Der Sommer kommt – mit Super
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Der Sommer kommt – mit Super
Mai/Juni 07 ...ist die Service-Beilage der St. Petersburgischen Zeitung. Noch mehr Stadt-Know-how gibt es im Internet auf petersburg.aktuell.RU Günther Grass liest in St. Petersburg Am 30. Mai hält der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger Günther Grass an der Philologischen Fakultät der Universität Petersburg eine Lesung. Grass wurde 1927 in Danzig geboren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er als Luftwaffenhelfer eingesetzt und meldete sich als Freiwilliger zu einer Panzerdivision der Waffen-SS. Nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft arbeitete er als Steinmetz und absolvierte in Düsseldorf eine Ausbildung als Maler und Bildhauer. Ab 1956 begann Grass seine Skulpturen auszustellen und als Schriftsteller zu arbeiten. Mit seinem ersten Roman “Die Blechtrommel” erlangte er 1959 internationale Bekanntheit. 1979 wurde die Geschichte von Volker Schlöndorff verfilmt, der Film gewann in Cannes die Goldene Palme und wurde in Hollywood als bester ausländischer Film mit einem Oscar prämiert. Seinem Debütroman folgten weitere Bücher, wie “Katz und Maus” (1961), “Hundejahre” (1963), “Örtlich betäubt” (1969), “Der Butt” (1977), “Die Rättin” (1986). In vielen seiner Werke spielt die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. 1999 erhielt Grass für sein Werk den Literaturnobelpreis. 2002 erregte er mit seinem Roman „Im Krebsgang“ großes Aufsehen, in dem er die Tragödie des Flüchtlingsschiffs „Willhelm Gustloff“ thematisierte, das 1945 in der Ostsee vom einem russischen U-Boot versenkt worden war. Wann: 30. Mai, 19 Uhr Wo: Aula der Philologischen Fakultät an der Staatlichen Universität, Universitetskaja Nab. 11, Tel. 328-08-42. Der Sommer kommt – mit Super-Stars auf dem Schlossplatz Obwohl Eremitage-Direktor Michail Piotrowski seit Jahren darum kämpft, dass auf dem Schlossplatz keine lärmigen Großveranstaltungen mehr abgehalten werden, hat er – wie auch die Stadt – inzwischen ihr Okay für den StonesAuftritt gegeben. Die Konzertagentur erreichte dies mit einer geschickten Bühnen- und Boxenanordnung, die den Schalldruck auf die Museumsmauern auf 85 Dezibel beschränken soll. Außerdem dürfen die Bässe nicht gar so wummern wie 2004 bei Paul McCartney – und das bei so einer Show unverzichtbare Feuerwerk soll etwas abseits abgefackelt werden. Karten für das Stones-Konzert am 28. Juli sollen zwischen 1000 und 10.000 Rubel kosten. Geboten werden Petersburgs gute Stube wird in diesem Sommer wieder Schauplatz von Open-airKonzerten echter Weltstars sein: Im Juli werden hier sowohl Elton John wie auch die Rolling Stones auftreten! Eventuell gibt auch Barbara Streisand ein Konzert vor der Eremitage. Die Stones sollten eigentlich schon letzten Sommer im Rahmen ihrer Welttournee „A Bigger Bang“ im Kirow-Stadion auftreten. Doch dann fiel Keith Richards in der Südsee von einer Kokospalme – und die Tournee musste zusammengestrichen werden. Den Auftritt nun wie damals geplant zu wiederholen, geht nicht: Das Kirow–Stadion wurde inzwischen abgerissen, um Platz für eine neue moderne Fußballarena zu machen. Emma de Sigaldi - die tanzende Bildhauerin Das städtische Skulpturenmuseum zeigt eine Ausstellung mit Werken der deutsch-monegassischen Künstlerin Emma de Sigaldi. Als Tänzerin wie Bildhauerin beschreitet sie einen Weg zwischen Klassik und Moderne. Emma de Sigaldi, geborene Lackner, kommt 1910 in Karlsruhe zur Welt und erhält als Mädchen eine fundierte klassische Tanzausbildung. Anschließend wird sie von Mary Wigman im Ausdruckstanz unterrichtet – beide Richtungen wird sie weiter verfolgen. In den 20er und 30er Jahren tritt sie unter anderem als Obertänzerin am Münchner Staatstheater und als Solotänzerin am Badischen Landestheater Karlsruhe und am Theater Königsberg auf. 1939 gewinnt sie am Internationalen Tanzkongress in Brüssel mit ihrem Soloauftritt als “Tanzendes Weib” in einer Breughel-Maske zu Bartoks Musik die Bronzemedaille. Während der Kriegsjahre ist sie bis 1944 am Theater in Saarbrücken angestellt und gibt gleichzeitig Sologastspiele in Deutschland. Nach dem Krieg tritt sie nur noch in Sologastspielen auf, und hat damit großen Erfolg. Von den Kritikern wird sie als zweite Isadora Duncan und als Nachfolgerin von Mary Wigman gefeiert. Eine Wende in ihrem Leben bedeutet ihre Heirat mit dem monegassischen Grafen de Sigaldi, mit dem sie 1954 nach Monte Carlo umzieht. Fortan arbeitet sie als Bildhauerin unter dem Namen Emma de Si- galdi und beendet ihre Tanzkarriere. Sie