Leipziger Zugänge zur rechtlichen, politischen und kulturellen

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Leipziger Zugänge zur rechtlichen, politischen und kulturellen
Dietmar Müller, Adamantios Skordos (Hg.)
Leipziger Zugänge
zur rechtlichen, politischen und
kulturellen Verflechtungsgeschichte
Ostmitteleuropas
Leipziger Universitätsverlag 2015
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© Leipziger Universitätsverlag 2015
Satz: K & M, Leipzig
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Cover: berndtstein | grafikdesign, Radebeul
ISBN 978-3-86583-914-5
Adamantios Skordos
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege
auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen
im Völkerstrafrecht
Einleitung
Stefan Troebst hat unlängst die These einer starken Prägung des Völkerrechts im 19. und
20. Jahrhundert durch das Konfliktgeschehen im östlichen Europa formuliert und anhand
einer Reihe von Fallbeispielen belegt. Die postjugoslawischen Kriege der 1990er Jahre
nehmen in seiner Argumentation eine prominente Rolle ein. Unter anderem nimmt er dabei
Bezug auf die das staatliche Souveränitätsprinzip aufweichende Doktrin der Responsibilityto-Protect, das Dayton-Abkommen von 1995, das einen Paradigmenwechsel im Umgang
der Staatengemeinschaft mit den Folgen ethnischer Säuberungen einleitete, sowie den Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Internationale Criminal Tribunal
for the Former Yugoslavia, ICTY) als Meilenstein in der Entwicklung der völkerrechtlichen
Ahndung von Kriegsverbrechen.1 Der weitreichende Einfluss der gewaltsamen Auflösung
Jugoslawiens auf das Völkerrecht, insbesondere das humanitäre Völkerrecht (Kriegsvölkerrecht) und das Völkerstrafrecht, wird auch vom seit November 2011 amtierenden Präsidenten des ICTY Theodor Meron bestätigt, der schon 1998 diesbezüglich Folgendes konstatierte:
International humanitarian law has developed faster since the beginning of the atrocities in the
former Yugoslavia than in the four-and-a-half decades since the Nuremberg Tribunals and the
adoption of the Geneva Conventions for the Protection of Victims of War of August 12, 1949.2
An wohl kaum einem anderen Beispiel ist die prägende Rolle des ethnopolitischen Konflikts im ehemaligen Jugoslawien und des ICTY bei der Weiterentwicklung völkerrechtlicher Regelungen so zu belegen wie im Fall der Anerkennung sexualisierter Gewalt3 in
bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
1
Stefan Troebst: Speichermedium der Konflikterinnerung. Zur osteuropäischen Prägung des modernen
Völkerrechts, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 61 (2012) 3, S. 405-432, hier: S. 406.
2
Theodor Meron: War Crimes Law Comes of Age, The American Journal of International Law 92
(1998) 3, S. 462-468, hier: S. 463.
3
In diesem Beitrag wird dem Begriff „sexualisierte Gewalt“ statt dem gängigeren der „sexuellen Gewalt“ der Vorzug gegeben. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Massenvergewaltigungen und andere sexuelle Misshandlungen während des Krieges in Bosnien-Herzegowina nicht ausschließlich der Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sondern auch bzw. vorrangig einer Kriegsführung dienten, die
auf die ethnische Säuberung der feindlichen Zivilbevölkerung abzielte. Zur unterschiedlichen Verwendung
der beiden Begriffe vgl. z. B. das Interview mit dem Sozialpsychologen Rolf Pohl: Sexualisierte Gewalt als
Kriegeswaffe. In: Heinrich Böll Stiftung/Gunda Werner Institut, Feminismus und Geschlechterdemokratie,
http://www.gwi-boell.de/de/2010/ 05/06/sexualisierte-gewalt-als-kriegeswaffe (4.11.2014). Zu einer ausführlicheren Besprechung der Begriffsproblematik mit weiterführenden Literaturhinweisen siehe Sabrina
Köhler: Sexuelle Kriegsgewalt. Eine kritische Auseinandersetzung mit einem Kriegsphänomen beispielhaft
am Balkankonflikt, MA-Arbeit, Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O, 2011, S. 8-10, http://www.kuwi.
europa-uni.de/de/lehrstuhl/lw/ depolitbez/Projekte/Gender-Lectures/Sabrina-Koehler/MA-Sabrina-Koehler_
Sexuelle-Kriegsgewalt_April-2011.pdf (4.11.2014).
42 Adamantios Skordos
Völkermord. Ziel dieses Beitrages ist den Einfluss des ICTY auf die Entwicklung des völkerrechtlichen Straftatbestands der sexualisierten Gewalt in bewaffneten Konflikten eingehend zu dokumentieren.
Die ethnische Säuberungspolitik der Serben in Bosnien-Herzegowina, die von Massenvergewaltigungen muslimischer Frauen begleitet wurde, erregte international große Aufmerksamkeit. Wie Marie-Janine Calic Mitte der 1990er Jahre festhielt, standen die sexualisierten Gewalttaten ganz oben auf der (welt-)öffentlichen Thema-Agenda:
Kaum ein Ereignis hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten so stark erschüttert wie
der Ausbruch des jugoslawischen Krieges im Sommer 1991. […] Die flächendeckenden ethnischen Vertreibungen, die unhaltbaren Zustände in den Gefangenenlagern und die massenhafte
Vergewaltigung von Frauen beschäftigten die Medien besonders.4
Einschätzungen zufolge sind im bosnischen Krieg zwischen 20.000 und 50.000 Frauen
Opfer sexualisierter Gewalttaten geworden.5 Der internationale Aufschrei über die massenhaften und systematisch durchgeführten Vergewaltigungen vorwiegend muslimischer Frauen durch serbisch-bosnische Paramilitärs im Rahmen ihrer ethnischen Säuberungspolitik
war dermaßen groß, dass sich die Forderung nach einer im Völkerstrafrecht deutlich verankerten Ahndung der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt gegenüber langanhaltenden
Vorbehalten und ablehnenden Meinungen durchsetzen konnte. Der besagte Meron war
einer der einflussreichsten Akteure, der 1993 anlässlich der Massenvergewaltigungen im
Zuge der jugoslawischen Auflösungskriege für einen dringenden Kurswechsel in der Frage
der internationalen Strafverfolgung von sexualisierten Kriegsverbrechen plädierte: „It is
time for a change. Indeed, under the weight of the events in former Yugoslavia, the hesitation to recognize that rape can be a war crime or a grave breach has already begun to dissipate.“6
Zur Strafbarkeit der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht vor 1991
Um den großen Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Entwicklung des humanitären Völkerrechts und des Völkerstrafrechts hinsichtlich des Tatbestands der Kriegsvergewaltigung richtig einschätzen zu können, muss zunächst das Regelsystem der internationalen Ächtung von Vergewaltigungen, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs und bis zur
Gründung des ICTY existierte, in Betracht genommen werden. Im Statut des Internationalen Militärtribunals von Nürnberg (International Military Tribunal, IMT) fand die Vergewaltigung als Straftatbestand keine Berücksichtigung – auch wenn deutsche ebenso wie
sowjetische Soldaten während des Krieges und unmittelbar danach massenhaft Vergewaltigungen begangen hatten.7 Auch im Statut des International Military Tribunal for the Far
East (IMTFE) wurde nicht auf den Tatbestand der Vergewaltigung Bezug genommen.
Trotzdem wurden in den Tokioter Gerichtsverfahren neben anderen Kriegsverbrechen auch
4
Marie-Janine Calic: Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, Frankfurt a. M. 82012, S. 9, S. 120.
Anne-Marie LM de Brouwer: Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence. The ICC and
the Practice of the ICTY and ICTR, Antwerpen 2005, S. 9.
6
Theodor Meron: Rape as Crime under International Humanitarian Law, The American Journal of International Law 87 (1993) 3, S. 424-428, hier: S. 426.
7
Ebd.
