Politische Strategien - Friedrich-Naumann

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Politische Strategien - Friedrich-Naumann
www.freiheit.org
Politische Strategien
Peter Schröder
2. Auflage, 2011
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Herausgeber
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Bereich Internationale Politik
Truman-Haus
Karl-Marx-Straße 2
14482 Potsdam
Tel.: 03 31.70 19-231/232
Fax: 03 31.70 19-132/133
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2. Auflage
2011
Politische Strategien
Peter Schröder
0OLITISCHE3TRATEGIEN
)NHALT
)NHALTVorwort
1
Vorwort
2
Dr. Wolfgang Gerhardt
15
3
1
Einleitung
Vorwort (1. Auflage, 2000)
Strategische
Planung – Warum überhaupt?
Dr.
Otto Graf Lambsdorff
Vorwort
19
17
22
2
3.1
Kampf um Macht und Einfluss
Einleitung
22
19
24
29
22
30
31
24
22
32
27
24
29
32
30
31
36
32
3
4
4
3.1.1
Politische Strategien
3.1.2
Wahlkampfstrategien
Strategische
Planung – Warum überhaupt?
3.1.3
Karrierestrategien
3.2
Taktikplanung
3.1
Kampf
um Macht und Einfluss
3.2.1
Abgrenzung
der Taktikplanung von der Strategieplanung
3.1.1
Politische
Strategien
3.3
Einfluss verschiedener Kulturkreise auf die Gestaltung
3.1.2
Wahlkampfstrategien
von Strategien
3.1.3
Karrierestrategien
3.2
Taktikplanung
Methoden
des strategischen Planens
3.2.1
Abgrenzung der Taktikplanung von der Strategieplanung
4.1
Der methodische
Ansatz:
3.3
Einfluss
verschiedener
Kulturkreise auf die Gestaltung
militärisch,
marktorientiert, politisch
von
Strategien
4.2
Militärische Modelle
Methoden
strategischen
4.2.1
Diedes
Natur
des Krieges Planens
4.2.2
des KriegesAnsatz:
4.1
Der Ort
methodische
militärisch,
marktorientiert,
politisch
4.2.3
Das Timing des
Krieges
4.2.4
Das Gewicht des
Schwerpunktes
4.2
Militärische
Modelle
4.3
Unternehmensplanungsmodelle
4.2.1
Die
Natur des Krieges
4.4
Politische
4.2.2
Der
Ort desPlanungsmodelle
Krieges
4.4.1
Der strategische
Planungsprozess bei SWOT
4.2.3
Das
Timing des Krieges
4.4.2
Vision,
Auftrag,
Schlüsselbereiche und Leistungsindikatoren
4.2.4
Das
Gewicht
desZiele,
Schwerpunktes
4.4.3
Faktoren der Umfeldanalyse
4.3
Unternehmensplanungsmodelle
4.4.4
Interne Beurteilung
(Einschätzung)
4.4
Politische
Planungsmodelle
4.4.5
SWOT
Analyse Planungsprozess bei SWOT
4.4.1
Der
strategische
4.4.6
AuswahlAuftrag,
der Strategie
und Implementierung
4.4.2
Vision,
Ziele, Schlüsselbereiche
und Leistungsindikatoren
4.4.7
Die Methode
des konzeptionellen Planens
4.4.3
Faktoren
der Umfeldanalyse
4.4.4
Interne Beurteilung (Einschätzung)
4.4.5
SWOT Analyse
4.4.6
Auswahl der Strategie und Implementierung
4.4.7
Die Methode des konzeptionellen Planens
0OLITISCHE3TRATEGIEN
36
32
37
36
37
40
36
41
41
37
42
37
43
40
43
41
44
41
46
42
47
43
49
43
49
44
50
46
47
49
49
50
5.
6.
Konzeptionelles Planen
51
5.1
5.2
5.3
5.3.1
5.3.2
5.3.3
5.3.4
5.4
5.4.1
5.4.2
5.4.3
5.5
5.6
5.7
5.8
5.9
5.10
5.11
51
53
53
53
54
55
56
57
58
58
60
60
60
61
61
63
63
64
Der Auftrag – Was soll geplant werden?
65
6.1
6.2
66
6.3
7.
Beispiele mit Kommentaren
Der Auftrag zwischen Realismus, Optimismus und
Pessimismus
Die Probleme bei der Beschreibung der strategischen
Oberziele
67
68
Die Faktensammlung
79
7.1
7.1.1
7.1.2
7.1.3
7.2
7.3
81
82
83
84
86
7.3.1
7.3.2
7.3.3
7.3.4
7.3.5
Die Planungsschritte
Die Auftragsformulierung
Die Situationsanalyse und -bewertung
Die Faktensammlung
Stärken- und Schwächenbildung
Analyse der Stärken und Schwächen
Rückkoppelung zum Auftrag
Formulierung von Teilstrategien
Die Aufgabenstellung
Strategieformulierung
Evaluierung der Strategien
Die Zielformulierung
Das Zielimage
Die Zielgruppen
Die Zielgruppen-Botschaft
Die Hauptinstrumente
Implementierung der Strategien
Strategiesicherung
Bilder machen
Fall 1: Öffnung eines Wählermarktes in Südafrika
Fall 2: Formel für die Bekämpfung von Korruption
Fall 3: Regulatoren für den Kampf gegen Terrorismus
Faktensammlung – eigene Faktoren
Das Produkt – Profil, Personen, Programme,
Kompetenz, Leistung
Profil
Personen
Programme
Kompetenz
Leistung
86
89
90
92
93
96
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.3.6
7.4
7.4.1
7.4.2
7.4.3
7.5
7.5.1
7.5.2
7.5.3
7.5.4.
7.6
7.7
7.8
8.
9.
Das Problem der Kongruenz
Multiplikatoren, Allianzen
Motivation/Interesse
Effektivität
Kosten
Ressourcen
Personal
Finanzielle Ressourcen
Struktur
Netzwerke
Führung
Kommunikation
Ziele
97
97
99
99
100
101
101
107
109
112
114
117
117
Die Faktensammlung – Faktoren der Wettbewerber
117
8.1
8.2
119
121
Faktoren der politischen Wettbewerber
Beschaffung von Informationen vom Gegner/Aufklärung
Die Faktensammlung – Umfeldfaktoren
123
9.1
9.1.1
9.1.2
9.1.3
9.2
9.2.1
9.2.2
9.2.3
9.2.4
9.2.5
9.3
9.4
9.5
9.5.1
9.5.2
9.5.3
9.5.4
123
123
124
125
125
126
127
128
129
129
130
131
132
132
133
134
135
Gesellschaftsstruktur
Bevölkerung/Wähler
Verhalten
Bedürfnisse
Gesellschaftswandel
Wertewandel
Strukturwandel
Verhaltenswandel
Bedürfniswandel
Technologiewandel
Politische Trends
Kommunikation
Rahmenbedingungen
Gesetze
Bedrohungen
Interventionen
Fixe Termine
0OLITISCHE3TRATEGIEN
10.
Stärken- und Schwächenbildung
136
10.1
10.2
10.3
10.4
136
137
138
10.5
10.6
10.7
10.7.1
11.
12.
138
139
141
146
146
Die Rückkopplung zum Auftrag – Kritische Phase
in der Planung
149
11.1
149
Die Rolle des Strategieplaners in diesem Prozess
Auswahl der Strategie und Formulierung der
strategischen Aufgaben
12.1
12.1.1
12.1.2
12.1.3
12.2
12.3
12.4
12.4.1
12.4.2
12.5
12.5.1
12.5.2
12.5.3
12.5.4
12.6
Stärken
Schwächen
Fakten, die weder Stärken noch Schwächen sind.
Schwächen, die entweder nicht relevant
für den Auftrag sind oder nicht zu verändern sind.
Stärken- und Schwächenmatrix
Analyse der Matrizen
Die Relativität des strategischen Vorteils bei den Stärken
Die Analyse der Stärken auf Brauchbarkeit in der Strategie
151
Formulierung von Aufgaben (Teilstrategien)
Beispiele für die Aufgabenformulierung für Schwächen in
offener Konkurrenz.
Beispiele für die Aufgabenformulierung
für Schwächen ohne offene Konkurrenz
Die zeitliche Abfolge bei der Aufgabenformulierung
Grundsätze der Strategieformulierung
Strategietypen
Offensivstrategien
Die Strategie zur Erweiterung des Marktes
Die Strategie zur Durchdringung des Marktes
Defensivstrategien
Die Strategie zum Halten des Marktes
Die Strategie zum Aufgeben des Marktes
Überblick über das Verhalten bei verschiedenen Strategien
Mischung von Defensiv- und Offensivstrategien
Das Arbeiten mit Pull- und Pushfaktoren
(Positive and negative campaigning)
151
153
158
159
160
161
161
162
164
164
164
165
166
167
168
0OLITISCHE3TRATEGIEN
13.
14
Spezielle Strategiemuster
172
13.1
13.2
13.2.1
13.2.2
13.2.3
13.2.4
13.2.5
13.2.6
13.2.7
13.2.8
13.2.9
172
173
173
175
178
182
182
185
185
186
Strategien für Führende und Verfolger
Strategien, die vom zeitlichen Ablauf bestimmt werden
Strategische Entscheidungen mit sequentiellen Zügen
Strategische Entscheidungen bei simultanen Zügen
Strategien aus dem Gefangenendilemma
Strategische Züge
Der bedingungslose Zug
Strategie – Verbrannte Erde
Die Strategie der kleinen Schritte
Das Spiel mit dem Abgrund – Brinkmanship
Strategien bei Nullsummenspielen und
Nicht- Nullsummenspielen
13.2.10 Die Strategie der Unberechenbarkeit
13.2.11 Die Strategie der Desinformation
13.2.12 Die Strategie des Zugebens – Der Befreiungsschlag
13.3
Prioritäten bei Teilstrategien
13.3.1 Die Strategie des Gegners angreifen.
13.3.2 Die Allianzen der Gegner zerstören.
13.3.3 Den Gegner angreifen.
13.3.4 Die Hochburgen des Gegners belagern.
13.4
Die Formulierung der Strategien
13.4.1 Auswahl der Themen
13.4.2 Charakteristika der Schlachtfelder
13.4.3 Konzentration der Kräfte
13.4.4 Angriffspolitik
13.4.5 Nischenpolitik
13.4.6 Wechsel zwischen direkten und indirekten Kräften
13.5
Die Evaluierung der Strategieformulierung
13.5.1 Subjektive Bewertung der Auftragserreichung
13.5.2 Objektive Bewertung
188
188
189
191
192
193
194
196
200
201
201
204
213
215
217
217
218
219
220
Zieldefinition
222
14.1
14.2
14.3
222
225
226
Zielformulierung
Die Ziele als Übergang von der Strategie zur Taktik
Evaluierung der Zielformulierung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
15
16.
Zielimage
227
15.1
15.2
15.3
15.3.1
15.4
15.5
15.5.1
15.5.2
15.5.3
15.5.4
15.6
15.7
15.8
15.9
15.10
15.11
15.12
15.12.1
15.12.2
15.12.3
15.12.4
15.12.5
15.12.6
227
228
229
229
233
235
235
236
241
243
246
249
250
252
253
254
255
255
259
262
265
267
268
Zielgruppen
274
16.1
16.2
16.3
274
276
16.3.1
16.3.2
16.4
16.5
16.6
16.7
16.8
Die Funktion des Zielimages
Die Positionierung im Umfeld
Die Entscheidungsfindung: rational oder emotional
Wahlentscheidungen
Unterstützung der Entscheidungsgründe
Das Bedürfnisbefriedigungsargument
Maslowsche Bedürfnispyramide
Konzentration auf drei politische Bedürfnisebenen
Das Problem der heterogenen Gesellschaft
Auswahl der richtigen Themen
Das Kompetenz- und Vertrauensargument
Das funktionale Argument
Das personelle Argument
Imageanpassung an das Idealimage der Bevölkerung
Das interne Zielimage
Die Evaluierung des Zielimages
Beispiele
Beispiel: Zielimage für die NW-Partei
Beispiel: Zielimage für eine Bürgermeisterwahl in Herwald.
Beispiel: Zielimage für die Stadt Santa Mar
Beispiel: Zielimage für eine Regierung.
Beispiel: Wie man ein Zielimage nicht schreiben sollte.
Diskussion
Soziale Zielgruppen
Lebensstil-Zielgruppen
Ableitung von Zielgruppen aus dem Zielimage
und aus den Zielen
Beispiel für die Ableitung von Zielgruppen
aus dem Zielimage
Beispiel für die Ableitung von Zielgruppen aus Zielen
Formaler Zugang zu Zielgruppen
Informeller Zugang zu Zielgruppen
Medialer Zugang zu Zielgruppen
Soziale Netzwerke und Web 2.0
Multiplikatoren und Opinionleader
280
280
281
281
284
284
285
286
0OLITISCHE3TRATEGIEN
16.9
16.9.1
16.10
16.11
16.12
16.13
17.
289
291
292
292
293
293
Zielgruppen-Botschaft
294
17.1
17.2
17.3
294
295
17.4
18.
Bestimmung der Wertehaltungsnähe
von Zielgruppen
Schnittmengenproblematik
Erreichbarkeit von Zielgruppen
Evaluierung der Zielgruppenauswahl aus dem Zielimage
Rückkopplung zu den Zielen
Rückkopplung zum Auftrag
Die definierte Botschaft für die einzelne Zielgruppe
Zielgruppenbotschaften für Zielgruppen aus Zielen
Das Problem des zusätzlichen Incentives und
des überlappenden Informationsmarktes
Evaluierung der Zielgruppen-Zielimages
296
297
Hauptinstrumente
298
18.1
18.1.1
18.1.2
18.1.3
18.2
18.2.1
18.2.2
18.2.3
18.3
18.3.1
18.3.2
18.3.3
18.3.4
18.3.5
18.4
18.4.1
18.4.2
18.4.3
18.4.4
18.4.5
18.4.6
18.5
18.6
298
299
300
300
301
302
302
302
303
303
311
314
317
320
323
324
326
326
328
328
330
331
332
Kommunikationsverhalten politischer Gruppen
Propaganda
Werbung
Public Relations
Kommunikationsmedien
Gesteuerte Medien
Ungesteuerte Medien
Mischformen
Kommunikationsinstrumente
Direkter Kontakt mit Bürgern
Veranstaltungen
Print-Medien
Medien für Außenwerbung
Elektronische Medien
Gewaltlose Aktionen
Methoden des Protest und Drucks
Methoden der Nichtkooperation
Methoden ökonomischer Nichtkooperation: Boykott
Methoden ökonomischer Nichtkooperation: Streik
Die Methoden der politischen Nichtkooperation
Die Methoden des nicht gewalttätigen Eingriffs
Gewalttätige Aktionen
Evaluierung der Festlegung der Hauptinstrumente
0OLITISCHE3TRATEGIEN
19.
20.
21.
Implementierung der Strategien
333
19.1
19.1.1
19.1.2
19.1.3
19.1.4
19.2
19.2.1
19.2.2
19.2.3
333
334
335
336
338
341
342
343
344
Menschliche Faktoren
Die politische Führung
Wahlkampf- oder Kampagnenleitung
Die Aktiven
Motivation der Freiwilligen
Operative Faktoren
Das Prinzip der Zeitabhängigkeit
Das Prinzip der flexiblen Anpassung
Das Prinzip der Täuschung
Strategiecontrolling
345
20.1
20.1.1
20.1.2
20.1.3
20.1.4
20.1.5
20.1.6
20.2
20.2.1
20.2.2
20.2.3
20.3
20.3.1
20.3.2
20.3.3
20.3.4
345
346
351
351
352
352
354
355
356
358
360
360
361
361
362
362
Aufklärung und Informationsbeschaffung
Die repräsentative Befragung (quantitative Feldbefragung)
Die Delphi-Befragung und die Focus-Group-Befragung
Die Omnibusbefragung
Auswertung der Medien
Spionage
Aufklärung bei den Alliierten der Gegner
Controlling
Controllinginstrumente
Balanced Score Card
Controllingbericht
Sicherheit und Informationsschutz
Geheimhaltung von strategischen Plänen
Scharfe Sicherheitsmaßnahmen
Abschreckende Strafen
Schaffung von Täuschung und Unvorhersehbarkeit
Ableitung von Maßnahmen aus Zielen
363
21.1
21.2
21.2.1
21.2.2
21.3
21.3.1
21.3.2
363
364
364
367
368
369
372
Maßnahmen, Ziele, Strategien, Auftrag – eine Einheit
Die Checkliste für die Maßnahmen
Kreativer Ideenfindungsprozess
Evaluierung der Ideen
Zeit- und Maßnahmenplanung
Die Zusammenfassung der Maßnahmen in einem Plan
Die Evaluierung der Zeit- und Maßnahmenplanes
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22.
Organisation von Parteien, Kampagnen und Wahlkämpfen
22.1
22.1.1
22.1.2
22.2
22.3
22.4
22.4.1
22.4.2
22.4.3
22.5
23.
24.
Die Organisation der Aufgaben, die eine Partei ständig
durchführen muss.
Beschreibung der Tätigkeiten, die eine nationale Partei
mindestens erledigen muss.
Zu den Aufgaben im einzelnen
Nichtständige oder außergewöhnliche Aufgaben
Übertragung der Tätigkeitsfelder in
eine Linienorganisation
Die Projektorganisation
Projektdefinition
Installation des Projektes
Formulierung eines Auftrages des Vorstandes
der Partei an die Projektgruppe.
Tätigkeiten im Wahlkampf auf regionaler Ebene
374
374
374
376
381
383
384
385
386
387
388
Fund-Raising und Parteienfinanzierung
390
23.1
23.1.1
23.1.2
23.1.3
23.1.4
23.1.5
23.2
23.2.1
23.2.2
23.2.3
23.2.4
23.2.5
23.2.6
390
391
392
393
396
396
406
407
408
408
410
411
416
Finanzierung von Kampagnen
Öffentliche Finanzierung durch den Staat
Sponsoring
Spendenwerbung durch Fundraising
Die Beteiligten
Die Fundraisinginstrumente
Finanzierung von Parteien
Mitgliedsbeiträge
Aufnahmegebühren
Spenden
Sachzuwendungen
Staatliche Finanzierung
Finanzierung aus wirtschaftlicher Betätigung
Regierungssysteme
415
24.1
24.1.1
24.1.2
24.1.3
24.1.4
24.2
415
416
417
417
418
419
Beschreibungen
Totalitäre Regime
Autoritäre Systeme
Demokratische Systeme
Mischformen
Auswirkungen auf die Strategie
0OLITISCHE3TRATEGIEN
25.
26.
Parteien und Parteiensysteme
420
25.1
25.1.1
25.1.2
25.1.3
25.1.4
25.1.5
25.2
421
421
421
422
422
422
424
Wahlsysteme und Wahlen
426
26.1
26.1.1
26.1.2
26.1.3
26.1.4
26.1.5
26.2
26.2.1
26.2.2
26.2.3
26.2.4
26.2.5
26.2.6
26.2.7
426
426
426
427
428
428
430
431
432
434
434
437
438
26.2.8
26.2.9
26.3
26.3.1
26.3.2
26.3.3
26.4
27.
Auswirkungen von Wahlsystemen auf die Strategie
Aufbau und Grundtypen von Wahlsystemen
Wahlkreiseinteilung
Wahlbewerbung
Stimmgebung
Stimmverrechnungsverfahren
Typen von Wahlsystemen
Mehrheitswahlsysteme (First-past-the-post)
Direktwahl in Einerwahlkreisen
Direktwahl in Mehrpersonenwahlkreisen
Verhältniswahl nach Listen, regional oder national
Mischformen
Ley de Lemas
System der übertragbaren Einzelstimme
(Single transferable vote, STV)
Vorzugsstimmensysteme (Supplementary vote, SV)
Wahlsysteme mit Quoten
Wahlberechtigung
Wahlregister
Schneidung der Wahlkreise
Kandidaturen
Monitoring
439
441
443
448
449
449
450
450
Anhang
1.