hat rasch Erfolg in der internationalen Kunstszene und kann ihre Skulpturen in namhaften Museen und Galerien in aller Welt zeigen. Auch in Monte Carlo wird sie poplär und fertigt eine ganze Reihe von Werken für die Stadt an, so zum Beispiel “Der Schwimmer” im Hafen und die Brunnenfigur “Säule der Menschheit” im Stadtzentrum. In ihrem Schaffen lässt sich de Sigaldi von verschiedenen Kunstströmungen beeinflussen. Wie schon als Tänzerin beschreitet sie einen Weg zwischen der Klassik im naturalistisch-gegenständlichen Stil und neuen Formen mit einer abstrakten, organischen Bildsprache. De Sigaldi sieht die Bildhauerei als Fortsetzung ihres früheren Schaffens, als eine andere Form des Tanzes: “Beides ist Kommunikation mit dem Raum”. Wo: Ausstellungssaal des Städtischen Skulpturenmuseums, Newski Prospekt 179/2 Wann: noch bis 17. Juni, täglich außer Do und Fr 11 -18 Uhr, Tel. 274-2579, 274-3860 je 20.000 Sitz- und Stehplätze. Als „Vorgruppe“ tritt eventuell mit Iggy Pop ein anderer Rock-Veteran auf. Der extravagante Sir Elton John passt da sicher schon etwas besser ins klassische Ambiente. Sein Open-air auf dem Schlossplatz ist für den 6. Juli angekündigt. Es handelt sich dabei übrigens um den dritten Auftritt von Elton John an der Newa: Das erste Mal war er schon in grauer Vorzeit, nämlich 1979, hier, das zweite Mal sang er 2001 bei einer exklusiven VIP-Party in Zarskoje Selo. Karten kosten zwischen 500 und 15.000 Rubel. Vorerst noch mit einem Fragezeichen zu versehen ist ein geplanter Auftritt von Barbara Streisand, der ebenfalls im Juli stattfinden soll. Test & TIPP II Stadtrundfahrt auf die aktive Tour: Warum nicht per Fahrrad? Die Zeit war wohl reif dafür: Einerseits die Dauerstaus in der Innenstadt, die zumindest an Arbeitstagen Stadtrundfahrten per Bus fast unmöglich machen. Und andererseits das Bedürfnis vieler Touristen, St. Petersburg nicht nur aus der Pauschalreisen-Perspektive zu erleben. Das Ergebnis: Erstmals werden nun Stadtrundfahrten per Fahrrad angeboten. Seit Anfang Mai können sich Freunde der Muskelkraftfortbewegung diesen Bike-Touren durch die Stadt anschließen – ohne große Vorbereitung oder Vorbestellung und auch erst nach einem prüfenden morgendlichen Blick aus dem Fenster, ob das Wetter denn wirklich einer Velo-Exkursion nicht im Wege steht. Sonnig muss der Tag nicht unbedingt sein (denn dann wird es schnell auch mal zu warm), aber Sonntag muss es sein: Denn vorerst wird die Stadtrundfahrt per Veloziped nur einmal pro Woche angeboten: „Sonntag morgens sind die Straßen fast leer. Das sind die besten Bedingungen für ein Fahrrad-Exkursion durch die Stadt“, sagt Peter Kosyrew, einer der Urheber dieses neuen Angebots. Wer sich dann bis 10.30 Uhr am Fahrradverleih „Skat Prokat“ in der Gontscharnaja 7, gleich neben dem Moskauer Bahnhof einfindet, bekommt ein passendes Mountainbike untergeschoben und einen Fahrradhelm verpasst. Die Teilnahmegebühr für die 3,5 Stunden lange Exkursion beträgt 800 Rubel pro Person. Wer mit einem eigenen Bike mitfährt, erhält 20 Prozent Rabatt. Nach einer kurzen Prüfung, ob allen Teilnehmern die grundlegenden technischen Features eines modernen Fahrrads vertraut sind, geht es los: Angeführt wird die Radlerkolonne vom Fremdenführer, den Abschluss bildet Die sind schließlich ganz wild auf exotische Erlebnisse. Auf einem ideal gepflasterten Gehweg zwischen Newa und Uferstraße geht es dann flugs Richtung Innenstadt – und die Radtouristen erfahren unterwegs allerlei über Dinge, die bei einer üblichen Stadtrundfahrt kaum vor- Fotos: H. Heitmann Von Lothar Deeg len. Aber darum geht es auch nicht. Peter Kosyrew hat mit seiner Firma „Peter’s Walking Tours“ elf Jahre Erfahrung mit geführten „alternativen“ Stadtspaziergängen gesammelt und weiß deshalb, dass „gute“ Touristen sich kaum für Jahreszahlen und Zarennamen interessieren - und überhaupt Zentral gelegen und zudem große Auswahl: Das Il Patio am Newski. Zentral gelegen und zudem große Auswahl: Das Il Patio am Newski. ein Fahrradmechaniker samt Werkzeugrucksack, der bei Pannen den fahrbaren Untersatz schnell wieder einsatzfähig macht. Auf ausgeklügelten Wegen – vorrangig ruhige Seitenstraßen oder breite Trottoirs – geht es dann erst einmal in Richtung Smolny-Kloster und Newa. Anders als bei einer Stadtrundfahrt im Bus kann der Guide hier nicht die ganze Zeit etwas erzäh- weniger hören als dazu etwas sehen wollen. Es muss ihnen nur jemand richtig zeigen, was interessant ist. Deshalb gibt der FahrradGuide seine Erklärungen nur bei den Stopps auf der Route ab – und das parallel auf russisch und englisch. Denn mit seiner