integrierte versorgung in der gemeindepsychiatrie

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integrierte versorgung in der gemeindepsychiatrie
INTEGRIERTE VERSORGUNG IN DER GEMEINDEPSYCHIATRIE:
ERWARTUNG TRIFFT REALITÄT
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines
Modells ambulanter Versorgung
INTEGRATED CARE IN THE COMMUNITY MENTAL HEALTH
SYSTEM: EXPECTATION MEETS REALITY
An empirical analysis of the existing model for outpatient
services
Hochschule München
Fakultät für Sozialwissenschaften
Eingereicht als Masterarbeit für den Studiengang Master Mental Health im August 2011
Verfasserin: Stephanie Lerf
Erstgutachter: Prof. Dr. Manfred Cramer
Zweitgutachter: Dr. Wolfgang Kraus
I Theoretischer Teil4
1 Einführung4
1.1 Anliegen der Arbeit5
1.2 Aufbau der Arbeit6
2 Theoretischer Hintergrund9
2.1 Das Gesundheitssystem in Deutschland9
2.1.1 Gesundheitsökonomische Aspekte im Bereich Mental Health10
2.1.2 Zahlen im Bereich psychischer Störungen11
2.1.3 Zur Verteilung der Mittel in der psychiatrischen Versorgung14
2.1.4 Die Fragmentierung der psychiatrischen Versorgung und der Bedarf an Vernetzung15
2.2 Aktuelle Aspekte zur psychiatrischen Versorgung18
2.2.1 Die Psychiatriereform und der aktuelle Stand18
2.2.2 Seelische Krise und psychiatrischer Notfall – ein Überblick20
2.2.3 Die gestärkte Patientensouveränität22
2.2.4 Die Bedeutung des Sozialen Netzes und dessen Einbeziehung in die Versorgung28
2.3 Ausgewählte Modelle der ambulanten Versorgung31
2.3.1 Case Management31
2.3.2 Das Assertive Community Treatment – Ursprung und Konzept 33
2.3.3 Das Home Treatment – Ursprung und Konzept 37
2.3.4 Need Adapted Treatment – konzeptionelle Grundlagen der bedürfnisorientierten Behandlung39
2.3.5 Zusammenfassende Betrachtung der einzelnen Konzepte40
2.4 Managed Care und Integrierte Versorgung42
2.4.1 Die Instrumente des Managed Care45
2.4.2 Integrierte Versorgung48
2.4.3 Der Bedarf an Vernetzung 50
2.4.4 Interdisziplinäre Schnittstellen – die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache und Haltung51
2.4.5 Die Erwartungen an eine Integrierte Versorgung52
II Empirischer Teil 56
3 Die Umsetzung einer Integrierten Versorgung in der
Gemeindepsychiatrie56
3.1 Das Untersuchungsfeld57
3.2 Der Untersuchungsgegenstand – Das NWpG München
(Vincentro)58
3.3 Methoden der Erhebung 59
3.3.1 Durchführung59
3.3.2 Stichprobe59
3.3.3 Instrumente der Erhebung60
3.4 Untersuchungsziele und Fragestellung61
3.5 Zielgruppe der Versorgung63
4 Ergebnisse der Untersuchung65
4.1 Die Bausteine der Versorgung65
4.1.1 Die Koordinationsstelle und die 24-stündige Erreichbarkeit65
4.1.2 Die gemeinsame Krisenvereinbarung zur Förderung von Empowerment67
4.1.3 Das Casemanagement im NWpG69
4.1.4 Die konzeptionelle Umsetzung der Soziotherapie70
4.1.5 Kooperation mit anderen Leistungserbringern78
4.1.6 Die psychiatrische Pflege als weiterer Baustein80
4.1.7 Die Rückzugsräume und deren konzeptionelle Grundlage81
4.1.8 Gruppen und Psychologische Beratung/Kurzzeittherapie84
4.2 Qualitätssicherung und Weiterentwicklung innerhalb des NWpG85
4.2.1 Qualitätssicherung durch interne und externe Verfahren88
4.2.2 Supervision, Teambesprechungen und Fallmonitoring89
4.2.3 Qualitätszirkel und Fortbildungen89
4.2.4 Elektronische Vernetzung als Basis91
4.3 Die Inanspruchnahme des NWpG und dessen Leistungen92
4.3.1 Einschreibeverhalten und Nutzerdaten der teilnehmenden Versicherten92
4.3.2 Inanspruchnahme der Rückzugsräume 96
4.3.3 Inanspruchnahme medizinisch-fachärztlicher Leistungen99
4.3.4 Inanspruchnahme weiterer Leistungen: Psychologische Beratung und Ergotherapie101
4.3.5 Krankenhausaufenthalte102
4.3.6 Motivation von Vertragskündigungen104
4.3.7 Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Krisenvereinbarung sowie eines Behandlungsplans106
4.4 Schnittstellen- und Netzwerkarbeit – die Wirklichkeit111
4.4.1 Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten112
4.4.2 Schnittstelle zum stationären Bereich113
4.4.3 Zusammenarbeit mit niederglassenen Psychotherapeuten114
4.4.4 Netzwerkarbeit und Kooperation mit Ergotherapie und anderen Leistungserbringern115
4.4.5 Vernetzung mit Diensten und Einrichtungen des SGB XII116
4.4.6 Zusammenarbeit mit gesetzlichen Betreuern, Bezirkssozialarbeit und anderen Einrichtungen119
4.4.7 Einbindung der Angehörigen und des weiteren sozialen Netzes 119
5 Fazit123
5.1 Vertragliche Rahmenbedingungen und Verortung in einer Managed
Care -Struktur123
5.2 Nutzerperspektive und Bedürfnisorientierung125
5.3 Schaffung von Transparenz in der Versorgung128
5.4 Verbesserung von Qualität sowie Sicherstellung von Kontinuität der
Leistungen130
6 Zusammenfassende Betrachtung133
7. Literatur135
Glossar149
Darstellungverzeichnis150
Anhang151
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
I Theoretischer Teil
1 Einführung
Aktuelle psychiatrische Versorgung ist weder auf politischer noch auf praktischer
Ebene ohne die Diskussion zum Pro und Contra einer Integrierten Versorgung
vorstellbar. Sie wird durch die Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem
und einem real bestehenden Druck Kosten senken zu wollen, sicherlich genährt.
Zudem spielen Aspekte der Patientenautonomie und -mitbestimmung eine maßgebliche Rolle, sollen Projekte der Integrierten Versorgung nicht nur im Sinne
der Kostenreduktion ansetzen, sondern ebenso zur Verbesserung der Qualität
der Versorgung sowie zu einer steigenden Transparenz der Behandlungsabläufe beitragen. Den zumeist gesundheits- und sozialpolitisch geführten
Diskussionen zur Integrierten Versorgung, die sich häufig mit Ökonomisierungstendenzen auseinandersetzen, können evidenzbasierte Studien entgegengestellt werden, die auch die konzeptuell-qualitative Perspektive einbeziehen.
Integrierte Versorgungsansätze aus dem skandinavischen, englischen oder angloamerikanischen Raum, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren,
deren Autonomie verstärkt fördern und deren soziale sowie professionelle Netzwerke einbeziehen, zeichnen eine gute Prognose hinsichtlich folgender Faktoren
ab. So lassen sich unter anderem verringerte stationäre (Wieder-)Aufnahmen
nachweisen, auch konnten Behandlungsabbrüche reduziert und eine erhöhte
Behandlungszufriedenheit verzeichnet werden (vgl. Berhe et al. 2005, 826f).
Nicht nur im Bereich der psychiatrischen Versorgung entstand in den letzten Jahren eine aktive Patientenbewegung, die sich für die Belange und Rechte der
Patienten sowie auch deren Aufklärung einsetzt. Jedoch stellt der psychiatrische
Bereich eine Besonderheit dar, werden gerade hier Fragen bezüglich Autonomie,
Eigensinn und Selbstbestimmung unter dem Aspekt drohender Zwangsmaßnahmen intensiv diskutiert. Eine bedürfnisorientierte Behandlung innerhalb einer
Integrierten Versorgung, die zugleich das soziale Netz einbezieht, birgt Chancen,
die Patientensouveränität hinsichtlich einer Stärkung von Empowerment und
Recovery zu befördern. Sie kann nach Dörner (vgl. 2010, 1ff) weiter dazu die-
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
nen, sektorale Gräben zu überwinden, die einerseits zwischen medizinischer und
sozialer Professionalität, andererseits zwischen stationärem und ambulantem
Bereich bestehen.
1.1 Anliegen der Arbeit
Modelle zur Integrierten Versorgung nach §140a ff SGB V sollen unter der
Prämisse einer optimierten medizinischen Versorgung und Pflege sowohl an
den Schnittstellen ansetzen, wie auch fächerübergreifend tätig werden (Deutsche Gesellschaft Integrierte Versorgung 2009, 4). Hierfür wird künftig eine projektübergreifende Zusammenarbeit innovativer Versorgungsformen vonnöten
werden. Jedoch gilt es bei diesen Versorgungsformen, die gegebenenfalls Teil
der sogenannten Regelversorgung werden könnten, in erster Linie, die Patienten als Partner für ebendiese Versorgung zu gewinnen (vgl. ebd., 5f). Gemeindeorientierte, integrierte Versorgungsansätze sollen eine Alternative zu
stationären Aufenthalten darstellen oder aber eine Verkürzung dieser ermöglichen und bergen somit das Potential, diesen Forderungen gerecht zu
werden (vgl. Burns/ Priebe 2004, 190; WHO 2005, 2ff; WHO 2008, 8). Sie
orientieren sich an den Bedürfnissen der Betroffenen, um deren Autonomie verstärkt zu fördern und deren soziale sowie professionelle Netzwerke intensiv einzubeziehen (Aderhold/Greve 2010). Vor dem erläuterten Hintergrund soll innerhalb der vorliegenden Masterarbeit untersucht werden, wie sich vergleichbare
Versorgungsansätze für Menschen mit seelischen Störungen in Deutschland
innerhalb einer Integrierten Versorgung nach §140a ff SGB V umsetzen lassen.
Folgende Prozesse sollen dabei sowohl im theoretischen wie im empirischen Teil
Gegenstand näherer Betrachtung werden:
„„ Erstellung und Implementierung von Leitlinien und Versorgungspfaden
„„ Prozesse der partizipativen Entscheidungsfindung
„„ Analyse von Schnittstellen
(vgl. Amelung/Wagner 2010, 184)
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
Die empirische Betrachtung des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG)
München und dessen Evaluation ist umso mehr von Belang, als es in Deutschland bislang an Evaluationen bzw. einer Versorgungsforschung ambulanter vor
allem aber psychosozialer Versorgung mangelt.
Mit Bezug auf die Fragestellung soll das seit Januar 2010 bestehende Projekt
näher untersucht werden. Ausgehend von einem einjährigen Projektzeitraum soll
auf die vorhandenen Herausforderungen und Schwierigkeiten eingegangen werden, die sich bei der Implementierung einer gemeindeorientierten Integrierten
Versorgung ergeben. Dabei spielen Aspekte der Fragmentierung des psychiatrischen Gesundheitswesen zum einen zwischen den einzelnen Sozialgesetzbüchern, zum anderen zwischen den Akteuren eine nicht unerhebliche Rolle und beeinflussen die tägliche Arbeit. Sowohl die Fragestellung als auch die
weiter erwähnten Aspekte sollen mit praktischen Erfahrungen und mit Veröffentlichungen zum Thema in Zusammenhang gebracht werden. Mittels Auswertungen
aus der einjährigen Projektdauer des NWpG München sowie Fallbeschreibungen soll dies zudem plastisch erläutert werden. Im Sinne einer Bestandsaufnahme sollen bestehende Erfahrungswerte aus der praktischen Tätigkeit widergespiegelt und Überlegungen angestellt werden, wie den hieraus resultierenden
Herausforderungen künftig zu begegnen sein könnte.
1.2 Aufbau der Arbeit
Im ersten Teil der Arbeit sollen zunächst aktuelle Entwicklungen in der
psychiatrischen Versorgung dargestellt werden, die sich insbesondere mit
ökonomischen Aspekten sowie der historisch bedingten Fragmentierung auseinandersetzen.
Zudem soll eine kurze Begriffsklärung der seelischen Krise und damit dem
subjektiven Krisenverständnis, welches der Tätigkeit des NWpG in München zugrunde liegt, erläutert werden (Kapitel 2.1). Dies bildet im zweiten Teil der Arbeit,
der empirischen Darstellung des NWpG, die konzeptuelle Grundlage. Weiter
sollen die derzeitigen Entwicklungen im Gesundheitswesen und Aspekte der
psychiatrischen Versorgung im Sinne von Mental Health und Patienten-
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
zentrierung und damit verbundener Konzepte, wie etwa das Recovery-Modell,
beleuchtet werden (Kapitel 2.2).
Weiter sollen Ansätze der psychiatrischen Versorgung aus anderen Ländern
beschrieben werden, die dort bereits gute Ergebnisse erzielen. Auch wenn das
deutsche Gesundheits- und Sozialsystem derzeit einen wesentlichen Einfluss
auf die tatsächliche Versorgung nimmt, sollen die Veränderungen der letzten Jahrzehnte und hierfür zugrunde liegende politische Entwicklungen aufgrund ihrer Komplex-ität weitgehend unberücksichtigt bleiben (Kapitel 2.3).
Anschließend werden die Begriffe Managed Care und Integrierte Versorgung
näher untersucht und kritische Aspekte wie auch Erwartungen, insbesondere an
den Schnittstellen der Versorgung, aufgezeigt (Kapitel 2.4).
Im zweiten Teil der Arbeit werden im Rahmen der empirischen Darstellung
des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG) werden die Forschungsmethoden wie die Zielsetzung näher erläutert (Kapitel 3). Im Folgenden werden die einzelnen Bausteine der Integrierten Versorgung im NWpG anhand
theoretischer Grundlagen deskriptiv dargestellt (Kapitel 4.1; 4.2). Hierauf aufbauend werden in einem weiteren Teil die im Rahmen der praktischen Tätigkeit
erhobenen Daten zu den Nutzern und zur Auslastung des NWpG beschrieben (Kapitel 4.3). Anschließend erfolgt eine Betrachtung hinsichtlich der Tätigkeit an den
Schnittstellen der Versorgung (Kapitel 4.4). In einem Fazit sollen die Erfahrungswerte mit den im Rahmen der Arbeit gewonnenen Erkenntnissen in Zusammenhang gesetzt werden (Kapitel 5). Dies geschieht unter der Einbeziehung der
wesentlichen Ziele einer Integrierten Versorgung, der Nutzerperspektive, der
Schnittstellenüberwindung, der Transparenz in der Leistungsgestaltung sowie
der Verbesserung von Qualität und der Sicherstellung von Leistungskontinuität.
In einer zusammenfassenden Betrachtung sollen Überlegungen für die weitere
Zukunft einer Integrierten Versorgung angestellt werden (Kapitel 6).
Obwohl sich die Thematik der Arbeit insbesondere auf Leistungen im Rahmen
der Krankenversicherung und damit des SGB V bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „psychisch krank“ sowie der Patientenbegriff in ihrem Kontext gedacht werden müssen, da erst eine ärztlich gestellte Diagnose den Zugang zu einer Integrierten Versorgung ermöglicht. Beide Begriffe finden daher
Anwendung, wenn Aspekte aus ebendieser Ebene beschrieben werden. Im
Rahmen der empirischen Darstellung wird synonym für Patienten, der Begriff
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
Klienten verwendet, um die bisher noch klare Unterscheidung zwischen
ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal und den hiermit zugeschriebenen
Kompetenzen deutlich zu machen. Entsprechend des Vertrages zur Integrierten
Versorgung werden die Klienten auch eingeschriebene Versicherte bezeichnet.
Mitunter wird der aus dem Englischen stammende Begriff der Nutzer (user) verwendet, der vor allem auf die Nutzerbeteiligung Bezug nimmt. Zudem findet die
Bezeichnung der (Psychiatrieerfahrenen-/)Betroffenen Anwendung, die in erster Linie als Selbstbezeichnung von Menschen mit psychiatrischen Erfahrungen
zu verstehen ist und deren Leid wie auch deren Erfahrungen mit den Institutionen impliziert. Der unter anderem in den USA geprägte Begriff der Konsumenten (consumer) soll nicht verwendet werden, da dieser eine Wahlmöglichkeit
suggeriert, die vielen Menschen insbesondere in Krisensituationen nicht zur Verfügung stand bzw. steht (vgl. Becker et al. 2008: 113ff).
Innerhalb der vorliegenden Arbeit wird zudem zur besseren Lesbarkeit die
männliche Form verwendet, jedoch ist damit keineswegs die Diskriminierung
weiblicher Personen beabsichtigt.
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Theoretischer Teil
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Das Gesundheitssystem in Deutschland
Das deutsche Gesundheitswesen zählt im weltweiten Vergleich nach wie vor
zu den leistungsfähigsten, was unter anderem auf das Solidarprinzip zurück
zuführen ist, das allen Bürgern eine nahezu gleiche Versorgung ermöglicht
(vgl. Amelung et al. 2009, 9). Ohne detailliert auf historische Entwicklungen im
Gesundheits- und Sozialsystem eingehen zu wollen, sollen die derzeit
wichtigsten Herausforderungen an diese kurz genannt werden:
„„ die veränderte demografische Situation (...) und die damit einhergehende Bedeutung chronischer Krankheiten1:
„„ (...) eine gesundheitspolitische Debatte, in der Forderungen nach „Patientenorientierung“, „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“ einhergehen (...)
„„ schließlich das öffentliche Interesse der Trägerorganisationen der Sozialversicherungen und der öffentlichen Hand an „Kostendämpfung“
(Amelung et al. 2009, 52).
Um diesen Entwicklungen zu begegnen, werden künftig Reformprozesse vonnöten sein, um die über viele Jahrzehnte aufrechterhaltene Trennung zwischen
ambulanter und stationärer Versorgung aufzuheben. Eine Verbesserung sollen
dabei vernetzende Modelle erzielen, die zum einen auf Disease-ManagementProgrammen und zum anderen auf Integrationsverträgen nach §140a ff SGB V
basieren.
1
Die aktuellen Zahlen subsumieren 46% aller Erkrankungen zu den chronisch verlaufenden, mit einem
prognostizierten Anstieg bis 2020 auf 60% (Amelung et al. 2009: 9).
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
2.1.1 Gesundheitsökonomische Aspekte im Bereich Mental Health
Ökonomisierung bedeutet die Einbeziehung von marktwirtschaftlich ökonomischen Denk- und Entscheidungsmuster, in welcher Dienstleistungen im Bereich
Gesundheit und Soziales vermehrt unter Effizienzkriterien gemessen werden
und oftmals der makroökonomischen Konjunkturlage des jeweiligen Landes
parallel gesetzt werden können (vgl. Ewers 2005, 32f). Die Gründe für die
wachsende Ökonomisierungstendenz innerhalb der psychiatrischen Versorgung
sind analog denen im somatischen Bereich anzusiedeln. So können die durch den
demografischen Wandel bedingten sinkenden Einnahmen innerhalb der gesetz
lichen Krankenversicherungen genannt werden, dem diese in der Regel mit einer stetigen Anhebung der Beiträge begegnen. Neben den demografischen Ent
wicklungen liegen weitere Faktoren vor, auf die das Sozial- und Gesundheits
wesen vermehrt reagieren muss. So spielt die Zunahme von chronischen
Erkrankungen eine wesentliche Rolle, die sich auch im psychiatrischen Bereich
feststellen lässt (vgl. Amelung et al. 2009, 4; Ewers/Schaeffer 2005, 18).
Umso wichtiger wird es, Fehlallokationen im Gesundheitsbereich auszumachen
und effiziente Therapiekonzepte zu ermitteln. Mental Health2 oder aber seelische
Störungen in Verbindung mit ökonomischen Aspekten in Zusammenhang zu
setzen, wird häufig kritisch diskutiert, da impliziert wird, das Wohl der erkrankten
Menschen stünde nicht an erster Stelle. Doch neben einer qualitativ guten Arbeit in
der Versorgung, lassen sich aktuelle wirtschaftliche Abwägungen und damit Fragen von Evidenz, Effektivität und Effizienz nicht ausblenden. Gerade für die gesetzliche Krankenversicherung spielt daher die Frage nach ökonomischen Gesichtspunkten eine wachsende Rolle. Derlei Überlegungen rücken zusätzlich bedingt
durch wachsende stationäre Zuwachsraten, im Falle der Techniker Krankenkasse in den Jahren zwischen 2005 bis 2008 um 20 Prozent, vermehrt in den
Fokus der Aufmerksamkeit (Ruprecht 2010, 85). Auch wenn die Verweildauern
kürzer wurden, sind die Kosten dabei keineswegs gesunken, da es zu häufigeren
Wiederaufnahmen kam. Daher stellt sich für Ruprecht (2010, 85) vorrangig die
Frage nach der Wirksamkeit des aktuell bestehenden ambulanten Versorgungs
angebotes. Daran anknüpfend besteht Unsicherheit, ob dieses den aus der
2
Mental Health dient in der Arbeit als Synonym für seelische Störungen bzw. seelischer Gesundheit. Der Begriff
Mental Health beinhaltet dabei in der englischsprachigen Literatur meist mehr Aspekte, wie etwa Public Mental
Health oder aber Inklusion u.a., während unter dem Begriff der seelischen bzw. psychischen Störungen, oftmals nur psychopathologische und behandlerische Aspekte differenziert werden (vgl. WHO 2010, Fact Sheet
Nr. 220).
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Klinik entlassenen Patienten eine ausreichende Unterstützung bietet. Im
Zusammenhang mit der zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen sei
an dieser Stelle zu erwähnen, dass Deutschland verglichen mit anderen westlichen
Industrieländern über hohe Produktivitätsreserven verfügt, jedoch bei einem
hohen Ressourceneinsatz eher durchschnittliche Ergebnisse erreicht. Dies
wiederum wird unter anderem auf eine mangelnde Koordination der Leistungen
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zurückgeführt (vgl. Berger
2009, 286).
2.1.2 Zahlen im Bereich psychischer Störungen
Im Rahmen des Bundesgesundheitssurveys wurden 1998 erstmalig psychische
Erkrankungen in die Erhebungen inkludiert und ließen so weitere Studien zu3.
Dabei galt es, eine diagnosespezifische und umfassende Gesundheitsbericht
erstattung zu erheben4. Hieraus wurden Zahlen zur Lebenszeit-Prävalenz
(42,6%), zur 12-Monats-Prävalenz (31,1%) und zur Ein-Monats-Prävalenz
(19,8%) erhoben (Jacobi/Klose 2004, 741)5. Weiter stellen Wittchen und Jacobi (2004, 361ff) 27 europäische Studien zum Thema psychische Erkrankung
zusammen und kommen dabei zu dem Schluss, dass 27 Prozent der 18
bis 65-jährigen europäischen Bürger unter mindestens einer psychischen
Erkrankung leiden oder aber in den letzten zwölf Monaten gelitten haben. Die
häufigsten Erkrankungen stammen aus dem Formenkreis der Angststörungen,
gefolgt von affektiven und somatoformen Störungen, Suchterkrankungen und
psychotischen Erkrankungen. Mit einer steigenden Lebenserwartung besteht
gemessen an der Lebenszeitprävalenz ein wachsendes Risiko, im Alter an einer psychischen Störung zu leiden. Auch im Hinblick auf die steigende Zahl der
Menschen, die an chronischen somatischen Störungsbildern erkrankt sind,
wächst das Risiko an einer psychischen Störung zu erkranken (vgl. ebd.). Während die Tage des somatisch krankheitsbedingten Arbeitsausfalls über die letzten
Jahre sinken, steigt die Zahl dieser aufgrund psychischer Erkrankungen weiter an
(vgl. Jacobi/Harfst 2007, 6; Lademann et al. 2006, 124). Je nach Krankenkasse
3
Bei allen in der Arbeit verwendeten Störungsbildern liegt das ICD-10 WHO zugrunde: http://www.dimdi.de/
static/de/klassi/diagnosen/icd10/
4
Im Auftrag des Bundes und des Bundesministeriums für Gesundheit wurden unter anderem durch das RobertKoch-Institut Daten zu Prävalenz, Risiken, Korrelate, Komorbidität und Einschränkungen/Behinderung erhoben
(Wittchen/ Jacobi 2005, 357ff).
5
Bei den meisten Prävalenzraten liegt der Frauenanteil höher; bei Suchterkrankungen liegt der Männeranteil
höher. (vgl. ebd.)
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nehmen affektive Störungen bezogen auf die Krankheitstage den dritten Platz
der Diagnosen ein (vgl. Lademann et al. 2006, 125f). Bei den Arbeitsunfähigkeits
tagen stehen die affektiven Störungen auf dem fünften Platz. Über den Verlauf von
2000 bis 2004 verzeichneten die Kassen diesbezüglich einen relativen Anstieg
von 20 Prozent. Besondere Gewichtung nehmen hier die depressiven Episoden
sowie die rezidivierenden depressiven Störungen ein. Auch nehmen Diagnosen
aus dem angstspezifischen Formenkreis, welche wiederum als sogenannte „high
utilizer“ häufig von Allgemein- oder Hausärzten gestellt werden und oftmals einen
großen Teil der ambulanten Gesundheitskosten verursachen, einen der vorderen
Plätze ein (vgl. ebd.). Weltweit stellen die depressiven Störungen die höchste
Zahl bezüglich der „years of healthy life lost to disability“ (YLD) und liegen an
dritter Stelle aller Erkrankungen bei den „disability-adjusted life years“(DALY)
(vgl. Vieth 2009, 1f).
Betrachtet man die Zahlen zur Prävalenz depressiver Störungen so wird deutlich, welchen Stellenwert sie im Rahmen der Gesundheits- und Sozialleistungen einnehmen. Sie beeinflussen nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen,
sondern auch deren körperliche, geistige und soziale Leistungsfähigkeit in beträchtlichem Maße und gehen zudem mit einem erhöhten Suizidrisiko einher.
Auch aufgrund ihres mitunter rezidivierenden oder chronischen Verlaufs führt die
depressive Störung durch eine intensive Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu hohen direkten Kosten und aufgrund einer oftmals sinkenden Arbeits
produktivität und dem somit verringerten wirtschaftlichen Outcome auch zu
wachsenden indirekten Kosten. Daneben steigt auch die Zahl vorzeitiger
Verentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder aber voller Erwerbsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen liegen mit Abstand den meisten Frühverentungen ursächlich zugrunde (vgl. Amelung/Wagner 2010, 171f; Deutscher
Bundestag 2010, 1).
Die Faktoren oder Ursachen, die psychische Störungen bedingen können,
werden ebenso kontrovers diskutiert wie die Frage, ob sie real zunehmen oder
aber aufgrund verbesserter Diagnostik rascher erkannt werden (vgl. Jacobi/
Harfst 2007, 6). Eine weitere Erklärung impliziert, dass sich die Betroffenen
eher an professionelle Helfer wenden, weil sich über die letzten Jahre deren
Öffentlichkeitsarbeit verbessert hat und sich damit die Symptome auch von den
Betroffenen besser zuordnen lassen (vgl. Deutscher Bundestag 2010, 1; Lademann et al. 2006, 126f) . Über die letzten Jahrzehnte konnte hierzu jedoch keine
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klare Antwort gegeben werden, da es an aussagefähigen Studien mangelt (vgl.
Jacobi/Harfst 2007, 6).
Unter anderem kann der Familienstand mit depressiven Störungen in
Zusammenhang gebracht werden. So weisen Alleinstehende im Vergleich zu
verheirateten Personen eine höhere Prävalenz für psychische Erkrankungen
auf. Zudem beeinflussen die Erkrankungsdauer oder eine Ablehnung fachspezifischer Dienste den weiteren Verlauf6. Das heißt, eine Therapie oder
Behandlung wird trotz Zuweisung nicht aufgenommen oder aber durch eine
mangelnde Versorgungsdichte und lange Wartezeiten zusätzlich konterkariert
(vgl. Wittchen/Jacobi et al. 2001, 365). Als weitere Einflussfaktoren werden das
Zusammenbrechen familiärer Strukturen und daraus resultierende Folgen sowie die wachsende Unsicherheit aufgrund einer steigenden Arbeitslosigkeit beschrieben (vgl. ebd.; Gesundheitsziele.de 2006, 2).
Angesichts der erläuterten Entwicklungen nimmt das Thema Mental Health für
alle europäischen Länder und für deren Gesellschaftsschichten eine große Bedeutung ein (WHO 2005, Ministerielle WHO Konferenz, 1ff)7. Die hieraus resultierenden ökonomischen und sozialen Schwierigkeiten bringen sowohl für das
Individuum als auch für die gesamte Gesellschaft erhöhte Anforderungen mit
sich. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wird für die Implementierung
multidisziplinärer gemeindenaher Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen
plädiert (vgl. ebd., 24ff).
6
Zwischen Diagnose und erster Intervention vergehen im Schnitt 7,4 Jahre (Wittchen/Jacobi et al. 2001: 365).
7
In diesem Zusammenhang wird häufig auf die „high and growing burden of mental disorders“ (= hohe und
wachsende Belastung durch psychische Störungen) hingewiesen (WHO 2005, 1ff).
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2.1.3 Zur Verteilung der Mittel in der psychiatrischen Versorgung
Obwohl innerhalb Deutschlands die Bettenanzahl in den Krankenhäusern abgebaut wurde und gemeindeorientierte Dienste weitgehend etabliert wurden, fließt
der größte Teil der Kosten derzeit weiter in den stationären Bereich (Vieth 2009;
3).
7,0%
Verwaltung
4,0%
Privat
5,2%
Ambulante Pflege
29,1%
Stationär Behandlung
7,5%
Reha
3,2%
Sonstige
9,7%
Ambulante Medikamente
22,6%
Stationäre Pflege
8,1%
Arztpraxen
3,6%
Sonstige Praxen
Verteilung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland, 2004
(Dar. 1, nach Kilian R. 2007, 17)
Vieth (2009) erklärt weiter, dass die Qualität der gemeindeorientierten
Dienste oftmals Unterschiede aufweist (vgl. ebd.). Dies wiederum stellt für
psychisch erkrankte Menschen die Gefahr dar, nach einer Krankenhausentlassung
nicht die entsprechende oder notwendige Hilfe zu erfahren, die zur Vermeidung
weiterer stationärer Aufnahmen nötig wäre (Brederode 2010, 43). Dabei ist die
aktuelle Versorgung nicht unmittelbar am Bedarf orientiert, sondern ebenso wie
das gesamte Gesundheitswesen historisch gewachsen (Becker et al. 2008,
73). Politische Rahmenbedingungen, das Subsidiaritätsprinzip, wie auch die
Planungshoheit der Länder können unter anderem hierfür verantwortlich gemacht werden. Angestoßen durch die Psychiatrieenquête von 1975 und einem
hieraus resultierendem Paradigmenwechsel kam es europaweit zu einer EntSeiten 14
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hospitalisierungsbewegung (vgl. Kap 2.2.1). Becker und Kollegen (2008, 45f)
weisen in diesem Zusammenhang auf Studien hin, die sich mit einer „Transinstitutionalisierung“ beschäftigen und aufzeigen, dass in den letzten Jahrzehnten zwar viele Langzeitbetten abgebaut wurden, diese jedoch teils in kostengünstigere Wohnformen verlegt wurden und nun unter einem anderen Leistungsträger angesiedelt sind oder mittels einer „Reinstitutionalisierung“ in forensische
Betten verändert wurden. Zudem hat die Bettenanzahl stationärer psychosomatischer Einrichtungen stark zugenommen, während im Akutbereich keine Reduktion der Betten stattfand8. Sie beschreiben außerdem eine steigende
Kostentendenz, da sich die psychiatrischen Krankenhäuser in ihrer Qualität verbessert haben und die Kosten im SGB-XII Bereich zudem angestiegen sind.
2.1.4 Die Fragmentierung der psychiatrischen Versorgung und der Bedarf an
Vernetzung
Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem gilt als komplex und zählt zu den
teuersten weltweit, gemessen an Parametern wie generelle und krankheitsfreie Lebenserwartung. Dabei sind die Ansprüche innerhalb der Versorgung im
Gesundheits- und Sozialwesen gestiegen oder haben sich im Laufe der
letzten Jahrzehnte differenziert. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen
oder bei Menschen mit multimorbider Problematik werden dabei Hilfen benötigt, die einerseits dauerhafte Unterstützung gewährleisten und andererseits
eine Versorgung ermöglichen, die mittels koordinierter und vor allem flexibler
Leistungen auf einen sich ändernden Hilfebedarf rasch reagieren kann (vgl.
Ewers 2005, 4f). Im Rahmen der zuvor beschriebenen Deinstitutionalisierungsprozesse fand jedoch nicht nur eine Verlagerung in den durch das SGB-XII finanzierten Bereich der Eingliederungshilfe statt, sondern auch der Auf- und Ausbau
von Versorgungsstrukturen durch niedergelassene Nervenärzte, psychiatrische
Institutsambulanzen, wie auch der Sozialpsychiatrischen Dienste (vgl. Becker et
al. 2008, 45ff).
Diese Deinstitutionalisierung führte zu einer „sozialpsychiatrischen Parallelwelt“
(ebd., 822). Die hierin entstandene Fragmentierung der Leistungen und die damit
verbundene Verteilung der Mittel, erweckt den Anschein einer von Unübersicht8
Becker und Kollegen (2008, 44ff) weisen auf die Möglichkeit hin, dass die Zunahme psychosomatischer Betten
mit einer Verlagerung gemeindenaher psychiatrischer Betten korreliert. Aus der Praxis des in dieser Arbeit
vorgestellten Modells der Integrierten Versorgung ist festzustellen, dass viele der eingeschriebenen Patienten
(auch) in einer psychosomatischen Klinik behandelt wurden.
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
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lichkeit geprägten Versorgung, in welcher kein Akteur die Verantwortung der Behandlung und der Rehabilitation übernimmt. Dies wiederum kann ursächlich für
eine bis dato nicht ausreichend gelingen wollende Integration und Teilhabe von
Menschen mit seelischen Behinderungen betrachtet werden (vgl. Vieth 2009,
2ff). Die WHO reagierte auf diese Entwicklungen im Gesundheitsreport von
2001 und fordert eine verstärkte Orientierung weg von psychiatrischen Krankenhäusern einerseits und Langzeiteinrichtungen der Eingliederungs-/Behindertenhilfe andererseits, hin zu einer gemeindeorientierten Versorgung. Sie begründete
dies nicht nur anhand einer stringenteren Einhaltung der Menschenrechte sowie
der Einbeziehung ökonomischer Aspekte, sondern auch mit einer Verbesserung
der Lebensqualität (vgl. Mc Daid/Thornicroft 2005, 1).
In den Entwicklungen, die häufig in Systemineffizienzen wie Über-, Unter-,
und Fehlversorgung münden, bleiben auch ökonomische Aspekte nicht unberücksichtigt. Der steigende Kostendruck führt auch zu der Forderung, die
Behandlung mittels gezielter Steuerung zu optimieren, Hospitalisierungen zu
vermeiden sowie ambulante Versorgungsformen weiter auszubauen. Ewers und
Schaeffer (2005, 8ff) weisen in diesem Zusammenhang auf eine Desintegration
und Diskontinuität im Sozial- und Gesundheitswesen hin, welche ihre Ausgangslage in besonderem Maße in der Trennung zwischen „ambulant“ und „stationär“
finden. Der mangelnde Informationsaustausch zwischen beiden Settings und
der häufige Verlust von Informationen und Ressourcen im Austausch zwischen
den Systemen führt nicht nur zu höheren Kosten sondern auch zu einem erhöhten Risiko, Rückfälle zu provozieren. Eine ähnliche Problematik vollzieht sich
auch innerhalb des ambulanten Sektors, da hier zahllose Versorgungsangebote
mit unterschiedlichen Zuständigkeiten bestehen, die für die Betroffenen wenig
transparent und nachvollziehbar erscheinen. Aufgrund einer hieraus entstehenden erhöhten Zugangsbarriere wächst die Wahrscheinlichkeit der zuvor
erwähnten Desintegration und Diskontinuität. Als weiterer Risikofaktor wächst
die Gefahr einer Fehlversorgung gerade bei einem Personenkreis, der einen
komplexen Versorgungsbedarf hat und Zugang zu unterschiedlichen Leistungen
und deren Anbietern finden müsste, um eine adäquate Versorgung sichergestellt
zu wissen (vgl. ebd.). Auch durch die fehlende Beachtung und Einbeziehung
individueller Ressourcen im weiteren Behandlungs- und Betreuungsprozess,
wie zum Beispiel des sozialen Umfelds, werden wichtige präventive Aspekte der
Genesung oder Rehabilitation unberücksichtigt gelassen. Dabei ist festzuhalten,
dass die Fragmentierung des Gesundheitswesen keineswegs fachlich begrünSeiten 16
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Theoretischer Teil
det werden kann, sondern in seiner jetzigen Form historisch gewachsen ist und
ganzheitliche Behandlungskonzepte behindert (vgl. Melchinger 2008, 8)9.
Diese Fragmentierung lässt nur den Patienten selbst Auskunft geben, welche
Angebote dieser in Anspruch genommen hat. Neben einer mitunter lückenhaften
Dokumentation der Leistungen ist auch durch unterschiedliche Zuständigkeiten
der Kostenträger sowie einer bestehenden Trägervielfalt ein klarer Nachweis der
Leistungen sowie der Kosten deutlich erschwert. Eine weitere Hürde in der Versorgung stellt die häufig zu starke Trennung von Behandlung und Rehabilitation
dar, die eine Behandlung mit dem akuten Krankheitsbild und der Notwendigkeit
einer pharmakologischen Behandlung gleichsetzt, während die Rehabilitation
meist erst im Anschluss mittels psychosozialer10 Unterstützungsformen einhergeht. Trotz eines Ausbaus der gemeindepsychiatrischen Versorgungsformen
weisen Berhe und Kollegen (2005) auf die langjährige Fokussierung dieser
Dienste auf die Nachsorgebehandlung hin. Der Aspekt der Vermeidung von Rehospitalisierung wurde dementsprechend vernachlässigt (vgl. ebd., 822; Kopelowicz/Libermann 2003,1491).
Auch Baer und Kollegen (2009) finden die aktuelle Entwicklung in der psychiatrischen Versorgung insofern problematisch, als es zu einer Trennung zwischen biologisch orientierter Behandlungskonzepte und sozialpsychiatrischer Herangehensweisen (vgl. ebd., 22ff)11. Dies mündet weiter in
eine Zersplitterung der Zuständigkeiten innerhalb derer die Leistungen der
Akutversorgung im Rahmen der Krankenkassen und die Maßnahmen der (Wieder-)Eingliederung über die Sozialhilfeträger abgerechnet werden. Dabei bestehen nach Kopelowicz und Libermann (2003, 1495) in allen Stadien der Krise
Anteile, diese entsprechend zu behandeln, gleichzeitig bereits in den
Rehabilitationsprozess einzusteigen und im weiteren Verlauf die Ebene der
Behandlung nicht außen vor zu lassen. Dies beinhaltet auch die Aufforderung, einen
integrativen Versorgungsansatz zu verfolgen und hiermit dem Recoverygedanken gerecht zu werden. Hierauf könnten Konzepte wie etwa
Assertive Community Treatment oder aber Home Treatment geeignete Antworten darstellen, indem sie langfristig mittels zeitlicher Leistungsdichte, größerer
9
Auch die Trennung zu anderen Kostenträgern, wie etwa der Rentenversicherung, ist ebensowenig fachlich
begründbar, sondern entspringt einer jahrzehntelangen Entwicklung (vgl. Melchinger 2008, 8).
10 Der Begriff „psychosozial“ wird analog für den Begriff der „komplementär“ verwendet.
11 Die Veröffentlichung stammt aus der Schweiz, lassen sich aber gut auf das deutsche Versorgungswesen transferieren.
Seiten 17
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Theoretischer Teil
Behandlungskonstanz sowie einer stärkeren Leistungsdifferenzierung tätig werden (vgl. ebd.; Kap. 2.3).
2.2 Aktuelle Aspekte zur psychiatrischen Versorgung
Innerhalb der letzten Jahre kam es zu enormen Umbrüchen innerhalb der
Institutions-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Damit hat sich nicht nur das
Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis zu Teilen verändert, sondern auch die
daraus resultierende Behandlung. Historische Einflüsse und damit verbundene
strukturelle Bedingungen in der psychiatrischen Versorgung stellen zusätzliche
Faktoren für wachsende Ausgaben in der Gesundheitsversorgung dar. Daher soll
ein kurzer Blick auf diese Entwicklungen und Prozesse erfolgen.
