Fallsammlung - Universität Zürich

Transcrição

Fallsammlung - Universität Zürich
Prof. Dr. Giovanni Biaggini
Universität Zürich
Prof. Dr. Daniel Moeckli
HS 2012
_____________________________________________________________________________
Übungen im Öffentlichen Recht II
Mit Besuch am schweizerischen Bundesgericht (Lausanne)
Gruppe A–C und N–P
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Jeweils Montag, 16.15–18.00 (Gruppe A–C) bzw. Dienstag, 16.15–18.00 (Gruppe N–P)
Datum
17./18. September
Fall
1
24. September
Dozent
Abgabetermin
Biaggini
Vorbesprechung des Falls, der am 10. Oktober 2012 am Bundesgericht
behandelt wird (16.15–18.00), für alle Gruppen gemeinsam*
1./2. Oktober
2
Moeckli
8./9. Oktober
3
Biaggini
15./16. Oktober
4
Moeckli
22./23. Oktober
5
Biaggini
29./30. Oktober
6
Biaggini
5./6. November
7
Biaggini
12./13. November
8
Moeckli
19./20. November
9
Moeckli
26./27. November
10
Moeckli
3./4. Dezember
11
Biaggini
10./11. Dezember
12
Moeckli
17./18. Dezember
13
Biaggini
5. Oktober 2012 (Poststempel)
9. November 2012 (Poststempel)
*Bemerkung: Am Mittwoch, 10. Oktober 2012, wird für alle Übungsgruppen gemeinsam ein
Besuch am schweizerischen Bundesgericht in Lausanne organisiert. Es wird ein Fall verhandelt, der vor dem Besuch in einer Doppelstunde – am Montag, 24. September, 16.15–18.00 –
sämtlichen Gruppen gemeinsam von einem Vertreter des Bundesgerichts vorgestellt werden
wird. Die Anmeldung zum Besuch ist ab Anfang September 2012 gemäss den Angaben auf der
Homepage des Lehrstuhls Gächter möglich (www.rwi.uzh.ch/gaechter)
Prof. Biaggini / Prof. Moeckli
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Allgemeine Hinweise zu den Übungen im Öffentlichen Recht II
1. Vorbereitung der Übungen
Es wird erwartet, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf jede Übungsstunde vorbereiten (Analyse des Sachverhalts, Erstellen einer Problemliste, Orientierung über die massgebenden Normen und Prinzipien).
Die für die Falllösung erforderlichen Erlasse, insbesondere BV, EMRK und BGG, sind jeweils
mitzubringen (Hilfsmittel: GIOVANNI BIAGGINI / BERNHARD EHRENZELLER [Hrsg.], Studienausgabe Öffentliches Recht, 5. Aufl., Zürich 2011; alternativ: PETER HÄNNI / EVA MARIA BELSER /
BERNHARD WALDMANN [Hrsg.], Öffentliches Recht I, 2. Aufl., Basel 2012, und TOBIAS JAAG /
JULIA HÄNNI [Hrsg.], Öffentliches Recht II, 2. Aufl., Basel 2012).
2. Schriftliche Bearbeitung
Die Fälle 5 und 10 können schriftlich bearbeitet werden. Die schriftlichen Arbeiten sind bis zum
jeweils angegebenen Abgabetermin (Datum des Poststempels) mit A-Post (nicht eingeschrieben)
und zusätzlich per E-Mail (Betreff: „Fallbearbeitung HS 2012“; Datei im Word-Format als Anhang) an den zuständigen Dozenten unter folgender Adresse zu senden:
Lehrstuhl Biaggini
„Fallbearbeitung HS 2012“
RWI / Freiestrasse 15
8032 Zürich
[email protected]
Lehrstuhl Moeckli
„Fallbearbeitung HS 2012“
RWI / Rämistrasse 74/50
8001 Zürich
[email protected]
Achtung: Halten Sie sich beim Besuch der Übungen und insbesondere bei der Fallbearbeitung,
an die alphabetische Gruppeneinteilung. Fallbearbeitungen von Angehörigen einer anderen
Übungsgruppe werden weder korrigiert noch bewertet.
Die korrigierten Arbeiten sind anlässlich der mündlichen Besprechung des betreffenden Falles
abzuholen.
Für die schriftliche Fallbearbeitung ist die nachfolgende Anleitung für die Bearbeitung von
Übungsfällen im Öffentlichen Recht II zu beachten.
2
Prof. Biaggini / Prof. Moeckli
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Anleitung für die Bearbeitung von Übungsfällen
im Öffentlichen Recht II
Formelles
1.
Die Abgabefristen sind genau einzuhalten (massgebend sind Poststempel und E-MailVersanddatum). Verspätet eingereichte Arbeiten werden nicht korrigiert, ebenso wenig
Arbeiten von Studierenden, die nicht zu der betreffenden Gruppe (Anfangsbuchstabe des
Nachnamens: A-C und N-P) gehören.
2.
Geben Sie auf dem Deckblatt Name, Vorname, Matrikelnummer, Adresse, Semesterzahl
und Titel der Veranstaltung (Übungen im Öffentlichen Recht II HS 2012, Prof. ..., Fall Nr.
...) an. Bringen Sie einen entsprechenden Hinweis an, falls Sie fremder Muttersprache sind.
3.
Die Arbeit soll höchstens 10 Druckseiten (Verzeichnisse nicht mitgezählt) bei mittlerem
Zeilenabstand und Schriftgrösse 12 pt umfassen. Lassen Sie rechts einen mindestens 5 cm
breiten Rand für Korrekturbemerkungen frei. Achten Sie auf ein leserfreundliches Layout.
4.
Der Sachverhalt ist nicht abzuschreiben; der abgegebene Text (oder eine Fotokopie desselben) soll jedoch der Arbeit beigeheftet werden.
5.
Die Ausführungen sind durch Hinweise auf die massgebenden Entscheidungen und Publikationen zu belegen (Dies gilt natürlich nicht für allgemein Bekanntes sowie für die eigenen fallbezogenen Folgerungen). Die Fundstellen sind in Fussnoten anzuführen. Diese beginnen mit einem Grossbuchstaben und enden mit einem Punkt.
6.
Alle zitierten Werke sind im – alphabetisch geordneten – Literaturverzeichnis aufzuführen
(jeweils neueste Auflage!). Anzugeben sind Verfasser/-in (Name, Vorname), Titel, Erscheinungsort und -jahr (für Beiträge in Zeitschriften, Sammelbänden, Kommentaren usw.
gelten spezielle Regeln). In den Fussnoten verweist man auf den oder die Autor/in sowie
auf die Seitenzahl, gegebenenfalls auf die Randziffer (Rz.) oder Note (N). Werden mehrere
Werke desselben Autors/derselben Autorin zitiert, so ist jedes Werk in den Fussnoten mit
einem Stichwort zu kennzeichnen, das im Literaturverzeichnis sowie in den Fussnoten jeweils anzugeben ist (z.B.: HANGARTNER, Grundzüge, 17; HANGARTNER, Überprüfung, 22).
7.
Die Sprache soll einfach, klar und fehlerfrei sein. Einen guten Begründungsstil finden
Sie in den Entscheidungen des Bundesgerichts, deren regelmässige Lektüre auch aus diesem Grund zu empfehlen ist. Arbeiten, die den minimalen Anforderungen an eine korrekte
Sprache nicht entsprechen, werden nicht korrigiert.
8.
Fallbearbeitungen sind selbständig auszuarbeiten. Die Erörterung von Problemen mit
Kommilitoninnen und Kommilitonen vor der Niederschrift kann sinnvoll sein, darf Sie
aber nicht von der eigenen Denk- und Recherchierarbeit abhalten. Die gemeinsame Abfassung des Textes ist unzulässig. Nicht selbst verfasste Arbeiten werden nicht korrigiert und
können ein Disziplinarverfahren der Universität nach sich ziehen (vgl. § 7 Bst. a der Disziplinarordnung der Universität Zürich vom 17. Februar 1976; § 36 der Rahmenordnung
vom 24. Oktober 2005). Es ist unzulässig, fremde Gedanken als eigene auszugeben (vgl.
Merkblatt zum richtigen Zitieren und zur Vermeidung von Plagiaten vom 7. Februar 2007,
www.ius.uzh.ch/rsjur/Loseblattsammlung/4.1.4_MB_Zitieren_Plagiate.pdf, Ziff. 2).
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9.
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Am Schluss der Arbeit ist folgende persönliche Erklärung abzugeben, mit der bezeugt
wird, dass die Arbeit eigenständig verfasst wurde:
"Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbständig und nur unter
Zuhilfenahme der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten Quellen angefertigt habe. Ich versichere zudem, diese Arbeit nicht bereits anderweitig als Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate unter Einsatz entsprechender Software darf vorgenommen werden.
Ort, Datum:
Unterschrift:
"
Methodisches Vorgehen bei der schriftlichen Fallbearbeitung
1.
Zunächst ist der Sachverhalt sorgfältig zu analysieren. Welche Personen sind beteiligt?
Was hat sich ereignet? Wo stehen wir jetzt? Was steht fest? Welche Behauptungen werden
aufgestellt? Diese Analyse soll in der Arbeit nicht wiedergegeben werden. Wenn die Angaben im Sachverhalt nicht in jeder Hinsicht vollständig sind, so kann es erforderlich sein,
Annahmen zu treffen oder mit Varianten zu arbeiten. Dies ist in der Arbeit zu vermerken.
