Der Sommer kommt – mit Super

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Der Sommer kommt – mit Super
Mai/Juni 07
...ist die Service-Beilage der St. Petersburgischen Zeitung. Noch mehr Stadt-Know-how gibt es im Internet auf petersburg.aktuell.RU
Günther Grass
liest
in St. Petersburg
Am 30. Mai hält der deutsche
Schriftsteller und Nobelpreisträger Günther Grass an der Philologischen Fakultät der Universität
Petersburg eine Lesung.
Grass wurde 1927 in Danzig
geboren. Am Ende des Zweiten
Weltkriegs wurde er als Luftwaffenhelfer eingesetzt und meldete
sich als Freiwilliger zu einer
Panzerdivision der Waffen-SS.
Nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft
arbeitete er als Steinmetz und
absolvierte in Düsseldorf eine
Ausbildung als Maler und Bildhauer. Ab 1956 begann Grass
seine Skulpturen auszustellen
und als Schriftsteller zu arbeiten.
Mit seinem ersten Roman “Die
Blechtrommel” erlangte er 1959
internationale Bekanntheit. 1979
wurde die Geschichte von Volker
Schlöndorff verfilmt, der Film
gewann in Cannes die Goldene
Palme und wurde in Hollywood
als bester ausländischer Film mit
einem Oscar prämiert.
Seinem Debütroman folgten weitere Bücher, wie “Katz
und Maus” (1961), “Hundejahre” (1963), “Örtlich betäubt”
(1969), “Der Butt” (1977),
“Die Rättin” (1986). In vielen
seiner Werke spielt die deutsche
Geschichte des 20. Jahrhunderts
eine zentrale Rolle. 1999 erhielt
Grass für sein Werk den Literaturnobelpreis. 2002 erregte er mit
seinem Roman „Im Krebsgang“
großes Aufsehen, in dem er die
Tragödie des Flüchtlingsschiffs
„Willhelm Gustloff“ thematisierte, das 1945 in der Ostsee
vom einem russischen U-Boot
versenkt worden war.
Wann: 30. Mai, 19 Uhr
Wo: Aula der Philologischen
Fakultät an der Staatlichen
Universität, Universitetskaja
Nab. 11,
Tel. 328-08-42.
Der Sommer kommt –
mit Super-Stars
auf dem Schlossplatz
Obwohl Eremitage-Direktor Michail
Piotrowski seit Jahren darum kämpft,
dass auf dem Schlossplatz keine lärmigen Großveranstaltungen mehr abgehalten werden, hat er – wie auch die Stadt
– inzwischen ihr Okay für den StonesAuftritt gegeben. Die Konzertagentur
erreichte dies mit einer geschickten
Bühnen- und Boxenanordnung, die den
Schalldruck auf die Museumsmauern auf
85 Dezibel beschränken soll. Außerdem
dürfen die Bässe nicht gar so wummern
wie 2004 bei Paul McCartney – und das
bei so einer Show unverzichtbare Feuerwerk soll etwas abseits abgefackelt
werden.
Karten für das Stones-Konzert am
28. Juli sollen zwischen 1000 und
10.000 Rubel kosten. Geboten werden
Petersburgs gute Stube wird in diesem
Sommer wieder Schauplatz von Open-airKonzerten echter Weltstars sein: Im Juli
werden hier sowohl Elton John wie auch
die Rolling Stones auftreten! Eventuell
gibt auch Barbara Streisand ein Konzert
vor der Eremitage.
Die Stones sollten eigentlich schon
letzten Sommer im Rahmen ihrer Welttournee „A Bigger Bang“ im Kirow-Stadion
auftreten. Doch dann fiel Keith Richards
in der Südsee von einer Kokospalme – und
die Tournee musste zusammengestrichen
werden. Den Auftritt nun wie damals
geplant zu wiederholen, geht nicht: Das
Kirow–Stadion wurde inzwischen abgerissen, um Platz für eine neue moderne
Fußballarena zu machen.
Emma de Sigaldi - die tanzende Bildhauerin
Das städtische Skulpturenmuseum zeigt
eine Ausstellung mit Werken der deutsch-monegassischen Künstlerin Emma de Sigaldi. Als
Tänzerin wie Bildhauerin beschreitet sie einen
Weg zwischen Klassik und Moderne.
Emma de Sigaldi, geborene Lackner, kommt 1910
in Karlsruhe zur Welt und erhält als Mädchen eine
fundierte klassische Tanzausbildung. Anschließend
wird sie von Mary Wigman im Ausdruckstanz unterrichtet – beide Richtungen wird sie weiter verfolgen. In den 20er und 30er Jahren tritt sie unter anderem als Obertänzerin am Münchner Staatstheater
und als Solotänzerin am Badischen Landestheater
Karlsruhe und am Theater Königsberg auf. 1939
gewinnt sie am Internationalen Tanzkongress
in Brüssel mit ihrem Soloauftritt als “Tanzendes
Weib” in einer Breughel-Maske zu Bartoks Musik die
Bronzemedaille. Während der Kriegsjahre ist sie bis
1944 am Theater in Saarbrücken angestellt und gibt
gleichzeitig Sologastspiele in Deutschland. Nach
dem Krieg tritt sie nur noch in Sologastspielen auf,
und hat damit großen Erfolg. Von den Kritikern wird
sie als zweite Isadora Duncan und als Nachfolgerin
von Mary Wigman gefeiert.