2.2.1 Die Psychiatriereform und der aktuelle Stand
Durch das Demokratisierungsbestreben Ende der 1960er Jahre motiviert,
beauftragte der Deutsche Bundestag eine Expertenkommission, die 1975
die Psychiatrie-Enquête einführte. Diese gab den fachlichen Impuls zur Deinstitutionalisierung und Dezentralisierung (vgl. Gaebel 2005, 41). Sie kritisierte
die Menschenrechtsverletzungen der Psychiatrie der 1950er und 1960er Jahre, die sich in besonderem Maße an einem naturwissenschaftlichen Objektivismus unter dem Aspekt von originär biologischen Krankheitsmodellen und entsprechenden Behandlungsformen orientierte (vgl. ebd.). Durch eine verstärkte Betonung auf anthroposophische Aspekte und damit einer Individualisierung
von Norm- und Krankheitsverständnis, wurden Forderungen zur praktischen
Umsetzung wie auch politischer und medialer Veränderungen erhoben. Die
stationäre Versorgung sollte entsprechend der Enquête reduziert werden und
damit ambulanten, teilstationären und psychosozialen Einrichtungen in Wohnortnähe Vorrang gewähren - ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist
und regionale Unterschiede aufweist (vgl. Gaebel 2005, 41ff; Krumm/Becker
2005, 179ff; Weinmann/Gaebel 2005, 809). Die damalige Deinstitutionalisierung
rückte vermehrt soziale und individuelle Aspekte, aber auch Fragen nach den
geeigneten Versorgungsangeboten in den Mittelpunkt. Damit reichte eine
pathologisierende Herangehensweise nicht aus und den Bedürfnissen der
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
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Betroffenen sowie der Einbeziehung des sozialen Lebensumfeldes wurden
zunehmend Beachtung geschenkt (vgl. Gaebel 2005, 41ff).
Der Begriff Mental Health zeigt die Komplexität seelischer Gesundheit wie auch
die Folgen einer seelischen Störung sowohl für die Betroffenen wie auch einem Land und der hierin subsumierten Gesellschaft. Innerhalb der vorliegenden
Arbeit findet er daher immer wieder Verwendung. Er impliziert eine Orientierung
weg von einem defizitorientierten Krankheitsverständnis hin zu einem Gesundheitsverständnis, in welchem inbesondere (sekundär-)präventiven Maßnahmen
Rechnung getragen wird.
Die WHO definiert Mental Health12 wie folgt:
„Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die
normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und
imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.“
(WHO 2005, Europäische Kommission, Grünbuch, 4)
Die Verwendung des Begriffs Mental Health bietet die Möglichkeit, Vorurteile
gegenüber der psychiatrischen Versorgung zu überwinden, indem durch eine
gesamtgesellschaftliche Perspektive nicht mehr nur das Individuum für seine
Störung wie auch die Gesundung als verantwortlich betrachtet wird. Die WHO
veröffentlichte hierzu das „Grünbuch“ mit Strategien, die nicht nur der Wohlstandsentwicklung sondern auch der Lebensqualität der Bürger dienen sollen.
Jedoch werden keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen erläutert und die
Strategien bleiben sehr allgemein (vgl. Becker et al. 2008, 19ff). Konkreter hinsichtlich Behandlung und Versorgung wird die Europäische Erklärung zur psychischen
Gesundheit (WHO 2005, 36), die dafür plädiert, gemeindenahe multiprofessionelle
Dienste mit einer 24-stündigen Erreichbarkeit einzuführen und Krisenversorgung
am Wohnort zu ermöglichen, um damit Krankenhausaufenthalte zu vermeiden
(vgl. Becker et al. 2008, 24ff).
12 Im Deutschen wird Mental Health oftmals mit „psychische Gesundheit“ übersetzt.
Seiten 19
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Entsprechend der beschriebenen Entwicklungen und der geforderten Umsetzung dieser Vorgaben unterliegt die Versorgung im Bereich Mental Health in
den westlichen Nationen nach Burns und Priebe (2004, 189f) einem kontinuierlichen und revolutionärem Wandel, der sich in einer über die letzten 20 Jahre
zunehmenden Beforschung der gemeindeorientierten Versorgung abzeichnet,
vor allem aber durch dieSchaffung zahlreicher neuer Versorgungsformen13. Doch
auch wenn viele dieser Versorgungsformen ihre gesteckten Ziele erreicht haben,
konnten einige diesen Anforderungen nicht genügen oder mussten ihr Konzept
verändern. Häufig mangelte es dabei an Evidenznachweisen. Daher halten sich
gängige stationäre Versorgungsformen, die sich in den letzten Jahren in ihrer
Praxis nur wenig verändert haben, weiter hartnäckig. Burns und Priebe (2004)
kommen aufgrund dieser Tatsache zu dem Schluss, dass ein Ausbau evidenzbasierter Forschung und Studien im psychosozialen Bereich weiterhin notwendig
und zugleich optimierungsbedürftig ist.
2.2.2 Seelische Krise und psychiatrischer Notfall – ein Überblick
Um die Möglichkeiten einer gemeindeorientierten Versorgung im Hinblick auf die
Versorgung akuter seelischer Störungen wie auch die Notwendigkeit stationärer Behandlung zu erläutern, die wiederum als Überlegungen für die im empirischen Teil vorgestellten Erkenntnisse dienen sollen, muss zunächst eine Unterscheidung von seelischer Krise und psychiatrischem Notfall erfolgen.
Der psychiatrische Notfall entspringt der Medizin und ist das Pendant des
medizinischen Notfalls. Dabei wird in der Akutversorgung der psychiatrischen
Notfälle ähnlich vorgegangen wie innerhalb der somatischen Akutbehandlung.
So sind klare Abläufe nötig, die eine schnelle Entscheidung über geeignete
Behandlungsmaßnahmen ermöglichen. Parallel hierzu entspringt der Krisen
begriff nach Sonneck (2000, 15) nicht der psychiatrischen Diagnostik und „stellt
somit keine eigene Krankheitseinheit dar“. Er beschreibt jedoch die Dringlichkeit, aufgrund derer sofortige Interventionen notwendig sind, um eine Ver
schlechterung des Zustandes, eine daraus möglicherweise resultierende
Chronifizierung oder aber mögliche Suizide zu verhindern (ebd.). Rupp (2003,
3) verwendet daher den Begriff des seelischen Notfalls, der unmittelbare Inter-
13 Alleine in Großbritannien wurden in den letzten Jahren 260 Assertive Outreach Teams, 360 Crisis Resolution/
Home Treatment Teams und 50 Early Intervention Teams geschaffen (Burns/Priebe 2004, 189f; Kap. 2.3.2).
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ventionen erfordert, jedoch nicht grundsätzlich mit jenen Interventionen gleichzusetzen sind, die innerhalb des psychiatrischen Notfalls erfolgen sollten. Dabei
beschreibt er die drohende Eigen- oder Fremdgefährdung wie auch eine akute
Überforderung von Angehörigen als Handlungsauslöser für unmittelbare Interventionen.
„Damit soll eine vermeintliche oder tatsächliche akute Gefahr für seelische Integrität, Leib
und Leben abgewendet werden. Die bisherige Problembewältigung versagt, was nicht
nur mit dem seelischen Gleichgewichtsverlust des Klienten, sondern ebenso sehr mit
einer Überforderung seines Beziehungsnetzes zusammenhängt.“
(Rupp 2003, 2)
Er bringt damit in seiner Definition der seelischen Krise auch das Umfeld der
Betroffenen in das Geschehen sowie die Interaktion mit diesem. Weiter beschreibt er, dass „jeder seelische Notfall auch ein psychosozialer Notfall ist“
(ebd., 2). So ist der psychiatrische Notfall „sehr viel stärker durch die vitale Gefährdung und deshalb durch die Konzentration auf die Einzelperson“ ausgerichtet
(Sauvant 2000, 46). Im Vergleich hierzu seien bei der Krise „personale und
soziale Gefährdung unter Einbeziehung von Umgebungspersonen, längere
Dauer und nichtmedizinische instrumentelle Hilfen im Vordergrund“. Betrachtet
man diese Definitionen, lässt sich der Schluss ziehen, dass die seelische Krise
nicht nur eine besondere Komplexität aufweist, sondern unterschiedliche Formen
und Ausprägungen annehmen kann, die unterschiedliche Interventionen verlangen. Seelische Krisen und psychiatrische Notfälle schließen sich nicht aus,
benötigen jedoch mitunter eine andere Versorgung (vgl. Schleuning/Welschehold 2003, 17).
So ist festzustellen, dass der psychiatrische Notfall, der häufig sofortige Intervention erfordert, oftmals aus einer seelischen Krise herrührt oder aber letztlich eine
seelische Krise darstellt und aufgrund unterschiedlicher Haltungen in den Notfall subsumiert wird. Weiter ist entsprechender Literatur zu entnehmen, dass die
seelische Krise oftmals einem subjektiven Krisenverständnis folgt. Dabei stellt
sich bei der seelischen Krise, stets die Frage nach Art und Ort der Versorgung.
Nach Rössler (2000, 4) ist diese Frage regelmäßig mit einer stationären Aufnahme zu beantworten, da häufig keine alternativen ambulanten Angebote zur
Verfügung stehen. Dies führt nicht selten zu einer Aufnahme gegen den Willen
der Betroffenen, die wiederum häufig bereits am nächsten Tag das Krankenhaus
verlassen, nachdem keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung feststellbar ist.
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Anzumerken ist außerdem, dass bei vielen Kriseninterventionen der Einsatz von
Psychopharmaka nicht notwendig oder aber wie im Need-Adapted-Treatment
häufig in einer geringen Dosierung ausreichend sein kann (Aderhold/Greve 2010,
10; vgl. Kap. 2.3.4).
Werden viele Kriseninterventionsformen oftmals über eine wochen-, monate-,
und zuweilen jahrelange Dauer in Anspruch genommen, sollte die eigentliche
Krise nach erfolgreicher Intervention nach einigen Tagen oder Wochen überwunden sein14. Nach Ciompi (2000, 19) bedeutet die Heranziehung der
Krisentheorie auch, den gesamten Kontext der Krise zu betrachten. Dies wird in
der reinen Akutversorgung nur mittelbar umsetzbar sein. Dabei gilt es, die notwendigen Interventionen möglichst „rasch, gezielt und aktiv“ vorzuhalten, unter Konzentration auf das emotional vordringlichste Problem. Die erforderlichen
Hilfen sind möglichst weitab von einer „Psychiatriekarriere“ anzustreben, so
etwa in ambulanten Sprechstunden oder über aufsuchende Gemeindedienste.
Eine weitere Dimension innerhalb der Versorgung von psychiatrischen Notfällen
und seelischen Krisen ist daher die Niedrigschwelligkeit der vorgehaltenen Behandlungs- und Betreuungsangebote, also Hilfen rasch, im besten Falle innerhalb von 24 Stunden, zu gewährleisten (vgl. Rössler 2000, 4; Schleuning/Welschehold 2003, 98).
2.2.3 Die gestärkte Patientensouveränität
Wohl in allen Bereichen der medizinischen Versorgung hält derzeit eine verstärkte Patientenorientierung Einzug und wird durch Politik, Leistungserbringer und
Leistungsträger zunehmend hinsichtlich einer Nutzerorientierung in den Blick
genommen. Unter anderem gewinnen die Selbsthilfe wie auch Interessensvertretungen vermehrt an Gewichtung, und auch neue konzeptionelle Antworten wie etwa das „shared decision making“ sind ein Hinweis auf die wachsende
Einflussnahme der Patienten in die Behandlung oder aber in die Steuerung und
Planung ebendieser. Auch im Bereich der psychiatrischen Versorgung wächst
der Stellenwert der Nutzerbewegung zunehmend an und zeichnet sich etwa
durch eine trialogische Vernetzung aus15. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf
14 An längerfristige Hilfen ist beispielsweise beim Erhalt bzw. der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes und den
hierfür oft auch zeitlich ausgedehnten Maßnahmen zu denken.
15 Der Begriff Trialog impliziert dabei eine Form der Beteiligungskultur und beinhaltet das partizipative Denken
und Handeln von Betroffenen, Angehörigen und psychiatrisch Tätigen (Bombosch 2004)
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der Stärkung von Selbsthilfe- und Rechtshilfe, dem Kampf gegen Diskriminierung
und Stigmatisierung, der Entwicklung alternativer Behandlungs- und Betreuungsmodelle, der individuellen Patientenorientierung sowie der Mitgestaltung auf
politischer Ebene (vgl. Amering/Schmolke 2006, 21).
Die Forderungen orientieren sich weiter daran, dass in einer demokratischen
westlichen Gesellschaft Annahmen einer selbstbestimmten und kritischen
Haltung folgerichtig sind. Menschen, die etwa an einer schizophrenen Störung
erkrankt sind, erfahren demnach mehr Lebensqualität, wenn sie sich bezüglich
der Therapiearten wie auch der theoretischen Erklärungsmodelle hierzu eine
eigene Meinung bilden können (vgl. ebd., 22). Gerade im Bereich der
seelischen Störungen hat sich in den letzten Jahren eine große Bewegung derer
herauskristallisiert, die sich verstärkt für Aspekte der Autonomie, Patientenverantwortung, Selbstbestimmung sowie des Empowerments einsetzen. Der Patient als mündiger Bürger führt auch in der psychiatrischen Versorgungskultur zu
einer Orientierung an dessen Belangen, hebt die Anerkennung und Förderung
seiner individueller Kompetenzen in den Vordergrund und betont seine Patientensouveränität. Die Stärkung des mündigen Patienten wurde dabei neben sozialund antipsychiatrischen Strömungen in den letzten Jahren auch in der Politik
integriert (vgl. ebd., Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2009, 7ff). Folgende Aspekte können dabei die Einbeziehung der
Betroffenen ermöglichen:
„„ individuelle Ebene:
Möglichkeit der gemeinsamen Ausarbeitung des Hilfe-/Behandlungsplanes
„„ Planungs- und Steuerungsebene:
Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen/Experten in eigener Sache an der Fort- und
Weiterentwicklung von psychiatrischen/psychosozialen Versorgungsangeboten;
Einbindung von Betroffenen in die Qualitätssicherung
„„ wissenschaftliche Ebene:
Beteiligung Betroffener an Versorgungsforschung
„„ politische Ebene:
Einbindung von Betroffenen in Verbänden und Gremien, als Vertreter bestimmter
Interessensgruppen
(Becker et al. 2008, 114).
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Derzeit stellen diese Möglichkeiten nur mögliche Vorgaben dar, Politik,
Kostenträger und Leistungserbringer bekunden Absichtserklärungen hierzu.
Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem wird aus historischer Tradition
durch unterschiedliche Interessensverbände und Akteure aus Wirtschaft, Politik,
Wissenschaft und Medien geprägt, so dass die Gefahr besteht, dass Gesundheitsförderung, Prävention und die Förderung von Lebensqualität zunehmend
ins Hintertreffen geraten und durch ökonomische Aspekte ersetzt werden. Da
Modelle einer Integrierten Versorgung nach §140 a ff SGB V an den genannten
Aspekten ansetzen, aber zugleich dem Auftrag einer verstärkten Nutzerorientierung nachgehen soll, werden nun kurz einige Entwicklungen der Nutzerorientierung vorgestellt, die wiederum als Grundlage für die Tätigkeit des NWpG
München herangezogen werden können (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 43).
Durch eine stetige Diversifizierung innerhalb der medizinischen Fachgebiete sowie aufgrund technologischer Entwicklungen konnten bestehende Erkrankungen vermehrt diagnostiziert, erklärt und zu Teilen erfolgreich behandelt werden.
Zudem diversifizierte sich die Medizin in spezielle Fachgebiete und die Behandlung richtet sich in erster Linie auf akute Ereignisse aus. Die Betroffenen selbst
werden oftmals nicht beteiligt, wie auch auf deren individuellen Bedürfnisse nicht
eingegangen wird (vgl. Scheibler et al. 2005, 23f). Dies führt zu Unzufriedenheiten bei Patient wie Arzt und oftmals auch zu einer Suche nach alternativen
Behandlungs-, und Heilmethoden, wie auch zu einer hohen Fluktuation bei der
Arztwahl, was die Gefahr einer Fehlbehandlung fördern kann. Parallel hierzu
ist die Autonomie der Patienten aufgrund einer verbesserten Aufklärung über
Erkrankungen, potentielle Therapiemethoden wie auch deren Ursachen gewachsen. Mittels einer gemeinsamen Entscheidungsfindung wird ein kontinuierlicher Informationsfluss zwischen Patient und Arzt besser gewährleistet - beide
sind nicht nur am Prozess, sondern auch in der aktiven Gestaltung und Umsetzung eng beteiligt (vgl. ebd.). Aus der Bürgerrechts- und Konsumentenbewegung der 1960er Jahre herrührend fand das Shared Decision MakingModell (Partizipative Entscheidungsfindung) seinen Weg in die medizinische Versorgung. Ausgehend von den Grenzen der Medizin und der Kritik am biologisch
orientierten Krankheitsmodell sollten vermehrt subjektive Aspekte und Bedürfnisse der Patienten in die Behandlung einfließen16. Der Einbezug der Nutzer in
den Behandlungsprozess und die Hilfe- und Behandlungsplanung entspricht der
16 http://www.bertelsmann-stiftung.de, 2005
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Förderung und Stärkung der individuellen Ebene. Dabei steht die Autonomie
und damit verbundene Aspekte, wie etwa die selbst gewählte Lebensform als
ethisches Prinzip im Vordergrund. Die Entscheidungen über Behandlung und
Lebensform sollen als gleichberechtigter Prozess zwischen Helfer und
Betroffenen ausgehandelt werden. Weg von einem hierarchischen Behandlungsmodell haben sich über die letzten Jahrzehnte Einflüsse für eine Behandlung
„auf Augenhöhe“ stark gemacht, die damit auch ethische Fragen hinsichtlich der
Autonomie berühren17.
Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle das aus der Antipsychiatrie-Bewegung rührende Empowerment-Konzept, welches ebenso das Krankheitsverständnis in den Hintergrund rücken lässt und vielmehr an Fähigkeiten und
Ressourcen der Betroffenen ansetzt und den „empowered consumer“ in den
Mittelpunkt rückt (Amelung et al. 2009, 5). Es soll die Betroffenen als Experten ihrer eigenen Sache stärken und im Sinne einer Nutzer- oder aber Kundenorientierung alte hierarchische Behandlungskonzepte unbeachtet lassen. Die
Nutzer und deren subjektives Verständnis ihrer individuellen Interessen stehen
im Mittelpunkt, vor allem Hoffnung im Sinne von Recovery ist möglich und zu
fördern. Professionelle Helfer sollen mit den Nutzern in einen gemeinschaftlichen Austausch treten, mit diesen über mögliche Frühwarnzeichen diskutieren
und einen gemeinsamem Krisenplan erstellen. Dabei darf dies nicht im Sinne
einer Kontrollfunktion geschehen, sondern soll die Selbstverantwortung und
Autonomie fördern18. Dies wiederum bedeutet, die Nutzer mit den notwendigen
Informationen über Versorgungs- und Behandlungsformen auszustatten, um sie
zu befähigen, aus diesen Möglichkeiten zu wählen. Gelingt dies, bestehen gute
Prognosen hinsichtlich eines besseren Verlaufs der Symptomatik (vgl. ebd.).
Demzufolge sollte die Begleitung und Behandlung der Betroffenen nicht an
Diagnosen ausgerichtet sein.
17 Nach Applbaum (2009, 112ff) stellen Shared Decision-Programme die Gefahr, als rein marktwirtschaftlich orientierte, sozialwissenschaftlich fundierte Strategien verwendet zu werden. Dies bedeutet nicht nur den Absatz der
Medikamente zu erhöhen, sondern zugleich die „burden of disease“ zu verringern. Studien belegen, dass ein
Absetzen der Medikamente insbesondere bei schizophrenen Störungen zu Rückfällen und damit zu erhöhten
Kosten für die Sozial-, Renten- und Krankenversicherungen führen kann. Auch im Hinblick der AntistigmaProjekte ist es interessant, den ökonomischen Einfluss näher zu betrachten. Viele Menschen scheuen sich, zu
Medikamenten zu greifen. Eine öffentlichkeits wirksame Aufklärung hierzu führt letztlich auch zu einem erhöhten Absatz dieser und ist vor allem für Pharmaunternehmen ein willkommener Effekt.
18 Lauber und Rössler (2005, 214) weisen in diesem Zusammenhang auf die Vorrangigkeit einer ambulanten
Behandlung und soweit erforderlich einer möglichst kurzen stationären Behandlungszeit hin..
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„Nicht die Anpassung um jeden Preis ist gefragt, sondern die individuelle und kooperative
Suche nach subjektiven Bedeutungen. Wir müssen Einsicht nehmen, weniger in eine abstrakte Krankheit, als in die konkreten Lebensumstände und die besondere Entwicklung
eines bestimmten Menschen“
(Bock 2010, 66f)
Der hierunter zu inkludierende Anspruch zeichnet sich durch „Lebensqualität
und innere Kraft“ aus und konnte als stützendes Element nachgewiesen werden (vgl. ebd., 67). Ansetzend an den Empowermentgedanken verbreitete sich
in den letzten Jahren zunehmend die Idee von Recovery, die als personenbezogener Ansatz die persönliche Verantwortung der Betroffenen nicht im Sinne
einer Schuldzuweisung oder aber eines persönlichen Versagens zitiert, sondern vielmehr den Wunsch, die Autonomie auch und gerade hinsichtlich der
psychischen Störung wie den oftmals hierdurch bedingten Beeinträchtigungen
nachhaltig zu stärken. Zudem zielt der Ansatz auf die Hoffnung ab, die nicht unbedingt in eine Genesung mündet, sondern auch mit oftmals langwierigen und
belastenden Einschränkungen ein selbstbestimmtes und verantwortliches Leben ermöglichen soll. Die oftmals vulnerable Identität soll gestärkt und dadurch
als Sinn stiftend erlebt werden (vgl. Slade 2010, 7)19. Recovery zielt neben den
Beeinträchtigungen auch auf die Stärken, Ressourcen, Wünsche und Träume
der Betroffenen ab und spiegelt sich in persönlichen wie klinischen Aspekten.
Daher interessieren sich nicht nur Betroffene für diesen Ansatz, sondern auch die
Versorgungsformen bzw. Institutionen wollen ihn vermehrt aufgreifen (vgl. ebd.).
Der Ansatz wird auch in das Mental Health-Konzept eingebaut. Auf diese Weise
orientiert sich die Betrachtungsweise nicht mehr nur auf die Krankheit oder deren
Abwesenheit, sondern greift zusätzlich folgende Aspekte auf:
19 Am Rande soll hier kurz das Modell der Salutogenese erwähnt werden, in welchem Antonovsky (1997, 45) bereits in den 1970er Jahren dafür plädierte, über Faktoren nachzudenken, die einer Gesundung zuträglich sind
und sich damit für eine Abkehr des traditionell lange vorherrschenden Krankheitsverständnisses einsetzte. Die
Betonung der Salutogenese soll dabei nicht mehr nur krankheitsbedingende Faktoren und Stressoren, sondern
die Copingressourcen in den Blick nehmen. Dies bedeutet auch, dass Stressoren nicht per se etwas
schlechtes sind, sondern allgegenwärtige Risikofaktoren oder aber die täglichen Herausforderungen und
Widrigkeiten des Lebens darstellen.
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„„ „Deficiencies and undermining characteristics of the person
„„ Strengths and assets of the person
„„ Lacks and destructive factors in the environment
„„ Ressource and opportunities in the environment“
(Slade 2010, 7).
Oftmals hat die Planung der Behandlung oder Versorgung noch eine stark defizitorientierte Ausrichtung, die sich nur wenig mit individuellen Copingstrategien oder
persönlichen Ressourcen auseinandersetzt (vgl. ebd.). Amering und Schmolke
(2006, 21f) sehen daher im Recovery-Konzept die Möglichkeit, auch mit oder
unabhängig der Erkrankung das Selbstgefühl zu wahren, und beschreiben die
Notwendigkeit, Selbstbestimmung und Verantwortung so viel und so lange wie
möglich im Sinne eines gelungenen Empowerments zu wahren. In der psychiatrischen Versorgung sollten also Angebote personenzentriert und flexibel sowie mobil gestaltet werden. Die lebensfeldorientierten Hilfen sollen keineswegs
einem Schema folgen und psychosoziale Hilfen erst dann gewähren, wenn zuvor
auch die Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme hergestellt wurde. Sie sollen
einerseits evidenzbasierte Interventionen anbieten, die eine Objektivierbarkeit
gewährleisten. Andererseits sollen sie die Möglichkeit subjektiv geprägter und
kreativer Interventionen ermöglichen, welche die Autonomie des Einzelnen in
den Mittelpunkt rücken. Recovery beinhaltet damit Hoffnung, Macht, Empowerment und Lebenssinn. Professionelle Helfer, wie auch Angehörige, sollen mittels
einer positiven Grundhaltung und dem Glauben an eine mögliche Gesundung,
integrativen und multidimensionalen Konzepten den Vorrang zu geben (vgl. ebd.,
22).
Beschäftigt man sich mit den derzeitigen gemeindeorientierten Versorgungseinrichtungen, zeichnet sich aktuell eine häufig noch starke Ausrichtung auf ein
„chronic disease management“ (vgl. Becker et al. 2008, 169; Mendel 2010). In
diesem finden sich die Nutzer kaum wieder, so dass vielmehr der RecoveryAnsatz, der sich explizit mit Fragen zur Lebensqualität beschäftigt, und damit
eine verbesserte Identifikation ermöglicht, in den Vordergrund rücken sollte.
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2.2.4 Die Bedeutung des Sozialen Netzes und dessen Einbeziehung in die Versorgung
Eine gemeindeorientierte Versorgung soll da ansetzen, wo es stationären Einrichtungen nicht möglich ist. Dies bedeutet, die betroffenen Menschen in ihrem
individuellen Lebensumfeld anzutreffen, mit den hierin bestehenden sozialen
Bezügen, dem sogenannten sozialen Netzwerk, welches wenn es tragfähig ist,
ein wichtiger Faktor ist. Dabei ist anzumerken, dass viele Betroffene durch langwierige Episoden ihrer jeweiligen Störung oder aber aufgrund erneut auftretender
Symptome nicht selten Schwierigkeiten haben, sich in diesem Umfeld zurechtzufinden. Oft kommt es aufgrund der Angst vor Stigmatisierung zu Rückzugsverhalten oder zu Abwendungen seitens des bislang bestehenden Umfeldes,
während parallel vermehrt Kontakte zum professionellen Helfersystem hinzukommen. Dies wiederum nimmt Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen und damit auch auf den Verlauf der Erkrankung und den folgenden
Beeinträchtigungen (vgl. Rüesch 2005, 199f). Infolge der zuvor beschriebenen Erfahrungen sind Mitglieder des sozialen Netzes häufig irritiert. Nicht selten ist dies durch Pflichtgefühle seitens Angehöriger und einem asymetrischen
Verhältnis zu den Betroffenen gekennzeichnet. Für Angehörige kann dies eine
hohe Belastung bedeuten und damit die Gefahr, durch ebendiese überfordert zu
werden. Hierdurch wiederum erhöht sich für alle Beteiligten die Gefahr, erneut
oder erstmalig an einer psychischen Störung zu erkranken (vgl. ebd.).
Soziale Unterstützung bedeutet Resilienz und die Fähigkeit, mit Stressoren im
psychosozialen Kontext umzugehen zu verbessern. Umgekehrt kann sich das
Risiko ebendieser Stressoren und deren Auswirkungen erhöhen, wenn es an einem tragfähigen sozialen Netz mangelt. Eine erhöhte Lebensqualität durch stützende Beziehungen muss insofern angestrebt werden, als dass sie auch auf die
Inklusion in der Gemeinde Einfluss nehmen kann. Da die Lebensqualität eng
mit dem Netzwerk und dem seelischen Wohlbefinden korreliert, sollen kurz die
Bereiche der subjektiven Lebensqualität benannt werden:
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Theoretischer Teil
„„ das körperliche Befinden sowie
„„ das psychische (emotionale, kognitive) Befinden
„„ die Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen
„„ verhaltensbezogene/funktionale Aspekte, welche insbesondere die Wahrnehmung
sozialer Rollen betreffen
(vgl. Rüesch 2005, 202)
Interventionen innerhalb des bestehenden sozialen Netzes nehmen daher eine
wichtige Rolle ein, bedeuten aber auch eine besondere Anforderung, da sowohl
die Bereitschaft der Betroffenen wie auch der Beteiligten vonnöten ist (vgl. ebd.).
Die sogenannten Netzwerkinterventionen sollen der Aktivierung und Förderung
von Hilfepotenzialen im jeweiligen Netzwerk dienen. Dabei kommen folgende
Interventionsebenen zum Tragen:
„„Interventionsebene Individuum:
Die Betroffenen sollen im Sinne des Empowerments befähigt werden, sich ihr
Lebensumfeld entsprechend der eigenen Bedürfnisse zu gestalten. Unter anderem schlägt Rüesch (2005, 207) den Einsatz von Laienhelfern vor, die Betroffene
bei der Freizeitgestaltung unterstützen, die sich sonst eher sozial isolieren würden.
„„Interventionsebene Angehörige:
Den Angehörigen soll die Möglichkeit der Entlastung eingeräumt werden. Zudem
sollen Wissen um die Erkrankung und damit auch Kompetenz im Umgang mit der
seelischen Störung oder Behinderung vermittelt werden. Hinzu kommt die Stärkung der sozialen Vernetzung mit anderen, sei es über Freunde und Bekannte
oder aber Angehörigengruppen (vgl. ebd., 207f).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
„„Interventionen am weiteren sozialen Netzwerk
Häufig kann es innerhalb des gesamten Netzwerks zu Irritationen kommen und
sich so die Gefahr von weiteren Stressoren abzeichnen. Insofern gilt es auch
hier, das bestehende Netz einzubeziehen, zu informieren und über mögliche
Therapieziele aufzuklären bzw. mit anderen Beteiligten in der Versorgung abzustimmen. Dies wiederum kann in der sogenannten Netzwerkkonferenz erfolgen,
in der ausgewählte und für den Betroffenen wichtige Personen teilnehmen sollten
(vgl. ebd., 207f; Kap. 2.3.4).
Welche besondere Bedeutung es hat, das soziale Umfeld in die Intervention
einzubeziehen, wird auf auch von Klingberg und Kollegen (2009, 103f) im Zusammenhang mit schizophrenen Störungen betont. Sie weisen auf die Überlegenheit psychosozialer Interventionen mit soziotherapeutischem Schwerpunkt
gegenüber einer rein medikamentös orientierten Behandlung hin. Immanent
ist auch hier die Einbeziehung der Betroffenen in eine auf die Handlung abzielende Intervention und die gleichzeitige Förderung der Autonomie (vgl. ebd.).
Im Kontext mit dem sozialen Netz sollen hieraus resultierend beide Seiten, die
des Betroffenen und die des Umfelds, integriert werden. Im Zusammenhang
mit den professionellen Helfern, welche häufig einen Teil des sozialen Netzes
darstellen, bedeutet dies, alle Beteiligten in einzubeziehen und deren Multidisziplinarität zu fördern.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
2.3 Ausgewählte Modelle der ambulanten Versorgung
Die aktuellen Diskussionen bezüglich einer gemeindeorientierten Versorgung
zur Vermeidung von stationären Aufenthalten vermischen sich häufig in den
unterschiedlichen Versorgungsansätzen, wie dem Home Treatment (HT), dem
Assertive Community Treatment (ACT) oder aber dem Case Management (CM).
Um im weiteren Verlauf der Arbeit die Tätigkeit des NWpG vorzustellen, die auf
diese Ansätze Bezug nimmt, sollen diese zunächst Gegenstand der Betrachtung
werden. Alle integrierten Versorgungsansätze verfolgen das Ziel, die Versorgung
mittels Gemeindeorientierung und Personenzentrierung zu verbessern und damit dem Grundsatz „ambulant vor (teil-)stationär“ gerecht werden zu wollen. Sie
unterscheiden sich jedoch in der personellen wie strukturellen Ausstattung, entsprechen sich aber eine Alternative zur stationären Behandlung darzustellen
oder diese zu verkürzen (vgl. Burns et al. 2001, 375).
2.3.1 Case Management
Seine Ursprünge findet das Case Management (CM) im 19. Jahrhundert in den
USA und war dort zunächst eine Domäne der sozialen Arbeit (vgl. Ewers 2005,
29, 41). Das CM hat sich seither divfferenziert, sowohl im methodologischen Sinne, wie auch in der Verortung des CM. Ähnlich dem ACT beschreiben Berhe und
Kollegen (2005, 822f) die Ausrichtung des CM auf eine nachgehende Behandlung, die im Sinne einer Stabilisierung und Rehabilitation medizinischpsychiatrische, wie auch psychosoziale Hilfen in der Gemeinde anhand des
Einzelfalles steuert und koordiniert. Der Grundgedanke des CM ist dabei anders
als beim ACT oder dem HT, die Koordination durch eine Einzelperson. Der Case
Manager ist nicht in einem originären Teambezug tätig und versorgt im Rahmen
des „case loads“ eine festgelegte Anzahl von Patienten weitgehend alleine.
Das CM wurde zunächst für Menschen mit schweren psychischen Störungen
installiert. Zugrunde gelegt wurde eine kontinuierliche, integrierte Versorgung über die Grenzen von Organisationen und Professionen hinweg. Weiter
soll es die bisher häufig noch kaum vereinbare Kombination von kurativ ausgerichteter Medizin und der weiteren rehabilitativen Betreuung ermöglichen
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
(vgl. Ewers 2005, 31f)20. Es ist als Managementkonzept in Verbindung mit
ökonomischen Aspekten zu betrachten, darf jedoch insbesondere im Hinblick
auf Interessen einer Managementgesellschaft, welche sich mittels Managed
Care Prinzipien eng an wirtschaftlichen Interessen bewegt, nicht rein hierzu
instrumentalisiert werden (vgl. Ewers 2005, 44f)21.
Nachdem auch in Deutschland das Potential für die Methode des Case Management erkannt wurde, fand es Ende der 1980er Jahre im Sinne eines
„Unterstützungsmanagements“ zunehmend Einzug in die Sozial- und Gesundheitsversorgung. Das CM kann an unterschiedlichen Stellen verortet werden,
wie etwa bei den Leistungserbringern oder aber bei neutralen Instanzen, sogenannten Koordinierungsstellen, welche sich jedoch in Deutschland bislang
kaum etabliert haben (vgl. Ewers 2005, 14). Eine weitere Form ist direkt bei den
Kostenträgern angesiedelt, etwa den Krankenkassen. Dies findet zunehmend
Anwendung, bringt jedoch auch Schwierigkeiten mit sich (vgl. ebd., 16). So liegt
auch hier der Gedanke von Managed Care zugrunde, wobei dem CM nicht nur
die Fallsteuerung sondern auch die Funktion der Kontrolle obliegt. Dabei erklärt
Ewers (2005, 17) weiter, dass die hier angesiedelten Sachbearbeiter selten eine
klinische Ausbildung mitbringen und zudem oftmals mehrere Personen an einem „Fall“ arbeiten, da das System innerhalb der Krankenkasse in eine sektorale
Gliederung unterteilt ist und damit andere Zuständigkeitsbereiche eröffnet
werden.
Das CM angesiedelt bei den Leistungserbringern, wird in Deutschland häufig
mit Verträgen der Integrierten Versorgung in Verbindung gebracht, wie etwa den
„Hausarzt-Modellen“ (vgl. ebd., 16). Dabei zielt das dort verortete CM auf die
direkte Beeinflussung des Leistungsgeschehens und der damit verbundenen
Möglichkeit, unmittelbar zu reagieren. Es soll mittels systematischer Steuerung
dazu dienen, die Reibungsverluste zwischen „ambulant-stationär“ oder aber
„medizinisch-sozial“ zu minimieren und dabei einer optimierten ambulanten
Versorgung zuträglich sein. Als problematisch zeichnet es sich oftmals an den
20 Dies berührt die aus der Trennung durch die Sozialgesetzbücher V und XII und die daraus resultierende
Aufsplittung der Zuständigkeiten und einer damit bestehenden Unvereinbarkeit von „cure“ und „care“ (vgl. Kap.
2.3.1).
21 Die Nähe zu ökonomischen Aspekten führt zu Kritik, dass das CM nur auf wirtschaftliche Interessen der
Leistungserbringer abzielt. Dies kann unter anderem der Tatsache geschuldet sein, dass bei der Übertragung
bestehender Modelle in den USA oder Großbritannien zu wenig auf die unterschiedlichen Bedingungen und die
Ausgangslage in Deutschland eingegangen wurde. So ist hier, anders als in den USA, der Fokus auf
Effektivität und Effizienz zu legen, bei einem grundsätzlich relativ hohen Versorgungsniveau und einer großen
Dichte an nebeneinander bestehenden Leistungsangeboten (vgl. Ewers 2005, 47).
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Schnittstellen der nachgeordneten nicht-ärztlichen Case-Manager aus, die eine
Koordination vorrangig medizinischer Leistungen übernehmen sollen (vgl. ebd.).
Länder wie die USA oder Großbritannien setzen das CM seit vielen Jahren ein,
um Fragen nach Diskontinuität und Desintegration im Sozial- und Gesundheitswesen zu begegnen und um Ressorcenverluste sowie ineffizienten Mitteleinsatz zu vermeiden. Obwohl das CM auf einen komplexen Hilfebedarf seitens
der Betroffenen reagiert und im Bereich der psychiatrischen Versorgung diverse
Anlaufstellen und Leistungsanbieter mit unterschiedlichen Konzepten bestehen,
ist festzustellen, dass sich das CM in Deutschland kaum verbreitet hat. Dies mag
an den bisher noch kaum erarbeiteten „Aufgreifkriterien“ liegen oder aber einer
zu engen Formulierung ebendieser (vgl. Ewers 2005, 18).
In den Untersuchungen zum CM zeigen sich die Nutzer oftmals zufriedener mit
der Versorgung als diejenigen der Standardversorgung, Behandlungsabbrüche fallen geringer aus. Die Krankenhausaufenthalte erhöhen sich tendenziell,
während die Behandlungsdauer sinkt. Das CM scheint keinen oder nur wenig
Einfluss auf die psychiatrische Symptomatik und das soziale Funktionsniveau
zu nehmen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 814). Ein nicht teamorientiertes CM
wird zum aktuellen Standpunkt kritisch bewertet. Auch in den Modellen der
Integrierten Versorgung wird die reine Koordination von Leistungen als nicht
ausreichend gesehen, um den Bedürfnissen von Menschen mit schweren
psychischen Störungen gerecht zu werden. Daher bleibt anzumerken, dass das
CM in vielen Ländern durch teambasierte Konzepte, wie etwa dem ACT, ersetzt
wurde (vgl. Weinmann/Gaebel 2005,116)22.
2.3.2 Das Assertive Community Treatment – Ursprung und Konzept
Ähnlich den Entwicklungen in Deutschland kam es auch in den USA in den
1970er Jahren durch die Deinstitutionalisierung und die Öffnung der Heime zu
Umbrüchen innerhalb der ambulanten Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und damit zu besonderen Anforderungen an die
Koordination unterschiedlicher Hilfen (vgl. Kap. 2.4). Ursächlich für die
Gestaltung gemeindeorientierter Dienste waren zudem auch dort die bestehende
22 Weinmann und Gaebel (2005, 116) sehen die nach §37a SGB V beschriebene Soziotherapie analog den
Entwicklungen zum CM als Auslaufmodell, da sie sowohl an Outcomeparametern keine wirkliche Verbesserung
aufweist und auch keine Integration der Leistungen ermöglicht.
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Fragmentierung des Gesundheits- und Sozialwesens, wie auch die besonderen
Zugangsbarrieren zu den bestehenden Diensten und erhöhte stationäre Wiederaufnahmeraten (vgl. Burns 2010, 131). Ein Antwort stellte die Einführung des
Assertive Community Treatment (ACT)23 dar, welches unter Einbeziehung von
Behandlung, Rehabilitation und sozialer Unterstützung, die Versorgung sicherstellen sollte. Ende der 1960er Jahre von Stein und Test in den USA entwickelt,
wurden Studien zum ACT der Fachwelt 1980 offiziell vorgestellt und zeigten einen deutlichen Rückgang von Krankenhausaufnahmen (vgl. ebd.)24. Das ACT
ist bislang eine der am besten untersuchten gemeindeorientierten Versorgungsformen, was auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass das ACT-Konzept
mit klaren Inhalten und Vorgehensweisen beschrieben wurde. Die durch zahlreiche Studien belegten positiven Ergebnisse führten im Verlauf zu einer raschen Verbreitung des Ansatzes in den USA wie auch in Großbritannien und
Australien25.
