Urheberrecht für Liebhaberorchester in Fragen und Antworten

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Urheberrecht für Liebhaberorchester in Fragen und Antworten
Dr. Joachim Conradi Urheberrecht für Liebhaberorchester in Fragen und Antworten Teil 1: Einführung und Schutzfrist für Urheber und Bearbeiter Frage 1.1: Wie eingehend muss ich mich als Vorstand oder Notenwart in einem Liebhaberorchester mit dem Urheberrecht befassen? Antwort: Am besten wäre ein viersemestriges Studium an einem einschlägigen Lehrinstitut zuzüglich einer Spezialschulung, die die Besonderheiten bei Noten vertiefend behandelt. Frage 1.2: Warum? In meinem Gesangverein sagt der Maestro, dass ihn diese Probleme überhaupt nicht interessieren, weil er sowieso nichts kopieren darf und eventuelle Auseinandersetzungen mit der GEMA durch den Sängerbund abgewickelt werden. Antwort: Der Chorleiter liegt richtig – was seinen Bereich angeht. Niemand hindert Sie daran, das im Liebhaberorchester genauso zu sehen. Im Unterschied zu den meisten Chören und Blaskapellen können Sie im Liebhaberorchester bei genauerer Kenntnis der Urheberrechtsregeln aber viel Geld, Aufwand und nicht zuletzt Ärger sparen. Frage 1.3: Noch einmal: Warum ist das bei uns so, bei anderen nicht? Antwort: Liebhaberorchester spielen überwiegend Originalwerke der klassischen Musik, für die es keinen Urheberschutz gibt oder bei denen allenfalls eingeschränkte Schutzvorschriften zum Zuge kommen. Wer sich nicht traut, ungeschützte Werke aus Kopien zu spielen, ist selber daran schuld. Bei Blaskapellen und Gesangvereinen kommt dagegen die Verwendung ungeschützter Werke und Ausgaben viel seltener vor. In der Praxis lohnt sich dort das Kopfzerbrechen, ob geschützt oder ungeschützt, nicht. Frage 1.4: Klassische Musik? Also z.B. das Intermezzo Sinfonico von Mascagni, das wir neulich gespielt haben – aber dann kam trotzdem eine Rechnung von der GEMA. Antwort: Schon sind wir mitten im Thema. Das Intermezzo Sinfonico aus „Cavalleria Rusticana“ klingt so als hätte es ein Zeitgenosse von Brahms geschrieben. Trotzdem unterliegt es voll dem Urheberschutz. Es kommt dabei ausschließlich auf die sog. Schutzfrist an: Der Urheberschutz beginnt heutzutage mit der Entstehung eines Werkes und endet 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten, wobei auf das volle Kalenderjahr aufgerundet wird. Pietro Mascagni hat von 1863 bis 1945 gelebt. Seine Werke sind also noch geschützt, und zwar bis Ende 2015. Frage 1.5: Habe ich richtig verstanden: 70 Jahre? Dann wäre z.B. die 1.Sinfonie von Sibelius, die laut Katalogangabe 1898 komponiert wurde, nicht mehr geschützt? Antwort: Sie haben leider nicht richtig verstanden. Die Frist von 70 Jahren beginnt erst mit dem Ableben des Komponisten zu laufen, bei Sibelius also 1957, auch wenn das Werk schon 70 Jahre früher komponiert worden ist. Frage 1.6: Ich wusste gar nicht, dass Sibelius und Mascagni noch so lange gelebt haben. Kann man mir einen Vorwurf daraus machen, dass ich nun mal kein gelernter Musikwissenschaftler bin? Antwort: Ein Blick in einen beliebigen Konzertführer genügt meistens. Die Ermittlung der 70‐
Jahresfrist ist auch für einen Nichtfachmann zu leisten. Würden Sie es als Entschuldigung eines angesäuselten Autofahrers gelten lassen, er habe nicht gewusst, wie viel Alkohol die Getränke enthielten? Frage 1.7: Also Schutzfrist von 70 Jahren nach Ableben des Komponisten. Vor dem Ablauf ist nichts erlaubt, danach alles. Richtig? Antwort: Als Faustregel können wir das einstweilen gelten lassen. Was alles erlaubt bzw. nicht erlaubt ist, werden wir noch im Einzelnen durchgehen. Frage 1.8: Da muss ich mich wundern. Wir haben neulich auch die „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky gespielt, der nach Angabe aller Konzertführer seit 1881 tot ist. Hinterher hat sich ein Verlag darüber beklagt, dass wir aus Kopien gespielt haben und unter Hinweis auf ein mögliches Strafverfahren eine saftige Gebühr verlangt. War das Erpressung oder was? Antwort: Gemach, wir haben das Semester doch gerade erst begonnen. Vielleicht können wir Ihnen schon mal folgende Lebensregel mitgeben: Weder die Musikverlage noch die GEMA als Verwalter von urheberrechtlichen Nutzungsrechten sind gegen Irrtümer gefeit. Meist ist jedoch richtig was sie sagen oder behaupten, auch wenn es Ihnen zunächst nicht verständlich erscheint. So auch bei den „Bildern einer Ausstellung“. Mussorgsky hat sie als Klavierstück komponiert. Ein Werk für Orchester haben andere, später lebende Komponisten daraus gemacht. Vermutlich hat Ihr Orchester die bekannte Fassung von Maurice Ravel gespielt. Die Orchestrierung ist eine sog. „Bearbeitung“. Das Urhebergesetz sagt, dass Bearbeitungen „wie selbständige Werke geschützt“ sind. Ob die Schutzfrist für die ursprüngliche Komposition abgelaufen ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Ravel befindet sich noch in der 70jährigen Schutzfrist, also ist seine Orchesterfassung der „Bilder“ geschützt.1 Frage 1.9: Das ist schon ganz schön schwierig. Hilft der Blick in einen beliebigen Konzertführer auch zur Identifizierung einer eventuellen Bearbeitung? Antwort: Bei den „Bildern“ schon, sonst eher selten. Aber in der Regel geht aus den Notendrucken hervor, ob und ggf. durch wen das Werk bearbeitet wurde. Frage 1.10: Die meisten Haydn‐Sinfonien sind von einem gewissen Robbins Landon herausgegeben worden, der auch ausführliche Vorworte geschrieben hat. Offenbar ist das vor weniger als 70 Jahren geschehen. Also sind im Ergebnis diese Sinfonien noch oder wieder geschützt?? Antwort: Nein. Ein Herausgeber ist kein Bearbeiter im Sinne des Urheberrechts. Für Notendrucke der genannten Art können andere, kürzere Schutzfristen gelten, zu denen wir noch kommen werden. Frage 1.11: Was überhaupt ist denn eine Bearbeitung? Antwort: Das ursprüngliche Werk muß durch eine eigenschöpferische künstlerische Leistung des Bearbeiters verändert worden sein. Die Praxis bzw. die Rechtsprechung hat an die Qualität dieser Leistung nur geringe Anforderungen gestellt. Jeder kann irgendetwas zu Papier bringen, was nach Musik aussieht. Selbst wenn die Fachwelt das als unqualifiziertes Geschreibsel verdammt, kann der Urheber den Schutz des Gesetzes dafür beanspruchen. Ähnlich sieht man das bei Bearbeitungen. In das Gesetz wurde jedoch vor nicht allzu langer Zeit eine Hürde eingebaut. Originalton § 3 Satz 2 UrhG: „Die nur unwesentliche Bearbeitung eines nicht geschützten Werkes der Musik wird nicht als 1
Dieser Beitrag stammt aus dem Jahr 2004. Zu diesem Zeitpunkt galt für Maurice Ravel (1875–1937) noch die Schutzfrist. selbständiges Werk geschützt.“ Zu dieser Regelung gibt es erst einige konkretisierende Gerichtsurteile. Immerhin hat ein Gericht schon festgestellt, dass die Aussetzung einer Generalbassstimme entsprechend der überkommenen Bezifferung keine wesentliche Bearbeitung sei. Die Fachleute sind sich auch ziemlich einig darüber, dass ein paar Änderungen an Bindebögen und anderen Vortragszeichen in der Regel keine relevante Bearbeitung darstellt. Wir gehen also davon aus, dass der Bearbeiterschutz bei Werken der klassischen Musik keine große Rolle spielt, von den bekannten Ausnahmen einmal abgesehen. Die meist konservierenden Notendrucke wie auch sog. „Urtextausgaben“ müssen Sie nicht als Bearbeitungen werten. Im nächsten Beitrag werden wir erläutern, was es bei Neuausgaben klassischer Werke sonst noch zu beachten gilt. Teil 2: Wissenschaftliche und nachgelassene Ausgaben, §§ 70, 71 UrhG Frage 2.1: Ich habe gelernt (siehe DAS LIEBHABERORCHESTER Heft 2‐2004, S. 6‐8), dass der Urheberschutz 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten erlischt und dass „wesentliche“ Bearbeitungen im Sinne des Urheberrechtsgesetzes bei klassischen Musikwerken recht selten vorkommen. Gerade deswegen fällt mir auf, dass auf vielen Noten unserer Klassiker – Mozart, Schubert, Dvorak, Strauß, um nur einige zu nennen ‐ Vermerke wie „Kopieren verboten“ oder „Kopieren von Noten grundsätzlich verboten“ aufgedruckt sind, untermalt häufig von einem durchgestrichenen Kopierer. Das kann sich auf diese Noten doch nicht beziehen, oder steckt etwas dahinter? Antwort: Es kann etwas dahinterstecken, was wir gleich lernen werden. Unabhängig davon ist aber der Aufdruck „Noten kopieren grundsätzlich verboten“ ungefähr so richtig oder falsch wie „Autofahren grundsätzlich verboten“. Wer keinen Führerschein oder gerade zu viel getrunken hat, für den trifft das ja zu, aber ihrer Tendenz nach ist eine solche Aussage eher falsch, mindestens irreführend. Frage 2.2: Darf denn so ein Unsinn gedruckt werden? Antwort: Es ist nicht grundsätzlich verboten, Unsinn zu drucken. Um den Grund für solche Aufdrucke zu verstehen, müssen wir uns aber zunächst mit den Grundlagen geschützter Ausgaben befassen. Es gibt hier zwei mögliche Fälle. 1. Den Schutz wissenschaftlicher Neuausgaben nicht mehr geschützter Werke; 2. Den Schutz bei erstmaliger Herausgabe nachgelassener Werke, für die keine Schutzfrist gilt Frage 2.3: Ist das nicht auch Unsinn: „Schutz nicht mehr geschützter Werke?