Eine Wende in ihrem Leben bedeutet ihre Heirat
mit dem monegassischen Grafen de Sigaldi, mit dem
sie 1954 nach Monte Carlo umzieht. Fortan arbeitet
sie als Bildhauerin unter dem Namen Emma de Si-
galdi und beendet ihre Tanzkarriere. Sie hat rasch
Erfolg in der internationalen Kunstszene und kann
ihre Skulpturen in namhaften Museen und Galerien
in aller Welt zeigen. Auch in Monte Carlo wird sie
poplär und fertigt eine ganze Reihe von Werken für
die Stadt an, so zum Beispiel “Der Schwimmer” im
Hafen und die Brunnenfigur “Säule der Menschheit”
im Stadtzentrum.
In ihrem Schaffen lässt sich de Sigaldi von
verschiedenen Kunstströmungen beeinflussen.
Wie schon als Tänzerin beschreitet sie einen Weg
zwischen der Klassik im naturalistisch-gegenständlichen Stil und neuen Formen mit einer abstrakten,
organischen Bildsprache. De Sigaldi sieht die
Bildhauerei als Fortsetzung ihres früheren Schaffens, als eine andere Form des Tanzes: “Beides ist
Kommunikation mit dem Raum”.
Wo: Ausstellungssaal des Städtischen Skulpturenmuseums, Newski Prospekt 179/2
Wann: noch bis 17. Juni, täglich außer Do und
Fr 11 -18 Uhr, Tel. 274-2579, 274-3860
je 20.000 Sitz- und Stehplätze. Als
„Vorgruppe“ tritt eventuell mit Iggy
Pop ein anderer Rock-Veteran auf.
Der extravagante Sir Elton John
passt da sicher schon etwas besser ins
klassische Ambiente. Sein Open-air auf
dem Schlossplatz ist für den 6. Juli
angekündigt. Es handelt sich dabei übrigens um den dritten Auftritt von Elton
John an der Newa: Das erste Mal war er
schon in grauer Vorzeit, nämlich 1979,
hier, das zweite Mal sang er 2001 bei
einer exklusiven VIP-Party in Zarskoje
Selo. Karten kosten zwischen 500 und
15.000 Rubel.
Vorerst noch mit einem Fragezeichen
zu versehen ist ein geplanter Auftritt von
Barbara Streisand, der ebenfalls im Juli
stattfinden soll.
Test & TIPP
II
Stadtrundfahrt auf die aktive Tour: Warum nicht per Fahrrad?
Die Zeit war wohl reif dafür: Einerseits die Dauerstaus in der
Innenstadt, die zumindest an Arbeitstagen Stadtrundfahrten
per Bus fast unmöglich machen. Und andererseits das Bedürfnis
vieler Touristen, St. Petersburg nicht nur aus der Pauschalreisen-Perspektive zu erleben. Das Ergebnis: Erstmals werden nun
Stadtrundfahrten per Fahrrad angeboten.
Seit Anfang Mai können
sich Freunde der Muskelkraftfortbewegung
diesen
Bike-Touren durch die Stadt
anschließen – ohne große
Vorbereitung oder Vorbestellung und auch erst nach
einem prüfenden morgendlichen Blick aus dem Fenster,
ob das Wetter denn wirklich
einer Velo-Exkursion nicht im
Wege steht.
Sonnig muss der Tag nicht
unbedingt sein (denn dann
wird es schnell auch mal zu
warm), aber Sonntag muss es
sein: Denn vorerst wird die
Stadtrundfahrt per Veloziped
nur einmal pro Woche angeboten: „Sonntag morgens sind
die Straßen fast leer. Das sind
die besten Bedingungen für
ein Fahrrad-Exkursion durch
die Stadt“, sagt Peter Kosyrew, einer der Urheber dieses
neuen Angebots.
Wer sich dann bis 10.30
Uhr am Fahrradverleih „Skat
Prokat“ in der Gontscharnaja
7, gleich neben dem Moskauer
Bahnhof einfindet, bekommt
ein passendes Mountainbike
untergeschoben und einen
Fahrradhelm verpasst. Die
Teilnahmegebühr für die 3,5
Stunden lange Exkursion beträgt 800 Rubel pro Person.
Wer mit einem eigenen Bike
mitfährt, erhält 20 Prozent
Rabatt. Nach einer kurzen
Prüfung, ob allen Teilnehmern die grundlegenden technischen Features eines modernen Fahrrads vertraut sind,
geht es los: Angeführt wird die
Radlerkolonne vom Fremdenführer, den Abschluss bildet
Die sind schließlich ganz wild
auf exotische Erlebnisse.
Auf einem ideal gepflasterten Gehweg zwischen Newa
und Uferstraße geht es dann
flugs Richtung Innenstadt
– und die Radtouristen erfahren unterwegs allerlei über
Dinge, die bei einer üblichen
Stadtrundfahrt kaum vor-
Fotos: H. Heitmann
Von Lothar Deeg
len. Aber darum geht es auch
nicht. Peter Kosyrew hat mit
seiner Firma „Peter’s Walking
Tours“ elf Jahre Erfahrung
mit geführten „alternativen“
Stadtspaziergängen gesammelt und weiß deshalb, dass
„gute“ Touristen sich kaum für
Jahreszahlen und Zarennamen
interessieren - und überhaupt
Zentral gelegen und zudem große Auswahl: Das Il Patio am Newski.
Zentral gelegen und zudem große Auswahl: Das Il Patio am Newski.
ein Fahrradmechaniker samt
Werkzeugrucksack, der bei
Pannen den fahrbaren Untersatz schnell wieder einsatzfähig macht.