Die Zielsetzung des ACT lautet, Menschen mit schweren und chronischen
seelischen Störungen „in vivo“, also in deren Gemeinde und ihrem Zuhause, zu
betreuen, um stationäre Wiederaufnahmen zu vermeiden (vgl. Kent/Burns 1996,
144). Dabei soll multiprofessionelle Hilfe über 24 Stunden gewährleistet werden. Der Fokus liegt auf einer nachgehenden aufsuchenden Behandlung durch
mobile multiprofessionelle Teams, die den weiteren Behandlungsplan mit den
Wünschen, Ressourcen und dem tatsächlichen Bedarf gemeinsam mit den
Betroffenen gestalten. Nach Berhe und Kollegen (2005, 822) zielt das Konzept verstärkt auf die Behandlung und die Rehabilitation der Betroffenen in der
Gemeinde ab und unterscheidet sich damit von psychosozialen Diensten in
Deutschland. Die Angebote des ACT sollen zeitlich unbegrenzt und nicht nur auf
einmalige Episoden ausgerichtet sein (vgl. Burns 2010, 132).
23 In Großbritannien unter dem Begriff Assertive Outreach bekannt (Becker et al. 2008, 126)
24 Führte der ACT Ansatz zu sinkenden Krankenhausaufnahmen, verhielt es sich im Case Management zumeist
umgekehrt (Burns 2010, 131).
25 Um Begriffsverwirrungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit die Abkürzung ACT verwendet. Weitere Begriffe
sind unter anderem PACT (Programm of Assertive Community Treatment) oder TCL (Training in Community
Living) (vgl. Kent/Burns 1996, 143). In Großbritannien wurde das ACT im Rahmen des National Service Framework Mental Health festgesetzt.
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Theoretischer Teil
Assertive
community
treatment
Psychotropic
medication
Symptoms
and relapse
Social skills
training
Crisis intervention,
reduced
hospitalization
Supported
employment
Independent living
and social relations
Work
Impairments
Disabilities
Handicap
Rehabilitation readiness
Abilities
Participation
The holistic integration of treatment and rehabilitation
(Dar. 2, nach Kopelowicz/Libermann 2003: 1493)
Das ACT basiert im Rahmen der Nutzerperspektive auf vier Bedürfnissen bzw.
Anforderungen:
„„ „motivation to remain in the community,
„„ freedom from pathological dependent relationships,
„„ material resources and
„„ coping skills“
(Fiander et al. 2003, 251)
Das ACT ist als eine besondere Form des Case Managements zu verstehen,
in den europäischen Veröffentlichungen häufig mit Intensive Case Management
(ICM) vergleichbar. Ihnen ist eine kleine Fallzahl gemeinsam, wie auch eine
Versorgung über einen longitudinalen Zeitraum, die aufsuchend und unter Einbeziehung des sozialen Netzes stattfinden soll (Fiander et al. 2003, 249ff)26.
Die einzelnen Teammitglieder übernehmen für ihre Klienten die Rolle eines
„keyworkers“, stimmen sich aber auch mit den anderen Teammitgliedern ab.
Stein und Santos (1998, 50) beschreiben das enge Zusammenwirken eines
26 Ähnlich des Intensiv Case Managements ist eine ungefähre Fallzahl von 1:10/1:15 vorgesehen, während die
Fallzahl beim Case Management bei 1:30/1:45 liegt (Burns 2001, 175). Das Team umfasst nicht mehr als zehn
bis fünfzehn Mitarbeiter, um einerseits eine 24-stündige Ansprechbarkeit zu gewährleisten und andererseits die
Klienten und deren Geschichte zu kennen (vgl. Kent/Burns 1996, 146f).
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
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multiprofessionellen Teams, in welchem sich jeder Beteiligte für die Versorgung
verantwortlich fühlt, weisen aber auch auf die Bedeutung einer „Primary Contact
Person“ hin, die den Prozess verantwortlich begleitet und damit die Funktion des
Case Managements gewährleistet (vgl. Fiander et al. 2003, 249ff).
Die Zielgruppe stellen Menschen mit psychotischen Störungen dar, wie etwa
schizophrenen, schizoaffektiven und bipolaren Störungen, deren Rehospitalisierung oftmals einer nicht gelungenen Überleitung vom stationären Bereich nach Hause geschuldet war. Das Team sieht sich verantwortlich für die
Versorgung der Betroffenen und bietet die notwendigen Unterstützungsleistungen weitestgehend selbst an, mit dem Anliegen, die Betroffenen mit dem
Versorgungssystem in Kontakt zu halten (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 814). Dies
inkludiert die Erstellung von Behandlungsplänen im Sinne eines Assessments,
deren regelmäßiges Monitoring, die Krisenversorgung, wie auch eine langfristige ausgerichtete Beziehungsstabilität zu den Betroffenen sowie die Sicherstellung der häuslichen Versorgung und die Unterstützung im täglichen Leben, wie
auch im Umgang mit dem sozialen Netz (Stein/Santos 1998, 42)27. Dabei werden
auch Beeinträchtigungen ermittelt, die als Stressoren für einen potentiellen Rückfall gelten, wie etwa problematische interpersonelle Beziehungen. Reicht die
Versorgung in Krisensituationen nicht aus und ist ein Krankenhausaufenthalt
indiziert, wird das Team die Betroffenen nicht nur dorthin begleiten, sondern auch
während des Aufenthaltes den Kontakt aufrechterhalten.
Das Assertive Community Treatment konnte Verbesserungen im Bereich der
Vermeidung von Rehospitalisierung, des sozialen Funktionsniveaus sowie der
Patientenzufriedenheit nachweisen (vgl. Stein/Santos 1998, 126).Obwohl die
Nachweise zum ACT zum Teil positiv sind, konnte sich das ACT in den USA zunächst nur schwerlich verbreiten. Skepsis basierte unter anderem darauf, dass
die Ergebnisse auf ein besonders engagiertes und kreatives Personal oder aber
auf die individuellen Umstände der Betroffenen und deren Gemeinde zurückzuführen seien (vgl. ebd.).
In der Untersuchung der Ergebnisse des ACT ist darauf hinzuweisen, dass es
sich um eine kostenintensive Versorgungsform handelt und daher innerhalb
der Schizophrenie-Leitlinie der American Psychiatric Assocation für Betroffene
27 Einige der beschriebenen Module des ACT, wie etwa das Assessment oder das Monitoring, sind Hauptbestandteile das Case Management.
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empfohlen wird, deren Wiederaufnahmenraten sehr hoch sind und die Verweildauer in den Krankenhäusern zudem 40 bis 50 Tage im Jahr erreicht (Klingberg
et al. 2009, 108). Es zeichnet sich auch ab, dass nur bei der zuvor genannten
Patientengruppe ein Rückgang der Krankenhausaufenthalte zu verzeichnen ist,
während die Ergebnisse bei denjenigen, die nur wenige Krankenhausaufenthalte und -tage mitbringen, tendenziell schlechter ausfallen (Burns et al. 2007,
5f)28. Die Studien zum ACT über einen longitudinalen Verlauf belegen außerdem,
dass ein Kontakt zum Team über unbegrenzte Zeit vonnöten ist, um einen langfristigen Effekt hinsichtlich der Krankenhausaufnahmen sicherzustellen (Burns
2010, 132).
2.3.3 Das Home Treatment – Ursprung und Konzept
Seine Ursprünge findet das Home Treatment (HT) in der „crisis theory“ und im
ACT-Konzept (vgl. Berhe et al. 2005, 822). Es stellt die konsequenteste Umsetzung von gemeindenaher Akutversorgung dar, da mittels ambulanter Krisenversorgung Krankenhauseinweisungen explizit vermieden werden sollen (vgl.
Berhe et al. 2005, 822; Borg et al. 2010, 1). Die Betroffenen werden in Krisenzeiten intensiv begleitet und im weiteren Verlauf in die bestehende Regelversorgung vermittelt oder aber benötigen keine weitere Unterstützung mehr.
Die Versorgung wird durch ein multiprofessionelles Team umgesetzt und
orientiert sich an einem gemeinsam mit den Betroffenen erarbeiteten Behandlungsplan. Ein weiteres wichtiges Kriterium des HT ist die Behandlung am
Wohnort, wodurch es sich maßgeblich von anderen bekannten Versorgungsformen, wie etwa psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung,
unterscheidet. Anders als beim ACT oder dem Case Management ist die zeitliche
Begrenzung der Behandlung ein wesentliches Kriterium der Versorgung, aber
auch der Fokus der Krisenversorgung auf akut und schwer krisenhaft erkrankte
Menschen. Die Begleitung durch das Team sollte die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes demnach nicht übersteigen (Berhe et al. 2005, 822).
28 Hier können mehrere Ursachen zugrunde liegen, wie etwa, dass die gemeindeorientierten Dienste bereits
sehr gut ausgebaut sind und damit auch die Nutzer erreichen, weshalb ein stationärer Aufenthalt nur bei einer
dringenden Indikation umgesetzt wird. Eventuell leiden die Nutzer mit wenigen Krankenhausaufenthalten aber
auch unter weniger stark ausgeprägten Störungen und partizipieren daher kaum von dem Versorgungsangebot
des ACT. Auch in Regionen, in denen die durchschnittliche Krankenhausaufenthalte niedrig ausfallen, kann das
ACT keine positiven Ergebnisse erzielen (vgl. ebd.).
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
Die permanent verfügbaren Kriseninterventionsdienste29, die Hausbesuche
auch unter Einbeziehung von Fachärzten anbieten, zielen auf eine flexible und
bedürfnisorientierte Versorgung, die sowohl die Betroffenen als auch das soziale
Netz einbezieht (vgl. Klingberg et al. 2009, 108). Sie sind 24 Stunden erreichbar
und können mehrmals täglich zu den Betroffenen nach Hause kommen (Berhe et
al. 2005, 824; Glover/Johnson 2008, 27; Johnson 2005, 69).
Die multiprofessionellen Teams30 bestehen vergleichbar mit dem ACT, in der
Regel aus Psychiatriefachschwestern -pflegern, Sozialarbeitern, Psychiatern
und Verwaltungsmitarbeitern, wobei die Psychiater häufig nur im Rahmen der
Supervisionen und Teamsitzungen im Sinne von fachärztlichen Beratungen tätig
sind oder aber zu festgelegten Zeiten eingesetzt werden. Neben der Begleitung
einer akuten Krise im gewohnten Lebensumfeld werden nicht nur die Symptome der aktuellen Krise betrachtet, sondern die Betroffenen erfahren zudem Unterstützung, grundsätzliche Themen und Probleme das Alltags zu bearbeiten.
Dies wiederum stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter solcher Teams, birgt
aber zugleich die Chance, Veränderungen ganzheitlich und basierend auf den
Bedürfnissen der Betroffenen zu verankern (vgl. ebd.). Die Ergebnisse zum HT
zeigten verringerte stationäre Wiederaufnahmeraten, allerdings nur in der Zeit,
in der die Betroffenen Kontakt zum Team hatten. Die Angehörigen zeigten sich
durch die Unterstützung der Teams eher bereit, die Betroffenen in ihrem Umfeld
zu belassen und diese weiter zu unterstützen. Insbesondere bei Krisen in denen
sich die Betroffenen freiwillig in stationäre Behandlung begeben hätten, ergaben
sich innerhalb der Studien zum HT positive Ergebnisse. Insgesamt zeigt sich bei
allen Nutzen eine erhöhte Behandlungszufriedenheit (vgl. Johnson et al. 2005,
73). Die Kosten sanken zunächst, bei näherer Betrachtung stellte sich jedoch
heraus, dass die HT-Abbrecher und deren Aufnahme in eine Klinik angerechnet
werden mussten und die Kosten dadurch anstiegen. Ob und inwiefern im Rahmen des HT eine kostengünstigere Behandlung möglich ist, lässt sich erst über
einen longitudinalen Verlauf ausmachen. Ebenso geht aus den Untersuchungen
nicht eindeutig hervor, für welche Indikationstellungen das HT geeignet ist.
29 In England firmieren diese unter dem Begriff Crisis Resolution and Home Treatment (CRHT). Angelehnt an die
positiven Ergebnisse des Assertive Community Treatment in den USA verankerte die englische Regierung die
Implementierung von CRHT´s flächendeckend. Verantwortlich ist dabei der staatliche Gesundheitsdienst, der
National Health Service (NHS). Parallel dazu wurden seit 2000 verstärkt Assertive Outreach Teams gebildet,
die eine längerfristige gemeindeorientierte Versorgung im Rahmen des ACT sicherstellen sollten (vgl. ebd.,
Burns/Priebe 2004, 189).
30 Die Teams umfassen je nach Größe des Einzugsgebietes und Kapazität nicht mehr als 21 Mitarbeiter ( Berhe
et al. 2005, 824; vgl. Glover/Johnson 2008, 27).
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2.3.4 Need Adapted Treatment – konzeptionelle Grundlagen der bedürfnisorientierten Behandlung
Aus Finnland stammend wurde das Need Adapted Treatment (NAT) vor etwa
25 Jahren insbesondere für psychotische Ersterkrankungen entwickelt (vgl.
Aderhold/Greve 2010). Ähnlich zum ACT oder HT soll ein multiprofessionelles Team aufsuchend tätig sein und sowohl direkte Angehörige, wie
auch das ansonsten bestehende soziale Netz mittels Therapieversammlungen in
die weitere Behandlung miteinbeziehen. Die Hilfe soll 24-stündig, gewährleistet
werden,außerdem soll eine möglichst kontinuierliche Begleitung über Bezugsbegleiter gesichert werden. Hinzu kommt die Empfehlung einer niedrig dosierten
und selektiven Psychopharmakatherapie sowie einer Einzelpsychotherapie(vgl.
ebd.). Aus einem systemischen Ansatz heraus wurde das Open Dialogue entwickelt, welcher allen Beteiligten in einem sicheren Rahmen die Möglichkeit
geben soll, Eindrücke und Wahrnehmungen zu schildern. Gleichwertigkeit,
gemeinsame Verantwortung und das Aushalten von Unsicherheit bei nicht sofort
zu treffenden Entscheidungen sollen auch mit der Methode des Reflektierenden
Teams ermöglicht werden (vgl. ebd.)
Weitere Elemente bzw. Prinzipien des NAT sind:
„„ Flexible Einstellung auf die Bedürfnisse
„„ Gemeinsame Verantwortung
„„ Therapieversammlungen: In diesen sollen so rasch als möglich alle wichtigen Beteiligten aus dem Netzwerk teilnehmen, welche die Behandlung im weiteren Verlauf
mit dem Betroffenen und der Familie abstimmen.
„„ Psychologische Kontinuität
„„ Aushalten von Unsicherheit
„„ Integration verschiedener Therapieformen
„„ Arbeitsintegration
„„ Krisenwohnung
(vgl. Aderhold/Greve 2010)
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Grundsätzlich arbeitet das Team unabhängig der Profession mit einer psychotherapeutischen Haltung und nimmt die Situation und Bedürfnisse als Ausgangsposition für das weitere Handeln (ebd.).
2.3.5 Zusammenfassende Betrachtung der einzelnen Konzepte
Anhand der bestehenden Literatur lässt sich feststellen, dass die erläuterten gemeindeorientierten Versorgungsformen nicht nur auf eine komplexe
psychiatrische Versorgung abzielen, sondern zudem eine hohe Evidenzbasierung aufweisen. Vor allem in der ambulanten Krisenversorgung mittels HT
belegen die Studien Effektivität in folgenden Bereichen:
„„ Geringere Wahrscheinlichkeit stationärer Aufnahmen während der akuten Krankheitsphase
„„ Reduzierung stationärer Behandlungszeiten
„„ Seltenere Behandlungsabbrüche
„„ Gesunkene Belastungen bei den Angehörigen
„„ Erhöhung der Zufriedenheit von Patienten und Angehörigen
„„ Erhöhung der Kosteneffektivität
(vgl. Gühne et al. 2011, 117)
Während das ACT in Studien Krankenhausaufenthalte verringern konnte, waren
die Ergebnisse im Bereich Psychopathologie und sozialem Funktionsniveau eher
gleichbleibend. Zu diesen Ergebnisse trägt bei, dass der Ansatz für Betroffene
entwickelt wurde, die bereits seit längerem an schweren psychischen Störungen leiden, während das HT auch Klienten aufgriff, die unter Erstepisoden litten.
Dabei lässt sich derzeit nicht sagen, mit welchen Effekten über einen langfristigen Verlauf in Deutschland zu rechnen ist. Jedoch ist sowohl beim ACT wie dem
HT und dem NAT davon auszugehen, dass viele Betroffene früher über Krankheitssymptome berichten, wenn sie Sicherheit darüber haben, aufgrund der
Schilderungen nicht in eine Klinik eingewiesen zu werden (vgl. Munz et al. 2011,
126). Weiter ist anzunehmen, dass eine Versorgung, orientiert an subjektiven
Bedürfnissen die Behandlungszufriedenheit und damit auch die weitere Behandlungsbereitschaft erhöht. Ein hieraus im Sinne der Betroffenen gelungener Verlauf, der gleichzeitig Aspekte von Empowerment und Recovery fördert,
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Theoretischer Teil
vermag zudem auch die Patientensouveränität zu stärken und zielt somit auch
auf eine verbesserte Lebensqualität ab (vgl. ebd.; Kap. 2.2.3). Daher zielen
die Empfehlungen hinsichtlich einer ambulanten gemeindepsychiatrischen
Versorgung einhellig auf ein bedürfnisorientiertes, multiprofessionelles und teambasiertes Arbeiten ab.
Analog des Vertrages mit der TKK31, setzt das NWpG München einzelne Bausteine um, die eine Ambulantisierung und eine Krisenbewältigung im sozialen
Umfeld anstreben, um hieraus die Autonomie der Betroffenen explizit zu stärken. Die wesentliche Bausteine sind die sogenannten Rückzugsräumen (non
hospital setting), sowie die häusliche psychiatrische Krankenpflege und die Soziotherapie . Diese sollen durch ein multiprofessionelles und mobiles Team bereitgestellt werden (vgl. Kap. 2.3). Ein weiteres Kernstück der Versorgung stellt
die EDV-gestützte Dokumentation und Informationsplattform dar, auf welche die
vertraglich teilnehmenden Leistungserbringer die Versorgung transparent
einsehen und beschreiben können (vgl. Kap. 4.2.4).
In den Studien zum ACT und HT, welche die Grundlage für das NWpG bilden,
erweisen sich zwei Aspekte der Versorgung zur Reduzierung stationärer Aufenthalte als nachhaltig bedeutsam:
„„ „regelmäßige Besuche und
„„ Verantwortlichkeit für Gesundheit und soziale Betreuung“
(Becker et al. 2008, 133)
Die genannten Aspekte begründen sich weiter auf vier theoretischen Annahmen:
„„ „hospital admission can be harmful and unacceptable to patients
„„ difficulties in families and social networks play a large role in many crises
„„ managing crises in the community is an opportunity for patients to develope valuable skills
„„ relationships between patiens and professionals are different when crises are managed at home“
(Johnson/Needle 2008, 82)
31 Seit Oktober 2010 nimmt auch die KKH Allianz als weitere Krankenkasse als Vertragspartnerin teil.
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Theoretischer Teil
Auch im Rahmen einer gemeindeorientierten Versorgung spielen sowohl die Vermeidung von Zwangsmaßnahmen eine Rolle, wie auch die mitunter traumatisierenden Erfahrungen der Betroffenen in der Vergangenheit. Insbesondere bei
der Zuspitzung von Krisen kann in Ausnahmefällen die Notwendigkeit bestehen,
Zwangsmaßnahmen zu veranlassen. Sicherlich soll die ambulante Krisenversorgung aber genau an diesem Punkt zur Vermeidung erneuter Erfahrung von Druck
oder Zwang ansetzen.
„It is important, therefore, that CRT32 members all understand that coercion can be legitimate, ethical and justifiable, and there should be open discussion about which coercive acts are or are not acceptable.“
(Bindman 2008, 225).
In der Untersuchung ambulanter Behandlungsmodelle zeigt sich weiter, dass
bereits die Behandlung zu Hause und die damit verbundene Einbeziehung des
sozialen Netzes als derart massiver Eingriff erlebt werden kann, dass manche
Klienten einen stationären Aufenthalt bevorzugen (Bindman 2008, 223). Daher
werden die Nutzer des NWpG in den sogenannten Begrüßungsgesprächen über
die Leistungen und die erwünschte Einbeziehung des Umfelds, wie auch auf
über die Versorgung zuhause informiert. In seltenen Fällen führte diese Information zu einer Kündigung seitens der Nutzer, oft aber zu Vorbehalten, die nur über
einen längeren Verlauf und über die Gestaltung der Beziehung zu den Bezugsbegleitern bearbeitet werden konnten (vgl. Kap. 4.3.6).
2.4 Managed Care und Integrierte Versorgung
Das aus den USA herrührende Konzept des Managed Care oder auch
Integrated Care genannt, stellt eine Form der Integrierten Versorgung dar.
Anhand betriebwirtschaftlicher Prinzipien wird häufig mittels des Instruments
von Case Management für eine vorab definierte Zielgruppe die Gestaltung der
Versorgung sowie die Koordination dieser übernommen (vgl. Ewers 2005
33f; Kap. 2.3.1). Die hierunter subsumierte Versorgung orientiert sich an
ökonomischen sowie qualitativen Aspekten. Eine einheitliche Definition zum
32 CRT: Crisis Resolution Teams
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Theoretischer Teil
Managed Care besteht derzeit nicht und alle Versuche, hierzu eine klare
Formulierung zu treffen, sind eng mit ökonomischen Gesichtspunkten verknüpft,
die auf wachsende Gesundheitsausgaben reagieren (vgl. Ewers 2005, 44f).
Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2009, 137f) definiert
Managed Care wie folgt:
„Als Managed Care wird ein Versorgungssystem bezeichnet, das die Leistungserbringung
und Finanzierung in unterschiedlichem Ausmaß zusammenfasst. (...). Managed Care
verfolgt die Ziele, Sektoren und Leistungserbringer im Sinne einer regionalen, outcomeorientierten Gesundheitsversorgung zu integrieren sowie deren Effizienz u. a. durch
Zielgruppenorientierung und Prävention sowie Generationenbezug zu verbessern.“ Die Forderungen an Managed Care beinhalten im Wesentlichen eine sektorund berufsgruppenübergreifende Versorgung zu verwirklichen, die ambulante
Behandlungsformen priorisiert und mittels gezielter Steuerung die Behandlungskette über die Sozialgesetzbücher hinweg ermöglicht. Zudem sollen somit
Über-, Fehl-, und Unterversorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenkassen, vermieden werden und ein Anreizsystem für die Leistungserbringer zur
Verbesserung der Versorgungsqualität geschaffen werden.
Allgemein stellt Managed Care die Umsetzung von Managementprinzipien
dar. Mittels selektiver Vertragsabschlüsse zwischen Leistungsfinanzierern, und
-erbringern sollen zuvor festgelegte Leistungen installiert werden. Die Umsetzung soll sich im weiteren Verlauf an einer Kostensenkung bei gleichzeitiger
Qualitätssicherung und -steigerung orientieren (Amelung et al. 2009, 54). Unter
dem Begriff des Managed Care ist daher keine klare Methode eruierbar.
„Managed Care ist ein Instrumentenbaukasten für die Reorganisation des Gesundheitswesens mit dem Ziel, marktförmigen Verhaltens- und Denkweisen zum Durchbruch zu
verhelfen.“
(Amelung et al. 2009, 54)
Neben der betriebswirtschaftlichen Orientierung, stellt die Organisationsform
einen weiteren wichtigen Faktor des Managed Care dar. In den USA strukturieren
sich die Organisationen häufig in sogenannte Health Maintenance Organisations
(HMOs) oder Preferred Provider Organisations (PPOs). Der vormalige Fokus auf
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Theoretischer Teil
HMOs wurde dabei zunehmend, wenn auch zögerlich, auf populationsorientierte
Versorgungsformen, sogenannte Purchasing Population Health, verlagert. Dies
bedeutet auch eine Verlagerung der Kosten-Nutzen-Analyse des Einzelfalls hin
zu Patientengruppen. Innerhalb dieser erhalten die Versicherten im Krankheitsfall Leistungen, die sich entlang der gesamten Versorgungskette orientieren (vgl.
Ewers 2005, 39f). Die versicherten Patienten einer Region sollen Leistungen
„aus einer Hand“ erhalten, die mittels Koordinations- bzw. Steuerungsverfahren
ermittelt werden. Zudem soll ein „weitestgehend kontinuierliches, integriertes
und ergebnisorientiertes Versorgungsangebot“ gewährleistet werden (ebd., 39).
Dies soll den Forderungen hinsichtlich einer Integrierten Versorgung Rechnung
tragen, die auf Diskontinuitäts- und Desintegrationsprobleme reagieren möchte.
Ein weiteres wesentliches Element innerhalb solcher Versorgungsformen stellt
die verstärkte Orientierung an Prävention und Gesunderhaltung dar, da nur durch
deren Gewährleistung längerfristig Gewinn möglich ist (vgl. Koch 2009, 43).
Nach Amelung (2009, 153f) lässt sich derzeit noch nicht absehen, welchen
Beitrag Managed Care zur Performance des Gesundheitswesens einnehmen
kann. Daher zieht er fünf Kriterien aus der Wirtschaft zur Beurteilung heran:
„„ Präfenrenzgerechte Versorgung
„„ Produktionstechnische Effizienz
„„ Anpassungsfähigkeit
„„ Dynamische Effizienz
„„ Leistungsgerechte Einkommensverteilung
Zusammenfassend lässt sich das wesentliche Ziel von Managed Care als
effiziente Steuerung von Kosten und Qualität im Gesundheitswesen verstehen
(Amelung 2009, 5). Zudem wird auf der Ebene von Versicherungsmodellen ein
Wettbewerb angestrebt, der sich nicht mehr nur auf der Ebene von Leistungserbringern oder aber Krankenkassen abspielt. Die HMOs und der hierunter bestehende
Zusammenschluss von Leistungserbringern soll diese animieren den Krankenversicherern zudem „konkurrenzfähige Angebote zu entwickeln“ (Amelung 2009, 9).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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Theoretischer Teil
„Ziel ist, dass sich die Leistungserbringer zu konkurrierenden ökonomischen Einheiten
formieren und auf der Basis von Anreizen effiziente und qualitativ hochwertige Versorgungssysteme entwickeln.“
(Berger 2009, 288)
Wie bereits erläutert stellt das Managed Care keine geschlossene Theorie dar,
jedoch werden Instrumente, wie das selektive Kontrahieren, Vergütungssysteme wie das Capitation-Modell oder Pay for Perfomance oder aber patientenbezogenene Modelle wie das Gate-Keeping und das Disease-Management
darunter zusammengefasst. Die innerhalb des Projekts des NWpG relevantesten
Instrumente sollen nachfolgend kurz erläutert werden.
2.4.1 Die Instrumente des Managed Care
Die wesentlichen Managed Care-Instrumente, die sich unter einem Dach befinden können, lauten wie folgt:
Prämiengestaltung
Vergütungssystem
Selbstbeteiligung
Kopfpauschalen
Bonus-Malus-System
Fallpauschalen
Wahltarife
Budgetierung
Gatekeeping
Qualitäts- und Kostensteuerung
Disease- und Case-Manager
Zweitmeinungen
Prävention
Utilization Review
Behandlungsleitlinien
Evaluationsverfahren
Die Instrumente des Managed Care
(Dar. 3, nach Amelung et al. 2007, 115f)
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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In allen Formen des Managed Care findet das selektive Kontrahieren Anwendung, was bedeutet, dass die Versicherer nicht mehr mit allen bestehenden
Leistungserbringern Verträge abschließen, sondern gezielt auf Einzelne
zugehen können. Es stellt damit einen wesentlichen Kern des Managed Care
dar und kann somit die Wahlfreiheit der Versicherten einschränken, während
die Wahlfreiheit der Leistungserbringer maßgeblich von der Ausgestaltung des
Vertrages abhängt. Die hierfür zugrunde liegenden Ziele lauten wie folgt:
„„ Kontrolle der Kosten
„„ Sicherung der Qualität respektive Einflussnahme auf die Leistungserstellung (Definition von Zielen) und
„„ Planungssicherheit
(Amelung 2009, 12).
Zu den Vergütungssystemen die innerhalb einer Managed Care-Struktur in Frage
kommen, zählt das sogenannte Capitation- oder Kopfpauschalen-Modell. Dabei
wird Leistungserbringern pro Versicherten und Jahr eine Versorgungspauschale
zur Verfügung gestellt, die für alle vertraglich festgelegten Leistungen verwendet
werden muss.
„Capitation ist eine umfassende prospektive Vergütung, die kontaktunabhängig alle (eingeschriebenen) Versicherten und alle anfallenden Leistungen einbezieht“
(Sachverständigenrat 2009, 139).
Das Capitation-Modell ermöglicht es der Krankenkasse, mittels eines risikoadjustierten und prospektiven Vergütungssystems, dem sogenannten Predective
Modelling, das finanzielle Risiko teilweise auf den Leistungserbringer zu übertragen. Um bei diesem Modell der Finanzierung nicht Gefahr zu laufen, Leistungen
zu verwehren und damit auch eine Unterversorgung zu fördern, sind Qualitätskontrollen nach validen Indikatoren unabdingbar (vgl. Sachverständigenrat
2009, 14). Zudem besteht die Möglichkeit einer Bonus-Zahlung im Sinne einer
Erfolgsorientierung, dem sogenannten Pay for performance, als zielbezogener
Leistungsanreiz (vgl. Klusen et al. 2010, 98ff)33.
33 Eine reine Vergütung nach diesem Prinzip findet kaum Anwendung, sondern wird wie im vorgestellten Modell,
gemeinsam mit der Capitation-Pauschale zugrunde gelegt. Nach derzeitigem Stand ist diese Vergütung wohl
eher einem Risikopool oder Capitation-Pool zuzuordnen, das im Bedarfsfall für Mehrausgaben verwendet wird,
jedoch nicht für reine Krankenversicherungsleistungen verwendet werden kann (vgl. Amelung 2009, 15).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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Ähnlich dem Case Management soll mittels des Organisationsansatzes eines
Disease Management oder Chronic Care für Versicherte mit kostenintensiven,
chronischen Verläufen die Versorgung kontinuierlich und über Sektoren hinweg
gestaltet werden. Dabei sollen sowohl Verhaltensänderungen der Versicherten
wie auch der Leistungserbringer in den Fokus genommen werden und Ansätze
aus dem Qualitätsmanagement und damit verbundene Wertschöpfungsprozesse aufgegriffen werden (vgl. Amelung 2009, 5ff). Die wesentlichen Elemente eines solchen Disease Managements bilden auch die Grundlage für das in dieser
Arbeit vorgestellte Modell des NWpG:
„„ Ein integriertes Versorgungsmodell
„„ Leitlinienorientierte Versorgung
„„ Klinisches und administratives Versorgungssystem
„„ Vergütung, die auch Outcome-Parameter einbezieht
„„ Einbeziehung von Qualitätsmanagement
„„ Einbeziehung der Nutzer und Förderung der Patientensouveränität durch unterschiedliche Maßnahmen
„„ Kooperationsmodell der Leistungserbringer
(vgl. Amelung 2009,19f)
Häufig findet innerhalb einer Integrierten Versorgung das Instrument des Case
Management Anwendung und zielt nach Ewers und Schaeffer (2005, 8) auf
den Einzelfall ab. Es dient der Patientenorientierung und -partizipation bei einer
Fokussierung auf das zu erreichende Ergebnis in einem „komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitswesen“. Case Management ist die
Methode, die der Fragmentierung und Zersplitterung als Antwort dient und weg
von einer rein monoprofessionell ausgerichteten Orientierung tätig werden soll
(vgl. ebd., 8). Ein weiteres wesentliches Instrument des Managed Care wie auch
einer Integrierten Versorgung stellt die Qualitätssicherung dar. So soll die vorliegende Arbeit einzelne Prozessabläufe innerhalb einer Integrierten Versorgung
untersuchen, wie auch einrichtungsübergreifende Schnittstellenarbeit hinsichtlich
ihrer intendierten Ausrichtung und Zielsetzung näher beleuchten (vgl. Kap. 4.2).
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2.4.2 Integrierte Versorgung
Integration, aus dem Lateinischen herrührend, bedeutet die „(Wieder-)
Herstellung eines Ganzen“ (Duden 2001, 447). Dies auf die Gesundheitsversorgung zu transferieren würde bedeuten, die Schnittstellen zwischen den
Zuständigkeiten, zwischen „ambulant und stationär“ und auch zwischen den
Professionen aufzulösen, um die Versorgung in ein Ganzes zu überführen.
Eine der Zielsetzungen soll die Überwindung von sektoralen Grenzen mittels
einer Integrierten Versorgung darstellen (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 26).
Konzeptionell stellt die Integrierte Versorgung eine Koordinierung der gesundheitsbezogenen Dienstleistungen mittels Versorgungspfaden unterschiedlicher Einzelakteure in einer bestimmten Versorgungsregion dar. Oftmals unterscheiden sich die Konzepte darin, ob es sich um eine rein medizinische
Versorgung handelt oder aber pflegerische und soziale Aspekte integriert werden.
Seit 2000 wird durch den Gesetzgeber mittels § 140a ff SGB V ein Instrument
zur sektoren- und fächerübergreifenden Behandlung ermöglicht (vgl. ebd., 26ff).
Nach Faulbaum-Decke und Zechert (2010, 11) soll dies zur „Überwindung der
versäulten Strukturen“ dienen und „die Schaffung neuer Kooperationsbündnisse sowie Netzwerkstrukturen und damit neuer wirtschaftlicher und qualitativer Effekte“ ermöglichen. Hierdurch entsteht die Möglichkeit, dem Erhalt der
Gesundheit den Vorrang vor Krankheit zu erteilen. Mittels ambulanter
Komplexleistungen soll eine verbesserte Behandlungskonstanz- und abstimmung über die Sektorengrenzen hinweg erreicht werden (Brederode 2010,
42ff). Dabei können sich unterschiedliche Leistungserbringer innerhalb eines
Modells der Integrierten Versorgung zusammenschließen, die sich mittels eines
Qualitätsmanagementprozesses auf gemeinsame Leitlinien der Versorgung verpflichten, die Kommunikation der einzelnen Anbieter gewährleisten sowie einer
gemeinsamen Dokumentationsvereinbarung nachkommen (Eben 2007, 85).
Zudem soll eine interne Qualitätssicherung gewährleistet werden, die mittels
eines einheitlichen Dokumentationssystems sowie Fallbesprechungen, Netzwerkkonferenzen, Supervisionen und Fortbildungen umgesetzt werden soll.
Ebenso besteht die Forderung nach einer externen Qualitätssicherung, die sich
unter anderem durch eine systematische Auswertung der Qualitätsindikatoren
der Versicherten seitens der jeweiligen Krankenkasse umsetzen lässt (vgl. ebd.;
94; Kap. 2.3.1).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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Die Motivation für die Schaffung von Modellen zur Integrierten Versorgung
liefern nach Koch (2009, 32) Informationsdefizite, Steuerungs- und
Koordinations-, sowie Anreizdefizite. Diese münden nicht selten in eine Über-,
Unter- oder Fehlversorgung. Zudem erhöht sich durch die Vollversicherung im
Rahmen der Krankenversicherung das Risiko, Krankheitsprävention zu wenig
einzubeziehen und einen Anreiz erhöhter Inanspruchnahme von Leistungen
zu schaffen. Hinzu kommt die Diversifizierung und Zergliederung dieser, meist
vorgehalten durch unterschiedliche Leistungsanbieter (vgl. ebd.). Dies fordert
von den Betroffenen, die durch ihre Erkrankung besonders vulnerabel sind, die
Auseinandersetzung mit einer komplexen Versorgungsstruktur. Innerhalb dieser
stehen unterschiedliche „strukturell getrennte und kulturell verschiedene
Organisationen“ zur Verfügung, die sich außerdem aus unterschiedlichen
Professionen zusammensetzen (vgl. Becker 2008, 109). Durch die künftige
Einführung von Fallpauschalen34 und einer damit möglicherweise weiter
sinkenden Verweildauer im stationären Bereich ist ein komplexer und eventuell erhöhter Behandlungsbedarf im ambulanten Bereich zu vermuten. Daher
wird die Anforderung an eine Vernetzung ambulanter Versorgungsformen hinsichtlich der Sicherstellung der Versorgung von Menschen in einer postakuten
Stabilisierungsphase, wie von Menschen mit wiederkehrenden psychischen
Störungen weiter wachsen (vgl. Eben 2007, 84ff). Neben allen ökonomische
Aspekten und Interessen der Beteiligten innerhalb der Gesundheitsversorgung
soll die Integrierte Versorgung den Patienten folgende Vorteile bieten:
„„ ein höheres Maß an Leistungstransparenz
„„ Informationen über den Versorgungsstand
„„ mehr Mitbestimmungs- und Einwirkungsmöglichkeiten
„„ größeres Vertrauen zu den Leistungsanbietern
„„ ein erweitertes Leistungsspektrum
„„ zusätzliche Serviceangebote
„„ eine leistungsgerechte Finanzierung
(Greuel/Mennemann 2006, 43)
34 Fallpauschalen werden als Diagnosis Related Groups, kurz DRGs, bezeichnet.
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Zudem werden künftig Aspekte des Qualitätsmanagements eine maßgebliche
Rolle spielen und damit auch die Optimierung von (Kern-)Prozessen. Diese
basieren vermehrt auf wissenschaftlicher Erkenntnis, unter anderem der
evidenzbasierten Medizin (EBM), und der Fokus der Tätigkeit wird sich verstärkt
an Qualitätsstandards orientieren (vgl. Amelung et al. 2009, 168).
2.4.3 Der Bedarf an Vernetzung
Gerade bei Menschen mit rezidivierenden psychischen Störungen oder längerfristigen Beeinträchtigungen fehlt es bislang häufig an einem nahtlosen Ineinandergreifen der einzelnen Akteure, sowohl zwischen „stationär“ und „ambulant“, als auch „ambulant“ und „psychosozial“. Daher entsteht der Bedarf der
Gestaltung eines differenzierten Behandlungsplans für die ambulante
Versorgung als auch eine Vernetzung der möglichen Beteiligten (vgl. Gaebel
2005, 132). Nach wie vor ist diese bereits seit längerem geforderte Zusammenarbeit nicht mehr als eine „Willensäußerung“ (vgl. Becker et al. 2008, 71; Mendel
2010).
Während die psychiatrischen Krankenhausbetten abgebaut wurden, stieg die
Zahl der Aufnahmen parallel dazu an (vgl. Becker et al. 2008, 85; Kap. 2.1.3).
Dies mag zum einen mit der Verkürzung der Verweildauer in Zusammenhang
zu setzen sein, zum anderen entsteht die Frage, inwiefern ein nicht gelingendes Überleitungsmanagement hierauf Einfluss nimmt (vgl. ebd.). Die über viele
Jahre bestehende Arbeitsteilung zwischen Gemeindepsychiatrie und Klinik mit
einer meist deutlichen Trennung zwischen Behandlung und Rehabilitation hat
in den letzten Jahren verstärkt zugenommen und die Teilsysteme zunehmend
voneinander getrennt (vgl. Brederode 2010, 40; Kap. 2.1.4). Diese Arbeitsteilung vollzieht sich nicht nur bezüglich der Trennung der Versorgung in akute Behandlung und langfristiger Eingliederung chronisch kranker Menschen,
sondern auch in den Zuständigkeiten der Professionen: bei ersterem Medizin
und Pflege, bei zweiterem die Sozialarbeit. Bemühungen, ein verbessertes
Überleitungsmanagement aus der Klinik in den ambulanten Bereich zu gewährleisten, bleiben aufgrund fehlender institutioneller Zuständigkeiten und
notwendiger Prozessabläufe eher ein Wunsch als ein notwendiger Baustein einer gelungenen und vor allem kontinuierlichen Versorgung (vgl. Mendel 2010).