“ Ein Werk ist eine Zeitlang geschützt, dann aber nicht mehr. Sehe ich das falsch? Antwort: Wir behandeln jetzt nicht den eigentlichen Urheberschutz, sondern ein etwas andersgeartetes und gewissermaßen zusätzliches Schutzrecht, das mit dem Urheber nichts zu tun hat. Das Gesetz macht hier einen klaren Unterschied, es spricht von „Verwandten Schutzrechten“. Es gibt zwei davon: • Ausgaben, die „das Ergebnis wissenschaftlich sichtender Tätigkeit darstellen“ (§ 70 UrhG) und • Werke, die nach dem Erlöschen des Urheberrechtes bzw. ohne dass ein solcher jemals bestanden hat, erstmals veröffentlicht werden (§ 71 UrhG). Frage 2.4: Was heißt „wissenschaftlich sichtende Tätigkeit“? Muss man dafür Diplom‐Wissenschaftler sein oder ist praktisch jeder neue Notendruck eine solch geschützte Ausgabe? Antwort: Eine spezielle Vorbildung verlangt das Gesetz nicht. Es ist aber auch klar, dass nicht jeder Neudruck als „wissenschaftliche Ausgabe“ gelten kann. Die VG Musikedition als Hüterin der Rechte nach den §§ 70 und 71 UrhG hat in den von ihr veröffentlichten Richtlinien folgende Kriterien für eine „in jedem Fall“ geschützte Ausgabe festgelegt: • Umfangreiche Quellensichtung und ‐bewertung, wobei alle verfügbaren Quellen genutzt sein sollen; • Offenlegung der Quellensituation, der Editionsprinzipien und der Editionsentscheidungen in einem sog. kritischen Bericht; • Kenntlichmachung der Herausgeberzusätze im Notensatz. Eine weitere Voraussetzung, die auch das Gesetz ausdrücklich nennt: Die Ausgabe muss sich wesentlich von den bis dato erschienen anderen Ausgaben des Werkes unterscheiden. Die Unterschiede müssen „hörbar sein“ (Zitat nach VG Musikedition). Frage 2.5: Das sind doch recht einschränkende Kriterien. Kann ich also davon ausgehen, dass ein Neudruck, der keine genauen Information über die verwendeten Quellen und die durchgeführten Änderungen enthält, ungeschützt ist? Antwort: Das können Sie leider nicht. Die wiedergegebenen Kriterien sind keine amtliche Interpretation des Gesetzestextes, also nicht bindend für die Herausgeber solcher Ausgaben und für die Gerichte, die im Ernstfall darüber zu entscheiden haben. Im Einzelfall kann sich ein Verlag immer auf den Standpunkt stellen, dass seine Ausgabe geschützt ist, auch wenn sie nicht in allen Punkten den Kriterien entspricht. Frage 2.6: Muss der Verlag dann nicht wenigstens auf den Notendrucken kenntlich machen, dass er den Herausgeberschutz für seine Notenausgabe reklamiert? Antwort: Das wäre sehr wünschenswert, ist aber nicht Voraussetzung für den Schutz. Meist bevorzugen es die Verlage, allgemeine Hinweise der eingangs erwähnten Art auf ihre Noten zu drucken, manchmal auch dann, wenn schon zum Erscheinungszeitpunkt überhaupt kein urheberrechtlicher Schutz mehr besteht. Frage 2.7: Welche Chancen habe ich überhaupt herauszufinden, ob ein Herausgeberschutz besteht? Anwort: Im Internet finden Sie bei www.vgmusikedition.de unter der Rubrik „70/71 UrhG“ und der Unterrubrik „Werkkatalog“ alle bei deutschen Verlagen erschienenen Ausgaben, für die der entsprechende Schutz geltend gemacht wird. Dort können Sie sich mit der recht einfachen Online‐
Suche jederzeit schlau machen. Frage 2.8: Jetzt muss ich doch anhand eines praktischen Beispiels einmal nachfragen. Wir hatten im ersten Teil über die von Robbins Landon herausgegebenen Sinfonien von Joseph Haydn gesprochen. Sie hatten mit der Bemerkung, ein Herausgeber sei kein Bearbeiter, einen Schutz dieser Sinfonien bzw. der entsprechenden Ausgaben verneint. Stellen Sie in Abrede, dass es sich bei den Ausgaben von Robbins Landon um wissenschaftliche Ausgaben handelt? Sie scheinen doch weitgehend den Kriterien zu entsprechen? Antwort: Wir stellen nicht in Frage, dass die Editionen von Robbins Landon den Schutzkriterien von § 70 UrhG entsprechen. Wir bleiben aber dabei, dass es sich um nicht geschützte Ausgaben handelt. Die Schutzfrist für solche Ausgaben ist nämlich wesentlich kürzer als beim allgemeinen Urheberschutz. Sie beträgt 25 Jahre. Die Frist wird auch nicht vom Ableben des Herausgebers, sondern in der Regel vom Jahr des Erscheinens an gerechnet. Die Haydn‐Editionen von Robbins Landon erschienen in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ihre Schutzfrist ist also abgelaufen. Frage 2.9: Wieso denn solche völlig unterschiedlichen Schutzfristen und Schutzfristberechnungen? Ich vermute, es gibt davon noch mehr, sonst wäre es ja wirklich viel zu einfach? Antwort: Im Urhebergesetz gibt es jede Menge unterschiedliche Schutzfristen. Einige weitere werden wir später noch behandeln. Bisher ist es doch gar nicht so schwer für die praktische Anwendung: Entweder der Komponist ist vor weniger als 71 Jahren gestorben, dann greift der allgemeine Urheberschutz. Oder die verwendeten Noten sind vor weniger als 26 Jahren gedruckt worden, dann kann – muss aber nicht – ein Schutz nach den §§ 70 oder 71 UrhG bestehen. Neuere Notendrucke enthalten so gut wie immer eine Jahreszahl, daran kann man sich leicht orientieren. Frage 2.10: Gut, aber warum immer diese Unklarheit „Kann, muss aber nicht“ geschützt sein? Wenn ich in der Homepage der VG Musikedition die vor mir liegende Ausgabe finde, ist dann nicht im Ergebnis das Werk so geschützt, so als ob der Komponist noch keine 70 Jahre tot ist? Antwort: Über den Herausgeberschutz lässt sich zwar auch bei manchen Einträgen in der Datenbank der VG Musikedition trefflich streiten. Fürs praktische Musizieren ist das aber in der Tat kaum sinnvoll. Der Vergleich mit der allgemeinen Schutzfrist ist dennoch unzutreffend. Nicht die Komposition ist geschützt, sondern nur der betreffende Notendruck. Wenn Sie eine andere, entsprechend ältere Ausgabe für Ihre Aufführung verwenden, spielt der Herausgeberschutz keine Rolle. Bitte denken Sie daran: Wir sind nicht mehr beim eigentlichen Urheberschutz, sondern bei einem „verwandten“ Schutzrecht mit stark eingeschränktem Schutzbereich. Frage 2.11: Also: „Fang nie was mit Verwandtschaft an, denn das geht schief ...“ (Tucholsky)? Antwort: Es ist keineswegs unsere Absicht, einer Distanz zu neueren Noten‐Editionen das Wort zu reden. Im Gegenteil: Käufliche Neuausgaben von Orchesternoten sind leider so dünn gesät, dass man für jede derartige Edition dankbar sein sollte. Viele solcher Neueditionen kann man nach einiger Zeit nicht mehr kaufen, sondern bekommt sie vom Verlag dann nur noch leihweise zu einem ähnlichen Preis wie vorher der Kauf gekostet hätte. Der Kauf ist also oft eine nicht zu unterschätzende Zukunftsinvestition. Es liegt andererseits aber sicher auch im Interesse der Musikwirtschaft, dass die urheberrechtlichen Regelungen den Nutzern geläufig sind – auch auf die Gefahr hin, dass dann in Einzelfällen über „Vermeidungsstrategien“ nachgedacht werden kann. Nun müssen wir uns noch dem Schutz nach § 71 UrhG zuwenden. Das ist wirklich recht schwierig, wir können die Einzelheiten dieser stark umstrittenen Vorschrift hier nicht nachverfolgen. Am besten orientiert man sich am Gesetzestext, wobei der Satz 1 genügen soll: „Wer ein nicht erschienenes Werk nach Erlöschen des Urheberrechts erlaubterweise erstmals erscheinen lässt oder erstmals öffentlich wiedergibt, hat das ausschließliche Recht, das Werk zu verwerten.“ Es handelt sich um „nachgelassene Werke“, die Verlage bezeichnen entsprechende Ausgaben meist als „Erstdruck“. Auch hier gilt eine Schutzdauer von 25 Jahren, so dass man sich ebenfalls am Erscheinungsjahr orientieren kann. Frage 2.12: Ich war mal in einem Orchester, wo der Dirigent sich ständig im Staatsarchiv herumtrieb und danach häufiger Kopien alter Handschriften oder entsprechende Abschriften anbrachte. Es war meist nicht sehr ergiebig, solche „Ausgrabungen“ zu spielen, aber nach Meinung des Dirigenten lockte die im Programm angekündigte „Uraufführung“ oder „Erstaufführung“ das Publikum an. Fiele so etwas auch unter den § 71 UrhG? Antwort: Das wäre sogar ein Paradebeispiel – wenn es wirklich eine Ausgrabung war und bis dato weder gedruckt noch aufgeführt wurde. Frage 2.13: Aber der Dirigent war weder Musikwissenschaftler noch ließen seine Abschriften erkennen, ob er sich immer an die Vorlage gehalten bzw. was er ergänzt, weggelassen oder hinzugefügt hatte. Er hat behauptet, er habe nur alte Notierungen zeitgemäß umgeschrieben, nachprüfbar war das aber nicht. Hat der Dirigent trotzdem ein Recht nach § 71 erworben und welche praktischen Konsequenzen ergeben sich daraus? Antwort: Es bedarf keiner „wissenschaftlich sichtenden Tätigkeit“, um eine Ausgrabung in den Schutzbereich des § 71 zu bringen. Andererseits sind die Abschriften oder Kopien der alten Manuskripte nicht „erschienen“ im Sinne des Gesetzes, wenn sie nur zum Gebrauch durch das eigene Orchester hergestellt wurden. Entscheidend ist also, ob Ihr Orchester die Ausgrabungen öffentlich aufgeführt hat und ob es sich dabei um die erste Aufführung überhaupt gehandelt hat. Wenn ja, sind das aufführende Orchester und der Dirigent Rechtsinhaber nach § 71 UrhG. Sie könnten dann z.B. verbieten, dass ein Verlag die Ausgrabung nachdruckt. Frage 2.14: Aber der Verlag könnte sich doch genauso wie unser Dirigent in das Archiv setzen und die alte Handschrift abkupfern, ohne sich um die Abschriften, aus denen wir gespielt haben, zu kümmern? Antwort: Genau das könnte ihm nach § 71 verboten werden. Der Schutz nachgelassener Werke bezieht sich nicht auf eine bestimmte Ausgabe, sondern auf das Werk und auf jede Form der Werknutzung. Frage 2.15: Mir