1.1.
1.2
1.2.1
1.2.2.
1.3
Typologisierung von Parteien
Typologie nach der Struktur der Anhänger
Typologie nach der Organisationsstruktur
Typologie nach den politischen und strategischen Zielen
Typologie nach dem Grad der Institutionalisierung
Typologie nach der Funktionsweise in der Gesellschaft
Entwicklung von unterschiedlichen Systemen
453
Strategien gegen Fundamentalismus
Fundamentalismus – Was ist das?
Historische Entwicklung
Geschichte
Erklärungsansätze für den Fundamentalismus
Was ist die Kritik der Fundamentalisten an vielen Staaten?
453
453
454
454
456
457
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1.4
1.5
1.5.1
1.5.2
1.5.3
1.6
1.6.1.
1.7
1.7.1
1.7.2
1.7.3
1.7.4
1.8
2
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
2.6.1
2.6.2
2.6.3
3
3.1
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.2.6
3.3
3.3.1
3.4
Was kritisieren die Fundamentalisten an der Wirtschaft?
Was wollen die politisch aktiven Fundamentalisten?
Auszug
Einheit
Zwang
Entwicklungsstadien und Erscheinungsformen von
fundamentalistischen Bewegungen
Entwicklungsstadien
Die Strategien der Fundamentalisten
Die Welt-Entsager-Strategie
Die Welt-Schaffer-Strategie
Die Welt-Veränderer-Strategie
Die Welt-Eroberer-Strategie
Gegenstrategien
Strategien gegen Korruption
Versuch einer Definition
Es gibt Faktoren, die Korruption fördern.
Felder, in denen korruptes Verhalten möglich wird
Ursachen für korruptes Verhalten
Die Wirkung von Korruption
Strategische Ansätze zur Bekämpfung von Korruption
Checks and Balances: Mechanismen für die
Sicherstellung von Verantwortlichkeit
Begrenzung und Dezentralisierung der zentralen Macht
Externe Aufsichtsmechanismen
Strategien zum Konfliktmanagement
Definition Konflikte
Konfliktbewältigung
Zwischenmenschliche Kommunikation und Konfliktbewältigung
Rollenkonflikte
Konflikte zwischen Gruppen
Gesellschaftliche Konflikte
Internationale Konflikte
Strategien zur Verringerung von Gewalt bei
internationalen Konflikten
Grundsätze für Konfliktlösungen
Diskussion des Schemas
Post-Konflikt-Situationen und Konfliktprävention
Literatur
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495
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6ORWORT
$R7OLFGANG'ERHARDT
Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Die Beratung von politischen Parteien in Entwicklungs- und Transformationsländern gehört zum Kerngeschäft der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Peter Schröder hatte als externer Experte schon früh wesentlichen Anteil daran,
wie sich die Beratungsarbeit unserer Stiftung in Theorie und Praxis entfaltete.
Und bereits im Jahr 2000 brachten wir mit „Politische Strategien“ Peter Schröders
Erfahrungen und Reflektionen zur Strategieplanung in der Politik einem größeren
Kreis von Lesern nahe. Seither haben sich die methodischen Ansätze zur Planung
von Strategien nicht wesentlich verändert. Beträchtlich gewandelt haben sich aber
die Gesellschaften, in denen die Strategien wirken sollen. Mit der nun vorliegenden
zweiten Auflage wird dieser Wandel aufgegriffen.
Ein Bereich, der in den letzten Jahren von gravierenden Änderungen betroffen
war, ist die politische Kommunikation. Zwei Entwicklungen haben dazu beigetragen.
Einmal ist die Verfügbarkeit von Informationen über das Internet deutlich gestiegen,
allerdings verbunden mit einer erheblichen Vergrößerung der Unsicherheit, die mit
der steigenden Datenflut und unterschiedlichen Bewertungen der Daten einhergeht.
In ihrer Konsequenz kann eine Flut von Daten auch zur Desinformation beitragen
und bei der Überprüfung des Wahrheitsgehalts von Informationen verwirren. Einen
zweiten Trend bildet das Auftreten des Web 2.0, das die Macht der Kommunikation von den klassischen Sendern zu den Bürgern so verlagert hat, dass jedermann
sein eigenes soziales Netzwerk aufbauen und pflegen kann. Die offizielle Kommunikation der politischen und gesellschaftlichen Institutionen wird damit in Frage
gestellt, und das führt zu notwendigen Veränderungen in den Strategien gerade
jener Institutionen, die bisher die politische Kommunikation beherrschten und nun
feststellen, dass die Verhältnisse demokratischer geworden sind.
Neben diesen wichtigen Veränderungen haben die Vernetzung der Politik, die
Globalisierung und die Vermischung von Kompetenzen deutlich zugenommen.
Politische Entscheidungsfindung und das Verständnis für die Entscheidungen ist
komplizierter geworden und diese Komplexität erhöht die Unsicherheit, sowohl für
Entscheider, als auch für Betroffene und Beobachter der Prozesse.
In Wahlkämpfen ebenso wie bei der Implementierung von Politik, ist Vertrauensbildung zur unabdingbaren Voraussetzung dafür geworden, dass stabile politische
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und gesellschaftliche Überzeugungen entstehen. Strategische Entscheidungen und
Emotionen rücken dieserart zusammen und machen aus Beratern und Fachleuten
Vertraute. Und gerade hier liegt die große Herausforderung für die Wirksamkeit,
insbesondere für langfristig ausgelegte Strategien. Das scheue Gut „Vertrauen“ lässt
sich nicht so schnell hervor locken und muss dann permanent gepflegt werden,
damit es sich nicht wieder verflüchtigt. Genau dazu aber fehlen in einer Zeit, wo
schnelle Gewinne zählen und kurzfristige Orientierungen vorherrschen die Einsicht,
manchmal auch der Wille, sowie Kenntnisse und Fähigkeiten, um zum längerfristigen, nachhaltigen Erfolg zu gelangen. Schritte dahin zeigen wir mit dieser zweiten,
überarbeiteten Auflage von Peter Schröders Arbeit über „Politische Strategien“ auf.
Experten, aber auch interessierte Laien können sich auf eine überaus ertragreiche
Lektüre freuen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
6ORWORT!U¾AGE
$R/TTO'RAF,AMBSDORFF
Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung (1995–2006)
Strategisches Denken und Handeln ist im wirtschaftlichen und militärischen Bereich eine Selbstverständlichkeit. In der Politik ist es immer noch die Ausnahme.
Hier stehen taktisches Verhalten und kurzfristiges Handeln im Vordergrund. Bei
langfristigen Konzepten, bei der Implementierung von Politiken und natürlich auch
bei der Durchführung von Kampagnen ist strategisches Planen Voraussetzung für
Erfolg und nachhaltige Entwicklung.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung beschäftigt sich in ihren Kernarbeitsbereichen
der politischen Bildung, des Politikdialogs und besonders der Politikberatung
mit der Vermittlung von strategischen Kenntnissen und will Politik und Verwaltung
auf allen Ebenen motivieren, sich der strategischen Instrumente zu bedienen, um
politische Prozesse erfolgreicher zu gestalten.
In ihrer praktischen Arbeit in Deutschland steht die Vermittlung der Techniken
im Vordergrund. Hier spürt die Stiftung die zunehmende Nachfrage von Bürgern,
mit Strategien umzugehen, sie zu nutzen und vor allem im politischen Prozess auch
die strategischen Elemente durchschauen, beurteilen und bewerten zu können.
Bei der Arbeit der Stiftung im Ausland steht im Bereich der Politikberatung
die konkrete Beratung von Exekutive, Legislative, Parteien und Nichtregierungsorganisationen im Zentrum. Hier geht es nicht nur um die Vermittlung von strategischen Kenntnissen, sondern vielmehr um die Entwicklung von strategisch geplanten Konzepten, die auch die taktischen und operativen Schritte einschließen.
Die Arbeit der Stiftung mit ihren Partnern in diesem Bereich zeigt, wie durch die
Anwendung des Instrumentariums Politik und Verwaltung erfolgreicher gestaltet
werden können.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung will die praktischen Erfahrung des Autors
und die theoretischen Grundlagen der Strategieplanung in der Politik, die in diesem
Buch vermittelt werden, mit der Veröffentlichung einem größeren Kreis von Lesern
zugänglich machen. Sie will damit die Motivation von Politikern stärken, sowohl
ihre Kampagnen als auch ihre politischen Entscheidungen auf eine strategische
Grundlage zu stellen. Sie will die Verwaltung anstoßen, ihre Maßnahmen ausgehend von strategischen Zielen und nicht länger von den Zwängen der Tagespolitik
0OLITISCHE3TRATEGIEN
entwickeln zu lassen. Und sie möchte der Politikwissenschaft zeigen, dass es neben
der Ex-post-Betrachtung von Politik Gestaltungstechniken gibt, denen sich die Politikwissenschaft mehr als bisher zuwenden könnte. Aber die Friedrich-NaumannStiftung will mit diesem Buch auch einen Beitrag dazu leisten, dass die strategischen
Prozesse in der Politikplanung transparenter und damit verständlicher werden.
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%INLEITUNG
Nach vielen Jahren Beratung im politischen Umfeld, bei Wahlkämpfen oder Einführung von neuen Politiken, bei der Karriereplanung einzelner Persönlichkeiten häufen
sich die Fragen, ob man nicht endlich einmal die Erfahrungen aufgeschrieben und
ein Buch zur Strategieplanung herausgegeben habe. Das löst zunächst beim Planer
ein Erschrecken aus, weil womöglich jemand auf die Idee kommen könne, in einem
solchen Buch steckten Modell-Lösungen für alle möglichen und unmöglichen Fälle
der Politikentwicklung und -durchsetzung. Das ist nicht möglich, denn jeder Fall
ist anders und braucht andere Lösungen.
Was also kann ein Buch über strategische und taktische Planung von Politikprozessen leisten? Eigentlich nicht viel mehr, als die Erkenntnis zu vermitteln, dass
Strategie notwendig ist und nicht irgendeine „göttliche“ Eingebung eines Politikers
oder Beraters zur Durchsetzung von Politik ausreicht. Wer Interesse an langfristiger
Wirkung hat, darf nicht nur den nächsten Augenblick planen, um sein kurzfristiges
Machtinteresse zu befriedigen, sondern muss an Kontinuität und Berechenbarkeit
denken. Politische Veränderungen sind – wenn man einmal von Revolutionen und
Staatsstreichen absieht – nur mit den Menschen, die davon betroffen sind, durchführbar. Sie sind langwierig und schwierig. Die Veränderung von gesellschaftlichen
Bedingungen ist wie das Waten durch einen zähen Leim oder – um mit Max Weber
zu sprechen – wie das Bohren harter, dicker Bretter.
Das Buch will die Leser, besonders aber die Politiker davon überzeugen, dass
sich ihr Erfolg von gut geplanten Strategien und einer konsequenten Implementierung der Strategien ableitet und es möchte die Leser vertraut machen mit der
wunderbaren Vielfalt strategischer Lösungen.
Um dem Leser eine Orientierung im Umgang mit den Buch zu geben, werden
hier die wesentlichen Abschnitte des Buches vorgestellt. In den verschiedenen Kapitel gibt es eine Vielzahl von Querverweisen, so dass auch das selektive Lesen von
Einzelkapiteln möglich wird.
In den Kapiteln 3 und 4 geht es um die Fragestellung, wie sich strategisches
Denken entwickelt hat, wie es heute eingesetzt wird und welche Ansätze und Methoden für strategisches Planen vorhanden sind.
Im Kapitel 5 wird ein zusammengefasster Überblick über die Methode des
„Konzeptionellen Planens” vorgestellt, die im Mittelpunkt der Darstellungen dieses Buches steht.
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Die Kapitel 6 bis 11 dienen der Darstellung der ersten methodischen Schritte
und konzentrieren sich auf die sogenannte Situationsanalyse, also den Ausgangspunkt für alle strategischen Überlegungen.
Im Kapitel 12 und 13 wird der eigentliche Strategiefindungsprozess vorgestellt,
wobei das Kapitel 13 sich vornehmlich auf spezielle mögliche Strategiemuster
konzentriert. Hier ist die Fundgrube für alle diejenigen, die einen Überblick über
denkbare strategische Ansätze erhalten wollen.
Die Kapitel 14 bis 19 dienen der Darstellung der Instrumente zur Vorbereitung
der Implementierung der Strategien und damit der Festlegung von taktischen Rahmenbedingungen, die durch die Strategie gesetzt werden. Das Kapitel 19 konzentriert sich dann ganz auf die Implementierung.
Im Kapitel 20 werden Instrumente des Strategiekontrolle und der Datenbeschaffung vorgestellt, mit denen sich dann der Kreis der Strategieplanung schließt
und wieder in die Situationsanalyse übergeht.
Die Kapitel 21 bis 23 sind der Maßnahmenplanung aus der Strategie und den
organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung der Maßnahmen und
deren Finanzierung gewidmet.
Die Kapitel 24 bis 26 beschäftigen sich mit einigen speziellen Grundlagen und
Ausrichtungsfaktoren der Strategieplanung. Dazu gehören die Verfassungssysteme,
die Parteisysteme und die Wahlsysteme und ihre speziellen Auswirkungen auf die
zu planenden Strategien.
In dem Kapitel 27 werden als Anhang letztendlich komplexe strategische Problemlösungen vorgestellt, die einen Eindruck verschaffen sollen, wie wichtig das
strategische Herangehen an Probleme wie Fundamentalismus, Korruption und
Konfliktmanagement ist.
Trotz aller Beispiele und Detailschilderungen von konkreten Fällen, die aufgeführt werden, kann dieses Buch eigentlich auch nicht mehr, als eine Methode zu
vermitteln, mit denen politische Prozesse geplant werden können. Die Methode zeigt
die Wege zum Ziel. Die Ziele aber sind überall auf der Welt auf unterschiedlichen
Wegen zu erreichen. Der Weg ist manchmal sehr verschlungen und die Mittel, um
zum Ziel zu kommen, hängen von kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen
ab, die so unterschiedlich sind, dass selbst die Methodik dann und wann adaptiert
werden muss.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Es kommt darauf an, auch wenn alle Bedingungen verschieden sind, einfache
und verständliche Strategien zu entwickeln. Denn nur diese werden verstanden
und können durchgeführt und in ihrer Wirkung kontrolliert werden. Gerade in der
Einfachheit, in der Reduktion der Probleme auf das Wesentliche und in der Konzentration auf das strategische Ziel liegt der Reiz aber auch der Erfolg strategischer
Planung. Dazu will dieses Buch beitragen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3TRATEGISCHE0LANUNG¯7ARUM~BERHAUPT
Der Begriff Strategie kommt aus dem militärischen Bereich. Das Wort selbst kommt
aus dem Griechischen1. Strategische Überlegungen waren immer dann notwendig,
wenn große Ansammlungen von Menschen geführt werden mussten und dafür eine
Orientierung notwendig war. Das war in früheren Zeiten vorwiegend dann der Fall,
wenn Kriege geführt werden sollten oder geführt werden mussten.
Bis zum Beginn der Industrialisierung behielt der Begriff Strategie eine fast
ausschließlich militärische Bedeutung. Erst danach wurde es notwendig auch im
wirtschaftlichen Bereich große Ansammlungen von Menschen zu führen. Der Begriff erfuhr eine Erweiterung. Die Unternehmensstrategie zur geplanten Führung
von Menschen in einem Unternehmen war geboren. Nach und nach wurde der
Begriff auf immer weitere Teile der Gesellschaft ausgeweitet. Natürlich auch auf
den Bereich der Politik, denn auch hier galt es, entweder große Menschenmassen
in der Gesellschaft oder Mitglieder von Parteien und Organisationen ausgerichtet
auf ein Ziel zu führen.
Mit der Herleitung des Begriffes aus dem Griechischen soll nicht der Eindruck
erweckt werden, davor habe es keine Strategien gegeben. Jede zielgerichtete
Überlegung und Planung, die nachdrücklich umgesetzt wird, ist eine strategische
Planung. Und eines der Standardwerke der Strategieplanung, Sun Tzus „Die Kunst
des Krieges“2, das vor mehr als 2000 Jahren in China entstand, ist vielleicht heute
noch das einflussreichste Buch über Strategie. Für Politiker und Manager in Asien
gehört das Buch zur Standardlektüre.
Der Begriff Strategie wurde im Laufe der Zeit immer mehr verfeinert und den
militärischen, später aber auch den unternehmerischen und politischen Notwendigkeiten angepasst. So wurde die Unterscheidung von Strategie und Taktik eingeführt. Während bis zum 18. Jahrhundert die Heere im wesentlichen während
der Schlachten eine Einheit bildeten (taktische Einheit) und der Heerführer auch
gleichzeitig oberster taktischer Führer im Gefecht war, wurden danach die Heere in
mehr und mehr selbständig operierende Teile zerlegt. Hier wurde es nun notwendig zwischen der gesamtstrategischen, der militärstrategischen und der taktischen
Seite zu differenzieren.
1
2
griech. strategia „Heerführung, Feldherrnkunst“
Sun Tzu: Die dreizehn Gebote der Kriegskunst (a.d.Chinesischen 1972),
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Carl von Clausewitz3 hat die heute noch gültige Definition in seiner philosophischen Abhandlung über das Wesen des Krieges herausgearbeitet. Danach ist
Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht. Die Strategie ist die
Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges. In den Streitkräften
sieht er das Mittel, den Zweck des Krieges, nämlich den Sieg, zu erringen. Aber
dieser Sieg ist nur ein Mittel um den endgültigen Zweck der Strategie, nämlich den
Frieden, zu erreichen. Die höhere Strategie nähert sich also immer mehr der Politik,
um schließlich in sie überzugehen.
Von Clausewitz beschreibt hier also, dass das Ziel der Strategie nicht der vordergründige Sieg, sondern der dahinterliegende Frieden ist. Diese Erkenntnis ist
für die politische Strategieplanung außerordentlich wichtig. Es geht also darum zu
erkennen, was hinter dem Ziel des Wahlsiegs steht, oder was mit der Einführung
eines Gesetzes wirklich geplant ist. Hier werden manche Strategien im politischen
Bereich als das entlarvt, was sie oftmals wirklich sind: Der Kampf um eigene Bereicherung, der Kampf um persönliche Macht oder der Kampf um andere als die
vorgegebenen Ziele. Beispiele dafür gibt es genug.
Da gab es Wahlkampfstrategien für Präsidentschaftskandidaten, die kein Regierungsprogramm hatten. Hier stand Macht oder Berreicherung hinter dem vordergründigen Wahlsieg.
Da gab es Parteigründungsstrategien in ehemals sozialistischen Staaten, die
nicht den Einzug ins Parlament zum Ziel hatten, sondern ausschließlich die Entgegennahme von staatlichen Zuschüssen für die Gründung neuer Parteien.
Da gab es Strategien zur Einführung von Umweltschutzgesetzen, die niemals das
Ziel hatten Umweltschutzgesetze einzuführen, sondern sich bestechen zu lassen.
Da gab es Strategien zur Bedrohung des Drogenhandels, die niemals das Ziel
hatten, den Drogenhandel zu beseitigen, sondern sich von internationalem Druck
zu befreien und gemeinsame Sache mit dem Drogenhandel zu machen.
Da gab es Strategien, die internationale Gegner aufzeigten, um von internen
Problemen abzulenken und gemeinsame Feindbilder zu kreieren.
3
Preuß. General und Miltärschriftsteller, 1780–1831; hinterlassene Werke über Krieg und Kriegsführung, 10 Bände (hg. 1832-37), Bd 1-3: Vom Kriege
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiele genug, um die Notwendigkeit zu beweisen, dass die politische Absicht
hinter der Strategie deutlich werden muss, bevor eine Strategie geplant wird.