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Die beschriebenen Tendenzen spiegeln sich in allen Schnittstellen wider: Sowohl
Leistungserbringer des SGB V und des SGB VII Bereiches können sich meist
nicht sicher sein, ob die Betroffenen bei dem von ihnen empfohlenen ambulanten
bzw. psychosozialen Dienst angekommen sind.
Das Leistungsangebot im psychiatrischen und psychosozialen Bereich ist
komplex und besonders in Großstädten unübersichtlich. Daher zeichnet sich auch
die Vernetzung zwischen ambulanten bzw. gemeindepsychiatrischen Diensten
oftmals als problematisch aus (vgl. Rössler/Theodoridou 2006,113). Baer und
Kollegen (2009, 24) kommen daher zu dem Schluss, dass dies wiederum ein
Grund ist, weshalb eine (Wieder-)Eingliederung häufig nicht in vollem Maß gelingt.
2.4.4 Interdisziplinäre Schnittstellen – die Notwendigkeit einer gemeinsamen
Sprache und Haltung
Das in dieser Arbeit vorgestellte Modell einer gemeindeorientierten ambulanten
Versorgung zielt auf ein multiprofessionelles und teambasiertes Arbeiten ab.
Dies setzt nach Aderhold (2010, 112) ein „gutes gemeinsames Grundverständnis
und kollegiale Sympathie und Wertschätzung voraus“. Es bedeutet auch, „flachen Hierarchien“ tätig zu sein und fördert die Gleichwertigkeit der einzelnen
Professionen. Aufgrund des bestehenden Rollenverständnisses stellt dies vor
allem an die Profession der Ärzte eine erhöhte Anforderung. Zugleich ermöglicht der multiprofessionelle Blickwinkel eine Orientierung auf Vielperspektivität
und kann zudem Entlastung schaffen. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2009, 164) weist in seinem Gutachten auf die künftig verstärkte Einbeziehung nicht-ärztlicher Professionen innerhalb der Gesundheitsversorgung
hin. Dies soll unter dem Fokus eines multiprofessionell tätigen Teams umgesetzt
werden:
„Insbesondere Ärzte und Pflege können durch Teamstrukturen und gegenseitige Nutzung
der Kompetenzen sehr voneinander profitieren und im Gegensatz zu oft geäußerten Befürchtungen an Autonomie und beruflicher Performance gewinnen. Eine weitergehende
Kooperation dieser Berufsgruppen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die
Bewältigung der kommenden Anforderungen“
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Aspekte eines real erlebbaren Kontrollverlustes wie auch von Einflusssphäre
und Autonomie können in diesem Kontext nicht unberücksichtigt bleiben (vgl.
Amelung et al. 2009, 168). Sollen in Netzwerkbezügen einer Integrierten Versorgung die einzelnen Handlungsfelder wie „cure“, als originiär medizinische Aufgabe, „care“ als pflegerische oder Betreuungsaufgabe sowie das „controlling“ als
Managementaufgabe zunehmend enger verzahnt werden, gilt es diese Einflusssphären und Identitäten einzubeziehen, um nicht unmittelbare Abgrenzungsund Abstoßungsgefahren zu provozieren (ebd.,178)35. Dies erfordert einen
respektvollen Umgang bei einem bis dato noch klaren Rollen- und Professionenverständnis. Obwohl Amelung und Kollegen (2009, 178ff) die zunehmende
Auflösung der starken Trennung von „cure“ und „care“ in einer Integrierten
Versorgung beschreiben, ist dies in der Praxis weiter ein brisantes Thema, ist
die „Behandlung“ derzeit eine rein ärztliche Aufgabe. Um künftig eine arbeitsteilige Beziehung zu ermöglichen, gilt es mittels gegenseitiger Wertschätzung und
gemeinsamer Erfahrungswerte eine wachsende Vertrautheit herzustellen. Die
Basis einer gelungenen Vernetzung basiert auf einer kompetenten, verlässlichen
und kooperativen Praxis. Dies bedeutet, das jeweils andere Referenzsystem und
dessen Handlungslogik kennenlernen zu wollen ohne es vollständig übernehmen
zu müssen oder es geringer zu schätzen (Amelung et al. 2009, 184).
2.4.5 Die Erwartungen an eine Integrierte Versorgung
Psychische Störungen können einen wiederkehrenden oder aber chronischen
Verlauf annehmen. Anders als bei vielen körperlichen Erkrankungen kann dieser Verlauf raschen Schwankungen unterliegen oder aber in eine komplexe
Behinderung münden, die eine Vielzahl unterschiedlicher Interventionsebenen bedarf, wie etwa der Behandlung, Betreuung oder Rehabilitation. Diese
spannen sich nicht nur über diverse Leistungserbringer, sondern bringen auch
unterschiedliche Zuständigkeiten der Leistungsträger mit sich (vgl. Rössler/Theodoridou 2006, 113). Diese Zersplitterung zieht eine unübersichtliche
Fragmentierung mit sich, in welcher Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
nicht oder kaum geregelt sind und den Lebensalltag der Betroffenen zusätzlich belasten sowie eine kontinuierliche „Behandlungskette“ nahezu unmöglich
machen (vgl. ebd.). Zunehmend werden daher Modelle der Integrierten
35 Die beschriebene Auflösung der starken Trennung zwischen „cure“ und „care“ stellt ein brisantes Thema dar,
da die Behandlung derzeit nur der Profession der Ärzte obliegt.
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Versorgung diskutiert und in der Praxis implementiert. Ein elementarer Baustein zielt dabei auf Stärkung der psychosozialen Versorgung in allen Phasen
der Versorgung ab, also nicht mehr nur im rehabilitativen Kontext. Dies erfordert perspektivisch die enge Verzahnung zahlreicher Leistungserbringer, wie
etwa Kliniken, Fachärzte, Sozialpsychiatrische Dienste, u.a., die als zusätzliche
Herausforderung durch unterschiedliche Finanzierungsformen getragen werden.
Nach Ruprecht (2010, 84f) sollen damit nicht nur Hilfen über die Sektoren hinweg
ermöglicht, sondern vielmehr der Zugang zu einer niedrigschwelligen, wohnortnahen, 24-stündigen Versorgung gewährleistet werden. Wird diese unter Einbeziehung der Betroffenen wie auch deren Angehöriger gestaltet, bietet sie eine
nachhaltige Möglichkeit der Stabilisierung und trägt somit dem Entgegenwirken
von Chronifizierung und Exklusion bei.
Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens führt zu Befürchtungen hinsichtlich einer Leistungsvorenthaltung aufgrund wirtschaftlicher Interessen. Daher besteht seitens der Organisationen eine immanente
Notwendigkeit, mittels Kontinuität, positiver Erfahrungen sowie einer gelungenen
Öffentlichkeitsarbeit bei den Patienten Vertrauen aufzubauen (Amelung 2009,
5f). Die Integrierte Versorgung soll somit eine Möglichkeit darstellen, die Versorgung bedarfs- aber auch bedürfnisgerecht zu gestalten. Sie muss sich aber
zugleich der Herausforderung stellen, Effektivität und Kosten mittels internem wie
externem Qualitätsmanagement sowie Studien zu untersuchen. Die Öffnung hinsichtlich einer Anbieterkonkurrenz sollte nach Becker und Kollegen (2008, 173f)
nur auf Menschen mit schweren psychischen Störungen abzielen. Eine solche
Anbieterkonkurrenz würde bei einer transparenten Darstellung der Ergebnisse,
eine Steuerung der Nutzer und so eine gezielte Entscheidung für ein spezifisches
Angebot ermöglichen.
Managed Care wird zuweilen kontrovers diskutiert während Modelle der
Integrierten Versorgung eher befürwortet werden. An dieser Stelle ist festzustellen, dass eine Integrierte Versorgung dem Managed Care oder aber Integrated
Care gleichzusetzen ist (Amelung et al. 2009, 2)36. Häufig wird das Managed
Care nur auf Aspekte der Gewinnmaximierung oder Kostenreduktion beschränkt.
36 Der Sachverständigenrat (SVR 2009, 25) weist bei der Empfehlung zur Implementierung von Strukturen und
Instrumenten des Managed Care darauf hin, dass keineswegs eine Adaption des amerikanischen Gesundheitssystems stattfinden soll, sondern zunächst eine Überpüfung der Anwendbarkeit stattfinden sollte. Bisherige
Untersuchungen, die Kritikpunkte wie Risikoselektion und Leistungsverweigerung aufgriffen, zeigen in der
Tendenz leicht positive Effekte. Dies spricht für die Anwendung einzelner Instrumente und eine Anpassung an
das bestehende Versorgungssystem.
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Indess ermöglicht es im deutschen Gesundheits- und Sozialsystem erstmalig
eine deutliche Ausrichtung der Versorgung auf die Förderung und Erhaltung von
Gesundheit, während bis dato alle Leistungen ohne weitere Prüfung auf die tatsächliche Effektivität und Notwendigkeit vergütet wurden (Klüsener 2010). Die
Gefahr, dass Managementgesellschaften den Versicherten Leistungen zum
Zwecke der Kostenersparnis vorenthalten könnten, kann mit der aktiven Rolle
in der Gestaltung der Versorgung entkräftet werden. Zudem ist festzustellen,
dass sich Qualität und Kosten nicht zwingend ausschließen müssen oder gar
konkurrieren. Indem Leistungserbringer Verantwortung für die Kosten übernehmen, ist eine Orientierung an einer hohen Effizienz bei einem zugleich
präventiven Ansatz und damit auch einer Gesunderhaltung und langfristigen
Stabilisierung zwingend (vgl. Sachverständigenrat 2009: 14).
Durch eine gezielte Qualitätssicherung, die ein wesentliches Element innerhalb
einer Integrierten Versorgung darstellt, soll die Qualität weiterentwickelt und
implementiert werden. Qualitätskontrollen stellen daher im Rahmen einer
derartigen Versorgung ein wesentliches Instrument dar (vgl. Kap. 4.2). Diese
sollen zudem die Gefahr der Einsparung und die damit befürchtete Unterversorgung und parallel die Verbesserung der Qualität in den Blick nehmen. Hinsichtlich der Ergebnisse im Bereich Managed Care sei angemerkt, dass es in
den Untersuchungsergebnissen bisher zu keine klaren Ausschlägen nach unten
oder oben kam. Dennoch konnte eine deutliche Kostenreduktion insbesondere in
der Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich verzeichnet
werden (Amelung 2009, 26).
In den aktuellen Projekten der Integrierten Versorgung sollen vermehrt psychosoziale Interventionen in den Fokus genommen werden. Dies bedeutet nicht nur,
die unterschiedlichen Leistungserbringer in die Versorgung einzubeziehen und
diese zur weiteren Gestaltung der Versorgung innerhalb der Integrierten Versorgung zu gewinnen, sondern auch die notwendigen strukturellen Voraussetzungen hierzu zu schaffen.
Das in dieser Arbeit vorgestellte Modell der Integrierten Versorgung intendiert
mit seiner Tätigkeit nicht nur auf die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, sondern auch auf deren Verkürzung. Die Entlassung aus dem Krankenhaus
kann dabei stets mit einer erhöhten Vulnerabilität einhergehen, erneut zu erkranken - auch eine gelungene Entlassplanung mag dies nicht immer zu verhindern.
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Theoretischer Teil
Auch hier soll die Integrierte Versorgung ansetzen und insbesondere Betroffenen, die unter langwierigen Beeinträchtigungen leiden, eine kontinuierliche Versorgung ermöglichen und damit Behandlungsabbrüchen entgegenwirken37. Die
psychiatrische Versorgung stellt dabei besondere Anforderungen und reale
Hürden an die Betroffenen, da die Leistungserbringer in Anzahl, Vielfalt und
Spektrum der Leistungen Unterschiede aufweisen. Die Integrierte Versorgung
soll die Steuerungsfunktion einnehmen und mittels Netzwerkbezügen eine Vernetzung über die bestehenden Systemgrenzen hinweg ermöglichen (vgl. ebd.
109)38. Dabei ist zu erwarten, dass ein erster Schritt in eine „echte“ Integrierte
Versorgung erst gelingen kann, wenn auch die Kliniken als Leistungserbringer
einbezogen werden. Dies wiederum stellt sich als schwierig dar, da zunächst die
Verortung einer Integrierten Versorgung sowie die Zuständigkeiten geklärt sein
müssten (vgl. Witzmann 2009).
Die Einführung einer integrierten, sektorüber- wie ständeübergreifenden Versorgung stellt wohl eine der größten Herausforderungen für die Umgestaltung
des Gesundheitswesens dar. Auch historisch gewachsene Macht-, Einfluss-,
und Interessenskonflikte der involvierten Professionen oder aber zwischen
ambulanten und stationären Leistungserbringern, gepaart mit politischen
Aspekten und Kostenträgerperspektiven, bedeuten künftig eine reale Anforderung für die gelungene Umsetzung von Modellen der Integrierten
Versorgung.
37 Als Gründe für solche Abbrüche können individuelle Ängste und negative Erfahrungen mit dem „Helfernetz“,
eine weiterhin bestehende Symptomatik oder aber fehlendes Wissen über die ambulanten Einrichtungen genannt werden.
38 Dieser Problematik wollen auch die psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) begegnen, haben aber
keine wirkliche Steuerungswirkung (Amelung 2009, 109). Die in den GPVs und PSAGs vergleichsweise
geringe Steuerungswirkung lässt sich durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Organisationen mit ihrer
jeweiligen Logik begründen (vgl. Witzmann 2009). Becker und Kollegen (2008, 110) beschreiben für die bislang
kaum implementierte teambasierte psychiatrische Versorgung, die auch akute Krisen aufsuchend versorgt,
fehlende Anreize bei einer fehlenden Gesamtverantwortung als ursächlich an.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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Empirischer Teil
II Empirischer Teil
3 Die Umsetzung einer Integrierten Versorgung in der Gemeindepsychiatrie
Die empirische Darstellung des NWpG kann als Vorstufe einer Versorgungsforschung verstanden werden, die dem Auftrag nachkommen soll, die konkrete
Kranken- und Gesundheitsversorgung zu untersuchen.
„Dadurch ist sowohl die medizinische und psychosoziale Versorgung der Kranken als
auch die professionelle Prävention und Gesundheitsförderung bei Gesunden Gegenstand
der Versorgung.“
(Neugebauer et al. 2008, 83)
Das Anliegen wäre, ein „lernendes System“ zu gestalten, welches mittels Lernstrukturen und -prozessen dazu führt, die Umsetzung der zentralen Ziele der
Versorgung „Patientenorientierung, Qualität und Wirtschaftlichkeit“ zu gewährleisten (vgl. ebd.). Versorgungsforschung beinhaltet dabei von fünf wesentlichen
Aspekten geprägt, nämlich Beschreibung, Erklärung, Gestaltung, Intervention
sowie Evaluation. Diese Grundfragen werden innerhalb der vorliegenden Arbeit
zum Teil tangiert. So wurden im ersten Teil die gegebene Kranken- und Gesundheitsversorgung im NWpG beschrieben, wie auch deren Entstehung erklärt.
Zudem wurden alternative Versorgungsansätze erläutert. Im empirischen Teil
wird nun die Umsetzung dieser Grundlagen evaluativ näher betrachtet. Lediglich die Wirksamkeit des NWpG kann nach Projektlaufzeit noch nicht durch eine
summative Evalution erhoben werden(vgl. Neugebauer et al. 2008, 84).
Die Arbeit möchte dabei das komplexe Feld dieser Institution untersuchen und
sich zudem der Sicht einer oder mehrerer Subjekte, die in und mit der Institution
agieren, annähern. Um das Feld dabei enger zu umschreiben, werden zunächst
Schlüsselkonzepte erläutert, welche die relevantesten Aspekte darstellen sollen.
Anschließend wurden Forschungsperspektiven und Methoden kombiniert, um
daraus unterschiedliche Aspekte und Perspektiven herauszufiltern, die den Grad
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
der Gegenstandsnähe erhöhen und Raum für weitere Erkenntnisse eröffnen sollen. Die Untersuchung von Schnittstellen und deren Beziehungen, Strukturen und
Zuständigkeiten im Rahmen einer Organisationsforschung näher zu beleuchten,
stellt dabei eines der zentralen Gebiete der Versorgungsforschung dar und soll
auch ein Schwerpunkt dieser Arbeit sein (Amelung/Wagner 2010, 184 nach Pfaff
2003, 18).
3.1 Das Untersuchungsfeld
Die Integrierte Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll
die qualitative und quantitative Versorgung unter Einbeziehung ökonomischer
Aspekte sowie einer verstärkten Nutzerorientierung und Personenzentrierung
verbessern. Neben der für alle Verträge der Integrierten Versorgung geltenden
Prämisse einer möglichst umfassenden Transparenz der Behandlung sollen
auch die bereits 1975 in der Psychiatrie-Enquête formulierten Grundsätze Beachtung finden, die sich unter Gemeindenähe, aufsuchender Hilfe und Bedürfnisorientierung subsumieren lassen (vgl. Kap. 2.2.1).
Die Integrierte Versorgung des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG),
die mit der Techniker Krankenkasse (TKK) und unterschiedlichen gemeindepsychiatrischen Trägern gegründet wurde, stellt eine Ergänzung der bisher bestehenden Versorgungsangebote dar und soll besonders im Krisenfall sowie
zur Vermeidung erneuter Krisen mittels intensiver Versorgung eine rasche und
bedürfnisangepasste Unterstützung sicherstellen. Sie hat dabei das zuvor beschriebene Ziel, Schnittstellen zu überwinden und Leistungen über diese zu
koordinieren. Dabei sollen die Leistungserbringer entsprechend des gemeinsam
mit dem Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.39 entwickelten Vertrages ebensolche Bausteine bereithalten, die bislang fehlten oder nur lückenhaft bestanden, um so eine schnelle, flexible und 24-stündig verfügbare Unterstützung zu
ermöglichen (vgl. Ruprecht 2010, 84).
Der Vertrag wird aktuell verstärkt mit Leistungserbringern aus dem Bereich
des SGB XII abgeschlossen, welche wiederum eine enge Verbindung zu den
39http://www.psychiatrie.de/dachverband/
Seiten 57
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
Leistungen der Rehabilitation haben40. Hier sollen die Behandlung aus dem SGB
V-Bereich und die Rehabilitation aus dem SGB XII-Bereich erstmalig eng verzahnt
und der Forderung Rechnung getragen werden, diese Bereiche nicht getrennt
voneinander zu betrachten (vgl. Kopelowicz/Libermann 2003, 1491f; Ruprecht
2010, 85). Eine weitere Zielsetzung stellt die Gewährleistung unbürokratischer
und flexibler Hilfen dar, die sich nicht mehr nur am tatsächlich messbaren Bedarf
orientieren (Ruprecht 2010, 84).
3.2 Der Untersuchungsgegenstand – Das NWpG München
(Vincentro)
Das NWpG München, welches unter dem Dach der Awolysis GmbH angesiedelt ist, begann im Februar 2010 mit der Umsetzung der zuvor beschriebenen
Integrierten Versorgung. Das multiprofessionelle Team, welches weitgehend
gleichberechtigt tätig ist, bietet unterschiedliche Leistungen, wie etwa die
aufsuchende Soziotherapie, häusliche psychiatrische Pflege oder aber die fachärztlich aufsuchende Behandlung unter Einbeziehung der Betroffenen und nach
Absprache mit deren familiärem, sozialem, aber auch professionellem Netzwerk (vgl. Kap. 2.2.4). Die Integrierte Versorgung zielt darauf ab, die Betroffenen
soweit möglich in ihrem sozialen Umfeld zu fördern und damit im Optimalfall
krisenbedingende Faktoren im direkten Umfeld zu erkennen und zu bearbeiten.
Mittels Gewährleistung von Beziehungskontinuität soll damit auch einer weiteren Dekompensation im Rahmen seelischer Krise entgegengewirkt werden. Die
zuvor erläuterten Versorgungsansätze stellen die Basis für die Integrierte Versorgung des NWpG München (vgl. Kap. 2.3).
In der Zusammenschau ist festzustellen, dass zum aktuellen Zeitpunkt keines
der Modelle als einzige Grundlage dienen kann. Während das Home Treatment
und die damit verbundene zeitliche Begrenzung einen maßgeblichen Aspekt
der Krisenversorgung darstellt, besteht bei vielen Betroffenen, die innerhalb des
NWpG versorgt werden, auch ein nachhaltiger Versorgungsbedarf im Sinne des
Assertive Community Treatment, der sich nicht grundsätzlich mit einer Über-
40 Seit Oktober 2010 ist auch die KKH-Allianz als zweite Krankenkasse dem Vertrag beigetreten.
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leitung in die sogenannte Regelversorgung durch die Casemanager decken
lässt. Dies ist unterschiedlichen Gründen geschuldet, die im Folgenden zum Teil
näher dargestellt werden sollen.
3.3 Methoden der Erhebung
3.3.1 Durchführung
Die Arbeit beinhaltet eine deskriptive Darstellung des NWpG, die relevante
Aspekte wie etwa die Versorgungsziele, aber auch die strukturelle Umsetzung
des Vertrages einbezieht. Einzelne Themenschwerpunkte werden näher beleuchtet und mit relevanter Fachliteratur in Zusammenhang gestellt.
In Anlehnung an die Heransgehensweise der Input-Forschung werden sowohl
Daten zu den Nutzern der Integrierten Versorgung näher untersucht, als auch
die Inanspruchnahme der Leistungen des NWpG. Zudem werden Aspekte zur
Personalausstattung und zur Qualifikation der Mitarbeiter erläutert und die Art
der Versorgung und deren Inhalte näher skizziert (vgl. Amelung/Wagner 2010,
183). Im Sinne einer Throughout-Forschung werden außerdem organisationale Prozesse und Strukturen dargestellt (Amelung/Wagner 2010, 184). Ein
weiteres Anliegen ist ein prozessbasierter Erkenntnisgewinn sowie die
Beschreibung und Erklärung kultureller Phänomene (ebd., 90). Um die Gesamtdarstellung des NWpG sowie prozess- und ergebnisorientierte Erkenntnisse
plastischer zu gestalten, finden zudem Falldarstellungen Anwendung. Der Zeitraum der Erhebungen umfasst das Jahr 2010.
3.3.2 Stichprobe
Im Rahmen der Evaluation wurden die Daten zu allen eingeschriebenen
Versicherten der Integrierten Versorgung untersucht. Die Grundgesamtheit umfasst, im Zeitraum von Februar 2010 bis einschließlich Dezember 2010, 400
Klienten, wobei 35 hiervon vorzeitig ausschieden und daher nicht in die Erhebungen einfließen. Als Stichprobengröße konnten somit 365 Klienten zugrunde gelegt werden. Es handelt sich um Männer wie Frauen, wobei der FrauSeiten 59
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enanteil mit 63% deutlich höher liegt. Das Alter liegt zwischen 21 und 82 Jahren.
Bei allen Teilnehmern wurden bereits im Vorfeld Diagnosen aus dem ICD-10 gestellt.
3.3.3 Instrumente der Erhebung
Die dargestellten Zahlen wurden zum einen aus der bestehenden Datenbank
und zudem mittels einer quantitativen Befragung der Mitarbeiter des NWpG erhoben, für die als Instrument ein selbstgenerierter Fragebogen zur Verfügung
stand (vgl. Anhang). Die Zahlen der Datenbank wie auch des Fragebogens
wurden anschließend mit Excel ausgewertet. Es wurden im Rahmen der univariaten Methode Häufigkeitsverteilungen zu folgenden Variablen untersucht:
„„ Anbindung zu Kooperationsärzten
„„ Altersverteilung
„„ Primärdiagnosen
„„ Einkommen
„„ Wohnform
Weiter fand eine Untersuchung der bestehenden Schnittstellen zum SGB V und
SGB XII Bereich statt:
„„ Regelversorgung allgemein
„„ Psychotherapie
„„ Sozialpsychiatrischer Dienst
„„ (I)BEW und TWG
Weiter erfolgte durch eine Dokumentenanalyse und eine Sekundärdatenanalyse elektronischer Klientenakten um Prozesse und Verläufe zu untersuchen(vgl.
Neugebauer et al. 2008, 88f).
Seiten 60
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3.4 Untersuchungsziele und Fragestellung
Durch eine populationsbezogene Integrierte Versorgung und der damit verbundenen Koordination von Leistungen, aber auch durch die Sicherstellung
bedürfnisorientierter Versorgung, die bis zu 24 Stunden täglich angeboten
wird, sollen die Nutzer in Krisenzeiten durch intensive Unterstützung einerseits
genesen können und andererseits mit Hilfe einer gemeindeorientierten
Versorgung in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können41. Die Versorgung zielt auf eine Alternative zu stationären Aufenthalten ab, die bisher wegen
fehlender ambulanter Unterstützungsformen Krankenhausaufenthalte oftmals
unvermeidbar machten (vgl. Walle et al. 2010, 103). Zudem soll Chronifizierung
entgegengewirkt und der Empowerment- und Recovery-Gedanke umgesetzt
sowie die bestehenden Behandler, aber auch das soziale Netz einbezogen werden (vgl. Ruprecht 2010, 84).
Zusammengefasst betrachtet, soll generell die gesamte Versorgungssituation verbessert werden. Die einzelnen Zielsetzungen bei der Heranziehung von
Effektivität und Wirtschaftlichkeit lauten dabei:
„„ Senkung der Zahl stationärer Aufenthalte und der Selbsteinweisequoten
„„ Verkürzung bzw. störungsspezifische Optimierung der Verweildauern
„„ Vermeidung von Therapieabbrüchen
„„ Senkung der stationären Wiederaufnahmeraten
„„ Senkung der Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage
(Ruprecht 2010, 88)
Dies wird mittels der anschließend vorgestellten Bausteine als Alternative bzw.
Ergänzung zur bisherigen Versorgungsstruktur umgesetzt, wobei die sogenannte Regelversorgung davon nicht tangiert wird und den eingeschriebenen Versicherten weiterhin zur Verfügung steht.
41 Die Versorgungregion des vorgestellten Projektes umfasst aktuell das Stadtgebiet München, wobei eine Ausweitung in die Landkreise sukzessive gewünscht ist (aus dem TK-Vertrag).
Seiten 61
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Intendiert ist ein verbessertes Ineinandergreifen der bestehenden Leistungserbringer, wie niedergelassenen Psychiatern, Psychotherapeuten sowie
Diensten, die überwiegend über die Eingliederungshilfe finanziert werden42. Seitens der Krankenkassen soll hierdurch eine teilweise Umlenkung der Gelder in
den ambulanten Bereich angestrebt werden und zu einer Anhebung der Qualität der Versorgung führen, während die Gesamtkosten stabil gehalten oder gesenkt werden (Ruprecht 2010, 86). Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, ob diese Bausteine dem erläuterten Anspruch gerecht werden. Das heißt,
dass es zu überprüfen gilt, inwiefern eine derartige Versorgung und deren klare
Fokussierung auf Bedürfnisorientierung, Personenzentrierung und Flexibilität
der Leistungen bei zugleich neuen Leistungsinhalten, wie etwa den Rückzugsräumen, die Zielsetzung erfüllen kann. Zudem soll eine Betrachtung der Schnittstellen erfolgen, deren Überwindung eine maßgebliche Anforderung eine
Integrierte Versorgung darstellt (vgl. Kap. 2.4.2).
42 Die in der Arbeit beschriebene Überwindung der Schnittstellen und die hierzu notwendige Einbeziehung von
professionellen Helfern wie auch Angehörigen, unterliegt klaren Datenschutzrichtlinien. Eine Abstimmung mit
diesen kann nur durch die Entbindung der Schweigepflicht erfolgen.
Seiten 62
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3.5 Zielgruppe der Versorgung
Grundsätzlich kommen alle Patienten der TKK für die Integrierte Versorgung in Frage, bei denen ein psychiatrisches Störungsbild nach dem ICD-10
diagnostiziert wurde und die
„in den letzten zwölf Monaten vor Einschreibung in mindestens einem Quartal Antidepressiva oder Antipsychotika verordnet bekamen oder wegen psychischer Probleme im
Krankenhaus behandelt wurden.“43
(Ruprecht 2010, 86f).
Nach Prüfung und Genehmigung durch die Krankenkasse können Versicherte, welche die Einschlusskriterien nicht erfüllen oder bei denen Ausschlusskriterien vorliegen, in ausgewählten Einzelfällen an dem Vertrag teilnehmen. Bei
der Beurteilung im Einzelfall durch die Krankenkasse sind u.a. folgende Aspekte
zu berücksichtigen44:
„„ eine akut bevorstehende, voraussichtlich länger dauernde stationäre Behandlung
(mehr als vier Wochen) kann vermieden werden
„„ das Behandlungsziel ist durch Teilnahme am NetzWerk psychische Gesundheit im
Vergleich zur Regelversorgung eher und gleichzeitig wirtschaftlicher erreichbar (...)
(aus dem Vertrag)
43 Ausgeschlossen sind bis dato demenzielle Störungsbilder sowie Störungen aus dem Suchtbereich ohne Komorbidität mit weiteren psychiatrischen Störungen.
44 Die Kritierien entsprechen dem Vertragsinhalt und greifen zudem die sogenannrte „Ausnahmeregelung“ auf.
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Die Auswahl der potentiellen Teilnehmer der Integrierten Versorgung nach dem
Modell der TKK wird dabei aus einem „predective modelling“ generiert. Hierbei
werden diese in Fallgruppen, sogenannten Vergütungsgruppen, eingeteilt:
TK-versichert?
Nein
Ja
Alter ≥ 10 ≤ 80
Nein
keine Einschreibung
Ja
ggf. Einzelfallentscheidung
Pflegestufe 1, 2 oder 3
Ja
Nein
F-Diagnose (Anlage B1)
ambulant oder stationär erhalten?
Nein
Ja
Krankenhauskosten im
Selektierzeitraum > 20.000 €
VG 17
Ja
(Haupt-/ Entlassungsdiagnose gem. B1)
Nein
Krankenhauskosten im Selektionszeitraum > 0 € und ≤ 20.000 €
H-/ E-Diagnose
F20.X?
Ja
(H-/ E-Diagnose gem. B1?)
Ja
VG 16
Nein
VG 15
Ja
VG 14
Nein
VG 121
Nein
ambulante Antipsychotika (N05A) im
Sektionszeitraum mind. 2 Quartale?
Ja
mind. 1 Quartal im
Selektionszeitraum mit F20.X
ambulant oder stationär?
Nein
Krankengeldtage > 0 im Selektionszeitraum (AU/KRG-Diagnose gem. B1?)
1VG
11 und 12 können fakultativ
eingeschrieben werden
Ja
VG 111
Ja
VG 13
Nein
VG 10
Nein
Krankenhauskosten > 10.000 in
30 Monaten vor Selektionszeitraum?
(Haupt-/ Entlassdiagnose gem. B1)
Der Algorithmus der Vergütungsgruppen
(Dar. 4, aus dem Vertrag)
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4 Ergebnisse der Untersuchung
4.1 Die Bausteine der Versorgung
4.1.1 Die Koordinationsstelle und die 24-stündige Erreichbarkeit
Innerhalb der Koordinationsstelle des NWpG soll die Steuerung und Verzahnung
der unterschiedlichen Beteiligten sowie ein Ansprechpartner für alle weiteren
Anfragen im Netzwerk sichergestellt werden. Sie stellt zudem das Bindeglied
der Leistungserbringer dar und koordiniert unter anderem Anfragen von interessierten Versicherten (vgl. Walle et al. 2010, 49ff). Um dies, wie auch die
strukturellen und organisatorischen Abläufe der Integrierten Versorgung sowie
die Koordination der Leistungen zu gewährleisten, ist neben der Koordinationsstelle auch das Casemanagement dort angesiedelt. Die Koordinationsstelle ist
derzeit von 08.30 Uhr bis 17.30 Uhr durch die Mitarbeiter des Kernteams besetzt. Dies ermöglicht in dieser Zeit die Ansprechbarkeit der festen Bezugsbegleiter und damit auch eine rasche Krisenintervention per Telefon oder persönlich.
Um der wachsenden Auslastung hinsichtlich der Krisenversorgung gerecht zu
werden, halten sich zwei Mitarbeiter des Kernteams originär für die Module des
Notfallkomplexes und der Intensivbetreuung zur Verfügung, die sowohl zuhause
als auch in den Rückzugsräumen erfolgen können (vgl. Kap. 4.1.4)45. Zudem besteht damit die Möglichkeit, Krisen zu zweit zu begleiten, um damit die Sicherheit
aller Beteiligten zu gewährleisten und die Kompetenzen der unterschiedlichen
Professionen im engen Austausch zu nutzen.
Die in der Koordinationsstelle eingesetzten Mitarbeiter sind sozialpsychiatrische
Fachkräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung im psychiatrischen Bereich und
setzen sich aus einem Professionenmix von Psychologen, Sozialpädagogen
und psychiatrischen Pflegekräften zusammen. Sie verfügen über eine Qualifizierung zur Krisenintervention und dem integrierten bzw. systemischen Casemanagement, wenn möglich mittels zusätzlicher organisatorischer Fort- und
45 Die beschriebenen Module greifen dabei die im Rahmen des Vertrages vorgegebenen Leistungsmodule auf.
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Weiterbildungen nach zertifizierten Standards46.
Die weitere 24-stündige Erreichbarkeit zwischen 17.30 Uhr und 08.30 Uhr, wird
im Rahmen einer Rufbereitschaft abgedeckt. Mittels mündlicher und schriftlicher
Übergaben seitens der Bezugsbegleiter erhalten die Mitarbeiter Informationen
zum Krisenverlauf sowie der hierzu relevanten Vereinbarungen. Zudem wird der
Informationsfluss durch die Dokumentation in der Datenbank und den hier hinterlegten Krisenvereinbarungen sichergestellt (vgl. Kap. 4.1.2)47.
Da die Bezugsbegleiter und das Kernteam häufig einen besseren Überblick über
den Krisenverlauf haben, zeichnete es sich als hilfreich ab, einen entsprechenden
fachlichen Hintergrunddienst zu implementieren, an den sich die Mitarbeiter der
Rufbereitschaft zur Rücksprache wenden können. Insgesamt besteht eine deutlich höhere Auslastung auch der telefonischen Krisenintervention in den Kernzeiten, also werktags bzw. tagsüber, während die Auslastung in den Abendstunden und an den Wochenenden entsprechend der Neueinschreibungen
langsam anwächst. Dennoch zeichnet sich die Bedeutung der niedrigschwelligen Erreichbarkeit und der Kontinuität der Leistungen durch den aktiven
Kontakt der Mitarbeiter zu einzelnen Klienten ab. So werden seitens der Bezugsbegleiter häufig Verabredungen getroffen, die Klienten am Abend zu kontaktieren, um damit den Krisenverlauf aktuell einschätzen und gegebenenfalls
weitere Hilfen veranlassen zu können. Auch äußern Klienten Ängste, sich in
Krisenzeiten an das NWpG zu wenden. Diesen wird mittels aktiver Kontakte
durch das NWpG Sicherheit vermittelt und die Angst genommen, sich am Telefon
zu entlasten oder aber Hilfen zeitnah anzufordern. Im Krisenfall stellt die 24-stündige Erreichbarkeit somit eine Hilfeform dar, die eine Planung der Versorgung
und die Möglichkeit rascher, flexibler aber auch verbindlicher Hilfe wesentlich
stützt (vgl. Tacchi/Scott 2008, 167).
46 Zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Case- und Care Management: http://www.dgcc.de/
47 Die Mitarbeiter werden zudem regelmäßig in der Telefonarbeit geschult, unter anderem durch eine
Psychologin, die in der Leitungsfunktion des Krisendienst Psychiatrie München umfangreiche Erfahrung mit der
Krisenintervention am Telefon einbringt.
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4.1.2 Die gemeinsame Krisenvereinbarung zur Förderung von Empowerment
Eine zwischen den Klienten und Bezugsbegleitern des NWpG getroffene
Krisenvereinbarung48 soll die Wahrung individueller Interessen im Akutfall festlegen. Klienten als Experten in eigener Sache haben so im Vorfeld von Krisen
die Möglichkeit Überlegungen anzustellen, wie die Mitarbeiter im Falle einer beginnenden Krankheitsepisode vorgehen sollen, wenn keine klare Absprachefähigkeit mehr möglich ist.
Behandlungspläne und -vereinbarungen49 zielen vorrangig auf die aktuelle
Situation ab, während Krisenvereinbarungen im Sinne einer Prophylaxe erarbeitet werden, um psychiatrieerfahrene Menschen in ihrer Selbstbestimmung zu stärken und Vereinbarungen hinsichtlich der gewünschten Versorgung
sollen bereits im Vorfeld akuter Krisen zu treffen, in denen sie nur mehr schwer
entscheidungsfähig sind (Henderson et al. 2008, 65ff). Sie erheben nicht den
Anspruch, immer und jederzeit den zum Zeitpunkt der Krise vorliegenden
Wünschen gerecht zu werden, was wiederum bedeutet, dass es sich dabei
nicht um ein starres Instrument im Sinne einer Patientenverfügung handelt. Wie
auch die Behandlungsvereinbarungen, bilden sie im Gegensatz zu dieser keine
juristische Grundlage, sondern können nur als Orientierung dienen (vgl. ebd.).
Die gemeinsam mit den Klienten erarbeitete Krisenvereinbarung stellt eine noch
relativ neue Intervention in der psychiatrischen Versorgung (vgl. Kleinschmidt
2010, 23). Dabei dienen solche Vereinbarungen auch vorbeugend, allzu eingreifende und unter Druck setzende Interventionen und letztlich auch eine
Behandlung per Zwang zu vermeiden (vgl. Henderson et al. 2008, 63). Die
Nutzer haben die Möglichkeit, Behandlungsformen wie Erfahrungswerte mit Medikamenten darzulegen. Zudem sollen Wünsche und
Ressourcen ihren Platz finden und die Klienten formulieren ihre individuellen
Copingstrategien im Umgang mit Frühwarnzeichen oder einer manifesten Krise50.
48 Der Krisenvereinbarung ist einem Krisenplan gleichzusetzen. Der Begriff der Vereinbarung soll jedoch deutlich
machen, auf welche Leistungen die Klienten im Bedarfsfall tatsächlich Anspruch haben.
49 Das Instrument der Behandlungsvereinbarung scheint bis dato in Deutschland nur wenig Verwendung zu
finden und wurde bei den ersten Umsetzungsversuchen seitens der Psychiatrieerfahrenen mitunter kritisch
diskutiert. Sie findet in Deutschland ihren Platz eher in Kliniken und soll als Grundlage für die Behandlung im
stationären Bereich vor allem in Akutsituationen dienen.
50 Diese Orientierung hin zu individuell hilfreichen Strategien und Bedürfnissen taucht dabei im „Wellness
recovery action plan“ auf und ist bewusst hinsichtlich der Stärkung von Selbstbestimmung und
Ressourcenorientierung intendiert (vgl. http://www.mentalhealthrecovery.com/).
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Zudem können die Klienten Personen benennen, die sich in einer Zuspitzung
von Krisen an das NWpG wenden können und welche Unterstützung sie sich
von den Bezugsbegleitern wie auch den weiteren Helfer wünschen. Diese Art der
Krisenvereinbarung ist in der Literatur dabei am ehesten mit den sogenannten
„Joint Crisis Plans“ vergleichbar (Henderson 2008, 66f). Die Klienten nehmen
hierin mit den Bezugsbegleitern eine wesentliche Rolle in der gemeinsamem
Gestaltung der Krisenvereinbarung ein, außerdem werden auch Dritte einbezogen. Dabei handelt es sich im besten Falle um Angehörige und Freunde, die oftmals großes Erfahrungswissen aus vorangegangenen Krisen mitbringen. Dieses
Wissen spielt auch in der Krisenversorgung eine wichtige Rolle und kann sowohl
für die Klienten, wie auch für die Mitarbeiter des NWpG eine wichtige Ressource
darstellen. Zudem stellen Angehörige und Freunde nicht nur die Alltagsbegleiter
dar, sondern können auch wichtige Krisenbegleiter im Lebensumfeld sein. Es gilt
allerdings zu bedenken, dass auch diese in Krisen hoch belastet sein können und
intensiver Unterstützung bedürfen.
Als weitere Beteiligte werden die bestehenden professionellen Helfer in die Gestaltung der Krisenvereinbarung sowie in die Abstimmung der zugrunde liegende Behandlungsplanung einbezogen und die jeweiligen Anliegen im Sinne der
Betroffenen koordiniert.