Auf ausgeklügelten Wegen
– vorrangig ruhige Seitenstraßen oder breite Trottoirs
– geht es dann erst einmal
in Richtung Smolny-Kloster
und Newa. Anders als bei einer Stadtrundfahrt im Bus
kann der Guide hier nicht
die ganze Zeit etwas erzäh-
weniger hören als dazu etwas
sehen wollen. Es muss ihnen
nur jemand richtig zeigen, was
interessant ist.
Deshalb gibt der FahrradGuide seine Erklärungen nur
bei den Stopps auf der Route
ab – und das parallel auf russisch und englisch. Denn mit
seiner neuen „Mischung aus
Informationen,
Emotionen
und aktiver Erholung“ glaubt
Kosyrew auch russische Touristen ansprechen zu können.
kommen: sei es der geplante
Gazprom-Wolkenkratzer, das
größte Untersuchungsgefängnis Russlands oder die Wohnungspreise in den Nobelwohnungen direkt gegenüber.
Der Kreuzer „Aurora“, das
Häuschen Peters des Großen, der Schloßplatz und die
Isaakskathedrale sind dann
weitere Plan-Stopps auf der
Tour – die aber zwischen Zarenschloß und Kathedrale
auch einmal unvermittelt im
Slalom durch ein paar vergammelte Innenstadt-Hinterhöfe führt, wo die Regenrohre
von den Fassaden kippen und
Autowracks vor sich hin erodieren. Eindrucksvolle Fotomotive gibt schließlich das
eine wie das andere ab.
Gegenüber einer Fuß-Exkursion ist auf dem Fahrrad
der Aktionsradius bedeutend
größer, gegenüber einer Bootsfahrt öffnen sich mehr Perspektiven – und gegenüber einer
Omnibus-Tour hat man die bedeutend bessere Rundumsicht.
Als Radfahrer bemerkt man
schließlich auch, dass eine Stadt
nicht nur aus Ansichten und
Sehenswürdigkeiten besteht
– sondern auch aus Gerüchen,
Geräuschen und den verschiedensten Straßenbelägen.
Peter Kosyrew und sein
Partner Alexander Iwanow
von Skat-Prokat wollen ihr
neues Produkt noch in dieser
Saison diversifizieren: In den
Weißen Nächten sollen auch
nächtliche Radrundfahrten
durch die Stadt angeboten
werden – samt Betrachtung
der geöffneten Brücken. Auf
Bestellung gibt es auch eine
Ganztags-Tour durch Pe-
tersburg – mit Abstechern in
die schönsten Parks auf den
Newa-Inseln und Hinweisen
auf üblicherweise weniger bemerkte Petersburger Juwelen
wie die alte Industriearchitektur auf der Wyborger Seite
oder die Jugendstilviertel auf
der Petrograder Seite.
Für Reisegruppen organisiert man auch FahrradEvents nach Wunsch – und
sei es außerhalb der Stadt
oder für einen ganzen Bus voll
Menschen: 50 Fahrräder und
auch geeignete TramsportFahrzeuge stehen zur Verfügung, um die Räder an andere
Startpunkte zu bringen. Als
Krönung seiner Exkursionen
betrachtet Peter Kosyrew jedoch die „Kuptschino-Tour“.
Sie soll - unter anderem langjährigen Petersburger Innenstadteinwohnern – die Augen
öffnen für die Besonderheiten
der „Petersburger Bronx“. So
nennt Kosyrew das riesige
Plattenbau-Hochhausviertel
im Südosten der Stadt. Auch
dies kennt der StadtführerProfi wie seine Westentasche.
Er wohnt nämlich dort.
Infos unter www.biketour.spb.ru
oder Tel. 7176838
Von Bienen und Eiern: Wie man in Petersburg
zu einer Handy-Nummer kommt
Viele Reisende kennen die böse Überraschung, die sie mit der Handyrechnung nach der Rückkehr erwartet. Die Roaming-Gebühren erreichen im Ausland
schwindelerregend hohe Summen von bis zu 2 Euro pro Minute. In Russland
kann es zudem vorkommen, dass dem heimischen Anbieter Verträge mit den
lokalen Netzwerken fehlen und das Telefonieren gar unmöglich ist. Damit
stellt sich die Frage, ob es sich lohnt, eine russische SIM-Karte zu kaufen
– und wie das geht.
Von Pascale Siegrist
Auch wenn oft Befürchtungen wegen Komplikationen und Kosten bestehen, die Investition in eine russische
Nummer lohnt sich auch schon für kurze Aufenthalte. Dies trifft insbesondere
dann zu, wenn man vor hat, viel innerhalb Russlands zu telefonieren - oder
innerhalb einer Reisegruppe kontakt
zu halten. Voraussetzung ist natürlich,
dass man in der Lage ist, die Nummer
spontan zu wechseln.
Eine SIM-Karte kostet in Petersburg nur etwa 8 Euro (300 Rubel). Darin sind meist bereits 4 Euro Startguthaben enthalten. Auch der Aufwand beim
Erwerb ist gering: Handyshops sind an
jeder Straßenecke zu finden. Der Kauf
lässt sich auch mit bescheidenen Russischkenntnissen meistern und dauert
etwa eine Viertelstunde.
Zu beachten ist, dass dafür ein Reisepass benötigt wird und dass einige Handys einen SIM-Lock des ausländischen
Anbieters haben. Dieser kann meist für
etwa 15 Euro aufgehoben werden. Falls
das nicht klappt, bleibt einem nichts
anderes übrig, als sich ein neues Handy
zu kaufen. Die Preise für die Geräte entsprechen ungefähr den deutschen, doch
leider gibt es in Russland keine Kombiangebote mit Gratishandys, wie sie in
Deutschland verbreitet sind.