Eine ganz ehrliche Antwort bekam der Autor von einer Führungsgruppe einer
Partei in Afrika. Als er sie fragte, warum sie denn die Regierung büernehmen wollten,
antworteteten sie: „Now we want to eat.” Was soviel bedeutete wie: „Nun wollen
wir auch einmal an die Töpfe, um uns selbst zu bedienen.”
Die Strategie selbst hat immer das Ziel „Sieg“. Ob sich das in Mandaten ausdrückt
oder im Zugewinn oder im Wahlsieg für den Kandidaten oder in der Mehrheit für
ein Gesetz, es handelt sich immer um den Sieg. Was mit dem Sieg gemacht wird,
ist dann der politische, hinter dem vordergründigen Sieg liegende Zweck.
Eine weitere Bedingung für die Notwendigkeit strategisch zu planen, ist die
Knappheit der angestrebten Ressource. Ob es sich jetzt um einen Arbeitsplatz handelt, den man mit einer strategischen Planung erreichen will, oder um mehr Marktanteile, sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik, solange die Ressource
nicht knapp ist, bedarf es keiner Strategie. Ist die Ressource aber knapp und damit
umkämpft, ist strategische Planung notwendig.
Im Zusammenhang mit dieser Bedingung ergibt sich dann auch eine Definition
für eine Strategie. Diese lautet:
„Eine Strategie ist eine Abfolge von zumeist arbeitsteiligen Schritten mit der
Absicht, Ressourcen schonend ein definiertes Ziel zu erreichen, das in den allermeisten Fällen zu einem Nachteil für einen oder mehrere andere führt.“
3.1
Kampf um Macht und Einfluss
Politik und Strategie – wie verträgt sich das? Eine Frage, die immer wieder von Politikern und Parteien, ja manchmal sogar von Regierungen gestellt wird. Da heißt es
dann: „Wir sind doch nicht im Krieg.“ oder „Unser politischer Konkurrent ist doch
nicht unser Feind.“ oder „Unsere Absichten und Ideen sind so gut, sie werden sich
auch ohne Strategie durchsetzen.“
Sicherlich sind wir nicht im Krieg, wenn wir politische Ziele verfolgen oder im
Wahlkampf stehen. Aber jede politische Idee, die ein einzelner oder eine Gruppe
vorträgt, spaltet in dem Moment die Gesellschaft, in dem sie bekannt wird. Denn
jede politische Idee ist auf Veränderung eines Zustandes aus. Und jeder Zustand
hat auch Nutznießer und Menschen, die unter dem Zustand leiden. Das wusste
0OLITISCHE3TRATEGIEN
auch der Mann, dessen Buch über die Macht weltberühmt wurde: Machiavelli4.
Jede Veränderung schafft Gewinner und Verlierer. Das ist fast immer so, denn in
der Politik überwiegen die Nullsummenspiele5. Deswegen wird jede Idee Befürworter und Gegner haben.
Gesellschaft
Gegner
Befürworter
Strategischer Merksatz: Man kann nicht jedermanns Liebling sein.
Wer sich für mehr Umweltschutz einsetzt, wird diejenigen als Befürworter finden, die unter der Verschmutzung der Umwelt leiden oder die sich der Gefahr einer
zu starken Verschmutzung bewusst sind und deswegen für Umweltschutz eintreten,
4
5
Machiavelli sagt dazu in „Der Fürst” im 6. Kapitel: „Denn jeder Neuerer hat alle die zu Feinden,
die von der alten Ordnung Vorteile hatten und er hat an denen nur laue Verteidiger, die sich
von der neuen Ordnung Vorteile erhoffen.
Hinweise auf Nullsummenspiel und danach: Siehe dazu das Kapitel 13.2.8.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
obwohl gar nicht direkt betroffen. Wer sich für mehr Umweltschutz einsetzt, wird
aber auch Gegner haben. Zum Beispiel diejenigen, die von der bisherigen Situation
profitiert haben. Das sind nicht immer nur die bösen Unternehmer oder Kapitaleigner.
Viele Politiker waren sehr überrascht, auch die Arbeiter von Betrieben als Gegner
ihrer Ideen zu finden, da hier deren eigene Arbeitsplätze in Gefahr kamen.
Befürworter und Gegner eines Vorschlages sind oftmals schwer zu identifizieren, weil sich die Gegner versteckt halten, dafür aber um so mehr verdeckte Arbeit
gegen die Planungen leisten und dadurch nur schwer erkennbar sind. Das gilt besonders dann, wenn eine allgemeine verbale Zustimmung vorliegt.
Wer sich für den Abbau von Korruption stark macht, findet breite Zustimmung
besonders bei denjenigen, die ganz allgemein Korruption als etwas Negatives einstufen. Er wird Ablehnung bei denjenigen finden, die bisher von der Korruption
profitiert haben. Dennoch haben sich manche Politiker verrechnet, wenn sie auf
Antikorruptionskurs gingen, je nachdem, welche Art der Korruption in ihrem Land
vorhanden war. Handelt es sich um die Großkorruption an der Spitze des Staates
und der Verwaltung, findet sich die Masse der Bevölkerung bei den Unterstützern.
Handelt es sich aber um die Kleinkorruption auf unterer Ebene, so fällt die Zustimmung durchaus nicht so breit aus, weil sich hier die Bevölkerung fragt, wie sie
denn ohne die kleine Bestechung zukünftig überhaupt zu ihrem Recht kommen
kann. Hier kann es also Allianzen zwischen den Bestechenden und den Bestechlichen geben. In einem solchen Fall ist Korruption zum natürliche Bestandteil der
gesellschaftlichen Kultur geworden. Der strategische Kampf gegen Korruption ist
ein Kampf, bei dem es um viel Geld und Einfluss geht. Daher wird dieser Kampf
auch besonders hart geführt.
Macchiavelli sagt dazu: „Daher kommt es, dass alle bewaffneten Propheten gesiegt haben, die unbewaffneten zugrunde gegangen sind. Zu allem, was ich angeführt habe, kommt noch der Wankelmut der Menge; es ist leicht, sie zu einer Sache
zu überreden, aber schwer sie bei der Stange zu halten.”
Das bedeutet, dass jede politische Idee, so gut sie auch gemeint ist, nur im Kampf
gegen die Gegner der Idee durchgesetzt werden kann. Die Durchsetzung einer Idee
hat wenig mit Vernunft und Einsicht zu tun, sondern nur mit Macht und Einfluss.
Das gilt genauso für die Planung von Wahlkampfstrategien. Hier sagt ja schon
das deutsche Wort „Wahlkampf“, dass hier um Macht und Einfluss gekämpft wird.
Denn es geht immer um die Erhaltung oder die Erringung von Macht.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3.1.1 Politische Strategien
Politische Strategien sind solche zur Durchsetzung von politischen Vorstellungen.
Zum Beispiel die Einführung neuer Gesetze oder den Aufbau einer neuen Struktur
in der staatlichen Verwaltung oder die Durchführung von Maßnahmen der Deregulierung, Privatisierung oder Dezentralisierung. Die Erfahrung zeigt, dass solche
Maßnahmen weder von den politischen Parteien noch von den Regierungen ausreichend strategisch geplant werden. Sonst würden nicht so viele Projekte scheitern. In der Praxis ist das Ergebnis solcher Maßnahmen und „Planungen“ sehr oft,
dass sich die Betroffenen zunächst einmal wehren, dass sie dann versuchen, die
Gesetze zu unterlaufen oder dass sie sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen,
weil sie glauben der Staat sei zu schwach, um sie durchzusetzen.
Ein Indiz für den Mangel an strategischer Planung in Regierungen und Verwaltung ist die Abwesenheit von strategischen Controllinginstanzen. Während ein finanzielles Controlling in vielen Ländern existent ist und in einigen auch funktioniert,
glänzt das strategische Controlling durch Abwesenheit. Das hat vor allem damit zu
tun, dass die Politiker sich scheuen, messbare strategische und taktische Ziele zu
definieren, weil sie Angst davor haben, später daran gemessen zu werden.
Die Notwendigkeit der politischen Strategien zeigt sich nicht nur bei Parteien,
Politikern und Regierungen, sie ist auch bei anderen im politischen Raum wirkenden Nichtregierungsorganisationen (NRO) vorhanden. Ob es sich nun um Gewerkschaften, Umweltgruppen, Menschenrechtsorganisationen usw. handelt, alle
benötigen Strategien zur langfristigen Durchsetzung ihrer Ziele.
Ohne politische Strategien sind langfristige Veränderungen oder große Projekte überhaupt nicht durchsetzbar. Zum Beispiel muss bei Dezentralisierungsmaßnahmen, also der Einführung einer weiteren politischen, wie einer kommunalpolitischen Ebene, eine ausführliche Planung erfolgen, die gleichzeitig mehrere Aspekte
umfasst. So die Zuständigkeit der kommunalen Ebene, die Organisationsform, die
Finanzierung, die Wahl der Mandatsträger, die Wahl der politischen Verwaltung usw.
Nur bei einer umfassenden Planung mit einer langfristigen Strategie sind Fehler zu
vermeiden, wie sie in vielen Ländern immer wieder aufgetreten sind.
Da wurden
wurden schon
schonKommunalvertreter
Kommunalvertretergewählt,
gewählt, ohne
ohne dass
dassihre
ihreZuständigkeiten
Zuständigkeiten
geregelt
waren.Da
Dawurden
wurdenZuständigkeiten
Zuständigkeitennicht
nichtübertragen,
übertragen, weil
weildie
dieBürokratie
Bürokratie
geregelt waren.
sich weigerte,
weigerte, diese
dieseZuständigkeiten
Zuständigkeiten aus der Hand
Hand zu
zu geben.
geben.Da
Dawurden
wurdenZustänZuständigkeiten übertragen,
übertragen, aber
aberdie
dieFinanzierung
Finanzierung war
war nicht
nicht gesichert. Da wurden Kommunalpolitiker gewä
hlt, aber
Aufgabe
nicht
vorbereitet.
gewählt,
abersiesiewaren
warenauf
aufihre
ihre
Aufgabe
nicht
vorbereitet.
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Solche Beispiele gibt es gerade bei der Einführung neuer Politiken immer wieder. Mehr Bürgerbeteiligung ohne mehr Informationen für Bürger funktioniert eben
nicht. Umweltschutz kann man nicht einführen, wenn man die Bürger nicht darauf
vorbereitet hat. Privatisierung verliert ihre Wirkung und bedroht die Existenz vieler
Arbeitsplätze, wenn sie gegen und nicht mit der Bevölkerung umgesetzt wird. Die
Einführung von Marktwirtschaft ist eben nicht nur die Abschaffung der Planwirtschaft, sondern der Aufbau vieler Märkte (Warenmarkt, Dienstleistungsmarkt, Arbeitsmarkt, Geldmarkt, Wohnungsmarkt usw.), die miteinander agieren. Da reicht
es eben nicht, nur einige Betriebe zu privatisieren und dann abzuwarten.
Hier ist nun die Frage zu stellen, warum gibt es so wenige geplante Strategien im politischen Raum? Eine der Hauptursachen ist die maßlose Überschätzung
derjenigen, die sich an der Macht befinden gegenüber denjenigen, die von ihnen
regiert werden oder die sie als Gegner einstufen. Daniel Kahneman und Jonathan
Renson6 beschreiben das sehr anschaulich in ihrem Artikel7: “Why hawks win?“ Sie
schreiben dort unter anderem: „Übertriebener Optimismus ist einer der wichtigsten
Fehler, den die Psychologen identifiziert haben. Die Forschung hat gezeigt, dass eine
große Mehrheit der Menschen und besonders Politiker glauben, dass sie intelligenter,
attraktiver und talentierter als der Durchschnitt sind, und sie überschätzen häufig
ihren zukünftigen Erfolg. Sie übertreiben konsequent das Ausmaß der Kontrolle, die
sie über Ergebnisse haben.“
Strategische Planung von politischen Prozessen und Veränderungen bedeutet
eine schonungslose Analyse der jetzigen Situation, klare Vorstellungen von Gegnern und Freunden, eine klare Analyse der Machtverhältnisse, eine klare Zielvorstellung von dem, was man erreichen will, und die Konzentration aller Kräfte auf
die Erreichung des Zieles. Aber wenn schon den gewählten Politikern nicht klar ist,
was „Marktwirtschaft“ oder „Demokratie“ eigentlich ist, wie kann dann erwartet
werden, dass die unklaren Ziele mit voller Intensität überhaupt angestrebt werden. Wenn die Legislative die Exekutive in der Implementierung von strategischer
Politik nicht unterstützt, sondern die Ziele ständig wieder in Frage stellt, darf man
sich nicht wundern, dass so viele Projekte scheitern.
6
7
Daniel Kahneman ist Nobelpreisträger für Ökonomie an der Princeton Universität Woodrow
Wilson School für öffentliche und internationale Angelegenheiten; Jonathan Renshon ist Doktorand in der Abteilung der Regierung an der Harvard University.
„Why Hawks win?“ in Foreign Policy Jan/Feb 2007, Washington
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Besonders die sogenannten „guten“ Politiker, die versuchen ehrgeizige Pläne
ohne Strategie umzusetzen, sind in vielen Fällen die Schuldigen an den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen Millionen von Menschen zu leiden haben.
3.1.2 Wahlkampfstrategien
Eine besondere Form der politischen Strategie ist die Wahlkampfstrategie. Hier
geht es darum, durch gute Ergebnisse bei den Wahlen so viel Macht und Einfluss
zu gewinnen, dass Politik durchgesetzt werden kann und Veränderungen in der
Gesellschaft erreicht werden.
In demokratischen Gesellschaften ist vor der Übernahme von Macht und vor
der Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, die demokratische Wahl in ihren sehr unterschiedlichen Formen und Möglichkeiten gesetzt. Dabei geht es darum, auf dem
Wählermarkt denjenigen Marktanteil zu erreichen, der benötigt wird, um nach der
Verfassung Einfluss auf die Exekutive nehmen zu können. Das ist in den verschiedenen Systemen8, den parlamentarischen, den präsidentiellen und den vielfältigen
Mischformen sehr unterschiedlich. Der Kampf um die Wählerstimmen, die ja für
Parteien auch eine begrenzte Ressource darstellen, muss also sorgfältig geplant
werden und benötigt daher eine Strategie.
Wahlkampfstrategien um Macht werden oftmals selbst bei Parteien als etwas
Schlechtes angesehen. Aber ohne diese Macht für die eigenen Kandidaten oder die
eigene Partei werden andere politische Konzepte durchgesetzt, die nicht die eigenen
sind. Und die anderen Konzepte sind aus der Sicht der Politiker einer bestimmten
Partei doch meist schlechter, als die eigenen.
Die kritische Einstellung zur Macht wird besonders bei denjenigen gepflegt,
die oft an die Grenzen der Machtausübung anderer stoßen, die Freiräume für ihre
Arbeit brauchen, die Machtmissbrauch bekämpfen, die darüber aufklären, wie andere ihre Macht benutzen. Hier handelt es sich vorwiegend um kritische Gruppen,
die bei Journalisten, Intellektuellengruppen usw. vorherrschen. Dabei ist die Kritik
am Machtmissbrauch durchaus berechtigt, aber leider wird hier oft jede Form der
Machtausübung, besonders in der Form der Machtballung, bekämpft, was nicht zu
besserer Politik führt, sondern zu schädlichen Kompromissen und wankelmütigem
Machtvollzug.
8
Siehe dazu auch Kapitel 25 Regierungssysteme
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der Kampf um die Macht wird erst dann schädlich und schadet der politischen
Kultur, wenn er ohne Konzept, ohne Plan für die Veränderung der Gesellschaft und
der politischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung geführt wird. Wenn es also
um die bloße Aneignung von Macht für die Erfüllung eigener Interessen geht.
Macht wird in der Demokratie auf eine bestimmte Zeit (Legislaturperiode) vergeben. Der Wähler erwartet von den Politikern, dass sie die ihnen verliehene Macht
einsetzen, um das zu erreichen, was sie vorher versprochen haben. Sollte sich diese
Politik als falsch erweisen, besteht bei der nächsten Wahl die Möglichkeit, Macht
wieder zu entziehen.
3.1.3 Karrierestrategien
Einen noch negativeren Beigeschmack haben Karrierestrategien. Doch auch hier
muss differenziert werden. Wenn es nur um das Ausschalten von unliebsamen
Konkurrenten mit welchen Methoden auch immer geht, ist ein Vorwurf sicherlich
berechtigt. Wenn es aber um den konzentrierten Einsatz aller Kräfte zur Erreichung
eines Zieles geht, sind diese Strategien hilfreich und notwendig.
Hier gibt es Strategien für berufliche Karrieren. Was ist daran schon schlecht?
Unbewusst fällt jeder täglich strategische Entscheidungen für seine Karriere. Doch
solange diese Entscheidungen zufällig fallen und nicht langfristig strategisch geplant sind, werden viele falsche taktische Teilentscheidungen getroffen.
Strategien für politische Karrieren sind besonders in demokratischen Massenparteien, aber auch in kleineren Parteien mit Herrschaftseliten Voraussetzung, um
seine politischen Vorstellungen hörbar zu machen und die Möglichkeit zu erhalten, diese Vorstellungen in der Praxis umzusetzen. Der Hinweis auf demokratische
Strukturen in den Parteien spielt dabei eine besondere Rolle. Das in nichtdemokratischen Parteien Strategien nötig sind, um die Machthaber von der Macht abzulösen, erscheint logisch. Aber auch in demokratisch strukturierten Parteien ist
strategische Planung Vorbedingung für erfolgreiches Handeln.
Eine besondere Form der Karrierestrategie ist die Strategie für kleine „Pressure Groups“, die oftmals neue Ansätze in die Politik einbringen wollen, die ohne
sie unterdrückt würden. So haben viele Umweltschutzinitiativen nur deswegen
Bedeutung erlangt, weil eine kleine „Pressure Group“ durch geschickte Strategien
Einfluss in Parteien oder anderen Organisationen genommen hat. Dabei spielt die
Karriereplanung der Gesamtgruppe sehr oft die entscheidende Bedeutung, weil das
politische Thema eng mit den Persönlichkeiten verbunden ist, die sich dafür ein
0OLITISCHE3TRATEGIEN
setzen. Beispiele können dafür auch in „Pressure Groups” für Gleichberechtigung
von Frauen, für Jugendpolitik, für Menschenrechte usw. gefunden werden, wobei
es darauf ankommt, dass die Vertreter der Gruppe persönlich eng mit dem Thema
verbunden sind und eine hohe Themen-Personen-Kongruenz9 aufweisen.
3.2
Taktikplanung
Voraussetzung für eine Taktikplanung ist eine vorhandene Strategieplanung. Nur
wenn eine Strategie sorgfältig geplant ist, machen taktische Entscheidungen und
Maßnahmenpläne einen Sinn. Die Taktikplanung gibt also Antworten auf die Fragen,
wer tut wann, wo, was, wie und warum. Mit diesen Entscheidungen der taktischen
Planung sollen die taktischen Einzelziele erreicht werden, die in der Summe dann
zum Erreichen des strategischen Oberzieles führen. Diese Entscheidungen sind
von einer genauen Kenntnis des Umfeldes, der Rahmenbedingungen und der eigenen Fähigkeiten abhängig. Deswegen sind die taktischen Planungen nicht von der
strategischen Ebene, sondern von den jeweiligen Führungen der taktischen Ebenen
vorzunehmen, weil nur bei diesen die benötigte Kenntnis vorliegt.