„Treatment plans currently have the highest chance of completion. They address ongoing
and emergency care, as well as interprofessional communication and communication
between patient and providers.“
(vgl. Henderson et al. 2008, 68f).
Die Entwicklung der Krisenvereinbarung kann sich über mehrere gemeinsame Termine und Gespräche mit Dritten gestalten. Im Anschluss bekommen die
Klienten die Krisenvereinbarungen ausgehändigt, um sich damit individuell auseinanderzusetzen und diese entsprechend ihrer Bedürfnisse zu erstellen. Wie
zuvor erläutert, kann die Vereinbarung nicht starr verwendet werden und wird
im eigentlichen Krisenfall stets auf ihre Aktualität, wie auch auf die in der Krise
bestehenden Bedürfnisse der Betroffenen angeglichen51.
51 Da es innerhalb eines Krisenverlaufes zur Notwendigkeit einer unmittelbaren stationären Aufnahme kommen
kann, ist es für die Nutzer sinnvoll, dass seitens des NWpG Informationen zum Patienten an die Klinik gegeben
werden können. Entsprechende Behandlungswünsche könnten aber auch in einem Krisenpass mit sich geführt
werden. Dieser ist unter anderem bei den Münchner Psychiatrieerfahrenen als Download erhältlich (http://www.
muepe.org/Patientenrechte/pass.pdf).
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4.1.3 Das Casemanagement im NWpG
Ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammend, soll das Casemanagement (CM) die Koordinierung der beteiligten Leistungserbringer sowie
des sozialen und professionellen Netzwerks übernehmen und gemeinsam mit
den Betroffenen die jeweiligen Leistungen abstimmen (vgl. Kap. 2.3.1). Das
CM verfolgt das Ziel, der Lebensweltorientierung bei einer gleichzeitigen Einbeziehung von ökonomischen Aspekten (Kleve 2005, 3). Dies soll im besten Falle
die Dauer der Unterstützung durch professionelle Helfer reduzieren und zudem
eine Selbsthilfeorientierung befördern (ebd., 4).
Dabei wird das CM innerhalb des NWpG mittels eines teambasierten Ansatzes umgesetzt, in welchem die jeweiligen Casemanager als direkte und dauerhafte Ansprechpartner für die eingeschriebenen Versicherten zur Verfügung
stehen (vgl. Stein/Santos 1998, 55). Neben der Erstellung von Behandlungsplänen und Krisenvereinbarungen, welche eng mit bestehenden Fachärzten
sowie anderen Akteuren aus dem privaten wie auch professionellen Helferbereich abgestimmt werden, dient der Casemanager auch als Bindeglied
zwischen ambulantem und stationärem Bereich, aber auch zwischen den
beteiligten Leistungserbringern. Gerade bei der Entlassung aus dem stationären Bereich soll der Casemanager aber eine lückenlose Überleitung sicherstellen (vgl. Walle et al. 2010, 107f). Entsprechend der Anforderung an eine Integrierte Versorgung und der Leistungserbringung über die Schnittstellen hinweg,
findet im Rahmen des NWpG ein systemisches CM Anwendung, welches die
Kontextualisierung, die Problembeschreibung wie auch die Ressourcenanalyse
in den Blick nimmt. Dieser folgt die systematische Hypothesenbildung und die
Evaluation hinsichtlich der Effektivität- und Effizienz. Der fachlichen Leitung des
NWpG obliegt hierin vorrangig die Aufgabe der Steuerung und des Controllings
der Leistungen, basierend auf den fachlichen Leitlinien sowie den institutionellen
Zielen (vgl. Kleve 2005, 8).
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4.1.4 Die konzeptionelle Umsetzung der Soziotherapie
Das unter dem Begriff der ambulanten Soziotherapie subsumierte Vorgehen,
das nach §37 SGB V als abrechenbare kassenärztliche Einzelleistung in den
Versorgungskatalog aufgenommen wurde, lässt sich grundsätzlich in das CaseManagement-Modell einordnen (vgl. Becker et al. 2008, 95). Es stellt einen
„personenzentrierten Hilfeansatz zur Koordination von Leistungen mit dem
Ziel der Erreichung einer selbständigen Inanspruchnahme des Betreuten“ dar
(vgl. ebd.). Die Soziotherapie konnte sich in Deutschland kaum verbreiten, was
unterschiedlichen Gründen geschuldet ist, wie etwa einem problematischen
Rahmenvertrag hierzu und hochschwelligen Zugangskriterien bei einer oftmals
nicht ausreichenden Kostendeckung (vgl. ebd., Melchinger 2008, 37, 54f, 66f).
Die innerhalb des NWpG durchgeführte Soziotherapie orientiert sich an den
Soziotherapie-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (2002), weicht
jedoch in der Möglichkeit der Verordnung ab, indem sie nicht nur durch Fachärzte sondern auch durch die Casemanager des NWpG in die Wege geleitet werden kann und sie sich nicht nur nach der zugrunde liegenden psychischen Störung richtet. Sie wurde in Anlehnung an die Richtlinien des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen über die Durchführung der Soziotherapie in der
vertragsärztlichen Versorgung sowie den Empfehlungen der Spitzenverbände
der Krankenkassen für die Erbringung der ambulanten Soziotherapie entwickelt
und beinhaltet folgende fachliche Kriterien:
„„ Einbindung der Soziotherapie in den Gesamtbehandlungsplan
„„ Koordination von soziotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen und Leistungen
„„ Arbeit im Lebensumfeld des Patienten
„„ Motivations- und antriebsrelevantes Training
„„ Training zur handlungsrelevanten Willensbildung
„„ Anleitung zur Verbesserung der Krankheitswahrnehmung
„„ Hilfe in Krisensituationen
„„ Monitoring des Therapieerfolgs
(Gemeinsamer Bundesausschuss 2002, 4f)
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In der praktischen Umsetzung erweiterte sich der Baustein der Soziotherapie
um die Betonung medizinischer und sozialer Kompetenzen bei einer verstärkten Teamorientierung und ist daher nun eher mit dem Konzept des ACT vergleichbar (vgl. Stein/Santos 1998, 55; Kap. 2.3.2). Im Bedarfsfall besteht für die
Betroffenen die Möglichkeit, an sieben Tage der Woche Unterstützung im Sinne einer soziotherapeutischen Intervention zu erfahren52. Folgende Kenntnisse
entsprechen dabei den vertraglichen Voraussetzungen für die Mitarbeiter, die
Soziotherapie im Rahmen der Integrierten Versorgung erbringen können:
„„ Kenntnisse der psychiatrischen Erkrankungen (Krankheitsbilder, Verlauf, Behandlungsmethoden)
„„ Kenntnisse und praktische Erfahrungen mit schwer psychisch Kranken, insbesondere im Hinblick auf deren Verhaltensweisen und Krisenfrühwarnzeichen
„„ Kenntnisse und Erfahrungen in koordinierender und begleitender Unterstützung
und Gruppenarbeit
„„ Kenntnisse über komplexe, aktivierende und handlungsorientierte Methoden und
Verfahren
„„ Kenntnisse in der Aufstellung und Umsetzung von soziotherapeutischen Betreuungsplänen mit Formulierung von Therapiezielen, Dokumentation von Behandlungsverläufen
„„ Kenntnis des gemeindepsychiatrischen Verbundsystems
„„ Kenntnis des Sozialleistungssystems
„„ Kenntnisse in Rechtskunde, insbesondere im Hinblick auf die Betreuung von psychisch Kranken
(aus dem Vertrag zur Integrierten Versorgung des NWpG)
In der Praxis wird in den Begrüßungsgesprächen mit den Bezugsbegleitern
zudem angestrebt, eines dieser Gespräche zuhause bei den Klienten zu führen.
Dies soll den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, die Lebenswelt der Betroffenen
auch in einer krisenfreien Zeit kennenzulernen, und damit auch Einblick in deren
Alltag und Ressourcen bekommen (vgl. Aderhold 2010, 111). Zudem soll es den
Klienten die Möglichkeit geben, sich auf eine Versorgung zuhause einstellen zu
können und Ängste hierzu im Vorfeld zu bearbeiten. Immer wieder können so
52 Hinzu kommen Hausbesuche durch Fachärzte, die damit auch die ärztliche Behandlung zu Hause sicherstellen.
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Angehörige oder das weitere soziale Netz unmittelbar in die Gespräche einbezogen werden (vgl. ebd., Kleinschmidt 2010, 26).
Fallbeispiel 1:
Der Klient, 35 Jahre, Diagnose paranoide Schizophrenie, wendet sich an die Koordinationsstelle des NWpG. Aus dem ‚
Assesssment sind vier stationäre Aufenthalte sowie ein Suizidversuch im Rahmen einer psychotischen Episode bekannt. In einem ersten telefonischen Krisentelefonat mit seiner Bezugsbegleiterin schildert der Klient Wahnwahrnehmungen
und seit circa vier Tagen unter Schlafstörungen zu leiden. Den Krisenanlass sieht
er in einer Überforderung durch seine berufliche Tätigkeit und hieraus resultierende Ängste, seinen Job verlieren zu können. Für denselben Tag wird ein Termin
bei seiner behandelnden Psychiaterin vereinbart, zu dem ihn seine Bezugsbegleiterin begleitet. Hier wird die medikamentöse Unterstützung und die weitere Behandlungsplanung besprochen. Der Klient äußerte bereits bei der gemeinsam
gestalteten Krisenvereinbarung Ängste, seine Wohnung verlassen zu müssen,
und somit wird im Rahmen der Krisenversorgung ambulante Soziotherapie verordnet. Im Rahmen dieser wurden gemeinsam mit dem Klienten dessen Arbeitgeber
über die Krankschreibung informiert. Zudem zielten supportive Gespräche auf die
geschilderte Problematik in der Arbeitssituation ab. Nach einer siebentätigen
Verordnung der Soziotherapie für vier Stunden täglich, fand ein weiterer Termin mit der
Psychiaterin zur weiteren Planung statt. Da die geschilderten Interventionen
bereits nach kurzer Zeit einer Stabilisierung dienten, wurde die Soziotherapie für
die kommenden zwei Wochen nur mehr tageweise verordnet, während tägliche
telefonische Kontakte mit dem Klienten vereinbart wurden. Nach drei Wochen sah
er sich als ausreichend stabil, wieder an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. In
einem gemeinsamen Netzwerkgespräch mit seinem Arbeitgeber wurden die bestehenden Probleme besprochen und konnten erfolgreich bearbeitet werden.
Seither hat der Klient entsprechend seines Wunsches alle vier Wochen einen
kurzen telefonischen Kontakt zu seiner Bezugsbegleiterin und kommt circa alle
acht Wochen zu einem persönlichen Gespräch.
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Um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten, die insbesondere im
Rahmen von neuerlichen Krisen eine intensive Versorgung sicherstellen soll,
ist es jedoch notwendig, teambasiert zu arbeiten (vgl. Stein/Santos 1998, 55).
Die Bezugsbegleiter halten auch in Zeiten zu den Betroffenen Kontakt, die diese
selbst als krisenfrei erleben, und bieten zur Vermeidung weiterer Krisen und im
Sinne der Prävention die Möglichkeit von Beratungen an. Intention ist neben der
Kontaktpflege auch, gemeinsam an gesundheitsfördernden und stabilisierenden
Faktoren zu arbeiten (vgl. Burns 2010,132).
More often than not, a telephone or in-person intervention by someone whom the patient
knows well can interrupt a behavioral pattern that might proceed to crisis proportions.
(Stein/Santos 1998, 56)
Es entspricht auch der Idee von Stein und Santos (1998, 71f), gegenüber den
Nutzern eine zu klare Zuteilung zu einem Casemanager oder Bezugsbegleiter
zu vermeiden. Ihre Sorge wurde damit begründet, dass schwer beeinträchtigte Menschen oder aber Menschen mit psychotischen Störungen ihr Gegenüber
als einzige Spiegelung ihrer Psychopathologie wahrnehmen oder bei den Mitarbeitern das Gefühl einer Überforderung rascher entstehen könnte. Die Beteiligung mehrerer Bezugsbegleiter gewährleistet eine kontinuierliche Versorgung und kann den unterschiedlichen Bedürfnissen der Betroffenen besser entsprechen (vgl. Burns 2010, 132). Es bildet auch eine Voraussetzung die
„passenden“ Bezugsbegleiter auszuwählen und damit auch einen Wechsel der
zuständigen Bezugsbegleiter (vgl. Stein/Santos 1998, 49).
Diese Aspekte sollen die Verantwortung vor allem im Rahmen des Krisenmanagements auf das Team verteilt werden (vgl. ebd. 71f). Dennoch steht
weiter ein Bezugsbegleiter im Sinne des Case Managements zur Verfügung, der
auch die Gefahr abwenden soll, dass sich kein Teammitglied verantwortlich sieht
und somit das Risiko von Fehlern oder Brüchen in der Versorgung wächst. Die
Einbindung aller Teammitglieder in die Versorgung fördert nicht nur die Qualität dieser, sondern stellt auch eine erhöhte Zufriedenheit unter den Mitarbeitern
her, die gemeinschaftlich und gleichberechtigt an den Prozessen hierzu beteiligt
sind. Die Ergebnisse aus den evidenzbasierten Studien zum HT und ACT wie
auch die Erfahrungen aus dem ersten Jahr des NWpG, lassen den Schluss zu,
dass der teambasierte Ansatz bei der gleichzeitigen Sicherstellung eines festen
Bezugsbegleiters einerseits Beziehungskontinuität ermöglicht und andererseits
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der Versorgung akuter Krisen am ehesten gerecht werden kann. Analog zum
ACT und HT soll die Fallzahl für die Bezugsbegleiter und das Team klein gehalten werden, gleichwohl es keine klaren Belege für eine (Höchst-)Größe und
eine hiermit verbundene Verbesserung hinsichtlich des Outcomes gibt. Jedoch
erhöht sich damit das Potential, dass die einzelnen Teammitglieder alle Klienten
kennen (vgl. Burns 2007, 431f, vgl. Kent/Burns 1998, 146f; Stein/Santos, 1998:
64, 71; vgl. Kap. 2.3.2)53.
Die Aufgaben der Bezugsbegleiter umfassen derzeit folgende Bereiche:
„„ drei bis fünf Begrüßungsgespräche der Nutzer und mit mindestens zwei festen
Bezugsbegleitern des NWpG, von der eine die Funktion der Hauptbezugsperson
übernimmt
„„ Erhebung von Daten, biografischen Berichten wie auch der psychiatrischen Vorgeschichte
„„ Erarbeitung einer gemeinsamen Krisenvereinbarung und die Erstellung einer Behandlungsplanung gemeinsam mit dem behandelnden Psychiater
Weitere Elemente werden den Patienten angeboten und auf individuellen Wunsch
in die Begrüßungsgespräche integriert oder aber im weiteren Verlauf umgesetzt:
„„ Hausbesuche
„„ Einbeziehung Angehöriger und/oder des weiteren sozialen Netzes in die Krisenvereinbarung
„„ Gemeinsame Gespräche mit anderen Behandlern und professionellen Helfern zur
Abstimmung der Leistungen und zur Einbeziehung in die Krisen- und Behandlungsvereinbarung
Neben der Zeit, die den Klienten auch im Rahmen von Hausbesuchen mitgebracht wird, steht insbesondere in der Krisenversorgung stets die Frage nach
dem Wechsel der betreuenden Personen im Vordergrund, da dieser Ängste und
Vorbehalte seitens Betroffener und Angehöriger erzeugen kann. Auch dies spricht
für eine eher kleine Teamgröße, verbunden mit der Gewährleistung eines engen
Kontaktes mit der Hauptbezugsperson, der hier vorrangig die Aufgabe zukommt,
Akzeptanz herzustellen (vgl. Tacchi und Scott 2008, 166ff).
53 Da ein wesentliches Kriterium für die Vermeidung von Krankenhausaufnahmen auch die Häufigkeit von Kontakten ist, spricht dies für eine geringe Fallzahl (vgl. Kent/Burns 1998, 146f).
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Einen wesentlichen Bestandteil in der Integrierten Versorgung stellt die
ambulante Krisenversorgung in einem zeitlich abgesteckten Rahmen dar. Dies
kann neben den zuvor genannten Interventionen und Maßnahmen auch eine
stabilisierende Alltagsbegleitung sein. Die verstärkte Teamorientierung beinhaltet dabei auch einen Zugewinn durch einen Wissens- und Erfahrungsaustausch der einzelnen Professionen und unterschiedlichen Berufserfahrungen, die reine Teambesprechungen kaum ermöglichen könnten (vgl.
Aderhold 2010, 109). Dabei ist die Beziehungskontinuität im NWpG als wesentlicher Baustein der Integrierten Versorgung gewünscht, zuweilen besteht jedoch
gerade bei komplexen Problemlagen durch das Hinzuziehen weiterer Mitarbeiter
sowie dem gemeinsamen Reflektieren eine Chance, neue Lösungsmöglichkeiten
zu gewinnen.
„Die Herstellung wirklich bedeutsamer Behandlungssituationen ist sehr viel wichtiger als
strukturgebende Einzelgesprächsroutine. Die Kontakte haben dadurch weniger Routinecharakter, sind dynamischer, aber zunächst auch anstrengender. Es entstehen jedoch
öfter bedeutsame Prozesse.“
(Aderhold 2010, 111)
Da derzeit von einem weiteren Wachstum des NWpG auszugehen ist, wird sich
dabei auch das Team stetig vergrößern – bereits zum aktuellen Stand (August
2011) sind weitere Neueinstellungen geplant. Um den Klienten dabei nicht als
unüberschaubare Institution zu begegnen und den Informationsfluss wie die
Beziehungskontinuität zu gewährleisten, sollte das Team nicht zu groß werden. Dies würde im weiteren Verlauf zum einen für eine Teilung des Teams entsprechend der Regionen oder aber für eine Dezentralisierung und damit einem weiteren Standort innerhalb Münchens sprechen. Wie in den Teamstrukturen des ACT oder HT wird bei der Zusammensetzung des Teams nicht nur
in Hinblick des Professionenmixes sondern auch hinsichtlich der Mischung
von Berufseinsteigern und berufserfahrener Mitarbeiter auf große Diversität
geachtet. So besteht einerseits die Notwendigkeit, erfahrene Kollegen wegen
ihrer Expertise einzubeziehen oder aber der Unsicherheit der Betroffenen entgegenzuwirken, die oftmals über ein jahrzehntelanges Expertenwissen verfügen. Andererseits bringen junge Kollegen das Potential ein, einen noch unverfälschten Blick einzunehmen und sich weniger auf ihre professionelle Attitüde
zu beziehen (Fiander et al. 2003, 249ff). Die zuvor erläuterten Tätigkeitsfelder
erfordern entsprechende Qualifikationen der Mitarbeiter, die neben ihrer Aus-
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bildung zudem über unterschiedliche Fort- und Weiterbildungen verfügen.
Zudem werden die Mitarbeiter in regelmäßigen Teamsitzungen und im Rahmen
des Qualitätsmanagements in die Gestaltung der Handlungsabläufe, Standards,
Leitlinien und der Philosophie der Einrichtung einbezogen. Die grundlegenden
Tätigkeiten und Kenntnisse lauten wie folgt:
„„ psychosoziale Interventionen
„„ Problemerkennung und -lösung und Ressourcenorientierung
„„ Hausbesuche
„„ Assessment
„„ Risikomanagement
„„ klinische Kenntnisse
„„ Beratung von Angehörigen
„„ Kenntnisse in der Krisenversorgung sowie der langfristigen Behandlung der bekannten psychischen Störungen
„„ besondere Kenntnisse im Umgang mit Psychosen
„„ Kenntnisse über Medikamente und deren Einsatz
(vgl. Rosen et al. 2008, 242)
Als klinische Kenntnisse werden weitere Aspekte der Dringlichkeit von Hilfen,
die Versorgungsplanung sowie Aspekte zur Rückfallprävention wiederkehrend
Thema der Besprechungen und Schulungen (vgl. Ramsey/Shaw 2008, 313).
Neben diesen liegt der Tätigkeit vorrangig eine wertfreie, von Akzeptanz geprägte Haltung zugrunde, die Betroffene wertschätzt und im Sinne des Empowerments fördert. Zudem ist gerade in der Krisenversorgung ein offener, flexibler
sowie kreativer Arbeitsstil von besonderer Bedeutung, der lösungsorientiert und
von Hoffnung geprägt ist (vgl. Rosen et al. 2008, 242). Weiter basiert die multidisziplinäre Zusammenarbeit darauf, dass alle Mitarbeiter unabhängig ihrer
Profession soweit als möglich in der Lage sind, dieselben Tätigkeiten zu übernehmen und jede zusätzliche Kompetenz als „Extra“ verstanden wird, die entsprechend des Bedarfs gezielt eingesetzt werden kann (vgl. Niemiec 2008, 325).
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Fallbeispiel 2:
Die Mutter einer Klientin wendet sich in den Abendstunden an die
Koordinationsstelle. Sie schildert die Sorge hinsichtlich einer sich zuspitzenden Krise
und den Verdacht, dass ihre Tochter keine Medikamente mehr einnehme. Aus dem
Assessment sind acht stationäre Aufenthalte, zumeist aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses, bekannt. Die Klientin ist 52 Jahre alt, einer bipolare Störung
wurde diagnostiziert. Aus der Krisenvereinbarung geht unter anderem hervor, dass
der Mutter die Frühwarnzeichen bekannt sind, diese als Krisenhelferin seitens der
Klientin erwünscht ist und die Krisen sich meist rasch zuspitzen. Bei der telefonischen Kontaktaufnahme durch die Bezugsbegleiterin mit der Klientin wirkt diese deutlich unruhig und bagatellisierend, ist aber mit einem Hausbesuch gemeinsam mit der Mutter einverstanden. Im Rahmen dieses Hausbesuchs zeigt die
Klientin Hinweise auf psychotisches Erleben, ist mitunter misstrauisch und ablehnend bezüglich einer weiteren Behandlung, erklärt sich jedoch mit einem Hausbesuch durch die Bezugsbegleiterin am folgenden Tag einverstanden. Aufgrund
der bestehenden Krise wird dieser Termin mit einer Kooperationsärztin wahrgenommen. Nach einem ausführlichen Krisengespräch über die Ängste vor weiteren
Zwangsmaßnahmen und den Nebenwirkungen der Medikamente zeigt sich die
Klientin bereit, die verordnete Notfallmedikation einzunehmen. Sie ist ambivalent
bezüglich einer kontinuierlichen Begleitung, ist im Verlauf jedoch einverstanden,
über die Mitarbeiter des NWpG und der Mutter im Rahmen der Krise zu Hause
begleitet zu werden. Nach einer zweiwöchigen intensiven Versorgung mit fachärztlicher Unterstützung und der Sicherstellung der Medikamenteneinnahme
stabilisiert sich die Klientin zunehmend. In der Folge wird die Klientin noch engmaschig in häufigen Terminen bei der behandelnden Psychiaterin und im Rahmen von Soziotherapie sowie Ergotherapie begleitet. Insgesamt spannte sich der
Verlauf der Krise um einen Zeitraum von circa vier Wochen und benötigte intensive
multiprofessionelle Unterstützung. An die akute Krisenversorgung schlossen im
Rahmen von ambulanter Soziotherapie und psychiatrischer Behandlung weitere
Maßnahmen zu folgenden Themen an:
„„ Gespräche bezüglich der möglichen Krisenauslöser, der Beeinträchtigung und den Auswirkungen der Erkrankung zur weiteren Gestaltung
der Krisenvereinbarung
„„ Erarbeitung protektiver Faktoren
„„ psychoedukative Gespräche bezüglich der Medikamenteneinnahme
„„ gemeinsame Gespräche mit der Mutter im Sinne einer Angehörigenberatung
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Alle Beteiligten, vor allem die Klientin wie ihre Mutter, zeigten sich aufgrund des
Krisenverlaufs positiv überrascht, da vorangegangene Krisen zumeist mehrere
Monate stationärer Behandlung bedurften.
Dieser interdisziplinäre Teamansatz, der bei allen Mitarbeitern eine gemeinsame
Basis zugrunde legt, ermöglicht flexible, kontinuierliche sowie adäquate Hilfe.
Die Tätigkeit des NWpG basiert zudem auf fachlichen Leitlinien54. Interne schnittstellenbezogene und institutionenbezogene Leitlinien werden stetig weiterentwickelt (vgl. Kap. 4.2). Dennoch ist anzunehmen, dass für viele Betroffene vorrangig die ihnen entgegengebrachte Zeit und die damit verbundene Möglichkeit der emotionalen Entlastung ein wesentliches Kriterium der Unterstützung
darstellt, unabhängig oder aber zusätzlich der zugrunde liegenden Fachlichkeit
(vgl. Johnson/Needle 2008, 75ff). Die Versorgung unmittelbar, flexibel und im
gewohnten Lebensumfeld zu ermöglichen, schafft zudem die Chance, ebenso
rasch auf soziale Problemlagen dort zu reagieren. Mittels des zuvor erläuterten Krisenverständnisses, in welchem soziale Faktoren eine wichtige Rolle als
Krisenauslöser oder aber im individuellen Krisenerleben einnehmen können,
zeigt sich zudem, welche Bedeutung die Interventionen im Umfeld und dem
sozialen Netz einnehmen können (vgl. Kap. 2.2.4; Kap. 4.1.2).
4.1.5 Kooperation mit anderen Leistungserbringern
Grundsätzlich ermöglicht der Vertrag dem NetzWerk psychische Gesundheit,
auch andere Leistungserbringer in die Versorgung einzubeziehen. In München
wurde aufgrunddessen ein Kooperationsvertrag mit der Brain Insight GmbH
abgeschlossen, einem Zusammenschluss niedergelassenenr Fachärzte. Die
fachärztlichen Leistungen bei den niedergelassenen Ärzten zu belassen, erhöht
zunächst zwar den Koordinationsaufwand, kann die Fallsteuerung erschweren
und schafft Abhängigkeiten von ebendiesen als Leistungserbringern. Jedoch generiert dieser Zugang zu ärztlicher Leistung auch die Sicherstellung der freien
Arztwahl. Insbesondere die langjährigen Erfahrungswerte der USA zeigen, dass
Ärzte, die ihre Leistungen im Rahmen der Managementgesellschaften erbringen,
also bei diesen direkt angestellt sind, in ihrer Unabhängigkeit hinterfragt werden
(vgl. Steckermaier 2010, 88). Die Einbeziehung einzelner Vertragsärzte würde
die Anforderung dergestalt erhöhen, dass es gälte, Einzelmeinungen zu berück54
http://www.dgppn.de/
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sichtigen. Ein Einstimmigkeitsprinizp ist eher durch den Zusammenschluss zu
einem Verbund oder aber einer GmbH herzustellen, wie es in München derzeit
der Fall ist. Eine Einbindung niedergelassener Ärzte, wie es derzeit in München der Fall ist, ermöglicht somit nicht nur eine verbesserte Versorgung der
Patienten, die ebendort in Behandlung sind, sondern fördert im besten Falle auch
die Akzeptanz der Fachärzte in der Region (vgl. ebd.)55.
Innerhalb der Krisenversorgung des NWpG ist eine fachärztliche Behandlung
unerlässlich und wird derzeit durch die Kooperation mit der Brain Insight GmbH
umgesetzt. Die hier kooperierenden Ärzte erbringen die aus dem SGB V beschriebenen Leistungen weiter gemäß den EBM-Vorgaben56, können aber für
die Nutzer des NWpG in drohenden oder sich zuspitzenden Krisen zusätzliche
Leistungen erbringen, welche durch das NWpG im Rahmen einer Einzelfallvergütung honoriert werden. Sie erfüllen diese Leistungen nicht nur für Patienten,
die sich bei ihnen in Behandlung befinden, sondern bieten akute Krisenbehandlung auch für Patienten an, deren behandelnde Ärzte nicht zeitnah erreichbar
sind. Grundsätzlich ist eine weitgefächerte Kooperation zwischen allen bestehenden Psychiatern gewünscht. Diese soll eine zielgerichtete und umfassende
Behandlung gewährleisten, welche die reguläre Behandlung deutlich optimieren soll. Die Kombination ärztlicher und nicht-ärztlicher Unterstützung, soll eine
Alternative zu Klinikaufenthalten ermöglichen können (vgl. Steckermaier 2010,
87). Dies bedeutet einen stetigen Austausch mit den Ärzten und die Einbeziehung dieser in die Versorgung.
Grundsätzlich bestünde gemäß des Vertrages die Möglichkeit, eine vergleichbare Kooperation auch mit anderen Leistungserbringern einzugehen, wie etwa
Kliniken oder aber Anbietern der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege.
Die Vergütung könnte entsprechend einer Einzelleistungsvergütung oder aber
im Rahmen eines Gesamtbudgets erfolgen. Hierdurch wäre sicherlich eine
Optimierung an den Schnittstellen und eine bessere trägerübergreifende
Versorgung möglich und daher weiter förderungswürdig.
55 Allerdings betrachtet ein Großteil der Ärzteschaft bundesweit Verträge der Integrierten Versorgung kritisch
und sieht diese als reine Einsparmodelle der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. Greuel und Mennemann 2006,
49ff).
56 EBM: Einheitlicher Bewertungsmaßstab
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4.1.6 Die psychiatrische Pflege als weiterer Baustein
In Anlehnung an die Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege in der vertragsärztlichen Versorgung nach §92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und
Abs. 7 SGB V erfolgt die Psychiatrische Pflege. Ähnlich der Soziotherapie nach
§37a SGB V verhält es sich mit dem Stand der Implementierung der Psychiatrischen Pflege in Deutschland. Ist die ambulante psychiatrische Krankenpflege zur
Vermeidung, Verkürzung oder auch als Alternative zu stationären Aufenthalten
gedacht, konnte sie aus politischer Aufgabenverteilung und finanzieller Anreizsysteme in den letzten Jahren nicht flächendeckend eingeführt werden (vgl.
Obert 2006, 22ff). Die Standards für die häusliche Pflege orientieren sich vor
allem an somatischen Erkrankungen, während spezielle Leistungen für psychisch
kranke Menschen noch weitgehend unbeachtet blieben. Dies mag wohl auch die
Begründung darstellen, sie im Rahmen einer Integrierten Versorgung verstärkt
zu implementieren.
Fallbeispiel 3:
Der 54-jährige Klient, Diagnose schizoaffektive Störung und gemischte Persönlichkeitsstörung, wendet sich immer häufiger mit diffusen, zum Teil aggressiven
Forderungen an die Koordinationstelle und taucht dort unangemeldet auf. Er ist in
unregelmäßigen Abständen ohne Termin bei einer kooperierenden Psychiaterin in
Behandlung, nimmt jedoch seit mehreren Jahren keine Medikamente ein. Die Versuche, Hilfen zu organisieren, misslangen, da der Klient die Helfer rasch ablehnte.
Aus dem Assessment zeigten sich zahllose stationäre Aufenthalte. Stets zeigten
sich die Probleme im Rahmen der Selbstversorgung und zeichneten sich in einer
massiven Verwahrlosungstendenz ab. In einem gemeinsamen Netzwerkgespräch
mit der Psychiaterin, wurde der Klient motiviert, die Hilfen des NWpG und dabei
vorrangig der häuslichen psychiatrischen Pflege in Anspruch zu nehmen. Gleichwohl er die Mitarbeiter zu Beginn nicht zu den verabredeten Terminen einließ,
zeichnete sich über eine längere Beziehungsarbeit durch seinen Bezugsbegleiter
eine Verbesserung der Inanspruchnahme der Leistungen ab. Daher konnten in
einem nächsten Schritt im Rahmen von gemeinsamen Netzwerkgesprächen frühere Helfer zur hauswirtschaftlichen Versorgung sowie des betreuten Einzelwohnens einbezogen werden. Über einen mittlerweile mehrere Monate andauernden
Verlauf nimmt der Klient die zuvor beschriebenen Hilfen in Anspruch, äußert eine
emotionale Entlastung und meldet sich nur mehr in seltenen Abständen bei seinem Bezugsbegleiter.
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Auch wenn die ambulante psychiatrische Pflege seitens der Sozialpsychiatrie
lange Zeit gefordert wurde, lässt sich aus den Erfahrungen im NWpG derzeit
nicht sicher feststellen, welcher Stellenwert ihr zuzuordnen ist (vgl. ebd.). In der
Praxis verhält es sich mit der Einleitung einer solchen, wie mit dem bezüglich der
Soziotherapie beschriebenen Verfahren: Das heißt sowohl der behandelnde Arzt
wie auch die Casemanager des NWpG können diese bei Bedarf unabhängig der
zugrunde liegenden Diagnose in die Wege leiten. Wie zuvor erläutert, orientiert
sich die konzeptuelle Arbeit des NWpG am HT, NAT und soweit erforderlich am
ACT. Das bedeutet letztlich, dass eine klare Trennung zwischen den einzelnen
Leistungen wie Soziotherapie und psychiatrischer Pflege nur schwer zu ziehen
ist, da die Tätigkeit durch ein multiprofessionelles Team erfolgt. Dennoch erfolgt
die Zuordnung der Bezugsbegleiter entsprechend des feststellbaren Bedarfs und
den individuellen Bedürfnissen der Klienten (vgl. Kap. 4.1.4). Auch wenn im Erhebungszeitraum keine hohe Dichte der psychiatrischen Pflege vorliegt, wird
diese in Einzelfällen oftmals über einen längeren Zeitraum durchgeführt, um eine
allgemeine Stabilisierung der Betroffenen in ihrem Lebensumfeld zu erreichen.
Da einige Klienten zusätzlich unter chronischen somatischen Erkrankungen
leiden, wird zudem eine Überleitung an bestehende Pflegedienste initiiert, mit
denen sich die Mitarbeiter des NWpG über die Dauer regelmäßig abstimmen.
Grundsätzlich wäre bei einem weiteren Wachstum des NWpG eine Kooperation mit Leistungserbringern vor allem in der ambulanten psychiatrischen Pflege
sicherlich erstrebenswert.
4.1.7 Die Rückzugsräume und deren konzeptionelle Grundlage
Sollte die Krise der Betroffenen es erfordern und ist dies außerstationär fachlich sinnvoll, besteht die Möglichkeit, in den Rückzugsräumen aufgenommen zu
werden, einer Wohnung, die explizit nicht dem stationären Setting gleicht,
aufgenommen zu werden. Sogenannte „crisis houses“ entstanden durch
Forderungen seitens der Betroffenenverbände, haben sich in Deutschland bis
dato jedoch kaum etabliert57. Erst die Verträge zur Integrierten Versorgung ermöglichen es, diese Form der Krisenversorgung in die Realität umzusetzen58.
Hier kann die Krise mittels milieutherapeutisch angelehnter Begleitung durch
57 http://www.weglaufhaus.de/weglaufhaus/index.html, http://www.krisenpension.de/, http://www.gapsy.de/rueckzug2.html
58 Allen Formen von Krisenhäusern stehen derzeit seitens der Betroffenverbände hinderliche Faktoren im Wege.
So sind sie im Bereich der Integrierten Versorgung von der Mitgliedschaft in bestimmten Krankenkassen abhängig oder aber stehen wie das Weglaufhaus erst bei drohendem Wohnungsverlust zur Verfügung.
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Fachpersonal bewältigt werden. Unter anderem können die Ursprünge hierzu im
Modell der Soteria-Behandlung gesehen werden. Die Wohnung oder das Haus
soll gemeindenah liegen und zur Stabilisierung nur wenigen Betroffenen bei
einer intensiven milieutherapeutischen Betreuung „Obhut“ geben. Der Umgang
mit den Betroffenen soll von gegenseitigem Respekt und Zuwendung geprägt
sein, dabei Hoffnung und Zuversicht im Hinblick auf eine Genesung vermitteln
und die Autonomie wie die individuellen Ressourcen der Betroffenen fördern
(Aderhold 2009, 330).
In den Rückzugsräumen steht weniger ein therapeutischer Ablauf im Vordergrund als ein sogenanntes „being with“, etwa in der gemeinsamen Gestaltung
des Tages. Die Mitarbeiter stehen den Klienten jederzeit, also auch nachts, zur
Verfügung. Unternehmungen innerhalb der Gemeinde sollen befördert werden und die Interventionen gezielt alltagsnah sein, wie etwa Einkäufe tätigen,
kochen und ähnliches (vgl. ebd.). Hervorzuheben sind an dieser Stelle auch
die in Schweden im Zusammenhang mit dem Parachute-Projekt ins Leben gerufene Krisenwohnungen, die eine kurzzeitige Krisenintervention ermöglichen
(vgl. Cullberg 2010). Diese weisen im Gegensatz zu den Kontrollgruppen
wesentliche Verbesserungen des psychosozialen Funktionsniveaus auf; auch
Angehörige zeigen sich mit dieser Form der Behandlung wesentlich zufriedener (Aderhold 2009, 341). In Deutschland konnte sich das Soteria-Modell bis
dato kaum etablieren, auch einige Elemente der Soteria in bestehenden Einrichtungen Einfluss auf die konzeptionelle Herangehensweise haben. Um nicht
Gefahr zu laufen, diesen Ansatz aus den Augen zu verlieren, sollte eine
Kombination Soteriaangelehnter Krisenversorgungsformen/-wohnungen gekoppelt mit dem Angebot gemeindeorientierter aufsuchender Home Treatment Teams
ermöglicht werden, die eine Verkürzung von Aufenthalten in der Krisenwohnung
ermöglichen und damit auch im Sinne der Kostenreduktion arbeiten (vgl. ebd.).
Die Rückzugsräume des NWpG sollen der Forderung eines wohnlichen Ambientes mit einem engen Betreuungsschlüssel sowie dem milieutherapeutischen
Ansatz gerecht werden und dies unter der Prämisse der Gemeindeorientierung
über 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr. Das NWpG München orientiert sich
zudem an den Erfahrungswerten länger bestehender Einrichtungen, wie der
Krisenpension in Berlin oder den Rückzugsräumen in Bremen59. Weiter wurden
59 http://www.krisenpension.de/ und http://www.gapsy.de/rueckzug1.html
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entsprechend des Vertrages aber auch unter Zuhandnahme der einschlägiger
Literatur Kriterien entwickelt, wann die Rückzugsräume den eingeschriebenen
Klienten zur Verfügung stehen. Eine Aufnahme in die Rückzugsräume setzt ein
Vorgespräch mit dem Bezugsbegleiter oder seiner Vertretung voraus und soweit
möglich, wird der behandelnde Arzt einbezogen. Sollte dieser nicht erreichbar
sein, wird der ärztliche Hintergrunddienst verständigt und kommt aufsuchend
in die Rückzugsräume (vgl. Kap. 4.3.3). Zur Planung des Vorgesprächs und
der Aufnahme in die Rückzugsräume ist im besten Falle eine telefonische Aufnahmeanfrage von Seiten der Klienten, der Angehörigen wie auch weiterer Helfer
erforderlich. Ist das krisenhafte Erleben nicht einschätzbar oder bestehen Bedenken hinsichtlich Gefährdungsmomente (Eigen- und/oder Fremdgefährdung)
kann keine Aufnahme bzw. muss eine stationäre Aufnahme erfolgen (aus dem
internen Manual für die Mitarbeiter in den Rückzugsäumen).