Das liegt daran, dass man in Russland
praktisch nur Prepaid-Angebote findet
– was aber für kürzere Aufenthalte sowieso geeigneter ist. Der Vorteil eines
in Russland gekauften Mobiltelefons ist
zudem, dass sie neben der lateinischen
auch über eine kyrillische Tastatur
verfügen. Viele Russen schreiben SMS
aber mit lateinischen Buchstaben, man
braucht also nicht zwingend ein russisches Handy, um mit russischen Freunden kommunizieren zu können.
Umgekehrt ist es ratsam zu prüfen,
ob das neue Handy auch ein deutsches
Menü und T9-Unterstützung zum
SMS-Schreiben aufweist – dies ist nur
bei wenigen Herstellern (z.B Siemens)
der Fall.
Schwieriger hingegen ist die Wahl
des Betreibers: In Russland konkurrieren neben kleinen regionalen Anbietern
vier große Netzwerke. Die Konkurrenz
ist hart, entsprechend omnipresent ist
auch die Werbung. Die Netzbetreiber
haben jeweils verschiedene Tarifsysteme. Die Preislisten liegen in den Handyshops auf, sind aber meist nicht sehr
durchsichtig. Für Studenten und junge
Leute lohnt es sich abzuklären, ob Vergünstigungen möglich sind. Wenn man
das Handy auch für Anrufe nach Hause
benutzen möchte, muss man unbedingt
darauf achten, ob Auslandgespräche
mit dem Package möglich sind und was
diese kosten.
Der erste große Mobilfunkbetreiber
Russlands war „Megafon“, erkenntlich
an den Farben grün und violett. Megafon steht im Ruf, sehr zuverlässig zu sein
und über das beste Netz zu verfügen.
Der Nachteil ist, dass es auch preislich
eher im oberen Bereich liegt – ein Anruf
innerhalb Russlands kostet ca. 3 Rubel
je nach Tarifplan.
Am anderen Ende der Skala positioniert sich die jüngste Gesellschaft,
„Tele2“. Sie ist mit 0,20 bis 0,95 Rubel
pro Anruf ausgesprochen günstig, was
auch in der Werbung eindeutig ihr
schlagendes Argument ist. Das Problem ist, dass der Empfang als sehr
schlecht gilt und SMS, insbesondere
ins Ausland, nicht immer
durchkommen.
Im Mittelfeld sind
Beeline und MTS anzusiedeln. Beeline, in
schwarz-gelber BienenOptik, kostet den Kunden
0,95 bis 2,95 pro Minute
ins russische Netz. Empfangsqualität und Zuverlässigkeit sind
in Ordnung, so hat man wie bei den
meisten Anbietern (außer Tele2) auch
in den Metrostationen Empfang. Beeline ist zudem jener Anbieter, den einem
die Geschäfte meist automatisch verkaufen, wenn man nicht konkret einen
anderen Betreiber verlangt.
MTS ist der erste Anbieter, der seit
kurzem auch Verträge abschließt. Sein
Symbol ist ein Ei auf rotem Grund. Die
Kosten betragen 0,90 bis 2,60 Rubel.
MTS empfiehlt sich vor allem für Leute, die vorhaben, durch Russland zu reisen, da der Empfang auch außerhalb der
Großstädte als gut gilt. Kritisiert wird
hingegen, dass das Geld-Nachladen
außerhalb des Stadtzentrums nicht an
allen Stationen möglich ist.
Das mag jetzt alles sehr kompliziert
klingen. Die einfachere Variante ist,
man geht einfach auf den Vorschlag des
Verkäufers ein. Meist muss man sich
sogar aktiv dagegen wehren, wenn man
eine andere als die vorgeschlagene Va-
riante möchte. Die Preise und Qualität
der einzelnen Anbieter sind vergleichbar und deshalb ist diese Lösung für
nicht besonders anspruchsvolle Handybenutzer durchaus zufriedenstellend.
Aufwändige Preisvergleiche lohnen
sich erst für Langzeitbesucher und Vieltelefonierer.
Normalerweise können die HandyKonten problemlos und zu jeder Tageszeit aufgeladen werden. Bargeldlose
Ladestationen befinden sich an Metrohaltestellen und in Supermärkten, am
einfachsten (und kommissionsfrei) ist
es aber in den Handyshops. Falls einem
das Telefon abhanden kommt, sollte
man es sofort in einem Telefongeschäft
sperren lassen, wofür aber wiederum
der Pass benötigt wird. Auf diese Weise
kann man wenigstens den Verlust des
geladenen Geldes verhindern und die
Nummer behalten. Einen Diebstahl bei
der Polizei anzuzeigen, ist hingegen mit
viel Aufwand verbunden und von wenig Erfolg gekrönt.
TRENDS & EVENTS
III
Fort MC – die friedlichen Rocker von St. Petersburg
Russlands eingefleischte Motorrad-Fahrer haben die Kultur der rauhen und
freiheitsliebenden Rocker im Westen weitgehend übernommen. Doch pflegen
die Männer und Frauen mit ihren heißen Stühlen hier ein ausnehmend friedliches Club-Leben – so zum Beispiel beim Petersburger “Fort MC”.
Member ihr „Color“ ab und der Fort MC
wurde gegründet.