Wenn zum Beispiel die Regierung eines Landes die strategische Entscheidung
getroffen hat, ausländische Investitionen anzuziehen, so können jeweils nach den
Rahmenbedingungen dafür unterschiedliche Taktiken angewandt werden. Die einen
werden mehr auf niedrige Löhne und Produktionskosten (Standortfaktoren) setzen,
die anderen dagegen mehr auf vorhandene Rohstoffe und andere wiederum auf
die gute Infrastruktur. Aber es kann auch Taktiken gegen, die auf die Nähe der Absatzmärkte oder auf flexible Regeln und Gesetze setzen. Alle diese Taktiken wollen
ausländische Investitionen anlocken. Ihre taktische Ausrichtung kann dabei sehr
unterschiedlich sein.
Die Taktikplanung mit ihren grundsätzlichen Entscheidungen, die von der
Strategie vorgegeben wurden, und mit ihren Zeit- und Maßnahmenplanungen
sind Instrumente zur Implementierung der Strategie. Ohne Taktikplanung und der
Erarbeitung von operativen Plänen würde eine Strategie zwar bestehen, aber sie
könnte nicht wirksam werden, weil sie nicht implementiert ist. Daher kommt der
Implementierung der Strategie und damit der Taktikplanung eine entscheidende
Bedeutung zu.
9
Siehe auch Kapitel 7.3.6. Das Problem der Kongruenz
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3.2.1 Abgrenzung der Taktikplanung von der Strategieplanung
Umgangssprachlich werden Taktiker oftmals als diejenigen diffamiert, die nur
kurzfristige Entscheidungen treffen, die nicht in ein strategisches Gesamtgebäude
eingebaut sind. Ist das der Fall, dann sind die Entscheidungen ziel- und orientierungslos und damit auch keine taktischen Entscheidungen, sondern spiegeln das
Verhalten von übereifrigen Aktivisten wieder.
Der eigentliche Taktiker geht im Rahmen der strategischen Vorgaben planmäßig
vor und versucht aufgrund genauer Kenntnisse der Rahmenbedingungen und des
Umfeldes, die Situation im Sinne der Strategie geschickt auszunutzen.
Strategisches
Oberziel
Taktisches
Ziel
Taktisches
Ziel
Taktisches
Ziel
Taktisches
Ziel
Taktisches
Ziel
Taktisches
Ziel
Damit ist Taktikplanung und Strategieplanung untrennbar miteinander verbunden. Während Strategieplanung die Situation insgesamt beurteilt und Entscheidungen für das Gesamtunternehmen, für die Gesamtpartei oder für den Gesamtstaat fällt, beruht die Taktikplanung auf den Zielen der Strategie und versucht diese
unter den jeweiligen besonderen Bedingungen für eine Teilaufgabe operational zu
machen.
3.3
Einfluss verschiedener Kulturkreise auf die Gestaltung von Strategien
Die strategischen Entscheidungsmechanismen und das strategische Denken sind
zunächst einmal unabhängig von geographischen, kulturellen und sonstigen Unterschieden. Die Strategie ist ausgerichtet auf ein Oberziel. Dieses Ziel gilt es zu
erreichen und dafür werden die Voraussetzungen durch Planung geschaffen. Das
ist überall auf der Welt so.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dennoch beeinflussen Kulturen als Rahmenbedingungen des Umfeldes die Art
der Strategie aber vielmehr noch die taktischen Entscheidungen. Die Strategie wird
zum Beispiel beeinflusst, wenn man in einem Kulturkreis für eine Opposition eine
Strategie plant, in dem das Konzept der Opposition in der Politik nicht akzeptiert
ist. Das ist in weiten Teilen Afrikas und Asiens der Fall. Ob es sich um einen Kulturkreis mit Offenheit für konfliktives Verhalten oder um einen Kulturkreis handelt,
der auf einer Konsensvorstellung basiert, spielt letztendlich nur für die taktischen
Entscheidungen eine Rolle. Sonst gäbe es in bestimmten Teilen der Welt, wie in
Afrika, Südost- und Ostasien, mit Konsensverhalten keine Kriege oder ausgetragene
Konflikte. Aber gerade dort spielen kriegerische Auseinandersetzungen und heftige
Gewaltausbrüche immer wieder eine große Rolle.
Das bedeutet, Elemente von Kulturen mit bestimmten religiösen Orientierungen, gesellschaftlichen und historischen Erfahrungen, speziellen Kommunikationsformen usw. müssen zwar bei der Erarbeitung von Strategien und Taktiken als
Bedingungs- und Rahmenfaktoren berücksichtigt werden, sind aber nicht stärker
zu berücksichtigen als Bedürfnisstrukturen, gesetzliche Rahmenbedingungen oder
Organisationsstrukturen, die ja auch wiederum durch kulturelle Bedingungen beeinflusst worden sind.
Für den Strategieplaner gilt also, dass er die Rahmenbedingungen unter Einschluss der kulturellen Bedingungen bei der Planung berücksichtigen muss, aber
nicht vor Ehrfurcht erstarren darf, sondern die kulturellen Bedingungen nur als das
werten darf, was sie sind: Fakten, die bei der Planung zu berücksichtigen sind.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
-ETHODENDESSTRATEGISCHEN0LANENS
Strategieplanung ist das vorausschauende und systematische Durchdenken und
Formulieren von Verhaltensweisen, Zielen und Handlungsalternativen, deren optimale Auswahl sowie die Festlegung von Anweisungen zu ihrer rationellen Realisierung.10
Es erscheint völlig klar, dass sich in einer Planungskunst, die so alt ist, wie
das strategische Planen, unterschiedliche Methoden entwickelt haben, die jeweils
für ihren Zweck als optimal empfunden werden. Es soll in diesem Buch nicht versucht werden, die am besten geeignete Methode für politische Planungsprozesse
herauszufinden, obwohl eine gewisse Präferenz im Buch sichtbar wird. Der Autor
ist sich darüber im Klaren, dass der Planungsprozess und das Planungsumfeld so
unterschiedlich sein kann, dass eine Festlegung auf die alles erfüllende Methode
schon ein wesentlicher Planungsfehler wäre.
Die Methoden müssen sich unterscheiden, wenn auch dann und wann nur marginal, weil unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden, unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen sind, die Planungsprozesse und Kommunikation unterschiedlich
verlaufen, der Grad der Partizipation variieren und die Befehls- und Gehorsamsstruktur sich stark unterscheiden kann.
Mintzberg11 liefert eine Beschreibung von zehn verschiedenen Denkschulen
zur Strategiebildung. Drei von ihnen sind dabei vorschreibend. Sie versuchen, den
„richtigen“ Weg zum Machen einer Strategie zu beschreiben.
Eine davon ist die sogenannte „Design-Schule“, die die Strategieplanung als
einen informellen konzeptionellen Prozess betrachtet, typisch für die selbstbewusste Art von gleichberechtigten Führungskräften. Das Modell der Design-Schule
wird auch SWOT12 genannt. Das bedeutet „Strengths, Weaknesses, Oportunities,
Threats“.
Dieses Modell wird von der Planungs-Schule aufgenommen. Diese bringt ein,
dass der Prozess informell ist, aber der Vorsitzende der Führung spielt die Schlüssel-
10
11
12
Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage
Henry Mintzberg: The Rise and Fall of Strategic Planning, 1994, S. 2ff, Maxwell Macmillan
Canada, Toronto 1994
SWOT siehe auch Kapitel 4.4.1.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
rolle. Diese Unterschiede erscheinen zwar geringfügig, aber sie sind im praktischen
Planungsprozess bedeutsam.
Die dritte Denkschule ist die Positions-Schule. Sie achtet mehr auf den Inhalt
(Differenzierung, Diversifizierung usw.) der Strategie und weniger auf den Prozess,
in dem die Strategie entsteht. Dabei übernimmt sie wesentliche Teile der PlanungsSchule und extrapoliert einfach die Methoden der Planungs-Schule in das Gebiet
des aktuellen Strategieinhaltes. Diese Methode ist nahe verwandt mit der später
vorzustellenden Methode des „Konzeptionellen Planens“, die im Mittelpunkt dieses
Buches steht.
Die übrigen sieben Schulen sind eher beschreibend und nicht vorschreibend.
Die Cognitive-School betrachtet, was in einem menschlichen Kopf vor sich geht,
wenn er sich mit einer Strategie beschäftigt. Diese Schule sieht den Prozess als
einen „mentalen“ Prozess an.
Die Entrepreneurial-School beschreibt Strategieplanung als einen visionären
Prozess einer starken Führungspersönlichkeit.
Die „Learning-School“ geht davon aus, dass die Strategie aus einem kollektiven
Lernprozess hervorgeht.
Die „Political-School“ konzentriert sich auf den Konflikt und die Ausbeutung
von Macht im Prozess.
Die „Cultural-School“ betrachtet die kollektive, kooperative Dimension des
Prozesses.
Dagegen sieht die „Environmental-School“ die Strategiefindung als eine passive Antwort auf externe Kräfte.
Die „Configurational-School“ versucht alle anderen Schulen in den Kontext
verschiedener Episoden innerhalb des Prozesses zu packen.
Es gibt also eine große Vielfalt von unterschiedlichen Methoden, eine Strategie zu planen. Während sich Mintzberg sehr stark auf die Planungsmethoden und
Schulen für Unternehmensstrategien konzentriert hat, gibt es natürlich auch militärische Planungsmodelle. Dazu gehören unter vielen anderen die militärischen
Funktionen der Strategieplanung nach Peacock (1984) und Sun Tzu‘s umfassendes
Strategiemodell. Dieses über 2000 Jahre alte, militärische Modell ist in der Kom0OLITISCHE3TRATEGIEN
bination mit den Planungsmethoden „SWOT“ oder „Konzeptionelles Planen“ heute
wichtige Grundlage auch für politische Strategieplanungsprozesse.
Während sich zum Beispiel SWOT hauptsächlich auf die Situationsbewertung
und die Formulierung der Strategien beschränkt, geht das „Konzeptionelle Planen”
weiter in der Evaluierung der Strategien und vor allem in der Implementierung und
kommt danach mit Hilfe von Taktikplanung zu Zeit- und Maßnahmenplänen. Beim
„Konzeptionellen Planen” wird ein besonderes Gewicht auf die Implementierung
über die Planung von Öffentlichkeitsarbeit gelegt. Dadurch ist diese Methode besonders für gesellschaftliche politische Prozesse geeignet. Wie bei Sun Tzu‘s Modell
legt das „Konzeptionelle Planen” starken Wert auf die Evaluierung der Strategien,
die Implementierung der Strategien und das strategische Controlling.
Strategieauftrag
Situationsanalyse
Strategieformulierung
Strategiecontrolling
Strategieimplementierung
Ablauf einer Strategieplanung
4.1
Der methodische Ansatz: militärisch, marktorientiert, politisch
Im folgenden soll ein Überblick gegeben werden, über die teilweise unterschiedlichen – anderseits aber auch ähnlichen – Ansätze von Strategieplanungen, die im
militärischen, im unternehmerisch-marktorientierten und im politischen Bereich
angewandt werden. Diese Ansätze überschneiden sich nicht nur in der Methodik
der Erarbeitung, sondern sind manchmal auch Bestandteile der jeweils anderen
Strategie. So kann – oder sollte – eine militärische Strategie immer ein Teil einer
0OLITISCHE3TRATEGIEN
politischen Strategie sein. Der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln13
aber auch umgekehrt. Und eine politische Strategie ist immer auch eine MarktStrategie oder weist zumindest Marktorientierung auf, wenn man an Wahlkämpfe
denkt. Das bedeutet, dass es schwerfällt, scharfe Abgrenzungen vorzunehmen.
4.2
Militärische Modelle
Um eine bessere Würdigung der Anwendung militärischer Strategien auf andere
Strategien zu erreichen, ist es notwendig, einige grundsätzliche Kenntnisse über die
Konzepte und Prinzipien des Krieges zu haben. Das soll versucht werden durch die
Herstellung von Beziehungen zu den Werken von Admiral J.C. Wylie14 und Colonel
William E. Peacock15. Diese Werke wurden denen von Clausewitz vorgezogen, weil
sie mehr die heutige Denkweise umfassen.
Peacock hat in Vietnam und Okinawa gedient und im Pentagon. Damit hat er
sowohl die Planungsseite der Strategie wie auch ihre Implementierung unmittelbar miterlebt. Bei der Diskussion der Werke dieser beiden Autoren, werden auch
relevante Teile aus Sun Tzus „Kunst des Krieges“ berücksichtigt, um die Bedeutung
seiner Philosophie auf den heutigen militärischen Kontext zu zeigen.
Das erste Ziel eines Strategieplaners bei der Kriegsführung ist laut Wylie, dass
er in einem ausgewählten Umfang Kontrolle über den Feind hat. Diese Kontrolle
geschieht durch ein ausgedachtes Muster des Krieges in der Art, dass der Schwerpunkt des Krieges sich zugunsten des Planers der Strategie und zu Ungunsten des
Feindes bewegt. Der Schwerpunkt des Krieges entscheidet den Ausgang des Krieges.
Deswegen ist die Veränderung des Schwerpunktes des Krieges zugunsten der eigenen Seite eine zentrale strategische Aufgabe. Das hängt von vier Faktoren ab. Die
Faktoren sind: Die Natur, der Ort und das Timing des Krieges sowie das Gewicht
des Schwerpunkts des Krieges.
4.2.1 Die Natur des Krieges
Die Natur des Krieges hat sich ständig bedeutend verändert. So wie bei der Versenkung der spanischen Armada eine neue strategische Entwicklung, nämlich die
genau schießende Kanone mit hoher Durchschlagskraft, eine völlige Veränderung
13
14
15
v. Clausewitz: Vom Kriege, 19. Auflage, Ferd. Dümmler Verlag Bonn, S. 200
Wylie, J.C. (1967) Military Strategy: A General Theory of Power Control. Rutgers University Press
USA
Peacock, W.E. (1984) Corporate Combat. Maple Vail: London
0OLITISCHE3TRATEGIEN
des Seeschlacht mit sich brachte16, sind durch wissenschaftliche Entwicklungen
dem Weg, wie man eine Schlacht führt, neue Dimensionen hinzugefügt worden.
Das hat in der Neuzeit zu zwei neuen Kategorien von kriegerischen Konflikten
geführt, dem Luftkampf (das schließt Nuclearwaffen und Sternenkriege ein) und
dem Guerillakampf17, um die die traditionellen Klassen des Krieges, zu See und zu
Land ergänzt wurden.
Eine ganz neue Diskussion über die Veränderung in der Kriegsführung wurde
durch den Anschlag auf das World Trade Center in New York in 2001 ausgelöst.
Das von der amerikanischen Regierung in Umlauf gebrachte Schlagwort vom „Krieg
gegen den Terror“ ist mittlerweile wieder aus dem Verkehr gezogen worden.18, 19 Die
Strategien, die sich mit dem Abwehrkampf gegen terroristische Angriffe beschäftigen, sind verschwommen, unklar und wenig erfolgreich. Das besonders deswegen, weil die Strategie des Terrors keine militärische Strategie ist, die nach Raum
greift, sondern eine Kommunikationsstrategie, die das Denken beeinflussen soll.
Diese Kommunikationsstrategie wird allerdings von den USA und ihren Partnern
mit militärischen Strategien angegriffen. Das Risiko des Scheiterns der militärischen
Strategie ist damit offenkundig und sollte durch eine Kommunikationsstrategie
zumindest ergänzt, wenn nicht sogar ersetzt werden.
Die Grundzüge der vier Typen von Kriegsführung (Land-, See-, Luft- und Guerillakrieg) sind sich bis auf den Guerillakampf sehr ähnlich. Der Unterschied zwischen klassischer Kriegführung und Guerillakampf wird deutlich, wenn man die
Kriegsdefinitionen von v. Clausewitz und Mao Tse-tung miteinander vergleicht.
Nach von Clausewitz ist der „Krieg ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Mao dagegen definiert den Krieg wie folgt:
„Die Wurzel allen Kriegdenkens ist der Grundgedanke, sich selbst zu erhalten und
den Feind zu vernichten.“ Nach von Clausewitz darf der Gegner nicht vernichtet,
sondern nur besiegt werden, weil man einem vernichteten Gegner seinen Willen
nicht mehr aufzwingen kann.
Im klassischen Seekampf ist die Einrichtung und Nutzung der Kontrolle von
Seerouten und Meeresengen oft entscheidend für die Errichtung von Macht zu
16
17
18
19
John Knox Laughton, The Defeat of the Spanish Armada 1588. State Papers, Suffolk 1987
Mao Tse-tung Theorie des Guerilla-Krieges, rororo 886, Reinbek
Richard Jackson: Writing the War on Terrorism. Language, Politics and Counter-Terrorism. Manchester United Press, Manchester/New York 2005, ISBN 0-7190-7121-6
Markus Kotzur: „Krieg gegen den Terrorismus“ – politische Rhetorik oder neue Konturen des
„Kriegsbegriffs“ im Völkerrecht? In: Archiv des Völkerrechts (AVR). 40. Bd., 2002, S. 454-479.
Andrian Kreye: Bushs Kriegsrhetorik hat ausgedient. Süddeutsche Zeitung, 1. April 2009
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Lande und in der Luft. Aus diesen Gründen werden große Flotten im Atlantik und
im Pazifik unterhalten. Die Überwachung und Kontrolle von Seerouten ist auch
wichtig für den Schutz und die Bewegung von Nachschub und Truppen und zwar
sowohl in Friedens- wie auch in Kriegszeiten.
Ähnlich ist die Luftkontrolle bedeutsam für die Landüberwachung. Es gibt keinen anderen praktischen Weg, den Feind davon abzuhalten, die eigenen Streitkräfte
anzugreifen, als die Zerstörung der Luftstreitkräfte, bevor diese zuschlagen können.
Die Lufthoheit zu haben, bedeutet in der Position zu sein, den Feind vom Fliegen
abzuhalten, während man gleichzeitig die Möglichkeit zum Fliegen hat. Sogar das
Konzept des Sternenkriegsprogramms der USA war darauf ausgerichtet, im Weltraum dominant zu sein, um strategische Vorteile auf dem Boden zu haben.
Im Bodenkampf diktiert das Gelände den Typ der Schlacht, die geschlagen werden kann, die Typen der Waffen, die benutzt werden können, die Truppentypen und
die Art des Aufmarsches. Heute sind mehr und mehr Waffensysteme für Bodengefechte entwickelt worden. Einige von ihnen helfen dabei, die Beschränkungen
des Geländes zu überwinden. Im Endeffekt jedoch muss man sich, um das Ziel zu
erreichen, mit dem Feind auseinandersetzen, ohne Rücksicht darauf, wer und wo
er ist.
Im Guerrilla-Krieg ist das Gewinnen einer Entscheidungsschlacht nicht das
unmittelbare Ziel, denn eine solche Entscheidungsschlacht würde immer verloren. Es geht vielmehr um die Möglichkeit mit kleinen unabhängigen Einheiten den
feindlichen Truppen die schwersten Schäden zuzufügen und die Moral des Feindes
zu dämpfen. Solche Strategien sind hilfreich, wenn der Feind eine größere Streitmacht hat und das ausgesuchte Gelände es erlaubt, solch einen Kampf zu führen.
Der chinesisch-japanische Krieg unter Mao Tse-tung war der Beginn dieses Typs,
der Vietnamkrieg war die konsequente Anwendung eines Guerillakampfes mit hoher Effektivität.
Nach der klassischen Definition von Guerilla handelt es sich um Kampfhandlungen, die in einem vom Feind besetzten Gebiet von Bewaffneten durchgeführt
werden, die nicht zu einer organisierten Armee gehören. Sie kämpfen verstreut in
beweglichen Einheiten und bevorzugen die Methoden des Überraschungsangriffs,
des Hinterhalts und der Sabotage.20
20
Brockhaus, 19.Auflage
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wie nahe militärische und politische Strategien beisammenliegen, zeigt der
Guerrillakampf. Dieses Instrument wurde vielfältig zur Erreichung politischer Ziele,
wie der Entkolonialisierung und dem Klassenkampf angewandt. Mao Tse Tung und
Che Guevara21 nutzten den Guerilla-Krieg in den ländlichen Gebieten als Instrument zur Befreiung von kolonialistischen und neokolonialistischen Regimen. Die
Stadt-Guerilla wurde zuerst in Uruguay (Tupamaros22, 23) eingesetzt, um die Industriegesellschaften in ihren Metropolen zu schwächen.