Kriterien, die für die Aufnahme sprechen:
Gute Absprache- und Bündnisfähigkeit des Klienten (d.h. im Vorgespräch ist eine
vertrauensvolle Ebene erreichbar und evtl. ist bereits während des Gesprächs eine
Entlastung spürbar)
„„ Bereitschaft, verordnete Medikamente weiter einzunehmen, ggfs. auch
Notfallmedikation
„„ Bereitschaft zum Arztgespräch
„„ Realistische Selbsteinschätzung der eigenen aktuellen psychischen
Verfassung
Kriterien, die gegen die Aufnahme sprechen
„„ Stark eingeschränkte Kooperations- und Behandlungsbereitschaft
„„ Deutliche Erregtheit aufgrund derer die weitere Entwicklung der krisenhaften Situation nicht einschätzbar ist
„„ Akute Suizidalität (bzw. große Zurückhaltung bei Suizidversuchen in
jüngster Zeit) oder Fremdgefährlichkeit
„„ Hinweise auf Intoxikation oder alkoholisierter Zustand
„„ Bewusstsein nicht klar (eingetrübt,…)
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„„ Bekannte somatische Erkrankung mit deutlichen aktuellen Beschwerden
oder aktuelle, bisher ungeklärte, deutliche somatische Beschwerden
werden benannt
„„ (anzunehmende bzw. v.a.) organische Ursache der aktuellen psychischen Krise
„„ Absetzen der Medikamente in jüngster Zeit, insb. bei fehlender oder
zögerlicher Bereitschaft zur erneuten Medikamenteneinnahme
„„ Aktuelle oder kürzliche Selbstverletzung
„„ Große Zurückhaltung bei manischer Entwicklung/zunehmender manischer Dekompensation
„„ Große Zurückhaltung bei Menschen mit bekanntem erhöhtem Suchtmittelkonsum (Gefahr des Entzugs)
(Aus dem Manual für die Rückzugsräume, Stand 11/2010)
4.1.8 Gruppen und Psychologische Beratung/Kurzzeittherapie
Sowohl zur Stabilisierung der Klienten in Krisenzeiten und im Sinne der Vorsorge und zur Förderung der Selbsthilfe werden im NWpG versorgungsrelevante
Gruppen angeboten und stetig mittels eines Monitorings hinsichtlich des Bedarfs
und der Inhalte überprüft (vgl. Kleinschmidt 2010, 27)60. Innerhalb des ersten
Jahres wurden dabei psychoedukative und ergotherapeutische Gruppen durchgeführt, die auf eine rege Teilnehmerzahl stießen und somit weiter implementiert
werden. Die Psychoedukationsgruppen werden von einem Gruppenleiter mit entsprechender Zusatzausbildung für Psychoedukation durchgeführt, in der Regel
einem Facharzt, einer Fachpflegekraft für Psychiatrie, einem Soziotherapeuten
und/oder einem Psychologen. Zudem wurde auf Anregung der Klienten eine
Freizeitgruppe ins Leben gerufen. Da seitens der Klienten wie auch deren Angehörigen auch die Frage nach einer Angehörigengruppe eingebracht wurde,
wird eine solche neben weiteren Angeboten installiert. Beispielhaft sollen zwei
Gruppen an dieser Stelle kurz angeführt werden:
60 Diese Angebote stellen auch eine Möglichkeit dar, neben präventiver und stabilisierender Aspekte eine Kundenbindung an das NWpG zu generieren (vgl. Steckermaier, 119).
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„„ Stabilisierungsgruppe: Ziel ist es, eigene Ressourcen zu erarbeiten, zu lernen,
erste Krisenanzeichen zu erkennen und präventiv eigene erste Schritte im Vorfeld
der Krise und zur Verbesserung des Wohlbefindens zu unternehmen.
„„ Kommunikationstraining – selbstsicheres Auftreten in Alltag und Konflikten:
Das Gruppenangebot ist eine Trainings- und Übungsgruppe. Psychoedukative
Elemente, Übungen und Selbsterfahrung wechseln sich ab. Das Gruppensetting
dient dem Austausch, der Motivation und dem Voneinander-Lernen.
Der Vertrag des NWpG München mit der TKK sieht keine Psychotherapie nach
den Psychotherapierichtlinien vor, jedoch besteht für die Nutzer die Möglichkeit
einer psychologischen Beratung oder aber einer Kurzzeitpsychotherapie. Diese
wird insbesondere bei Klienten eingesetzt, die sich in der Frage einer Psychotherapie oder aber hinsichtlich der geeigneten Therapieform unsicher sind. Soweit
erforderlich, werden die Klienten in der Therapieplatzsuche durch die Bezugsbegleiter unterstützt, bei der es gerade in München immer wieder zu längeren
Wartezeiten kommen kann. Oftmals besteht aufgrund dieser Problematik der
Bedarf an einer Kurzzeitpsychotherapie, die in enger Absprache mit den behandelnden Psychiatern erfolgt und durch eine langjährig erfahrene DiplomPsychologin mit einer systemischen Ausbildung umgesetzt wird.
4.2 Qualitätssicherung und Weiterentwicklung innerhalb des NWpG
Die zuvor vorgestellten Versorgungsbausteine bedürfen einer regelmäßigen
Überprüfung hinsichtlich ihrer Umsetzung und der damit verbundenen Zufriedenheit der Nutzer des NWpG, wie auch in puncto Effektivitäts- und Effizienzkriterien. Diese orientiert sich an Kriterien aus dem Qualitätsmanagement
(QM) wie auch an der Gewährleistung von Fachlichkeit. Entsprechend der
Forderungen des Sachverständigenrats für Gesundheit (2009, 828,888) ist die
Qualitätssicherung ein elementarer Bestandteil, um Modelle einer Integrierten
Versorgung umzusetzen und damit eine kontinuierliche Analyse hinsichtlich der
Tendenz von Risikoselektion oder aber Leistungsverweigerung zu gewährleisten.
Auch die Implementierung einer bedürfnis- und bedarfsgerechten Versorgung
benötigt eine Passung hinsichtlich effektiver und kosteneffektiver Verfahren.
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Hinzu kommt deren fachgerechte Anwendung hinsichtlich Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität. Dies bringt eine regelmäßige Begleitung der Verfahrensabläufe ab dem Eintritt der Nutzer in die Integrierte Versorgung mit sich. Neben
eines Monitorings und Controllings auf der Einzelfallebene, sollen hierdurch stets
Rückschlüsse für die System- und Prozessebene ermittelt werden (vgl. Ewers
2005, 76; Ruprecht 2010, 88). Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter sollen
alle Komponenten, wie etwa Zeit, Kosten, u.a., im Sinne der Detailoptimierung
qualitätsorientiert berücksichtigt werden. Dies soll mittels fünf Eckpfeiler umgesetzt werden, die wie folgt lauten:
„„ Kundenorientierung
„„ Managementverhalten
„„ Prozessorientierung
„„ Präventives Verhalten
„„ Permanente Verbesserung
(in Decker/Decker 2008, 385)
Im Sprachgebrauch gilt Qualität als Synonym für die Güte einer Dienstleistung
oder eines Produktes. Aus dem Lateinischen herrührend beschreibt der Begriff die Beschaffenheit oder aber die Güte bzw. den Wert eines Gegenstandes
oder einer Dienstleistung (vgl. Duden 2001, 832). Eine weitere Definition lautet wie folgt: „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“
(in Bundesverband evangelische Behindertenhilfe 2009, 13). Qualität meint im
Folgenden die „Erfüllung von Anforderungen“; die Wünsche der Empfänger des
Produktes bzw. der Leistung stehen im Vordergrund (Kutz 2005, 2).
QM wird ähnlich wie die Einführung von Modellen der Integrierten Versorgung eng
mit einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheits- und Sozialwesens in
Verbindung gebracht. Es birgt somit das Risiko, in erster Linie zu wirtschaftlicher
Effizienzsteigerung instrumentalisiert zu werden. Gleichzeitig beinhaltet es die
Möglichkeit, bisheriges Handeln darzustellen, dieses unter Einbeziehung einer
stärkeren Transparenz der angestrebten Ziele zu beschreiben und im weiteren
Verlauf zu systematisieren (vgl. Vomberg 2002, 30). Dabei werden die „Kundenanforderungen operationalisiert (…) und in definierte Prozesse umgesetzt“ und
mit dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung und Standards
in Einklang gebracht (ebd.,34). Eine werteorientierte Sichtweise richtet sich
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danach „eine unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen
optimale statt maximale Leistungsqualität anzubieten“ (Kutz 2005, 3).
Daher werden aktuell Module des QM durch die Mitarbeiter des NWpG
implementiert und weiter ausgebaut. Eine wesentliche Komponente stellt die
Dokumentation der erbrachten Leistungen dar. Neben allen fachlichen
Empfehlungen und Leitlinien kann nur durch diese eine Fehl-, Unter- oder Überversorgung eruier- und nachvollziehbar machen. Sie stellt somit die Ausgangslage dar, den Versorgungsprozess qualitativ zu verbessern. Zum aktuellen
Standpunkt befindet sich das QM innerhalb des NWpG in der Projektphase, die
mittels einzelner Bottom-Up-Projekte zunehmend in die Phase der strukturellen
Umsetzung überführt wird und sich in Ablauforganisation sowie Strukturen der
Leistungserbringung spiegelt. Neben der Verschriftlichung solcher Prozesse in
Manualen werden laufende Erhebungen von Daten unternommen und unmittelbar auf ihre Prozesshaftigkeit sowie hinsichtlich des Outcome überprüft.
Neben der Heranziehung bestehender Leitlinien, besteht in einer populationsbezogenen Integrierten Versorgung die Notwendigkeit der Erarbeitung fachund sektorenübergreifender Standards. Um der im Rahmen dieser Arbeit beschriebenen Schnittstellenproblematik künftig besser begegnen zu können,
kommt den schnittstellenbezogenen Leitlinien besondere Gewichtung zu.
Zugleich nimmt auch die Implementierung von Behandlungspfaden (Critical oder
Clinical Pathways), die sich am Einzelfall orientieren, eine wesentliche Rolle ein
(vgl. Schrappe/Lauterbach 2010, 514f). Diese greifen dabei die schnittstellenbezogenen Leitlinien auf und sollen mittels einer vorgreifenden Kalkulation ein
Controlling ermöglichen. Damit soll im Rahmen von institutionsbezogenen Leitlinien eine Planung anhand mittel- und langfristiger Versorgungsziele gewährleistet werden. Gleichwohl der Entwicklung dieser Leitlinien besondere Bedeutung insbesondere bei multimorbiden und chronischen Krankheitverläufen
beigemessen werden kann, stellt diese gerade in einer Integrierten Versorgung
eine besondere und komplexe Herausforderung dar. Wesentlich ist daher, diese stets zu überprüfen und im Sinne des individuellen und organisatorischen
Lernens immer wieder auf ihre Gültigkeit zu prüfen und gegebenfalls anzupassen
(vgl. ebd.).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
4.2.1 Qualitätssicherung durch interne und externe Verfahren
Da es sich bei dem vorgestellten Modell der Integrierten Versorgung um einen
Managed Care Ansatz handelt, stellt die Begleitforschung und die hiermit verknüpfte Qualitätssicherung ein wesentliches Element dar und wird im Rahmen
der externen Qualitätssicherung im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation erhoben. Es erfolgt zudem ein regelmäßiges Qualitätsmonitoring durch
Patienten- und Angehörigenbefragungen (vgl. Klusen et al. 2010, 111; vgl. Ruprecht 2008, 88f). Die konkreten Kennzahlen der Evaluation sind:
„„ Krankenhauskosten
„„ Krankenhausverweildauer
„„ Arbeitsunfähigkeitstage
„„ Bezug und Höhe von Krankengeld
„„ Arzneimittelkosten
(Klusen et al. 2010, 105)
Im Kontext der internen Qualitätssicherung weisen Kent und Burns (1996, 147)
auf die Bedeutung eines gut ausgearbeiteten Handbuchs hin, in welchem nicht
nur die Richtlinien und Ergebnisqualitätsaspekte erläutert werden, sondern auch
Aufgabenbereiche und Prozessabläufe sowie Verfahrensanweisungen formuliert
sind. Ein solches Handbuch liegt innerhalb des NWpG sowohl für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter, wie auch für die Tätigkeit in den Rückzugsräumen und
einem hiermit verbundenen Krisen- und Notfallmanagement vor. Zudem bestehen Manuale, die den Mitarbeitern bei der Einhaltung weitergehender Standards und Prozesse dienen sollen.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
4.2.2 Supervision, Teambesprechungen und Fallmonitoring
Das Lernen im Team stellt gerade im Sozial- und Gesundheitswesen einen
weiteren wichtigen Eckpfeiler innerhalb des QM dar, da in multiprofessionellen
Teams gearbeitet wird. Um diese Ressource voll ausschöpfen zu können und ein
gemeinsames Denken zu ermöglichen, sollten stets Interaktions- und Abwehrstrukturen im Blick bleiben und thematisiert werden. Zudem sollen grundsätzliche
konzeptionelle Bausteine, wie etwa Steuerung von Arbeitsabläufen, Lösung von
Konfliktsituationen sowie die Weiterentwicklung von Prozessen und Konzepten
in regelmäßigen Teambesprechungen umgesetzt werden. Zur Teamentwicklung, wie auch zu Fragen der Organisationsentwicklung und der Prozessgestaltung, findet im zweiwöchigen Turnus für alle Mitarbeiter eine Supervision statt.
Zudem ist zum aktuellen Zeitpunkt eine ebenso wöchentliche bzw. zweiwöchentliche fachärztliche Beratung in Planung. Dies soll nicht nur der Sicherstellung
der ärztlichen Perspektive, sondern vielmehr auch der Gestaltung von Prozessen und Behandlungspfaden dienen. Zudem finden wöchentlich Teambesprechungen statt, die sich mit organisatorischen und strukturellen Aspekten beschäftigen aber auch Raum für ausführliche Fallbesprechungen geben.
Einen wesentlichen Kern des teambasierten Arbeitens stellt das tägliche Fallmonitoring dar. Hier besteht die Möglichkeit, sich bezüglich des aktuellen
Verlaufes von Krisen auszutauschen sowie eine multiprofessionelle Perspektive
hierüber zu entwickeln. Es dient weiter dazu, Leistungen und das weitere Vorgehen abzustimmen. Außerdem sollen die unterschiedlichen Qualifikationen
sowie Berufserfahrungen gebündelt und für die Einzelfallarbeit nutzbar gemacht
werden (vgl. Stein/Santos 1998, 98f).
4.2.3 Qualitätszirkel und Fortbildungen
Im Rahmen der Qualitätszirkel (QZ) treffen sich die Mitarbeiter und Leistungserbringer des NWpG, um Probleme innerhalb der Organisation sowie der
täglichen Arbeitsabläufe zu diskutieren. Dabei soll spezifischen oder aktuellen Frage- und Problemstellungen nachgegangen werden. Die Qualitätszirkel
finden innerhalb der bestehenden Arbeitszeit statt oder werden vergütet und
sollen Mitarbeiter, die an gleichen Aufgaben bzw. Themen tätig sind, die Möglichkeit geben, die gemeinsamen Erfahrungswerte auszutauschen, um daraus im
Sinne der Qualitätssicherung Optimierungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Letztlich
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
sollen hierbei sowohl das individuelle Lernen der einzelnen Mitarbeiter wie auch
das der gesamten Organisation befördert werden (vgl. Decker/Decker 2008,
368)61. Im Einzelnen umfasst die Qualitätszirkelarbeit folgende Themen:
„„ Einzelfallbesprechungen
„„ Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Leistungserbringern auf der
Grundlage evidenzbasierter Leitlinien und im Rahmen dieses Vertrages
„„ Die eigene Prozess- und Ergebnisqualität anhand aufbereiteter Daten aus der
Dokumentation bzw. dem Qualitätsmonitoring
„„ Maßnahmen zur Qualitätsoptimie­rung des NetzWerks psychische Gesundheit
(aus dem Vertrag)
Die gezielte Fortbildung der Mitarbeiter stellt perspektivisch eine gezielte
Investition dar, sofern sie auch auf ihre Wirksamkeit überprüft wird. Wie die
lernende Organisation haben auch die Mitarbeiter Potential, ihre bestehenden Fähigkeiten und Fertigkeiten in Lernprozessen stetig zu erweitern. Mittels
handlungsorientierter Methoden sollen die Handlungskompetenz gefördert
werden, aber auch soziale und methodische Kompetenzen reflektiert, erweitert
und entsprechend der weiteren Umsetzung überprüft werden (Bundesverband
evangelische Behindertenhilfe 2009, 121). Bis dato fanden daher im Rahmen
des NWpG unter anderem Fortbildungen zum Thema „Umgang mit Suizidalität“
sowie zum Thema „Deeskalation“ statt62.
61 Dies stellt wiederum perspektivisch eine Möglichkeit der Mitarbeitermotivation dar, da sie sich partizipativ in
Planung und Steuerung der Gesamtabläufe einbringen können. Für die Führungskräfte bedeutet die Einführung solcher QZ auch die notwendigen Rahmenbedingungen vorzuhalten, etwa auch die Mitarbeiter nur auf
freiwilliger Basis zu beteiligen, aber auch die strukturellen Bedingungen zu gewährleisten sowie die Ergebnisse
in die laufenden Prozess- und Strukturqualität miteinbeziehen zu wollen (vgl. ebd.).
62 Weiter ist für das Jahr 2012 eine Fortbildung geplant, die insbesondere die systemische Gesprächsführung
sowie die Netzwerkarbeit in den Fokus nehmen soll.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
4.2.4 Elektronische Vernetzung als Basis
Ein wesentlicher Aspekt, die Akteure am Geschehen zu beteiligen und einen nahtlosen Informationsaustausch sicherzustellen, stellt der Zugriff auf ein
einrichtungsübergreifendes Informationssystem dar. Derzeit werden alle
relevanten Leistungen und Verläufe im Rahmen eines bestehenden Informationssystems in einer elektronischen Klientenakte zusammengeführt. Auf diese haben
sowohl die Mitarbeiter des NWpG Zugriff, wie auch die kooperierenden Ärzte
für ihre jeweiligen Patienten. Diese Form der Vernetzung stellt ein elementares
Instrument in einem Versorgungsnetzwerk dar (vgl. Amelung et al. 2009, 110ff).
Eine derartige Form der Bündelung von Handlungsabläufen bei einer gleichzeitig ausgeprägten Heterogenität würde die Einbeziehung weiterer Leistungserbringer sicherlich erschweren. Dies ist nicht nur durch organisatorische
Grenzen und damit verbundenen Schwierigkeiten zu erklären, sondern
auch durch die Unterschiedlichkeit vorhandener Dokumentationssysteme,
anforderungen, und -standards. Hier zeigt sich künftig die Herausforderung,
drohende Redundanzen zu vermeiden oder aber Leistungen in mehreren
Systemen zu dokumentieren. Dies wiederum erhöht das Risiko von
„Informationsinseln“ und daher besteht hier sicherlich die Notwendigkeit einer
sinnvollen Lösung (vgl. ebd., 113).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
4.3 Die Inanspruchnahme des NWpG und dessen Leistungen
Der nun anschließende Teil der Arbeit erhebt keineswegs den Anspruch im Sinne
einer Versorgungsforschung tätig zu sein, da diese nur über einen mittel- und
langfristigen Verlauf angelegt sein kann und das NWpG erst vor etwas mehr als
einem Jahr begann. Wie zuvor beschrieben, orientiert sich das NWpG eng an
Qualitätssicherungs und -managementaspekten, die eine maßgebliche Grundlage für Programme der Integrierten Versorgung oder aber HMO-Organisationen darstellen. So ist die folgende deskriptive Darstellung aus dem Erhebungszeitraum ist im Sinne einer Selbstbewertung zu verstehen, als ein Prozess der
Analyse und Beschreibung der eigenen Institution, die auch im Rahmen von
Zertifzierungsverfahren für QM angewandt werden.
4.3.1 Einschreibeverhalten und Nutzerdaten der teilnehmenden Versicherten
Wie zuvor erläutert startete das NWpG in München Anfang 2010. Zum
Erhebungszeitraum zwischen Januar 2010 bis zum 31.12.2010 haben sich 400
Patienten für die Teilnahme an der Integrierten Versorgung entschieden63. 35
davon schieden innerhalb dieses Zeitraums auf eigenen Wunsch oder durch
das NWpG veranlasst wieder aus (vgl. Kap. 4.3.6). Die im Vergleich zu anderen Netzwerken in Deutschland hohe Zahl an Einschreibungen mag vermuten
lassen, dass viele Patienten auf ein derartiges Angebot positiv reagieren, ist aber
sicherlich auch der guten Kooperation mit den Ärzten der Brain Insight GmbH geschuldet, die ihre Patienten vom Mehrwert einer solchen Versorgung überzeugen
konnten.
Wurden die Patienten im ersten Halbjahr über den Gesundheitsservice der
Techniker Krankenkasse akquiriert und eingeschrieben, ist dieses Verfahren
aufgrund der Praxiserfahrungen sowie gemeinsamer Überlegungen in den
Qualitätszirkeln angepasst worden. So werden die Patienten einerseits durch die
kooperierenden Fachärzte über die Leistungen des NWpG informiert und für die
Integrierte Versorgung vorgeschlagen. Andererseits fungiert der Gesundheitsservice der Krankenkassen weiterhin hinsichtlich einer beratenden Funktion. Patienten, die durch diesen auf das Angebot aufmerksam gemacht wurden, kom63 Aus der für die IV relevanten Patientengruppe haben sich zwischen 27% und 35% der Versicherten für diese
Form der Versorgung entschieden (vgl. Steckermaier 2010, 96).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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men zunächst zu Informationsgesprächen in die Koordinationsstelle des NWpG
und entscheiden sich erst nach ausreichender Aufklärung für oder gegen eine
Teilnahme. Erst anschließend erfolgen die eigentlichen Begrüßungsgespräche,
die auch der Anamnese sowie der Planung der Versorgung und der gemeinsamen Gestaltung der Krisenvereinbarung dienen. Somit ist der wesentliche Anspruch einer Integrierten Versorgung, der freiwilligen Teilnahme, erfüllt und die
Nutzer entscheiden sich erst nach einem intensiven Informationsaustausch für
eine Teilnahme. Das bedeutet, dass die Patienten, die Ziele des NWpG grundsätzlich auch für sich als wesentlich betrachten und sich eine derartige Form der
Unterstützung vorstellen können und hilfreich fänden.
Der Vertrag mit der TKK sieht eine Teilnahme von Versicherten im Alter von 10
bis 85 Jahren vor64. Die Altersverteilung der teilnehmenden Versicherten stellt
sich dabei wie folgt dar:
104
78
75
52
40
16
bis 30
Jahre
31-40
Jahre
41-50
Jahre
51-60
Jahre
61-70
Jahre
71
Jahre
u. älter
Altersverteilung der Nutzer (N=365)
(Dar. 5, aus der Datenbank des NWpG München, Stand: 31.12.2010)
Aufgrund der hohen Zahl von Klienten, die sich bei einem Kooperationsarzt
in Behandlung befinden sowie durch einen intensiven Austausch mit anderen
Psychiatern oder Kliniken, konnten für die meisten Klienten die aktuellen Diagnosen erhoben werden, die sich wie folgt verteilen:
64 Dieses Spektrum wird zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht erfüllt, würde aber insbesondere für die
psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sowie für Erkrankungen im Alter einen wichtigen
Baustein darstellen.
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Empirischer Teil
21 F40-F48
Neurotische, Belastungs- und
somatoforme Störungen
2 F50-F59
Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
35 F60-F69
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
105 F20-F29
Schizophrenie, schizotype und
wahnhafte Störungen
156 F30-F39
Affektive Störungen
Primärdiagnosen der Nutzer (N=319)
(Dar. 6, aus der Datenbank des NWpG München, Stand 31.12.201065)
Es ist festzustellen, dass viele der eingeschriebenen Teilnehmer berufstätig sind, das heißt, dass sich der sozioökonomische Status zum
aktuellen Zeitpunkt von Klienten der Eingliederungshilfe unterscheidet66.
10,1%
Andere (Familie, Partner)
17,0%
Arge
Hartz IV
41,5%
Berufstätig
17,8%
EU-Rente
Erwerbsminderung
13,6%
Rente
Einkommen der Nutzer (N=365)
(Dar. 7, Erhebung aus dem internen Fragebogen)
65 Für die anderen Klienten bestand zum Zeitraum der Erhebung keine ärztlich gesicherte Diagnose, die Selbstauskünfte der Klienten wurden nicht in die Erhebung aufgenommen.
66 Es wäre künftig interessant zu untersuchen, ob sich Patienten gegen eine Teilnahme in der Integrierten
Versorgung entscheiden, da sie sich auch durch Einrichtungen aus der Eingliederungshilfe ausreichend unterstützt sehen; ein solche Untersuchung gestaltet sich jedoch als schwierig, da in diesem Fall nur die Patienten
selbst darüber Auskunft geben können, welche Dienste sie in Anspruch nehmen.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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Empirischer Teil
Wie im Zusammenhang mit der Erstellung der Krisenvereinbarung oder aber in
der Schnittstellenarbeit mit dem sozialen Netz beschrieben, sind das Lebensumfeld und die sozialen Kontakte von besonderer Bedeutung für die gesamte
Versorgung wie auch die Lebensqualität. Daher werden nachfolgend die Erhebungungen zur Wohnform der eingeschriebenen Versicherten dargestellt:
betreute Wohnform (TWG u.a.) 3,0%
3,7% Sonstiges (Eltern, WG, u.a.)
alleinerziehend 4,5%
11,6%
mit Partner
und Kindern
47,4%
allein lebend
29,8%
mit Partner
Wohnform (N= 365)
(Dar. 8, Erhebung aus dem internen Fragebogen)
Die Koordination der Leistungen im besten Falle über die Sozialgesetzbücher
hinweg und damit auch die Arbeit an ebendiesen Schnittstellen stellt eines
der primären Ziele der Integrierten Versorgung dar und nimmt Einfluss auf die
Versorgung, die Behandlungszufriedenheit sowie die Lebensqualität. 50% der
eingeschriebenen Versicherten befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung in
einem Angebot der Regelversorgung, zum Teil bei mehreren Diensten bzw.
Einrichtungen. Die Zahl kann dabei nur im Sinne einer Momentaufnahme
Gültigkeit haben, da einige Maßnahmen zeitlich begrenzt waren. In der
folgenden Abbildung wird die Verteilung auf die unterschiedlichen Dienste und
Einrichtungen dargestellt:
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Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
12,6%
Andere (Tagesstätten,
Haushaltshilfen, etc.)
10,7%
Ergotherapie
48,6%
Psychotherapie
2,8%
Bezirkssozialarbeit
16,4%
Sozialpsychiatrischer Dienst
8,9%
Betreutes Einzelwohnen
Regelversorgung SGB V und SGB XII (N = 365)
(Dar. 9, Erhebung aus dem internen Fragebogen; Mehrfachnennungen waren möglich, ausgenommen sind Fachärzte und PIAs67)
4.3.2 Inanspruchnahme der Rückzugsräume
Die Räumlichkeiten der Rückzugsräume als einer der wesentlichen Versorgungsbausteine des NWpG befinden sich in der Nähe der Koordinationsstelle und sind
gut in die strukturelle Umgebung eingebunden68. Eine solche geografische Einbettung ist dabei im Sinne der Gemeindeorientierung (vgl. Aderhold 2009, 330).
Die Wohnungsgestaltung entspricht dabei analog des Konzeptes einer milieutherapeutischen Umgebung und das sogenannte „non-hospital-setting“ soll eine
angenehm wohnlich Atmosphäre vermitteln.
67 Die Zahlen zur fachärztlichen Anbindung wurden bereits im Vorfeld generiert (vgl. Darstellung 10)
68 In unmittelbarer Nähe befinden sich ein Bahnhof für zahlreiche öffentliche Verkehrsmittel und zudem ist die
Wohnung in einem belebten Wohnviertel, in dem zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten bestehen.
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Derzeit stehen den Patienten drei Einzelzimmer zur Verfügung und eine
Betreuung wird durch psychiatrisch erfahrenes Fachpersonal über 24 Stunden
gewährleistet. In der Regel wenden sich die Klienten im Laufe eines Tages an
die Koordinationsstelle des NWpG, mitunter erfolgt der Kontakt auch über Angehörige oder Psychiater. Die Aufnahme erfolgt gemeinsam mit den Bezugsbegleitern, nach einem vorhergehenden Kontakt zum behandelnden Psychiater bzw. zu
einem Kooperationsarzt, wenn dieser nicht zur Verfügung steht. Zudem besteht
die Möglichkeit den ärztlichen Hintergrunddienst zu verständigen, der soweit erforderlich, in die Rückzugsräume kommt (vgl. ärztllll). Die Klienten werden in den
Rückzugsräumen den Abend und die Nacht über begleitet.
Fallbeispiel 4:
Ein kooperierender Psychiater wendet sich telefonisch an die Koordinationsstelle.
Die Klientin ist 28 Jahre alt, leidet an einer depressiven Störung und neigt zudem aufgrund ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung im Krisenverlauf zu schädlichen Verhaltensweisen wie verstärktem Medikamentenmissbrauch. Aus dem
Assessment gehen zwei Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken hervor. Eine
stationäre Aufnahme in einer Allgemeinpsychiatrie erfolgte nach Medikamentenmissbrauch in suizidaler Absicht, welchem sich ein stationärer Aufenthalt in einer Spezialstation für Borderline-Persönlichkeitsstörungen anschloss. Die aktuelle Krise wurde durch einen Konflikt mit einer anderen Tagesstättenbesucherin
hervorgerufen, die Klientin sei nun in Sorge vor der Rückkehr in ihre Wohnung
und den hieraus möglicherweise resultierenden Ängsten und Verhaltensweisen.
Nach erfolgter Abstimmung mit dem Arzt und der gemeinsamen Behandlungsplanung kommt die Klientin zum Krisengespräch zu ihrem Bezugsbegleiter in die
Koordinationsstelle und wird von diesem in die Rückzugsräume begleitet. Die
Aufnahme erfolgt in Absprache mit dem Arzt zunächst für einen Tag. Zudem wird
gemeinsam mit der Klientin für den folgenden Tag ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Tagesstätte vereinbart und gemeinsam mit diesem die Krise und das
weitere Vorgehen abgestimmt. Bereits durch diese Interventionen zeigt sich die
Klientin in der beschriebenen Krise ausreichend stabilisiert und wünscht sich für
das anschließende Wochenende nur mehr telefonische Kontakte, um den Tag zu
strukturieren.
Aufgrund dieser positiven Erfahrung und der flexiblen wie raschen Krisenintervention wurden die Rückzugsräume durch den Psychiater ein weiteres Mal für den
Zeitraum von einer Woche verordnet.
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Im Erhebungszeitraum wurden die Rückzugsräume von vierzehn Klienten für
insgesamt 43 Nächte in Anspruch genommen. Bei acht Klienten kam es zusätzlich zu einer ärztlichen Versorgung innerhalb der Rückzugsräume. Die zu
Beginn vergleichsweise geringe Auslastung der Rückzugsräume stieg innerhalb
des zweiten Halbjahres kontinuierlich an. Dies lässt seitens des NWpG vermuten,
dass dies einerseits mit dem Anstieg der Klientenanzahl in Verbindung zu setzen
ist ,andererseits mit dem wachsenden Vertrauen in diese Form der Versorgung.
Einige Klienten äußern dagegenbereits in der Gestaltung der Krisenvereinbarung
den Wunsch, gegebenenfalls zuhause begleitet werden zu wollen.
Befürchtungen hinsichtlich einer Regression in einem solchen Setting können
nicht geteilt werden und gleichwohl die Aufenthalte zeitlich begrenzt geplant
wurden, wurde diese Dauer bis dato kaum ausgeschöpft. Dennoch wird entsprechend der bestehenden Versorgungspfade ein entsprechendes Monitoring
im Hinblick auf Qualitätssicherung und Prozessentwicklung durchgeführt (vgl.
Kleinschmidt 2010, 23). Dieses Monitoring findet im Einzelfall in der Regel täglich, spätestens jedoch nach einer Woche statt und bietet somit die Möglichkeit,
Interventionen rasch am tatsächlichen Bedarf wie auch an den Bedürfnissen der
Betroffenen abzustimmen.
Die Gründe für eine Aufnahme in die Rückzugsräumen variierten entsprechend
der unterschiedlichen Störungsbilder, aber auch hinsichtlich diverser krisenauslösender Ereignisse. Neben der Zuspitzung einer bereits seit länger bestehenden psychischen Störung, führten auch Probleme im sozialen Umfeld zur Notwendigkeit der Aufnahme. Als alternativer Versorgungsort zeichnen sich die
Rückzugsräume insbesondere durch die Gewährleistung der Bezugsbegleiter
als stabilisierendes Element der Krisenversorgung aus. Wie zuvor erläutert, wird
die Aufnahme in die Rückzugsräumen durch die Bezugsbegleiter umgesetzt.
Auch an den Folgetagen wird der Kontakt eng gehalten, unter anderem durch
die soziotherapeutischen Leistungen des Notfallkomplexes oder der Intensivbetreuung69. Das bedeutet auch eine erleichterte, da kontinuierlich begleitete
Rückkehr in den Alltag und das individuelle Lebensumfeld (vgl. Vogelsang 2010,
97f).
69 Die Begriffe sind dem Maßnahmenkatalog des Vertrages entnommen.
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4.3.3 Inanspruchnahme medizinisch-fachärztlicher Leistungen
Seit dem Start des NWpG Anfang 2010 haben sich immer mehr Fachärzte für die
Beteiligung in der Integrierten Versorgung entschieden, im Erhebungszeitraum
handelt es sich um 37 Ärzte.
Kooperationsarzt
51 %
PIA
12 %
ohne Psychiater
4%
Anbindung beim Facharzt (N=319)
(Dar. 10, die Zahlen sind der Datenbank des NWpG entnommen, Stand: 30.10.2010)
Die Behandlungsstandards und zu vergütenden Leistungen lauten dabei wie
folgt:
„„ kurze Wartezeiten
„„ Krisentermine
„„ „mehr Zeit am Patienten“
„„ Eingangsassessment und Erstellung eines Behandlungsplanes
„„ Halbjahresuntersuchung/ Re-Assessment
„„ Therapieumstellung/-intensivierung/-stabilisierung
„„ Fachärztliches Konsil/Zweitmeinung
„„ Krisenintervention/Notfallkomplex
„„ Verordnung weiterer nichtärztlicher Leistungen
„„ Behandlung zu Hause/Home Treatment (auch in den Rückzugsräumen)70
Um die Behandlung zu Hause bzw. in den Rückzugsräumen in den Abendstunden und am Wochenende zu gewährleisten, wurde ein ärztlicher Hintergrunddienst installiert. Zudem ist eine wöchentliche fachärztliche Beratung geplant, um diese nicht nur auf der Einzelfallebene einzubeziehen, sondern auch
70 Die Leistungen sind dem Vertrag zwischen der Awolysis GmbH und der Brain Insight GmbH entnommen.
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an Prozessabläufen und der weiteren Vernetzung eng zu beteiligen. Im Laufe
des Erhebungszeitraums wurden viele Patienten durch kooperierende Ärzte für
die Integrierte Versorgung vorgeschlagen. Zudem entschieden sich einige Ärzte
aufgrund positiver Erfahrungsberichte ihrer Patienten, mit dem NWpG zu kooperieren und empfahlen somit auch weiteren Patienten, daran teilzunehmen. Da
einige der Nutzer des NWpG über keinen behandelnden Arzt verfügten, wurden
diese, soweit gewünscht, an kooperierende Ärzte vermittelt. In Einzelfällen, etwa
bei einer guten Versorgung im Rahmen einer Krise, entschieden sich Patienten bei dem jeweiligen Arzt in Behandlung zu bleiben. Dem Vorwurf, Patienten
könnten zu kooperierenden Ärzten „gesteuert“ werden, ist dabei entgegenzustellen, dass sich nur 33 (9%) der insgesamt 365 eingeschriebenen Versicherten für
einen der Kooperationsärzte entschieden (vgl. Kap. 4.3.3).
Die tatsächlichen Leistungen der Krisenversorgung seitens der Kooperationsärzte sind zum Erhebungszeitraum nur bedingt durch Zahlen nachweisbar, da
oftmals Abstimmungsprobleme hinsichtlich der Dokumentation bestanden.
Mittels gezielter Schulungen zur Datenbank, der Sicherstellung der notwendigen
Software, wie auch durch die Gestaltung struktureller Prozesse, zeichnet sich
eine verbesserte Umsetzung für alle Leistungserbringer ab.
Aus der Einzelfallebene lässt sich feststellen, dass eine intensive und regelmäßige Krisenversorgung zum Beispiel zur Medikamenteneinstellung und/oder
-umstellung ambulant gut gewährleistet werden kann. Auch die im Anschluss
an eine Krise häufig engmaschige Begleitung durch den Arzt wird von den
Patienten als hilfreich beschrieben (vgl. Fallbeispiel 2). Besonders hervorzuheben ist dabei die aufgebrachte Zeit seitens der Ärzte, die eine gelungene Beziehungsarbeit und damit größeres Vertrauen ermöglicht. Dies zeichnet sich auch
in der aufsuchenden Behandlung wie zum Beispiel in den Rückzugsräumen oder
aber bei den Klienten zuhause ab. Im Rahmen des Home Treatment erfolgten
seitens der Fachärzte innerhalb des ersten Jahres 15 Einsätze, wovon acht in
den Rückzugsräumen und sieben in der Wohnung der Betroffenen stattfanden.
Die Patienten äußerten auch hier als positive Erfahrung, viel Zeit zugestanden
zu bekommen und Unterstützung hinsichtlich einer individuellen Krisenplanung
zu erhalten.
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4.3.4 Inanspruchnahme weiterer Leistungen: Psychologische Beratung und Ergotherapie
Wie innerhalb der einzelnen Leistungsbausteine des NWpG beschrieben, besteht die Möglichkeit einer psychologischen Beratung oder aber Krisenintervention. Die Gespräche dienten meist der Orientierung hinsichtlich Therapiemotivation und Therapierichtung sowie deren Zielentwicklung. Zudem wurden,
soweit erforderlich, psychologische Kurzzeitinterventionen initiiert, vor allem bei
Klienten, bei denen die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrückt werden
musste. Auch kam es zur Notwendigkeit psychologischer Krisenintervention.
Im Jahr 2010 machten insgesamt 23, also 6% der Nutzer des NWpG von der
Möglichkeit einer psychologischen Beratung bzw. einer Kurzzeittherapie Gebrauch, von denen 16 zum Teil mittels Unterstützung oder aber nur wegen der
vorangegangenen Beratung eine längerfristig ausgerichtete Psychotherapie begannen.
Im Rahmen des multiprofessionellen Teams stehen auch erfahrene Ergotherapeuten sowie Mitarbeiter mit unterschiedlichen Zusatzqualifikationen zur
Verfügung. Diese können in Absprache mit den Bezugsbegleitern und dem behandelnden Facharzt gezielte ergotherapeutische Leistungen oder aber auf
spezifische Störungen ausgelegte Interventionen, wie etwa in Anlehnung an die
Dialektisch-Behaviorale Theapie (DBT), in großer zeitlicher Flexibilität anbieten. Im Jahr 2010 wurden in sieben Fällen ergotherapeutische Maßnahmen zur
Stabilisierung in Krisen bei Hausbesuchen durchgeführt. Diese Leistungen
können in Krisenzeiten rasch implementiert werden und stellen somit eine
flexible Interventionsmöglichkeit dar. Sie werden zudem eingesetzt, um geeignete Therapiemöglichkeiten auswählen zu können. Hierbei können unterschiedliche Verfahren und Methoden erprobt und sowie die Motivation für
diese in den Fokus genommen werden. Zeichnen sich derartige Methoden oder
Verfahren als stabilisierend aus, so werden mit den Klienten für eine mittel- und
längerfristige Therapie entsprechende Einrichtungen gesucht und die weitere
Behandlung eng mit diesen abgestimmt.
Seiten 101
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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4.3.5 Krankenhausaufenthalte
Die mitunter fließende Grenze von seelischer Krise und psychiatrischem
Notfall,führt auch innerhalb einer ambulanten Versorgung mitunter zur Notwendigkeit stationärer Aufnahmen (vgl. Kap. 2.2.2). Einige Gründe sollen nun
näher skizziert werden.
Zunächst ist an dieser Stelle festzustellen, dass bei einer unmittelbar
indizierten stationären Aufnahme für das NWpG der Auftrag besteht, die Klienten bei diesem Schritt zu begleiten. Das bedeutet, auch die Motivation für eine
Aufnahme herzustellen, um damit eventuelle Zwangsmaßnahmen zu vermeiden
und die Betroffenen hiervor zu schützen. Eine stationäre Aufnahme wird im weiteren Verlauf durch die Bezugsbegleiter koordiniert, die den Klienten in die Klinik
begleiten. Auch während des stationären Aufenthaltes wird der Kontakt beibehalten (vgl. Stein/Santos, 1998: 52). Eine enge Verzahnung zwischen ambulantem
und stationärem Bereich kann für den Behandlungserfolg wie auch eine zeitnahe
Entlassplanung von großer Bedeutung sein (vgl. Stein/Santos, 1998: 51ff). Eine
psychische Störung, die in einen psychiatrischen Notfall mündet, ist dabei
immer in ihrem Kontext zu betrachten und damit eng mit der Lebenswelt der
Betroffenen. Daher ist die Einbeziehung solcher Aspekte immanent bedeutend
für eine nach aktueller Erkenntnis gute Behandlung, und das klinische Personal
kann durch das Wissen der ambulanten Versorger partizipieren (vgl. ebd.: 53).