Das „Color“ ist das Abzeichen eines
Motorradclubs, das die Mitglieder auf
ihren Lederwesten tragen. Es besteht
meistens aus zwei Schriftzügen mit dem
Namen des Clubs und der Stadt, in der
er ansässig ist, sowie aus dem clubeigenen Markenzeichen. „Es gibt auch in
In St. Petersburg, der „kulturellen
Hauptstadt“ Russlands, hat sich mittlerweile auch ganz andere Kultur entwickelt, als es sich der Gründervater der
Stadt wohl je erträumt hat. Denn durch
das von Peter dem Großen vor gut 300
Jahren geöffnete „Fenster zum Westen“
hat unter anderem auch die westliche
Biker-Kultur Einzug gehalten – jener
sehr maskuline Kult im Viereck von
schweren Motorrädern und Lederjacken,
Clubabzeichen und Bier.
Die russischen Rocker führen jedoch
ein eher verstecktes Leben, denn auf Peterburgs Straßen sieht man erstaunlich
wenige Motorräder. Warum das? „Lasse
dein Motorrad nie alleine rum stehen.
Es wird nicht unbedingt geklaut, aber
in Russland ist das Motorradfahren noch
neu. Viele Leute denken, es sei eine Art
Spielzeug und man könne daran rumfummeln und mal Probe sitzen“, meint
dazu Anton Barsukow, Redakteur der
auflagenstärksten russischen Motorradzeitschrift „moto“.
Noch am meisten Motorradfahrer sind
im Sommer auf dem Newski Prospekt
unterwegs. Sehen und gesehen werden
ist hier die Devise, wenn man sich in
ein Straßencafe setzt und das eigene
Motorrad näher steht als der nächste
Tisch. Vorausgesetzt die Sonne scheint,
sieht man oft Biker ohne Helme und
Nummernschilder auf aufgedonnerten
Maschinen die Flaniermeile rauf und
runter rasen. Doch echte Motorradfans
verzichten lieber auf solche Possen.
Einige von diesen Zweiradfans haben
sich in Motorradclubs zusammengeschlossen, die feste Clans bilden und
nach außen abgeschlossen sind wie eine
Festung – so zum Beispiel der „Fort MC“,
einer der ältesten Motorradclubs der
Stadt. Die Geschichte des Clubs reicht
Russland offiziell eine Helmpflicht und
natürlich muss man ein Nummernschild
am Fahrzeug haben. Allerdings sind die
Strafen nicht besonders hoch und auch
Vorwahl
Vom Handy:
Vom Festnetz:
„Auch bei uns gibt es verschiedene
Stadien der Mitgliedschaft, wie in
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman.
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman.
bis zu den Anfängen der Petersburger
Motorradszene zurück. 1995 spaltete
sich der damalige „Chopperclub“. Aufgrund interner Konflikte nahmen einige
Der weite Weg vom „Prospect“
zum Full Member
Fotos: H. Heitmann
Von Tilmann Ziegenhain
der hiesige TÜV ist tolerant. Wir aber
hängen am Motorradfahren und wollen
es nicht riskieren, dass die Polizei unsere
Bikes beschlagnahmt.“, meint Iwan, der
Secretary des Fort MC. „Secretary“ ist die
übliche Bezeichnung für jenes Clubmitglied, das mit der Öffentlichkeitsarbeit
und dem Schriftverkehr betraut ist.
8 oder +7
Keine Vorwahl
Keine Vorwahl
8 - regionale Vorwahl
+49/+43/+41 etc.
Keine Vorwahl
8… regionale Vorwahl
8… 10 Vorwahl ohne +/00
… = Freizeichen (Dauerton) abwarten, gilt nur für nicht-digitale Linien
jedem anderen Club auch“, sagt Iwan.
„Allerdings können wir keinem Prospect
sagen, dass er nach einem Jahr Full
Member wird. Normalerweise dauert es
drei bis sechs Monate, wir hatten aber
auch Fälle, bei denen es drei Jahre bis
zur Vollmitgliedschaft dauerte.“ Mit
diesen Regeln unterscheidet sich der
Petersburger Motorradclub wenig von
solchen im Westen Europas: „Prospect“
kann man mit „Anwärter“ übersetzen.
Bevor man volles Mitglied, also „Member“, eines Clubs wird, muss man erst
dieses Stadium durchlaufen. Meist müssen die „Prospects“ ungeliebte Aufgaben
erfüllen: Sie bewirten die Gäste bei Partys oder müssen auch mal die Motorräder
der Vollmitglieder putzen.
Der Name des Petersburger Clubs
macht es schon deutlich: „Fort MC“ will
eine fest geschlossene Gemeinschaft
sein, so wie es wohl auch die Mannschaft
der Festung im Zentrum der Stadt in den
Gründerjahren Petersburgs es einmal
war. Wenn man aber einmal drin ist,
herrscht Gleichberechtigung. Anders als
bei vielen westlichen Motorradclubs verzichten die Petersburger nämlich auf ein
Bestrafungssystem, falls jemand gegen
Wer wird angerufen?
10stellige russische Handynummer
7stellige Petersburger Handynummer
Festnetz St. Petersburg (siebenstellige Nr.)
Festnetz anderer russischer Städte
Ausland (Festnetz und Handy)
St. Petersburg (außerhalb St. Petersburgs
muss 8… 812 gewählt werden)
andere Städte in Russland
Ausland
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman.
die ungeschriebenen Regeln verstößt.
Der Fort MC rief im Gegenteil sogar die
In anderen Clubs muss man schon mal
“Assoziation der Bike-Clubs des Nordwefür eine Woche den an einer Kette bestens“ ins Leben, eine Gemeinschaft von
festigten Kolben eines Motors mit sich
Clubs, die zusammen arbeiten und feiern,
herum tragen, wenn man unangenehm
vor allem aber Motorrad fahren. Kern des
aufgefallen ist.