kommt das reichlich gekünstelt vor, dass ein Orchester es einem Verlag verbieten können soll, ein unbekanntes Werk herauszugeben. In der Praxis funktioniert der Urheberschutz doch nur in der Gegenrichtung? Antwort: Sie haben recht. Aus der „Uraufführung“ eines bisher unbekannten Werkes auf der Grundlage des § 71 Kapital zu schlagen, dürfte einem Liebhaberorchester in der Praxis nicht möglich sein. Es könnte in dem dargestellten Fall aber umgekehrt durchaus passieren, dass z.B. ein Rundfunk eine Rechtsverletzung gegenüber Ihrem Orchester geltend macht, weil er eine Einspielung aufgrund der alten Archiv‐Manuskripte irgendwann schon einmal gesendet hat. Frage 2.16: Und dann? Müssten wir uns darauf einstellen, eine Zeitlang in einem Gefängnisorchester mit musizieren zu dürfen? Antwort: Machen Sie sich bitte keine falschen Hoffnungen. Wir wollten Ihnen nur einen kleinen Eindruck davon vermitteln, wie skurril ‐ seriös ausgedrückt: umstritten – die Regelungen des § 71 zum Teil sind. Wie schon angedeutet: Die Beispiele ließen sich noch einige Seiten lang fortsetzen ... Teil 3: Verwertungsrechte: Überblick und Aufführungsrecht Frage 3.1: Ich weiß nun einiges über die Voraussetzungen für den urheberrechtlichen Schutz von Musikwerken, aber kaum etwas über die praktischen Auswirkungen, wenn denn ein Werk geschützt ist. Vermutlich müssen wir die GEMA um Erlaubnis fragen, wenn wir uns als Orchester mit einem derartigen Werk befassen wollen? Antwort: Ihre Vermutung ist teilweise richtig. Sie müssen die GEMA aber nur dann um Erlaubnis fragen, wenn Sie ein geschütztes Werk öffentlich aufführen oder auf Tonträger aufnehmen wollen. Bevor wir das ein wenig vertiefen, sollten Sie wissen, dass das Gesetz von der „Verwertung“ des Urheberrechts und von der „Einräumung von Nutzungsrechten“ spricht. Dabei ist der Plural wichtig. Es gibt recht unterschiedliche Nutzungs‐ bzw. Verwertungsrechte, die auch unterschiedlich geregelt sind. Wichtig für Orchester sind vor allem • das Aufführungsrecht, • das Vervielfältigungsrecht und • das Verbreitungsrecht. Außerdem wollen wir noch kurz auf den Schutz des ausübenden Künstlers eingehen. Frage 3.2: Da bin ich schon wieder überfordert. Wird durch die Aufführung ein Musikstück nicht gleichzeitig vervielfältigt und verbreitet? Antwort: In Gesetzestexten kommt es sehr häufig vor, dass die Bedeutung eines Begriffes gegenüber dem normalen Sprachgebrauch erweitert oder eingeengt oder sonst wie verfremdet ist. Im Gesetz wird diese spezielle Bedeutung meist durch eine Art Beiträge Sprachregelung (Fachausdruck: „Legaldefinition“) erläutert. Ein Beispiel dafür ist die witzig gemeinte, aber für Juristen durchaus ernsthaft vorstellbare Formulierung: „Weihnachtsmann im Sinne des Gesetzes ist auch der Osterhase“. Im Urheberrechtsgesetz überwiegen allerdings die einengenden Legaldefinitionen. Das Aufführungsrecht lt. § 19 Abs.2 UrhG „ist das Recht, ein Werk der Musik durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen...“. Frage 3.3: Diese Definition kann ich nachvollziehen, das hätte ich selbst auch so ähnlich formuliert. Aber warum es zusätzlich noch ein extra Vervielfältigungsrecht und sogar ein Verbreitungsrecht geben soll, ist mir nach wie vor völlig unklar. Eine öffentliche Aufführung ist doch eine Verbreitung par excellence? Antwort: Stimmt. Verbreitungs‐ und Vervielfältigungsrecht im UrhG beziehen sich aber nicht auf die Musik an sich, sondern auf die geschriebenen oder gedruckten Noten. Das Gesetz versucht auch dies definitorisch klarzustellen. Es unterscheidet zwischen der Verwertung in „körperlicher Form“ und der in „unkörperlicher Form“. Die Noten auf Ihrem Pult können Sie genau genommen ja auch nicht anfassen, wohl aber das Papier, auf dem sie stehen. Deshalb nennt man die Noten eine „körperliche Form“ des Musikwerkes, im Gegensatz zur Aufführung als „unkörperliche Form“ der Werknutzung. Frage 3.4: Ohne Noten ist die Aufführung eines Orchesterwerkes so gut wie undenkbar. Deshalb verstehe ich noch immer nicht, warum wir im Liebhaberorchester uns mit solchen Spitzfindigkeiten wie „körperliche“ und „unkörperliche“ Verwertung herumschlagen müssen. Antwort: Der Kassenwart Ihres Orchesters wird das bei entsprechender Gelegenheit sehr schnell verstehen. Im Ernst: Der Begriffswelt des Urhebergesetzes liegt im Wesentlichen das gedruckte Wort zugrunde. Der Roman als geistige Schöpfung und das Buch, in dem er steht, sind praktisch gleichbedeutend. Das Geschäft wird im Wesentlichen mit dem Verkauf des Buches gemacht. Das ist also die klassische „körperliche Verwertung“. Die Musik dagegen lebt durch Aufführungen. Dieser spezielle Schwerpunkt der Musikverwertung findet im Gesetz kaum Niederschlag. Anders in der Praxis: Bei Musik dreht sich fast alles um die Aufführung, will heißen: bei Aufführungen klingeln die Kassen. Fürs praktische Verständnis sind die Gesetzesformulierungen also wenig geeignet, aber man kommt trotzdem nicht an ihnen vorbei. Frage 3.5: Können Sie bitte an einem Beispiel erläutern, was Sie mit Ihren etwas abstrakten Andeutungen meinen? Antwort: Sehr gern. Kassenwart und Orchestervorstand tun sich immer wieder schwer zu verstehen, dass sie für die Aufführung eines geschützten Werkes sowohl an die GEMA als auch an den Verlag, der ihnen die Noten verliehen hat, einen meist dreistelligen Betrag zahlen müssen. Bei zwei Aufführungen verdoppeln sich sowohl die GEMA‐Gebühr als auch die Leihgebühr für die Noten. Mit der dem Gesetz entsprechenden Erklärung, dass die GEMA für die Aufführungen und der Verlag für das Notenmaterial bezahlt werden müssen, kann man die Verdoppelung der Verlags‐Leihgebühr eigentlich nicht begründen. Praxis ist, dass außer der GEMA auch der Verlag über die Leihgebühr an den Aufführungen mitverdient. Das aber entspricht nicht der gesetzlichen Definition des vom Verlag wahrgenommenen „Verbreitungsrechts“, das den Verkauf und die Vermietung von Noten zum Gegenstand hat. Frage 3.6: Heißt das, dass wir uns gegen eine von der Zahl der Aufführungen abhängige Noten‐
Leihgebühr wehren könnten? Antwort: Leider nein. Das Gesetz lässt es zu, dass eine Nutzungserlaubnis „räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt“ erteilt wird. Die Bedingung „Nutzung der Leihnoten nur für Proben und eine Aufführung am ...“ ist nach herrschender Meinung legal und ändert auch nichts an der Zuständigkeit der GEMA für die eigentliche Aufführungserlaubnis. ‐ Wir sollten uns aber zunächst auf wichtige Fragen zum Aufführungsrecht und seiner Abgeltung konzentrieren. Frage 3.7: Also auf die GEMA und ihre ständig steigenden Rechnungen? Antwort: In Deutschland haben wir es mit mehreren Verwertungsgesellschaften für Aufführungsrechte zu tun. Die GEMA ist (nur) der bekannteste und meist einzige Partner. Frage 3.8: Ich habe den Eindruck, dass die GEMA eine staatliche Einrichtung ist und ein Monopol verwaltet. Ist das nicht so? Antwort: Die GEMA ist ein Verein, dem die Rechtsfähigkeit durch „staatliche Verleihung“ zuerkannt worden ist. Ihre Tätigkeit ist aber nicht an die heutzutage sehr seltene Rechtsform gebunden. Die Wahrnehmung von Nutzungsrechten für eine Vielzahl von Urhebern bedarf nach dem „Urheberwahrnehmungsgesetz“ zwar der staatlichen Erlaubnis. Diese Erlaubnis kann sich aber im Prinzip jedes Unternehmen unabhängig von seiner Rechtsform Beiträge holen. Die GEMA verwaltet also kein Monopol. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts bildeten sich mehrere konkurrierende Gesellschaften für musikalische Aufführungsrechte, dann gab es für viele Jahrzehnte nur die GEMA. Vor wenigen Jahren hat die GEMA Konkurrenz durch die neu gegründete „VG Musik + Werbung“ bekommen, die allerdings in dem hier interessierenden Feld der Konzertaufführungen noch keine nennenswerte Rolle spielt. Frage 3.9: Ja, können wir uns aussuchen, bei wem wir die Aufführungserlaubnis abrufen? Kommen wir bei der neuen Gesellschaft vielleicht billiger weg? Antwort: Sie können sich über die in der Tat recht unterschiedlichen Tarife für Musik‐Aufführungen bei www.gema.de und www.vg‐werbung.de informieren. Aussuchen könnten Sie sich den Lizenzpartner – mehr theoretisch – aber nur durch die Ausrichtung Ihres Programms auf sein Repertoire. Eine Verwertungsgesellschaft nimmt die ihr vom Urheber oder seinen Rechtsnachfolgern übertragenen Nutzungsrechte wahr. Zunächst sucht sich also der Komponist die Verwertungsgesellschaft aus. Die weitaus meisten Komponisten haben ihre Rechte der GEMA anvertraut. Die GEMA ist aufgrund von Abkommen mit den Verwertungsgesellschaften anderer Länder auch für ausländische Komponisten zuständig. Folglich haben Sie als Musiknutzer vorerst kaum die Möglichkeit, von günstigeren Tarifen einer anderen Verwertungsgesellschaft zu profitieren. Frage 3.10: Also heißt es doch nur: GEMA? Antwort: Eine Rolle neben der GEMA spielt noch die „Verwertungsgesellschaft Musikedition“. Sie verwaltet die Aufführungsrechte für Ausgaben nachgelassener Werke und wissenschaftlich fundierte Neuausgaben, die wir im letzten Beitrag behandelt haben. Diese Rechte werden von der GEMA nicht wahrgenommen. Da ‐ wie wir gelernt haben ‐ ein Schutz von Neuausgaben nur dann entstehen kann, wenn das eigentliche Urheberrecht wegen Fristablaufs bereits erloschen ist, kommen sich diese