Folgende Zustandsbilder führen zur unmittelbaren Notwendigkeit einer
stationären Aufnahme:
„„ Erregungszustände
„„ Akute Suizidalität
„„ Delirante Syndrome (Verwirrtheitszustände) – nicht durch Alkohol bedingt
„„ Bewusstseinsstörungen
„„ Alkohol-, Benzodiazepin, und Drogen-induzierte Notfälle
„„ Psychopharmakainduzierte Notfälle
(Müller-Spahn et al. 2000, 5ff)
Seiten 102
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
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Im ersten Jahr des NWpG erfolgten sechs Aufnahmen im Rahmen eines
Unterbringungsbeschlusses,
meist
aufgrund
eines
vorangegangenen
maniformen Syndroms bei potentieller Eigen- und Fremdgefährdung. Drei
weitere Einweisungen wurden mit dem Einverständnis der Betroffenen bei akuter
Suizidalität und/oder Intoxikation und einer damit drohenden Eigen- und Fremdgefährdung seitens des NWpG veranlasst. Neben den psychiatrischen Notfällen
kam es jedoch auch zu 19 stationären Aufnahmen, bei denen sich die Klienten
eine ambulante Versorgung nicht vorstellen konnten oder aber zu Beginn der
Teilnahme unsicher bezüglich der real zu erwartenden Hilfen durch das NWpG
waren. Hiervon lehnten vier Klienten ein gemeinsames Gespräch bezüglich des
weiteren Vorgehens mit dem behandelnden Arzt in der Klinik ab, während die
anderen einverstanden waren. Dies führte in Einzelfällen zu einer Kündigung
der Integrierten Versorgung und zeigt die Anforderung an die Klienten, welche in
einer ambulanten Versorgung einen klaren Mehrwert für sich erkennen müssen
(vgl. Kündigungen).
Neben der Vermeidung stationärer Aufenthalte, zielt die Arbeit des NWpG auch
auf eine Verkürzung ebendieser ab. Dies ist eine besondere Herausforderung,
die oftmals auf dem Grad des Vertrauens in das Angebot des NWpG basiert.
So entschieden sich einzelne Klienten nach Abklingen des Notfalls, wie etwa
akuter Suizidalität, mittels der Unterstützung des NWpG in ihr gewohntes Umfeld zurückzukehren. Ebenso wurden im Rahmen von Netzwerkgesprächen mit
den Behandlern in der Klinik in Einzelfällen kurze stationäre Kriseninterventionen vereinbart und eine hieran anschließende Versorgung über das NWpG. Zudem wird Kontakt mit der Station und dem behandelnden Arzt über Netzwerkgespräche gesucht und es konnte hier oft auch eine gelungene Schnittstellenarbeit verzeichnet werden. Von den zuvor beschriebenen Klienten entschieden
sich nach einem Netzwerkgespräch mit der Klinik und der Abstimmung mit
ambulanten Behandlern, Betreuern und Angehörigen zehn für eine raschere
Entlassung, von denen zwei zunächst in den Rückzugsräumen aufgenommen
wurden und die anderen soziotherapeutisch begleitet wurden. Die teilweise gelungene Verkürzung von stationären Aufenthalten basiert dabei zunächst auf dem
Ausschluss einer Eigen- oder Fremdgefährdung71. Sofern eine rasche Entlassung aus der Klinik initiiert werden kann, gilt es, folgende Kriterien zu beachten:
71 Hier ist zudem relevant, ob es sich um eine Unterbringung handelt.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
„„ der Klient verfügt über eine realistische Selbsteinschätzung und Einsicht
„„ der Klient möchte definitiv zuhause behandelt und versorgt werden
„„ es besteht eine adäquate Unterkunft (auch die Rückzugsräume kommen hier in
Frage)
„„ Angehörige oder Partner sind einverstanden mit der Rückkehr
„„ der Klient ist mit einer Versorgungs-/Behandlungsplanung einverstanden und ist in
der Lage, diese einzuhalten
(vgl. Nolan/Tang 2008, 191)
Nichtsdestotrotz kann derzeit noch kaum von klaren, schnittstellenübergreifenden Standards oder Behandlungspfaden gesprochen werden. Eine
Kooperationsvereinbarung mit einer Klinik besteht bislang nicht, gleichwohl diese
sicherlich wünschenswert wäre (vgl. Schnittstelle Klinik)72.
4.3.6 Motivation von Vertragskündigungen
Immer wieder kam und kommt es zu Vertragskündigungen, die sowohl von Nutzern, wie auch dem NWpG formuliert wurden. Gerade zu Beginn des Erhebungszeitraums handelte es sich um Klienten, die durch gesetzliche Betreuer in die
Integrierte Versorgung eingeschrieben wurden. Oftmals zeigte sich eine Kontaktaufnahme in solchen Fällen als problematisch, da die Klienten nicht erreichbar
waren oder aber kein gemeinsamer Termin mit den Betreuern anberaumt werden
konnte. Zudem schienen manche Klienten überrascht und lehnten einen weiteren Kontakt ab.
Nur selten kam es bis dato zu einer Kündigung aufgrund einer stationären
Aufnahme. Aus dem Verlauf des ersten Jahres und aus Schilderungen der
Betroffenen lässt sich vemuten, dass ein Teil der Klienten die Klinik als gewohntes Setting in Krisen kennt und sich auch nur dort eine Behandlung vorstellen kann (vgl. Kap. 4.3.5).
72 Eine in Großbritannien etablierte Kooperation ermöglicht es, den zuständigen Psychiater sowohl im klinischen
wie ambulanten Setting als Behandler einzubeziehen. Zudem kann dieser in wöchentlichen Teamsitzungen
als fachärztlicher Berater sowie als „Gate-Keeper“ für die Betten in der Klinik fungieren (Nolan und Tang 2008,
189).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
„Often the patient is seeking, even demanding, hospital admission“
(Hoult/Nolan 2008, 132)
In diesen Fällen wurde im Vorfeld einer stationären Aufnahme das Anliegen sowie das Leistungsangebot des NWpG in Zusammenhang mit den Wünschen
der Klienten abgeglichen und besprochen, in welcher Weise die Klienten künftig
an diesem Angebot partizipieren möchten. Manche dieser Gespräche erfolgten
erst nach der Aufnahme. Teilweise erklärten die Klienten dabei, dass sie sich zu
Beginn der Teilnahme an der Integrierten Versorgung noch wenig sicher hinsichtlich einer stabilen, konstanten und dabei flexiblen Versorgung fühlten. Zumeist blieben die Klienten nach wie vor Nutzer der Integrierten Versorgung.
Gemeinsam mit diesen wurde weiter dem berechtigten Wunsch für Beziehungsund damit auch Vertrauensarbeit nachgegangen. Nur in Fällen, in denen die
Klienten den klaren Wunsch äußerten, sich auch in weiteren Krisen grundsätzlich
stationär behandelt zu wissen, kam es zu einer Vertragskündigung.
Weitere Kündigungen erfolgten, wenn sich zu den Klienten über einen längeren
Zeitraum kein Kontakt herstellen ließ oder diese, wie zuvor beschrieben, nicht
bereit waren, mit dem NWpG in Kontakt zu bleiben. Insgesamt kam es im Erhebungszeitraum durch die genannten Gründe zu insgesamt 35 Vertragskündigungen (8,75 % bei einer Gesamtmenge N=400)73.
73 Die Zahl der Kündigungen dürften in der Betrachtung der Häufigkeitsverteilung einen Normalwert einnehmen,
da sich aus der relevanten Patientengruppe zwischen 27% und 35% der Versicherten für diese Form der Versorgung entschieden haben und diese Zahlen über den Prognosen von 25% hierzu liegen (vgl. Steckermaier
2010, 96).
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
4.3.7 Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Krisenvereinbarung sowie eines
Behandlungsplans
Innerhalb von Mental Health und dem in dieser Arbeit vorgestellten teambasierten Case Management-Ansatz sowie in der Entwicklung von Versorgungspfaden, spielen das Assessment und das Symptommanagement eine wesentliche Rolle und nehmen auch in der Versorgung von akuten Krisen einen hohen Stellenwert ein. Es stellt einen wesentlichen Aufgabenbereich der Casemanager in der Koordinationsstelle dar, sich hierzu eng mit anderen
Behandlern und Betreuern abzustimmen (vgl. Brimblecombe 2008, 111ff;
Ewers 2005, 58ff). Die Frage, ob eine ambulante Versorgung im Rahmen einer
seelischen Krise möglich ist, muss individuell nach einem solchen Assessment
überprüft werden, bei dem neben einem Facharzt auch mindestens zwei Bezugsbegleiter des NWpG involviert sind. Gemeinsam erfolgt die Entscheidung
darüber, welche Hilfen geeignet und notwendig sind. Dies kann auch bedeuten, dass eine unmittelbare Aufnahme in eine Akutstation veranlasst werden
muss (vgl. Brimblecombe 2008, 116,119). Die Versorgungsplanung bzw. das
Assessment wird dabei ausführlich bei Eintritt in die Integrierte Versorgung erstmalig erhoben und im Bedarfsfall aktualisiert, zudem erfolgt im Rahmen der
Evaluation ein halbjährliches Re-Assessment.
Wie auch in der Gestaltung der Krisenvereinbarung gelten bei der Erhebung
folgende Grundsätze:
„Assessment is a shared process between the professionals and the service user. The
service user is an expert in their own feelings and experiences.“
(Brimblecombe 2008, 112)
Um Assessment auch über Schnittstellen hinweg zu ermöglichen, können in Absprache mit den Klienten andere Helfer im Rahmen von Netzwerkgesprächen
einbezogen werden. Besonders bei sich zuspitzenden Verläufen wird dieser
Austausch eng betrieben. Zudem erfolgt eine enge Abstimmung im Fallmonitoring, im Fallteam, in den Supervisionen oder aber es finden Gespräche im Team
statt, um sich über mögliche Risiken zu beraten (vgl. Brimblecombe 2008, 119).
Folgende Daten werden im Assessment standardisiert erfasst:
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Empirischer Teil
„„ biografische Daten
„„ psychiatrische Vorgeschichte
„„ Therapien
„„ Suizidalität
„„ Krankenhausaufenthalte
„„ Unterbringungen
„„ Sucht-/Vorerkrankungen
„„ Soziales Netz
„„ aktuelle Medikation
„„ Psychiater
„„ weitere Helfer
„„ Finanzielle Situation
(aus dem Leitfaden für das Erst-/Begrüßungsgespräch)
Die Erhebung des Assessments stellt ein wesentliches Element der Versorgung
dar. Ebenso das Risikomanagement hinsichtlich der Gefährdungsmomente, wie
etwa Suizidversuche in der Vergangenheit oder aber Substanzmissbrauch und
physische Erkrankungen. Die Planung der Krisenversorgung wiederum wird für
den Zeitraum von zunächst höchstens einer Woche gestaltet und wird dann auf
ihre Wirksamkeit hin überprüft. Wesentlich ist jedoch auch hier ein bedürfnisorientiertes und flexibles Vorgehen. So kann es in diesem Verlauf jederzeit zu
einer Anpassung der Versorgungsplanung kommen. Das Vorgehen in der
(Krisen-)Versorgung orientiert sich nach folgenden Strategien:
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Empirischer Teil
„„ Gestaltung einer gemeinsamen Krisenvereinbarung
„„ Anwendung der Krisenvereinbarung bei Heranziehung des Krisenmanuales „Vorgehen im Notfall“
„„ Erkennung und Beachtung von Frühwarnzeichen und auslösenden (in der Krisenvereinbarung hinterlegt)
„„ Strukturierung der Zeit mit unterschiedlichen Interventionen, u.a. Gesprächen,
Ergotherapie
„„ Gewährleisten der Bezugsbegleiter bei Verantwortung eines „Key workers“, der
organisiert und über die Schnittstellen hinweg als Ansprechpartner fungiert
„„ Regelmäßige Überprüfung der Leistungen und des Krisenverlaufs mittels Monitoring; gegebenenfalls Anpassung des Versorgungsplans
„„ Regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiter in Deeskalationsstrategien
(vgl. Brimblecombe 2008, 118f)
Weiter werden folgende Aspekte beachtet:
„„ Bearbeitung von Problemen mit der hauswirtschaftlichen Versorgung, Ernährung
etc.
„„ Sicherstellung der Medikation durch den behandelnden Psychiater oder aber einen
Kooperationsarzt
„„ Erkennen und B earbeiten von Stressoren, im besten Falle Auflösung derselben
„„ Beratung, Aufklärung und Entlastung von Betroffenen und Angehörigen Supervision und Monitoring
„„ Einbezug des sozialen Netzes
„„ kontinuierliche, stabilisierende Versorgung
„„ Angehen praktischer Probleme, wie etwa Koordination somatischer Versorgung
„„ Eruieren des sozialen Netzes und Erkennen eventueller Probleme
„„ Vermittlung in weitere Hilfen, wie etwa SpDis, BEW etc., soweit möglich und gewollt
(vgl. Hoult/Nolan 2008, 123f)
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Da die eingeschriebenen Versicherten bereits aufgrund psychiatrischer
Störungen behandelt wurden, sollen diese als Experten in eigener Sache stets
einbezogen werden. Mitunter kann die Krise jedoch soweit fortgeschritten sein,
dass sie sich in einer gemeinsamen Krisen- und Versorgungsplanung kaum mehr
einbringen können. Auch hier spielt die Zusammenarbeit mit anderen Helfern und
dem sozialen Netz eine wesentliche Rolle. Die Planung der Versorgung kann und
soll entsprechend der individuellen Bedürfnisse variieren. Jedoch sollen nun kurz
Standards für ausgewählte Störungsbilder näher betrachtet werden.
Suizidalität
Suizidalität wird grundsätzlich im Rahmen des Risikomanagement im
Assessment detailliert zum Thema gemacht. Neben suizidalen Handlungen in
der Vorgeschichte werden der aktuelle Anlass, wie auch die Konkretheit der
Suizidalität eruiert. Häufig zeichnet sich hier die Einbeziehung der Angehörigen
als äußerst stützend aus, die einerseits bei bereits bestehenden Ängsten entlastet werden und andererseits einen supportiven Charakter einnehmen können
(vgl. Hoult/Nolan 2008, 129f). Dennoch ist dabei in der Arbeit des NWpG klar
darauf hinzuweisen, dass hier schon aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen die behandelnden Psychiater und deren weitere Behandlungsempfehlungen von besonderer Relevanz sind. Ergibt sich in der Planung der
weiteren Hilfen kein klares Bild hinsichtlich der Suizidalität, werden die Bezugsbegleiter motivierend auf einen stationären Aufenthalt hinarbeiten und die
Klienten dorthin begleiten.
Maniformes Syndrom
Gleichwohl sich viele Klienten mit maniformen Zustandsbildern in der Vergangenheit für eine Integrierte Versorgung und damit für eine ambulante Versorgung entschieden haben, stellt sich gerade hier eine besondere Herausforderung an die Versorgung, da sich die Klienten innerhalb einer solchen Phase
häufig nicht als krank betrachten. Nach Hoult und Nolan (2008, 131f) spielt in
solchen Fällen die Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme eine wesentliche
Rolle.
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Aus der Praxis zeigt sich, dass dieses Zustandsbild am ehesten zuhause versorgt
werden kann. Dies gelingt durch die Sicherstellung der Medikamenteneinnahme
und dabei vorrangig eines beruhigenden Medikamentes und einer engmaschigen Begleitung. Ein Wechsel des Settings zum Beispiel in die Rückzugsräume
ist nicht förderlich, da er eine zusätzliche Irritation bedeutet und bei Klienten die
Befürchtung auftreten kann, fremdbestimmt und festgehalten zu werden (vgl.
Fallbeispiel II).
Borderline Persönlichkeitsstörung
Da die Symptome bzw. die Probleme bei diesem Störungsbild häufig aus dem
interpersonellen Kontakt im sozialen Umfeld herrühren, bietet sich eine besondere Chance, mittels ambulanter Versorgung gerade dort anzusetzen.
Der gemeinsamen Erarbeitung einer individuellen Krisen- und Versorgungsplanung kommt dabei ein wesentliches Gewicht zu, wie auch im Auge zu behalten, dass die Klienten in der Suche nach einer Problemlösung oftmals auf
einen stationären Aufenthalt drängen.
Unabhängig des zugrunde liegenden Krisenauslösers kam es in der praktischen
Tätigkeit immer wieder auch zu Skepsis seitens der Betroffenen oder der Angehörigen, ob eine Versorgung zu Hause möglich ist. Hieraus resultierende Befürchtungen und Ängste, aber auch andere negativ gefärbte Erwartungen,
müssen stets thematisiert werden. Sie lassen sich mit diesem Vorgehen sicherlich nicht auflösen, ermöglichen jedoch auch hier die Betroffenen mit ihrem
Erfahrungsschatz einzubeziehen (vgl. Hoult/Nolan 2008, 124ff). Die hieran ansetzende Krisenvereinbarung wurde im Erhebungszeitraum stetig weiterentwickelt und mit den Klienten soweit erforderlich aktualisiert. Hier stellt die Einbeziehung anderer Behandler und Betreuer wie auch der Angehörigen ein wesentliches Kriterium dar.
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4.4 Schnittstellen- und Netzwerkarbeit – die Wirklichkeit
Gleichwohl eine Integrierte Versorgung schon dem Sozialgesetzbuch nach
originär dem Gesundheitsbereich zuzuordnen ist, wurden die aktuellen Verträge
des NWpG mit gemeindepsychiatrischen Trägern abgeschlossen, die lange Erfahrung in der Betreuung von Menschen mit komplexen Problemlagen haben74.
Dies wird dem Gedanken der Überwindung der Schnittstellenproblematik insofern
gerecht, als dass die Vertragspartner über diverse Leistungsangebote aus unterschiedlichen SGB-Bereichen verfügen (vgl. Faulbaum-Decke/Zechert 2010, 14f).
Im folgenden Teil der Arbeit sollen vor allem die institutionenbezogenen Schnittstellen im Rahmen der praktischen Arbeit des NWpG näher betrachtet werden.
Im Rahmen der institutionellen Netzwerkarbeit finden regelmäßig gemeinsame
Gespräche mit anderen Einrichtungen statt, zudem stellt sich das NWpG bei
unterschiedlichen Verbänden und Einrichtungen vor. Der hiermit verbundene
Informationsaustausch dient dem Ziel einer gelungenen Zusammenarbeit. Diese
bildet die Basis, Irritationen hinsichtlich einer gemeinsamen Versorgung zu vermeiden und den Betroffenen eine optimale Versorgung zu gewährleisten (vgl.
Bindman 2008, 94).
Die Schnittstellenarbeit der Einzelfallebene findet häufig mittels Telefonkontakten zu anderen Helfern statt, aber auch gemeinsam mit diesen und den Betroffenen in sogenannten Netzwerkgesprächen (vgl. ebd.)75. Die Einbeziehung der
Helfer aus den anderen Einrichtungen nimmt innerhalb der Krisen- und Versorgungsplanung eine wesentliche Rolle ein. Dabei sollen die Aufgabenbereiche in
einer Krise wie auch über einen longitudinalen Verlauf abgesteckt werden und
so eine transparente und optimale Versorgung ermöglicht werden. Dies bedeutet
im Krisenfall auch zu vermeiden, dass zu viele Helfer tätig sind und diese zudem
parallel aneinander vorbei arbeiten. Somit stellt die stetige Kooperation mittels
Koordination, Kommunikation und Zusammenarbeit ein wesentliches Ziel der
Tätigkeit des NWpG dar, da nur somit Irriationen hinsichtlich einer kontinuierlichen Versorgung auf Kosten der Betroffenen vermieden werden können (vgl.
Nolan/Tang 2008, 188f).
74 Unter anderem mit folgenden Trägern: Berlin: Pinel, Bremen: GAPSY, Göttingen: AGEMA, Stuttgart: EVA,
Niedersachsen Nord: IVP, Lübeck, Kiel: Brücke e.V, u.a.
75 Im psychiatrischen bzw. psychosozialen Kontext wurden diese zumeist als Fallkonferenzen bezeichnet.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
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Die Erfahrungswerte aus dem einjährigen Erhebungszeitraum stellen die Grundlage der folgenden Erläuterungen zu den Schnittstellen. Zunächst werden die
Schnittstellen des SGB V skizziert und weiter die des SGB XII. Einen weiteren
wichtigen Teil nimmt die Schnittstelle des sozialen Netzes und damit auch zu den
Angehörigen ein, die unabhängig von politischen oder finanziellen Überlegungen
oftmals eine wesentliche Rolle in einer gemeindeorientierten Versorgung einnehmen.
4.4.1 Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten
Standardisiert werden alle Ärzte, bei denen sich Nutzer des NWpG in Behandlung befinden, mittels eines Informationsschreibens über die Einschreibung ihrer
Patienten in die Integrierte Versorgung sowie deren Leistungen informiert und
zu einem weiteren Informationsaustausch eingeladen. Bei bestehenden Fragen
zur Behandlung, werden die jeweiligen Ärzte kontaktiert. Vor allem jedoch sollen
diese die Behandlungsplanung mitgestalten und in die Krisenversorgung einbezogen werden.
Im Rahmen einer Krisenversorgung wurde bislang in mindestens 72 Fällen der
behandelnde Arzt mittels persönlicher Gespräche in die Behandlungsplanung
sowie Abstimmung der Leistungen einbezogen. Mitunter war dies aufgrund der
bestehenden Sprechzeiten nicht möglich oder aber einzelne Ärzte vergaben
keinen zeitnahen Termin. In diesen Fällen wurden die Leistungen über die Kooperationsärzte abgedeckt. Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass
einige niedergelassene Nervenärzten der Integrierten Versorgung mit Misstrauen
begegnen oder diese gar ablehnen (vgl. Greuel/Mennemann 2006, 49). Diese
Realität ist insofern problematisch, als sie die Abstimmungsprobleme vergrößern
kann. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, führen im Alltag gerade für die
Patienten zu erheblichen Problemen, sich „zwischen den Stühlen“ zu fühlen, da
sich die Ärzte im Rahmen der Sprechstunde fachlich als auch politisch gegen die
Integrierte Versorgung aussprechen. Dies erfordert seitens der Bezugsbegleiter
des NWpG eine erhöhte Achtsamkeit, Sorgen und Ängste der Klienten ernst zu
nehmen und die Beziehungsarbeit an dieser erhöhten Irritation festzumachen. In
einigen Fällen konnten sich die behandelnden Ärzte durch die positiven Berichte
ihrer Patienten im Verlauf für eine Kooperation gewinnen lassen. Sicher können
diese Einzelfälle nicht als grundsätzlicher Trend betrachtet werden. Es ist nach
wie vor unsicher, wie sich die unterschiedlichen Ärzteverbände im weiteren VerSeiten 112
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lauf hierzu positionieren werden (vgl. Steckermaier 2010, 87ff). Es ist zudem
abzuwarten, ob und wie sich ein teambasiertes und multiprofessionelles Arbeiten mit der Schnittstelle der niedergelassenen Ärzte durchführen lässt und wie
sich diese hierzu aussprechen. Die Erfahrungswerte mit den Kooperationsärzten
lassen jedoch optimistisch in die Zukunft blicken, schildern diese die Abstimmung
mit dem NWpG im Praxisalltag als entlastend und bereichernd. Die Möglichkeit weiterführende Interventionen in einer Krise rasch, flexibel und ohne bürokratische Hürden gewährleistet zu wissen, ermöglicht auch ihnen eine verbesserte ambulante Krisenversorgung.
4.4.2 Schnittstelle zum stationären Bereich
Nach einem einjährigen Erhebungszeitraum lässt sich sicherlich noch keine
valide Aussage hinsichtlich der Vermeidung von Klinikaufenthalten treffen. Zugleich wäre es vermessen, zu sagen, dass eine Integrierte Versorgung das
„Allheilmittel“ darstellt. Die fachliche Notwendigkeit eines stationären Aufenthaltes ist in vielen Fällen auch für die Beteiligten in solch einer Versorgung immer wieder gegeben. Das heißt auch, die Patienten dahingehend zu beraten
und zu motivieren sowie diesen zu veranlassen. Dabei zeichnet sich gerade die
Schnittstelle „ambulant-stationär“ weiter als problematisch aus und die koordinierenden Bezugsbegleiter des NWpG können auf den weiteren Verlauf der Behandlung kaum Einfluss nehmen. Dabei geht es in der Praxis nicht um grundsätzliche Kompetenz- oder Entscheidungsfragen, sondern vielmehr um eine
gelungene Abstimmung (vgl. Stein/Santos 1998, 51ff). Die Erfahrungswerte aus
dem NWpG zeigen, dass viele Information bei der Aufnahme in ein Krankenhaus
verloren gehen. Da die Bezugsbegleiter oftmals den aktuellen Stand hinsichtlich Medikamentenverordnung und/oder -unverträglichkeiten sowie über weitere
behandlungsrelevante Informationen verfügen, gelingt dieser Informationsaustausch erst im weiteren Verlauf der stationären Behandlung. Dies wurde in
der Regel durch gemeinsame Gespräche mit den behandelnden Ärzten gewährleistet. In einigen Fällen erfolgten nach Absprache mit diesen eine rasche Entlassungen in die ambulante Versorgung.
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Eine wesentliche Problematik besteht wohl derzeit darin, dass die Krankenhäuser als Leistungserbringer nicht mittels eines Anreizsystems einbezogen
werden konnten. Eine schnellere Entlassung zurück in die Integrierte Versorgung würde derzeit zwar mitunter fachlichen Standards entsprechen, bietet den Kliniken jedoch keinen wirtschaftlichen Anreiz, der nur mittels eines
gemeinsame Budgets innerhalb eines Unternehmens mit weitgehend
selbständigen Leistungserbringern möglich wäre.
„Eine solch umfassende Versorgungseinheit, die mit regionalem Bezug alle erforderlichen
Gesundheitsleistungen anzubieten vermag, stellt aus heutiger Sicht ein zielorientiertes
Konzept dar.“
(Sachverständigenrat 2009, 168).
4.4.3 Zusammenarbeit mit niederglassenen Psychotherapeuten
Insgesamt ist die Zahl der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten in den letzten Jahren stark angestiegen, weshalb ein beträchtlicher Anteil
des gesamten Psychiatriebudgets in die psychotherapeutische Versorgung
fließt (Becker et al. 2008, 91f). Die Verteilung der Mittel wird dabei kritisch betrachtet. Es wird vermutet, dass den eher leichter kranken Patienten der Zugang
zurPsychotherapie und anderen diversifizierten Versorgungsangeboten offen
steht, während schwer und chronisch kranke Menschen, die einen erhöhten
Bedarf an einer differenzierten und komplexen Versorgung hätten, unbehandelt
bleiben (vgl. Melchinger 2008, 42ff). Diese Vermutungen bestätigen sich in der
Praxis des NWpG und können als ursächlich für eine nicht gelingende Anbahnung
einer Psychotherapie benannt werden. Um dieser Problematik zu begegnen und
damit erneute Krisen abzuwenden, werden gezielte Beratungsgespräche angeboten (Kap. 4.1.9). Auch einer oftmals langen Wartezeit auf einen Therapieplatz
ist zum aktuellen Stand nicht zu begegnen und weitere Kooperationsstrukturen
wären sinnvoll.
Insgesamt befanden sich mehr als 36% der eingeschriebenen Nutzer der
Integrierten Versorgung im Zeitraum der Erhebung in einer Psychotherapie. 16
Klienten nahmen zunächst die psychologische Beratung des NWpG in Anspruch,
bis sie mit einer Psychotherapie begannen.
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An der Schnittstelle zu Psychotherapeuten lassen sich einzelfallbezogen immer
wieder gelungene Vernetzungen ausmachen. Im Rahmen der Krisenversorgung erfolgte mit 23 Psychotherapeuten zumeist eine persönliche Abstimmung
der Versorgung und Behandlungsplanung. Wie auch die Fachärzte werden die
Psychotherapeuten bei der Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme
an der Integrierten Versorgung und deren Leistungen informiert und bei Bedarf
aktiv einbezogen. Aus der Praxis zeigt sich, dass die Therapeuten, mit denen im
Rahmen von Krisen oder zur Abwendung einer solchen Kontakt bestand, das
NWpG als gute Möglichkeit betrachteten, ihre Patienten sicher versorgt zu wissen
und dies insbesondere für weitere Abstimmungen in Urlaubszeiten nutzten. Die
Praxis zeigt weiter, dass sich die Klienten mit den Bezugsbegleitern des NWpG
über mögliche Irritationen innerhalb der Psychotherapie sowie deren Verlauf
sprechen und somit drohende Therapieabbrüche vermieden werden konnten.
4.4.4 Netzwerkarbeit und Kooperation mit Ergotherapie und anderen Leistungserbringern
Wie auch die Ärzte und Psychotherapeuten werden die Ergotherapeuten bei Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme an der Integrierten Versorgung
und deren Leistungen informiert. Innerhalb des ersten Jahres zeichnete sich die
Ergotherapie als stützende und im weiteren Verlauf stetig stabilisierende Maßnahme aus. Daher kam es mit einzelnen Ergotherapiepraxen zu Netzwerkgesprächen und einer zum aktuellen Stand noch losen Kooperation. 23 Klienten
haben im Erhebungszeitraum Leistungen der Ergotherapie nach dem SGB V in
Anspruch genommen, von denen 13 bereits vor der Einschreibung in einer ergotherapeutischen Praxis behandelt wurden und zehn Klienten seitens des NWpG
hierin vermittelt wurden.
Bislang erfolgt eine rasche Aufnahme der Patienten in die einzelnen Praxen, und
deren Mitarbeiter äußerten immer wieder positive Erfahrungen aufgrund der engen Abstimmung mit dem NWpG bei einer Verschlechterung des Zustandsbildes.
Dieser Baustein ist sicherlich für die kommende Zeit näher zu betrachten und
mittels weitergehender Kooperationsgespräche fortzuführen.
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4.4.5 Vernetzung mit Diensten und Einrichtungen des SGB XII
In München bestehen zahlreiche Anbieter gemeindepsychiatrischer Versorgung.
Gleichwohl die derzeitig im NWpG eingeschriebenen Klienten hier scheinbar nur
wenig Berührungspunkte haben, kommt es auch hier in der Einzelfallebene immer wieder zu Schnittstellen.
Wie auch bei den zuvor beschriebenen Akteuren aus dem SGB V-Bereich
werden Betreuer aus Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei der Einschreibung der Klienten direkt über die Teilnahme an der Integrierten Versorgung
und deren Leistungen informiert und aktiv einbezogen. In der Praxis kann dies
eine Vernetzung mit bereits seit längerem bestehenden professionellen Helfern,
etwa von Sozialpsychiatrischen Diensten oder dem Betreuten Einzelwohnen,
bedeuten. Zudem gibt es Nutzer des NWpG, die in einer betreuten Wohnform
leben, Tagesstätten besuchen oder aber an einem Arbeitsprojekt teilnehmen.
Fehlt es an einer solchen Unterstützungsform, die für den Rehabilitationsprozess nachhaltig intendiert ist, bestehen bei den Mitarbeitern des NWpG die
Kenntnisse über die beschriebenen Versorgungsformen, so dass eine mögliche Einleitung eines solchen Angebotes rasch umgesetzt werden kann. Die
Möglichkeiten einer engen Vernetzung werden dabei seitens der unterschiedlichen Einrichtungen manchmal nur unter Vorbehalten angenommen.
Dies mag aus einer schwierigen Abgrenzung oder aber ähnlichen Inhalten des
Versorgungsauftrags herrühren76. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die
unterschiedlichen Dienste, die im Rahmen des SGB XII finanziert werden, auf
dem Nachrangigkeitsprinzip basieren und ihnen nicht die Aufgabe des über das
SGB V zu finanzierende Home Treatment obliegt.
Aus der Praxis soll eine weitere Anmerkung erfolgen: So äußerten einige Klienten
des NWpG auf die Frage, ob sie zum Beispiel mit einem Sozialpsychiatrischen
Dienst in Kontakt gekommen seien, dass dies zwar der Fall war, sie sich jedoch
76 Exemplarisch sollen kurz die Ziele der Sozialpsychiatrischen Dienste in Bayern dargestellt werden, deren Zielgruppe vorrangig schwer psychische kranke Menschen sind. Sie unterliegen dabei der Zuständigkeit des SGB
XII sowie deren Kostenträgern und sollen den Betroffenen Angebote zur Teilhabe an der Gemeinde
ermöglichen. Neben der Beratung nehmen diese dabei eine koordinierende Aufgabe ein und zielen auf nachgehende und aufsuchende Angebote ab. Die Rahmenleistungsvereinbarungen der SpDi´s in Bayern erwähnen
im Tätigkeitsprofil unter anderem die Krisenversorgung wie auch die Kooperation mit anderen regionalen
Dienstleistern als Bausteine. Jedoch obliegt kaum einem SpDi die Behandlungsaufgabe und der Fokus ist
über die Jahre verstärkt auf die Rehabilitation gesetzt worden. Ursächlich sind dabei die Landespsychiatriegesetze, nach welchen den niedergelassenen Ärzten hierfür die Priorität zugesprochen wurde. Jedoch muss
auch festgestellt werden, dass es bis dato nicht gelungen ist, hier Kooperationsstrukturen herzustellen und die
einzelnen Leistungen in parallelen und unvernetzten Strukturen vollzogen werden (vgl. Melchinger 2008 63ff;
Mendel 2010).
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als Person dort nicht wiedererkannten oder sich nicht angesprochen fühlten. Dies
ursächlich zu beleuchten, wäre eine interessante Frage, die es künftig näher
zu beleuchten gälte. Möglicherweise hat der sozioökonomische wie -kulturelle
Status, wie auch die Leistungsfähigkeit im Beruf oder Alltag hierauf Einfluss.
Einzelne Antworten lauteten, dass sich die Patienten nicht als „(sozial-)
psychiatrisch“ betrachten würden oder aber bereits den Namen der Einrichtung
als für ihr Anliegen unpassend empfanden77. Dennoch waren 24 Klienten der
insgesamt 365 Klienten aus dem Erhebungszeitraum in unterschiedlicher Frequenz bei einem Sozialpsychiatrischen Dienst und weitere elf wurden mittels
Begleitung oder Koordination an ebendiese Dienste vermittelt, so dass derzeit
35 der eingeschriebenen Versicherten hier zusätzliche Unterstützung erfahren
können.
ohne
Sozialpsychiatrischer
Dienst
mit
9,6%
90,4
31,4% durch NWpG
68,6% vorher
Schnittstelle zu Sozialpsychiatrischen Diensten (N=365)
(Dar. 11, Erhebung aus dem internen Fragebogen)
Durch (Intensiv) Betreutes Einzelwohnen wurden zum Zeitpunkt der Einschreibung zwölf Klienten begleitet und bei sieben wurde dies seitens der Bezugsbegleiter mit anderen Diensten initiiert. Zum Teil handelt es sich hierbei um
dieselben Klienten, die auch durch einen Sozialpsychiatrischen Dienst unterstützt
wurden. Insgesamt acht Klienten befanden sich in einer betreuten Wohnform, zumeist handelte es sich um eine Therapeutische Wohngemeinschaft (TWG).
77 Diese Hinweise lassen eventuell den Schluss zu, dass ein neutraler Einrichtungsname wie Netzwerk für
psychische Gesundheit – Vincentro eher akzeptiert wird und weniger Ängste vor einer drohenden
Stigmatisierung hervorruft.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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ohne
Betreutes Einzelwohnen
mit
91,1%
8,9%
36,8% durch NWpG
63,2% vorher
Schnittstelle zum (Intensiv) Betreuten Einzelwohnen und zu therapeutischen
Wohngemeinschaften (N=365)
(Dar. 12, Erhebung aus dem internen Fragebogen)
Aus der Praxis des NWpG zeichnen sich in der Netzwerkarbeit mit den Einrichtungen der Eingliederungshilfe unterschiedliche Erfahrungen ab, die jedoch
aufgrund der vergleichsweise eher geringen Zahl der Überschneidungen noch
wenig Aufschluss geben, inwiefern Irritationen und Schwierigkeiten der Zusammenarbeit aufgrund unklarer fachlicher Zuständigkeiten oder persönlicher Ängste
herrührten. Auffällig ist die hohe Zahl von insgesamt 33 Kontakten mit den SpDis,
(I)BEW und den TWGs zur Abstimmung der Versorgung. Es wäre hier künftig
der Frage nachzugehen, in welchem Maße diese Zahl mit dem Personenkreis in
Zusammenhang steht, die im Rahmen der Eingliederungshilfe vergleichsweise
höherer Unterstützung bedürfen.
Zukunftsträchtig könnte eine Kooperation zwischen dem NWpG und den Sozialpsychiatrischen Diensten allemal sein, würde diese Zusammenarbeit eine
kontinuierliche Versorgung sicherstellen. Diese bedürfte neben einer Unterscheidung hinsichtlich der zugeschriebenen Aufgaben und Leistungen auch der Zusammenarbeit auf politischer Ebene, um die Trennung der Sozialgesetzbücher
wirklich zu überwinden (vgl. Walle et al. 2010, 157f).
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4.4.6 Zusammenarbeit mit gesetzlichen Betreuern, Bezirkssozialarbeit und anderen Einrichtungen
Insgesamt werden nur 17 teilnehmende Patienten durch einen gesetzlichen Betreuer vertreten oder aber in unterschiedlichen Aufgabenkreisen unterstützt78.
Grundsätzlich zeigte sich in den einzelnen Fällen seitens der Betreuer ein
Informationsdefizit bezüglich der Aufgaben und dem Konzept des NWpG oder
aber der bestehenden Regelversorgung. Die konnte im Rahmen gemeinsamer
Netzwerkgespräche mit den Patienten gut behoben werden und zehn Betreuer
nahmen persönlich an der gemeinsamen Gestaltung der Krisenvereinbarung teil.
Die Bezirkssozialarbeit war nur bei sehr wenigen Nutzern des NWpG von Relevanz, nur sechs geben hier eine Schnittstelle an. So fanden hier nur in Einzelfällen Kontakte oder eine Vermittlung dorthin statt. Ein größerer Teil der Vermittlung erfolgt in zusätzlich unterstützende Angebote, wie etwa einer Haushaltshilfe oder in Tagesstätten. Zudem wurden einzelne Klienten aktiv unterstützt, eine
geschütze Arbeitsform oder aber eine ehrenamtliche Tätigkeit zu erlangen.
4.4.7 Einbindung der Angehörigen und des weiteren sozialen Netzes
Konzepte und Theorien seelischer Krisen sehen einen maßgeblichen Stressor für
Krisen, aber auch einen unterstützenden Faktor im sozialen Umfeld (vgl. Hoult /
Nolan 2008, 124). Auch wenn das Personal im stationären Setting davon erfährt,
besteht hier oftmals nicht die Möglichkeit einer wirklichen Intervention, schon aufgrund der Tatsache, dass das hier zuständige Personal nicht im weiteren Verlauf
tätig ist. Eine ambulanten Krisenversorgung ist daher wohl die einzige Antwort,
dieser Problematik zu begegnen.
Der Einbeziehung von Angehörigen und vielmehr des sozialen Netzes wird
großes Potential im Sinne der Prävention aber auch in aktuellen Problemlagen
beigemessen. Dennoch scheint dieser systemisch therapeutische Ansatz sowohl den Betroffenen als auch dem sozialen Netz häufig noch weitgehend fremd
(vgl. Aderhold 2010, 110f). Die Einbeziehung privater Bezugsbegleiter stellt in
den Studien zu gemeindeorientierten Versorgungsformen jedoch ein wirksames
Prinzip dar und Befürchtungen hinsichtlich einer Überforderung der Angehörigen
78 Eine Betreuung wurde im Rahmen einer Unterbringung im Erhebungszeitraum durch den behandelnden
Psychiater veranlasst.
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Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
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mit der Einbeziehung in die Krisenversorgung, konnten nicht bestätigt werden
(vgl. Brenner et al. 2000, 694).
Erste Erfahrungen im NWpG bestätigen dies, weshalb die Angehörigen sowohl in
die Prävention als auch in die eigentliche Krisenversorgung einbezogen werden,
um im besten Falle eine „Gewohnheit“ dessen zu erzielen (vgl. Aderhold 2010,
115). Der Beteiligung der Angehörigen wie des weiteren sozialen Netzes muss
besondere Beachtung beigemessen werden, spielen diese häufig eine maßgebliche Rolle im Lebensalltag und insbesondere in Krisen (vgl. Johnson/Needle
2008, 69; Fallbeispiel 2). Deren Einbeziehung birgt daher die Chance, krisenauslösende Faktoren näher in Augenschein nehmen zu können, die dort entstanden
sein können.