4.2.2 Der Ort des Krieges
Sun Tzus „Prinzipien zur Auswahl des Schlachtfeldes“24 besagen, dass eine Schlüsselkomponente für den Sieg ist, dass sichergestellt wird, dass das Schlachtfeld der
eigenen Armee mehr Vorteile bringt als dem Gegner. Das enthält zwei Elemente die Notwendigkeit spezielle Vorteile zu schaffen, wie zum Beispiel die Besetzung
der Schlüsselpunkte und – die Notwendigkeit Schlachtfelder auszusuchen, die vom
Feind vernachlässigt werden.
Im Vietnamkrieg griffen die Vietcong die amerikanischen Truppen selten im
offenen Gelände an. Durch Sabotage und kleine Überfälle zwangen sie vielmehr
die amerikanischen Truppen ihnen in den Dschungel zu folgen. Das Ergebnis war,
dass die amerikanischen Truppen in den Hinterhalt liefen und übertölpelt wurden
und so schwere Verluste hinnehmen mussten. Dadurch, dass die amerikanischen
Truppen in die Dschungelkämpfe gelockt wurden, griffen die Vietcong sie auf vertrautem Boden an und waren so in der Lage, entscheidende Siege zu sammeln.
Diese wurden errungen, obwohl sie unterlegene Waffen hatten.
4.2.3 Das Timing des Krieges
Das Timing des Krieges bezieht sich auf die Entscheidung, wann welche Ereignisse
stattfinden sollen. Die Bedeutung des Timings kann nicht besser als in Kriegssituationen verdeutlicht werden, besonders dann, wenn es um Leben und Tod geht. Die
Wichtigkeit und Bedeutung dieses Elements wird bewiesen durch die Tatsache, dass
Uhrenvergleich eine Muss-Übung in jeder militärischen Einweisung ist, bevor ein
Schlachtplan ausgeführt wird. Jede Bewegung, jeder Aufmarsch von Truppen und
21
22
23
24
Lehrmeister des kleinen Krieges. Von Clausewitz bis Mao tse Tung und Che Guevara, hg. v. W.
Hahlberg 1968
Der Name leitet sich von dem peruanischen Rebellenführer Túpac Amaru II. (1738–1781) ab.
Labrousse, Alain: Die Tupamaros: Stadtguerilla in Uruguay. München: Hanser 1971. ISBN 3-44611419-X
Für den politischen Bereich siehe Kapitel 13.4.1.3 Charakteristika der Schlachtfelder
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Waffen muss gut geplant sein und entsprechend ausgeführt werden. Bei der Eroberung eines feindlichen Hügels zum Beispiel muss die Luftwaffe wissen, wann sie
die Bombardierung beginnen muss, die Artillerie muss wissen, wann und wie lange
sie mit dem Beschuss fortfahren muss und die Infanterie muss genau den Moment
kennen, mit dem sie beim Ziel ankommen muss und den Hügel erklimmen kann.
Jedes falsche Timing kann das Leben der eigenen Truppen in Gefahr bringen.
Die Elemente „Ort des Kampfes“ und „Timing“ hängen sehr stark von der subjektiven Einschätzung der Schlachtsituation ab, der relativen Stärke der angreifenden Truppen gegenüber den verteidigenden Truppen und vielen anderen Faktoren.
Es wird deutlich, dass solche Entscheidungen abhängig sind von der Fähigkeit und
dem militärischen Spürsinn des Strategie- oder hier des Taktikplaners.
4.2.4 Das Gewicht des Schwerpunktes
Wie schon vorher erwähnt ist der Schwerpunkt – wie bei Wylie ausgedrückt – der
kritische Punkt, der den Ausgang der Schlacht entscheidet. Um das Gewicht des
Schwerpunktes des Krieges zu seinem eigenen Vorteil zu verändern, regt Wylie zwei
Muster der Strategie an, die sequentielle und die kumulative. Sie haben so einen
Synergieeffekt, wenn sie zusammen genutzt werden.
Das sequentielle Muster der Strategie behandelt den Kriegsprozess wie eine
Kette. Jedes Glied ist eine getrennte Aktion, die natürlich wächst und darauf beruht,
was die Aktion erreichte, die vor ihr stattfand. Das kumulative Muster andererseits
sieht den Krieg als eine Sammlung kleinerer Aktionen, die nicht sequentiell abhängig sind. Jede einzelne Aktion ist nur ein Plus oder Minus auf der Anzeigetafel
der Kriegführung, die sich aufsummieren zu einem Ergebnis, das über Sieg oder
Niederlage entscheidet.
Ein häufiger Fehler ist es zu glauben, dass der einzige Zweck Krieg zu führen
derjenige ist, den Feind zu vernichten. Dieses Missverständnis entsteht, weil der
Krieg mit einer Schlacht verwechselt wird. Krieg ist ein militärischer Konflikt, an
dem zwei oder mehr Länder beteiligt sind, während Schlachten die aktuellen bewaffneten Kämpfe sind, bei denen militärische Kräfte aufeinandertreffen. Obwohl es
viele Schlachten in einem Krieg gibt, garantiert dennoch der Gewinn aller Schlachten noch nicht den Gewinn des Krieges. Sieg in einem Krieg sollte die adäquate
und angemessene Kontrolle über den Feind sein, um sicherzustellen, dass der Feind
seinen Status als angesehenes Mitglied der Weltgesellschaft wiedererlangt. Ist das
nicht das Ziel, so ist damit auch kein endgültiger Sieg verbunden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Das Beispiel des Golfkrieges I und die sich daran anschließenden Sanktionen
gegen den Irak haben gezeigt, wohin ein solches Handeln führt. Diese Sanktionen
wurden zur Bestrafung Iraks eingesetzt und nicht zur Wiederherstellung des Ansehens Iraks als Mitglied der Weltgesellschaft. Deshalb bleibt der Irak auch solange
immer wieder ein Kriegsgefahrenpunkt, solange nicht die Statusfrage für den Irak
positiv beantwortet ist. Das hat der Ausbruch des Golfkrieges II in 2003 eindeutig
bewiesen.
Eine ähnliche Situation kann es auch bei Wahlkämpfen geben. Wenn es gelingt, dass eine Partei die Aktivitäten der anderen vollständig steuern kann und
sich die konkurrierende Partei bei Themen und Aktionen steuern lässt, so ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass damit auch der Wahlsieg errungen wird.
4.3
Unternehmensplanungsmodelle
Geringer werdende Wachstumsraten, stagnierende Märkte und zunehmende harte
Konkurrenz führen für Unternehmen zu existenzbedrohenden Zuständen. Das für die
Existenzsicherung erforderliche Wachstum ist nicht mehr allein durch Steigerung
der quantitativen Größen zu erreichen. Das hat Folgen für die Unternehmenssteuerung und vor allem für die Unternehmensplanung.
Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen Notwendigkeit zu anderen Vorgehensweisen in der Führung von Unternehmen gewinnt die Strategie in der Form der strategischen Unternehmensführung
mit ihren Wirkungszusammenhängen allergrößte Bedeutung. Die Strategie schafft
durch ihre übergeordnete Grundeinstellung und überzeugende Leitidee zusätzlich
zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen auch die Mobilisierung von Mitarbeitern
und den Zwang zur beharrlichen Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel.
Unternehmensplanung ist das vorausschauende und systematische Durchdenken und Formulieren von Verhaltensweisen, Zielen und Handlungsalternativen, deren optimale Auswahl sowie die Festlegung von Anweisungen zu ihrer rationellen
Realisierung.25
Produkt- und Marktstrategien folgen den klassischen Regeln der strategischen
Planung. Ein überzeugendes Beispiel dafür ist die Entwicklung der Weltmarktstrategien durch die Japaner, die sich in fast allen Punkten an den Grundüberlegungen
von Sun Tzu orientierten.
25
Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4.4
Politische Planungsmodelle
Im politische Planungsprozess werden vorwiegend zwei Modelle verwandt. Das
eine ist das Planungsmodell nach SWOT, das andere das „Konzeptionelle Planen”.
Das SWOT-Modell wird auf den folgenden Seiten kurz im Überblick dargestellt.
Das „Konzeptionelle Planen” wird ab Kapitel 5 umfangreich und mit all seinen Facetten vorgestellt.
4.4.1 Der strategische Planungsprozess bei SWOT
Nach SWOT arbeitet gute Strategieplanung in zwei Bereichen. Im ersten Bereich
zeichnet der Strategieplaner ein klares Bild davon, wohin es gehen soll (Vision)
und was die Absicht und die Begründung für die Existenz der Organisation ist
(Auftragsdefinition oder Mission Statement). Ausgehend von der Vision und dem
Auftrag, entwickelt der Strategieplaner Ziele, die messbare Endresultate sind und
die davon zeugen, ob sich die Organisation der Vision oder dem Hauptziel nähert
oder entfernt. Die Strategien müssen hier definieren, was die erwarteten Schlüsselergebnisbereiche (Key result areas) sind, auf die alle Anstrengungen gerichtet
werden und welche spezifischen Leistungsindikatoren überwacht und bewertet
werden können.
Im zweiten Bereich versucht der Strategieplaner, die Organisation auf der Basis
der Realitäten des Umfeldes, in dem sie arbeitet, zu verankern. Da gibt es zwei Umgebungen: Das externe Umfeld, das das Gebiet ist, in dem andere die Organisation
beeinflussen oder durch die Organisation beeinflusst werden. Und da ist das interne Umfeld, das zusammengesetzt ist aus den Ressourcen, der Kraft, den Möglichkeiten und den Zwängen der eigenen Organisation. Der Strategieplaner muss fähig
sein, die Möglichkeiten und Bedrohungen im externen Umfeld im Verhältnis zu der
Vision, zum Auftrag und den Zielen zu erkennen und zu bewerten. Der Strategieplaner muss außerdem die Stärken und Schwächen der Organisation im Verhältnis
zur Vision, zum Auftrag und zu den Zielen herausstellen können.
4.4.2 Vision, Auftrag, Ziele, Schlüsselbereiche und Leistungsindikatoren
Eine Vision ist ein Idealzustand oder eine Idealbedingung, die eine Organisation
erreichen will. Allerdings sollte sie nicht zu idealisiert sein, um nicht völlig den
Bezug zur Realität zu verlieren. Eine Vision ist ein Endszenario, das erreicht werden kann, nachdem einige aufeinander folgende Schritte von Zwischen-Szenarien
durchlaufen sind. Dabei ist es notwendig, das Szenario in strahlenden und lebhaften
Begriffen zu beschreiben und zu zeichnen, um Motivation für diesen Zustand bei
0OLITISCHE3TRATEGIEN
den Beteiligten auszulösen. Eine Beispielsvision für ein Entwicklungsprojekt kann
folgendermaßen klingen:
„Das Dorf X ist eine Gemeinschaft, die fähig ist, sich um ihre Basisbedürfnisse
selbst zu kümmern, die notwendigen Ressourcen für eine ökologisch ausgeglichene
und nachhaltige Entwicklung einzusetzen und in Frieden, Glück und Gerechtigkeit
lebt.“
Eine Auftragsdefinition (Mission-Statement) ist die Hauptstoßrichtung einer
Organisation, die an der Vision festgemacht ist. Sie ist die ursprüngliche Motivation der Organisation, der eigentliche Grund für die Existenz. Sie muss breit genug
angelegt sein, um jeden in der Organisation zu inspirieren, aber eng genug, sich
auf den Einsatz zu konzentrieren.
Eine einfache Auftragsdefinition für eine Nichtregierungsorganisation könnte
folgendermaßen lauten: „Die Lebensqualität der Armen in ... ist zu verbessern.“
Ziele sind messbare Endresultate, die aus der Auftragsdefinition abgeleitet
werden. Sie könnten zum Beispiel lauten:
1. Das Einkommen der Menschen ist von einem Stand unter dem Existenzminimum
zu einer Höhe angehoben, die es ihnen ermöglicht, für ihre Grundbedürfnisse
selbst zu sorgen.
2. Gute Gesundheitspflege für alle ist eingerichtet.
Die Ziele sollten in Schlüsselbereiche (Key Result Areas[KRA]) übertragen
werden. Für das Ziel 1 könnte der Schlüsselerfolgsbereich die Möglichkeit der
Gemeinschaft sein, genügend Geld zu verdienen und Zugang zu ausreichenden
externen Ressourcen zu haben, um die Grundbedürfnisse in den Bereichen
Nahrungsmittel, Wohnung, Bildung, Kleidung, Wasser, Energie usw. zu befriedigen. Spezifische Leistungsindikatoren sollten aus dem Schlüsselerfolgsbereich
kommen. Ein quantifizierter Einkommenslevel muss als Fixpunkt gesetzt werden, der aus dem Warenkorb entwickelt wird, der gerade noch ein anständiges
menschliches Leben sicherstellt.
Ziel 2 sollte den Schlüsselerfolgsbereich in der guten Gesundheit haben, die
durch spezifische Gesundheitsergebnisse gemessen werden (wie Lebenserwartung, Sterberate, Krankheitsrate, Verhältnis von Alter und Gewicht, Kindersterblichkeit und Arbeitsschutz), die als Leistungsindikatoren dienen können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
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SWOT-Planung
4.4.3 Faktoren der Umfeldanalyse
Die Umfeldbeurteilung und -analyse sollte vier Hauptbereiche von Interesse berücksichtigen. Das sind die sozialen, die politischen, die ökonomischen und die
ökologischen Faktoren.
Soziale Faktoren schließen demographische Entwicklungen der Gesellschaft
ein, unter besonderer Berücksichtigung der Alterspyramide, der Sterblichkeit und
geschlechtlicher Parameter. Hier werden Daten erhoben über den Stand der Erziehung und der Abschlussniveaus der Bevölkerung, ihrer Gesundheit und dem Zustand der physischen und psychischen Sicherheit. Soziale Faktoren bringen notwendigerweise eine Berücksichtigung von religiösen Werten wie auch kulturellen
Sitten und Gebräuchen mit sich. Sie berücksichtigen die Struktur der Gesellschaft,
die Verhältnisse und Interaktionen der gesellschaftlichen Gruppen untereinander
und die Pickordnung der gesellschaftlichen Hierarchie.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Politische Faktoren haben mit Machtstrukturen und Kräften zu tun, die das interne Regierungsumfeld beeinflussen und ihre internationalen Verbindungen. Die
Strukturen und Kräfte schließen die existierende Regierungsmachtelite und deren
Gegner, religiöse Sekten, Anarchisten, Wirtschaftsmagnate, Aktivisten, Reaktionäre,
das Militär, Revolutionäre, Vermieter, Bauern, Manager, Gewerkschaften, die Wähler
usw. ein. Diese Faktoren weben ein Netz von Protagonisten und Antagonisten, ein
Muster von Zusammenarbeit und Konflikten26. Sie sind begründet auf bestimmten
verfassungsmäßigen oder rechtlichen Rahmen, dem einige folgen, den aber andere
zerstören wollen. Sie haben mit der Kontrolle und dem Management der vitalen
Ressourcen, inklusive Menschen, Natur und Geld zu tun. Politische Kräfte versuchen
außerdem, verstärkt Ressourcen von außerhalb des Umfeldes anzuziehen, während
sie gleichzeitig versuchen, destruktive Elemente von ihren Grenzen fernzuhalten.
Ökonomische Faktoren beziehen sich auf alle produktiven Kräfte, die durch Kapital, Land und Arbeit sowohl in den formalen Sektoren, wie auch im informellen
Sektor der Wirtschaft aktiv sind. Investitionen in unterschiedlichen Formen mit den
dazugehörigen Quellen legen den Grundstein für die Schaffung von wirtschaftlichem
Reichtum und dessen Verteilung. Sie werden gestaltet durch Anwendung von Technologien, Managementwissen, Qualifikation, realisierte Gewinne, Konsummuster,
Investitionsniveau, Kapitalbeschaffung und Produktivität. Ökonomische Faktoren
entscheiden über die Lebensqualität der Bürger, die im Umfeld leben.
Ökologische Faktoren beschreiben, wie verschiedene Teile des Ökosystems
oder das ökologische Umfeld sich gegenseitig beeinflussen. Sie untersuchen, wie
diese Teile aufbauend oder zerstörend wirken. Sie entscheiden über die Fähigkeit
der kontinuierlichen Entwicklung und dem Wohlbefinden der darin lebenden Bewohner, egal ob es nun Menschen, Tiere oder Pflanzen sind. Ökologische Faktoren
definieren die Lebensqualität, die von der Umwelt produziert wird, abhängig von
der Produktivität oder von Naturschutzprogrammen. Ökologische Faktoren diktieren die Bedingungen von natürlichen Ressourcen und den Grad der Nutzung und
Ausbeutung von diesen. Sie begründen das Niveau der Verschmutzung, die durch
ökonomische und gesellschaftliche Aktivitäten ausgelöst werden.
Die gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und ökologischen Faktoren
sind die Parameter, durch die die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Leistungsfähigkeit des Umfeldes bewertet werden kann. Diese Faktoren können von
unterschiedlichen Perspektiven, die von den eigenen Einstellungen und Überzeugungen abhängen, gesehen werden.
26
Siehe auch das Kapitel 16.9. Bestimmung der Wertehaltungsnähe von Zielgruppen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4.4.4 Interne Beurteilung (Einschätzung)
Bei der internen Beurteilung eines Entwicklungsauftrags ist die erste Aufgabe, die
Leistung angesichts des gegebenen oder angenommen Mandats (Vision, Auftrag,
Ziele) zu bestimmen. Das Mandat muss jedoch in ergebnisorientierte Leistungsindikatoren übertragen worden sein, die die Wirkung der Organisation auf den
geplanten Empfänger definiert. Für eine ergebnisorientierte Leistung ist es nicht
wichtig, wie gut die Organisation bei der Ablieferung irgendwelcher Dienste ist.
Wenn die abgelieferten Dienste nicht zu fühlbaren, messbaren Ergebnissen oder
Vorteilen führen, sind sie nutzlose Dienstleistungen.
Die erste Aufgabe ist es deswegen, sich auf die Gegenüberstellung der aktuellen
zu den geplanten Ergebnissen zu konzentrieren.
Die zweite Aufgabe ist es, die Fähigkeiten der Menschen in der Organisation
zur Ausführung der Strategie zu messen. Eine Organisation kann sich entschlossen haben, bessere Ergebnisse zu bringen, aber die Menschen in der Organisation
können diesem wegen des Mangels an Kompetenz nicht folgen.
Die dritte Aufgabe ist es zu überprüfen, ob genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um die in der Strategie niedergelegten organisatorischen Ziele zu
erreichen. Die Strategien können gut sein und die Menschen können kompetent
sein, aber die Organisation stellt nicht das Geld an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit zur Verfügung.
Die vierte Aufgabe ist, das System, die Abläufe und Prozeduren, die in der Organisation üblich sind, unter dem Aspekt zu bewerten, wie die Strategie zu implementieren ist und die Ziele zu erreichen sind. Das System für Planung, Organisation, Personal, Führung, Controlling, Monitoring und Incentives könnte aktuell
dabei sein, etwas anderes zu tun, als die Erfüllung der Strategie und die Erreichung
der Ziele.
Eine fünfte Aufgabe ist es, die verschiedenen operativen Funktionen der Organisation, ihrer verschiedenen Programme und Projekte und die unterstützenden
Dienstleistungen daraufhin zu prüfen, dass sie die Strategien unterstützen und
die gewünschten Ziele im Auge haben. Werden die Funktionen, Programme und
Dienstleistungen effizient, schnell und wirksam ausgeführt?