5
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 43
Vergewaltigungen angeklagt und verurteilt.8 Entscheidend dafür war, dass in der Anklageschrift der Tatbestand der Vergewaltigung unter den gravierenden Verletzungen des Völkerrechts mehrmals angeführt worden war:
Section One. Inhumane treatment, contrary in each case to Article 4 of the said Annex to the said
Hague Convention and the whole of the said Geneva Convention and to the said assurances. In
addition to the inhumane treatment […] prisoners of war and civilian internees were murdered
beaten, tortured and otherwise ill-treated, and female prisoners were raped by members of the
Japanese forces. […] Section Five. Mistreatment of the sick and wounded, medical personnel and
female nurses, contrary to Articles 3, 14, 15 and 25 of the said Geneva Convention and Articles 1,
9, 10 and 12 of the said Red Cross Convention, and to the said assurances: (a) Officers and soldiers who were wounded or sick, medical personnel, chaplains, and personnel of voluntary aid
Societies were not respected or protected, but were murdered, ill-treated and neglected; (b) medical personnel, chaplains and personnel of voluntary aid Societies were wrongfully retained in
Japanese hands; (c) female nurses were raped, murdered and ill-treated; […] Section Twelve:
Failure to respect family honour and rights, individual life, private property and religious convictions and worship in occupied territories, and deportation and enslavement of the inhabitants
thereof, contrary to Article 46 of the said Annex to the said Hogue Convention and to the Laws
and Customs of War: Large numbers of the inhabitants of such territories were murdered, tortured, raped and otherwise il-treated, arrested and interned without justification, sent to forced labour, and their property destroyed or confiscated [Hervorhebungen A. S.].9
Das Tokioter Tribunal fand eine Reihe hochrangiger Offiziere und ziviler Beamter wegen
Kriegsverbrechen schuldig, insbesondere weil sie ihrer Pflicht nicht nachgegangen waren,
sicherzustellen, dass ihre Unterstellten die Regeln des humanitären Völkerrechts befolgten.
Im Urteilsspruch des Gerichtshofes fand eine indirekte Anerkennung des Tatbestands der
Vergewaltigung als Kriegsverbrechen statt, indem es unter Kapitel VII „Conventional War
Crimes (Atrocities)“ hieß:
The evidence relating to atrocities and other Conventional War Crimes presented before the Tribunal establishes that from the opening of the war in China until the surrender of Japan in August
1945 torture, murder, rape [Hervorhebung, A. S.] and other cruelties of the most inhumane and
barbarous character were freely practiced by the Japanese Army and Navy. During a period of
several months the Tribunal heard evidence, orally or by affidavit, from witnesses who testified in
detail to atrocities committed in all theatera of war on a scale so vast, yet following so common a
pattern in all theaters, that only one conclusion is possible – the atrocities were either secretly ordered or wilfully permitted by the Japanese Government or individual members thereof and by
the leaders of the armed forces. 10
Im Weiteren nahm das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (Control Council Law No. 10) den Tatbestand der Vergewaltigung in die Liste der Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Dieses
8
Sven-U. Burkhardt: Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sexualisierte Gewalt,
Makrokriminalität und Völkerstrafrecht, Münster 2005, S. 43. Vgl. insbesondere Art. 5 (Jurisdiction and
general provisions) des Statutes, das die Verbrechen aufführt, die unter den rechtlichen Zuständigkeitsbereich des Gerichts fielen. International Military Tribunal for the Far East Charter (IMTFE Charter). In:
University Oslo, The Faculty of Law, Service and Tools, Treaty Database, 4. Crimes, 4.6. International
Criminal Tribunals, http://www.jus.uio.no/english/services/library/treaties/04/4-06/military-tribunal-fareast.xml (18.11.2013).
9
Judgment International Military Tribunal for the Far East. Indictment, S. 7, S. 46-47, S. 49. In: Prof. Dr.
Gerhard Werle, Lehrstuhl für deutsches und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und juristische Zeitgeschichte, Archiv des Völkerstrafrechts, http://werle.rewi.hu-berlin.de/tokyo.anklageschrift.pdf (18.11.2013).
10
International Military Tribunal for the Far East, Judgment of 4 November 1948, S. 489. In: ebd.,
http://werle.rewi.hu-berlin.de/tokio.pdf (18.11.2013). Siehe auch Meron, Rape as Crime, S. 426.
44 Adamantios Skordos
war von den Alliierten erlassen worden, „um die internationale Zuständigkeit für die Nachfolgeprozesse der Nürnberger Prozesse, die von Militärgerichten unter der Leitung der
einzelnen Besatzungsmächte durchgeführt wurden“, zu begründen. Dadurch sollte eine für
alle vier Besatzungszonen gemeinsame gesetzliche Grundlage geschaffen werden zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen, die während der NS-Zeit begangen wurden,
sowie von „anderen ähnlichen Rechtsverletzungen“.11 In Art. 2 Abs. 3 fanden zwei Ergänzungen beim Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit statt. Die erste ermöglichte die strafrechtliche Verfolgung einer Tat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
unabhängig davon, ob zwischen dieser und einem Verbrechen gegen den Frieden oder
einem Kriegsverbrechen eine nachweisliche Verbindung bestünde. Und durch die zweite
Ergänzung „wurde die Vergewaltigung zum ersten Mal ausdrücklich als ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit bezeichnet“12:
Article II. 1. Each of the following acts is recognized as a crime: […] (c) Crimes against Humanity. Atrocities and offenses, including but not limited to murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape [Hervorhebung A. S.], or other inhumane acts committed
against any civilian population, or persecutions on political, racial or religious grounds whether or
not in violation of the domestic laws of the country where perpetrated.13
Diesem durch Art. 2, Abs. C geschaffenen Präzedenzfall wurde allerdings weder in dem IV.
Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949
(Geneva Convention Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War) noch in
den beiden Zusatzprotokollen über den Schutz der Opfer internationaler und nicht internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977 Rechnung getragen. Zwar wurde darin die
Vergewaltigung explizit verboten und die Ehre von Frauen unter besonderem Schutz gestellt,14 dennoch nicht in den unter Art. 147 angeführten Katalog von schweren Verletzungen des Kriegsvölkerrechts und daher ahndungswürdigen Kriegsverbrechen aufgenommen.15 Das erschwerte die strafrechtliche Verfolgung von sexualisierter Gewalt gegen
Frauen erheblich.16 Judith G. Gardam schreibt über die unzureichende Absicherung der
strafrechtlichen Verfolgung der Vergewaltigungstat durch Art. 72 Abs. 2 des IV. Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 Folgendes:
11
Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert: Unter besonderer Berücksichtigung der völkerrechtlichen Straftatbestände und der Bemühungen um einen Ständigen
Internationalen Strafgerichtshof, Baden-Baden 1999, S. 96.
12
Alexandra Adams: Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht, Berlin 2013, S. 145.
13
Control Council Law No. 10. In: Yale Law School/Lillian Goldman Law Library, The Avalon Project:
Documents in Law, History and Diplomacy, http://avalon.law.yale.edu/imt/imt10.asp (08.08.2014).
14
„IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten. […]
Teil III. Rechtsstellung und Behandlung der geschützten Personen. Abschnitt I. Gemeinsame Bestimmungen für die Gebiete der am Konflikt beteiligten Parteien und die besetzten Gebiete. Artikel 27 [Allgemeiner
Schutz] […] Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt.“, in: Christian Tomuschat
(Hg.): Völkerrecht. Textsammlung, Frankfurt a. M. 42009, S. 456-469, hier: S. 462. „Zusatzprotokoll zu den
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte
(Protokoll I). […] Kapitel II. Maßnahmen zugunsten von Frauen und Kindern. Art. 76. Schutz von Frauen.
(1) Frauen werden besonders geschont; sie werden namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und jeder anderen unzüchtigen Handlung geschützt.“, in: ebd., S. 470-509, hier: S. 501.
15
Meron, Rape as a Crime, S. 426; Adams, Der Tatbestand, S. 104-107.
16
Daphé Lucas: Die Entwicklung der Rechte der Frauen in bewaffneten Konflikten durch die Rechtsprechung der internationalen Gerichtshöfe. In: Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung,
http://www.gwi-boell.de/downloads/Gender_Krieg_Daphne_Lucas.pdf (22.11.2013).
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 45
Although this articles constitutes a long overdue recognition that rape is unacceptable in times of
armed conflict, the extent and gravity of the practice are not acknowledged since the provision
falls outside the system of grave breaches of international humanitarian law (under this system
States are obliged to seek out and punish persons responsible for failing to observe certain designated provisions of the Conventions). Article 72 (2) has also been criticized on the grounds that,
like many of the provisions relating to women, it categorizes rape as an attack on the victim’s
honour and thus does not reflect the seriousness of the offence of sexual violence.17
Bis zum Ausbruch der postjugoslawischen Kriege fanden keine weiteren nennenswerten
Entwicklungen im Bereich der Weiterentwicklung des Vergewaltigungsstraftatbestands
statt. Das Kriegsverbrechen der Vergewaltigung und anderer Formen sexualisierter Gewaltanwendung wurde für längere Zeit weitgehend tabuisiert mit der Folge, dass dieses im
Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht nicht verfestigt war. Politiker, Richter und
Staatsanwälte, aber auch Journalisten und Historiker betrachteten Sexualverbrechen als ein
im Vergleich zu anderen Kriegsverbrechen eher unwichtiges und unvermeidbares Nebenprodukt des Krieges. Die Aufmerksamkeit, die sie dem Phänomen widmeten, war entsprechend gering. Erst die zahlreichen Medienbeiträge zu den Massenvergewaltigungen in den
Kriegen in Bosnien-Herzegowina und in Ruanda sowie deren juristische Aufarbeitung im
Rahmen der beiden Ad-hoc-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda rückten die Massivität sexueller Misshandlungen und ihre langfristigen, verheerenden Folgen für die Opfer ins
Bewusstsein der Weltgemeinschaft.18
Das ICTY: Eine Zäsur
in der völkerrechtsstrafrechtlichen Ahndung sexualisierter Gewalt
Im Folgenden soll der Beitrag des ICTY zur Weiterentwicklung der völkerrechtlichen
Strafbarkeit der Vergewaltigung und anderer Sexualverbrechen im Krieg (sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungen Schwangerschaft, Zwangssterilisation u. a.) untersucht werden. Der prägende Einfluss des ICTY auf die völkerrechtliche Normsetzung im
Bereich der sexualisierten Gewalt erfolgte entweder „direkt“ über das Statut oder „unmittelbar“ über die Rechtsprechung, die einen Niederschlag im Völkerstrafrecht und im humanitären Völkerrecht fand.
Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
Kriegsverbrechen und Völkermord
Das im Mai 1993 erlassene und zugleich in Kraft getretene ICTY-Statut war in mehrerlei
Hinsicht – sowohl aufgrund innovativer Bestimmungen als auch wegen seiner „Versäumnisse“ und „Lücken“ – von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung völkerrechtlicher
Grundsätze zur internationalen Strafverfolgung sexualisierter Gewalttaten in bewaffneten
Konflikten. An erster Stelle ist zu nennen, dass in Art. 5 lit. g ICTY-Statut erstmals dem
Beispiel des besagten Kontrollratsgesetzes von 1945 gefolgt und die Vergewaltigung als
Tatbestandsmerkmal des Verbrechens gegen die Menschlichkeit explizit definiert wurde:
17
Judith G. Gardan: Women, human rights and international humanitarian law, International Review of
the Red Cross, No. 324, http://www.icrc.org/eng/resources/documents/misc/57jpg4.htm (16.11.2013).
18
Adams, Der Tatbestand, S. 21.
46 Adamantios Skordos
Article 5 Crimes against humanity
The International Tribunal shall have the power to prosecute persons responsible for the following
crimes when committed in armed conflict, whether international or internal in character, and directed against any civilian population: a. murder; b. extermination; c. enslavement; d. deportation;
e. imprisonment; f. torture; g. rape; h. persecutions on political, racial and religious grounds; i.
other inhumane acts.19
Zwar drohte einer völkerstrafrechtlichen Verfolgung der während der postjugoslawischen
Kriege stattgefundenen Vergewaltigungen lediglich auf der Grundlage dieser Bestimmung
die Gefahr zahlreicher Komplikationen. Die Möglichkeit der Berufung von Seiten der Angeklagten auf den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege war sehr wahrscheinlich.
Und außerdem musste für die Anerkennung einer Vergewaltigung als Verbrechen gegen die
Menschlichkeit die Tatvoraussetzung eines systematischen und/oder massenhaften Angriffs
gegen die Zivilbevölkerung vorliegen bzw. nachgewiesen werden.20 Dennoch handelt es
sich bei der Einbeziehung des Vergewaltigungstatbestands in Art. 5 ICTY-Statut um eine
bahnbrechende Entwicklung, deren große Bedeutung von Völkerrechtlern unterstrichen
wurde. Meron etwa kommentierte sie wie folgt: „Both morally and legally, the importance
of this provision cannot be overstated.“21
Andererseits fehlte dem ICTY-Statut eine entsprechend deutlich formulierte Regelung
zur Anerkennung von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten als schwerwiegende
Verletzungen des humanitären Völkerrechts, als Kriegsverbrechen und als Völkermord.22
Angesichts dieser „Nachlässigkeit“ der Verfasser des ICTY-Statuts kam es zu einer kontroversen Debatte unter Völkerrechtlern, ob die Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt ein
im Völkerstrafrecht bereits verankertes Kriegsverbrechen darstelle, und falls ja, ob dieser
Tatbestand ausschließlich unter Rückgriff auf das ICTY-Statut strafrechtlich verfolgt werden könne.23 Es waren vor allem engagierte Frauenrechtlerinnen, die den Standpunkt vertraten, es sei seit 1949 geltendes Völkerrecht, dass Vergewaltigungen im Krieg Kriegsverbrechen seien. Diese Einschätzung gründete allerdings auf einer breiten Auslegung einer
Reihe von Bestimmungen der Genfer Abkommen von 1949, insbesondere des IV. Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten sowie
der beiden Zusatzprotokolle von 1977. 24 Zwar wurde, wie bereits gesagt, tatsächlich darin
die Handlung der Vergewaltigung ausdrücklich verboten, jedoch diese weder unter den
19
Statute of the ICTY. In: University Oslo, The Faculty of Law, Service and Tools, Treaty Database, 4.
Crimes, 4.6. International Criminal Tribunals, http://www.jus.uio.no/english/services/library/treaties/ 04/406/ict-for-yugoslavia.xml (10.12.2013).
20
Burkhardt, Vergewaltigung, S. 139. Kathrin Greve: Vergewaltigung als Völkermord. Aufklärung sexueller Gewalt gegen Frauen vor internationalen Strafgerichten, Baden-Baden 2008, S. 154.
21
Theodor Meron: War Crimes in Yugoslavia and the Development of International Law, The American
Journal of International Law 88 (1994) 1, S. 78-87, hier: S. 84.
22
Vgl. Statute of the ICTY. In: University Oslo, The Faculty of Law, Service and Tools, Treaty Database,
4. Crimes, 4.6. International Criminal Tribunals, http://www.jus.uio.no/english/services/library/treaties/04/406/ict-for-yugoslavia.xml (10.12.2013).
23
Kelly Dawn Askin: War Crimes against Women. Prosecution in International War Crimes, The Hague
1997, S. xiii-xiv.
24
Vgl. z. B. Helga Wullweber: Vergewaltigung als Waffe und das Kriegsvölkerrecht, Kritische Justiz 26
(1993) 2, S. 179-193; Dies.: Kriegsverbrechen Vergewaltigung. Beispiel: Bosnien-Herzegowina, Wissenschaft
und Frieden 1 (1993), http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0980 (14.1.2014). Elizabeth A. Kohn: Rape as Weapon for War: Women’s Human Rights during the Dissolution of Yugoslavia,
Golden Gate University Law Review 24 (1994) 1, S. 199-221; Kelly Dawn Askin: Prosecuting Wartime
Rape and Other Gender-Related Crimes under International Law: Extraordinary Advances, Enduring Obstacles, Berkeley Journal of International Law 21 (2003) 2, S. 288-349.
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 47
schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts angeführt noch explizit zu
einem Kriegsverbrechen ernannt.25
Die am ICTY-Statut ausgeübte Kritik wegen der fehlenden Bewertung der Vergewaltigung im Krieg über den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit hinaus
wirkte sich positiv auf die nachfolgenden Statuten des Ruanda-Tribunals (International
Criminal Tribunal for Ruanda, ICTR) und des Internationalen Strafgerichtshofes (International Criminal Court, ICC) aus. Im 1994 verabschiedeten ICTR-Statut wurde die Tat der
Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt nicht nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt (Art. 3 lit. g), sondern auch explizit als ein schwerer Verstoß gegen den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 und gegen deren Zusatzprotokoll II vom 8. Juni 1977 eingestuft (Art. 5 lit. 3):
Article 3 Crimes against humanity.
The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons responsible for
the following crimes when committed as part of a widespread or systematic attack against any civilian population on national, political, ethnic, racial or religious grounds: a. Murder; b. Extermination; c. Enslavement; d. Deportation; e. Imprisoment; f. Torture; g. Rape; h. Persecutions on
political, racial and religious grounds; i. Other inhumane acts. […]
Article 4 Violations of Article 3 common to the Geneva Conventions and of Additional Protocol
II. The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons committing
or ordering to be committed serious violations of Article 3 common to the Geneva Conventions of
12 August 1949 for the Protection of War Victims, and of Additional Protocol II thereto of 8 June
1977. These violations shall include, but shall not be limited to: a. Violence to life, health and
physical or mental well-being of persons, in particular murder as well as cruel treatment such as
torture, mutilation or any form of corporal punishment; b. Collective punishments; c. Taking of
hostages; d. Acts of terrorism; e. Outrages upon personal dignity, in particular humiliating and
degrading treatment, rape, enforced prostitution and any form of indecent assault; f. Pillage; g.