2.
Es ist unerlässlich, die in der Aufgabe gestellten Fragen genau zu beachten.
3.
Es empfiehlt sich, eine Problemliste zu erstellen, die in der Arbeit nicht wiederzugeben
ist. Schreiben Sie alle Rechtsfragen auf, die sich im Zusammenhang mit dem Fall ergeben.
Ordnen Sie hierauf alle für den Fall wesentlichen Fragen nach ihrem logischen Zusammenhang. Daraus ergibt sich der Aufbau der Arbeit.
4.
Sodann sind die auf den Fall anwendbaren Rechtsnormen zu ermitteln (BV, BG, Verordnungen usw.) und die einschlägigen Entscheidungen und wissenschaftlichen Publikationen zusammenzutragen.
5.
Die einzelnen Kapitel der Arbeit sind in der Regel mit Titeln und Ziffern zu versehen
(ohne es zu übertreiben!). Die Ausführungen sind auf die gestellten Fragen hin auszurichten. Ausführungen, die zur Lösung des Falles nichts beitragen, interessieren nicht. Die
„Patchwork-Technik“ (blosses Aneinanderreihen übernommener Sätze) ist verpönt!
6.
Beispiele von Fallbearbeitungen sowie methodische Hinweise finden sich in der Fallsammlung Öffentliches Recht, hrsg. von Markus Schott und Stefan Vogel, 3. Aufl., Zürich
2007. Wertvolle Ratschläge und Hinweise für das methodische Vorgehen und die formelle
Gestaltung von Fallbearbeitungen enthält das Werk von Peter Forstmoser/Regina
Ogorek/Hans-Ueli Vogt, Juristisches Arbeiten, 4. Aufl., Zürich 2008.
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Fall 1 „Das Klavierlehrerdiplom“ (Prof. Biaggini)
Schon seit Kindertagen ist es der innigste Wunsch von F., Klavierlehrerin zu werden. Zu diesem Zweck
belegt sie für 4 Jahre den Studiengang I (Lehrdiplom) der Berufsklasse der Musikhochschule am Konservatorium des Kantons X. Im April 2009 besteht sie die sog. Ausscheidungsprüfung, welche sie zur Anmeldung für die Abschlussprüfung zur Erlangung des Klavierlehrerdiploms berechtigt. Die Abschlussprüfung – in Gestalt eines öffentlichen Klaviervortrags – wird auf den 18. Juni 2009 festgesetzt. Schon vor
der Prüfung ist F. ziemlich aufgeregt. Während des Klaviervortrags befindet sie sich im Zustand eines
offensichtlichen Unwohlseins und einer emotionalen Blockade. In der Folge besteht F. die Abschlussprüfung nicht.
Die dreiköpfige Prüfungskommission beschliesst in der Folge, dass F. die Abschlussprüfung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wiederholen dürfe. Am 12. Oktober 2009 besteht F. die Wiederholungsprüfung,
was ihr durch Aushändigung des von der Kommission unterzeichneten Prüfungsprotokolls mitgeteilt
wird. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 wird ihr schriftlich bestätigt, dass sie die Ausbildung zum
Lehrdiplom erfolgreich bestanden habe.
Der Direktor des Konservatoriums, welcher der dreiköpfigen Prüfungskommission nicht angehört hat,
entdeckt bei der Durchsicht der Prüfungsprotokolle, dass die Wiederholungsprüfung von F. ohne Publikum stattgefunden hat. Am 27. November 2009 stellt er bei der für die Ausstellung der Diplome zuständigen Direktion für Erziehung, Kultur und Sport des Kantons X. (EKSD) den Antrag, dass F. kein Diplom auszustellen sei, da der Klaviervortrag nicht öffentlich erfolgt sei.
Am 8. März 2010 verweigert die EKSD die Ausstellung des Diploms mit derselben Begründung.
Die von F. beim dafür zuständigen kantonalen Verwaltungsgericht erhobene Beschwerde wird abgewiesen. F. gelangt ans Bundesgericht und verlangt die Ausstellung des Diploms.
Frage:
Wie hat das Bundesgericht zu entscheiden?
[Gehen Sie davon aus, dass F. die Voraussetzungen betreffend Frist, Form usw. erfüllt und die
nötigen Rügen erhoben hat und dass das kantonale Recht keine ausdrückliche Regelung über
den Widerruf von Verfügungen enthält.]
Verordnung vom 5. April 1995 über die Prüfungen am Konservatorium (PrVK), Auszug
Art. 40
Öffentlichkeit der Prüfungen
Die Abschlussprüfungen der Studiengänge I, II und IV finden öffentlich statt.
Art. 42
Ergebnis der Prüfung
1
Die Prüfungskommission entscheidet über Erfolg oder Misserfolg an der Prüfung. Sie trifft ihren Entscheid
hauptsächlich aufgrund der technischen und künstlerischen Qualität des Vortrags.
2
Wer die Prüfung nicht bestanden hat, kann bei der darauf folgenden Prüfungssession noch einmal zur Prüfung
zugelassen werden. Der erneute Misserfolg ist definitiv.
Art. 44
Diplom
Das Diplom wird der Kandidatin oder dem Kandidaten erteilt, die oder der die Abschlussprüfung bestanden hat.
Das Diplom wird von der EKSD ausgestellt.
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Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Fall 2 „Erfrischungsgetränk“ (Prof. Moeckli)
Auf Gesuch hin erteilte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Fresh Foods AG am 1. Mai 2004 die
Bewilligung, ein Erfrischungsgetränk mit dem Namen KOMBUCHA Tea Drink auf den Markt zu bringen.
Es handelt sich dabei um einen Aufguss aus Kräutertee, Sacharose, Hefekulturen und Milchsäurebakterien. Bei der Herstellung von KOMBUCHA Tea Drink wird der gesüsste Teeaufguss mit dem KombuchaPilz einer Vergärung unterzogen, wonach organische Säuren und Enzyme nachgewiesen werden können,
die in einem normalen, mit Wasser erzeugten Teeaufguss nicht enthalten sind. Die Bewilligung wurde
gemäss der damals geltenden Lebensmittelverordnung (siehe heute Art. 5 Abs. 3 LGV) auf 10 Jahre befristet. Dem BAG war bei Bewilligungserteilung bewusst, dass der Kombucha-Pilz vorwiegend in der
Volksheilkunde, zur Behandlung fast aller Unpässlichkeiten und Erkrankungen, eingesetzt wird. Unter
Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 2 Lebensmittelgesetz (LMG) hielt es aber fest, dass der Lebensmittelcharakter einen allfälligen Charakter als Naturheilmittel überwiege und der KOMBUCHA Tea Drink somit nicht unter die Heilmittelgesetzgebung falle.
Einige Zeit später gelangte die Smart Foods AG mit dem Gesuch an das BAG, ein gleich konzipiertes
Produkt mit der Bezeichnung Crazy KOMBUCHA vertreiben zu dürfen. Das Gesuch wurde im Winter
2010 bewilligt. Zur Markteinführung führte die Smart Foods AG einen breit angelegten Werbefeldzug,
wobei der Slogan „Crazy KOMBUCHA reinigt und erfrischt Deinen Körper und Deine Seele“ verwendet
wurde. Auf der Verpackung und in Werbeinseraten wurde zudem folgender Text angebracht:
„KOMBUCHA kannte man schon in der Tsin-Dynastie (221 v. Chr.). Diesem jahrtausendealten
Naturgetränk werden wahre Wunderdinge nachgesagt. Aber nicht nur das – Crazy KOMBUCHA
schmeckt auch köstlich. Das Wichtigste ist jedoch der Beitrag, den KOMBUCHA zum Wohlbefinden leisten kann. Auch heutige Erkenntnisse bestätigen die positive Wirkung von KOMBUCHA
auf die Darmfunktion und die körpereigenen Abwehrkräfte.“
Diese Werbung veranlasste das BAG, der Fresh Foods AG und der Smart Foods AG mit gleichlautender
Verfügung vom 7. September 2012 die Bewilligung für den Vertrieb ihrer Produkte unter der Sachbezeichnung KOMBUCHA zu entziehen.
Zur Begründung führte das BAG aus, dass mit den betroffenen Getränken der Eindruck einer vorbeugenden, behandelnden oder heilenden Wirkung verbunden werde, was Art. 10 Abs. 2 Bst. c LGV widerspreche. Es müsse davon ausgegangen werden, dass seitens der Konsumentinnen und Konsumenten eine heilende Wirkung erwartet werde und demnach sowohl die Bezeichnung wie auch diverse Angaben auf der
Packung Anlass zur Täuschung gäben.
Die frühere Auffassung des BAG, wonach der Lebensmittelcharakter den Heilmittelcharakter überwiege,
sei durch die Werbekampagne überholt. Aus heutiger Sicht könne das Produkt nicht als Lebensmittel
zugelassen werden, da es in der Werbung als Volks- oder Naturheilmittel angepriesen und von den Konsumentinnen und Konsumenten höchstwahrscheinlich als solches verwendet werde. Der Fresh Foods AG
könne die Werbekampagne zwar nicht angelastet werden, doch sei die Täuschungsgefahr bei ihrem Produkt ebenfalls gegeben. Zudem müsse das BAG alle Hersteller von Kombucha-Getränken gleich behandeln. Das öffentliche Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts sei vorliegend so
gewichtig, dass die Bewilligungen widerrufen werden müssten.