beiden Verwertungsgesellschaften gegenseitig nicht ins Gehege. Es ist aber durchaus möglich, dass für ein Konzert an beide eine Vergütung gezahlt werden muss, wenn auch für verschiedene Werke. Frage 3.11: Soviel ich weiß, muss die Aufführungserlaubnis vorher eingeholt werden. Wenn wir’s ganz korrekt machen wollen, müssen wir uns also von mindestens zwei Verwertungsgesellschaften die Anmeldeformulare herunterladen, in stundenlanger Arbeit ausfüllen ‐ wobei wir u.a. auch die voraussichtlichen Zugaben nennen müssen ‐ und rechtzeitig vor der Veranstaltung abschicken. Oder ist es besser, erst durch einen Urheberrechtsexperten prüfen zu lassen, ob unser Programm überhaupt tantiemepflichtige Werke enthält? Antwort: Sparen Sie sich den Aufwand. Wir empfehlen, stattdessen jedes Konzertprogramm formlos an die GEMA zu schicken, mit der Post oder per Mail, so wie Sie auch Ihr Konzertpublikum ansprechen. Sie hören dann entweder nichts oder bekommen eine Rechnung, je nachdem, ob das Programm vergütungspflichtige Werke enthält oder nicht. Im Normalfall verlangt die GEMA aber nicht noch die förmliche Anmeldung per Formular. Durch eine routinemäßige Bekanntgabe seiner Aufführungen schützt sich das Orchester auch zuverlässig dagegen, dass ihm die GEMA eine schuldhafte Unterlassung der Anmeldung mit der Konsequenz einer doppelten Gebühr vorwerfen kann. An die VG Musikedition müssen Sie nur denken, wenn Sie aus geschützten Neuausgaben spielen. Erfahrungsgemäß kommt das bei Liebhaberorchestern seltener vor. Auch gibt es in Anbetracht der kürzeren Schutzfristen nicht übermäßig viel geschützte Ausgaben. Frage 3.12: Bei meinen bisherigen Orchestern hörte ich oft die Meinung, dass es so wenig Berührung wie möglich mit der GEMA geben solle. Begründungen: Das der GEMA frei Haus gelieferte Konzertprogramm ist doch eine Einladung, uns eine Rechnung zu schicken. Wir wissen nie, ob eine GEMA‐Rechnung stimmt und ob sie überhaupt rechtens ist. Zu hoch ist sie jedenfalls immer. Sind das alles unbegründete Ängste und Vorurteile? Antwort: Naja, der GEMA‐Tarif für Aufführungen klassischer Musik hat schon recht hohe Gebührensätze, die sich auch in den letzten Jahren trotz niedriger Geldentwertungsrate ziemlich ungebremst aufwärtsentwickelt haben. Mit der Möglichkeit, zu hohe oder schlecht nachvollziehbare Rechnungen zu bekommen, muss jeder aber auch im normalen Leben rechnen. Es mag sein, dass der GEMA in Anbetracht der komplizierten Materie gelegentlich ein Fehler unterläuft. Wir halten es aber für übertrieben, deshalb Berührungsängste zu pflegen. Riskieren Sie lieber einen Blick in den GEMA‐
Tarif E („Aufführungen ernster Musik“), dann werden Sie die Berechnungsgrundlagen verstanden haben. Bei Zweifeln bitten Sie Ihren Dachverband um Prüfung der GEMA‐Rechnungen. Frage 3.13: Müssen Sie nicht zugeben, dass es verständlich ist, wenn viele Orchester über „Vermeidungsstrategien“ für Rechnungen nachdenken, Beiträge die allenfalls ein einschlägig erfahrener Lizenzexperte auf Anhieb nachvollziehen oder eben disqualifizieren kann? Antwort: Vermeidungsstrategien? Vielleicht. Aber die Orchester sollten sich hüten, den Verdacht zu wecken, dass sie sich entstandenen Abgabepflichten entziehen wollten. Das kann sehr schnell z.B. dazu führen, dass die GEMA jedes Mal das vollständige Ausfüllen ihrer Anmeldeformulare verlangt, von schlimmeren Konsequenzen ganz abgesehen. Denn im Grunde entscheidet nicht die GEMA darüber, ob und in welcher Höhe eine Lizenzgebühr fällig wird. Diese Entscheidung trifft ausschließlich das Orchester selbst im Zusammenhang mit der Festlegung seiner Programme und der Aufführungsstätten. Der Ausdruck „Vermeidungsstrategie“ ist eigentlich zu einseitig. Es geht im Vorfeld jeder Aufführung vielmehr um eine Abwägung: Was ist uns die Aufführung eines geschützten Werkes wert? Wenn die zu erwartende GEMA‐Rechnung Ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigt, sorgen Sie als Orchestervorstand bitte rechtzeitig für eine Änderung der Programmplanung. Frage 3.14: Das ist mehr eine Verhinderungsstrategie, die sich in erster Linie gegen die Aufführung neuerer und zeitgenössischer Werke richtet. Dagegen gehen sicher nicht nur Dirigenten an, die dem Orchester wie dem Publikum die ganze Bandbreite der Musik vermitteln wollen. Ist es nicht vielmehr Aufgabe auch der Liebhaberorchester, neuere, also urheberrechtlich geschützte, Musik und zeitgenössische Komponisten zu fördern? Antwort: Richtig. Denken wir also nicht über zweifelhafte „Vermeidungsstrategien“ nach. Unterhalten wir uns lieber über die Gestaltungsmöglichkeiten bei Aufführungen geschützter Werke, also was Sie beachten sollten, um eine unangemessen hohe finanzielle Belastung zu vermeiden. Hierzu stichwortartig Folgendes: 1. Die GEMA‐Gebühren lassen sich bei häufigen Aufführungen geschützter Werke durch eine Pauschalvereinbarung zwischen Orchester und GEMA verringern. 2. In einigen Bundesländern gibt es über den Landesverband Zuschüsse zu den GEMA‐Gebühren oder zu defizitären Konzertveranstaltungen. 3. Bei unerwartetem Besuchermangel haben Sie nachträglich noch die Möglichkeit, aufgrund der sog. Missverhältnisklausel von der GEMA eine Ermäßigung ihrer Forderung zu verlangen. Das setzt voraus: • Die Ausgaben für das Konzert haben die Einnahmen überstiegen und • der Rechnungsbetrag der GEMA ist höher als 10 % der Konzerteinnahmen. Die GEMA ist dann verpflichtet, ihre Forderung auf 10 % der Konzerteinnahmen zu beschränken. Sie müssen diese Ermäßigung ausdrücklich beantragen und eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben für das Konzert beifügen.2 Teil 4: Verwertungsrechte: Aufführungsrecht, Tariffragen und ‐beispiele Frage 4.1: Ich habe zuletzt gelernt, dass mein Orchester gut daran tut, die GEMA durch regelmäßige Konzerteinladungen über unsere Tätigkeit auf dem Laufenden zu halten. Aber: Können wir dann etwas tun, wenn wir ebenso regelmäßig Rechnungen von der GEMA erhalten, obwohl wir weit überwiegend nur Werke der Klassik von Haydn bis Brahms aufführen? Die GEMA ist sehr schnell mit Mahnungen und Klagen, und im Amateurorchester gibt es oft monatelang niemanden, der sich um liegengebliebene Rechnungen kümmert ... Antwort: Wenn die GEMA Ihr Orchester und sein Repertoire kennt, wird es kaum passieren, dass Sie unberechtigt zur Kasse gebeten werden. Es gibt viele Musiknutzer, denen das „GEMA‐Bewusstsein“ 2
Die sog. Missverhältnisklausel wurde seitens der GEMA inzwischen durch die Härtefall‐Nachlassregelung ersetzt. fehlt, die gar nicht daran denken, dass sie vielleicht abgabepflichtig sein könnten, wie. z.B. Gastwirte, kleinere Privat‐Bands, die gelegentlich auftreten, Veranstalter von erweiterten Familienfeiern usw. Der GEMA bleibt oft gar nichts anderes übrig als nachdrücklich auf ihre Wahrnehmungs‐Rechte zu pochen und z.B. doppelte Gebühren einzufordern. Als Liebhaberorchester sollten Sie sich dagegen den seriösen Musik‐nutzern zurechnen und sich auch der GEMA als solcher präsentieren. Dann werden Sie dort auch auf Verständnis rechnen können, wenn Sie mal etwas übersehen und liegengelassen haben. Im Übrigen wird eine falsche Rechnung nicht dadurch richtig, dass der Empfänger sie monatelang nicht reklamiert. Für die Bitte um Aufklärung kann es eigentlich nie zu spät sein. Frage 4.2: In Ihrer letzten Lektion haben Sie erwähnt, dass man mit einer Pauschalvereinbarung GEMA‐Gebühren sparen kann (Antwort auf Frage 3.14). Wie das geht ist mir noch nicht klar. Antwort: Wir sollten uns vorab wenigstens kursorisch mit dem GEMA‐Tarif befassen, und zwar mit dem normalerweise zur Anwendungen kommenden Tarif „E“ mit mehr als 9 mitwirkenden Musikern (abgedruckt im Anhang I dieses Beitrags). Sie müssen sich drei für die Höhe der Gebühr maßgebliche Kriterien merken: • Höhe des (höchsten) Eintrittspreises; • Fassungsvermögen (maximale Besucheranzahl) des Saales und • Anteil der urheberrechtlich geschützten Werke am gesamten Programm. Dazu zwei Beispiele: 1. Ihr Kammerorchester hat im Herbst 2006 die Streicherserenade von Elgar, ein Flötenkonzert von Graun, ein Divertimento von Mozart und eine Sinfonietta von Harald Genzmer gespielt. Der Saal bot 150 Besuchern Platz. Eintritt war frei. Zur Anwendung kommt der Wert aus Gruppe (=Spalte) A Stufe (=Zeile) 2 der Tabelle. Die dort stehenden 73,90 Euro sind zu halbieren, weil nur eins der gespielten Werke (Genzmer) vergütungspflichtig ist. Der Nettobetrag beläuft sich also auf 36,95 Euro. Ist Ihr Orchester Mitglied eines Dachverbandes, gibt es eine weitere Reduzierung um 20 %, also auf 29,56 Euro. Darauf wird noch die Mehrwertsteuer von 7 % gerechnet. 2. Sie führen mit Ihrem Sinfonieorchester im Kölner Gürzenich (1100 Plätze) das Violinkonzert von Sibelius, die Symphonischen Metamorphosen von Hindemith, und als Einleitung eine Ouvertüre von Mendelssohn auf. Die Kartenpreise beginnen bei 10 Euro und gehen bis 30 Euro. Hier kommt Gruppe G Stufe 5 zum Ansatz mit dem Tarifbetrag von 1.545,30 Euro. Darauf muss Ihnen die GEMA 25 % Nachlass einräumen, weil die 2 vergütungspflichtigen Werke (Sibelius und Hindemith) das Konzert „nicht ausgefüllt“ haben, also noch ein weiteres nicht vergütungspflichtiges Werk (Mendelssohn) gespielt wurde. Auf den ermäßigten Betrag von 1.159,‐ Euro gibt es ggf. den Verbands‐Nachlass von 20 %. Der Endbetrag erhöht sich dann um die Mehrwertsteuer. Nun zu Ihrer Frage: Wenn Sie einen Pauschalvertrag mit der GEMA schließen, zahlen Sie für alle Konzerte einen um 50 % ermäßigten Satz. Das dritte Kriterium – Anteil der vergütungspflichtigen Werke – gilt hier nicht, Sie müssen also auch für Konzerte zahlen, in denen kein einziges vergütungspflichtiges Werk aufgeführt wird. Außerdem werden Ihnen mindestens 4 Konzerte pro Jahr berechnet, auch wenn Sie tatsächlich weniger Auftritte hatten. Frage 4.3: Bei derartigen Konditionen kommt ein Pauschalvertrag für Liebhaberorchester doch kaum in Frage, oder? Antwort: Für Orchester, die mehr als 4 Konzerte im Jahr veranstalten, kann die Pauschalvereinbarung durchaus lohnend sein. Es gibt auch gar nicht so wenig Orchester, die sich sagen: Was soll die ständige Erbsenzählerei mit dem Urheberschutz? Wir möchten spielen, was uns Spaß macht und auch unserem Dirigenten keine ständige Diskussion über zu erwartende GEMA‐