The passing of sentences and the carrying out of executions without previous judgement pronounced by a regularly constituted court, affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by civilised peoples; h. Threats to commit any of the foregoing acts [Hervorhebungen A. S.].26
Das 2002 in Kraft getretene Römische Statut des ICC hat schließlich in Art. 7 Abs. 1 lit. g
und Art. 8 Abs. 2 lit. b [xxii] die Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt
in bewaffneten Konflikten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen unmissverständlich qualifiziert:
Artikel 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ jede der folgenden
Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird: a) vorsätzliche Tötung; b) Ausrottung; c)
Versklavung; d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung; e) Freiheitsentzug
oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die
Grundregeln des Völkerrechts; f) Folter; g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur
Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller
Gewalt von vergleichbarer Schwere […]
25
Meron, Rape, S. 426; Adams, Der Tatbestand, S. 104-108.
Statute of the ICTR. In: University Oslo, The Faculty of Law, Service and Tools, Treaty Database, 4.
Crimes, 4.6. International Criminal Tribunals, http://www.jus.uio.no/english/services/library/treaties/04/406/ict-rwanda.xml (10.12.2013).
26
48 Adamantios Skordos
Artikel 8 Kriegsverbrechen
(1) Der Gerichtshof hat Gerichtsbarkeit in Bezug auf Kriegsverbrechen, insbesondere wenn diese
als Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem
Umfang verübt werden.
(2) Im Sinne dieses Statuts bedeutet „Kriegsverbrechen“
a) schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich jede der folgenden Handlungen gegen die nach dem jeweiligen Genfer Abkommen geschützten Personen oder
Güter […] b) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich
jede der folgenden Handlungen: […] xxii) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen darstellt [Hervorhebungen A. S.].27
Darüber hinaus wurden Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt mit dem
Rahmen- bzw. Kernverbrechen des Völkermords in Verbindung gebracht. Zwar sind Sexualverbrechen im entsprechenden Art. 6 ICC-Statut nicht unter den Einzeltaten des Völkermordtatbestands zu finden. Dennoch wurde in dieser Hinsicht nachträglich durch das neue
völkerstrafrechtliche Instrument der Verbrechenselemente (Elements of Crimes, EOC)28
eine wichtige Ergänzung vorgenommen: In Anm. 3 der ICC-Verbrechenselemente zu Art.
6(b) ICC-Statut wird erläutert, dass sich die Völkermordseinzeltat nach Buchstabe b), nämlich der „Verursachung von schwerem körperlichen und seelischen Schaden“, auf die Taten
von „Folter, Vergewaltigung, sexueller Gewalt, unmenschlicher oder erniedrigender Be-
27
Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. In: International Criminal Law Society – Gesellschaft für Völkerstrafrecht, Tribunals, Documents to download, http://www.icls.de/dokumente/icc_
statute.pdf (25.12.2013).
28
Laut ICC-Statut sollen die „Verbrechenselemente“ dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Art. 6,7 und 8 helfen: „Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. […] Art. 9 ‚Verbrechenselemente‘. (1) Die ‚Verbrechenselemente‘ helfen dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung
der Art. 6, 7 und 8. Sie werden von den Mitgliedern der Versammlung der Vertragsstaaten mit Zweidrittelmehrheit angenommen. (2) Änderungen der ‚Verbrechenselemente‘ können vorgeschlagen werden von a)
jedem Vertragsstaat; b) den Richtern mit absoluter Mehrheit; c) dem Ankläger. Diese Änderungen werden
von den Mitgliedern der Versammlung der Vertragsstaaten mit Zweidrittelmehrheit angenommen.“ In:
International Criminal Law Society – Gesellschaft für Völkerstrafrecht. Tribunals, Documents to download,
http://www.icls.de/dokumente/icc_statute.pdf (25.12.2013). Die Verabschiedung der Verbrechenselemente
fand im Jahr 2002 seitens der Vertragsstaaten statt, nachdem zuerst eine Vorbereitungskommission (Preparatory Commission for the International Criminal Court) die entsprechende Vorarbeit geleistet hatte. Die
Notwendigkeit für eine genauere Definition der in Art. 6-8 des ICC-Statuts unter den drei völkerrechtlichen
Kernverbrechen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Völkermord) aufgezählten
Tathandlungen durch Verbrechenselemente resultierte aus der Erkenntnis, dass die völkergewohnheitsrechtliche Geltungsbehauptung der in den Statuten der beiden ad hoc-Tribunale enthaltenen Strafbestimmungen
umstritten war. Außerdem war die Aufnahme des aus dem anglo-amerikanischen Rechtssystem stammenden
Instituts der Verbrechenselemente in das ICC-Statut eine Reaktion der Staaten, insbesondere der USA, auf
die weitgehende Rechtsprechung der beiden ad hoc-Tribunale, vor allem des ICTY im Fall Tadić. Den Richtern des ICC sollte im Vergleich zu ihren Kollegen vom ICTY nur ein sehr eingeschränkter Auslegungsspielraum zugestanden werden, sodass auch ihre Rechtsprechung berechenbarer würde. Andererseits wurden mehrere ICTY- und ICTR-Urteilssprüche bei der Ausarbeitung der Verbrechenselemente stark berücksichtigt,
sodass letztendlich die beiden ad hoc-Tribunale auch auf die Konkretisierung der Verbrechenstatbestände
des ICC-Statuts einen großen Einfluss nahmen. Vgl. Knut Dörmann: Elements of War Crimes under the
Rome Statute of the International Criminal Court. Sources and Commentary, Cambridge 2003; Arnd Koch:
Über den Wert der Verbrechenselemente („Elements of Crimes“) gem. Art. 9 IStGH-Statut, Zeitschrift für
Internationale Strafrechtsdogmatik 2 (2007) 4, S. 150-154.
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 49
handlung“ bezieht.29 Diese Erläuterung geht auf die Empfehlung der NGO Women’s Causus for Gender Justice zurück, die sich dabei wiederum auf die Rechtsprechung der beiden
Ad-hoc-Tribunale berufen hatte.30
Definition(en) von Vergewaltigungen
Im Weiteren veranlassten die im Rahmen der ethnischen Säuberungspolitik verübten Massenvergewaltigungen im Bosnien-Krieg, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung im
Völkerstrafrecht konkreter als je zuvor definiert und durch andere Formen sexualisierter
Gewalt ergänzt wurde. Auch hier erwiesen sich die diesbezüglichen „Versäumnisse“ und
„Lücken“ des ICTY-Statuts für ausschlaggebend. Eine juristische Kommission der Vereinten Nationen, die auf der Grundlage der Sicherheitsresolution 780 von 1992 zur Untersuchung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien errichtet
worden war, konstatierte in ihrem Ende Dezember 1994 eingereichten Bericht eine bis dato
unzureichende Bestimmung der vom Tatbestand der Vergewaltigung erfassten Handlungen:
„Unlike the majority of codified penal law, ‚rape‘ is not precisesly defined in international
humanitarian law.“31 Die Tatbestandsfassung der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt
ist aber für die völkerrechtliche Strafverfolgung insofern von hervorragender Bedeutung,
als dem Bestimmtheitsgrundsatz (nullum crimen sine lege certa/ criminal principle of specificity) Rechnung getragen werden muss. Trotzdem fand zunächst im Römischen ICCStatut der Hinweis der juristischen UN-Kommission zur Notwendigkeit der Erarbeitung
einer allgemein akzeptierten Definition der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht keine Berücksichtigung. Zwar wurde darin, wie gesagt, explizit festgelegt, dass die Tatbestände der
drei völkerrechtlichen Kernverbrechen (Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordverbrechen) auch die Handlung der Vergewaltigung im bewaffneten Konflikt umfassen könnten. Dennoch überließ man zunächst den Richtern je nach Einzelfall und nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob es sich bei der zu bewertenden
Handlung um eine Vergewaltigung handele. Eine Vorgabe von Kriterien zur Bestimmung
einer Tat als Vergewaltigung fand im ICC-Statut nicht statt. 32
Nur einige Monate nach Annahme des ICC-Statuts durch 120 Staaten im Juli 1998 in
Rom trat allerdings in der Frage der völkerstrafrechtlichen Definition des Vergewaltigungstatbestands eine wichtige Entwicklung ein. Die beiden ad hoc-Tribunale für Jugoslawien
und Ruanda lieferten in zwei zeitnahen Urteilen partiell abweichende Definitionen von
Vergewaltigung. Im Fall Akayesu wendete das ICTR in seinem Urteil vom 2. September
29
„Elements of Crimes […] Art. 6 (b) Genocide by causing serious bodily or mental harm Elements. 1.
The perpetrator caused serious bodily or mental harm to one or more persons. [Fn., A.S.] 3 This conduct
may include, but is not necessarily restricted to, acts of torture, rape, sexual violence or inhuman or degrading treatment.“ In: ICC, Legal Texts and Tools, Elements of Crimes, http://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/
336923D8-A6AD-40EC-AD7B-45BF9DE73D56/0/ElementsOfCrimesEng.pdf (13.8.2014).
