passiert war, blieb
offen. Frau H., Mutter von zwei kleinen Kindern, war ausser sich vor
Entsetzen, Fassungslosigkeit, aber
auch Wut über ihr tragisches
Schicksal. Vor allem auch, weil sie
niemals mit einer solchen Komplikation gerechnet hatte. Sie war überzeugt, dass ihre Erblindung die Folge eines Ärztefehlers sein musste.
Bleibender Gesundheitsschaden
Diese Überzeugung führte Frau H.
einige Monate später zum ersten
Mal an die Patientenstelle. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich ihr Gesundheitszustand weitgehend stabilisiert. Der Tumor war erfolgreich
operiert worden, die Erblindung aber
blieb. Mit Folgen, die sich massiv auf
die Lebensqualität auswirken: Frau
H. konnte Ihre Berufstätigkeit nicht
mehr aufnehmen und geriet zusehends in finanzielle Schwierigkeiten.
Sie litt an ihrem Schicksal und ihrer
Ohnmacht und war sichtlich verzweifelt. Sie erklärte uns, dass Sie vom
Arzt nicht über diese Komplikationen
aufgeklärt worden sei und äusserte
die Vermutung, dass dem behandelnden Arzt bei der Embolisation
ein Fehler unterlaufen sei.
Abklärung schafft Klarheit
Zur Abklärung forderten wir das Patientinnendossier von Frau H. an.
Die Sachlage liess uns von einer
mangelhaften Aufklärung ausgehen.
Im Falle einer Verletzung der Aufklärungspflicht muss der Arzt glaubhaft
machen bzw. beweisen, dass er die
Patientin vor dem Eingriff über mögliche Komplikationen aufgeklärt hatte. Ein schriftliches Aufklärungsprotokoll fehlte im uns zugestellten Patientinnendossier, jedoch hatte der
behandelnde Arzt im Operationsbericht festgehalten, dass er Frau H.
über mögliche Komplikationen aufgeklärt habe. Er machte sogar einen
Hinweis, dass Zeugen beim Aufklärungsgespräch anwesend gewesen
seien.
Frau H. jedoch bestritt, dass ein solches Aufklärungsgespräch stattgefunden habe. Somit stand Aussage
gegen Aussage.
Ungeklärte Ursache
Unklar war auch die Ursache der
Erblindung. Wir waren bereits an die
Haftpflichtversicherung gelangt, die
jedoch eine Haftung ablehnte. Frau
H. drängte nun auf ein Gutachten.
Wir jedoch erachteten eine Zweitmeinung als nächsten und am ehesten zielgerichteten Schritt, und so
stellten wir einem Spezialisten die
relevanten Fragen. Dabei ging es
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uns primär um die Klärung, ob mit
einem Gutachten die Ursache für die
Erblindung festzustellen wäre, und
ob damit Frau H. die medizinische
Sachlage verständlich gemacht werden könnte. Die Antworten des Spezialisten auf unsere Fragen zeigten
eindeutig, dass ihr ein Gutachten die
gewünschte Klärung nicht bringen
konnte. Zudem mussten wir davon
ausgehen, dass das Gutachten nicht
zugunsten von Frau H. ausgefallen
wäre. Auch die Kosten-NutzenÜberlegungen wären zu ihren Ungunsten ausgefallen. Ein kostengünstiges Gutachten bei der FMHGutachterstelle hätten wir nicht machen lassen können, weil diese einerseits bei Vorliegen von Komplikationen keine Beurteilung vornimmt
und andererseits in der Zu- oder
Absage einer Begutachtung frei ist.
(Vgl. Bulletin Nr. 62, S. 23)
Tipp:
Als Vorbereitung vor einem Eingriff empfehlen wir Ihnen unser
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(Bitte senden Sie uns ein an Sie
adressiertes und frankiertes C5Couvert.)
Bestätigte Vermutung
Hingegen klärten die Antworten des
Spezialisten die Ursache der Erblindung. Mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit müssen wir davon ausgehen, dass es während der
Embolisation zu einer „Verschlep6 / Bulletin 63
pung“ von körpereigenen Materialteilchen in das rechte Auge gekommen war, was zur Erblindung führte.
Es handelte sich also um eine
schwerwiegende Komplikation mit
gravierenden Folgen für die Patientin. Folglich gingen wir in unserer
Beurteilung nicht von einer beweisbaren Sorgfaltspflichtverletzung aus,
sondern von den offenen Fragen
rund um die Aufklärung. Wir mussten davon ausgehen, dass diese
nicht umfassend und verständlich
erfolgte. Folglich musste Frau H. zu
keinem Zeitpunkt mit einer so dramatischen Komplikation rechnen.
Schliesslich muss in die Beurteilung
der gesamten Behandlung miteinbezogen werden, dass Frau H. aus
medizinischer Sicht keine andere
Wahl hatte als sich wie durchgeführt
behandeln zu lassen.
Unbefriedigender Abschluss
Wir gelangten nochmals an die
Haftpflichtversicherung mit dem Ziel,
die Situation für Frau H. erträglicher
zu machen. Wir erreichten, dass sich
die Verantwortlichen des Spitals
bereit erklärten, Frau H. mit einem
einmaligen finanziellen Beitrag zu
unterstützen.
Leider konnte Frau H. dieses kulante
Angebot nicht annehmen. Sie war,
trotz aller Abklärungen und Begründungen, der tiefen Überzeugung, der
Arzt habe einen Fehler gemacht und
müsse dafür bezahlen. Ihre Vorstellung von der Höhe der finanziellen
Entschädigungen war – wie in solchen Situationen nicht selten – weit
von der Realität entfernt. Schliesslich war sie derart in ihren Gefühlen
gefangen, dass sie auch uns mit
heftigen Worten beschuldigte, auf
der Seite des Arztes zu stehen. Ihr
Denken war bestimmt von ihrem
Anspruch auf Wiedergutmachung.
Genugtuung. Deshalb konnten auch
ihr Hausarzt und ihre Bezugspersonen sie bei ihrem Umgang mit der
Teilerblindung nicht unterstützen.
Ohnmacht – ein bekanntes Gefühl
Auch uns verlangen solche schwierige Situationen einiges ab. Wenn
uns betroffene Personen auch noch
die Schuld an ihrem schweren
Schicksal zuweisen, können wir keine Unterstützung mehr bieten.
Wenn eine schwerwiegende Komplikation eintritt, können wir im besten
Fall eine Kulanzzahlung aus einem
Fonds erwirken. Wenn aber eine
Sorgfaltspflichtverletzung
vorliegt,
die wir nicht beweisen können, stossen auch wir an Grenzen: Jene der
Rahmenbedingungen, welche die
Gesetze vorgegeben. Um in solchen
Fällen unserer eigenen Ohnmacht
etwas entgegen zu setzen, hilft uns
oft nur ein noch stärkeres Engagement, ein politischer Vorstoss oder
ein Erfolgserlebnis.
Film: Totschweiger - Wenn Ärzte Fehler machen
Im ersten deutschen Fernsehen
ARD wurde Mitte November eine
exzellente Dokumentation über Patientensicherheit und Fehler in der
Gesundheitsversorgung
ausgestrahlt. Der Film behandelt die meis-
ten wichtigen Themen der Patientensicherheit. Neben dem dokumentarischen Aspekt hat der Film hohen
edukativen und motivatorischen
Wert. Eindrücklich und professionell
gestaltet, ist er differenziert und packend zugleich – also sehr sehenswert!
Der
link
zum
Film
online:
http://mediathek.daserste.de/daserst
e/servlet/content/5839814
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