Rechnungen zumuten. Es dürfte allerdings so sein, dass bei etwas attraktiverer Gestaltung des Pauschaltarifs – insbesondere bei Senkung der Mindestanzahl vergütungspflichtiger Konzerte – wesentlich mehr Orchester zum Abschluss einer solchen Vereinbarung zu motivieren wären. Der GEMA würde das eine erhebliche Entlastung von Verwaltungsaufwand bringen. Vielleicht können Sie bei Ihrem Dachverband anregen, dass über dieses Thema mal mit der GEMA gesprochen wird. Frage 4.4: Das tue ich gern. Kann ich auch vorschlagen, dass in der Pauschalvereinbarung das Spielen aus Kopien erlaubt wird? Antwort: Vorschlagen können Sie das. Es wird allerdings nichts bringen, da die GEMA für eine derartige Regelung nicht zuständig ist. Anders gesagt, der GEMA ist es vollkommen gleichgültig, ob aus Originalnoten oder aus Kopien gespielt wird. Frage 4.5: Würde eine Pauschalvereinbarung mit der GEMA denn wenigstens die Ansprüche anderer Verwertungsgesellschaften abdecken? Antwort: Nein. Was Sie mit der GEMA vereinbaren, kann gegenüber anderen Verwertungsgesellschaften keine Wirkung haben. Insbesondere die VG Musikedition verwaltet, wie wir gelernt haben (siehe den Beitrag im LIEBHABERORCHESTER 2005 Heft 1, S. 8 ff.) andere Rechte als die GEMA und kann durchaus neben der GEMA eine Vergütung verlangen. Vielleicht können wir das obige Beispiel 2 dafür etwas ändern: Ihr Orchester spielt Mendelssohn und Hindemith, dazwischen jedoch nicht Sibelius, sondern das Cellokonzert op. 129 von Robert Schumann. Die Noten für das Cellokonzert sind eine Breitkopf‐
Ausgabe von 1997 (Hrg. J. Draheim). Nun müssen Sie an die GEMA nur noch für Hindemith zahlen, das bedeutet einen Nachlass von 50 % auf den Regeltarif von 1.545,30 Euro, das ergibt 772,70 Euro netto. Die VG Musikedition berechnet Ihnen die Aufführung des Cellokonzertes von Schumann, weil das Orchester aus einer nach § 70 UrhG geschützten Ausgabe gespielt hat. Laut Tarif (Anlage 2) ist die Spalte „Bis 20 Euro“ und die Zeile „Bis zu 1200 Personen“ zutreffend, das Entgelt beläuft sich dementsprechend auf 449,45 Euro. Frage 4.6: Habe ich nicht vorhin gehört, dass der höchste Eintrittspreis als Berechnungsgrundlage herangezogen wird? Dementsprechend müssten wir eine Spalte weiter nach rechts gehen und den Betrag von 529,15 Euro ansetzen. Müsste es andererseits nicht auch 50 % Nachlass geben, weil das Cellokonzert ja das einzige Stück war, bei dem wir eine geschützte Ausgabe verwendet haben? Antwort: Die Tarife der GEMA und der VG Musikedition unterscheiden sich trotz ihrer scheinbar identischen Struktur erheblich voneinander. Für die GEMA ist der höchste Eintrittspreis maßgebend, für die VG Musikedition der „durchschnittliche“ Eintrittspreis. Bei der VG Musikedition ist der Anteil der geschützten Werke dagegen unerheblich, allerdings ist die Spieldauer ein wesentlicher Berechnungsparameter. Durch die Tarifvergütung werden ein oder mehrere Werke mit einer Aufführungsdauer bis zu 40 Min. abgegolten. Was länger dauert, wird teurer. Sie haben aber insofern recht, als bei kürzerer Spieldauer der Musikeditions‐Tarif einen Nachlass vorsieht, der nach vollen 10 Min. berechnet wird. Das Cellokonzert dauert knapp 25 Min., das Nettoentgelt ermäßigt sich nach Abschnitt 3 des Tarifs also um 20 % auf 359,57 Euro. Frage 4.7: Müssen wir diesen Betrag von 359,57 Euro auch dann bezahlen, wenn wir für die Aufführung das Notenmaterial extra gekauft haben, was ja nahezu auch schon so viel gekostet hat? Antwort: Ja, Sie schulden in jedem Fall die Tarifvergütung. Die VG Musikedition interessiert es nicht, ob Sie die Noten gekauft oder bei einem anderen Orchester oder von einer Notenbibliothek entliehen haben. Frage 4.8: Erklären Sie bitte einmal, warum wir an die VG Musikedition etwas bezahlen müssen, wenn wir aus nachweislich für die Aufführung gekauften Noten gespielt haben, die wir danach für absehbare Zeit gar nicht mehr brauchen? Antwort: Vom Verlag bzw. vom Notenhändler haben Sie die Noten erworben, von der VG Musikedition erwerben Sie das Recht, mit diesen Noten eine öffentliche Aufführung zu bestreiten. Das Recht der öffentlichen Aufführung kann Ihnen kein Notenhändler verkaufen. Sie müssen sich immer bewusst machen, dass der Kauf und die Verwendung neuerer und möglicherweise geschützter Notenausgaben gewissermaßen erhebliche Folgekosten mit sich bringen kann. Frage 4.9: Wäre es nicht ehrlicher und sinnvoll, beim Verkauf von geschützten Orchesternoten einen pauschalen „Aufführungsaufschlag“ mit anzubieten, damit jedem Käufer von vornherein klar ist, was er für sein Geld bekommt und was er nicht bekommt – und was er damit vielleicht gegenüber dem VG‐Tarif sparen kann ? Antwort: Ein solches Modell hätte manches für sich. Dennoch ist es in der Praxis kaum denkbar. Der Verkauf von Musiknoten und die Verwaltung von Aufführungsrechten werden von völlig verschiedenen Rechtsträgern betrieben. Der Verlag, der die Noten produziert, hat kein unmittelbares Interesse daran, den Verkauf durch die Koppelung mit der Abgeltung von Aufführungsrechten zu erschweren. Die Verwertungsgesellschaften ihrerseits arbeiten mit komplizierten Tarifen, die einem Einstieg in einfache und transparente Abgeltungsmodelle im Weg stehen. Sie setzen stattdessen auf Vereinbarungen mit mitgliederstarken Dachverbänden, die Einzelabrechnungen überflüssig machen. Liebhaberorchester, die nur recht selten geschützte Werke aufführen, haben aber kein Interesse daran, z.B. durch einen pauschalen jährlichen Abgeltungsbetrag an die GEMA für die Aufführungen anderer mit zu bezahlen. Frage 4.10: Noch einmal zum GEMA‐Tarif: Muss das Orchester im Beispiel 2 die rund 1000,– Euro auch dann bezahlen, wenn der Gürzenich nicht einmal zur Hälfte gefüllt war? Antwort: Das Tarifmerkmal „Saalgröße“ wird unabhängig davon angewendet, wie viel Besucher tatsächlich erschienen waren. Es gibt jedoch eine Regelung, die aus dem GEMA‐Tarif leider nicht hervorgeht, aber dennoch verbindlich ist: Die sog. Missverhältnisklausel, bei der die Forderung der GEMA auf 10 % der Konzerteinnahmen zu ermäßigen ist, wenn das Konzert insgesamt ein Verlustgeschäft war. Diese spezielle Ermäßigung muss das Orchester nach dem Konzert schriftlich beantragen und dabei die Konzertabrechnung vorlegen3. Frage 4.11: Was ist zu tun, wenn die GEMA ihre Rechnung schon gestellt hat und die Konzertabrechnung nicht anerkennen will, stattdessen mit einem Gerichtsverfahren wegen Zahlungsverzuges droht? Antwort: Für diesen Fall gibt es die „Schiedsstelle nach dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten“ beim Deutschen Patent‐ und Markenamt, 3
Siehe Anmerkung 2 zur Antwort auf Frage 3.14 Postadresse: 80297 München. Telefonisch erreichen Sie die Schiedsstelle mit 089‐21952673, per Mail über [email protected]. Bei Mail‐Anfragen geben Sie bitte immer den Absendernamen mit Postanschrift an. Teil 5 – Verwertungsrechte: Vervielfältigungs‐ und Verbreitungsrecht I Frage 5.1: Man hört und liest immer wieder, dass das Kopieren von Noten verboten sei. Auf manchen Noten steht das auch gedruckt, auf anderen jedoch nicht. Kann ich daraus den Schluss ziehen, dass ich aufgedruckte Kopierverbote beachten muss, Noten ohne einen solchen Eindruck dagegen für den eigenen Gebrauch kopieren darf? Antwort: Beide Folgerungen sind falsch. Es gibt Noten ohne jeden Verbotsaufdruck, die trotzdem nicht kopiert werden dürfen. Viele der Noten mit aufgedrucktem Hinweis auf die Unzulässigkeit des Kopierens können dagegen völlig legal kopiert werden, wahrscheinlich sogar die Mehrzahl von ihnen. Frage 5.2: Was haben die Verbotshinweise denn für einen Sinn? Antwort: So wie sie bisher abgefasst werden, haben sie keinen Sinn. Wir dürfen unsere drastische Aussage aus einer früheren Lektion (Heft 1/2005) zitieren: „Es ist nicht grundsätzlich verboten, Unsinn zu drucken“. Kein Musikverleger hat diese vor immerhin drei Jahren veröffentlichte Feststellung im Zusammenhang mit aufgedruckten angeblichen Kopierverboten bisher beanstandet. Frage 5.3: Gibt es nicht so etwas wie eine Wahrheitspflicht insbesondere bei der Warendeklaration? Antwort: Sicher gibt es die, und sie gilt auch für Bücher und Noten. Ein Verbots‐Aufdruck ist aber bestimmt nicht verkaufsfördernd, sondern eher vergleichbar mit den Warnhinweisen auf den Beipackzetteln von