30
Vgl. Women’s Caucus Advocacy in ICC Negotiations, Genocide: Sexual Violence as Acts of Genocide, Submitted to the 16-26 February 1999 Preparatory Committee for the ICC. In: Women’s Causus For
Gender Justice, http://www.iccwomen.org/wigjdraft1/Archives/oldWCGJ/icc/iccpc/021999pc/genocide.htm
(13.8.2014). Siehe auch Adams, Der Tatbestand, 178.
31
United Nations Security Council, Distr. General, S/1994/674/Add. 2 (Vol. I), 28 December 1994, Final Report of the United Nations Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), Annex II, Rape and Sexual Assault: A Legal Study under the Direction of: Christine P.M.
Cleiren. Contributor: Melanie E.M. Tijssen, S. 3.
32
Vgl. das ICC-Statut. In: International Criminal Law Society – Gesellschaft für Völkerstrafrecht, Tribunals, Documents to download, http://www.icls.de/dokumente/icc_statute.pdf (25.12.2013).
50 Adamantios Skordos
1998 eine breite Definition von Vergewaltigung im Krieg an, indem es den Tatbestand
folgendermaßen auslegte:
The Chamber defines rape as a physical invasion of a sexual nature, committed on a person under
circumstances which are coercive. Sexual violence which includes rape, is considered to be any
act of a sexual nature which is committed on a person under circumstances which are coercive.
This act must be committed: (a) as part of a wide spread or systematic attack; (b) on a civilian
population; (c) on certained catalogued discriminatory grounds, namely: national, ethnic, political, racial, or religious grounds.33
Zuvor hatte das Ruanda-Tribunal bemängelt, dass es bis zu diesem Zeitpunkt keine im
Völkerrecht allgemein gültige Vergewaltigungsdefinition gebe und nannte auch Schwächen
der in nationalen Rechten bereits bestehenden Definitionen dieses Straftatbestands:
Considering the extent to which rape constitute crimes against humanity, pursuant to Article 3(g)
of the Statute, the Chamber must define rape, as there is no commonly accepted definition of this
term in international law. While rape has been defined in certain national jurisdictions as nonconsensual intercourse, variations on the act of rape may include acts which involve the insertion
of objects and/or the use of bodily orifices not considered to be intrinsically sexual.34
Eine weitere Präzisierung des Tatbestands der Vergewaltigung durch eine Auflistung einzelner Tatbestandsteile lehnten die ICTR-Richter konsequent ab. Dabei beriefen sie sich auf
das Beispiel der VN-Folter-Konvention, in welcher bei der Folterdefinition auf eine Aufzählung von Tathandlungen ebenso verzichtet wurde:
The Chamber considers that rape is a form of aggression and that the central elements of the
crime of rape cannot be captured in a mechanical description of objects and body parts. The Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment does
not catalogue specific acts in its definition of torture, focusing rather on the conceptual frame
work of state sanctioned violence. This approach is more useful in international law.35
Die Richter des ICTY, die sich zur selben Zeit ebenso mit dem Problem einer fehlenden
Definition von Vergewaltigung im Völkerstrafrecht konfrontiert sahen, richteten sich zunächst in ihrem Urteil gegen Zejnil Delalić, Zdravko Musić, Hazim Delić und Esad Landžo
vom 16. November 1998 im Fall Čelebići nach dem besagten vorangegangenen ICTRUrteil im Fall Akayesu und übernahmen wortwörtlich die vorgeschlagene Definition mit
folgender Begründung:
Although the prohibition on rape under international humanitarian law is readily apparent, there is
no convention or other international instrument containing a definition of the term itself. The Trial
Chamber draws guidance on this question from the discussion in the recent judgement of the
ICTR, in the case of the Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu (hereafter „Akayesu Judgement“) which
has considered the definition of rape in the context of crimes against humanity. […] This Trial
Chamber agrees with the above reasoning, and sees no reason to depart from the conclusion of the
ICTR in the Akayesu Judgement on this issue. Thus, the Trial Chamber considers rape to consti-
33
ICTR, Case No. ICTR-96-4-T, the Prosecutor versus Jean-Paul Akayesu, judgement, chamber I, before: judge Laïty Kama, presiding, judge Lennart Aspegren, judge Navanethem Pillay, decision of: 2 September 1998, para. 598.
34
Ebd., para. 596.
35
Ebd., para. 597. Siehe auch Adams, Der Tatbestand, S. 312.
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 51
tute a physical invasion of a sexual nature, committed on a person under circumstances that are
coercive.36
Im kürzlich darauffolgenden Urteil im Fall Furundžija vom 10. Dezember 1998 revidierte
dann allerdings das ICTY seine Position der völligen Übereinstimmung mit dem ICTR
zugunsten einer neuen Definition, die detaillierter und spezifischer ausfiel – in der englischsprachigen Literatur wird diese als „a more mechanical“ und „technical description“ im
Vergleich zu der vom ICTR bezeichnet.37 Nachdem die Kammer erneut bestätigt hatte, dass
die bisherigen völkerrechtlichen Instrumente (Verträge und Gewohnheitsrecht) keine Definition der Vergewaltigung im Krieg beinhalteten, betonte sie unter Verweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz (criminal principle of specificity) die Notwendigkeit des Nachweises
eines Tatbestands der Vergewaltigung aus den Rechtsquellen des Völkerstrafrechts für
entsprechende Verurteilungen. Infolgedessen definierte sie die einzelnen Tatbestandselemente der Vergewaltigungshandlung wie folgt:
[T]he Trial Chamber finds that the following may be accepted as the objective elements of rape:
(i) the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of
the perpetrator or any other object used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the victim by
the penis of the perpetrator; (ii) by coercion or force or threat of force against the victim or a third
person.38
Die ICTY-Richter lieferten eine ausgiebige Erklärung für ihre Entscheidung, von der
ICTR-Definition abzuweichen. Aus ihrer Sicht sei eine Definition von Vergewaltigung
angebracht, welche, wie gesagt, den rechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz berücksichtigen
würde. Zur Ausarbeitung einer solchen Definition sei wiederum der Rückgriff auf Strafrechtsprinzipien aus den nationalen Hauptrechtssystemen der Welt als dritte Rechtsquelle
des Völkerstrafrechts ebenso gerechtfertigt wie notwendig: „Whenever international criminal rules do not define a notion of criminal law, reliance upon national legislation is justified.“39 Nachdem die ICTY-Richter mehrere nationale Rechtsordnungen konsultiert hatten,
die den Tatbestand der Vergewaltigung verschiedenartig eng oder breit definieren, zogen
sie eine Zwischenbilanz, die sie als Ausgangspunkt für die eigene Definition nahmen:
It is apparent from our survey of national legislation that, in spite of inevitable discrepancies,
most legal systems in the common and civil law worlds consider rape to be the forcible sexual
penetration of the human body by the penis or the forcible insertion of any other object into either
the vagina or the anus.40
Ein besonderes Interesse zeigten sie für die Behandlung der Tat des erzwungenen sexuelisierten Oralverkehrs im nationalen Recht. Insbesondere untersuchten die ICTY-Richter, ob
staatliche Rechtsordnungen, wie etwa die deutsche, die französische oder die US-amerikanische, den gewaltsamen Oralverkehr als Vergewaltigung oder als eine minder schwerwie36
ICTY, Case No.: IT-96-21-T, prosecutor v. Zejnil Delalić, Zdravko Musić also known as „Pavo“, Hazim Delić, Esad Landžo also known as „Zenga“, in the trial chamber before: Judge Adolphus G. KaribiWhyte, presiding, Judge Elizabeth Odio Benito, Judge Saad Saood Jan, judgement of: 16 November 1998,
para. 478-479.
37
William A. Schabas: An Introduction to the International Criminal Court, 2Cambridge 2004, S. 48.
38
ICTY, Case No.: IT-95-17/1-T, before: judge Florence Ndepele Mwachande Mumba, presiding Judge
Antonio Cassese, judge Richard May, date: 10 December 1998, para. 185.
39
Ebd., para. 177-178. Siehe auch Adams, Der Tatbestand, S. 313.
40
ICTY, Case No.: IT-95-17/1-T, before: judge Florence Ndepele Mwachande Mumba, presiding Judge
Antonio Cassese, judge Richard May, date: 10 December 1998, para 181.
52 Adamantios Skordos
gende Straftat von sexueller Nötigung bewerteten. Der Grund für dieses besondere Interesse an der Einstufung der Straftrat des erzwungenen Oralverkehrs lag darin, dass der Angeklagte Anton Furundžija, der Mitte der 1990er Jahre der lokale Anführer einer kroatischen
Spezialeinheit namens „Jokers“ im bosnischen Nadioci war, weibliche Gefangene dem
gewaltsamen Oralverkehr ausgesetzt hatte. Die Kammer setzte letztendlich die Handlung
des erzwungenen Oralverkehrs der Tat des gewaltsamen Geschlechtsverkehrs gleich, da es
sich dabei um „a most humiliating and degrading attack upon human dignity“ handele.