neuen „Mischung aus Informationen, Emotionen und aktiver Erholung“ glaubt Kosyrew auch russische Touristen ansprechen zu können. kommen: sei es der geplante Gazprom-Wolkenkratzer, das größte Untersuchungsgefängnis Russlands oder die Wohnungspreise in den Nobelwohnungen direkt gegenüber. Der Kreuzer „Aurora“, das Häuschen Peters des Großen, der Schloßplatz und die Isaakskathedrale sind dann weitere Plan-Stopps auf der Tour – die aber zwischen Zarenschloß und Kathedrale auch einmal unvermittelt im Slalom durch ein paar vergammelte Innenstadt-Hinterhöfe führt, wo die Regenrohre von den Fassaden kippen und Autowracks vor sich hin erodieren. Eindrucksvolle Fotomotive gibt schließlich das eine wie das andere ab. Gegenüber einer Fuß-Exkursion ist auf dem Fahrrad der Aktionsradius bedeutend größer, gegenüber einer Bootsfahrt öffnen sich mehr Perspektiven – und gegenüber einer Omnibus-Tour hat man die bedeutend bessere Rundumsicht. Als Radfahrer bemerkt man schließlich auch, dass eine Stadt nicht nur aus Ansichten und Sehenswürdigkeiten besteht – sondern auch aus Gerüchen, Geräuschen und den verschiedensten Straßenbelägen. Peter Kosyrew und sein Partner Alexander Iwanow von Skat-Prokat wollen ihr neues Produkt noch in dieser Saison diversifizieren: In den Weißen Nächten sollen auch nächtliche Radrundfahrten durch die Stadt angeboten werden – samt Betrachtung der geöffneten Brücken. Auf Bestellung gibt es auch eine Ganztags-Tour durch Pe- tersburg – mit Abstechern in die schönsten Parks auf den Newa-Inseln und Hinweisen auf üblicherweise weniger bemerkte Petersburger Juwelen wie die alte Industriearchitektur auf der Wyborger Seite oder die Jugendstilviertel auf der Petrograder Seite. Für Reisegruppen organisiert man auch FahrradEvents nach Wunsch – und sei es außerhalb der Stadt oder für einen ganzen Bus voll Menschen: 50 Fahrräder und auch geeignete TramsportFahrzeuge stehen zur Verfügung, um die Räder an andere Startpunkte zu bringen. Als Krönung seiner Exkursionen betrachtet Peter Kosyrew jedoch die „Kuptschino-Tour“. Sie soll - unter anderem langjährigen Petersburger Innenstadteinwohnern – die Augen öffnen für die Besonderheiten der „Petersburger Bronx“. So nennt Kosyrew das riesige Plattenbau-Hochhausviertel im Südosten der Stadt. Auch dies kennt der StadtführerProfi wie seine Westentasche. Er wohnt nämlich dort. Infos unter www.biketour.spb.ru oder Tel. 7176838 Von Bienen und Eiern: Wie man in Petersburg zu einer Handy-Nummer kommt Viele Reisende kennen die böse Überraschung, die sie mit der Handyrechnung nach der Rückkehr erwartet. Die Roaming-Gebühren erreichen im Ausland schwindelerregend hohe Summen von bis zu 2 Euro pro Minute. In Russland kann es zudem vorkommen, dass dem heimischen Anbieter Verträge mit den lokalen Netzwerken fehlen und das Telefonieren gar unmöglich ist. Damit stellt sich die Frage, ob es sich lohnt, eine russische SIM-Karte zu kaufen – und wie das geht. Von Pascale Siegrist Auch wenn oft Befürchtungen wegen Komplikationen und Kosten bestehen, die Investition in eine russische Nummer lohnt sich auch schon für kurze Aufenthalte. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn man vor hat, viel innerhalb Russlands zu telefonieren - oder innerhalb einer Reisegruppe kontakt zu halten. Voraussetzung ist natürlich, dass man in der Lage ist, die Nummer spontan zu wechseln. Eine SIM-Karte kostet in Petersburg nur etwa 8 Euro (300 Rubel). Darin sind meist bereits 4 Euro Startguthaben enthalten. Auch der Aufwand beim Erwerb ist gering: Handyshops sind an jeder Straßenecke zu finden. Der Kauf lässt sich auch mit bescheidenen Russischkenntnissen meistern und dauert etwa eine Viertelstunde. Zu beachten ist, dass dafür ein Reisepass benötigt wird und dass einige Handys einen SIM-Lock des ausländischen Anbieters haben. Dieser kann meist für etwa 15 Euro aufgehoben werden. Falls das nicht klappt, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich ein neues Handy zu kaufen. Die Preise für die Geräte entsprechen ungefähr den deutschen, doch leider gibt es in Russland keine Kombiangebote mit Gratishandys, wie sie in Deutschland verbreitet sind. Das liegt daran, dass man in Russland praktisch nur Prepaid-Angebote findet – was aber für kürzere Aufenthalte sowieso geeigneter ist. Der Vorteil eines in Russland gekauften Mobiltelefons ist zudem, dass sie neben der lateinischen auch über eine kyrillische Tastatur verfügen. Viele Russen schreiben SMS aber mit lateinischen Buchstaben, man braucht also nicht zwingend ein russisches Handy, um mit russischen Freunden kommunizieren zu können. Umgekehrt ist es