"Grundlagen der Wirtschaftspolitik" 5. Kollektive Entscheidungen
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"Grundlagen der Wirtschaftspolitik" 5. Kollektive Entscheidungen
Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung - Abteilung Sozialpolitik PD Dr. Günther G. Schulze SS 2001 "Grundlagen der Wirtschaftspolitik" 5. Kollektive Entscheidungen Teil 4 (13 Seiten) Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik 5.8 Der Axiomatische Zugang – Arrows Unmöglichkeitstheorem Arrow zeigt, dass fünf axiomatische Postulate an eine kollektive Präferenzordnung/ soziale Ordnung (normatives Konzept) inkonsistent sind. Lit.: Arrow, Kenneth (1963) Social Choice and Individual Values, rev. ed., New York: Wiley. DIE AXIOME: Pareto-Effizienz (P) (“Unanimity”) Wenn eine Alternative existiert, die von allen Individuen einer anderen Alternative vorgezogen wird bzw. von keinem Individuum abgelehnt wird, dann soll auch die soziale Ordnung diese Alternative bevorzugen. Ausschluss von Diktatur (ND) („Nondictatorship“) Es soll kein Individuum existieren, dessen individuelle Präferenzordnung immer, ganz gleich wie die Präferenzen der anderen Gesellschaftsmitglieder aussehen, identisch ist mit der sozialen Ordnung. 44 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Transitivität (T) Die soziale Präferenzordnung soll eine transitive Ordnung über alle Alternativen sein. Also (xPyPz)!xPz und (xIyIz)!xIz für alle x,y,z ∈S Unrestricted Domain (UD) Alle möglichen individuellen Präferenzordnungen über die Alternativen sind zugelassen. Genauere Formulierung: Es gibt eine „universelle“ Alternative u so dass für jedes Paar von anderen Alternativen x, y und für jedes Individuum jede der sechs strikten Ordnungen über u,x,y in dem Geltungsbereich der zugelassenen Ordnungen von allen Alternativen enthalten ist. (Mueller 1989: 385) (Alle möglichen Ordnungen von x,y,u sind zugelassen.) Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen (UIA) Die gesellschaftliche Präferenz bezüglich zweier Alternativen darf nur von den individuellen Ordnungen zwischen diesen beiden Alternativen abhängen, nicht jedoch von der Position einer dritten Alternative. 45 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Satz: (Arrow Paradoxon) Für mindestens drei Alternativen ist jede SWF, die den Axiomen P, T, DU und UIA genügt, diktatorisch. Für zwei Alternativen erfüllt die einfache Mehrheitsregel alle Postulate. Beweis des Unmöglichkeitstheorems von Arrow Arrow (1963: 98 – 100) Definition 1: Eine Menge von Individuen V ist ausschlaggebend (decisive) für Alternative x gegenüber Alternative y, falls x kollektiv gewählt wird, wenn jedes Indiviuum in V Alternative x der Alternative y vorzieht und jedes Individuum, das nicht in V ist, y vorzieht vor x. Strategie des Beweises: 1. Beweis, daß wenn ein Individuum ausschlaggebend (decisive) für ein Alternativenpaar ist, dann ist es ein Diktator. 2. Unmöglichkeitstheorem folgt aus Resultat 1, ParetoPrinzip und Transitivitätspostulat. 46 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Definition 2: x D y bedeutet, daß x kollektiv y vorgezogen wird, wenn immer Individuum I x vorzieht y, unabhängig von den Präferenzen der anderen Individuen. (1) Definition 3: xDy bedeutet, daß x kollektiv vorgezogen wird vor y, falls Individuum I x vorzieht vor y und alle anderen die gegenteilige Präferenz haben. (2) x D y impliziert xDy; xDy bedeutet Individuum I ist ausschlaggebend (decisive) für x gegen y. Beweis (1) Ausgangssituation: • XDy gilt für irgendwelches x, y • es gibt nur drei Alternativen x, y, z • I ordnet sie x f y f z alle anderen ziehen y vor den beiden anderen Alternativen y f x y f z Ordnung zwischen x und z unbestimmt (also xPIy und yP-Ix) 47 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Implikationen: + da xDy angenommen und xPIy folgt xPy (Ann.) + alle Individuen ziehen y Alternative z vor also: yPz (Pareto-Bed.) + deshalb xPz (Transitivität) dies gilt aber immer, wenn xPIz, unabhängig von den Präferenzen der anderen (!) also: xDy impliziert x D z (3) Nehme an – wie bisher xDy, aber nun habe I die Präferenzordnung z f x f y analoges Argument: xPy zPx und also zPy Ergo xDy impliziert (wg. Annahme xDy) (Pareto-Bed.) (Transitivität) zDy (4) Vertausche y und z in (4) – nur Notation geändert – Ergibt xDz impliziert y D z (5) Ersetze x durch y, y durch z und z durch x in (3) yDz implizert yDx (6) 48 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik + Da x D z impliziert xDz und y D z impliziert yDz können wir (3), (5) und (6) verketten: xDy impliziert xDz impliziert y D x kurz: xDy impliziert y D x (7) + Nun tauschen wir x und y aus in (3), (4), (7) und erhalten: yDx impliziert y D z yDx impliziert z D x yDx impliziert x D y + Verketten mit Implikation (7) xDy impliziert y D x impliziert