Dementsprechend gelangten die Richter zum Ergebnis, dass „such an extremely serious
sexual outrage as forced oral penetration should be classified as rape“.41 Die Vergewaltigungsdefinition, die mittlerweile der Strafgerichtsbarkeit des ICC zugrunde liegt, leistet
dieser von den ICTY-Richtern vorgenommenen Einordnung des Oralverkehrs als Vergewaltigungstat Folge. Aber darauf sei noch anschließend zurückzukommen.
Eine zusätzliche Leistung auf dem Gebiet der völkerstrafrechtlichen Definition der Vergewaltigung erbrachte das ICTY mit dem Urteil Foča gegen Dragoljub Kunarac. Der Anklagte war während des Bosnienkriegs Kommandant einer speziellen paramilitärischen
Aufklärungsgruppe, die aber weitgehend in den Strukturen der regulären serbischbosnischen Streitkräfte integriert war. Kunarac wurde der Vergewaltigung mehrerer muslimischer Frauen, die er im April 1992 in der Stadt Foča und den umliegenden Dörfern beging, schuldig befunden. Aus der Untersuchung des Falles wurde ersichtlich, dass bei einer
Vergewaltigung die Willensbeugung des Opfers nicht allein durch Gewalt oder Gewaltandrohung, sondern auch mit Einsatz anderer Mittel, etwa psychologischer, erzwungen werden könne. Um dieser neuen Erkenntnis Rechnung zu tragen, ersetzte die ICTY-Kammer in
ihrer Vergewaltigungsdefinition die Tatbestandsmerkmale des Zwangs, der Gewalt und der
Gewaltandrohung durch das allgemeinere Kriterium des fehlenden Einverständnisses des
Opfers. Die in Hinsicht auf diesen Aspekt neu erarbeitete Definition, welche im Fall Kunarac Anwendung fand, lautete somit wie folgt:
The Trial Chamber understands that the actus reus of the crime of rape in international law is
constituted by: the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by
the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the
victim by the penis of the perpetrator; where such sexual penetration occurs without the consent
of the victim. Consent for this purpose must be consent given voluntarily, as a result of the victim’s freewill, assessed in the context of the surrounding circumstances. The mens rea is the intention to effect this sexual penetration, and the knowledge that it occurs without the consent of
the victim.42
Das im Februar 2001 ergangene Kunaras-Urteil, in dem das subjektive Tatbestandselement
des fehlenden Einverständnisses bzw. der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung in
die Bestimmungsmerkmale einer Vergewaltigungstat aufgenommen wurde, konnte auf die
ICC-Definition von Vergewaltigung keinen Einfluss mehr nehmen. Die Verabschiedung
der als Auslegungshilfe des ICC-Status konzipierten Verbrechenselemente, anhand denen,
wie gesagt, der Straftatbestand der Vergewaltigung für die ICC-Rechtsprechung näher
bestimmt wurde, war bereits einige Monate zuvor, im November 2000, erfolgt.43
41
Ebd., para. 183. Siehe auch Adams, Der Tatbestand, S. 313, S. 321f.
ICTY, Case No.: IT-96-23-T&IT-96-23/1-T, Prosecutor v. Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac and
Zoran Vukoviv, in the trial chamber, before: Judge Florence Ndepele Mwachande Mumba, Presiding Judge
David Hunt, Judge Fausto Pocar, Registrar: Mr. Hans Holthuis, Judgement of 22 February 2001, para. 460.
43
De Brouwer, Supranational, S. 130.
42
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 53
Nun konkret zur ICC-Vergewaltigungsdefinition, die über die besagten Verbrechenselemente vorgenommen wurde: Wie bereits erwähnt, lag zum Zeitpunkt der Annahme des
ICC-Statuts keine Definition der Vergewaltigungstat im Völkerrecht vor, und seine Verfasser verzichteten auch darauf, dieses mit einer konkreten Beschreibung als subsumierte
Handlung verschiedener Straftatbestände auszustatten. Diese „Lücke“ konnte jedoch im
November 2000 geschlossen werden, als die Mitglieder der Versammlung der Vertragsstaaten die gemäß Art. 9 ICC-Statut vorgesehenen Verbrechenselemente verabschiedeten.
Durch die Verbrechenselemente, die laut ICC-Statut dem Gerichtshof bei der Auslegung
und Anwendung der auf die völkerrechtlichen „Kernverbrechen“ bezogenen Art. 6, 7 und 8
helfen sollen, fand eine nähere Bestimmung der Handlung der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen statt:
1. The perpetrator invaded the body of a person by conduct resulting in penetration, however
slight, of any part of the body of the victim or of the perpetrator with a sexual organ, or of the anal
or genital opening of the victim with any object or any other part of the body. 2. The invasion was
committed by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or another person, or by taking advantage of a coercive environment, or the invasion was committed against a
person incapable of giving genuine consent.44
Diese ICC-Definition wurde nach Meinung mehrerer Experten von den Vergewaltigungsdefinitionen der beiden Ad-hoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda stark beeinflusst. So
konstatiert etwa de Brouwer diesbezüglich Folgendes:
In addition to the elements of rape found in national laws, the case law of the ICTY and the ICTR
has significantly influenced the definition of the crime of rape in the EoC [Elements of Crime, A.
S.] of the ICC. This is not very surprising considering the similarity of the cases that are likely to
be brought before the ICC and considering the ICTY/R’s survey of the definition of rape in international law. […] ICC delegates made special reference to the Akayesu, Čelebići and Furundžija
Judgments.45
Im Wesentlichen stellt die ICC-Definition eine Synthese der Rechtsprechungen von ICTY
und ICTR in den bereits hier genannten Fällen dar. Mit Abstand am prägendsten auf die
ICC-Vergewaltigungsdefinition wirkte sich die ICTY-Definition im Urteil Furundžija aus
und diente auch als Vorlage zu ihrer Ausarbeitung. Auch an dieser Stelle ist es sinnvoll die
besagte de Brouwer zu zitieren, die sich eingehend mit der Frage der Ursprünge der ICCVergewaltigungsdefinition beschäftigte:
The ICC definition of rape is a mix of the ICTY/R case law up to that time. Instead of making a
clear choice between the Akayesu, Furundžija or any other approach to the definition of rape, the
ICC definition of rape is confusing at first sight. Overall, however, it can be said that the ICC
definition follows more closely the more restrictive Furundžija definition of rape; this definition
also constituted the starting point in the discussions on the definition of rape within the Preparatory Commission of the ICC.46
44
United Nations, Preparatory Commission for the ICC, PCNICC/2000/1/Add.2, Distr. General, 2 November 2000, New York, 13-31 March 2000, 12-30 June 2000, Report of the Preparatory Commission for the
ICC, Part II Finalized draft text of the Elements of Crimes, para. 7 (1) (g)-1, S. 12, para. 8 (2) (b) (xxii)-1.
45
De Brouwer, Supranational, S. 130.
46
Ebd.
54 Adamantios Skordos
Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung hinsichtlich des großen Einflusses von ICTR und vor
allem ICTY auf die ICC-Vergewaltigungsdefinition gelangt Alexandra Adams. In ihrer
neuesten Studie zum „Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht“ schreibt sie
dazu:
Die Ausarbeitung der EOC [Elements of Crime, A. S.] zu den Sexualstraftaten nahm erhebliche
Zeit in Anspruch. Dabei haben die zuvor erörterten Vergewaltigungsdefinitionen der Ad-hocTribunale großen Einfluss auf die jetzige EOC-Definition ausgeübt. Ferner haben sich in den
Verhandlungen die Vorschläge der Schweiz und der USA sowie die Anregungen der NGO des
Causus for Gender Justice hervorgetan. Sowohl der amerikanische als auch der Schweizer Vorschlag unterteilten die Vergewaltigung in zwei objektive Tatbestandselemente: erstens die Penetration des Opfers und zweitens den auf das Opfer ausgeübten Zwang. Diese Zweiteilung wurde
der Rechtsprechung der Tribunale (Akayesu, Furundžija und Musić) entnommen.47
Bestätigt wird schließlich die wichtige Rolle des Jugoslawien-Tribunals bei der Ausarbeitung der ICC-Definition der Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten durch den renomierten Völkerstrafrechtler Kai Ambos, wenn dieser festhält, dass „die Definition der
Verbrechenselemente ursprünglich von der Rechtsprechung von ICTY und ICTR beeinflusst“ worden sei.48
Erweiterung des Straftatbestands der sexualisierten Gewalt
Schließlich veranlassten die sexualisierten Verbrechen im Bosnien-Krieg, dass der Straftatbestand der sexualisierten Gewalt in bewaffneten Konflikten durch andere Taten neben der
Vergewaltigung erweitert wurde. Auch hier erwiesen sich die diesbezüglichen „Mängel“
des ICTY-Statuts für ausschlaggebend. Schon sehr früh wurde kritisiert, dass das Statut des
Jugoslawien-Tribunals außer dem Vergewaltigungstatbestand keine anderen Formen sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten, wie etwa sexuelle Versklavung, Zwangsprostitution oder Zwangsschwangerschaft, vorsah.49 Auch im ICTR-Statut wurden außer der Vergewaltigung keine anderen Tatbestandsalternativen sexualisierter Gewalt im Rahmen des
Verbrechens gegen die Menschlichkeit berücksichtigt.50 Die besagte Experten-Kommission
der Vereinten Nationen, die zur Untersuchung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien errichtet wurde, hat bei der Aufnahme anderer Sexualdelikte neben der Vergewaltigung in den Straftatbestand der sexualisierten Gewalt im bewaffneten Konflikt eine entscheidende Rolle gespielt. In ihrem Bericht von 1994 schlug sie eine
breiter gefasste Auslegung der völkerstrafrechtlich zu verfolgenden sexualisierten Gewalt
vor, die über den Tatbestand der Vergewaltigung hinausging. Dabei berief man sich bei der
Argumentation auch auf den Kommentar des UN-Generalsekretärs Butros Butros-Ghali
anlässlich der Gründung des ICTY:
Unlike the majority of codified penal law, „rape“ is not precisely defined in international humanitarian law. As a consequence, there is, at present, every reason to interpret this concept broadly as
encompassing other sexual assaults. In his commentary on article 5 of the Statute, the Secretary47
Adams, Der Tatbestand, S. 238.