Clublebens bilden nämlich die gemeinsamen Ausfahrten. Mitglieder des Fort MC
Clubhaus
verschlug es mit einigen anderen russimit eigener Werkstatt
schen Clubs in diesem wie im letzten Jahr
sogar bis auf das in der Szene legendäre
Auch das clubeigene Haus, ein altes
„Elefantentreffen“ im Bayerischen Wald.
Fabrikgebäude aus roten Ziegelsteinen
Das winterliche Treffen bei Schnee und Eis
gleicht von außen einer Festung. Es
gilt für deutsche Biker als Härtetest, für
steht in einer abgelegenen Sackgasse
die solches Klima gewohnten Russen war
eines Gewerbegebiets, nebenan befindet
es eine Fingerübung – obwohl man den
sich das städtische Tierkrematorium.
Preis für die weiteste Anfahrt abräumte.
Im Erdgeschoss haben die Biker die
Trifft man die Jungs vom Fort MC
clubeigene Werkstatt der „Fort MC
jedoch außerhalb von solchen ExpeCompany“ eingerichtet. Hier reparieren
ditionen oder Partys, würde man gar
die Mitglieder nicht nur ihre eigenen
nicht auf die Idee kommen, dass man
Bikes, sondern fertigen auch Umbauten
es mit hartgestottenen Rockern zu tun
für Kunden an. Die meisten russischen
hat: „Zum Rauchen gehen wir auf den
Motorradfahrer sind mittlerweile auch
Balkon“, sagt Iwan mit einem Lächeln,
mit japanischen Bikes unterwegs, die
„wenn drinnen nicht gefeiert wird,
russischen Modelle von Ural und Dnepr
herrscht Rauchverbot...“
sieht man in den Städten nur noch selAdresse des Fort MC St. Petersburg:
ten und wenn, dann werden sie oft nur
Gluchooserskoje Chaussee 14
als Zweitmaschine gehalten, erklären die
Metro: Jelisarowskaja
hiesigen Bike-Experten.
Internet: www.fortmc.ru
Im Obergeschoss haben sie sich einen
ansehnlichen Partyraum geschaffen, der
mit einer Bühne und der obligatorischen
Bar alles hat, um gelungene Feste zu
feiern. „Die Partys dienen uns nur zum
1727 gegründet, 1916 eingestellt
eigenen Spaß und für die Öffentlichkeits1991 wiedergegründet
arbeit“, sagt Iwan. Gäste werden also
ab und an ins Fort eingelassen. Aber:
Newski Pr. 22/24 (Petrikirche),
191186 St. Petersburg
„Unser Haus gehört uns, wir sind nicht
Tel./Fax: 007812315 01 59
darauf angewiesen, mit Konzerten oder
e-mail: [email protected]
anderen Veranstaltungen Geld zu verdieInternet: www.spz.aktuell.ru
nen“. Und weil die meisten Mitglieder
Anschrift für Post aus dem Ausland:
St. Petersburgische Zeitung,
in der Werkstatt ihr Geld verdienen und
P.O. Box 8, FIN53501 Lappeenranta
sowieso jeden Tag im Haus sind, gibt es
keine regulären Treffen.
Chefredakteur: Lothar Deeg
Keine Rockerkriege wie
in Deutschland oder USA
Anders als beispielsweise in Deutschland oder den USA gibt es unter den
Petersburger Clubs keine „Rockerkriege.“
Motorrad-Redakteur Barsukow erzählt,
dass es in der Entstehungsphase der
Szene Ende der Achtziger und Anfang
der neunziger Jahre einige Reibereien
gab: „Da wollten sich neue ausländische
Clubs gegen alteingesessene russische
durchsetzen. Das wurde teilweise auch
mit Schlägereien ausgetragen. Zu wirklich
ernsthaften Auseinandersetzungen kam
es aber nie, auch nicht mit der Polizei.“
Das Verhältnis zu den anderen Biker-Clubs in Petersburg, von denen es
mindestens fünf gibt, ist gut. Nicht nur
auf ihren Internetseiten sind die meisten Clubs miteinander verbunden. Man
kennt und respektiert sich, „Gebietsansprüche“ auf ganz St. Petersburg stellt
keiner. Denn sonst ist dieses Phänomen
in der Bikerszene ein weit verbreiteter
Brauch: Wenn in einer Stadt bereits ein
Motorradclub existiert, wird oft kein
zweiter geduldet. Dann beansprucht der
erste Club für sich allein das Recht, zum
Clubnamen der Stadt auf den Westen
zu tragen.
Stellv. Chefredakteur: Eugen von Arb
Chefreporter: Anna Litvinenko
Autoren und Mitarbeiter:
Sara Reith, Pascale Siegrist,
Tilmann Ziegenhain
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Тираж 10.000
TUN & LASSEN
IV
Viktor Zois Heizungskeller „Kamtschatka“ bedroht
Plätzen wie dem Heizungskeller, in dem einst Rock-Idol Viktor Zoi am Heizkessel stand, verdankt Petersburg seine Ruf als
„Heimat des russischen Rocks“. Nun ist der Kellerclub namens
„Kamtschatka“ in Gefahr.
Von Lothar Deeg
Die Sowjetunion Anfang/
Mitte der 80er Jahre: Noch hat
Gorbatschows Tauwetter die
festgefressenen Strukturen nicht
aufgeweicht. Noch können sich
„nichtformale“ kritische Geister
– seien sie Künstler oder Musiker
– nicht frei entfalten. Um nicht
als Landstreicher oder Arbeitsverweigerer belangt zu werden,
braucht man eine offizielle Anstellung.