yDx impliziert y D z kurz: analog xDy impliziert y D z xDy impliziert z D x xDy impliziert x D y (8) Implikationen (3), (4), (7), (8) können zusammengefaßt werden zu Satz Falls xDy, dann gilt u D v für jedes geordnete Paar u, v von den drei Alternativen x, y, z; d.h. Individuum I ist ein Diktator für die drei Alternativen. (9) 49 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik (Blau 1957 „The Existence of Social Welfare Functions“, Econometrica, 25: 302 – 13 → Verallgemeinerung auf jede Zahl von Alternativen) Diktaturverbot (Non-Dictatorship) impliziert: Satz xDy darf für kein Individuum und für kein Alternativepaar x, y gelten. (2) (10) Anwendung des Wahlparadoxons + Es gibt zumindest eine ausschlaggebende Menge V (decisive set) für jedes geordnetes Paar x, y – das ist die Menge aller Individuen (Pareto-Bedingung etabliert Existenz von V). + Wähle aus der Menge der ausschlaggebenden Mengen (decisive sets) dasjenige Element aus, das die geringste Zahl von Individuen hat. (Nach (10) sind es mindestens zwei.) + Teile V in V1 mit nur einem Individuum und V2 mit den restlichen Individuen. V3 enthalte alle anderen Individuen, die nicht in V sind. 50 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik + V1 habe die Präferenzordnung x f y f z, die von V2 sei z f x f y (also V zieht x vor der Alternative y) (also bzgl. x und y gegenteilig zu V). V3 : y f z f x • Da V ausschlaggebend bzgl. x und y (Ann.) ⇒ xPy • Es ist unmöglich, daß kollektiv z vorgezogen wird Alternative y, da diese Präferenzrelation nur für V2 gilt, die aber ein Individuum zu klein ist, um ausschlaggebend zu sein (lt. Konstruktion). Wegen der Vollständigkeit der Präferenzordnung (UD) muß also gelten yRz Also muß wg. xPy und Transitivität gelten xPy und yRz ⇒ xPz. Dann aber wäre V1 ausschlaggebend und das darf lt. (10) nicht sein. 51 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Nach dem Unmöglichkeitstheorem – „Auswege“ aus dem Dilemma? 1. Der wohlwollende Diktator?? + Wohlwollende Diktatoren gibt es nicht! → Eigeninteresse der Diktatoren → Prinzipial-Agenten-Problem? + Informationprobleme z. B. bei Bereitstellung öffentlicher Güter: gelten auch für Diktatoren + empirische Befunde: Diktaturen fahren schlechter (geringeres Wachstum, Pro-Kopf-Einkommen etc.) Sen: Demokratie als „Government by discussion“: [Amartya Sen (1999) Development as Freedom, Anchor Book, N.Y.] Aufweichungen der anderen Forderungen? Pareto-Effizienz? • Erheblicher normativer Gehalt, unstreitig • praktische Konsequenz: unsinnige Aggregationsregeln 52 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen → Aufgabe des ordinalen Nutzenkonzeptes interpersonelle – kardinale – Nutzenvergleiche öffnen staatlicher Willkür u. U. die Türe. → Möglichkeit zu strategischem Verhalten durch Hinzufügen/Streichen „irrelevanter“ Alternativen. → Forderung nach Strategiefestigkeit als Ersatz für UIA Strategiefestigkeit (Strategy proofness) SP Sei Mi die Präferenzmeldung, die der Wähler i abgibt, wenn er seinen wahren Präferenzen folgt. Sei Mi* eine falsche Präferenzangabe von I. Es sei x die Alternative, die gewählt wird, wenn i die Wahrheit meldet (Mi) und auch alle anderen Wähler die Wahrheit sagen. Sei y das Wahlergebnis, das sich einstellt, wenn alle anderen die Wahrheit sagen, aber i Mi* meldet. Das Wahlverfahren ist dann strategiefest, wenn für alle möglichen Mi* kein y existiert, für das yPix Satz Es existiert kein Wahlverfahren, das die Axiome T, SP, ND und P erfüllt → Unabhängigkeit irrelevanter Alternativen ist Voraussetzung für Strategiefestigkeit. 53 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Transitivität? Transitive soziale/kollektive Präferenzordnung Idee: → keine zyklischen Mehrheiten → Pfadunabhängigkeit der Entscheidung (Reihenfolge der Abstimmung) → verhindert Manipulation durch Agendasetting (paarweise Abstimmung ohne Kontrollabstimmung bei zykl. Mehrheiten: Agenda-Setting Spielraum) Was tun bei zyklischen Mehrheiten? ➢ Entscheidungsfähigkeit muß durch KEF gewährleistet werden. Ausweg? → Beschränkung auf Wahl der kollektiven Erstpräferenz (Transitivitätspostulat kann dann aufgegeben werden) Sen (1993) Econometrica: Es gibt kein kollektives Wahlverfahren, das P, UD, UIA und ND erfüllt. + ethischer Gehalt der Transitivitätsforderung? + im Falle zykl. Mehrheiten Gesellschaft zu eindeutigen Entscheidungen (durch Mehrheitswahl) nicht fähig → Notwendigkeit zur Entscheidung 54 Günther Schulze, Grundlagen der Wirtschaftspolitik → Lösungen in gewissem Sinne „willkürlich“ Fairneß ⇒ Losentscheid?! bei entscheidenden Fragen kaum denkbar. Unbeschränkter Geltungsbereich? (UD) → Notwendigkeit der Entscheidungsfindung bei beliebigen Konstellationen individueller Präferenzen. → Alle individuellen Präferenzordnungen sind gleichermaßen zulässig → Demokratisches Prinzip. 55