Sechstens gibt es die Notwendigkeit einzelne Manager und Teams daraufhin
zu überprüfen, ob ihr Managementstil, das Verhalten, das Wertesystem, die Bezie0OLITISCHE3TRATEGIEN
hungen, die Ethik, der Zusammenhalt, die Kundenorientierung und die Leistung zu
den ergebnisorientierten Kriterien passt.
Siebentens müssen die Einrichtungen der Organisation, das Umfeld und die
Arbeitsbedingungen daraufhin untersucht werden, ob sie den organisatorischen
Ansprüchen genügen und zu guter Leistung führen.
Achtens müssen die externen Beziehungen der Organisation, die Kommunikation, die Verbindungen, Netzwerke und Allianzen daraufhin studiert werden, welche
Rolle sie für die Effektivität der Organisation spielen.
Neuntens müssen die Topmanager und Führer in ihrer Fähigkeit, aus den Mitarbeitern Unterstützung und Leistung zu locken, in ihrer Entscheidungsfähigkeit,
in ihren Politiken, ihren Anweisungen und ihren allgemeinen Effekt in der Organisation, bewertet werden.
Zehntens muss eine Überprüfung dahingehend erfolgen, ob es eine Konsistenz
der angewandten Strategien, der Strukturen, der Systeme und der angewandten
Ressourcen und Personal in der Organisation gibt angesichts der Vision, des Auftrags
und der Ziele. Drei Managementprozesse müssen herausgestellt werden.
1. Ist der Motivations- und Bewertungsprozess für das Personal ermutigend, die
Strategien und Aufgaben leisten zu wollen?
2. Ermöglichen die Organisationsstruktur, das System und die Ressourcen der
Planung, die Entscheidungsfindung und die Implementierung die Erfüllung der
Strategien und Aufgaben?
3. Sorgen die Organisationsstruktur, das System und die Ressourcen für die richtige
Führung, die Auswahl der richtigen Leute, die Verbesserung der Beziehungen
und die Unterstützung der Mitarbeiter?
4.4.5 SWOT Analyse
Nachdem man durch die Bereiche Visionsbildung/Zielbildung und Umfeldanalyse
gegangen ist, muss die Organisation dazu kommen, strategische Optionen oder alternative Wege zu entwickeln, um das Endziel zu erreichen. Die Nebenein- anderstellung von Stärken und Schwächen der Organisation mit den Möglichkeiten und
Bedrohungen aus der Umwelt kann dazu dienen, diese Optionen zu entwickeln. Das
nennt sich SWOT-Analyse, bei der vier Kombinationen gemacht werden können:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1. Stärken-Möglichkeiten-Strategien: Stelle die Frage: Wie können die Stärken
genutzt werden, um Vorteile aus den Entwicklungsmöglichkeiten zu ziehen?
2. Stärken-Bedrohungen-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Stärken genutzt
werden, um gegen Bedrohungen zu wirken, die einen sonst bei der Erreichung
der Ziele und bei der Verfolgung der Möglichkeiten behindern könnten?
3. Schwächen-Möglichkeiten-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Schwächen überwunden werden, um Vorteile aus den Entwicklungsmöglichkeiten zu
ziehen?
4. Schwächen-Bedrohungen-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Schwächen
überwunden werden, um gegen Bedrohungen zu wirken, die das Erreichen von
Zielen und die Verfolgung von Möglichkeiten behindern könnten?
4.4.6 Auswahl der Strategie und Implementierung
Die strategischen Optionen werden dann entsprechend den von der Organisation
aufgestellten Kriterien evaluiert, die ein Ausfluss aus der Vision, dem Auftrag, den
Zielen, den Schlüsselfeldern und den Leistungsindikatoren sind. Eine Entscheidung
muss getroffen werden. Die getroffene Entscheidung ist der Kritik durch die Fragestellung zu unterziehen, was kann schiefgehen, um auf unvorhergesehene Ereignisse vorbereitet zu sein oder die Entscheidung zu ändern.
Nachdem die strategische Auswahl getroffen wurde und das Unvorhersehbare
geplant wurde, gibt es die Notwendigkeit, die Strategie zu übertragen in eine angemessene Organisationsstruktur, ein System und Prozeduren zur Implementierung.
Aktivitäten werden in bestimmten Zeitrahmen aufgelistet und Aufgaben werden
auf spezifische Gruppen übertragen oder auf Einzelne mit einer klaren Zeitvorgabe
für eine Leistungserwartung. Die Strategie muss überwacht und evaluiert werden
entsprechend den Leistungsindikatoren und den Schlüsselfeldern, die wegen der
Kontrolle aufgestellt wurden und um Wiederholungen von erfolgreichen Strategien zu ermöglichen.
4.4.7 Die Methode des konzeptionellen Planens
Diese Methode steht im Mittelpunkt dieses Buches und ist im Kapitel 5 ff ausführlich dargelegt, weil sie aus der Sicht des Autors die nötige Stringenz aber auch
die nötige Flexibilität aufweist, mit der strategisches Planen auf gesellschaftliche
Veränderungen reagieren muss. Die Methode sorgt dafür, dass Änderungen an der
geplanten Strategie nur nach Überschreiten von Schwellenwerten vorgenommen
werden. Das führt zur Ruhe und vermeidet hektische und damit auch überemotionale
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Reaktionen. Zum anderen nimmt das konzeptionelle Planen die Umfeldfaktoren als
veränderbare Größe, weil es ja gerade des Ziel politischer Strategien ist, das Umfeld
– die Gesellschaft genauso wie den gesetzlichen Rahmen – zu verändern.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
+ONZEPTIONELLES0LANEN27
5.1
Die Planungsschritte
Das konzeptionelle Planen besteht aus zehn Schritten, die zu durchlaufen sind.
Diese Schritte teilen sich auf in drei Phasen. Das sind die Phasen:
1. Auftrag und Situationsanalyse
2. Strategische Entscheidungen
3. Implementierung der Strategie.
In den zehn Schritten müssen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:
1. Was soll überhaupt geplant werden und mit welchem strategischen Ziel?
(Der Auftrag)
2. Wie ist die Situation zu bewerten, aus der heraus der Auftrag durchgeführt
werden soll? (Die Situationsanalyse und -bewertung)
3. Welche strategischen Entscheidungen müssen getroffen werden, um in
der gegebenen Situation den Auftrag erfolgreich durchführen zu können?
(Formulierung von Teilstrategien)
4. Welche taktischen Teilziele müssen erreicht werden, um den Auftrag durchzuführen? (Die Zielformulierung)
5. Was soll das interne und externe Umfeld von uns denken? (Das Zielimage)
6. Welche Gruppen (intern und extern) sind für die Erreichung unserer taktischen
Teilziele wichtig und welche Gruppen entwickeln aufgrund des Zielimages
ein spezifisches Interesse an uns? (Die Zielgruppen)
7. Welche spezifischen Imagefaktoren sind für definierte Zielgruppen wichtig?
(Zielgruppen-Botschaft)
8. Wie erreichen wir unsere Ziele bei unseren Zielgruppen? (Hauptinstrumente)
9. Wie überführen wir die Strategie in die Taktikplanung? (Zeit- und Maßnahmenplanung)
27
Die Methode wurde zunächst von Bruno Kalusche am damaligen Sitz des Instituts für Kommunikationsforschung e.V. in Wuppertal entwickelt. Sie ist seit 1978 vom Autor weiterentwickelt
worden, der das Institut für Kommunikationsforschung e.V. 1987 übernommen hat..
0OLITISCHE3TRATEGIEN
WelcheKontrollinstrumente
Kontrollinstrumentebenutzen
benutzenwir
wirfür
fürdie
dieÜberwachung
Überwachung der Durch10. Welche
führung
der
Strategie
und
für
die
Erfassung
von
Umfelddatenänderungen
führung der Strategie und für die Erfassung
zur
Strategie?
(Strategiecontrolling)
zurAnpassung
Anpassungderder
Strategie?
(Strategiecontrolling)
Mit den Antworten auf diese zehn Fragen werden alle für die Strategie und
die Taktik wichtigen Elemente festgelegt und somit für Maßnahmenpläne der taktischen Einheiten28 vorbereitet.
!
Planungsmethode: Konzeptionelles Planen
5.2
Die Auftragsformulierung
Die Auftragsformulierung dient der Beschreibung dessen, was strategisch geplant
werden soll und muss mindestens drei Elemente umfassen:
1. Das Oberziel, das bedeutet die Beschreibung desjenigen Zustandes, der mit der
strategischen Planung erreicht werden soll.
2. Die Begründung für die Notwendigkeit der Erreichung des Oberziels.
28
Zur Abgrenzung der strategischen von den taktischen Planungsschritten siehe Kapitel 3.2.1.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3. Der Zeitrahmen, in dem das Oberziel erreicht werden soll.
Wie schon im Kapitel 3 verdeutlicht, ist die Begründung für die Erreichung des
Oberziels sehr wichtig. Für von Clausewitz ist der Sieg in einem Krieg zwar das
vordergründige Ziel, dennoch ist das eigentliche Ziel des Krieges und damit die
Begründung für die Erreichung des Oberziels der Frieden, der auf dem eigenen Territorium bei einem Verteidigungskrieg und auf erweitertem Territorium bei einem
Angriffskrieg erreicht wird.
5.3
Die Situationsanalyse und -bewertung
Die Situationsanalyse und -bewertung befasst sich mit der Evaluierung der zu
sammelnden Fakten und Einteilung in Stärken und Schwächen und der Abschätzung der Erfolgschancen zur Erreichung des Auftrages. Dabei werden die eigenen
Fakten, die Fakten der Mitbewerber, wenn es denn solche gibt, und die Fakten des
Umfeldes, in dem der Auftrag erreicht werden soll, berücksichtigt.
5.3.1 Die Faktensammlung29
Bei der Faktensammlung30 werden interne und externe Fakten gesammelt, die für
den Auftrag relevant sind. Interne Fakten sind solche, die die eigene Organisation
betreffen. Externe Fakten sind Fakten, die die Mitbewerber oder die das Umfeld
betreffen, in dem der Auftrag erreicht werden soll.
Die Abgrenzung zwischen internen und externen Fakten ist nicht immer ganz
einfach, muss aber vor Beginn der Faktensammlung eindeutig definiert werden,
weil es sonst immer wieder zu Missverständnissen kommt.
Plant zum Beispiel eine Parteijugendorganisation eine Strategie zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, so stellt sich die Frage, was ist nun „intern“ und
was ist „extern“. Wird die Mutterpartei als „intern“ angesehen, so muss angenommen werden, dass die Jugendorganisation einen entscheidenden Einfluss auf die
Mutterpartei hat. Ist das aber nicht der Fall, so muss auch auf die Mutterpartei
eingewirkt werden, wobei die Reaktion auf die Einwirkung durch die Mutterpartei
bestimmt wird. Das bedeutet dann, dass die Mutterpartei als „externe“ Organisation
eingestuft werden muss.
29
30
Zu den Einzelheiten der Faktensammlung siehe Kapitel 7. Die Faktensammlung
Zur Beschaffung von Fakten siehe auch das Kapitel 20.1. Aufklärung und Informationsbeschaffung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Plant zum Beispiel eine Regierungskoalitionspartei eine Initiative zur Steuersenkung, so stellt sich die Frage, ob die Regierung als „intern“ oder „extern“ eingestuft wird. Die Empfehlung lautet immer, die Regierung als „extern“ einzustufen,
besonders dann, wenn es zwischen den Koalitionsparteien unterschiedliche Auffassungen gibt.
Plant die Partei einen Wahlkampf, so stellt sich die Frage, ob die Vorfeldorganisationen der Partei (Wählerinitiativen, Allianzpartner, Parteijugendorganisation,
Parteifrauenorganisation, usw.) als „intern“ oder „extern“ gewertet werden. Das muss
danach entschieden werden, inwieweit innerhalb der Partei direkten Einfluss auf die
Organisationen unter Umständen auch mit Zwangsmitteln ausgeübt werden kann.
Gibt es eindeutig abhängige Strukturen, dann gelten die Organisationen als „intern“,
wenn nicht, so müssen sie als „extern“ eingestuft werden.
Fakten der Mitbewerber oder Konkurrenten sind solche, die von Organisationen
stammen, die entweder in direkter Konkurrenz zur eigenen Organisation stehen,
wie zum Beispiel die Konkurrenzparteien in einem Wahlkampf, oder es sind die
Gegenspieler, wie unter Umständen die Gewerkschaften bei der Implementierung
von Privatisierungsmaßnahmen. Fakten des Umfeldes sind solche Fakten, die sich
aus der Gesellschaft ergeben, in der man den Auftrag ausführen will.
5.3.2 Stärken- und Schwächenbildung
Sind die Fakten gesammelt, systematisiert und nach Relevanz, Größe, Wichtigkeit
und Dringlichkeit gewichtet, so werden diese Fakten in Verbindung zum Auftrag
gebracht. Dabei wird dann die Frage gestellt, ob das einzelne Faktum förderlich
oder hinderlich für der Erreichung des Auftrages ist.
Hilft ein Tatbestand, so ergibt sich daraus eine Stärke. Ist ein Tatbestand dagegen
hinderlich für der Erreichung des Auftrages, so handelt es sich um eine Schwäche.
Viele gesammelte Fakten werden weder förderlich noch hinderlich sein. Sie sind
dann nur Hintergrundmaterial, das unter Umständen bei der Maßnahmenplanung
eine Rolle spielen kann.
Aus der Art, wie Stärken und Schwächen definiert werden, ergibt sich, dass eine
Stärke des Konkurrenten eine Schwäche für die eigene Organisation ist und dass eine
Schwäche des Konkurrenten eine Stärke für die eigene Organisation sein kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
5.3.3 Analyse der Stärken und Schwächen
Wenn Stärken und Schwächen ermittelt sind, so müssen diese bewertet werden.
Sie können zunächst nach Wichtigkeit sortiert werden und danach muss ermittelt
werden, ob wir auf die Schwächen Einfluss nehmen können, um sie zu beseitigen
oder zu mildern. Auf unsere eigenen Schwächen können wir sicherlich mehr Einfluss nehmen als auf die Stärken unserer Konkurrenten, die ja zu unseren Schwächen geworden sind.
Ob wir die Schwächen unserer Gegner ausnutzen können, hängt davon ab, ob
wir geeignete Instrumente (Themen, Personen, Allianzen) – also Stärken – haben,
um sie anzugreifen.
Bei der Analyse und Evaluierung der Stärken und Schwächen im Vergleich zum
Konkurrenten oder Opponenten sind bei politischen Strategien immer wieder folgende Fragen zu stellen:
1. Welche Themen sind stärker?
2. Wer hat die bessere Führung?
3. Wer hat das bessere „Human Capital“?
4. Wer hat die bessere Disziplin?
5. Wer hat die bessere Motivation?
Bei der Analyse und Evaluierung der Stärken und Schwächen, die sich aus der
Umfeldbetrachtung ergeben, sind folgende Fragen zu stellen:
1. Wer liegt mehr im gesellschaftlichen Trend?
2. Wer hat die aktuellen Themenkompetenzen?
3. Wessen Wertekombinationen decken sich mehr mit denen der Gesellschaft oder
mit denen von Teilgesellschaften?
4. Wer kann die Chancen besser nutzen?
Insgesamt treten drei Typen von Schwächen und drei Typen von Stärken auf.
Dabei handelt es sich um folgende Schwächen:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1. Eigene Schwäche, die uns bei der Auftragserreichung behindern wird.
2. Eine Schwäche, die aus einer Stärke unseres Konkurrenten resultiert und die
uns bei der Auftragserreichung Schwierigkeiten machen wird.
3. Schwächen, die aus dem Umfeld kommen und die uns die Auftragserfüllung
erschweren.
Bei den Stärken handelt es sich um:
1. Eigene Stärken, die uns bei der Auftragserreichung helfen können.
2. Stärken, die sich aus den Schwächen unserer Konkurrenten ergeben und die
wir zur Auftragserfüllung nutzen können.
3. Stärken, die aus dem Umfeld kommen und die uns die Auftragserreichung
erleichtern.
5.3.4 Rückkoppelung zum Auftrag
Nach der Analyse der Stärken und Schwächen stellt sich die Frage, ob denn der
Auftrag in der vorgegebenen Zeit überhaupt erreichbar ist. Zeigt die Analyse der
Stärken und Schwächen, dass es eindeutige strategische Vorteile gibt, dass man sich
des Sieges sicher sein kann, und dass es genügend Verteidigung für die schwachen
Stellen gibt, so erscheint der Auftrag erreichbar. Es schließt sich an diese Situationsbewertung dann die Formulierung von Aufgaben und Strategien an.
Ergibt jedoch die Analyse ein Bild von schwachen Stellen, die nicht verteidigt
werden können, gibt es kaum strategische Vorteile gegenüber den Konkurrenten
oder Opponenten und fehlt die Überzeugung, dass man gewinnen kann, so ist der
Auftrag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreichbar. In einem solchen Fall beginnt die Suche nach einem alternativen Auftrag, unter Absenkung des Oberzieles auf
erreichbare Zielgrößen oder sogar ein Rückzug aus dem politische Feld. Auf jeden
Fall bedarf die Situationsabschätzung immer einer Rückkoppelung zum Auftrag.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Rückkoppelung zum Auftrag verläuft nach dem nachfolgenden Schema:
Situationsabschätzung
Eigene
Fakten
Fakten der
Wettbewerber
Welche Themen sind stärker?
Wer hat die bessere Führung?
Wer hat das bessere Humankapital?
Wer hat die bessere Disziplin?
Wer hat die bessere Motivation?
Wer hat die besseren Ressourcen?
Nein
UmfeldFakten
Wer liegt mehr im gesellschaftlichen
Trend?
Wer hat die aktuelleren Themen?
Wessen Werte decken sich mehr mit
denen der Gesellschaft?
Wer kann die Chancen besser nutzen?
Gibt es strategische Vorteile?
Gibt es Siegessicherheit?
Können die schwachen Stellen
verteidigt werden?
Suche nach alternativem
Auftrag oder Rückzug
Ja
Formulierung der
Teilstrategien
Rückkopplungsschema
5.4
Formulierung von Teilstrategien
Während sich der Schritt der Situationsabschätzung im Wesentlichen mit dem
Ist-Zustand und der Vergangenheit beschäftigt, geht es bei der Teilstrategieformulierung um die Orientierung nach vorne. Nach der Situationsabschätzung ist klar,
dass der formulierte oder ein korrigierter Auftrag ausgeführt werden soll. Daraus
ergeben sich dann die Aufgaben, die durch strategische Entscheidungen gesichert
werden sollen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
5.4.1 Die Aufgabenstellung
Aus der Stärken- und Schwächenanalyse ergeben sich die Aufgaben, die es zu lösen gilt. Die Aufgaben lauten:
1. Zunächst untersuchen wir unsere Schwächen. Zeigen sich bei uns Schwächen,
auf die wir Einfluss haben, so sind diese Schwächen zu beseitigen.
2. Ist eine vollständige Beseitigung der Schwächen nicht möglich, so ist dafür
eine Verteidigung (Kaschieren, Ablenken usw.) aufzubauen.
3. Danach untersuchen wir unsere Stärken. Wenn es Felder mit strategischen
Vorteilen gibt, so sollte damit der Gegner angegriffen werden.
4. Falls der Gegner zwar bestimmte Schwächen aufweist, diese aber nicht mit
unseren Stärken korrespondieren, so müssen entsprechende Stärken bei uns
aufgebaut werden.
Werden die Aufgaben in dieser Reihenfolge gelöst, so ergibt sich die Bedeutung des Angriffs für die Strategie. Man kann nämlich nur gewinnen, wenn man
angreift. Wer sich nur verteidigt, kann vielleicht nicht besiegt werden, aber man
kann auf keinen Fall gewinnen.