Kai Ambos: Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten und Völkerstrafrecht, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 6 (2011) 5, S. 287-299, hier: S. 290.
49
Lucas, Die Entwicklung, S. 5.
50
Vgl. Statute of the ICTR. In: University Oslo, The Faculty of Law, Service and Tools, Treaty Database, 4. Crimes, 4.6. International Criminal Tribunals, http://www.jus.uio.no/english/services/library/treaties/
04/4-06/ict-rwanda.xml (10.12.2013).
48
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 55
General also seems to consider rape and other sexual assaults to be connected, as he states in relevant part: „[…] rape and other forms of sexual assault, including enforced prostitution“. Rape is
considered in this report to be a crime of violence of a sexual nature. This also applies to other
sexual assaults, such as enforced prostitution and painful circumcision. Today these crimes are
considered by medical doctors, psychiatrists, and psychologists to be very serious violent crimes
of a sexual nature having a wide range of severe effects on the victim and her domestic environment. This study will therefore also encompass other sexual assaults.51
Als Folge dieses Berichts fand im ICC-Statut eine Erweiterung des Straftatbestands der
sexuellen Gewalt um andere Tatbestandsalternativen statt. Gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. g und
Art. 8 Abs. 2 lit. b [xxii] stellen außer der Vergewaltigung auch die Handlungen der „erzwungenen Prostitution, Schwangerschaft, Sterilisation sowie jede andere Form sexueller
Gewalt vergleichbarer Schwere“ Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dar.52
Ausblick
Die postjugoslawischen Kriege in Verbindung hauptsächlich mit dem Völkermord in Ruanda, während dessen ebenso massenhaft sexualisierte Gewaltverbrechen begangen wurden,53 waren für die Weiterentwicklung eines völkerstrafrechtlichen Apparats zur Ahndung
sexualisierter Gewaltverbrechen entscheidend. Seitdem gab es neben den besagten Regelungen und Gerichtsentscheidungen auch mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, in
dem der Einsatz sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten als eine illegale Kriegstaktik und dementsprechend als ein Kriegsverbrechen sowie als ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit eingestuft und verurteilt wurde. Trotzdem bleiben weiterhin die meisten
dieser Verbrechen ungesühnt. Diese Erkenntnis über die „Kultur der Straflosigkeit“ war der
Ausgangspunkt einer zweijährigen Kampagne des britischen Außenministers William Hague
und der US-amerikanischen Schauspielerin Angelina Jolie in ihrer Funktion als Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mit dem Ziel, die Weltöffentlichkeit
dafür zu sensibilisieren und die internationale Gemeinschaft zum Handeln aufzufordern.
Die Kampagne kulminierte in einer im Juni 2014 in London stattgefundenen Konferenz mit
dem programmatischen Titel „End Sexual Violence“. An dem Gipfel nahm auch der USamerikanische Außenminister John Kerry teil, der sich optimistisch gab, dass sich „die
sexuelle Kriegsführung beenden lässt, neue Normen etabliert und die Täter zur Verantwortung gezogen werden können“.54
51
United Nations Security Council. Distr. General. S/1994/674/Add. 2 (Vol. I), 28 December 1994. Final Report of the United Nations Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992). Annex II, Rape and Sexual Assault: A Legal Study. Under the Direction of: Christine P.M.
Cleiren. Contributor: Melanie E.M. Tijssen, S. 3.
52
Vgl. das ICC-Statut. In: International Criminal Law Society – Gesellschaft für Völkerstrafrecht, Tribunals Documents to download, http://www.icls.de/dokumente/icc_statute.pdf (25.12.2013).
53
Vgl. dazu Martin Greive: Wissen Völkermord. Warum so viele Menschen in Ruanda gemordet haben.
In: Die Welt, http://www.welt.de/wissenschaft/article126706042/Warum-so-viele-Menschen-in-Ruandagemordet-haben.html (6.10.2014). Susanne Klaiber: Wie eine Waffe im Krieg: „Mit Vergewaltigung spart man
Bomben“. In: Huffington Post, http://www.huffingtonpost.de/2014/05/09/vergewaltigung-waffe_n_5295100.
html (6.10.2014).
54
Vgl. Markus C. Schulte von Drach: Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten. Kampf um das Ende
der sexuellen Kriegsführung. In: Süddeutsche.de, http://www.sueddeutsche.de/politik/vergewaltigung-inbewaffneten-konflikten-kampf-um-das-ende-der-sexuellen-kriegsfuehrung-1.1999142 (6.10.2014).
56 Adamantios Skordos
Auch wenn mittlerweile der Krieg in Bosnien zwei Jahrzehnte zurückliegt und jüngere
Konflikte als ebenso abschreckende Beispiele für das Phänomen von sexualisierter Kriegsgewalt dienen, wird dem jugoslawischen Präzedenzfall im Rahmen der Anstrengungen,
diesem Verbrechen Einhalt zu gebieten, weiterhin zentrale Bedeutung beigemessen. So
besuchte etwa Jolie im Rahmen ihrer besagten Kampagne Vergewaltigungsopfer in Bosnien-Herzegowina und ermunterte diese, ihre traumatische Erfahrung mit der Welt zu teilen. Während ihres Besuches brachte sie die Hoffnung zum Ausdruck, „dass in einigen
Jahren, wenn ein Krieg ausbricht, jene, die die Vergewaltigung eines Mannes, einer Frau
oder eines Kindes in Erwägung ziehen, sich sehr bewusst sind, welche Konsequenzen ihre
Handlungen haben werden“. Auch heute noch, zwei Jahrzehnte nach Ausbruch der postjugoslawischen Kriege, wird an erster Stelle auf die „50.000 Frauen“ verwiesen, die in Bosnien zum Opfer einer gezielt sexualisierten Kriegsführung fielen, wenn es engagierten Akteuren wie Jolie oder Außenminister Hague darum geht, zu belegen, dass die
Vergewaltigung von Frauen „eines der großen Massenverbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts“ darstellt.55
Angesichts dieser Erkenntnis stellt sich abschließend die Frage, ob das internationale Interesse an den während der jugoslawischen Auflösungskriegen begangenen Kriegsverbrechen größer war bzw. ist als dieses an humanitären Katastrophen in anderen Teilen der
Welt, und wenn ja, warum? In der Literatur lassen sich genügend Indizien dafür finden,
dass das Jugoslawien-Thema in den „westlichen“ Ländern präsenter war als etwa Somalia,
Ruanda oder Sierra Leone. Nelson Mandela bestätigte und kritisierte zugleich dieses ungleichgewichtige Interesse, als er 2000 in einer Konferenz zu „Kosovo, Africa and Humanitarian Intervention“ bedauerte, dass „we in Africa and Asia must […] envy the readiness
and willingness on the part of the international community to intervene and commit resources to the reconstruction of Kosovar society“.56 Zuvor hatte er aufgerufen, dieser
besagten „ungleichen Behandlung“ die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, denn
„we are not convinced that it is only a lack of schooling on the part of the international
community that has made it so reluctant to act to halt the conflicts in Africa“.57 Schließlich
machte Mandela seine Feststellung zur unterschiedlichen Sensibilität, welche die internationale Gemeinschaft bei „westlichen“ und nicht-„westlichen“ Konflikten und humanitären
Katastrophen zeige, an konkreten Beispielen fest:
It has now become so customary to point to the failure of the international community to intervene
and end the genocide in Rwanda that it is almost forgotten that this relative neglect of Africa in
these matters is much more general than only the Rwanda case. For example, while NATO prepared itself for action in Kosovo, Sierra Leone seemed a virtually forsaken place from an international perspective. As atrocities were carried out in Sierra Leone, Nigeria, under the aegis of an
Ecomog peacekeeping mandate, sent in troops, but the weaponry, funding, communications and
intelligence promised by Western powers failed to materialise. And even in Rwanda itself, once
the genocide had ended, there was and is more that the international community could do than
merely repent about its failures. The dynamics that ignited the genocide in Rwanda today continue to play a role in the conflicts in neighbouring Burundi and the Democratic Republic of
Congo.58
55
Menschenrechte. Jolie und Hague trommeln gegen sexuelle Gewalt in Kriegen. In: Deutsche Welle,
http://www.dw.de/jolie-und-hague-trommeln-gegen-sexuelle-gewalt-in-kriegen/a-17698648 (26.9.2014).