ratsam zu prüfen, ob das neue Handy auch ein deutsches Menü und T9-Unterstützung zum SMS-Schreiben aufweist – dies ist nur bei wenigen Herstellern (z.B Siemens) der Fall. Schwieriger hingegen ist die Wahl des Betreibers: In Russland konkurrieren neben kleinen regionalen Anbietern vier große Netzwerke. Die Konkurrenz ist hart, entsprechend omnipresent ist auch die Werbung. Die Netzbetreiber haben jeweils verschiedene Tarifsysteme. Die Preislisten liegen in den Handyshops auf, sind aber meist nicht sehr durchsichtig. Für Studenten und junge Leute lohnt es sich abzuklären, ob Vergünstigungen möglich sind. Wenn man das Handy auch für Anrufe nach Hause benutzen möchte, muss man unbedingt darauf achten, ob Auslandgespräche mit dem Package möglich sind und was diese kosten. Der erste große Mobilfunkbetreiber Russlands war „Megafon“, erkenntlich an den Farben grün und violett. Megafon steht im Ruf, sehr zuverlässig zu sein und über das beste Netz zu verfügen. Der Nachteil ist, dass es auch preislich eher im oberen Bereich liegt – ein Anruf innerhalb Russlands kostet ca. 3 Rubel je nach Tarifplan. Am anderen Ende der Skala positioniert sich die jüngste Gesellschaft, „Tele2“. Sie ist mit 0,20 bis 0,95 Rubel pro Anruf ausgesprochen günstig, was auch in der Werbung eindeutig ihr schlagendes Argument ist. Das Problem ist, dass der Empfang als sehr schlecht gilt und SMS, insbesondere ins Ausland, nicht immer durchkommen. Im Mittelfeld sind Beeline und MTS anzusiedeln. Beeline, in schwarz-gelber BienenOptik, kostet den Kunden 0,95 bis 2,95 pro Minute ins russische Netz. Empfangsqualität und Zuverlässigkeit sind in Ordnung, so hat man wie bei den meisten Anbietern (außer Tele2) auch in den Metrostationen Empfang. Beeline ist zudem jener Anbieter, den einem die Geschäfte meist automatisch verkaufen, wenn man nicht konkret einen anderen Betreiber verlangt. MTS ist der erste Anbieter, der seit kurzem auch Verträge abschließt. Sein Symbol ist ein Ei auf rotem Grund. Die Kosten betragen 0,90 bis 2,60 Rubel. MTS empfiehlt sich vor allem für Leute, die vorhaben, durch Russland zu reisen, da der Empfang auch außerhalb der Großstädte als gut gilt. Kritisiert wird hingegen, dass das Geld-Nachladen außerhalb des Stadtzentrums nicht an allen Stationen möglich ist. Das mag jetzt alles sehr kompliziert klingen. Die einfachere Variante ist, man geht einfach auf den Vorschlag des Verkäufers ein. Meist muss man sich sogar aktiv dagegen wehren, wenn man eine andere als die vorgeschlagene Va- riante möchte. Die Preise und Qualität der einzelnen Anbieter sind vergleichbar und deshalb ist diese Lösung für nicht besonders anspruchsvolle Handybenutzer durchaus zufriedenstellend. Aufwändige Preisvergleiche lohnen sich erst für Langzeitbesucher und Vieltelefonierer. Normalerweise können die HandyKonten problemlos und zu jeder Tageszeit aufgeladen werden. Bargeldlose Ladestationen befinden sich an Metrohaltestellen und in Supermärkten, am einfachsten (und kommissionsfrei) ist es aber in den Handyshops. Falls einem das Telefon abhanden kommt, sollte man es sofort in einem Telefongeschäft sperren lassen, wofür aber wiederum der Pass benötigt wird. Auf diese Weise kann man wenigstens den Verlust des geladenen Geldes verhindern und die Nummer behalten. Einen Diebstahl bei der Polizei anzuzeigen, ist hingegen mit viel Aufwand verbunden und von wenig Erfolg gekrönt. TRENDS & EVENTS III Fort MC – die friedlichen Rocker von St. Petersburg Russlands eingefleischte Motorrad-Fahrer haben die Kultur der rauhen und freiheitsliebenden Rocker im Westen weitgehend übernommen. Doch pflegen die Männer und Frauen mit ihren heißen Stühlen hier ein ausnehmend friedliches Club-Leben – so zum Beispiel beim Petersburger “Fort MC”. Member ihr „Color“ ab und der Fort MC wurde gegründet. Das „Color“ ist das Abzeichen eines Motorradclubs, das die Mitglieder auf ihren Lederwesten tragen. Es besteht meistens aus zwei Schriftzügen mit dem Namen des Clubs und der Stadt, in der er ansässig ist, sowie aus dem clubeigenen Markenzeichen. „Es gibt auch in In St. Petersburg, der „kulturellen Hauptstadt“ Russlands, hat sich mittlerweile auch ganz andere Kultur entwickelt, als es sich der Gründervater der Stadt wohl je erträumt hat. Denn durch das von Peter dem Großen vor gut 300 Jahren geöffnete „Fenster zum Westen“ hat unter anderem auch die westliche Biker-Kultur Einzug gehalten – jener sehr maskuline Kult im Viereck von schweren Motorrädern und Lederjacken, Clubabzeichen und Bier. Die russischen Rocker führen jedoch ein eher verstecktes Leben, denn auf Peterburgs Straßen sieht man