Medikamenten. Außerdem: Schauen Sie sich die aufgedruckten Hinweise einmal genauer an. Sie werden kaum jemals die Formulierung finden, dass „diese“ vor Ihnen liegenden Noten nicht vervielfältigt werden dürfen. Im Gegenteil: die Verbotsaufdrucke sind oft deutlich abgeschwächt, z.B. „Das widerrechtliche Kopieren ist gesetzlich verboten“. Gegen einen solchen Satz kann niemand etwas sagen, abgesehen davon, dass er als sog. Tautologie so gut wie keinen Aussagewert hat. Frage 5.4: Dann handelt es sich vielleicht um bloße Einschüchterungsversuche ohne Bezug zur Realität? Das kann ich kaum glauben, im Übrigen wäre das – wenn ohne jede Grundlage – doch wohl eine Art Irreführung. Antwort: Für das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Noten gilt in der Tat eine besonders strikte gesetzliche Sonderregelung. Leider wird die nie genau angesprochen. Wir werden gleich auf sie eingehen. Vorab müssen wir aber noch einmal betonen, dass ein etwaiges Kopierverbot für Noten sich ausschließlich nach den gesetzlichen Regelungen richtet und nicht danach, ob auf den Noten ein Verbotshinweis aufgedruckt ist. Frage 5.5: Ich verstehe noch immer nicht, was einen Musikverleger zu einem mehr oder weniger deutlichen Verbotsaufdruck bewegen kann. In Büchern stehen keine solchen Hinweise, obwohl die Branche ständig über illegale „Raubdrucke“ jammert. Auch der Antwort auf die Frage, welche Noten ich kopieren darf und welche nicht, bin ich noch keinen Millimeter näher gekommen, oder? Antwort: Wir gehen erst kurz auf die gesetzliche Kopier‐Regelung ein. Als Student oder schon als Schüler haben Sie sicher gesehen, wie in der Schule oder Uni stundenlang aus Büchern kopiert wurde, haben vielleicht selbst viel kopiert. Nach der allgemeinen urheberrechtlichen Regelung sind Kopien für den privaten eigenen Gebrauch bis zu einem gewissen Grad auch zulässig. Das gilt jedoch nicht für Noten, „graphische Aufzeichnungen von Werken der Musik“, wie das Gesetz sagt. Noten dürfen – von unwesentlichen Ausnahmen abgesehen – „stets nur mit Einwilligung des Berechtigten“ vervielfältigt werden (§ 53 Abs. 4 Buchst. a UrhG). Das Gesetz drückt sich recht diplomatisch aus, gibt damit einen deutlichen Fingerzeig in Richtung auf die Möglichkeit allgemeiner Erlaubnisregelungen, wie z.B. käufliche Gebührenmarken für Kopien geschützter Noten. Die Musikverlage als „Berechtigte“ bevorzugen es demgegenüber, ausschließlich vom „Kopierverbot“ und der Strafbarkeit des Verstoßes hiergegen zu sprechen. Für diese Interpretation können sie sich auch auf das Recht berufen. Wir als Musiknutzer haben das grundsätzlich zu respektieren. Diese Sonderregelung steckt also hinter den Verbotsaufdrucken auf Musiknoten. Diese Einschränkung gilt wie alles Übrige nur für Noten, die einem urheberrechtlichen Schutz unterliegen. Wir können festhalten: Es gibt viele, sogar sehr viele klassische Orchesternoten, die unbedenklich kopiert und in dieser Form auch für Aufführungen verwendet werden dürfen. Es gibt aber auch Noten, die nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht kopiert werden dürfen, und bei deren Aufführung auch keine Kopien auf den Pulten liegen dürfen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die sog. Schutzfristen. Es dürfen nicht kopiert werden: • Werke, deren Komponist noch lebt oder vor weniger als 71 Jahren gestorben ist; • Notendrucke, die vor weniger als 26 Jahren erschienen sind, sofern sie auf „wissenschaftlich sichtender Tätigkeit“ beruhen oder als sog. nachgelassene Werke in der Öffentlichkeit bis dato nicht erschienen oder zu Gehör gebracht worden waren. Genaueres zu diesen Voraussetzungen haben wir bereits früher dargestellt und müssen zur Vermeidung von Wiederholungen darauf verweisen (siehe Vorspann zu diesem Beitrag). Frage 5.6: Heißt das nicht, dass sich die Situation gewissermaßen täglich ändern kann, abhängig vom Todestag des Komponisten oder vom Erscheinungstag eines Druckes? Und ist es wirklich so: Gestern verboten – heute erlaubt? Oder muss man da noch einen zeitlichen Sicherheitsabstand beachten? Antwort: Auf die erste Ihrer Fragen: Jein. Die Schutzfristen sind auf 70 bzw. 25 Jahre festgelegt, werden jedoch bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres verlängert (§ 69 UrhG). Stichtag für den Ablauf einer Schutzfrist kann also nur der 31. Dezember sein. Zu Ihrer zweiten Frage: „Ein bisschen schwanger“ gibt es auch im Urheberrecht nicht. Das Gesetz besagt lapidar, dass der Urheberschutz mit Ablauf der Schutzfrist „erlischt“. Praktisches Beispiel: Je nachdem, ob Sie einen Ravel (1875 – 1937) oder eine Originalkomposition von George Gershwin (1898 – 1937) im Silvesterkonzert am 31.12.2007 oder im Neujahrskonzert 2008 auf dem Programm hatten, konnten Sie in der Neujahrsnacht entweder die GEMA oder eben den Kassenwart Ihres Orchesters hochleben lassen. Frage 5.7: Wir haben den „Bolero“ von Maurice Ravel Anfang 2008 aufgeführt. Gespielt haben wir aus Kopien, mit denen wir natürlich vor Ablauf des Jahres 2007 auch schon geprobt hatten. Wer die Kopien hergestellt hat und durch wen sie zu mir gekommen sind, weiß ich sicherheitshalber nicht mehr. Wie ist die Rechtslage? Kann die GEMA, wenn sie von den Kopien erfährt, nicht doch noch eine Strafgebühr festlegen? Antwort: Ihr Beispiel ist sehr speziell, weil die zeitliche Schnittstelle des Stichtags für den Ablauf der Schutzfrist in der Praxis nur sehr selten eine Rolle spielt. Wir können aber in verallgemeinerter Form einige Grundsätze darlegen: • Das Proben unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist keine „Verwertungshandlung“ im Sinne des Urheberrechts. Ob hierbei Kopien oder Originalnoten verwendet werden, spielt also auch bei geschützten Noten keine Rolle. Das heißt aber nicht, dass geschützte Noten für diesen Zweck kopiert werden dürfen oder durften, denn • Kopieren, egal für welchen Zweck, ist als „Vervielfältigen“ immer eine Verwertungshandlung und wird vom Schutz des Urheberrechts voll erfasst, bis zum Ende des 31. Dezember des Ablaufjahres. • In Ihrer Frage haben Sie schlauerweise offengelassen, woher die Kopien kamen. Vergessen Sie lieber das „Vergessen haben“. Das öffentliche „Verbreiten“ geschützter Werke oder Notendrucke ist nämlich ebenfalls eine Verwertungshandlung. Verbotene Kopien dürfen also grundsätzlich nicht verbreitet werden, und zwar weder vom Kopisten noch von jemandem, der nicht weiß, woher die Kopien stammen. Die Frage, die Sie dazu sicher haben, beantworten wir gleich mit: So wie eine Aufführung „öffentlich“ sein muss, ist auch nur die Verbreitung in der „Öffentlichkeit“ eine urheberrechtsrelevante Verwertungshandlung. Sie können also die Kopie einer Stimme eines geschützten Werkes, die Ihnen ein Kollege aus einem anderen Orchester gegeben hat, Ihrem Pultnachbarn weitergeben, ohne dass Ihnen jemand einen Vorwurf daraus machen kann. Anders sieht es aus, wenn Sie Notenwart sind und mit dem kompletten Kopiensatz des geschützten Werkes, den Sie, sagen wir mal, zufällig auf einer Mülldeponie gefunden haben, in der Probe erscheinen und verteilen oder zur Selbstbedienung auslegen. Es gibt ein Gerichtsurteil, wonach die Verteilung der Stimmenkopien im Orchester als „Verbreitung in der Öffentlichkeit“ zu bewerten ist. Frage 5.8: Ist es nicht ziemlicher Quatsch, dass man einerseits eine Orchesterprobe richtigerweise als nichtöffentlich einstuft, die vorherige Verteilung der Noten an die gerade anwesenden Spieler aber in das Licht einer angeblichen Öffentlichkeit rückt? Antwort: Gegenfrage: Können Sie einen Musikfreund benennen, der in der Hoffnung, dem „Quatsch“ ein Ende zu bereiten, einen neuen Musterprozess dafür auf sich nimmt? Wir würden ihm nicht einmal viel Hoffnung auf Erfolg machen. Die unterschiedlichen Verwertungsrechte stehen ziemlich isoliert in der Welt der tatsächlichen Abläufe. Das kann, um es freundlich auszudrücken, als Einladung zur Kreativität missverstanden werden: „Ja, wer die Kopien gemacht hat, weiß ich wirklich nicht, ich habe sie nur weitergegeben“. Kein Richter hat Lust, solche Gedächtnislücken ergründen zu müssen. Deshalb die Tendenz, den Anwendungsbereich des Verbreitungs‐Schutzrechtes auszuweiten, auch wenn das reichlich skurril erscheint. Jedenfalls kann es nicht dem Sinn und Zweck des Urheberschutzes entsprechen, das man sich mindestens bis zum Beginn einer öffentlichen Aufführung um etwaige illegale Verwertungshandlungen relativ leicht herumreden kann. Frage 5.9: Warum nicht – mit Verlaub gefragt? Die GEMA ist doch allgegenwärtig und lässt durch ihre Effektivität vorgelagerte illegale Verwertungshandlungen als ziemlich sinnlos erscheinen? Antwort: Sie sehen die Rolle der GEMA falsch. Die GEMA ist für die Wahrnehmung des Aufführungsrechtes zuständig, aber für kein anderes Verwertungsrecht. Wie schon einmal erwähnt: Die GEMA interessiert es überhaupt nicht, ob ein geschütztes Werk aus Originalnoten oder aus Kopien aufgeführt wurde. Um auf das Beispiel des Anfang 2008 aufgeführten „Bolero“ von Ravel zurückzukommen: Zum Zeitpunkt der Aufführung war der Urheberschutz erloschen, es gibt für die GEMA nichts zu holen und schon gar nichts mehr zu prüfen. Wäre die Aufführung noch im Dezember gewesen, hätte die GEMA auch nichts anderes getan als ihre Vergütung für die Aufführung einzuziehen. Frage 5.10: Dann zahlt sich die sogenannte „Kreativität“ bei der Notenbeschaffung also in jedem Fall aus, oder? Antwort: Auch das ist nicht richtig. Die innerhalb einer Schutzfrist vorgenommenen illegalen Verwertungshandlungen bleiben auch nach deren Ablauf illegal. Wir sollten das aber nicht weiter vertiefen, sondern uns nun mehr der Praxis zuwenden. Frage 5.11: Heißt das, dass wir bisher noch nichts praktisch Verwertbares gelernt haben? Antwort: Wir haben uns in der Tat überwiegend mit ziemlich grauer Theorie befasst, die Sie nicht hundertprozentig verstehen müssen. Leider kommen wir um die Darstellung der Theorie nicht immer herum. Was sollen wir antworten, wenn wir – wie recht häufig geschieht – gefragt werden: „Dürfen wir diese Noten kopieren und die Kopien für Aufführungen verwenden, ja oder nein?