Die Fresh Foods AG und die Smart Foods AG sind der Ansicht, der nachträgliche Widerruf der Bewilligung lasse sich nicht rechtfertigen. Sie machen geltend, die Bewilligung sei auf Grund einer allseitigen
Prüfung und Abwägung der in Betracht kommenden Interessen erteilt worden. Die Fresh Foods AG
bringt zudem vor, sie habe mehr als acht Jahre lang ununterbrochen und korrekt von der Bewilligung
Gebrauch gemacht.
Weiter zeigten sich die beiden Getränkehersteller überrascht, dass sie vor Erlass der Verfügung nicht
angehört wurden. Sie sehen darin eine Verletzung ihres Anspruchs auf vorgängige Anhörung.
Herr Stark, der von der gesundheitsfördernden Wirkung von KOMBUCHA überzeugt ist und täglich
KOMBUCHA Tea Drink konsumiert, hat durch die Presse vom Entscheid des BAG erfahren. Besorgt um
seine Gesundheit, ist er ebenfalls gewillt, rechtliche Schritte gegen die Verfügung einzuleiten.
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Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Frage 1: Mit welchem Rechtsmittel kann die Widerrufsverfügung des BAG angefochten werden? Wie
sind die formellrechtlichen Fragen zu beurteilen?
Frage 2: Wird die Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, zur Gutheissung der Beschwerde
führen?
Frage 3: Wie ist der Widerruf der Bewilligung materiellrechtlich zu beurteilen?
Frage 4: Kann ein negativer Beschwerdeentscheid beim Bundesgericht angefochten werden?
Rechtsgrundlagen
Lebensmittelgesetz (LMG, SR 817.0)
Art. 3 Lebensmittel
1
Lebensmittel sind Nahrungs- und Genussmittel.
2
Nahrungsmittel sind Erzeugnisse, die dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen und nicht
als Heilmittel angepriesen werden.
[…]
Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV, SR 817.02)
2. Kapitel, 1. Abschnitt: Zulässige Lebensmittel
Art. 4 Umschriebene Lebensmittel
1
Zulässig sind folgende Arten von Lebensmitteln:
[…]
q.
2
3
alkoholfreie Getränke (insbes. Tee, Kräutertee, Kaffee, Säfte, Sirupe, Limonaden); […]
Das EDI:
a.
umschreibt die einzelnen Arten von Lebensmitteln und bestimmt die Sachbezeichnungen;
b.
legt die Anforderungen an die zulässigen Lebensmittel fest;
c.
legt fest, welche Tierarten zur Lebensmittelgewinnung zugelassen sind.
Zulässig sind auch Mischungen und Zubereitungen aus Lebensmitteln nach Absatz 2.
Art. 5 Nicht umschriebene Lebensmittel
1
Lebensmittel, welche nicht vom EDI umschrieben sind, bedürfen der Bewilligung durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).
2
Die Bewilligung wird nur an Personen mit Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung in der Schweiz erteilt. Auswärtige Gesuchstellende müssen in der Schweiz eine Vertretung bestellen, welche um die Bewilligung nachzusuchen
und die Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften zu übernehmen hat.
3
Die Bewilligung ist auf höchstens zehn Jahre zu befristen. Sie kann erneuert werden. Sie erlischt, wenn das Lebensmittel vom EDI umschrieben wird oder wenn vor Ablauf der Bewilligungsfrist kein Gesuch um Erneuerung
eingereicht wird.
4
Das BAG kann die Bewilligung widerrufen, wenn die Voraussetzungen, unter denen sie erteilt worden ist, nicht
mehr erfüllt sind. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine
Gesundheitsgefährdung oder eine Täuschung der Konsumentinnen und Konsumenten nicht ausgeschlossen werden
kann.
5
Ein nach Absatz 1 bewilligtes Lebensmittel darf als Zutat in einem zusammengesetzten Lebensmittel nach Artikel
4 Absatz 3 eingesetzt werden. Bewilligungsauflagen gelten für das zusammengesetzte Lebensmittel sinngemäss.
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HS 2012
Art. 6 Bewilligungsverfahren
1
Bei der Beurteilung prüft das BAG die Zusammensetzung, den Verwendungszweck und die Kennzeichnung des
Lebensmittels. Es berücksichtigt dabei internationale Normen und ausländische Gesetzgebungen.
2
Das BAG kann die Bewilligung davon abhängig machen, dass die Gesuchstellenden auf ihre Kosten ein Gutachten
vorlegen, das dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht und den Nachweis erbringt, dass das betreffende
Produkt gesundheitlich unbedenklich und zweckmässig zusammengesetzt ist und die angegebenen Eigenschaften
aufweist. Es kann nach Absprache mit den Gesuchstellenden auf deren Kosten externe Expertinnen und Experten
beiziehen und weitere Beurteilungsgrundlagen (z.B. einen Analysenbericht) verlangen.
3
Es setzt mit der Bewilligung die Sachbezeichnung fest und teilt dem Lebensmittel eine Bewilligungsnummer zu.
Diese ist auf der Packung oder Etikette anzugeben.
4
Es veröffentlicht im Schweizerischen Handelsamtsblatt und im Internet periodisch eine Liste der neu bewilligten
Lebensmittel.
Art. 10 Täuschungsverbot
1
Für Lebensmittel verwendete Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen, Umhüllungen, Verpackungen, Umhüllungsund Verpackungsaufschriften, die Arten der Aufmachung und die Anpreisungen müssen den Tatsachen entsprechen
beziehungsweise dürfen nicht zur Täuschung namentlich über Natur, Herkunft, Herstellung, Produktionsart, Zusammensetzung, Inhalt und Haltbarkeit der betreffenden Lebensmittel Anlass geben.
2
Verboten sind insbesondere:
a.
Angaben über Wirkungen oder Eigenschaften eines Lebensmittels, die dieses nach dem aktuellen
Stand der Wissenschaft gar nicht besitzt oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind;
b.
Angaben, mit denen zu verstehen gegeben wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften
besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften aufweisen; erlaubt sind Hinweise auf:
1.
die für eine Lebensmittelgruppe geltenden Vorschriften (z. B. betreffend umweltgerechter
Produktion, artgerechter Tierhaltung oder Lebensmittelsicherheit),
2.
aufweisen;
Eigenschaften, welche die einer bestimmten Lebensmittelgruppe zugehörenden Produkte
c.
Hinweise irgendwelcher Art, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung
oder Heilung einer menschlichen Krankheit oder als Schlankheitsmittel zuschreiben oder die den Eindruck entstehen
lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind; erlaubt sind Hinweise auf die Wirkung von Zusätzen essenzieller
oder ernährungsphysiologisch nützlicher Stoffe zu Lebensmitteln aus Gründen der Volksgesundheit (Art. 18);
d.
Aufmachungen irgendwelcher Art, die einem Lebensmittel den Anschein eines Heilmittels geben;
e.
Angaben, welche darauf schliessen lassen, dass ein Lebensmittel einen Wert hat, welcher über
seiner tatsächlichen Beschaffenheit liegt;
f.
Angaben oder Aufmachungen irgendwelcher Art, die zu Verwechslungen mit Bezeichnungen
führen können, die nach der GUB/GGA-Verordnung vom 28. Mai 1997, nach einer analogen kantonalen Gesetzgebung oder nach einem völkerrechtlichen Vertrag mit der Schweiz geschützt sind;
g.
bei alkoholischen Getränken: Angaben, die sich in irgendeiner Weise auf die Gesundheit beziehen;
h.
bei bewilligungspflichtigen Produkten: Hinweise mit Werbecharakter auf die durch das BAG
erteilte Bewilligung.
3
Das EDI regelt die Grenzen zulässiger Anpreisungen.
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Fall 3 „Schulbus“ (Prof. Biaggini)
Familie X. wohnt im abgelegenen Ortsteil T. der ländlichen Gemeinde F. Vater A.X. bewirtschaftet 7
Tage in der Woche seinen Bauernhof und ist regelmässig mit dem Traktor unterwegs. Mutter B.X. unterstützt ihren Mann bei der Arbeit und besorgt den Haushalt. Sohn C. besucht die 2. Klasse der Primarschule. Tochter D. absolviert im selben Schulhaus das zweite, obligatorische Kindergartenjahr. Der Schulweg
beträgt rund 3,5 km. Er führt über eine schmale und hangseitig grösstenteils ungesicherte Strasse. Es ist
den Kindern unbestrittenermassen nicht zuzumuten, den Schulweg selbstständig zurückzulegen.
Das Ehepaar Y. wohnt im selben Ortsteil, gut 1,5 km vom Hof der Familie X. entfernt. Vater A.Y. arbeitet ganztags 100% in der rund 40 km entfernten Stadt Z. Seine Frau B. geht auswärts einer Teilzeitbeschäftigung im Umfang einer 50%-Stelle nach. Die beiden Kinder des Ehepaars Y. besuchen ebenfalls die
Primarschule in F.
Seit dem Jahr 2008 bietet die Schule im Ortsteil T. einen Bustransport an, wobei der Schulbus wöchentlich 18 Fahrten absolviert, jeweils vier pro Schultag (zweimal hin und zurück), am Mittwoch zwei (nachmittags schulfrei).
Anlässlich seiner Sitzung am 28. September 2010 beschliesst der Schulrat von F. (zuständige Behörde),
den Schulbusbetrieb per zweites Semester des Schuljahres 2010/11 aus Kostengründen neu zu ordnen.