erstaunlich wenige Motorräder. Warum das? „Lasse dein Motorrad nie alleine rum stehen. Es wird nicht unbedingt geklaut, aber in Russland ist das Motorradfahren noch neu. Viele Leute denken, es sei eine Art Spielzeug und man könne daran rumfummeln und mal Probe sitzen“, meint dazu Anton Barsukow, Redakteur der auflagenstärksten russischen Motorradzeitschrift „moto“. Noch am meisten Motorradfahrer sind im Sommer auf dem Newski Prospekt unterwegs. Sehen und gesehen werden ist hier die Devise, wenn man sich in ein Straßencafe setzt und das eigene Motorrad näher steht als der nächste Tisch. Vorausgesetzt die Sonne scheint, sieht man oft Biker ohne Helme und Nummernschilder auf aufgedonnerten Maschinen die Flaniermeile rauf und runter rasen. Doch echte Motorradfans verzichten lieber auf solche Possen. Einige von diesen Zweiradfans haben sich in Motorradclubs zusammengeschlossen, die feste Clans bilden und nach außen abgeschlossen sind wie eine Festung – so zum Beispiel der „Fort MC“, einer der ältesten Motorradclubs der Stadt. Die Geschichte des Clubs reicht Russland offiziell eine Helmpflicht und natürlich muss man ein Nummernschild am Fahrzeug haben. Allerdings sind die Strafen nicht besonders hoch und auch Vorwahl Vom Handy: Vom Festnetz: „Auch bei uns gibt es verschiedene Stadien der Mitgliedschaft, wie in Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman. Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman. bis zu den Anfängen der Petersburger Motorradszene zurück. 1995 spaltete sich der damalige „Chopperclub“. Aufgrund interner Konflikte nahmen einige Der weite Weg vom „Prospect“ zum Full Member Fotos: H. Heitmann Von Tilmann Ziegenhain der hiesige TÜV ist tolerant. Wir aber hängen am Motorradfahren und wollen es nicht riskieren, dass die Polizei unsere Bikes beschlagnahmt.“, meint Iwan, der Secretary des Fort MC. „Secretary“ ist die übliche Bezeichnung für jenes Clubmitglied, das mit der Öffentlichkeitsarbeit und dem Schriftverkehr betraut ist. 8 oder +7 Keine Vorwahl Keine Vorwahl 8 - regionale Vorwahl +49/+43/+41 etc. Keine Vorwahl 8… regionale Vorwahl 8… 10 Vorwahl ohne +/00 … = Freizeichen (Dauerton) abwarten, gilt nur für nicht-digitale Linien jedem anderen Club auch“, sagt Iwan. „Allerdings können wir keinem Prospect sagen, dass er nach einem Jahr Full Member wird. Normalerweise dauert es drei bis sechs Monate, wir hatten aber auch Fälle, bei denen es drei Jahre bis zur Vollmitgliedschaft dauerte.“ Mit diesen Regeln unterscheidet sich der Petersburger Motorradclub wenig von solchen im Westen Europas: „Prospect“ kann man mit „Anwärter“ übersetzen. Bevor man volles Mitglied, also „Member“, eines Clubs wird, muss man erst dieses Stadium durchlaufen. Meist müssen die „Prospects“ ungeliebte Aufgaben erfüllen: Sie bewirten die Gäste bei Partys oder müssen auch mal die Motorräder der Vollmitglieder putzen. Der Name des Petersburger Clubs macht es schon deutlich: „Fort MC“ will eine fest geschlossene Gemeinschaft sein, so wie es wohl auch die Mannschaft der Festung im Zentrum der Stadt in den Gründerjahren Petersburgs es einmal war. Wenn man aber einmal drin ist, herrscht Gleichberechtigung. Anders als bei vielen westlichen Motorradclubs verzichten die Petersburger nämlich auf ein Bestrafungssystem, falls jemand gegen Wer wird angerufen? 10stellige russische Handynummer 7stellige Petersburger Handynummer Festnetz St. Petersburg (siebenstellige Nr.) Festnetz anderer russischer Städte Ausland (Festnetz und Handy) St. Petersburg (außerhalb St. Petersburgs muss 8… 812 gewählt werden) andere Städte in Russland Ausland Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman. die ungeschriebenen Regeln verstößt. Der Fort MC rief im Gegenteil sogar die In anderen Clubs muss man schon mal “Assoziation der Bike-Clubs des Nordwefür eine Woche den an einer Kette bestens“ ins Leben, eine Gemeinschaft von festigten Kolben eines Motors mit sich Clubs, die zusammen arbeiten und feiern, herum tragen, wenn man unangenehm vor allem aber Motorrad fahren. Kern des aufgefallen ist. Clublebens bilden nämlich die gemeinsamen Ausfahrten. Mitglieder des Fort MC Clubhaus verschlug es mit einigen anderen russimit eigener Werkstatt schen Clubs in diesem wie im letzten Jahr sogar bis auf das in der Szene legendäre Auch das clubeigene Haus, ein altes „Elefantentreffen“ im Bayerischen Wald. Fabrikgebäude aus roten Ziegelsteinen Das winterliche Treffen bei Schnee und Eis gleicht von außen einer Festung. Es gilt für deutsche Biker als Härtetest, für steht in einer abgelegenen Sackgasse die solches Klima gewohnten Russen war eines