Viele der Leningrader Intellektuellen nahmen damals einen
Job als Heizer in den vielen
Heizungskellern oder kleinen
dezentralen Heizwerken in der
Innenstadt an. In einer solchen
„Kotelnaja“ hatte man – erst
recht nachts – seine Ruhe, konnte dichten, musizieren und ungestört Freunde einlassen. Hier
war es auch im tiefsten Winter
warm und trocken und solange
der Heizkessel richtig bullerte,
beschwerte sich schließlich
niemand. Faktisch waren die
Heizkeller der Nährboden des
Leningrader Untergrunds.
Eine der berühmtesten Kultur-Kotelnajas befand sich unter
einem Wohnheim in der Uliza
Blochina 15 auf der Petrograder
Seite. Hier stand auch Viktor Zoi
am Kessel – der Leadsänger der
legendären Rockgruppe „Kino“,
die damals noch im Untergrund
agierte. In dem „Kamtschatka“ getauften Heizungskeller
leistete ihm damals manche
Gesellschaft, die auch heute
noch in der russischen Musik-
Szene Rang und Namen haben:
Swjatoslaw Saderij („Alisa“,
„Nate!“), Boris Grebentschikow
(„Aquarium“) oder Juri Schewtschuk („DDT“).
auch der Heizkeller mit dem
Namen der fernen russischen
Vulkanhalbinsel im Pazifik wurde
nicht vergessen: 1999 wurde er
stillgelegt, auch die Bewohner
des Wohnheims wurden nach und
nach ausgesiedelt.
2003 nutzen Zoi-Fans und
einstige Weggefährten die
Möglichkeit und mieteten den
Mainstream entsprechender
Musiker.
Passt ein Rock-Keller in
die sanierungspläne?
Doch nun schlugen die Kamtschatka-Betreiber Alarm: Die
Stadt hat das weitgehend geräumte Wohnheim an einen
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman.
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher Gast Roman.
Rock-Idol
Viktor Zoi starb
den James-Dean-Tod
Zoi wurde zum vergötterten
Idol des sowjetischen Rock
– nicht nur dank seines schwermütigen, damals enorm beliebten Hardrocks, sondern auch
wegen seines tragischen Tods:
Er starb im Sommer 1990 bei einem Autounfall in Lettland. Zois
Ruhm lebt weiter bis heute – und
Heizkeller für zehn Jahre an:
Das „Kamtschatka“ wurde als
Musikclub mit integriertem
Zoi-Museum wiedergeboren.
Wichtigstes Exponat ist eine
hinter Glas ausgestellte Original-Gitarre des großen Meisters.
Jeden Abend finden unter der
rußschwarzer niedrigen Decke
in höchst rustikaler Atmosphäre
Konzerte statt – keine großen
Gigs, sondern meist Auftritte
junger Bands und weniger dem
Investor übergeben, der es nach
seinem Gusto renovieren und
umgestalten darf. Die Lage ist
gut, ein Business-Center oder
eine noble Wohnanlage wie auf
dem Nachbargrundstück würden
sich hier rentieren. Die Erhaltung
des „historischen“ Heizkellers
wie auch die Existenz eines
Keller-Rockclubs sind in solcher
Umgebung kaum vorstellbar.
Über die Zukunft des Kamtschatka-Kellers machte sich
dabei bislang niemand große
Gedanken: „Wir dachten, die
Gedenktafel an der Fassade ist
genug“, gestand Juri Salnikow,
Generaldirektor der Immobilienfirma „Gradostroitel“.
Das Problem dabei ist, dass
der Keller trotz seiner – zumindest
für die Rockmusik – grundlegenden Bedeutung offiziell keinen
besonderen Status genießt: Das
„Kamtschatka“ ist bei der Stadt
weder als Denkmal, schützenswerte kulturelle Einrichtung noch als
Museum registriert. Und für den
Investor ist es eben nichts mehr
als ein ehemaliger Heizungskeller, dessen Mietvertrag man nun
vorzeitig wegen der Generalsanierung kündigen möchte.
Und wer wäre bereit, für
den Erhalt zu kämpfen?
Die Nachricht vom anstehenden Ende des „Kamtschatka“ kam
in Russlands Medien groß heraus.
Zum Schutz des Clubs meldeten
sich viele zu Wort, etwa der Musiker Wladimir Rekschan: „Dies ist
nicht nur Kulturgeschichte, sondern auch ein Teil der Geschichte
Petersburgs und Russlands. Wenn
wir wegen irgendwelcher wirtschaftlichen und kurzfristigen
Gewinne dies verschleudern, dann
leben wir bald in einer Retortenstadt, in der es viele wunderbare
Häuser gibt, aber in diesen Gebäuden ist keine Geschichte, keine
Seele, kein Petersburg.“
Ob derartige Appelle den
Museums-Club allerdings retten
können, ist fraglich. Denn ein
Mekka der heutigen Musikfans
ist das „Kamtschatka“ offenbar
nicht: Als unlängst dort ein
„Festival des akustischen Rocks“
stattfand, waren unter den Zuhörern wohl kaum mehr anderthalb
Dutzend zahlende Gäste – und
dies trotz der umfangreichen
Berichterstattung über das bald
drohende Ende.
Museen neu entdeckt:
Ein Rückblick auf die Sowjetunion – nicht ohne Nostalgie und Chaos
Das geräumige Museum neben der Peter-Pauls-Festung nennt sich zwar
„Museum der politischen Geschichte Russlands“, doch hat man das Gefühl,
dass die Wahl des Namens eher willkürlich erfolgte. Ähnlich wie die bewegte
Geschichte des Gebäudes sind die Exponate ausgesprochen vielseitig. Eine
Struktur bei ihrer Auswahl lässt sich aber nicht immer erkennen.