Der Schulratspräsident wird beauftragt, die betroffenen Eltern über die Einschränkung des Transportangebots zu informieren. Am 1. Oktober 2010 findet das als „Einigungsverhandlung“ bezeichnete Gespräch
des Schulratspräsidenten mit den Elternpaaren X. und Y. statt [im Ortsteil T. gibt es keine weiteren betroffenen Familien]. Am 19. Oktober 2010 ergeht eine vom Schulratspräsidenten unterzeichnete Verfügung folgenden Inhalts:
„1. Die Schule der Gemeinde F. übernimmt die Organisation und die Fahrkosten für den Schulbus Ortsteil T. jeweils von Montag bis Freitag um 7.40 Uhr sowie am Mittwoch um 11.30 Uhr. Alle anderen Fahrten hat die Familie X. respektive Familie Y. selbst zu organisieren.
2. Pro Kilometer Fahrweg wird eine Entschädigung von Fr. 1.- ausgerichtet (Fr. 0.75/km für Fahrtkosten, Fr.
0.25/km für Zeitaufwand). Die Familien des Ortsteils T. sind verpflichtet, wenn immer möglich, Fahrgemeinschaften zu bilden.
3. Pro Kind beteiligt sich die Schule mit einem anteilmässigen Beitrag von Fr. 4.- an den Kosten für den Mittagstisch im Schulhaus von F. [die zurzeit Fr. 12.- für das erste, Fr. 10.- für das zweite Kind betragen].“
Die Einwände und Vorschläge der beiden Elternpaare X. und Y. wurden in keinem Punkt berücksichtigt.
Diese fechten die Verfügung an. Nach erfolglosem Durchlaufen des kantonalen Instanzenzuges gelangen
sie je mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie verlangen im
Wesentlichen, die Verfügung vom 19. Oktober 2010 sei für nichtig zu erklären beziehungsweise aufzuheben und der Schulbusbetrieb, wie 2008 eingerichtet, weiterzuführen. Eventualiter sei die Verpflichtung
zur Bildung von Fahrgemeinschaften fallen zu lassen, die Fahrwegentschädigung auf insgesamt Fr. 2./km zu erhöhen und der Mittagstisch-Beitrag auf Fr. 7.-/Tag anzuheben.
Frage:
Wie hat das Bundesgericht in der Sache zu entscheiden?
[Sie dürfen davon ausgehen, dass das Bundesgericht auf die Beschwerden eintritt und dass die
nötigen Rügen erhoben wurden.]
Verordnung des Kantonsrats vom 19. Oktober 2005 über die Volksschule
Art. 8 Abs. 3 [Unentgeltlichkeit]
„Wo den Schülerinnen und Schülern der Schulweg nicht zugemutet werden kann, sorgen die Schulträger auf eigene
Kosten für eine angemessene Fahrgelegenheit.“
Art. 63 Abs. 3 [Aufgaben und Kompetenzen]
„Neben den durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben obliegen dem Schulrat namentlich: […]
d) Entscheid über Schülertransport und Schülerverpflegung.“
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Fall 4 „Lizentiatsprüfung“ (Prof. Moeckli)
Im Zuge der Bologna-Reform wird endlich auch an der Theologischen Fakultät der Universität X das
Lizentiat abgeschafft und durch Bachelor- und Masterstudiengänge ersetzt. Der erste Teil der Lizentiatsprüfung findet zum letzten Mal im Januar 2012 statt, die letzte Repetitionsprüfung im Juli 2012.
Theologiestudent A, der noch nie an einer Lizentiatsprüfung angetreten ist, schliesst nach längeren Diskussionen mit der Universitätsleitung im Dezember 2011 mit der Universität X eine Vereinbarung ab, die
Folgendes besagt:
Ausnahmsweise erhält A die Möglichkeit, im Juli 2012 den ersten Teil der Lizentiatsprüfung erstmalig
abzulegen. Es handelt sich dabei um die letzte Durchführung des ersten Teils der Lizentiatsprüfung. A
erklärt sich damit einverstanden, dass er im Fall des Nichtbestehens keine Repetitionsmöglichkeit hat.
A meldet sich fristgerecht für die Prüfung im Juli an. Anfang Juli 2012 erkrankt A schwer und kann die
Prüfung nicht absolvieren. Deshalb ersucht er, unter Beilage eines ärztlichen Zeugnisses, um die Verschiebung der Prüfung. Die Universität weist das Gesuch mit Hinweis auf die Vereinbarung ab. Ein weiteres Gesuch von A um Ansetzung eines Nachtermins weist die Universität mit Verfügung vom 16. August 2012 ab. Das würde für A bedeuten, dass er gemäss § 67 Abs. 4 der Rahmenordnung für das Studium in den Bachelor- und Masterstudiengängen an der Universität X (RO) sein Studium im 1. Semester
der Assessment-Stufe fortsetzen müsste.
A erhebt gegen die Verfügung der Universität vom 16. August 2012 Rekurs bei der zuständigen Rekurskommission. Diese weist den Rekurs am 20. September 2012 ab. Gegen diesen Entscheid erhebt A Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons X.
Fragen
Wie beurteilen Sie die folgenden Argumente?
1.
A macht geltend, die Vereinbarung mit der Universität und der darin enthaltene Verzicht auf eine
Repetitionsmöglichkeit verstiessen gegen die RO und seien damit ungültig. Dem hält die Universität entgegen, dass sie A mit der Vereinbarung entgegen gekommen sei und dieser sich nun daran halten müsse. Die Vereinbarung besage klar, dass A unter keinen Umständen zu einem weiteren Prüfungstermin zugelassen werden könne.
2.
A macht weiter geltend, dass es ungerecht sei, wenn bei ihm, anders als bei allen anderen Studierenden, bei Krankheit kein Nachtermin möglich sei.
Das Verwaltungsgericht des Kantons X weist die Beschwerde von A ab.
3.
Kann A das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons X an das Bundesgericht weiterziehen?
Prüfen Sie das Vorliegen der Eintretensvoraussetzungen.
4.
Auch die Studentenschaft der Universität X ist mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons X nicht einverstanden und will an das Bundesgericht gelangen. Kann sie das?
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Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Rechtsgrundlagen
Rahmenordnung für das Studium in den Bachelor- und Masterstudiengängen an der Universität X
(gestützt auf das Universitätsgesetz)
§ 66 Inkrafttreten
1
Die vorliegende Rahmenordnung tritt am 1. September 2010 in Kraft.
2
Auf den gleichen Zeitpunkt wird die Promotionsordnung vom 30. August 1994 aufgehoben.
§ 67 Übergangsregelung
1
Soweit Prüfungen noch nach alter Ordnung stattfinden, sind die Bestimmungen der Promotionsordnung vom 30.
August 1994 auf sie anwendbar.
2
Der erste Teil der Lizenziatsprüfung nach alter Ordnung findet letztmals im Januar 2012 statt, die letzte Repetitionsprüfung im Juli 2012.
3
In begründeten Fällen kann die Frist für die Repetitionsprüfung erstreckt werden.
4
Studierende, welche bis zu diesem Termin den ersten Teil der Lizenziatsprüfung nicht bestanden haben, müssen ihr
Studium im 1. Semester des Assessment-Studienganges fortführen.
Promotionsordnung vom 30. August 1994
§3
Jede Prüfungsanmeldung ist verbindlich; eine Verschiebung wird bewilligt bei Vorliegen zwingender, unvorhersehbarer und unabwendbarer Gründe, insbesondere bei Erkrankung.
11
Prof. Biaggini / Prof. Moeckli
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Fall 5 (Prof. Biaggini)
Abgabetermin: 5. Oktober 2012
Der Verein „Pro Asyl“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Schweiz im internationalen Vergleich weiterhin als
„asylfreundliches Land mit einer Perspektive für alle“ zu erhalten. „Pro Asyl“ will im Zusammenhang mit
der beabsichtigten Verschärfung des Asylrechts in der Stadt Z. eine Demonstration durchführen, und zwar
in Form eines Protestmarschs mit anschliessender Platzkundgebung auf dem X-Platz. Insgesamt soll der
Demonstrationszug über eine Distanz von ca. 1.5 km quer durch die Stadt führen. Die zuständige Behörde
bewilligt lediglich eine 90-minütige Platzkundgebung, nicht jedoch den Demonstrationszug durch die
Stadt. Als Grund werden die Interessen der übrigen Nutzer des öffentlichen Raums sowie die Verkehrssicherheit angeführt. Gestützt auf Art. 5 des kantonalen Kundgebungsgesetzes (KgG) wird „Pro Asyl“ aufgefordert, einen angemessenen Ordnungsdienst sicherzustellen und eine Ansprechperson zu bezeichnen.
Der Verein meldet sein Vorstandsmitglied V.
Während der Kundgebung mischen sich vermummte Aktivisten unter die friedliche Versammlung. Nach
dem offiziellen Ende der Kundgebung formiert sich ein Demonstrationszug aus rund 100 Personen, der
sich vom X-Platz weg bewegt, dies auf der ursprünglich geplanten, aber nicht bewilligten Route quer
durch die Stadt. Die vorsorglich aufgebotenen Polizeikräfte versuchen, den Zug zu stoppen, was aufgrund
heftiger Gegenwehr erst nach rund 900 Metern und unter Anwendung von Tränengas gelingt. Ein Polizist
wird am Kopf verletzt. Hauswände, Schaufenster und Autos werden mit Autonomen-Parolen beschmiert
und beschädigt. Zehn Tage später erhält der Verein „Pro Asyl“ das folgende Schreiben der kantonalen
Sicherheitsdirektion (zuständige Behörde):
An den Verein „Pro Asyl“ [Postadresse]
Z., 10.10.2011
Verfügung
Sehr geehrte Damen und Herren
Mit Bewilligung vom 1.9.2011 wurde Ihnen die Erlaubnis erteilt, am 1.10.2011 auf dem X-Platz in Z. eine Platzkundgebung durchzuführen, unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sowie bestimmter Auflagen.