In der Praxis des NWpG lässt sich ein wesentlicher Bedarf feststellen, die Angehörigen über die psychischen Störungen aufzuklären und in die Planung der
Versorgung einzubeziehen. Dies, wie auch entlastende Gespräche in oftmals
belastenden Lebenssituationen, zeigen eine hohe Akzeptanz (vgl. Johnson/
Needle 2008, 72ff). Häufig ergeben sich Gespräche mit Klienten und deren Angehörigen bei Hausbesuchen, die im Rahmen der Begrüßungsgespräche stattfinden. Manchmal kommt es aber erst in Krisen und der hierin angebotenen Versorgung zuhause zu solchen Kontakten. Allein der Hausbesuch und die regelmäßigen Kontakte stellen bereits eine wesentliche Intervention innerhalb des
sozialen Netzes dar (vgl. Bridgett/Gijsman 2008, 157). Neben psychoedukativen und supportiven Gesprächen soll allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben
werden, Sorgen und Nöte anzusprechen (vgl. Aderhold 2010, 115). Hieraus
werden anschließend gemeinsame Strategien zur Krisenbewältigung erarbeitet und Möglichkeiten der Unterstützung aller Beteiligten eruiert. Als Grundlage
kann die zuvor gestaltete Krisenvereinbarung herangezogen und im Sinne der
Prävention gemeinsam überarbeitet werden (vgl. Bridgett/Gijsman 2008, 162).
Besteht weitergehend der Bedarf an einer familientherapeutischen Intervention,
kann diese durch die Bezugsbegleiter des NwpG veranlasst werden. Im Erhebungszeitraum konnten bislang nicht bei allen Nutzern die Angehörigen eingebezogen werden: Zum einen, da eine hohe Zahl der Nutzer bereits relativ isoliert
lebt, zum anderen, weil ein Kontakt sowohl auf Seite der Betroffenen oder der
Angehörigen nicht erwünscht war. So konnten in der folgenden Grafik nur bei
knapp 30% der Nutzer die Angehörigen in eine der folgenden Interventionen eingebunden werden:
Seiten 120
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11,7%
Paargespräch
22,7%
Angehörigenberatung
20,1%
Krisenversorgung
45,5%
Beteiligung Krisenvereinbarung
Einbeziehung der Angehörigen (N=365)
(Dar. 13, Erhebung aus dem internen Fragebogen)
Als Teil des sozialen Netzes können weiter Freunde, Bekannte und Nachbarn
verstanden werden, aber auch Kollegen und Arbeitgeber. Eine stationäre Aufnahme kann im Hinblick auf das soziale Netz beträchtliche Folgen haben, welche
die Angst vor Stigmatisierung zusätzlich unterfüttern79. Jedoch ist die alleinige
Antwort hierauf nicht die ambulante Versorgung, sondern kann diese nur dann
eine wirkliche Alternative darstellen, wenn auch die sozialen Kontakte verbessert
werden können.
„Crisis theory argues, however, that if admission can be avoided, and a different way of
coping promoted outside hospital, then the crisis becomes an important opportunity for
both the individual and the social network to learn more adaptive and healthy problemsolving stategies.“
(Bridgett/Gijsman 2008, 152).
79 Klinikaufenthalte können zudem Einfluss auf eine negative Symtomatik haben und außerdem einen passive
Lebensgestaltung mit sich bringen, da sie die Autonomie der Betroffenen tendenziell behindern (Johnson/
Needle 2008, 71f).
Seiten 121
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Soweit intendiert und von den Betroffenen gewünscht, besteht daher zur Vorbeugung oder Abwendung von Krisen auch die Möglichkeit, das erweiterte
soziale Netz, wie etwa Arbeitgeber, einzubeziehen. Dies fand im Rahmen des
Erhebungszeitraumes in Einzelfällen etwa im Austausch mit Personalabteilungen
oder aber Betriebsratsvertretern dann statt, wenn sich auslösende Stressoren
vorrangig am Arbeitsplatz befanden oder sich ein drohender Arbeitsplatzverlust
abzeichnete. Diesem Auftrag will das NWpG grundsätzlich nachgehen und so
wird den Klienten immer wieder auch hier das Angebot von Netzwerkgesprächen
angeboten.
Zudem besteht im Rahmen unterschiedlicher Gruppen, die auf Selbsthilfeprinzipien beruhen oder aber in der Freizeitgruppe des NWpG die Möglichkeit,
neue Kontakte zu knüpfen. Weiter werden Exkursionen angeboten, die den
Klienten Möglichkeiten des Austauschs bieten oder der Erweiterung ihres
sozialen Umfeldes dienen sollen, wie etwa die Vorstellung des Tauschnetzes
LETS, der Besuch im Selbsthilfezentrum oder im Haus der Eigenarbeit80.
80 http://www.lets-muenchen.de/, http://www.shz-muenchen.de/, http://www.hei-muenchen.de/
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5 Fazit
In der Zusammenschau der angestellten Betrachtungen zur Integrierten Versorgung sowie der empirischen Darstellung des einjährigen Erhebungszeitraums
aus dem NWpG München sollen nun zusammenfassend kritische Überlegungen
hinsichtlich Erwartung und Wirklichkeit einer Integrierten Versorgung erfolgen.
5.1 Vertragliche Rahmenbedingungen und Verortung in einer Managed Care -Struktur
Populationsbezogene Integrierte Versorgungsmodelle nach §140a ff SGB V
stellen nach Koch (2009, 62) die derzeit konsequenteste Form einer
koordinierten Versorgungsstruktur dar und haben hinsichtlich qualitativer
Aspekte eine gute Prognose.
Eine Integrierte Versorgung stellt in seiner Organisationsform eine Managed
Care-Struktur dar. Dem Vertragspartner, in diesem Fall der Awolysis GmbH,
obliegt es, die vertraglich festgesetzten Leistungen zu erbringen oder aber mit
anderen Leistungserbringern entsprechende Kooperationsverträge abzuschließen. Die geäußerte Befürchtung, eine gemeindeorientierte Integrierte Versorgung mittels Managed Care- Strukturen umzusetzen, ist nachvollziehbar, wenn die jeweiligen Managementgesellschaften Leistungen vorenthalten, um ihren Gewinn zu maximieren. Die Verteilung des Kostenrisikos ist
in diesem Kontext nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Bei einem Capitation-Modell, in welchem der Anbieter die anfallenden Krankenhaustage übernimmt, muss dieser ein besonderes Interesse verfolgen, nicht nur in Krisenzeiten
eine adäquate Versorgung vorzuhalten. Die Leistungserbringer sind hierdurch
erstmalig gefordert, eine explizite Gesunderhaltung zu fördern und damit eine
Perspektive einzunehmen, die im deutschen Gesundheitssystem weitgehend
neu ist (vgl. Faulbaum-Decke/Zechert 2010, 16f). Dies wiederum ermöglicht, unabhängig des Einzelfalls Leistungen zu implementieren, die im Sinne der Rückfallvermeidung ansetzen sollen und damit präventiver Art sind. Im Zuge dessen,
konnten auch die seit langer Zeit geforderten Krisenhäuser bzw. RückzugsräuSeiten 123
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me initiiert werden. Deren Auslastung ist dabei nicht mehr über rein wirtschaftliche Aspekte beeinflusst, sondern durch den tatsächlichen Bedarf, also der Behandlungsnotwendigkeit der Betroffenen (vgl. ebd., 17).
Neben der vermehrten Ausrichtung auf die bereits seit längerem geforderte
Personenzentrierung sollen die ambulanten Versorgungsansätze die Selbstbestimmung der Betroffenen fördern sowie eine Form der Behandlung und
Betreuung ermöglichen, die den Betroffenen eine qualitative Versorgung ohne
Einschränkungen gewährleistet (vgl. Weinmann et al. 2009, 31f). Eine bis
dato zu stark institutionenorientierte Ausrichtung der Versorgung soll demnach
künftig durch personenzentrierte Ansätze ersetzt werden, die in Modellen wie
dem ACT,HT oder dem NAT vermehrt zum Tragen kommen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 116; Kap. 2.3.2).
Die Umsetzung solcher Strukturen, die auch im beschriebenen Modell der
Integrierten Versorgung des NWpG angestrebt werden, stellen nicht nur eine
Möglichkeit dar, den Nutzerinteressen gerecht zu werden, sondern zugleich die
Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Störungen bei gleichzeitigem ökonomischem Anreiz zu verbessern. Anmerkend ist festzustellen,
dass die vorgestellten Modelle kein konsistentes Bild hinsichtlich einer Kostenreduktion aufweisen. So kann wohl zu dem Schluss gekommen werden, dass
eine Integrierte Versorgung nicht primär als kostensenkend gedacht werden
kann, jedoch eine Möglichkeit der Kostenstabilisierung darstellt (vgl. McDaid/
Thornicroft 2005, 9).
Die Finanzierung der Integrierten Versorgung folgt einem Capitation-Modell,
in welchem der vertragsnehmende Leistungserbringer eine Kopfpauschale für
jeden eingeschriebenen Versicherten erhält. Aus diesen Pauschalen werden
alle im Vertrag beschriebenen Leistungen vergütet und die Managementgesellschaft, die auch als Leistungserbringer fungiert, übernimmt dabei die finanzielle
Verantwortung. Nicht unerwähnt bleiben kann im Bereich der Finanzierung die
sogenannte „Malus-Regelung“. Hierbei sind die Managementgesellschaften verpflichtet, die Kosten von anfallenden teil- und vollstationären Aufenthalten im
Rahmen der psychiatrischen Behandlung zu tragen (aus dem Vertrag). Die Generierung und Festlegung der zu prognostizierenden Kosten für die Versicherten,
welche risikoadjustiert erhoben werden, stellt insgesamt die Notwendigkeit einer
Bündelung aller Versicherten in ein Gesamtbudget dar, da die Zuweisung in die
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von den Krankenkassen erhobenen Fallgruppen über den realen Kostenfaktor
nur bedingt aussagekräftig bezüglich des Morbiditätsrisikos ist (vgl. Ruprecht
2010, 91ff). Alle weiteren Leistungen verbleiben bei den Krankenkassen, so etwa
die ambulante fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung, wie auch
alle (teil-)stationären Kosten außerhalb der vertraglich festgelegten Versorgungsregion sowie die Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen (vgl. ebd.).
In der aktuellen Umsetzung des Vertrages zur Integrierten Versorgung zeichnet
sich die Generierung der Klienten nach einem seitens der Krankenkasse entwickelten Algorithmus nach wie vor als problematisch ab. Entsprechend dieser
Einschreibesystematik haben nur diejenigen Patienten Zugang zur Integrierten
Versorgung, die in der Leistungshistorie der Krankenkassen in den letzten zwölf
Monaten die zugrunde gelegten Kriterien erfüllten. Das heißt derzeit, dass viele
Patienten dem Algorithmus nach nicht an der Integrierten Versorgung teilnehmen
können. Dieser Zustand wird sowohl von den Ärzten wie von den Mitarbeitern
des NWpG beklagt. Denn dies bedeutet, Patienten den Zugang zu verwehren,
denen durch diese Art der Versorgung erstmalige stationäre Aufenthalte erspart
bleiben könnten. Auch Patienten, die erstmalig hilfesuchend in die Arztpraxen
kommen, haben derzeit kaum Zugang zu einer raschen gemeindeorientierten
Krisenversorgung81. Hier wären Ansätze wünschenswert, die Betroffene bereits
zu Beginn des Eintritts in das „Helfernetz“ aufnehmen, was derzeit sicherlich Fragen der Zuständigkeit und Finanzierung aufwirft82.
5.2 Nutzerperspektive und Bedürfnisorientierung
Die zunehmende Förderung von Patientenrechten und damit die aktive Einbeziehung der Betroffenen in die Konzeption der Versorgung, soll nicht nur die
Selbsthilfe befördern, sondern auch Stigmatisierungstendenzen entgegenwirken. Denn zusätzlich zu den „primären“ Folgen der psychischen Störung, wie
etwa einem beeinträchtigten Leistungsvermögen, gehen diese häufig auch mit
enormen Beeinträchtigungen im psychosozialen Kontext einher (vgl. Bottle81 Nur im Rahmen der Sonderregelung bestünde hier die Möglichkeit Ausnahmen zu ermöglichen (vgl. Kap.
3.3.5)
82 Hier erneut ein kurzer Verweis an die Crisis Resolution Teams in Großbritannien, die unter anderem mit Hausarztpraxen kooperieren (vgl. Amering 2002, 244).
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nder/ Möller 2005, 7). Auch individuelle Erfahrungen, die Menschen mit einer
psychischen Störung machen, können zur sogenannten Selbststigmatisierung
führen, die wiederum sozialen Rückzug, ein mangelndes Selbstwertgefühl und
damit auch die Beeinträchtigung von Lebensqualität und -chancen mit sich bringen kann. Nicht selten kommt es dabei sowohl in der individuellen sowie der
gesellschaftlichen Wahrnehmung zu Fragen der Eigenverantwortung und Selbstverschuldung hinsichtlich der Ursachen und der Behandelbarkeit einer solchen
Störung (vgl. Gaebel et al. 2005, 42).
Die Erweiterung außerklinischer Versorgungsmöglichkeiten, die sich sowohl
in quantitativer wie qualitativer Hinsicht gezielt für psychosoziale Belange einsetzen, bergen das Potential, drohender Stigmatisierung entgegenzuwirken
(Grausgruber 2005, 11ff). Dies ist umso mehr von Belang, wenn man die Gefahr von Behandlungsabbrüchen oder aber die Ablehnung einer neuerlichen
Behandlung betrachtet. Diese Tendenzen wiederum können mit einer negativ
geprägten Haltung der Gesellschaft im Hinblick auf psychiatrische Krankenhäuser und die dortige Behandlung korrelieren. Unter Berücksichtigung solcher
Aspekte sollen die Nutzer künftig verstärkt sowohl in der Einzelfallarbeit einbezogen werden, als auch in der Weiterentwicklung des Konzeptes. Grundsätzlich
ist die Bereitschaft der Betroffenen zu einer ambulanten Versorgung für deren
Gelingen maßgeblich (vgl. Gühne et al. 2011, 120).
„Auf Gesundung ausgerichtete Modelle psychiatrischer Versorgung können nur dann
funktionieren, wenn therapeutischer Optimismus im Rahmen einer professionellen
therapeutischen Beziehung auf eine aktive Rolle der Nutzer trifft, welche ihre Präferenzen
vom Versorgungssystem als berücksichtigt wahrnehmen“
(Becker et al. 2008, 170)
Eine Orientierung an Präferenzen oder Bedürfnissen erfordert eine aktive Einbeziehung der Nutzer und stellt eine hohe Anforderung an diese dar, die einer
vertrauensvolle Beziehung zu den Bezugsbegleitern bedarf. Das dargestellte
Modell der Integrierten Versorgung birgt damit aber zugleich eine essentielle
Möglichkeit, die Patientensouveränität weiter zu stärken. Die Gewährleistung
des tatsächlichen Bedarfs bei einer klaren Betonung individueller Bedürfnisse
bietet die Chance, Hilfen eher zu akzeptieren und den Zugang zu den Helfern zu
erleichtern. Damit erhöht sich zudem die Chance präventiv zu arbeiten, dieser erfordert aber eine hohe Akzeptanz und eine hohe Eigenverantwortung der
Betroffenen (vgl. Tacchi/Scott 2008, 166).
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Die Beteiligung der Nutzer in die unmittelbare Versorgung im NWpG ist gewünscht
und hinsichtlich den Forderungen nach Patientensouveränität, Empowerment
und Recovery förderungswürdig. Dies geschieht einerseits auf individueller
Ebene, etwa in der gemeinsamem Gestaltung der Krisenvereinbarung.
Andererseits ist die Einflussnahme von Betroffenen auch in qualitativen und
konzeptionellen Fragen sowie strukturellen Aspekten von besonderer Bedeutung. Daher fanden in der Implementierungsphase Treffen mit Vertretern der
„Münchner Psychiatrieerfahrenen“ (MÜPE)83 statt, welche regelmäßig eingeladen werden, um kritische Anregungen in die Arbeit einzubringen.
Eine weitere Beteiligung von Nutzern bestünde durch die Beteiligung dieser als
Mitarbeiter im Team. Diese Möglichkeit wird weiter von Bedeutung werden, seit
innerhalb Deutschlands die Ausbildung zum Genesungshelfer implementiert
wurde84. Durch diese Ausbildung sollen psychiatrieerfahrene Menschen nicht
mehr nur eine hieraus begründete Expertenrolle einnehmen, sondern werden im
Rahmen eines einjährigen Curriculums auf die Erfordernisse des Arbeitsalltags
mit anderen Betroffenen wie auch auf die Arbeit in einem multiprofessionellen
Team vorbereitet. Diese Form der Beteiligung von Nutzern zeigt besonders im
Hinblick auf die direkte Patientenarbeit gute Erfolge85. Gute Ergebnisse zeigten
sich durch häufigere Behandlungskontakte oder aber in einer erhöhten Lebensqualität (Bock 2010, 68). Die grundsätzliche Einbeziehung der Nutzer und die
Stärkung dieser birgt das Potential, die aktuellen Reformbewegungen in der
psychiatrischen Versorgung voranzubringen, bedarf dabei jedoch nicht nur einer
Willensäußerung der Einrichtungen und Träger sondern einer klaren Haltung, die
hieraus resultierenden Anregungen auch in der Praxis umzusetzen zu wollen.
83 Siehe: http://www.muepe.org/
84http://www.ex-in.info/
85 In Bayern findet derzeit noch keine Ausbildung zum Genesungshelfer statt, was wiederum bedeutet, dass es
dort noch kaum ausgebildete Genesungshelfer gibt. Anders gestaltet sich die Lage in Berlin, weshalb im
dortigen NWpG Genesungshelfer einen Teil des Teams der Integrierten Versorgung darstellen. Im NWpG
München und seitens des Trägers der Awolysis GmbH besteht große Offenheit hinsichtlich der Anstellung von
Genesungshelfern im Team, die sich nach der Hospitation zweier Ausbildungskandidaten im Jahr 2011 noch
weiter vergrößerte. Es bedürfte dabei sicherlich notwendiger struktureller Bedingungen, sowie im Einzelfall
individueller Unterstützungsformen im Rahmen von Supervisionen und individuell abgestimmten Dienstzeiten.
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5.3 Schaffung von Transparenz in der Versorgung
Welche elementare Bedeutung der Schnittstellenarbeit in der künftigen Zeit
im Gesundheits- und Sozialwesen, vor allem aber innerhalb einer Integrierten
Versorgung beigemessen werden muss, wurde in den vorangegangenen
Kapiteln hinlänglich beschrieben. Dies bezieht sich auf die Ebene des Einzelfalles, die institutionelle Ebene wie auch auf die ökonomische und politische
Ebene. Die Zusammenarbeit mit anderen Diensten aus dem Gesundheits- und
auch Sozialbereich stellt eine wirksame Möglichkeit einer optimierten Versorgung dar. Die bislang starke Trennung von Rehabilitation und Behandlung führte
häufig zu einer verstärkt institutionenorientieren Versorgung die der bereits
seit langem geforderten Personenzentrierung kaum gerecht werden konnte
(vgl. Amering/Schmolke 2006, 21f). Dies lässt die Politik europaweit verstärkt
über das Thema Mental Health nachdenken und zunehmend für gemeindepsychiatrische Versorgungskonzepte plädieren (Knapp et al. 2006, 3f). Die im
Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Integrierte Versorgung mit ihren nachweislich effizienten Versorgungsmodulen und ihrem Fokus sowohl auf die Akutversorgung wie auch die Gesundheitsvorsorge vermag an dieser Forderung
sicherlich anzusetzen (Böckheler 2010, 8).
Derzeit besteht gerade an den Schnittstellen „ambulant-stationär“ Optimierungsbedarf, was auch den unterschiedlichen Institutionen und deren jeweils
eigenemSelbstverständnis geschuldet ist, wie auch aktuellen Diskussionen
um ökonomische Aspekte und dem damit verbundenen Wettbewerb. Eine Vernetzung ist wohl gerade im Bereich „ambulant-(teil-)stationär“ nur mittels Wertschätzung wie dem Interesse am jeweils anderen zugrunde liegenden Referenzsystem und dessen Handlungslogiken denkbar, ohne diese übernehmen zu
müssen. Hemmnisse, dies zu tun, könnten unter anderem darin begründet sein,
dass Außenstehende zu großen Einblick in Tätigkeit und Organisation bekommen. Damit könnte auch ein Einblick in die Problematiken der jeweils anderen
Institution gewährt werden, der sich gerade im Zusammenhang mit Wettbewerbsaspekten als schwierig erweisen könnte (vgl. Amelung et al. 2009, 184f).
Auch wenn den Begriffen wie Gemeindeintegration, Normalisierung und Bedarfsorientierung in den letzten Jahren zunehmend Rechnung getragen wurde,
orientiert sich die psychiatrische Versorgung bisher noch zu wenig an
Personenzentrierung, Ambulantisierung und Bedürfnisorientierung. So lautet die
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Folgerung bis dato entgegen landläufiger Forderungen „stationär vor ambulant“
(vgl. Becker et al. 2008, 71). Es ist weiter anzunehmen, dass die interdisziplinäre oder aber multiprofessionelle Zusammenarbeit nach wie vor eine Haltungsveränderung aller beteiligten Akteure benötigt (vgl. Greuel/Mennemann 2006,
34f). Daher liegt bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens die Heranziehung betriebswirtschaftlicher und soziologischer Netzwerkforschung nahe
(vgl. Amelung et al. 2009, 13). Die hierin entwickelte Netzwerkperspektive bietet
eine elementare Möglichkeit, von der traditionellen Fokussierung auf einzelne
Institutionen hin zu einem Geflecht von verschiedenen Akteuren tätig zu werden. Dabei könnten im Rahmen des allgemeinen Netzwerkbegriffs die Strukturmuster der Akteure abgebildet wie auch deren Beziehungen zueinander untersucht werden. Die Einführung einer neuen Organisation zur Gesundheitsversorgung birgt stets die Gefahr, als Irritation oder gar Bedrohung verstanden zu
werden. Auf Ebene des Einzelfalls und der Einrichtungen kann sich dieses Gefühl nur über einen längeren Zeitraum auflösen, indem die Aufgabenbereiche
abgesteckt werden (vgl. Kap. 4.4). Die Akzeptanz erhöht sich im weiteren Verlauf durch eine gelungene Zusammenarbeit und indem sich die eigene Tätigkeit
für andere als hilfreich und nützlich erweist. Auch dem Nachweise von Nutzererfahrungen muss in diesem Zusammenhang hohe Bedeutung beigemessen
werden (vgl. Flowers/Hoult 2008, 304f).
Eine weitere Problematik der Schnittstellenüberwindung stellen strukturelle
Barrieren dar. Während innerhalb einer Organisationsebene mittels struktureller Voraussetzungen und einer hiermit ermöglichten Informations- und Datentransparenz ein kontinuierlicher Austausch erfolgen kann, stellt dies für weitere
Akteure aufgrund häufig noch nicht bestehenden Vertrauens sowie fehlender Erfahrungen mit einem solchen Austausch noch eine Hürde dar (vgl. Koch 2009,
81).
„Bei der Umsetzung eines IV-Projekts sollte zudem allen Beteiligten bewusst sein, dass
kontinuierliche Anpassungen der Behandlungsabläufe aufgrund von sich verändernden
wissenschaftlichen, ökonomischen oder politischen Rahmenbedingungen notwendig und
aus Sicht eines effektiven Projektcontrolling unerlässlich sind.“
(Deister et al. 2010, 81).
Umsetzung und Vertrauenssteigerung kann nur gelingen, wenn nicht nur die
sektoralen Trennungen auf Institutionsebene überwunden werden,
sondern ebenso die mentalen Kooperationsbarrieren auf Ebene der beteiligten
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Professionen (vgl. Amelung et al. 2006, 42). Managed Care-Strukturen oder aber
eine Integrierte Versorgung nehmen auch Einfluss auf Verbände und Standesorganisationen und hier sicherlich vorrangig auf die Verbände der Ärzte. Indem
neue Organisationsformen zunehmend an Einfluss gewinnen, die Versorgung gestalten und der geforderten multiprofessionellen und teambasierten Versorgung
Rechnung tragen, werden sich vor allem diese künftig umorientieren müssen
(vgl. Sachverständigerat 2009, 36, 48). Insbesondere Ärzte in Krankenhäusern
haben traditionell eine Professionalisierung erfahren, die diese Umorientierung
eher erschwert.
Dabei ist festzustellen, dass es derzeit sowohl die organisatorische wie auch die
ökonomische Desintegration zu überwinden gilt. Bei der ersteren handelt es sich
dabei um die Herstellung gemeinsamer Arbeitsbeziehungen, während zweitere
einer Kooperation bedarf, die ein gemeinsames Versorgungsbudget umfasst und
in einer transektoralen Integrierten Versorgung angesiedelt sein könnte. Dabei
ist das Capitation-Modell eine Vergütungsform, die an ebendieser Problematik
anzusetzen vermag und damit Steuerungseffizienz und -effektivität gewährleistet (vgl. ebd., 21). Um eine Integrierte Versorgung nachhaltig zu implementieren, die eine vertikale Vernetzung und eine Überwindung von Schnittstellenproblemen ermöglicht, werden sich künftig Organisationsstrukturen wie auch das
professionelle Selbstverständnis der Beteiligten verändern müssen.
„Ein integriertes Versorgungssystem als Zielvorstellung würde allerdings die Polarisierung
zwischen episodischen (HT, KH) und kontinuierlichen Behandlungsangeboten (ACT, CM)
überflüssig machen.“
(Berhe et al. 2005, 828)
5.4 Verbesserung von Qualität sowie Sicherstellung von Kontinuität
der Leistungen
Grundsätzlich ist bei der Implementierung einer ambulanten Versorgung
Kreativität und Flexibilität von der Einrichtung und ihren Mitarbeitern gefordert,
sind doch immer wieder Anpassung- und Veränderungsmaßnahmen notwendig, um auf den Bedarf wie auf die Bedürfnisse der Nutzer zu reagieren und
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zugleich mit den anderen Akteuren des Versorgungsnetzes in einen fruchtbaren Austausch treten. Die Literatur unter Heranziehung evidenzbasierter Studien
kommt dabei einhellig zu dem Schluss, dass es einem Ausbau teambasierter,
gemeindeorientierter Modelle bedarf, die sich nicht mehr nur an der Nachsorge und Rehabiliation orientieren, sondern vielmehr Krankenhausaufenthalte durch aktives Vorgehen vermeiden wollen (vgl. Brenner et al. 2000, 691).
Weiter besteht Bedarf für einen schnellen Zugang zu Hilfen (Stein/Santos
1998, 77). Eine Kontaktaufnahmemöglichkeit rund um die Uhr, aufsuchende Hilfe am selben Tag umgesetzt durch Mitarbeiter, die den Betroffenen bereits bekannt sind, können helfen, dass sich seelische Krisen nicht zum psychiatrischen Notfall entwickeln (vgl. Glover/Johnson 2008, 27, 76; Kap.
2.2.2). Durch die Erstellung von Krisenvereinbarungen, die mit den Betroffenen im Vorfeld erarbeitet wurden, aber auch unter Einbeziehung von Ärzten,
Therapeuten, Angehörigen u.a., werden die Möglichkeiten im NWpG zusätzlich erhöht, drohenden Krisen rechtzeitig und bedürfnisorientiert zu begegnen. Die guten
Ergebnisse einer solchen Versorgung führten dazu, sie im Rahmen der S3-Leitlinien zur Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Störungen zu empfehlen und soll auch den Teilnehmern des NWpG Zugang zu einer solchen Interventionsform ermöglichen (vgl. DGPPN 2006, 212ff)86.
Es ist sicherlich festzustellen, dass Krankenhausaufenthalte nicht gänzlich ersetzt
werden können und dass manche Zustandsbilder nur dort die adäquate Behandlung unter besonderer Berücksichtigung der Unversehrtheit erfahren (vgl. Stein/
Santos 1998, 53; Kap. 4.3.5)87. Stationäre Aufnahmen kommen zudem bei Spezialtherapien in Frage, wie auch bei multimorbiden Erkrankungen, die einen
intensiven Pflege- und Behandlungsaufwand mit sich bringen (vgl. Rössler/
Theoridou 2006, 117). Grundsätzlich kann in einem Modell der Integrierten
Versorgung, wie es im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt wird, erstmalig Gesundheitsförderung im Rahmen der Sekundär- wie Tertiärprävention in den Fokus
genommen werden. Dies beinhaltet somit die Abwendung erneuter seelischer
Krisen sowie die Verminderung der Folgen einer psychischen Erkrankung (vgl.
Deister et al. 2010, 5). Eine gemeindenahe und bedürfnisorientierte Versorgung
unter Berücksichtigung präventiver Aspekte birgt das Potential, dass Betroffene
ein höheres Vertrauen zu den Helfern aufbauen und in weiteren Krisen vorzeitig
86 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit, befanden sich die S3-Leitlinien für schwere psychische Störungen
noch in Revision.
87 Bei sogenannter Eigen- und/oder Fremdgefährdung sowie bei gesetzlichen Unterbringungen.
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Unterstützung annehmen (vgl. Johnson/Needle 2008, 73). Die im Rahmen der in
dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse, lassen die Vermutung zu, dass die Wirksamkeit der in Kapitel 2.3 beschriebenen Modelle auch im Rahmen der Praxis
des NWpG belegt werden kann, während deren Effizienz noch nachzuweisen ist.
Zudem müssen künftig weitere Aspekte bedacht werden, wie den longitudinalen
Verlauf einer seelischen Störung, ein besonderes Engagement des Teams oder
aber die Annahme, dass der stationäre Behandlunsgbedarf über den Verlauf
einer Erkrankung auch ab- oder zunehmen könnte (vgl. Brenner et al. 2000,
698). Das Konzept des NWpG unterliegt dabei einem steten Monitoring und einer
raschen Anpassung an die Entwicklungen. Neben der Frage nach spezifischen
Interventionen und strukturellen Aspekten, werden gender- oder aber kulturspezifische Fragestellungen vermehrt Beachtung finden müssen.
Die wesentlichen Kriterien für ein gelungene Umsetzung einer solchen Form der
Versorgung lauten wie folgt:
„„ „the time and commitment of staff
„„ social support
„„ a partnership model of the therapeutic relationship
„„ clinical engagement without an exclusive focus on medication“
(Tacchi/Scott 2008 nach Priebe 2005, 166).
Da die Lebensqualität auch maßgeblich durch das Bestehen eines tragfähigen
sozialen Netzes beeinflusst wird, stellt die Einbeziehung von Angehörigen und
Freunden, wie auch den professionellen Helfern einen wichtigen Faktor für die
Qualität der Versorgung dar (vgl. Kap. 2.2.4; 4.4.7). Einen weiteren wesentlichen
Baustein in einer solchen personenzentierten und gemeindeorientierten Versorgung stellt die kontinuierliche Begleitung durch ein multiprofessionelles Team
dar, welches zugleich einen teambasierten Ansatz verfolgt. Das Team greift dabei explizit Themen wie Kontakt- bzw. Therapieabbruch auf, thematisiert mit den
Betroffenen zu jedem Zeitpunkt die möglichen Beweggründe und reagiert soweit
erforderlich entsprechend den Bedürfnissen (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 820).
„Traditionelle krankheitsorientierte Behandlung sollte sich erweitern zu integrativen, multidimensionalen Konzepten auf der Basis einer positiven Haltung und einer Reduktion der
vorherrschenden Skepsis gegenüber der Möglichkeit der Gesundung„
(Amering/Schmolke 2006, 22)
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6 Zusammenfassende Betrachtung
Bis dato kann eine Integrierte Versorgung trotz einer verstärkten Orientierung
hin zu psychosozialen Interventionen ihrem eigentlichen Ansinnen, nämlich der
Koordination und Abstimmung von Leistungen auf die Wünsche der Betroffenen, nur schwer nachkommen; insesondere unter dem Aspekt der unterschiedlichen Leistungserbringer und deren Finanzierungsform. Verträge zur Integrierten Versorgung bergen zwar Gefahren, bieten jedoch auch Chancen, die aus
neuen innovativen Handlungsansätzen wie dem Home Treatment oder dem
Assertive Community Treatment entstehen können88. Hierauf abzielende Modelle einer ambulanten gemeindepsychiatrischen Integrierten Versorgung können
stationäre Aufenthalte nicht gänzlich ersetzen. Jedoch haben sie das Potential
einer verbesserten Versorgung durch einen gelungenen Abbau der versäulten
Strukturen mittels einer engen Verzahnung der bestehenden Behandlungs- und
Betreuungsformen. Begleitende Versorgungsforschung ist dabei unumgänglich,
um den durch eine Integrierten Versorgung angestrebten Mehrwert insbesondere für die Nutzer transparent zu machen und somit auch im Rahmen der beschriebenen Wirtschaftlichkeit wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Amelung/Wagner 2010, 187). Bislang wurden innerhalb Deutschlands meist nur einzelne
Behandlungsmethoden, wie etwa pharmakolgogische Interventionen, im Sinne
einer evidenzbasierten Praxis untersucht, während es viel mehr einer evidenzbasierten psychiatrischen Versorgungspraxis bedürfte, die sich sowohl an
ethische, gesetzliche als auch bedürfnisorientierte Aspekten anlehnt (vgl. Weinmann/Gaebel 2005, 809f). Versorgungsforschung mit dem Fokus auf gemeindeorientierte Modelle fehlt in Deutschland bislang fast gänzlich – daher werden in
den aktuellen Diskussionen meist Modelle aus anderen Ländern, wie etwa das
ACT, HT oder NAT, die in der Vergangenheit bereits intensiv beforscht wurden,
diskutiert und implementiert.
Welche Patienten am ehesten von einer gemeindepsychiatrischen Integrierten
Versorgung profitieren, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar bestimmen. Künftig werden daher sowohl (teil-)stationäre wie die gemeindepsy-
88 Er erläutert dabei die Differenzen zweier Verträge, die in jüngster Zeit mit Krankenkassen abgeschlossen
wurden. Dabei ist bei einem Modell die Uniklinik Eppendorf der Leistungserbringer, während es sich bei dem
Modell des NWpG um gemeindepsychiatrische Versorgungsanbieter handelt. Beiden Modellen ist aktuell die
Problematik zueigen, dass sie nicht in einem Verbund „Gemeindepsychiatrische Träger, Klinik und Krankenkassen“ verbindlich zusammenarbeiten (vgl. Bock 2010, 64).
Seiten 133
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Empirischer Teil
chiatrische Versorgung ihre Berechtigung haben und sich nicht gegenseitig aufheben (Thornicroft/Tansella 2004, 288). Bezüglich der Kostenfrage bedeutet
dies aber ein Umschichtung der bisher vorrangig in den stationären Bereich
geflossenen Gelder, da finanzielle Mittel für eine gemeindepsychiatrische
Versorgung angesichts der ökonomischen Entwicklungen nicht vorhanden sind
(vgl. ebd.).
Um die Herausforderungen an das Gesundheitssystem meistern zu können,
müssen zahlreiche beeinflussende Aspekte in Augenschein genommen werden.
So stellt der Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure nicht automatisch ein
verbessertes Handlungsvermögen dar. Amelung und Kollegen (2009, 15) räumen daher denjenigen Akteuren bessere Chancen ein, die bereits im Vorfeld
stark und fähig waren. Die Versorgung mittels Netzwerken gestalten zu wollen,
bedeutet zudem ökonomische und marktwirtschaftliche Mechanismen, die Kooperation und Wettbewerb beinhalten, verstärkt in Gang zu setzen. Daher dürfen
gerade im Gesundheits- und Sozialwesen ethische Fragestellungen nicht unberücksichtigt bleiben, die insbesondere mit Fragen zur Ökonomisierung zu vereinbaren sein werden. Hier besteht die Notwendigkeit mittels evidenzbasierten Qualitätsnachweisen, die Leistungen wie auch das Outcome zu belegen (vgl. ebd.).
Grundsätzlich basiert die Darstellung einer Integrierten Versorgung, entsprechend des empirischen Teils dieser Arbeit, auf der Annahme, dass die Einführung
der beschriebenen Konzepte auch im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen
umsetzbar ist und es eines Umdenkens der beteiligten Akteure bedarf. Dies bedeutet perspektivisch die enge Verzahnung zahlreicher Leistungsanbieter, wie
etwa Kliniken, Fachärzten, Sozialpsychiatrischer Dienste und weiterer Akteure.
Seiten 134
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Seiten 148
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Glossar
ACT
Assertive Community Treatment
BVDN
Berufsverband Deutscher Nervenärzte
CM
Case Management
CMHT
Community Mental Health Team
Dar.Darstellung
DGPPN
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychiatrie und Nervenheilkunde
DRG
Diagnosis Related Groups/Diagnosebezogene Fallgruppen
EBM
Einheitlicher Bewertungsmaßstab/Evidenzbasierte Medizin
GPV
Gemeindepsychiatrischer Verbund
HMO
Health Maintenance Organisation
HT
Home Treatment
IBEW
Intensiv Betreutes Einzelwohnen
ICM
Intensive Case Management
IV
Integrierte Versorgung
NAT
Need Adapted Treatment
NHS
National Health Service Plan
NWpG
NetzWerk für psychische Gesundheit
PIA
Psychiatrische Institutsambulanz
PPO
Preferred Provider Organisation
PSAG
Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft
SGB V
Fünftes Sozialgesetzbuch
SGB XII
Zwölftes Sozialgesetzbuch
SpDi
Sozialpsychiatrischer Dienst
TWG
Therapeutische Wohngemeinschaft
WHO
World Health Organisation
Seiten 149
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Darstellungverzeichnis
1
Verteilung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland,
2004 14
2
The holistic integration of treatment and rehabilitation
35
3
Die Instrumente des Managed Care
45
4
Der Algorithmus der Vergütungsgruppen
64
5
Altersverteilung der Nutzer (N=365)
93
6
Primärdiagnosen der Nutzer (N=319)
94
7
Einkommen der Nutzer (N=365)
94
8
Wohnform (N=365)
95
9
Regelversorgung SGB V und SGB XII (N=365)
96
10 Anbindung beim Facharzt (N=319)
99
11
Schnittstelle zu Sozialpsychiatrischen Diensten (N=365)
117
12 Schnittstelle zum (Intensiv) Betreuten Einzelwohnen und zu Therapeutischen Wohngemeinschaften (N=365)
118
13
Einbeziehung der Angehörigen
121
Seiten 150
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Anhang
Selbstgenerierter Fragebogen
Allgemeines
Berufstätigkeit
EU-Rente
ARGE
Hartz IV
Sonstiges
Gesetzliche Betreung
vorher
durch NWpG
Wohnform
alleine
mit Partner
mit Kindern
Vermittlung
in Arbeit
Betreute Wohnform
Sonstiges
Zuverdienst
MAW-Stelle
vorher
durch NWpG
Andere
Kooperationsarzt
Psychologische Beratung durch NWpG
Schnittstellen Kliniken
Krankenhausaufnahme psychatrisch
Syndrom
UG
Krankenhausaufnahme psychosomatisch
Kooperationsgespräche mit Kliniken bzw. Fallkonferenzen mit Klinik
vorzeitige Entlassungen aus Klinik mit Übernahme ins NwpG
Einweisungen in Klinik über NwpG (psychatrischer Notfall)
Schnittstellen SGB V & SGB XII
PT
vorher
durch NWpG
SpDi
vorher
durch NWpG
BEW
vorher
durch NWpG
BSA
vorher
durch NWpG
Ergotherapie
vorher
durch NWpG
Andere (Haushaltshilfe, BSA etc.)
vorher
durch NWpG
Gespräch Psychiater (Koop. + Niedergelassene)
Gespräch Psychotherapeut
Gespräch SpDi, BEW, TWG u.a.
Einbeziehung Angehörige u./o. Soziales Netz
Beteiligung Krisenvereinbarung
Angehörigenberatung
Krisenversorgung
Paargespräch
Seiten 151
Integrierte Versorgung in der Gemeindepsychiatrie: Erwartung trifft Realität
Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Umsetzung eines Modells ambulanter Versorgung
Erklärung nach §31 Abs.5 Rapo
Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbständig verfasst, noch nicht anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt, keine anderen als die angegebenen Quellen
und Hilfsmittel benützt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet habe.
München, im August 2011
Stephanie Lerf
Seiten 152

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