Gewerbegebiets, nebenan befindet es eine Fingerübung – obwohl man den sich das städtische Tierkrematorium. Preis für die weiteste Anfahrt abräumte. Im Erdgeschoss haben die Biker die Trifft man die Jungs vom Fort MC clubeigene Werkstatt der „Fort MC jedoch außerhalb von solchen ExpeCompany“ eingerichtet. Hier reparieren ditionen oder Partys, würde man gar die Mitglieder nicht nur ihre eigenen nicht auf die Idee kommen, dass man Bikes, sondern fertigen auch Umbauten es mit hartgestottenen Rockern zu tun für Kunden an. Die meisten russischen hat: „Zum Rauchen gehen wir auf den Motorradfahrer sind mittlerweile auch Balkon“, sagt Iwan mit einem Lächeln, mit japanischen Bikes unterwegs, die „wenn drinnen nicht gefeiert wird, russischen Modelle von Ural und Dnepr herrscht Rauchverbot...“ sieht man in den Städten nur noch selAdresse des Fort MC St. Petersburg: ten und wenn, dann werden sie oft nur Gluchooserskoje Chaussee 14 als Zweitmaschine gehalten, erklären die Metro: Jelisarowskaja hiesigen Bike-Experten. Internet: www.fortmc.ru Im Obergeschoss haben sie sich einen ansehnlichen Partyraum geschaffen, der mit einer Bühne und der obligatorischen Bar alles hat, um gelungene Feste zu feiern. „Die Partys dienen uns nur zum 1727 gegründet, 1916 eingestellt eigenen Spaß und für die Öffentlichkeits1991 wiedergegründet arbeit“, sagt Iwan. Gäste werden also ab und an ins Fort eingelassen. Aber: Newski Pr. 22/24 (Petrikirche), 191186 St. Petersburg „Unser Haus gehört uns, wir sind nicht Tel./Fax: 007812315 01 59 darauf angewiesen, mit Konzerten oder e-mail: [email protected] anderen Veranstaltungen Geld zu verdieInternet: www.spz.aktuell.ru nen“. Und weil die meisten Mitglieder Anschrift für Post aus dem Ausland: St. Petersburgische Zeitung, in der Werkstatt ihr Geld verdienen und P.O. Box 8, FIN53501 Lappeenranta sowieso jeden Tag im Haus sind, gibt es keine regulären Treffen. Chefredakteur: Lothar Deeg Keine Rockerkriege wie in Deutschland oder USA Anders als beispielsweise in Deutschland oder den USA gibt es unter den Petersburger Clubs keine „Rockerkriege.“ Motorrad-Redakteur Barsukow erzählt, dass es in der Entstehungsphase der Szene Ende der Achtziger und Anfang der neunziger Jahre einige Reibereien gab: „Da wollten sich neue ausländische Clubs gegen alteingesessene russische durchsetzen. Das wurde teilweise auch mit Schlägereien ausgetragen. Zu wirklich ernsthaften Auseinandersetzungen kam es aber nie, auch nicht mit der Polizei.“ Das Verhältnis zu den anderen Biker-Clubs in Petersburg, von denen es mindestens fünf gibt, ist gut. Nicht nur auf ihren Internetseiten sind die meisten Clubs miteinander verbunden. Man kennt und respektiert sich, „Gebietsansprüche“ auf ganz St. Petersburg stellt keiner. Denn sonst ist dieses Phänomen in der Bikerszene ein weit verbreiteter Brauch: Wenn in einer Stadt bereits ein Motorradclub existiert, wird oft kein zweiter geduldet. Dann beansprucht der erste Club für sich allein das Recht, zum Clubnamen der Stadt auf den Westen zu tragen. Stellv. Chefredakteur: Eugen von Arb Chefreporter: Anna Litvinenko Autoren und Mitarbeiter: Sara Reith, Pascale Siegrist, Tilmann Ziegenhain Layout: Oleg Sokolow Geschäftsführer: Juri Kotscherewsky [email protected], Tel./Fax 812307 86 45 Die SPZ kooperiert mit der InternetZeitung Russland-Aktuell (www.aktuell.ru) Anzeigen und Marketing: Jörg Stummeier, Tel. 8-921-932 58 79 [email protected] Markus Müller, Tel. 8-921-988 51 19 [email protected] Ilya Starovoitov, Tel. 8-812-961 38 91 [email protected] Tatjana Aljabjewa, Tel. 8921645 25 90 [email protected] Herausgeber: Gemeinnützige Partnerschaft „St. Petersburgische Zeitung“ Begründer: E. Häusser, J. Woropajew, J. Kotscherewsky, J. Scharf Газета зарегистрирована комитетом Российской Федерации по печати, рег. № 012789 Рукописи не рецензируются и не возвращаются. При перепечатке ссылка на «SPZ» обязательна. Отпечатано в типографии «На страже Родины». 