1. Aufgrund der Umstände war zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein ausserordentliches Polizeiaufgebot von 50 Mann erforderlich. Gemäss Regierungsratsbeschluss über die Kostenbeteiligung
bei Veranstaltungen (siehe Beilage) liegt bei ausserordentlichen Polizeiaufgeboten die Beteiligung der Organisatoren bei mindestens 10% und höchstens 80%. Aufgrund der Schwere der Ausschreitungen wird die Kostenbeteiligung auf 30% festgesetzt. Ausgehend von einer Einsatzdauer von 6 Std. und einem Ansatz von CHF 180
pro Mannstunde ergibt sich eine Kostenbeteiligung von CHF 16’500.
2. Des Weiteren wird es dem Verein „Pro Asyl“ sowie den Herren V. und G., gestützt auf Art. 10a KgG, ab dem
Datum der Eröffnung dieser Verfügung bis zum 1.10.2016 untersagt, auf öffentlichem Grund des Kantons K.
Kundgebungen irgendwelcher Art zu veranstalten.
Mit freundlichen Grüssen
Sicherheitsdirektion des Kantons K.: Der Vorsteher […]
Rechtsmittelbelehrung: […]
Beilage: Regierungsratsbeschluss über die Erhebung eines Kostenbeitrags für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bei Veranstaltungen mit Gewaltpotenzial.
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Prof. Biaggini / Prof. Moeckli
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Die Vereinsleitung ist entsetzt, dies nicht nur wegen der aus ihrer Sicht überaus harten „Bewilligungssperre“ (Ziff. 2), sondern auch wegen der völlig überraschenden Auferlegung von Kosten (Ziff. 1).
Frage 1: Hat die Behörde bei der Kostenauferlegung ihre Begründungspflicht erfüllt? [max. 1 Seite]
In der Folge kommt es in der Kostenfrage zu einer gütlichen Einigung. In Sachen „Bewilligungssperre“
(Ziff. 2) beschreiten der Verein „Pro Asyl“ sowie V. und G. den Rechtsweg. Mit den vermummten Aktivisten und dem Demonstrationszug habe man in keiner Weise rechnen müssen. Wegen einer unvorhersehbaren familiären Verpflichtung habe V. die Platzkundgebung kurz vor Schluss verlassen müssen.
Nachdem sich der unbewilligte Demonstrationszug gebildet habe, sei auf Nachfrage der Polizei hin umgehend Geschäftsführer G. in die Rolle der Ansprechperson geschlüpft, der aber bei bestem Willen nichts
mehr habe ausrichten können. – Auf dem kantonalen Rechtsweg haben die drei Beschwerdeführer keinen
Erfolg. Sie gelangen mit Beschwerde ans Bundesgericht und verlangen, die „Bewilligungssperre“ sei
aufzuheben und es sei förmlich festzustellen, dass Art. 10a KgG verfassungswidrig sei.
Frage 2: Ist die Beschwerdelegitimation des Vereins „Pro Asyl“ sowie von V. und von G. zu bejahen?
[Konzentrieren Sie Ihre Ausführungen auf die problematischen Gesichtspunkte (max. 1 Seite).]
Frage 3: Wie stehen vor Bundesgericht die Chancen in Bezug auf die Gutheissung:
a. des Begehrens um Aufhebung der „Bewilligungssperre“?
b. des Begehrens um Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Art. 10a KgG (Sperrfrist)?
[Gehen Sie bei Frage 3 davon aus, dass das Bundesgericht auf die Beschwerde eintritt und dass die nötigen Rügen erhoben wurden. Sie dürfen davon ausgehen, dass ein Eingriff in die Meinungsäusserungsund die Versammlungsfreiheit gegeben ist; nähere Ausführungen zu den grundrechtlichen Schutzbereichen sind daher nicht erforderlich (und werden weder korrigiert noch bewertet). Erörtern Sie alle relevanten Rechtsfragen, unabhängig davon, zu welchem Ergebnis Sie bei einzelnen Prüfschritten gelangen.]
Das Kundgebungsgesetz des Kantons K. vom 26. Juni 2008 enthält folgende Bestimmungen:
Art. 5 Gewährleistung der öffentlichen Ordnung
3
Die Bewilligungsbehörde kann vorschreiben, dass die Kundgebung ausschliesslich an einem zum Voraus definierten Platz stattfindet.
4
Die Bewilligungsbehörde kann vom Gesuchsteller verlangen, dass ein Ordnungsdienst eingerichtet wird.
5
Der Inhaber der Bewilligung oder eine von ihm als verantwortlich bezeichnete Person muss sich während der ganzen Kundgebung zur Verfügung der Polizei halten und sich nach deren Anweisungen richten.
6
Im Falle von Ausschreitungen setzt die Polizei unverzüglich die erforderlichen Mittel ein, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen und um die Störer zu identifizieren. […]
Art. 10 Strafbestimmung
Wer es unterlässt, eine Kundgebungsbewilligung einzuholen, deren Wortlaut missachtet oder sich nicht an die Anweisungen der Polizei hält, wird mit Busse bis zu CHF 100'000 bestraft.
Art. 10a Sperrfrist
Missachtet der Bewilligungsinhaber die ihm auferlegten Bedingungen und Auflagen oder kommt es, auch ohne sein
Zutun, bei der Kundgebung zu schweren Schäden an Personen oder Sachen, so kann die Bewilligungsbehörde dem
Bewilligungsinhaber für einen Zeitraum von 1 bis 5 Jahren jede weitere Bewilligung verweigern.
Das kantonale Polizeigesetz bestimmt:
Art. 62 Kostentragung
Die Organisatoren von Veranstaltungen, die ein erhöhtes Polizeiaufgebot erfordern, können dazu verpflichtet werden, die entstandenen Kosten ganz oder teilweise zu übernehmen. Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten.
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Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Fall 6 „Ausschluss von sämtlichen Vergabeverfahren“ (Prof. Biaggini)
Das Bauunternehmen X. AG mit Sitz im Kanton A. hat in letzter Zeit Aufträge des Kantons Z. im Umfang von jeweils einigen Millionen Franken pro Jahr akquiriert. Mit Verfügung vom […] beschliesst die
Baudirektion des Kantons Z. gestützt auf § 40 SubmV, die X. AG von sämtlichen künftigen Vergaben der
Baudirektion auszuschliessen, dies für die Dauer von einem Jahr mit der Option auf Verlängerung. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass sich ein Kadermitglied der X. AG im Rahmen eines Auftrags der Baudirektion zugegebenermassen schwere Widerhandlungen gegen die Vergabebestimmungen
habe zuschulden kommen lassen. Empört über die nach ihrer Ansicht völlig unverhältnismässige Massnahme reicht die X. AG beim Verwaltungsgericht Z. Beschwerde ein und verlangt die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung.
Frage 1: Ist vorliegend die direkte Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegeben?
Frage 2: Wie ist die Beschwerde in materieller Hinsicht zu beurteilen?
Verfassung des Kantons Z. vom 27. Februar 2005
Art. 77
Verwaltungsrechtspflege
Für Anordnungen, die im Verwaltungsverfahren ergangen sind, gewährleistet das Gesetz die wirksame Überprüfung durch eine Rekursinstanz sowie den Weiterzug an ein Gericht. Das Gesetz sieht in begründeten Fällen Ausnahmen vor.
Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) vom 15.3.2001
5. Abschnitt: Rechtsschutz / Art. 15.
Beschwerderecht und Frist
1
Gegen Verfügungen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers ist die Beschwerde an eine unabhängige kantonale Instanz zulässig. Diese entscheidet endgültig.
1bis
Als durch Beschwerde selbstständig anfechtbare Verfügungen gelten: […]
6. Abschnitt: Überwachung / Art. 19
Kontrollen und Sanktionen
1
Die Kantone überwachen die Einhaltung der Vergabebestimmungen vor und nach dem Zuschlag durch die Auftraggeberinnen oder Auftraggeber und die Anbieterinnen und Anbieter.
2
Sie sehen Sanktionen für den Fall der Verletzung der Vergabebestimmungen vor.
Gesetz [des Kantons Z.] über den Beitritt zur revidierten IVöB vom 15. März 2001
§2
1
Über Beschwerden gemäss Art. 15 der Interkantonalen Vereinbarung entscheidet das Verwaltungsgericht. […]
§4
1
Der Regierungsrat regelt in einer Verordnung die Einzelheiten des Beschaffungswesens, auch soweit es nicht von
der Interkantonalen Vereinbarung erfasst ist.
2
Die Verordnung bedarf der Genehmigung des Kantonsrats.
3
Der Regierungsrat ordnet die Überwachung im Sinne von Abschnitt 6 der Interkantonalen Vereinbarung. Er kann
insbesondere die Voraussetzungen für den Ausschluss von Anbieterinnen und Anbietern regeln.