Von Pascale Siegrist
Schon in der Eingangshalle wird
offensichtlich, dass dieser Ort zu Sowjetzeiten keine unwichtige Rolle spielte. Das
Kassenhäuschen - zugleich ein Souvenirshop - wirkt ein wenig schäbig in der
prunkvollen Halle mit ihren rot-orangenen
Lenin-Glasfenstern.
Hat sich die Dame an der Kasse mal
von ihrem Telefon losgerissen und gnädigerweise eine Eintrittskarte verkauft,
gelangt man in die ersten sieben Säle, die
ebenfalls noch eine deutlich sozialistische
Prägung haben.
Hier werden die politischen Entwicklungen in Russland zwischen 1920 und
1990 und deren Auswirkungen auf das private Leben der Menschen ausführlich dargestellt. Wenn auch viel Mühe in eine sehr
schöne und multimediale Präsentation
investiert wird, gelingt es angesichts der
vollgestopften Vitrinen nicht immer, einen
Überblick zu gewinnen. Auch bekommt
den Eindruck, die Sowjetunion wäre vor
mehreren hundert Jahren zusammengebrochen: Denn jedes erhaltene Objekt scheint
von historischem Wert: So sind Haushaltsgegenstände, Spielsachen, Rubelnoten
und Abzeichen unterschiedlichen Datums
zu bewundern – bis hin zu einer Kamera,
mit der Gorbatschow gefilmt wurde. Hier
die Nachbauten von Lebensräumen und
1919 war dieser Ort schon
schöne thematische Vitrinen lässt sich
Besuchern zugänglich, denn
schnell ein Einblick in den sowjetischen
kaum hatten die Bolschewiken
Alltag gewinnen. Auch gibt das Personal
gesiegt, widmeten sie das
gerne einen Kommentar zu den AusGebäude zum „Museum der
stellungsobjekten ab. Nur die
Oktoberrevolution“ um.
aus kaum erfindlichen GrünDer Rest des Museum ist
den regelmäßig angschlagende
schwer zu überblicken. Ein
Alarmanlage scheinen die sonst
Saal beleuchtet die Rolle St.
so aufmerksamen Angestellten
Petersburgs für die russische
nicht mehr zu bemerken.
Politik, es gibt eine schöne
Im Gegensatz zur reichen
Fotoausstellung und einen
Darstellung dieser Periode scheiTeil, der dem Zusammenhang
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher
nen die neueren Entwicklungen
von Kultur und Politik gewie auch die vorsowjetische Zeit
widmet ist. Auf der Suche nach weiteren
Räume sind auch Englisch ausgeschildert,
etwas zu kurz zu kommen. Ein
Ausstellungsräumen kann es dann auch
in manchen wird einem, sobald man sich
Saal versucht die Teilung von
mal vorkommen, dass man sich plötzlich
als Tourist geoutet hat, ein Hefter mit
links und rechts in der russischen
inmitten eines Schubert-Konzerts auf
Begleittexten in die Hand gedrückt und
Politik zu illustrieren und in eiRussisch wieder findet...
andernorts ist man wiederum gänzlich auf
nem weiteren wird ein Vergleich
Wenig Logik hat auch die Übersetzung
seine Russischkenntnisse angewiesen. Das
zwischen der historischen und
der Begleittexte zu den Exponaten. Einige
Museum ist sicherlich nicht nur für Freunde
der heutigen Duma hergestellt.
der Sowjetästhetik sehenswert, auch wenn
Über die Revolution selbst ist
diese in der hauseigenen Kunstsammlung
nur in einer sorgfältig gestal„Von großartig bis lächerlich...“ voll auf
teten temporären Ausstellung
ihre Kosten kommen. Doch empfiehlt es
mehr zu erfahren.
sich, entweder sehr viel Zeit mitzubringen,
Der zweite Stock ist der Geeine Führung zu buchen oder von vornherschichte des Hauses und seiner
ein über gute Kenntnisse der russischen
Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher
ursprünglichen Besitzerin, der
Sprache und Geschichte zu verfügen.
Ballerina Matilda Kshesinskaja, gewidmet.
sind durchaus Perlen anzutreffen, als
Sie war ein Star im Mariinski-Theater und
historisch interessierter Mensch könnte
Adresse: Uliza Kujbyschewa 2-4,
leistete gehörigen Widerstand, als ihr
man sogar stundenlang stöbern und würde
nächste Metro: Gorkowskaja
Haus 1917 von den Bolschewiken betrotzdem die Angst nicht verlieren, etwas
Eintrittspreis: 150 Rubel, Studenten
schlagnahmt und zum Parteisekretariat der
Wichtiges zu übersehen.
und Kinder 70 Rubel, Fotoerlaubnis 100
Petrograder Kommunisten umfunktioniert
Doch auch im Schnelldurchlauf ist das
Rubel Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18
wurde. Zu diesem Abschnitt der Geschichte
Museum empfehlenswert, denn die Räume
Uhr außer Donnerstag
ist – neben Fotos und Dokumenten – auch
sind sehr bunt und vielfältig gestaltet und
Internet: www.polithistory.ru (sehr umLenins Arbeitszimmer zu besichtigen. Seit Antti aus Hamina (li.) und sein deutscher
durch die passende Hintergrundmusik,
fangreich, aber leider nur auf Russisch)

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