56
Nelson Mandela: Address Delivered at Kosovo seminar, in: Elizabeth Sidiropoulos (Hg.): A Continent Apart: Kosovo, Africa and Humanitarian Intervention, Johannesburg 2001, S. 3-6, hier: S. 4.
57
Ebd.
58
Ebd.
Der Einfluss der postjugoslawischen Kriege auf die Ahndung sexualisierter Gewaltverbrechen 57
Die erhöhte Aufmerksamkeit, welche die bei den postjugoslawischen Kriegen begangenen
Kriegsverbrechen im Vergleich zu anderen ähnlichen Fällen erregten, ist auf eine Reihe von
Faktoren zurückzuführen, die mehrheitlich mit der geographischen Position des ehemaligen
Jugoslawien bzw. seiner „Europäizität“ verbunden sind. Die bereits im Frühsommer 1992 um
die Welt gegangen Bilder KZ-ähnlicher serbischer Gefangenlager, wie z. B. Omarska, Keraterm und Manjača, begleitet von Nachrichten über Massenhinrichtungen und -vergewaltigungen, Folter und Verstümmelungen versetzten der „westlichen“ Öffentlichkeit einen Schock,
bei dessen Auswirkungen der Holocaust als „Anker- und Fluchtpunkt“ einer supra- und
transnationalen Erinnerungskultur des „Westens“ eine besondere Rolle spielte. Die Vorstellung der Wiederholung von vergleichbaren Taten zur Shoah erneut auf europäischem Boden aktivierte eine Abwehrreaktion, die sich um das beschwörende Postulat „Nie wieder
Auschwitz“ drehte.59 So meinte etwa Anfang der 1990er der damalige Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes Cornelio Sommaruga während einer Diskussion zu
den ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien, dass Praktiken, die man in Europa glaubte, ihnen nur noch in einem Museum des Horrors zum Zweiten Weltkrieg begegnen zu müssen, mittlerweile zu einer alltäglichen Wirklichkeit auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien geworden seien.60 Bezeichnend für die entscheidende Rolle der HolocaustErinnerung bei dem erhöhten transatlantischen Interesse an dem jugoslawischen Konflikt
ist auch das Beispiel des deutschen Außenministers Joschka Fischer. Noch unter den Eindrücken des Srebrenica-Massakers von 1995 stehend rechtfertigte er im April 1999 die
deutsche Beteiligung an dem NATO-Angriff gegen Kosovo mit der Erinnerung an Auschwitz: „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder
Auschwitz.“61 Neben der Erinnerung an die Massenverbrechen des Zweiten Weltkriegs war
auch eine zweite Erinnerung von großer Bedeutung, nämlich die an den Beginn des Ersten
Weltkriegs in Südosteuropa. Diese Erinnerung an Südosteuropa als auslösender Faktor des
Ersten Weltkriegs verstärkte die bereits ohnehin vorhandene Befürchtung der Ausartung
der Konflikte in Bosnien-Herzegowina und in Kosovo in eine große Balkankrise, die sich
wiederum auf andere Teile Europas ausweiten könnte.62 Dazu kamen politische und wirtschaftliche Überlegungen, die den Handlungsbedarf steigen ließen: So bereitete etwa das
Problem der Flüchtlingsströme aus dem ehemaligen jugoslawischen Raum den westeuropäischen Staaten große Sorge.63
Schließlich fielen die postjugoslawischen Kriege der 1990er Jahre mit einschneidenden
Veränderungen in der internationalen Staatenpraxis und mit der Fortentwicklung des völkerrechtlichen Normensystems zusammen. Die Zäsur von 1989/91 setzte unter Politikern,
Völkerrechtlern und Journalisten, die Verfechter von Menschenrechten waren, einen „neuen liberalen Internationalismus“ frei. Der Sieg der westlichen Demokratien über das kommunistische Herrschaftssystem signalisierte aus ihrer Sicht zugleich den Sieg des übergeordneten Prinzips der Menschenrechte über die vermeintlich unantastbare staatliche
Souveränität und über den Grundsatz der Nicht-Intervention, wie dieser etwa in Art. 2 Abs.
59
Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt, München 2011, S. 15-17, S. 81-82
60
Theodor Meron: The Normative Impact on International Law of the International Tribunal for Former
Yugoslavia, in: Ders.: War Crimes Law Comes of Age: Essays, Oxford 1999, S. 210-227, hier: S. 210.
61
Nico Fried: „Ich habe gelernt: Nie wieder Ausschwitz.“ Die Erinnerung an das Vernichtungslager gehört zu den Leitlinien von Außenminister Joschka Fischer. In: Süddeutsche.de, http://www.sueddeutsche.
de/politik/fischer-ich-habe-gelernt-nie-wieder-auschwitz-1.915701 (17.10.2014).
62
Calic, Kieg und Frieden, S. 212-216.
63
Ebd.
58 Adamantios Skordos
4 und 7 der Charta der Vereinten Nationen verankert ist.64 „Niemals zuvor“ hatte es „eine
ähnlich systematische Beobachtung und Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen“
gegeben.65 Die Prinzipien von Internationalismus und Interventionismus fanden Eingang in
die Außenpolitik der einzigen Supermacht nach dem Ende des Kalten Krieges, der USA. In
den 1990er Jahren während der Amtszeit von Bill Clinton entwickelte sich die Menschenrechtspolitik auf globaler Ebene zu einem der bestimmenden Faktoren der US-amerikanischen Sicherheits- und Außenpolitik. Die damalige Außenministerin Madeleine Albright
begründete 1998 diese vorrangige Stellung der Menschenrechte folgendermaßen:
Die Unterstützung von Menschenrechten ist nicht nur eine Art von internationaler Sozialarbeit.
Sie ist unerlässlich für unsere Sicherheit und für unser Wohlergehen, denn Regierungen, die die
Rechte ihrer eigenen Bürger missachten, werden wahrscheinlich nicht die Rechte eines anderen
respektieren. In diesem Jahrhundert wurde praktisch jeder größere Akt internationaler Aggression
von einem Regime ausgeführt, das politische Rechte unterdrückte. Solche Regime lösen wahrscheinlich auch eher Unruhen aus, indem sie Minderheiten verfolgen, Terroristen Unterschlupf
gewähren, Drogen schmuggeln oder im Geheimen Massenvernichtungswaffen bauen.66
Die „Europäizität“ des postjugoslawischen Raumes in Verbindung mit dieser Neuorientierung der internationalen Gemeinschaft, die mit dem Ende des Kalten Krieges auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes stattfand und einen „humanitären Interventionismus“
militärischer Ausrichtung hervorbrachte, war entscheidend dafür, dass die im Zuge des
gewaltsamen Untergangs Jugoslawiens begangenen Kriegsverbrechen sich tiefer in das Bewusstsein und das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit einprägten als andere humanitäre
Katastrophen.
64
Vgl. Mark Mazower: Saviors and Sovereigns: The Rise and Fall of Humanitarianism, World Affairs
3/4 (2010), URL: http://www.worldaffairsjournal.org/article/saviors-sovereigns-rise-and-fall-humanitarianism
(23.3.2012); Martii Koskenniemi: Why History of International Law Today?, Rechtsgeschichte (2004) 4, S.
61-66; Matthew Craven: Introduction: International Law and its Histories, in: Ders./Malgosia Fitzmaurice/Maria Vogiatzi (Hg.): Time, History and International Law, Leiden 2007, S. 1-25.
65
Jürgen Osterhammel: Von einem hohen Turme aus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.2012, S. 6.
Siehe auch ders.: Cosmopolis und Imperium, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.2013, S. N 3.
66
Zit. nach Ulrich Beck: Über den postnationalen Krieg, in: Reinhard Merkel (Hg.): Der Kosovo-Krieg
und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000, S. 232-241, hier: S. 233.

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