Sun Tzu sagt dazu: Unbesiegbarkeit in der Verteidigung hängt von den eigenen
Anstrengungen ab, während die Möglichkeit des Sieges vom Gegner abhängt. Diejenigen, die gut in der Kriegskunst ausgebildet sind, können sich zwar selbst unbesiegbar machen, aber sie können den Feind nicht verletzbar machen. Diejenigen,
die nicht gewinnen können, müssen verteidigen. Diejenigen, die gewinnen können,
müssen angreifen.
5.4.2 Strategieformulierung
Die Strategieformulierung basiert auf folgenden Prinzipien:
Zunächst müssen die Themen ausgewählt werden, mit denen man sich mit dem
Wettbewerber oder Opponenten auseinandersetzen will. Dieses sollten Themen oder
Argumente sein, die einen ausgeprägten Vorteil mit sich bringen oder Themen, die
vom Gegner vernachlässigt worden sind.
Bei der Auswahl der Themen spielt es jedoch eine große Rolle, in welchem Zustand sich das Umfeld befindet, in dem der Auftrag zu erledigen ist. Das heißt, bei
der Auswahl der Themen bestimmt das Umfeld, in dem wir uns bewegen wollen,
0OLITISCHE3TRATEGIEN
die Möglichkeit bestimmte Themen zu nutzen. Wenn das Umfeld an einem Thema nicht interessiert ist, können wir mit diesem Thema unsere Gegner auch nicht
angreifen.
Weiterhin muss versucht werden, relative Überlegenheit zu gewinnen. Das
kann einmal dadurch geschehen, dass man sein Kräfte konzentriert und zu einer
bestimmten Zeit nur ein Thema in den Mittelpunkt aller Angriffe stellt. Das kann
aber auch dadurch geschehen, dass man in den Feldern angreift, die der Gegner
vernachlässigt hat oder dass man den Gegner bei strikter Geheimhaltung des strategischen Plans täuscht, so dass dieser seine Kräfte in einem Feld sammelt, das
überhaupt nicht angegriffen wird, um dann um so effektvoller den eigentlichen
Angriff zu starten.
Auf die Notwendigkeit des Angriffs wurde schon hingewiesen. Aber es genügt
nicht allein anzugreifen, sondern es muss vor allem vorteilhaft gewonnen werden.
Das bedeutet, dass nicht sehr viele kleine Angriffe gestartet werden sollten, die keine
wesentlichen Vorteile bringen, auch wenn man sie gewinnt, sondern man sollte sich
auf entscheidende Kampfthemen vorbereiten, die den Gegner deutlich schwächen
oder ihn mit einem Schlage unbeweglich machen. Es geht hier also nicht um den
Sieg auf zehn oder mehr Nebenkriegsschauplätzen, sondern es geht um den Sieg
auf dem Hauptfeld. Und dieses Hauptfeld wird in der Politik nicht unbedingt von
uns oder dem Gegner bestimmt, sondern oftmals durch die Medien oder durch die
Einstellung der Gesellschaft – also des Umfeldes.
Ist der Sieg aus widrigen Umständen nicht erreichbar, sollten möglichst viele
Nischen besetzt werden, um zumindest partielle Siege zu erreichen. Hier kann unter bestimmten Umständen auch die Guerillastrategie eingesetzt werden, die wir
später noch intensiver beleuchten werden.
Die gesamte Strategieformulierung sollte auch Möglichkeiten enthalten um
zu variieren und damit unberechenbar zu bleiben. Der geplante Zufall muss den
Gegner überraschen und ihn verunsichern.
Ein gutes Beispiel für diese Unberechenbarkeit war die Erschließung des Weltmarktes durch japanische Unternehmen. Die Wettbewerber auf dem Weltmarkt
waren sich nie sicher, wie die Japaner den Markt erschließen wollten. So verkauften
die Japaner ihre Produkte wie Uhren, Stahl und Personenwagen zunächst in Japan,
dann in Entwicklungsländern und dann in Industrieländern. Ein zweiter Weg wurde
beschritten bei High-Tech-Produkten wie Computer und Halbleiter. Hier versorgten
die Japaner zunächst ihren eigenen Markt, dann den Markt der Industrieländer und
0OLITISCHE3TRATEGIEN
danach den der Entwicklungsländer. Aber es gab auch noch einen dritten Weg. In
diesem Fall erschlossen die Japaner zunächst den Markt der Industrieländer, bevor
sie ihren eigenen japanischen Markt erschlossen und erst danach gingen sie in die
Entwicklungsländer.31
5.4.3 Evaluierung der Strategien
Die einzelnen Strategien, die gewählt werden, um die Aufgaben zu erfüllen, müssen
zueinander passen und sie müssen als einzelne Strategie und als Gesamtstrategie zusammenpassen. Deshalb ist nach der Formulierung der Einzelstrategien eine
Evaluierung der gewählten Strategien notwendig.
5.5
Die Zielformulierung
Mit der Entscheidung über die Ziele wird die Strategie in den taktischen Einheiten
verankert und durch Auftragserteilung implementiert.
Sind die Strategien und damit die Richtungen für die Nutzung von Stärken
gegenüber den Schwächen des Gegners und die Richtungen für die Lösung von
eigenen Problemen (Schwächen) festgelegt, so müssen die taktischen Detailziele
definiert werden.
Ziele sind die Beschreibungen von Zuständen am Ende eines Prozesses innerhalb
einer gegebenen Zeit. Diese Ziele müssen erreichbar und dürfen nicht illusorisch
sein. Sie müssen alle dem Oberziel aus dem Auftrag dienen.
Mit der Zielformulierung werden die Einzelstrategien konkretisiert und operational gemacht. Die Ziele müssen den taktischen Einheiten zugeordnet werden,
die die Einzelziele erreichen sollen. Das bedeutet, dass mit der Zielformulierung
Quantität, Qualität, Zeitraum und Verantwortlichkeit festgelegt wird.
5.6
Das Zielimage
Mit der Entscheidung über das Zielimage wird die Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet und somit im PR-Bereich implementiert.
In diesem Bereich liegt die Schwäche vieler Implementierungsmaßnahmen
von Regierungen und exekutiven Einheiten. In der irrigen Annahme über genügend
31
Kotler et al (1985) The New Competition. Prentice Hall: New Jersey, Englewood Cliffs
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Macht zu verfügen, werden Maßnahmen wie Steuererhöhungen, Preiserhöhungen
für Lebensmittel, Privatisierung usw. ohne ausreichende Vorbereitung durch Öffentlichkeitsarbeit implementiert. Was sehr oft dazu führt, dass in der Bevölkerung
ein so großer Gegendruck entsteht, der dann auch von der Opposition und anderen
interessierten Gruppen unterstützt wird, dass das Reformvorhaben wieder zurückgenommen werden muss.
Das Zielimage beschreibt das gewünschte Image, das nach einer Kette von
Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit in den Zielgruppen erreicht werden soll. Das
Zielimage wird bestimmt durch die strategischen Entscheidungen der Aufgabenund Strategieformulierung zur Auswahl der Themen, zum Stil, zur Art der Auseinandersetzung und zum Angebot von Personen.
Mit dem Zielimage wird die Grundlage für die Öffentlichkeitsarbeit gelegt. Alle
Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit haben nur dem Ziel zu dienen, das Zielimage
zu verbreiten und in den Gehirnen der Zielpersonen zu verankern.
5.7
Die Zielgruppen
Die Zielgruppen beschreiben diejenigen Gruppen der Gesellschaft oder der eigenen
Organisation, die für die Erreichung des Auftrages wichtig sind und mit denen zu
definierten Zeiten zu kommunizieren ist. Sie werden durch Interpretation der strategischen Entscheidungen, besonders der taktischen Ziele, und durch die Analyse
des Zielimages gefunden.
Mit der Definition der Zielgruppen wird die Grundlage für die kommunikative
Implementierung der Strategie gelegt, die durch die Zielgruppen-Botschaft und die
Hauptinstrumente ergänzt werden.
5.8
Die Zielgruppen-Botschaft
Die einzelnen im vorherigen Schritt definierten Zielgruppen benötigen entsprechend
der bisherigen strategischen Entscheidungen besondere Informationen, um so zu
reagieren, wie es die Strategie geplant hat. Dazu muss zunächst klar sein, auf welche
Teile des Zielimages die jeweilige Zielgruppe positiv reagieren wird. Damit werden
alle Argumente, die eine Zielgruppe motivieren können, zusammengefasst.
Manchmal ist es möglich, für die einzelnen Zielgruppen über das allgemeine
Zielimage hinaus zusätzliche Informationen in der Zielgruppen-Botschaft zu for0OLITISCHE3TRATEGIEN
mulieren, die speziell mit den einzelnen Zielgruppen zu kommunizieren sind und
nicht an alle Zielgruppen gerichtet sind.
Als ein Beispiel mag die Strategie zu einem Wahlkampf dienen. In einem Wahlkampf spielen als Zielgruppen definierte Wählergruppen, potentielle Spender und die
eigene Mitgliedschaft eine Rolle. Diese drei Zielgruppen benötigen unterschiedliche
Informationen, um strategiegerecht zu reagieren.
Die Wähler sollen die Partei oder den Kandidaten wählen. Das bedeutet, dass
sie durch die politische Vision oder durch einzelne Profitversprechen motiviert werden müssen.
Die Spender sollen Geld an die Partei zahlen. Dazu muss die Partei dieser Zielgruppe andere Profits anbieten als das zum Beispiel bei der allgemeinen Wählerschaft der Fall ist.
Die Mitglieder sollen im Wahlkampf aktiv werden und ihr Umfeld überzeugen.
Dazu benötigen sie bestimmte Informationen und Überzeugungen, die weit über die
Überzeugungen der Wählerschaft hinausgehen müssen.
Es ist darauf zu achten, dass die einzelnen Zielgruppen-Botschaften sich nicht
widersprechen. Das bedeutet, dass zwar einzelnen Zielgruppen bestimmte Botschaften zugeordnet werden dürfen, dass diese aber untereinander stimmig sein
müssen.
Das Instrument der erweiterten Zielgruppen-Botschaft wird oftmals in der
Endphase von Wahlkämpfen benutzt, um bestimmten Wählergruppen auf geschlossenen Kommunikationskanälen bestimmte Wahlversprechen zu machen, die
andere Wählergruppen nicht erfahren sollen. Von solcher Nutzung des Instruments
der Zielgruppen-Botschaft ist zu warnen, weil die Kommunikationskanäle zumeist
nicht geschlossen sind und ein Spill-over-Effekt eintreten kann.
Beispiel für die Nutzung einer Zielgruppen-Botschaft in der Endphase des Wahlkampfes: Eine Partei verspricht den Lehrern bei einem Wahlsieg deutlich höhere Gehälter zu zahlen. Das ist sicherlich ein attraktives Angebot an die Lehrer. Die Partei
wird versuchen, diese Information in einem geschlossenen Kommunikationskanal
zu verbreiten, um zu verhindern, dass der übrige öffentliche Dienst nun auch Gehaltserhöhungen erwartet. Wenn das Kommunikationssystem aber nicht geschlossen bleibt, wird die Partei wahrscheinlich Unmut bei den übrigen Gruppen auslösen
und so ihre Wahlchancen verringern statt zu erhöhen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
5.9
Die Hauptinstrumente
Die Auswahl der Hauptinstrumente beschreibt die vorwiegend zu benutzenden
Kommunikationsinstrumente und Aktionen. Die Instrumente und Aktionen sind
spezifisch für die Zielgruppen.
Ein Beispiel ist die Ansprache von Jugendlichen und von älteren Bürgern. Beide
Zielgruppen nutzen verschiedene Medien und sind durch unterschiedliche Arten von
Aktionen positiv anzusprechen.
Dafür ist Voraussetzung, dass die Zielgruppen bekannt sind. Denn jede Zielgruppe
lässt sich über spezifische Aktionen und Kommunikationsmittel erreichen. Mit der
Entscheidung über die Hauptinstrumente werden wichtige Entscheidungen über
die Ressourcen für die Durchführung der Strategie wie auch über die Effektivität
der Kampagne getroffen. Diese Entscheidung ist gemeinsam mit der Zielgruppenauswahl Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung der Strategie.
5.10 Implementierung der Strategien
Bei der Implementierung der Strategien ist sowohl die personelle wie auch die
operative Seite zu berücksichtigen. Voraussetzung für die Implementierung ist
zunächst die Entscheidung über die taktischen Ziele, die Formulierung des Zielimages, die Ableitung der Zielgruppen und der Zielgruppen-Botschaften und der
Hauptinstrumente.
Danach müssen die Regeln für die Durchführung der Strategie beschlossen
werden. Sie sind ein wichtiger Teil der Implementierung. Dazu sind folgende Fragen zu beantworten.
1. Wer ist verantwortlich für die Durchführung der Strategie?
2. Welchen Einfluss hat die politische Führung auf die Strategie?
3. Wer benennt und entlässt die mit der Durchführung der Strategie beauftragten
Personen?
4. Welche Qualitäten sollte der Führer der Durchführung der Strategie haben?
Bei der Implementierung von politischen Strategien ist die Kooperation der
Elemente des Personals besonders bedeutsam: Die politische Führung, die hauptamtliche Führung und die Gruppe der Mitglieder von Parteien oder die freiwillige,
ehrenamtliche Ebene. Das Zusammenspiel dieser Ebenen, die Quantität, die Qua0OLITISCHE3TRATEGIEN
lität, Ausbildung, Motivation und Moral sind Vorbedingungen für die erfolgreiche
Umsetzung einer Strategie.
Bei der Implementierung der Strategie im operativen Bereich sind die Prinzipien
der Schnelligkeit, der Flexibilität und der Täuschung Vorbedingungen für die erfolgreiche Umsetzung der Strategie.
Eine Gefährdung eines jeden Planes sind unnütze Verzögerungen, weil sie zur
Erschöpfung und Enttäuschung in der eigenen Organisation führen. Daher sind
Verzögerungen zu vermeiden.
5.11 Strategiesicherung
Die Strategiesicherung besteht aus zwei Elementen, die beide entscheidend für
eine erfolgreiche Anwendung einer Strategie sind.
1. Erstes Element ist das Prinzip der Aufklärung und der Informationsbeschaffung.
Darunter wird verstanden, dass es zu jeder Zeit – auch bei der Erstimplementierung der Strategie – notwendig ist, Aufklärung beim Gegner zu betreiben und
ständige Informationsbeschaffung zu organisieren. Dazu gehört der ständige
Kontakt zu den Mitgliedern und Sympathisanten der Gegner und seiner Allianzen mit Berichterstattung und Dokumentation. Dazu gehören Umfragen, die
Auswertung der Medien und natürlich auch die Informationsbeschaffung aus
den Hauptquartieren der Gegner. Mit Hilfe der so gewonnenen Informationen
kann der Strategiekontrollprozess regelmäßig durchgeführt werden. Das schützt
vor unliebsamen Überraschungen und vor eigenen Fehleinschätzungen und
-entscheidungen.
2. Zweites Element ist das Prinzip der Sicherheit und der eigene Informationsschutz. In der Praxis versteht man darunter die Abwehr von Aushorchmaßnahmen der gegnerischen Organisationen. Das kann erreicht werden durch einen
zurückhaltenden Umgang mit strategischen Plänen. Gerade in demokratischen
Organisationen neigt man dazu, strategische Pläne zu breit zu diskutieren und
zu partizipativ zu entwickeln. Damit ist immer eine Gefährdung der Geheimhaltung verbunden. Scharfe Sicherheitsmaßnahmen und abschreckende Strafen
für diejenigen, die strategische Geheimnisse verraten, sowie der Gebrauch von
Täuschungsmanövern runden den Katalog von Maßnahmen zur Strategiekontrolle ab.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
$ER!UFTRAG¯7ASSOLLGEPLANTWERDEN
Der Auftrag definiert zunächst:
Was soll geplant werden?
Danach muss beschrieben werden:
Welches Oberziel oder was (X) soll erreicht werden?
Bei einem Wahlkampf zum Beispiel: die Mehrheit der Stimmen, eine bestimmte
Anzahl von Sitzen im Parlament, die Wahl von bestimmten Persönlichkeiten, oder,
oder...
Bei einer politischen Strategie zum Beispiel: Die Verabschiedung eines Gesetzes, die Aufklärung über bestimmte Zusammenhänge, die Durchsetzung eines
politischen Zieles, die Durchführung einer „Dezentralisierung” oder einer „Privatisierung”, oder, oder....
Bei der politischen Karriereplanung zum Beispiel: Das Erreichen einer bestimmten Position, die Mitwirkung an einer bestimmten Aufgabe, die Wahl zum
Kandidaten usw.
Der Auftrag muss dann etwas darüber aussagen, für wen die Strategie geplant wird.
Wer (P) will das Ziel erreichen?
Geht es um eine Partei oder um eine Regierung oder um eine Pressure-group
oder eine Bürgerinitiative oder um eine Einzelperson oder ...
Der Auftrag kann einen Rahmen oder eine Begrenzung setzen und somit etwas
über das Wie aussagen:
Mit welchen Mitteln oder wie (W) soll das Ziel erreicht werden?
Sollen nur legale Mittel eingesetzt werden, oder darf auch illegal gearbeitet
werden, dürfen tribale oder religiöse Gefühle angesprochen werden oder ist das
verboten, soll die Strategie ohne Anwendung von Gewalt auskommen oder kann
auch anders geplant werden oder ...
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der Auftrag soll auch etwas über den Zeitrahmen sagen, bis wann das Oberziel zu erreichen ist:
Bis wann (T) soll das Ziel erreicht werden?
Bis zum nächsten Wahltermin, oder innerhalb der nächsten drei Jahre oder,
oder ...
Der Auftrag muss auch deutlich machen, warum etwas geschehen soll:
Warum (Z) soll das Ziel erreicht werden?
Diese auf von Clausewitz zurückgehende Idee, dass der Sieg nicht das eigentliche Ziel des Krieges ist, sondern der Frieden danach, muss auch bei politischen
Strategien angewandt werden. Es zwingt den Auftraggeber, sich über seine eigene
Motivation klar zu werden. Das bedeutet, dass beschrieben werden muss, warum
ein Wahlsieg erreicht werden soll oder warum man eine bestimmte Mehrheit erreichen will oder warum ein bestimmtes Gesetz verabschiedet werden soll oder warum die Privatisierung durchgeführt werden soll oder warum man eine bestimmte
Position anstrebt oder ...
Einen Auftrag formuliert man normalerweise wie folgt:
„Es ist eine Strategie für (K) zu entwickeln,
die (X) erreicht,
unter Berücksichtigung von (W)
innerhalb von (T), um (Z) durchzusetzen.”
6.1
Beispiele mit Kommentaren
Beispiel 1: Es ist eine Strategie zu entwickeln, mit der wir, die AB-Partei, bei der
nächsten Wahl die absolute Mehrheit der X-Partei brechen.
Dieser Auftrag hat keine positive Komponente. Es wird nicht gesagt, was „wir”
erreichen wollen. Antworten auf das „Warum”, das „Wie” fehlen. Der Auftrag
müsste lauten:
„Es ist eine Strategie zu entwickeln, mit der wir, die AB-Partei, bei der nächsten
Wahl gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien die absolute Mehrheit der
X-Partei brechen, um deren Alleinherrschaft zu brechen und die Regierungspolitik durch unsere Programme zu beeinflussen.”
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Genau umgekehrt könnte der Auftrag für die Strategie der X-Partei lauten:
Es ist eine Strategie zu entwickeln, die bei der nächsten Wahl unsere absolute
Mehrheit verteidigt, um die Ziele unseres Programms ohne Beeinflussung durch
andere Parteien zu realisieren.