“ Das „dürfen“ geht aus dem Gesetz fast immer klar hervor, aber das nackte „nein“ entspricht oft nicht dem Sinn der Frage. Auch hier ein Vergleich: Die Frage in einer geschlossenen Ortschaft „Darf ich hier auch mal mit 52 oder 53 km/h fahren“ muss nach dem Gesetz eindeutig mit „nein“ beantwortet werden. In der Praxis wird aber nicht einmal jeder Verkehrspolizist dies zur Antwort geben. Frage 5.12: Vielleicht ist eine Frage wie etwa „Kann ich hier mit 53 km/h geblitzt werden“ sinnvoller? Antwort: Lassen wir den Vergleich. Den Musikverlagen ist wie Ihnen und uns klar, dass das strikte Kopierverbot in der Praxis nicht kontrollierbar und deshalb nicht lückenlos durchsetzbar ist. Sie beanstanden es in der Regel nicht, wenn jemand eigene Noten kopiert und die Kopien für sich verwendet mit dem Zweck, die Originale zu schonen. Diese Toleranz ist auch auf Orchesternoten bzw. die Arbeit des Notenwarts übertragbar. Hat das Orchester z.B. die „Finlandia“ von Sibelius oder eine kürzlich erschienene geschützte „Urtext“‐Ausgabe einer Mendelssohn‐Ouvertüre mit einer ausreichenden Anzahl der Streicherstimmen erworben, so können diese Noten für eigene Aufführungen kopiert werden. Die Originale müssen dann auch bei der Aufführung nicht auf den Pulten liegen. Frage 5.13: Ist das als allgemeine Erlaubnis der Musikverlage irgendwo schwarz auf weiß dokumentiert? Und: gilt das auch für Noten, die wir nicht kaufen können, sondern von Fall zu Fall bei einem Verlag für viel Geld leihen müssen? Antwort: Auf diese Fragen müssen wir nacheinander eingehen. Erste Frage: Nein, es gibt keine offizielle Verlautbarung, an die man die Verlage erinnern kann. Wir glauben auch nicht, dass Sie durch eine Anfrage einen Musikverlag zu einer Festlegung in diesem Sinne bewegen können. Im Ergebnis wird die Anfrage wohl mit einer Bestätigung beantwortet werden, aber der Verlag wird darauf hinweisen, dass dies nur für den vorgetragenen konkreten Fall gilt und er sich darüber hinaus vorbehält, in einem anderen Fall anders zu entscheiden und keine Abweichung von der gesetzlichen Regelung zu gestatten, dass er im Übrigen nur für die von ihm verlegten Noten und nicht für andere Verlage zuständig ist. Zweite Frage: Die Leihnoten sind ein Kapitel für sich. Wir machen’s kurz: Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Musikverlage ist jegliches Kopieren von Leihnoten untersagt. Durch Ihre Unterschrift auf dem sog. Leihrevers verpflichten Sie sich und Ihr Orchester zur Einhaltung dieser Vereinbarung. Bitte gut aufpassen: Daran sind Sie auch bei Leihnoten gebunden, die keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Das gesamte Repertoire klassischer Orchesternoten ist also bei Leihmaterialen aufgrund vertraglicher Vereinbarung für das Kopieren tabu. In der Praxis läuft es auch hier anders: Kaum ein Verlag wird es Ihnen verwehren, Leihmateriale zu kopieren und die Kopien auch für die entsprechende meist einmalige Aufführung zu verwenden. Aber: Er will gefragt sein und muss Ihnen eine schriftliche Kopiererlaubnis erteilt haben, weil nur dann eine wirksame Vertragsänderung vorliegt. Meist bekommen Sie dabei die Auflage, die Kopien hinterher zu vernichten oder zusammen mit den Originalnoten nach Gebrauch an den Verlag zurückzuschicken. Frage 5.14: Kriegen wir für das Herstellen und Mitschicken der erlaubten Kopien von Leihmaterialen wenigstens einen Nachlass auf den Mietpreis, weil wir die Originalnoten ja nicht abgespielt haben? Antwort: Von einem Preisnachlass in diesem Zusammenhang ist uns noch nichts bekannt geworden. Teil 6 – Verwertungsrechte: Vervielfältigungs‐ und Verbreitungsrecht II oder: Der Ritt der Walküren Frage 6.1: In einem offenbar ziemlich alten Notendruck von Richard Wagners „Ritt der Walküren“ bin ich auf folgenden Text gestoßen: Das Ab‐ und Ausschreiben der Partitur resp. der Stimmen ist nach § 4 des Gesetzes vom 11. Juni 1870 untersagt, ebenso das Vergeben derselben an Dritte zum Zwecke der Aufführung. Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot werden von der Verlagshandlung gerichtlich verfolgt. Hat dieser Aufdruck für mich irgendeine Bedeutung? Antwort: Nein. Dieser Aufdruck fällt – wie so viele seiner Art – voll und ganz in die Rubrik Rechtsgeschichte. Frage 6.2: Irgendwie kommt mir dieser Aufdruck aber ziemlich aktuell vor. Das Gesetz „vom 11. Juni 1870“ gibt es vielleicht nicht mehr, aber ich habe doch lernen müssen, dass das Kopieren streng verboten ist und dass ein Verteilen schon innerhalb des Orchesters als unerlaubte Weitergabe gewertet werden kann? Antwort: Bitte halten Sie sich immer vor Augen, dass das Urheberrecht ein flüchtiges Recht ist, das nach Ablauf bestimmter Fristen seine Relevanz verliert. Sie können das mit der Verjährung von Garantieansprüchen und anderen vertraglichen Forderungen oder der Verjährung der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vergleichen. Juristisch gesehen hinkt dieser Vergleich zwar, aber für das laienhafte Verständnis ist der allgemein bekannte Begriff „Verjährung“ eine passable Gedächtnisstütze auch im Urheberrecht. Also: Richard Wagner ist 1883 gestorben, seine Werke sind nicht mehr geschützt, da er seit mehr als 70 Jahren tot ist. Folglich können Sie auch mit dem „Ritt der Walküren“ machen, was Sie wollen. Frage 6.3: Ich habe mich bei meinem Notenhändler nach dem Orchestermaterial erkundigt, weil in meinem Orchester eine Aufführung des Walkürenrittes geplant ist. Der Notenhändler hat mir gesagt, dass wir diese Noten bei einem Musikverlag mieten müssten, Kostenpunkt mindestens 200 Euro. Nun haben Sie mich belehrt (Heft 2008, S. 14, Antwort auf Frage 5.13), dass vom Verlag geliehene Noten für das Kopieren immer tabu sind. Wie passt das mit Ihren Antworten auf meine vorigen Fragen zusammen? Antwort: Der Verlag wird Ihnen die Noten schicken, wenn Sie für das Orchester den sog. Leihrevers – sprich: Vertrag – unterschrieben haben. Mit Ihrer Unterschrift verpflichten Sie sich, die allgemeinen Geschäftsbedingungen einzuhalten. Die Geschäftsbedingungen enthalten üblicherweise die Klausel, dass die geliehenen Noten nicht kopiert werden dürfen. An Ihre Unterschrift sind Sie unabhängig vom Urheberrecht gebunden. Frage 6.4: Ich weiß, dass es in Amerika viele Noten zu kaufen gibt, die hier in Deutschland und Europa nur beim Verlag geliehen werden können. Ich habe den Notenhändler auch daraufhin angesprochen. Seine Auskunft war in der Tat, dass der Walkürenritt in Amerika tatsächlich zu haben sei und dass der Listenpreis eher niedriger sei als die Leihe in Deutschland. Allerdings traue er sich nicht, diese Noten aus Amerika zu beziehen, weil sie nach deutschem Recht möglicherweise urheberrechtlich geschützt seien. Er könne sich dadurch strafbar machen oder müsse mindestens befürchten, von den deutschen Musikverlagen dann nicht mehr beliefert zu werden. Wer liegt denn nun falsch, Sie oder der Notenhändler? Antwort: Keiner von uns beiden. Wir möchten Sie dennoch dazu beglückwünschen, dass Sie sich auf diese Lektion offensichtlich sehr gut vorbereitet haben. Ihr Notenhändler hat insoweit Recht, als es sich bei der in Amerika nachgedruckten Ausgabe vermutlich um die von Wouter Hutschenruijter (1859‐1943) besorgte Einrichtung des Aufführungsmaterials handelt. Sofern mit dieser Einrichtung eine nicht unwesentliche kompositorische Eigenleistung verbunden war – das ist nach der heute gültigen Fassung von § 3 UrhG zwingende Voraussetzung – wäre diese Ausgabe als Bearbeitung zu klassifizieren mit der Folge, dass sie bis zu 71 Jahre nach dem Tod des Bearbeiters, hier also bis zum Ablauf des Jahres 2013, noch urheberrechtlich geschützt ist. Die von Ihnen eingesehene Partitur mit dem rechtshistorischen Text kann dagegen kaum die Ausgabe von Hutschenruijter sein. Falls Sie Ihren Notenhändler gefragt haben, welcher Verlag für die Leihe zuständig sei, hätte er Ihnen korrekterweise zur Antwort geben müssen, dass es Leih‐Angebote mehrerer deutscher Verlage gibt. Wo haben Sie denn die Partitur einsehen können, welcher Verlag stand darauf, und war erkennbar, dass es sich um die Einrichtung von Hutschen‐ ruijter handelt? Frage 6.5: Muss man beim Umgang mit Orchsternoten kriminalistische Fähigkeiten entwickeln? Ich weiß das wirklich nicht mehr, außer dass ich die Partitur in der städtischen Musikbibliothek gefunden habe. Darf ich das überhaupt sagen? Vielleicht darf diese Partitur gar nicht dort stehen, jedenfalls nicht verliehen werden? Antwort: Beruhigen Sie sich bitte. Die Angebote der öffentlichen Bibliotheken sind legal. Es kann – ebenso legal – durchaus vorkommen, dass Sie in einer öffentlichen Bibliothek ganze Aufführungsmateriale zum Nulltarif entleihen können, die ansonsten beim Verlag nur für teures Geld zu haben sind. Frage 6.6: Kann das auch bei urheberrechtlich geschützten Noten vorkommen? Antwort: Wieder eine ausgezeichnete Frage, die Sie als bereits fortgeschrittenen Kenner der Materie ausweist. Ja, es kann auch bei urheberrechtlich noch geschützten Werken vorkommen, dass Sie sie 1. nicht mehr kaufen können, 2. beim Verlag mieten müssen, 3. dennoch in irgendeiner Leihbibliothek im In‐ oder Ausland sehr günstig – und wohlgemerkt: völlig legal – bekommen, sie auch ohne Einschränkungen für Aufführungen verwenden dürfen. Frage 6.7: Ich gehe also noch einmal in die Bibliothek, schaue genau nach, wer die dortige Partitur des Walkürenrittes gedruckt hat und ob es irgendeinen Anhaltspunkt für eine geschützte Bearbeitung gibt. Gibt es keine solche Anhaltspunkte, versuche ich her‐auszubekommen, ob es das Aufführungsmaterial dieses Verlages noch irgendwo günstiger gibt als beim Verlag selbst, also z.B. bei einem anderen Orchester oder in einer anderen Bibliothek, die mir die Stimmen per Fernleihe zuschickt. Wenn das klappt, kopiere ich das Material, schicke die Originalnoten zurück, und mein Orchester kann nach Herzenslust die Kopien verwenden, auch für 23 öffentliche Aufführungen, oder jedenfalls bis die Walkürenpferde Erschöpfungszustände zeigen. Die GEMA hat dann nichts zu melden, und den Verlagen kann ich ganz unverblümt sagen, dass ich mich anderweitig mit Kopien versorgt habe und auf ihre teuren Leih‐Angebote verzichten kann. Ist das wirklich in Ordnung, auch bei Noten, die hierzulande nur noch leihweise – und mit Kopierverbot belegt – vom Verlag herausgegeben werden? Antwort: Ja, das ist in Ordnung. Es wäre sogar bei geschützten Werken in Ordnung mit dem Unterschied, dass Sie dann das Kopierverbot des Urheberrechts zu beachten hätten, und dass für jede öffentliche Aufführung GEMA‐Gebühren fällig werden. Viele Werke z.B. von Jean Sibelius (1865‐
1957) wurden früher in ziemlich hohen Stückzahlen verkauft, heute gibt es sie nur noch zu leihen. Wenn Sie über gute Kontakte zu alteingesessenen Orchestern mit eigenen Notenbeständen verfügen, können Sie eine Menge Geld einsparen. Frage 6.8: Also ist das sogenannte Verbreitungsrecht gar nicht oder nicht immer geschützt? Antwort: Wir müssen Ihnen noch eine der schwierigsten Regelungen des Urhebergesetzes, nämlich die sogenannte Erschöpfung des Verbreitungsrechts, zumuten, danach noch einiges zum „Verleihen“. Mehr muss es dann aber nicht sein. Orchesternoten werden meist in relativ kleiner Auflage gedruckt. Ist die Auflage fast verkauft, verzichtet der zuständige Verlag oft auf einen Nachdruck und zieht sich mit dem Restbestand ins Verleihgeschäft zurück. Das hat eine lange Tradition. Die Folge ist, dass es viele Orchesternoten nur zu leihen – genauer: zu mieten – und nicht zu kaufen gibt. Der Haken für den Verlag ist dabei, dass die verkauften Exemplare durch jeden, der sie besitzt, ebenfalls weiter verbreitet, also verkauft oder verliehen, werden dürfen, auch wenn sie der Verlag selbst nicht mehr in den Handel liefert. Der Verlag hat durch den Verkauf also seinen Ausschließlichkeitsanspruch zur Verbreitung verloren (§ 17 Abs.2 UrhG.). Frage 6.9: Bei den Preisen der Verlage für Leihmateriale wundert es mich, dass noch kein Musikhändler oder sonstiger Unternehmer auf die Idee gekommen ist, Orchesternoten zusammenzukaufen, um sie spätestens nach dem Verkauf der Auflage in Konkurrenz zur Leihe anzubieten. Das müsste sich doch schon lohnen, wenn man nur ca. 50 % der Verlagspreise verlangt? Antwort: Mag sein, allerdings gibt es auch für den glücklichen Besitzer des Materials einer verkauften Auflage einen Haken: Die Weiterverbreitung geschützter Werke ist nur „mit Ausnahme der Vermietung“ zulässig. Es gab schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zahlreiche „Mietbüchereien“, die den Verlagen das Geschäft sauer machten, bis diese heute geltende Einschränkung eingeführt wurde. Frage 6.10: Die städtischen Bibliotheken dürfen aber „vermieten“, oder nicht? Antwort: Die städtischen Bibliotheken dürfen „verleihen“. Vermieten dürfen sie geschützte Werke ebenso wenig wie jeder andere außer dem berechtigten Verlag. Im UrhG ist genau definiert, was „Vermieten“ und was „Verleihen“ ist. Vermieten ist danach die „Erwerbszwecken dienende“ Gebrauchsüberlassung, Verleihen dagegen die „weder mittelbar noch unmittelbar Erwerbszwecken dienende“ Gebrauchsüberlassung. Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es im Vertragsrecht ebenfalls eine Art Definition der Leihe, die interessanterweise von der des UrhG etwas abweicht: „Durch den Leihvertrag wird der Verleiher einer Sache verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten.“ Die Bücher‐ oder Notenleihe ist urheberrechtlich gesehen also auch dann erlaubt, wenn sie nicht (ganz) „unentgeltlich“ ist. Die städtischen Büchereien können die übliche Jahresgebühr für den Benutzerausweis und Gebühren für die Überschreitung der Leihfrist verlangen. Sie würden sich auch dann noch im Rahmen des Urheberrechts bewegen, wenn sie für jede Ausleihe z.B. einen Euro verlangen würden, um den Zuschussbedarf ihres Betriebes etwas zu senken. Wer an der Verleihung von Büchern oder Noten dagegen „erwerbsmäßig“ verdienen will, muss sich auf nicht geschützte Werke beschränken. Frage 6.10: Wenn ich richtig verstanden habe, betreiben die Verlage doch auch das Vermieten von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Werken in großem Stil. Wäre das nicht doch ein Markt für andere gewerbliche Anbieter? Antwort: Wenn jemand vor 100 Jahren damit begonnen hätte, alle käuflichen Orchesternoten in einem oder mehreren Exemplaren zu erwerben und sie für einen späteren Vermietbetrieb nach Ablauf der Schutzrechte hinzulegen, könnten seine Erben heute in der Tat recht gute Geschäfte machen – und viele Noten wären wohl billiger zu haben. Die Verlage sind ebenfalls vor vielen Jahrzehnten ihrerseits dazu übergegangen, Orchesternoten, an denen sie die Rechte haben, gar nicht mehr zu verkaufen, sondern nur noch zu vermieten. Vor der Entwicklung leistungsfähiger und erschwinglicher Notensatz‐Programme sind neuere Noten vielfach gar nicht mehr gedruckt, sondern vom Manuskript abkopiert worden, um diese sogenannten „Verlagskopien“ zu vermieten. Insgesamt ist der Markt der Orchesternoten wohl zu eng und zu speziell ausgeprägt, um sich als unternehmerische Spielwiese für Newcomer zu eignen. Für Kenner des Marktes kann es aber sinnvoll erscheinen, im Hinblick auf das vor allem in Übersee recht reichhaltige Kaufangebot an ungeschützten Noten einen gewerblichen Verleihbetrieb in direkter Konkurrenz zu den Musikverlagen anzudenken. Mit den hier erörterten Fragen zum Urheberrecht haben derartige Spekulationen nichts zu tun, da sie sich nur auf nicht mehr geschützte, sogenannte gemeinfreie Noten beziehen können. Allerdings bedarf es oft der von Ihnen zu Recht angesprochenen kriminalistischen Fähigkeiten, um geschützte und ungeschützte Noten auseinander zu halten. Das wäre für einen gewerblich tätigen Verleiher schlicht das Existenzproblem. Frage 6.11: Was muss ich denn noch zum Urheberrecht wissen? Antwort: Vieles haben wir in dieser Beitragsreihe überhaupt nicht angesprochen. Beispiele: • Vervielfältigung durch Ton‐ oder Filmaufzeichnungen • Vervielfältigen durch Abschreiben von Noten • Notenverkauf gegen Revers • Schutz des ausübenden Künstlers • Rechtsfolgen bei Verletzung von Urheberrechten • Urheberrechtsregelungen in anderen Ländern • Übernationales Urheberrecht • Gewerblicher Rechtsschutz • andere GEMA‐Tarife als den für E‐Musik • Urheberrechtsfragen aus der Sicht der Komponisten Auch haben wir die meisten angesprochenen Themen ziemlich kursorisch behandelt und zahlreiche Details ausgelassen. Wir wollten Grundwissen und Grundverständnis vermitteln. Glauben Sie bitte nicht, dass Sie nur noch in diesen sechs Beiträgen nachschlagen müssen, wenn Sie irgendeine Zweifelsfrage haben. Frage 6.12: Was soll ich bei Zweifelsfragen stattdessen tun? Antwort: Wenden Sie sich an den Dachverband, dem Ihr Orchester angehört. Frage 6.13: Dort ist mir bisher immer gesagt worden, man dürfe keine konkrete Rechtsberatung betreiben, das könne nur ein Rechtsanwalt. Sollen wir uns also einen anderen Dachverband suchen? Antwort: Versuchen Sie’s lieber noch einmal mit Ihrem Verband. Vor kurzem (2008) wurde das Rechtsberatungsgesetz geändert. Dadurch ist die Befugnis der Verbände, ihre Mitglieder rechtlich zu beraten, wesentlich erweitert worden. Joachim Conradis Reihe zum „Urheberrecht für Liebhaberorchester in Fragen und Antworten“ endet hier – vorläufig. Nun ist es an Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Ihre eigenen, immer noch offenen oder sich gerade jetzt erst ergebenden Fragen und Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zu äußern. Die Redaktion freut sich über jede Zuschrift, auf die zu antworten dann ggf. Joachim Conradi wieder Gelegenheit haben wird. [Anm. der Red.] 

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