Submissionsverordnung des Kantons Z. vom 23. Juli 2003
[erlassen durch den Regierungsrat, gestützt auf § 4 des Beitrittsgesetzes; vom Kantonsrat genehmigt]
§ 40 Sanktionen
1
Schwer wiegende Widerhandlungen gegen die Vergabebestimmungen werden durch Verwarnung, Widerruf des
erteilten Zuschlags oder Ausschluss von künftigen Vergaben für die Dauer von bis zu 5 Jahren geahndet.
2
Dieser Entscheid ist in Form einer anfechtbaren Verfügung mitzuteilen und kann innert zehn Tagen beim Verwaltungsgericht angefochten werden.
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Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Fall 7 „Gebührenstreit um ein Provisorium“ (Prof. Biaggini)
Die Stadt Zürich ist seit dem Jahr 1959 Eigentümerin eines Gebäudes bei der Bahnhofbrücke in Zürich,
das gemeinhin als ehemaliges „Globus-Provisorium“ bekannt ist. Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet
sich zurzeit ein Grossverteiler; das Obergeschoss wird von städtischen Behörden genutzt. Auf der Ostseite ragt das Gebäude etwas auf die Limmat hinaus. Insgesamt „schweben“ 304 m2 über dem Wasser: Bei
194 m2 handelt es sich um effektiv nutzbare Fläche, bei den restlichen 110 m2 um Dachauskragung.
Am 29. September 2009 erneuerte die Baudirektion des Kantons Zürich (zuständige Behörde) die befristete wasserrechtliche Konzession für die Inanspruchnahme des öffentlichen Gewässerareals. Weiter erteilte sie die wasserpolizeiliche Ausnahmebewilligung und die gemäss Fischereigesetz erforderlichen Bewilligungen, um „das Bürohaus mit Ladengeschäft“ bis zum 31. Dezember 2020 fortbestehen zu lassen. Zugleich setzte sie die geschuldete jährliche Gebühr auf Fr. 172'368.-- fest. Diese hatte zuvor Fr. 50'421.25
betragen. Bei der Berechnung der Gebühr legte die Baudirektion die Formel gemäss der einschlägigen
Verordnung zugrunde: Fläche mal Landwert multipliziert mit dem einschlägigen Zinssatz.1 Der Landwert
wurde mit Fr. 16'200.-- pro m2 veranschlagt (Uferland in der Stadt Zürich; kommerzielle Nutzung).2
Am 22. Dezember 2010 wies der Regierungsrat den von der Stadt Zürich gegen die Höhe der neuen Gebühr erhobenen Rekurs ab. Die Stadt Zürich reichte daraufhin beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde ein und verlangte, die Gebühr sei auf der Grundlage der bisher praktizierten Berechnungsmethode festzusetzen. Diese habe den besonderen Umständen besser Rechnung getragen, indem für
die Dachauskragung, die keinen direkten Nutzen bringe, keine Gebühr erhoben worden sei; und für die
restlichen 194 m2 habe man lediglich eine reduzierte Gebühr von 50% bezahlen müssen.
Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde der Stadt Zürich am 8. September 2011 teilweise gut. Es
setzte die jährlich zu entrichtende Gebühr auf Fr. 141'183 fest: Für 194 m2 stellte das Gericht auf die von
der Baudirektion verwendete Formel ab; für die übrigen 110 m2 (Dachauskragung) setzte es den formelgemäss ermittelten Betrag um 50% herab.
Die Stadt Zürich gelangt ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8.
September 2011 sei aufzuheben und die Gebühr sei entsprechend der alten Praxis auf Fr. 54'999.--, eventualiter auf Fr. 86'184.-- festzusetzen.
Frage 1: Wie ist die Gebühr zu qualifizieren? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Frage 2: Wird das Bundesgericht auf die Beschwerde der Stadt Zürich eintreten?
Frage 3: Angenommen, das Bundesgericht trete ein: Wie wird es in der Sache entscheiden?
Wasserwirtschaftsgesetz des Kantons Zürich (WWG) vom 2. Juni 1991 (LS 724.11)
§ 47. Gebühren
1
Konzessions- und bewilligungspflichtige Nutzungen öffentlicher Gewässer sind gebührenpflichtig.
2
Die Nutzungsgebühr bemisst sich nach Massgabe der eingeräumten Sondervorteile, namentlich des wirtschaftlichen Nutzens, der Art und Dauer der Konzession oder der Bewilligung, der für die Öffentlichkeit entstehenden
Nachteile, des Verwendungszwecks, der Menge des beanspruchten Wassers sowie – bei der Inanspruchnahme der
Gewässer – des Wertes angrenzender Grundstücke. […]
6
Bei erheblichen öffentlichen Interessen können Gebühren reduziert oder es kann ganz darauf verzichtet werden.
[…]
1
2
§ 17 Gebührenverordnung zum Wasserwirtschaftsgesetz (GebV WWG) vom 21. Oktober 1992 (LS 724.21).
Zum Vergleich: In den Gemeinden am Zürichsee bewegt sich der Landwert zwischen Fr. 950.-- pro m2 (Horgen)
und Fr. 16'200.-- pro m2 (Gemeinde Zürich, Gelände mit kommerzieller Nutzung). In den als ausgesprochen hochpreisig geltenden Gemeinden am unteren rechten Seeufer (Zollikon, Küsnacht, Herrliberg) liegen die Landwerte
um Fr. 1'500.-- pro m2. Der Kanton Genf verlangt für die Sondernutzung öffentlicher Gewässer zwischen Fr. 2.-und Fr. 500.-- pro Jahr und m2.
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HS 2012
Fall 8 „Halteverbot“ (Prof. Moeckli)
Mit Verfügung vom 15. Februar 2011 auferlegte die Stadtpolizei Zürich Frau A Gebühren von insgesamt
CHF 425.00 für das Abschleppen ihres Personenwagens mit dem Kennzeichen ZH 1111, da dieses am
5. Februar 2011 zwischen 8.10 Uhr und 9.00 Uhr in Zürich an der L-Strasse gegenüber der Hausnummer
24 innerhalb eines signalisierten Halteverbots parkiert gewesen sei und andere Verkehrsteilnehmer behindert habe. Zusätzlich wurde A gestützt auf Ziff. 230 Anhang 1 der Ordnungsbussenverordnung (OBV; SR
741.031) eine Ordnungsbusse von CHF°120.00 wegen „Parkierens innerhalb des signalisierten Halteverbots bis 60 Minuten“ auferlegt.
An der L-Strasse gegenüber der Hausnummer 24 war auf Begehren und auf Kosten der Baufirma C am
30. Januar 2011 mit Wirkung ab 5. Februar 2011, 6.00 Uhr bis 5. August 2011, 18.00 Uhr ein Halteverbot
für die Parkplätze in der blauen Zone signalisiert worden, weil die Baufirma C dort Bauarbeiten ausführen wollte. Trotzdem stellte A ihr Fahrzeug in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 2011, um 2.00 Uhr,
dort ab. Sie wohnt nur wenige Häuser vom betroffenen Parkfeld entfernt und brachte unter der Windschutzscheibe gut sichtbar ihre Anwohnerparkkarte an, welche zum Parkieren in der Blauen Zone im
betreffenden Quartier berechtigt. Als Mitarbeitende der Baufirma C am 5. Februar am Morgen feststellten, dass das Parkfeld, welches für die Arbeiten benötigt wurde, durch das Fahrzeug von A blockiert wurde, riefen sie die Polizei herbei. Das Fahrzeug von A wurde durch die Stadtpolizei in ein Parkhaus verbracht, wo es ihr am nächsten Tag wieder zurückgegeben wurde.
Nachdem zunächst sowohl A’s Einsprache beim Stadtrat gegen die Verfügung der Stadtpolizei als auch
der von A gegen diesen Entscheid erhobene Rekurs beim Statthalteramt des Bezirkes Zürich erfolglos
blieben, hiess schliesslich das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 1. November 2012 A’s Beschwerde gut. Das Gericht stützte sich bei seinem Entscheid u.a. auf das Verwaltungsrechtspflegegesetz
des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG/ZH; LS 175.2).
Frage 1: Welche Art von staatlichem Handeln stellt das Abschleppen des Fahrzeuges dar? Worum handelt es sich bei der Auferlegung der Ordnungsbusse? Umschreiben Sie in wenigen Sätzen die
Wesensmerkmale und Voraussetzungen dieser Arten des staatlichen Handelns.
Frage 2: Kann die Stadt Zürich gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich ein
Rechtsmittel auf Bundesebene einlegen? Prüfen Sie die Eintretensvoraussetzungen.
Frage 3: Falls Frage 2 zu bejahen ist, wie würde die Rechtsmittelinstanz materiell entscheiden?
Rechtsgrundlagen
Gesetz über das Gemeindewesen des Kantons Zürich vom 6. Juni 1926 (GemG, LS 131.1)
§ 74 Ortspolizei
1
Dem Gemeinderat steht neben den ihm durch andere Gesetze überwiesenen Aufgaben insbesondere die Besorgung
der gesamten Ortspolizei zu. Er sorgt für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und für die
Sicherheit von Personen und Eigentum gegen Schädigungen und Gefahren jeder Art und trifft alle Vorkehren für die
richtige Erfüllung der Aufgaben der Ortspolizei auf allen Verwaltungsgebieten.
2
Die Gemeinde erlässt zu diesem Zwecke eine Polizeiverordnung.