191186, Санкт Петербург, Дворцовая площадь, 10, тел.: 312 43 19 Заказ № Тираж 10.000 TUN & LASSEN IV Viktor Zois Heizungskeller „Kamtschatka“ bedroht Plätzen wie dem Heizungskeller, in dem einst Rock-Idol Viktor Zoi am Heizkessel stand, verdankt Petersburg seine Ruf als „Heimat des russischen Rocks“. Nun ist der Kellerclub namens „Kamtschatka“ in Gefahr. Von Lothar Deeg Die Sowjetunion Anfang/ Mitte der 80er Jahre: Noch hat Gorbatschows Tauwetter die festgefressenen Strukturen nicht aufgeweicht. Noch können sich „nichtformale“ kritische Geister – seien sie Künstler oder Musiker – nicht frei entfalten. Um nicht als Landstreicher oder Arbeitsverweigerer belangt zu werden, braucht man eine offizielle Anstellung. Viele der Leningrader Intellektuellen nahmen damals einen Job als Heizer in den vielen Heizungskellern oder kleinen dezentralen Heizwerken in der Innenstadt an. In einer solchen „Kotelnaja“ hatte man – erst recht nachts – seine Ruhe, konnte dichten, musizieren und ungestört Freunde einlassen. Hier war es auch im tiefsten Winter warm und trocken und solange der Heizkessel richtig bullerte, beschwerte sich schließlich niemand. Faktisch waren die Heizkeller der Nährboden des Leningrader Untergrunds. Eine der berühmtesten Kultur-Kotelnajas befand sich unter einem Wohnheim in der Uliza Blochina 15 auf der Petrograder Seite. Hier stand auch Viktor Zoi am Kessel – der Leadsänger der legendären Rockgruppe „Kino“, die damals noch im Untergrund agierte. In dem „Kamtschatka“ getauften Heizungskeller leistete ihm damals manche Gesellschaft, die auch heute noch in der russischen Musik- Szene Rang und Namen haben: Swjatoslaw Saderij („Alisa“, „Nate!“), Boris Grebentschikow („Aquarium“) oder Juri Schewtschuk („DDT“). auch der Heizkeller mit dem Namen der fernen russischen Vulkanhalbinsel im Pazifik wurde nicht vergessen: 1999 wurde er stillgelegt, auch die Bewohner des Wohnheims wurden nach und nach ausgesiedelt. 2003 nutzen Zoi-Fans und einstige Weggefährten die Möglichkeit und mieteten den Mainstream entsprechender Musiker. Passt ein Rock-Keller in die sanierungspläne? Doch nun schlugen die Kamtschatka-Betreiber Alarm: Die Stadt hat das weitgehend geräumte Wohnheim an einen Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman. Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman. Rock-Idol Viktor Zoi starb den James-Dean-Tod Zoi wurde zum vergötterten Idol des sowjetischen Rock – nicht nur dank seines schwermütigen, damals enorm beliebten Hardrocks, sondern auch wegen seines tragischen Tods: Er starb im Sommer 1990 bei einem Autounfall in Lettland. Zois Ruhm lebt weiter bis heute – und Heizkeller für zehn Jahre an: Das „Kamtschatka“ wurde als Musikclub mit integriertem Zoi-Museum wiedergeboren. Wichtigstes Exponat ist eine hinter Glas ausgestellte Original-Gitarre des großen Meisters. Jeden Abend finden unter der rußschwarzer niedrigen Decke in höchst rustikaler Atmosphäre Konzerte statt – keine großen Gigs, sondern meist Auftritte junger Bands und weniger dem Investor übergeben, der es nach seinem Gusto renovieren und umgestalten darf. Die Lage ist gut, ein Business-Center oder eine noble Wohnanlage wie auf dem Nachbargrundstück würden sich hier rentieren. Die Erhaltung des „historischen“ Heizkellers wie auch die Existenz eines Keller-Rockclubs sind in solcher Umgebung kaum vorstellbar. Über die Zukunft des Kamtschatka-Kellers machte sich dabei bislang niemand große Gedanken: „Wir dachten, die Gedenktafel an der Fassade ist genug“, gestand Juri Salnikow, Generaldirektor der Immobilienfirma „Gradostroitel“. Das Problem dabei ist, dass der Keller trotz seiner – zumindest für die Rockmusik – grundlegenden Bedeutung offiziell keinen besonderen Status genießt: Das „Kamtschatka“ ist bei der Stadt weder als Denkmal, schützenswerte kulturelle Einrichtung noch als Museum registriert. Und für den Investor ist es eben nichts mehr als ein ehemaliger Heizungskeller, dessen Mietvertrag man nun vorzeitig wegen der Generalsanierung kündigen möchte. Und wer wäre bereit, für den Erhalt zu kämpfen? Die Nachricht vom anstehenden Ende des „Kamtschatka“ kam in Russlands Medien groß heraus. Zum Schutz des Clubs meldeten sich viele zu Wort, etwa der Musiker Wladimir Rekschan: „Dies ist nicht nur Kulturgeschichte, sondern auch ein Teil der Geschichte Petersburgs und Russlands. Wenn wir wegen irgendwelcher wirtschaftlichen und kurzfristigen Gewinne dies verschleudern, dann leben wir bald in einer Retortenstadt, in der es viele wunderbare Häuser gibt, aber in diesen Gebäuden ist keine Geschichte, keine Seele, kein Petersburg.