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HS 2012
Polizeigesetz des Kantons Zürich vom 23. April 2007 (PolG, LS 550.1)
I. Fernhaltung und Wegschaffung von Tieren sowie Fahrzeugen und anderen Gegenständen
§ 41 Grundsatz
Die Polizei darf Tiere sowie Fahrzeuge und andere Gegenstände von einem Ort fernhalten, wegschaffen oder wegschaffen lassen, wenn sie
a. vorschriftswidrig auf öffentlichem Grund abgestellt sind,
b. öffentliche Arbeiten oder die bestimmungsgemässe Nutzung des öffentlich zugänglichen Raumes behindern oder
gefährden oder
c. eine erhebliche Gefährdung für Personen, Tiere oder Gegenstände von namhaftem Wert darstellen.
§ 42 Androhung und Kostenersatz
1
Die Massnahme wird der betroffenen Person angedroht. In dringenden Fällen kann von der Androhung abgesehen
werden.
2
Die Rückgabe kann von der Zahlung der Kosten abhängig gemacht werden.
Gebühren für das Abschleppen von Fahrzeugen durch die Stadtpolizei (Stadtratsbeschluss vom 6. Juli 1994,
AS 551.340)
1. Für das Abschleppen von Fahrzeugen durch die Stadtpolizei oder von dieser beauftragten Unternehmen werden
folgende Gebühren festgelegt:
Fr.
1.1 Abschleppgebühr pauschal
200
1.2 Umtriebsgebühr, falls die/der verantwortliche Fahrzeuglenkerin/-lenker erscheint, bevor das
angeforderte Abschleppfahrzeug eingesetzt werden muss («Leerfahrt»)
130
1.3 Umtriebsgebühr für die Rückgabe des Fahrzeuges
90
1.4 Umtriebsgebühr für das Ausrücken der Polizei
120
Gebührenordnung für die Verwahrung fremder Fahrzeuge durch die Stadtpolizei (Stadtratsbeschluss vom
23. Dezember 1992, AS 551.350)
1. Für die Verwahrung fremder Fahrzeuge durch die Stadtpolizei wird folgende Gebührenordnung erlassen:
1.1 Garagierung in abgeschlossenen, gedeckten Räumen
pro Tag (24 Std.)
Fr.
für Personen- und Lieferwagen sowie leichte Anhänger
15
für Lastwagen und schwere Anhänger
40
für Motorräder und Motorfahrräder
5
1.2 Für das Einstellen von Fahrzeugen in ungedeckten, jedoch abgeschlossenen Hofräumen oder auf überwachten
Parkplätzen wird die Hälfte der genannten Gebühren erhoben.
1.3 Die volle Tagesgebühr wird auch dann erhoben, wenn die Verwahrung weniger als 24 Stunden dauert.
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Fall 9 „Ortsbildschutz“ (Prof. Moeckli)
Frau Häusler ist Eigentümerin eines noch unüberbauten Grundstücks in der Gemeinde Schlosshausen
(Parzelle Nr. 4128 im Gebiet "Feld"). Dieses unüberbaute Grundstück ist Teil eines Gebietes, welches zwei Schlösser (Altschloss und Unteraltschloss) sowie eine Burgruine umfasst. Gemäss Zonenplan und Baureglement aus dem Jahr 1996 lag das Grundstück von Frau Häusler in einer Bauzone
nach dem Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG; SR 700) und grenzt mehrheitlich an bereits
überbaute Parzellen an. Anlässlich der Einsichtnahme in den revidierten und seit 1. Januar 2012
rechtskräftigen Zonenplan stellt Frau Häusler mit Schrecken fest, dass ihr Grundstück neu der Ortsbildschutzzone (umfassend die Parzellen Nr. 670, 671, 706, 707, 2073, 3477, 4128, 4409, 4410,
4962, 5841, 5842, 6113, 6114, 6754, 6755) zugewiesen worden ist. Zudem entnimmt sie dem entsprechend modifizierten, nunmehr ebenfalls seit dem 1. Januar 2012 in Kraft stehenden Baureglement, dass in dieser Ortsbildschutzzone ein gänzliches Bauverbot für alle Neubauten gelten soll, die
nicht der Bewirtschaftung und Pflege des Schutzgebietes dienen.
Frau Häusler ist der Ansicht, dass ihre Parzelle einer Bauzone ohne Bauverbot für Neubauten hätte
zugewiesen werden müssen. Sie macht geltend, ihr Grundstück sei baureif und sie hätte deshalb damit rechnen können, dass sie dieses in der nächsten Zeit auch hätte überbauen dürfen. Zudem stört
sich Frau Häusler insbesondere daran, dass sie nun nicht bauen kann, obwohl sie in den Jahren 2008
und 2009 finanzielle Aufwendungen für Zuleitungen zur Parzelle sowie für die Ausarbeitung eines
Bauprojekts (Mehrfamilienhaus) getätigt hat. Ferner seien auch im Rahmen verschiedener Gespräche
mit der Gemeinde keinerlei Zweifel über die Überbaubarkeit dieses Grundstücks aufgekommen.
Frage 1: Wie ist das Bauverbot bzw. die Zonenänderung aus raumplanungsrechtlicher Sicht zu beurteilen?
Frage 2: Wie ist das Bauverbot bzw. die Zonenänderung aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilen?
Frage 3: Stehen Frau Häusler aus dem Bauverbot bzw. aus der Zonenänderung allenfalls finanzielle
Ansprüche zu? (Annahme für die Beantwortung von Frage 3: Bauverbot bzw. Zonenänderung sind rechtmässig.)
Hinweise
–
Das Baureglement und der Zonenplan (= Nutzungsplan der Gemeinde) sind vom Stimmvolk beschlossen worden.
–
Verfahrensrechtliche Aspekte sind nicht zu behandeln.
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Situationsplan (Auszug)
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Fall 10 (Prof. Moeckli)
Abgabetermin: 9. November 2012
Frau A (40) arbeitet seit 8 Jahren als Sachbearbeiterin in der Abteilung Asyl und Rückkehr beim Bundesamt für Migration (BFM). Ihre Arbeitsleistung wurde in der Vergangenheit durchwegs als gut bewertet.
In ihrer Freizeit engagiert sich A im Verein B, der sich für eine liberale Asyl- und Ausländerpolitik einsetzt. Anlässlich einer Standaktion am 1. August 2012 in der Innenstadt von C fordert A Passanten lautstark dazu auf, eine Petition mit folgendem Inhalt zu unterzeichnen:
„Angesichts der menschenverachtenden und willkürlichen Asylpolitik des Bundesamts für Migration
wird der Bundesrat aufgefordert, den Direktor des Bundesamts für Migration umgehend zu entlassen.
Ausserdem ist allen vorläufig aufgenommenen Ausländern, welche sich seit mindestens einem Jahr in der
Schweiz aufhalten, eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen.“
Im BFM haben sich die Aktivitäten von A herumgesprochen. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs
löst das BFM mittels Verfügung vom 10. August 2012 das Arbeitsverhältnis mit A auf den 31. Dezember
2012 auf.
Nach Ausschöpfung des behördeninternen Instanzenzugs gelangt A ans Bundesverwaltungsgericht.
Fragen
Sachverhaltsvariante 1a): Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde von A ab.
Frage 1a):
Kann A den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts an das Bundesgericht weiterziehen? Prüfen Sie die
Eintretensvoraussetzungen.
Sachverhaltsvariante 1b): Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde von A gut, womit A im
BFM weiterbeschäftigt werden muss.
Frage 1b):
Kann das BFM diesen Entscheid ans Bundesgericht weiterziehen? Prüfen Sie die Eintretensvoraussetzungen.
Frage 2:
Nehmen Sie an, das Bundesgericht trete auf die Beschwerde von A ein. Wie wird das Bundesgericht materiell-rechtlich entscheiden?
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Fall 11 „Polizeiliche Ton-, Foto und Filmaufnahmen“ (Prof. Biaggini)
Die Gemeinde G. im Kanton K. ist schweizweit bekannt, weil ein etwas ausserhalb des Dorfkerns gelegenes Feld im ausgehenden Mittelalter Schauplatz einer Schlacht war, bei der die ruhmreichen alten Eidgenossen die Habsburger zu besiegen vermochten. Seit Jahren kommt es am 9. Juli, dem Jahrestag der
Schlacht, auf dem Gebiet der Gemeinde G. immer wieder zum Aufmarsch rechtsradikaler Gruppierungen,
in jüngerer Zeit auch an den Tagen unmittelbar davor und danach.
Unweit des historischen Schlachtfeldes befindet sich ein parkartiges Gelände, das im Volksmund
„Schlachtfeld-Park“ genannt wird. Das Gelände ist von allen Himmelsrichtungen her leicht zugänglich.
Der südliche Teil gehört der Gemeinde G.; der nördliche Teil ist in Privatbesitz, jedoch seit unvordenklichen Zeiten der Öffentlichkeit zugänglich. Feste Begrenzungen zwischen den beiden Teilen des Parks
gibt es nicht.
Das Bündnis gegen Rechts (BgR) ersucht für den 9. Juli (Jahrestag der Schlacht) um eine Bewilligung für
die Durchführung einer „antifaschistischen Kundgebung mit anschliessendem multikulturellem Parkfest“
im Schlachtfeld-Park. Die Bewilligung wird unter Auflagen erteilt.
Aufgrund der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen und von Hinweisen seitens des Nachrichtendienstes des Bundes wird vorsorglich ein grösseres Polizeiaufgebot erlassen. Noch bevor es zu schwereren Ausschreitungen kommt, greift die Polizei ein, und die Menge zerstreut sich.
Einige Tage später wird bekannt, dass die Polizei gemäss Einsatzbefehl für den 9. Juli die Erlaubnis hatte,
verdeckte Ton-, Foto- und Filmaufnahmen zu machen und ein privates Filmteam einzusetzen. Die Polizeiverantwortlichen berufen sich gegenüber den Medien auf § 32 des kantonalen Polizeigesetzes und
verweisen auf die bekannten Engpässe im personellen Bereich, weshalb man für gewisse Hilfstätigkeiten
hin und wieder im Auftragsverhältnis Private beiziehe.
A., der sich in friedlicher Absicht im Schlachtfeld-Park aufgehalten hatte, stösst sich an der Tatsache,
dass er nun möglicherweise unfreiwillig auf Videomaterial „verewigt“ wurde, und will wissen, was die
Polizei durfte und was nicht.
Frage 1: A. möchte an den Polizei-Einsatzbefehl herankommen. Auf welche Rechtsgrundlage(n) soll er
sich am besten abstützen? Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten?
Frage 2: Genügt § 32 des kantonalen Polizeigesetzes als gesetzliche Grundlage für die verdeckte
Überwachung des Schlachtfeld-Parks mittels Filmaufnahmen?
Frage 3: Ist es nach anerkannten Regeln und Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts zulässig,
für derartige Filmaufnahmen auf Vertragsbasis Private beizuziehen?
Polizeigesetz (PolG)
§ 9 Polizeiliche Generalklausel
Die Polizei trifft im Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen.
§ 32 Überwachung
Die Polizei darf zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben allgemein zugängliche Orte mit technischen Geräten
offen oder verdeckt überwachen und soweit notwendig Bild- und Tonaufnahmen machen.
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Fall 12 „Gefälschte Handtaschen“ (Prof. Moeckli)
Im Rahmen einer vom Untersuchungsrichter wegen Verdachts auf gewerbsmässige Warenfälschung (Art.
155 StGB (SR 311.0)) angeordneten Hausdurchsuchung fand die Kantonspolizei des Kantons X in den
Lagerräumen von Herrn A 620 von diesem hergestellte, gefälschte Handtaschen.
Mit Verfügung vom 3. November 2011 beschlagnahmte der Untersuchungsrichter die Handtaschen.
Gleichzeitig eröffnete er gegen A die Strafverfolgung wegen gewerbsmässiger Warenfälschung.
Nachdem A um Freigabe der beschlagnahmten Handtaschen ersucht hatte, wies der Untersuchungsrichter
das Gesuch mit Verfügung vom 20. November 2011 ab und ordnete die Vernichtung der 620 Handtaschen an.
Gegen diese Verfügung erhob A Beschwerde an die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons X.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2012 wies diese die Beschwerde ab.
In der Folge gelangte A an das Bundesgericht und verlangte die Aufhebung des Beschlusses der Anklagekammer. Das Bundesgericht erachtete zwar die Beschlagnahme als rechtmässig, nicht aber die Vernichtung der Handtaschen gestützt auf eine Anordnung des Untersuchungsrichters. Das Bundesgericht
führte aus, die Vernichtung nach Art. 69 Abs. 2 StGB könne nur durch den Sachrichter, nicht aber durch
die Untersuchungsbehörde angeordnet werden. In seinem Entscheid wies das Bundesgericht darauf hin,
dass es in früheren Fällen bereits wiederholt und ausdrücklich erklärt habe, dass die Anordnung der Vernichtung von im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmten Gegenständen durch die Untersuchungsbehörde unzulässig ist.
Am 17. September 2012 reichte A beim Verwaltungsgericht des Kantons X Klage gegen den Kanton X
ein. A verlangt, der Kanton X sei zu verurteilen, ihm einen Betrag von mindestens CHF°28’000.00 zu
bezahlen. Zur Begründung macht er geltend, ihm sei durch die Vernichtung der Handtaschen ein Schaden
von mindestens CHF°28’000.00 entstanden.
Frage 1: Wie wird das kantonale Verwaltungsgericht in dieser Sache urteilen? (Prüfen Sie alle Haftungsvoraussetzungen, auch wenn Sie davon ausgehen, dass einzelne nicht erfüllt sind.)
Frage 2: Kann das Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts im Falle einer für A ungünstigen Entscheidung an das Bundesgericht weitergezogen werden? Prüfen Sie das Vorliegen der Eintretensvoraussetzungen.
(Bestimmungen des Immaterialgüterrechts sind nicht zu berücksichtigen.)
Rechtsgrundlagen
Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons X:
Art. 3
1
Der Kanton haftet für den Schaden, den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die
nebenamtlich Tätigen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zugefügt haben.
2
Er steht auch für den Schaden ein, den er rechtmässig verursacht hat, wenn Einzelne
unverhältnismässig schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den
Schaden selber zu tragen.
3
Für Verletzungen der körperlichen Integrität und schwere Persönlichkeitsverletzungen
haben die Geschädigten Anspruch auf eine angemessene Genugtuung.
Art. 48
Ansprüche auf Grund dieses Gesetzes gegenüber dem Kanton sind durch Klage an das
Verwaltungsgericht nach den Vorschriften des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege
geltend zu machen.
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Prof. Biaggini / Prof. Moeckli
Übungen im Öffentlichen Recht II
HS 2012
Fall 13 „Regulierung des Taxigewerbes“ (Prof. Biaggini)
Der Grosse Rat (Parlament) des Kantons X. beschliesst ein neues Taxigesetz (TaxiG). Das Referendum
wird nicht ergriffen. Das Gesetz enthält unter anderem die folgenden Bestimmungen:
Art. 16 Tarif
Der Regierungsrat erlässt nach Anhörung der Taxikommission eine verbindliche Tarifordnung.
Art. 23 Gebühren
1
[…]
2
Wenn Inhaberinnen oder Inhaber einer Betriebsbewilligung nachweisen, dass sie während des ganzen Kalenderjahres ausschliesslich mit anerkannt schadstoffarmen und energieeffizienten Fahrzeugen gefahren sind, wird
ihnen ein Teil der Gebühr rückvergütet. Bei Inkrafttreten der Verordnung beträgt die Rückvergütung für benzinoder gasbetriebene Fahrzeuge der Energieeffizienzkategorie A oder für dieselbetriebene Fahrzeuge der Energieeffizienzkategorie A, die mit Partikelfiltern oder einer gleichwertigen Abgasminderungstechnologie ausgerüstet
sind, 50% der vollen Gebühr. Für Fahrzeuge der Energieeffizienzkategorie A mit Elektro- oder Hybridantrieb
werden 75% der vollen Gebühr rückvergütet. Für alle anderen Fahrzeuge ist keine Rückvergütung möglich.
3
Der Regierungsrat wird ermächtigt, diese Regelung künftigen Verschärfungen anzupassen.
I.
A., der als Geschäftsführer des Taxiunternehmens X. AG arbeitet, ist der Meinung, dass Art. 16 Abs. 1
TaxiG mit dem Bundesrecht, insbesondere der Wirtschaftsfreiheit, nicht vereinbar ist. Aus den politischen
Debatten, die dem Erlass des TaxiG vorangingen, ist ihm bekannt, dass es der Mehrheit im Grossen Rat
vor allem darum ging, durch Verpflichtung aller Anbieter auf einen fixen Tarif die Taxikundschaft vor
Übervorteilung und Täuschung zu schützen und zu verhindern, dass es auf der Strasse zu Feilschereien
um das Entgelt kommt. Das Taxigewerbe als dem Publikum allgemein zugängliche Ergänzung zu den
öffentlichen Transportbetrieben stehe überdies funktionell einem öffentlichen Dienst nahe. Eine verbindliche Tarifordnung stelle sicher, dass alle Anbieter preislich über „gleich lange Spiesse“ verfügen.
Aufgabe 1:
a) A. sucht bei Ihnen Rat und bittet Sie abzuklären, wie am besten vorzugehen ist und wie die Chancen
stehen, dass Art. 16 Abs. 1 TaxiG auf dem Rechtsweg aufgehoben wird.
b) Was ändert sich an der rechtlichen Beurteilung, wenn Art. 16 TaxiG „nur“ einen verbindlichen Höchsttarif vorsieht?
II.
Das Taxiunternehmen Y. AG sowie der bei der Y. AG angestellte Taxifahrer T. erheben Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und verlangen vom Bundesgericht die Aufhebung von Art. 23
Abs. 2 und 3 TaxiG. Zur Begründung machen sie unter anderem geltend, die kantonale Regelung erzwinge faktisch hohe Investitionen in die erst gerade erneuerte Fahrzeugflotte der Y. AG, wodurch diese gegenüber der Konkurrenz gravierende Wettbewerbsnachteile erleide. Überdies bedeute die Regelung einen
Übergriff in bundesrechtlich abschliessend geregelte Materien und verletzte die verfassungsmässigen
Kompetenzen des Bundes.
Aufgabe 2:
a) Wie ist die Gebühr gemäss Art. 23 Abs. 2 TaxiG zu qualifizieren?
b) Wie stehen die Erfolgsaussichten der Beschwerdeführer vor Bundesgericht?
[Gehen Sie davon aus, dass die erforderlichen Rügen erhoben wurden.]
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