“ Ob derartige Appelle den Museums-Club allerdings retten können, ist fraglich. Denn ein Mekka der heutigen Musikfans ist das „Kamtschatka“ offenbar nicht: Als unlängst dort ein „Festival des akustischen Rocks“ stattfand, waren unter den Zuhörern wohl kaum mehr anderthalb Dutzend zahlende Gäste – und dies trotz der umfangreichen Berichterstattung über das bald drohende Ende. Museen neu entdeckt: Ein Rückblick auf die Sowjetunion – nicht ohne Nostalgie und Chaos Das geräumige Museum neben der Peter-Pauls-Festung nennt sich zwar „Museum der politischen Geschichte Russlands“, doch hat man das Gefühl, dass die Wahl des Namens eher willkürlich erfolgte. Ähnlich wie die bewegte Geschichte des Gebäudes sind die Exponate ausgesprochen vielseitig. Eine Struktur bei ihrer Auswahl lässt sich aber nicht immer erkennen. Von Pascale Siegrist Schon in der Eingangshalle wird offensichtlich, dass dieser Ort zu Sowjetzeiten keine unwichtige Rolle spielte. Das Kassenhäuschen - zugleich ein Souvenirshop - wirkt ein wenig schäbig in der prunkvollen Halle mit ihren rot-orangenen Lenin-Glasfenstern. Hat sich die Dame an der Kasse mal von ihrem Telefon losgerissen und gnädigerweise eine Eintrittskarte verkauft, gelangt man in die ersten sieben Säle, die ebenfalls noch eine deutlich sozialistische Prägung haben. Hier werden die politischen Entwicklungen in Russland zwischen 1920 und 1990 und deren Auswirkungen auf das private Leben der Menschen ausführlich dargestellt. Wenn auch viel Mühe in eine sehr schöne und multimediale Präsentation investiert wird, gelingt es angesichts der vollgestopften Vitrinen nicht immer, einen Überblick zu gewinnen. Auch bekommt den Eindruck, die Sowjetunion wäre vor mehreren hundert Jahren zusammengebrochen: Denn jedes erhaltene Objekt scheint von historischem Wert: So sind Haushaltsgegenstände, Spielsachen, Rubelnoten und Abzeichen unterschiedlichen Datums zu bewundern – bis hin zu einer Kamera, mit der Gorbatschow gefilmt wurde. Hier die Nachbauten von Lebensräumen und 1919 war dieser Ort schon schöne thematische Vitrinen lässt sich Besuchern zugänglich, denn schnell ein Einblick in den sowjetischen kaum hatten die Bolschewiken Alltag gewinnen. Auch gibt das Personal gesiegt, widmeten sie das gerne einen Kommentar zu den AusGebäude zum „Museum der stellungsobjekten ab. Nur die Oktoberrevolution“ um. aus kaum erfindlichen GrünDer Rest des Museum ist den regelmäßig angschlagende schwer zu überblicken. Ein Alarmanlage scheinen die sonst Saal beleuchtet die Rolle St. so aufmerksamen Angestellten Petersburgs für die russische nicht mehr zu bemerken. Politik, es gibt eine schöne Im Gegensatz zur reichen Fotoausstellung und einen Darstellung dieser Periode scheiTeil, der dem Zusammenhang Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher nen die neueren Entwicklungen von Kultur und Politik gewie auch die vorsowjetische Zeit widmet ist. Auf der Suche nach weiteren Räume sind auch Englisch ausgeschildert, etwas zu kurz zu kommen. Ein Ausstellungsräumen kann es dann auch in manchen wird einem, sobald man sich Saal versucht die Teilung von mal vorkommen, dass man sich plötzlich als Tourist geoutet hat, ein Hefter mit links und rechts in der russischen inmitten eines Schubert-Konzerts auf Begleittexten in die Hand gedrückt und Politik zu illustrieren und in eiRussisch wieder findet... andernorts ist man wiederum gänzlich auf nem weiteren wird ein Vergleich Wenig Logik hat auch die Übersetzung seine Russischkenntnisse angewiesen. Das zwischen der historischen und der Begleittexte zu den Exponaten. Einige Museum ist sicherlich nicht nur für Freunde der heutigen Duma hergestellt. der Sowjetästhetik sehenswert, auch wenn Über die Revolution selbst ist diese in der hauseigenen Kunstsammlung nur in einer sorgfältig gestal„Von großartig bis lächerlich...“ voll auf teten temporären Ausstellung ihre Kosten kommen. Doch empfiehlt es mehr zu erfahren. sich, entweder sehr viel Zeit mitzubringen, Der zweite Stock ist der Geeine Führung zu buchen oder von vornherschichte des Hauses und seiner ein über gute Kenntnisse der russischen Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher ursprünglichen Besitzerin, der Sprache und Geschichte zu verfügen. Ballerina Matilda Kshesinskaja, gewidmet. sind durchaus Perlen anzutreffen, als Sie war ein Star im Mariinski-Theater und historisch interessierter Mensch könnte Adresse: Uliza Kujbyschewa 2-4, leistete gehörigen Widerstand, als ihr man sogar stundenlang stöbern und würde nächste Metro: Gorkowskaja Haus 1917 von den Bolschewiken betrotzdem die Angst nicht verlieren, etwas Eintrittspreis: 150 Rubel, Studenten schlagnahmt und zum Parteisekretariat der Wichtiges zu übersehen. und Kinder 70 Rubel, Fotoerlaubnis 100 Petrograder Kommunisten umfunktioniert Doch auch im Schnelldurchlauf ist das Rubel Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 wurde. Zu diesem Abschnitt der Geschichte Museum empfehlenswert, denn die Räume Uhr außer Donnerstag ist – neben Fotos und Dokumenten – auch sind sehr bunt und vielfältig gestaltet und Internet: www.polithistory.ru (sehr umLenins Arbeitszimmer zu besichtigen. Seit Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher durch die passende Hintergrundmusik, fangreich, aber leider nur auf Russisch)