Beispiel 2: Es ist eine Strategie zu entwickeln, die die Einrichtung einer privat
getragenen Schule in B-Stadt sicherstellt.
Dieser Auftrag sagt nichts über den Auftraggeber, den Zeitraum und zum „Wie”
und „Warum”. Der Auftrag könnte vollständig lauten:
„Es ist eine Strategie für die Bürgerinitiative „Pro Privatschule” zu entwickeln,
die die Errichtung einer privat getragenen Schule in B-Stadt mit allen legalen
Mitteln innerhalb der nächsten drei Jahre sicherstellt, um das Bildungsangebot
mehr an den Interessen der Schüler und Eltern auszurichten.”
Nachfolgend noch einige richtig formulierte Strategieaufträge aus der praktischen Arbeit:
Beispiel 3: Wir entwickeln eine Strategie für den Genossenschaftsverband in ALand, um gemeinsam mit möglichst allen politischen Kräften im Land innerhalb der
laufenden Legislaturperiode ein Genossenschaftsgesetz in Kraft treten zu lassen, um
die Entwicklung von Privatgenossenschaften möglich zu machen.
Beispiel 4: Wir entwickeln eine Strategie für die Regierung C in E-Land, um bis
zum Ende der Legislaturperiode die staatliche Telefongesellschaft zu privatisieren,
um Wettbewerb zu implementieren und die Telekommunikation im Land preiswerter
und besser zu machen.
Beispiel 5: Wir entwickeln eine Strategie für Frau P, um innerhalb von drei Jahren
Vorsitzende der Partei ABC zu sein, damit unter ihrem Einfluss die Partei verjüngt
und programmatisch erneuert wird.
6.2
Der Auftrag zwischen Realismus, Optimismus und Pessimismus
Bei der Formulierung des Auftrages ist darauf zu achten, dass er einerseits nicht
zu optimistisch und jenseits aller Realität ausfällt, um nicht von vornherein dazu
gezwungen zu werden, den Auftrag auf jeden Fall nach der Situationsanalyse nach
unten korrigieren zu müssen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Andererseits sollte der Auftrag auch nicht zu pessimistisch ausfallen. Langjährig erfahrene Politiker und Funktionsträger neigen oftmals dazu, das strategische
Oberziel lieber niedriger anzusetzen, weil sie entweder schon so oft von zu hoch
gesetzten Erwartungen enttäuscht wurden oder weil sie mit ihrem Pessimismus
Politik machen wollen.
Der Auftrag sollte in seinen Zielvorstellungen immer etwas oberhalb der realistisch zu erwartenden Ergebnisse liegen, die oftmals auch zur Verblüffung der
Planer erreichbar sind. Der Auftrag sollte vor allem aber so formuliert werden, dass
von ihm positive Motivationsschübe für alle diejenigen ausgehen, die mit der Erreichung des Auftrages zu tun haben.
6.3
Die Probleme bei der Beschreibung der strategischen Oberziele
Bei der Festlegung der Ziele für eine Strategie kommen auf die Entscheider teilweise große Schwierigkeiten zu, weil an die Entscheider Anforderungen gestellt
werden, die nur schwer zu erfüllen sind. Denn in der Politik, aber auch in der Wirtschaft32 haben wir es mit Problemen zu tun, die durch folgende Kennzeichen charakterisiert sind:
1. Komplexität und Vernetzung
2. Dynamisches Systemverhalten
3. Intransparenz
Der Entscheider hat darüber hinaus mit folgenden zusätzlichen Problemen zu
kämpfen:
4. Unzureichende Informationen und fehlendes Strukturwissen
5. Verbreitete falsche Annahmen über die Wirkungsweise des Systems
6. Unzureichende Zielformulierung
In einer solchen Situation muss der politische Entscheider als Regierungsmitglied, als Abgeordneter in einem Parlament oder als Wähler seine Entscheidung
treffen. In vielfältigen Simulationen ist von Seiten der Forschung gezeigt worden,
dass zumeist falsche Entscheidungen getroffen werden, weil man mit dem Geflecht
aus Komplexität, Vernetzung, Dynamik und Unwissenheit nicht zurecht kommt.
32
IBM: Unternehmensführung in einer komplexen Welt: www.ibm.com/ceostudy/de 2010
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Für den strategisch Verantwortlichen ist es deshalb notwendig, sich mit diesen Herausforderungen zu beschäftigen und Lösungen zu finden, die Fehlentwicklungen so weit wie möglich vermeiden. Wir wollen uns deshalb mit den einzelnen
Komponenten der Charakteristika des Entscheidungsraumes etwas intensiver beschäftigen.
1. Komplexität und Vernetzung
Komplexität wird dadurch ausgelöst, dass schon in einem gewählten Ausschnitt
der Realität viele voneinander abhängige Variablen existieren. Wir verzichten hier
von vornherein auf den Anspruch unser Handeln mit allen möglichen Variablen im
globalen System zu verbinden. Wir wählen daher nur einen bestimmten Ausschnitt
der Realität, den wir noch einigermaßen beherrschen.
Beispiel: Wenn wir Kriterien für die Qualität von importierten Spielzeug festlegen, um die Kinder in unserem Land vor bestimmten krebserregenden Weichmachern
zu schützen, dann blenden wir die Wirkung auf die Wirtschaft des Exportlandes aus
und betrachten nur die Variablen, die in unserem Land beeinflusst werden.
Wie groß das Fenster geöffnet wird, ist oft schon Streitpunkt zwischen den
politischen Entscheidungsträgern. Wird das Fenster zu weit geöffnet, ergeben sich
bei der Informationssammlung derartige Schwierigkeiten, dass zumeist keine Einigung erzielt werden kann. Es ist daher in einigen Fällen durchaus Methode, das
Fenster sehr weit zu öffnen, um Entscheidung ganz zu verhindern.
Beispiel: Bei den Diskussionen auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen, um geeignete und verbindliche Maßnahmen zur Verhinderung der Erderwärmung und eines
Klimawechsels zu beschließen, wurden solche strategischen Ansätze sichtbar.
Betrachten wir also die Komplexität eines Problems in einem ausgewählten
Fenster, so hängt der Grad der Komplexität von der Anzahl der voneinander abhängigen Merkmale ab.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
V2
V5
V6
V1
V3
V4
V7
Verknüpfung von Variablen
Die Abbildung zeigt, dass die Variable V1 mit den Variablen V3, V4 und V5
direkt verbunden sind. Sie zeigt aber auch, dass durch eine Veränderung der Varaiblen V1 die Variablen V2, V6 und V7 beeinflusst werden. Diese Veränderungen
können positiv aber durchaus auch negativ auf das Gesamtsystem wirken und
damit den Erfolg einer Maßnahme verstärken oder schwächen. Die Kenntnis dieser Wirkungen ist sehr schwer zu erfassen, was dann manchmal zu unliebsamen
Überraschungen führt. Das Ausblenden der Kenntnis über solche Zusammenhänge
ist bei Politikern sehr beliebt, weil sie sich damit von der Last der Langzeit- und
Randwirkungen ihres Handelns befreien. Politiker neigen dazu, alle Variablen auszublenden, die nicht direkt mit der von ihnen angestrebten Lösung eines Problems
verbunden sind und reduzieren in der Argumentation Probleme sehr oft auf monokausale Zusammenhänge.
Beispiel: Steuererhöhungen oder Steuersenkungen werden zumeist nur in ihrer
fiskalischen Wirkung auf den Haushalt interpretiert und nur selten auf die Wirkungen
auf das soziale Gefüge in der Gesellschaft und die Wirkung auf die Wirtschaft. In
den politischen Debatten zwischen den Parteien, werden nur einzelne Variable betrachtet um damit Wettbewerbsvorteile in der Debatte bei bestimmten Zielgruppen
zu bekommen.
Ein weiteres Problem mit der Komplexität bei der Entscheidungsfindung ist,
dass der Grad der Komplexität keine objektive Eigenschaft eines Systems ist, sondern subjektiv interpretiert wird. Die Entscheider haben sich, um nicht in der Fülle
der Informationen zu ertrinken, mit zunehmender Erfahrung sogenannte Super-
0OLITISCHE3TRATEGIEN
zeichen33 entwickelt. Diese Superzeichen fassen Einzelinformationen auf der Basis
von Erfahrungen, die allerdings subjektiv sind und dadurch Interpretationsfehler
enthalten können, zusammen.
2. Dynamisches Systemverhalten
Das betrachtete System, in dem durch strategische Entscheidungen gewünschte
Effekte erzielt werden sollen, entwickelt sich ständig ohne Beteiligung des Entscheiders weiter. Bei einer Entscheidung muss also die Entwicklung mit ihren Vektoren der Veränderung berücksichtigt werden, damit die Maßnahmen nicht immer
zu spät kommen und damit verpuffen, weil das System an dieser Stelle durch die
gewählte Maßnahmen nicht mehr veränderbar ist. Dieses Phänomen der Dynamik
erzeugt bei den Entscheidern also Zeitdruck. Und genau dieser Zeitdruck führt dazu,
dass die Vektoren der Veränderung nur geschätzt werden können, dass die Informationssammlung nicht vollständig ist und somit Entscheidungen in einem Nebel
von Unkenntnis getroffen werden. Das macht die Entscheidungsfindung zu einem
Vabanquespiel mit hohem Risiko und möglichen hohen Verlusten.
Beispiel: Als im Jahr 2010 die Überschuldung Griechenlands zu einer Krise für die
europäische Währung, den Euro wurde, mussten die europäischen Finanzminister an
einem Wochenende, also zu Zeiten, an den die Börsen geschlossen waren, Entscheidungen von weitreichender Bedeutung treffen. Hier gab es weder Superzeichen noch
genügend Informationen, die eine Entscheidung strategisch einigermaßen sicher
gemacht hätten. Der Zeitdruck war ungeheuer, denn die Minister und ihre Regierungschefs mussten sich vor der Öffnung der Börsen am Montag geeinigt haben.
Solche Situationen werden auch dadurch ausgelöst, dass durchaus bekannte
Informationen so lange zurück gehalten werden und Tatbestände aus politischen
Gründen verschleiert werden, um nicht durch eine frühzeitige Veröffentlichung,
den Stein ins Rolle zu bringen. Sinnvoll wäre hier eine proaktive Gefahrenabwehrplanung, die in Ruhe verschiedene Szenarien durchspielt und dann den Stein so
ins Rollen bringt, dass sich die Dynamik des Systems im Sinne der Entscheider entwickelt. Solche eigentlich notwendigen Schritte sind in den politischen Systemen
mit konkurrierenden Parteien und mit omnipräsenten Medien kaum noch möglich,
es sei denn, dass der Versuch gemacht wird, Politik grundsätzlich strategischer zu
33
Der Mensch ist in der Lage, in seinem Bewusstsein elementare Zeichen zu Superzeichen zusammenzuschließen. Informationselemente werden durch Bildung von Komplexen, Klassen
oder Relationen zu neuen Einheiten verknüpft. Superzeichen können wie verdichtete Informationen interpretiert werden, die z.B. in der Gefahrenkognition wirksam werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
planen und die damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz der
Strategien zu implementieren.
3. Intransparenz
Ein grundsätzliches zusätzliches Problem bei der Entscheidungsfindung ist die
wirkliche oder selbst verschuldete Intransparenz des Systems. Der wirkliche Zustand des Systems ist nur unklar zu erkennen. Das kann einmal daran liegen, dass
bestimmte Informationen nicht oder nur unzureichend gesammelt wurden und die
Verknüpfungen der Variablen nicht ausreichend untersucht wurden. Es kann aber
auch daran liegen, dass aus politischen Gründen Daten und Informationen bewusst
gefälscht oder unterdrückt werden. Das führt natürlich zur Unbestimmtheit der
Planungs- und Entscheidungssituation.
Beispiel: Die Entscheidungen des britischen Unterhauses über den Einsatz im
Irakkrieg im Jahr 2003 wurden ausgelöst durch einen Bericht des Geheimdienstes
und den kommentierenden Worten von Tony Blair: „Der Irak besitzt chemische und
biologische Waffen. Seine Raketen sind binnen 45 Minuten einsatzbereit.“ Heute
wissen die Beteiligten, dass der Bericht falsch war und dass die Öfffentlichkeit und
die Parlamentarier durch die Fehlimformation zu einer Entscheidung gebracht wurden, die auf der Intransparenz des Situation beruhte.
4. Unzureichende Informationen und fehlendes Strukturwissen
Ein weiteres großes Problem bei der Entscheidungsfindung ist fehlendes Strukturwissen bei den Entscheidern. Dabei handelt es sich darum, dass nicht bekannt ist,
wie die Variablen in einem System zusammen hängen. Bei diesen Verknüpfungen
geht es ja nicht nur um lineare, sondern auch um Verknüpfungen mit komplizierten
mathematischen Funktionen. Diese Funktionen sind nur selten bekannt und beeinflussen somit natürlich das Realitätsmodell, das als Grundlage für Entscheidungen
benötigt wird. Wegen der Unsicherheiten in diesem Modell neigen Politiker dazu,
ihr implizites Realitätsmodell zu benutzen. Das bedeutet, dass sie nicht wissen
warum sie eine Entscheidung treffen, sondern sie fällen die Entscheidung intuitiv,
nach ihrem Bauchgefühl. Ein explizites Realitätsmodell dagegen ist jederzeit nachprüfbar, kommunizierbar und dem Entscheider bewusst.
5. Verbreitete falsche Annahmen über die Wirkungsweise des Systems
Ein solches Realitätsmodell kann nun „richtig“ oder „falsch“ sein. In der Politik werden die Realitätsmodelle von den Politikern aber nicht so sehr danach bewertet,
0OLITISCHE3TRATEGIEN
ob sie richtig oder falsch sind, sondern vielmehr nach ihrem eigenen Weltbild, das
bedeutet nach ihrer politische Idee und der Ideologie ihrer Partei. Die Realität wird
also so lange verbogen, bis sie als nachweislich falsch eingeordnet werden kann.
Aber selbst dann fällt es vielen Entscheidern schwer, sich von erkannten falschen
Modellen zu lösen. Dieses Verhalten ist auch aus der Sozialpsychologie als „kognitive Dissonanz34“ bekannt.
In den großen Zukunftsdebatten über Energie, Klima, natürliche Ressourcen usw.
spielen solche Realitätsmodelle eine wichtige Rolle. Das IPCC (Intergovernmental
Panel on Climate Change) spielt bei der Entwicklung solcher Berichte eine wichtige
Rolle. Und gerade diese nobelpreisgekrönte Organisation ist im Zusammenhang mit
ihren Sachstandsberichten35 in die Kritik gekommen. Da solche Sachstandsberichte
aber die Grundlage für strategische Entscheidungen im politischen Bereich sind,
bedeutet ein Streit über die Qualität der Systemanalyse eigentlich, dass wiederum
nur intuitiv entschieden werden kann, was sich aber katastrophal auf Länder und
Menschen auswirken kann. Ob hier nach der sonst in der Strategieplanung vorgesehenen Methode, nämlich der Anwendung des „Worst Case Scenarios“ verfahren
werden kann oder sollte, ist wegen der Auswirkungen auf Volkswirtschaften und
Gesellschaften höchst umstritten.
34
35
In Äsops Fabel Der Fuchs und die Trauben“ möchte der Fuchs Trauben fressen, ist jedoch unfähig,
sie zu erreichen. Statt sich sein Versagen einzugestehen, wertet er die Trauben ab als zu sauer
und nicht der Mühe wert.
Die Arbeit des IPCC wird im Rahmen der Kontroverse um die globale Erwärmung kritisch betrachtet, wobei ihm von unterschiedlicher Seite sowohl Verharmlosung als auch Übertreibung
vorgeworfen werden. Nachdem ein Fehler im IPCC-Bericht 2007 über die Geschwindigkeit der
zu erwartenden Gletscherschmelze im Himalaya aufgefallen war, wurden Forderungen nach
einer Reform des Gremiums und dessen Kontrollmechanismen laut. Im Februar 2010 gab das
IPCC bekannt, ein unabhängiges Expertengremium mit der Überprüfung der Inhalte des vierten
Sachstandsberichts zu betrauen. Zudem soll der Entstehungsprozess der Berichte auf Einhaltung
wissenschaftlicher Standards geprüft werden.
Interessenkonflikte wurden früher wegen des politischen Einflusses auf die Endredaktion der
Zusammenfassungen thematisiert. So wurde im Zusammenhang mit dem vierten Sachstandsbericht bekannt, dass einige Regierungen (unter anderem die USA und China) eine deutliche
Abschwächung des von den Wissenschaftlern vorgelegten Berichtsentwurfes durchgesetzt
haben.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
6. Unzureichende Zielformulierung
Bei der Definition der strategischen Oberziele gibt es eine Reihe von Herausforderungen, die überwunden werden müssen. Gerade im politischen Raum neigen
Politiker aber auch politische Aktivisten von NGO’s in ihren Programmen dazu, die
Ziele so zu formulieren, dass ihr Erfolg oder Nichterfolg daran nicht gemessen werden kann. Zunächst muss zwischen negativen und positiven Zielen unterschieden
werden. In Falle des positiven Zieles wird klar beschrieben, was erreicht werden
soll. Damit ist klar, was anzustreben ist und die Analyse der Fakten wird ergeben,
an welchen Stellen die Strategie greifen muss, um zum Erfolg zu kommen. Im Falle
des negativen Zieles sieht es jedoch anders aus. Hier geht es zum Beispiel darum,
einen Mangelzustand zu beseitigen. Beseitigung von Hunger und Armut, Verhinderung des Temperaturanstieges beim Klima, Abbau von Arbeitslosigkeit, Abschaffung der Diskriminierung von Frauen usw. Alle diese Ziele werden in öffentlichen
Debatten immer wieder erhoben, sie sind Gegenstand jeder Diskussion in den globalen Institiutionen, wie UNO, OSZE usw. Und sie decken sich mit den Zielen vieler
Nichtregierungsorganisationen, wie sie zum Beispiel auf der Klimakonferenz in
Kopenhagen erhoben wurden.
Georg Christoph Lichtenberg36 hat das Problem der negativen Ziele mit einem
bemerkenswerten Satz aufgegriffen. Er sagte: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es
besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen, es muss anders
werden, wenn es gut werden soll.“ Ein negatives Ziel ist zumeist mit dem moralischen Zeigefinger versehen, das eher die Absicht verfolgt, erzieherisch zu wirken
und zu urteilen, als Konkretes zu erreichen.
Die negativen Ziele als Vermeidungsziele sind sehr oft zu global und zu unspezifisch, um als Leitlinie für konkretes Planen und Handeln zu dienen. Sie müssen
daher umgewandelt werden in positive Ziele. Man kann die Zielformulierung in
folgende Kategorien einteilen:
36
Positiv
Negativ
spezifisch
allgemein
klar
Unklar
einzeln
Mehrfach
explizit
Implizit
Georg Christoph Lichtenberg, deutscher Schriftsteller, Kunstkritiker und Physiker, 1742-1791
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zu den positiven und negativen Zielen wurde schon einiges gesagt. Sinnvoll ist
es auf jeden Fall für eine erfolgreiche Strategieentwicklung, wenn man das Vermeidungsziel (negatives Ziel) in ein positives Ziel umwandelt. Bei dieser Umwandlung
wird man feststellen, dass sich hinter einem negativen Ziel eine Fülle von positiven
Zielen verbergen. Diese Fülle von Zielen muss mit Prioritäten versehen werden, um
sie handhabbar zu machen.
Beispiel: Ein klassisches Vermeidungsziel heißt: Abbau von Arbeitslosigkeit. Bei
der Umwandlung in positive Ziele wird die Vielfalt der Möglichkeiten deutlich. Positive Ziele (hier als Beispiel unquantifiziert) könnten sein: Schaffung neuer Arbeitsplätze, Ansiedlung von Unternehmen mit Arbeitsplätzen, Erhaltung von gefährdeten
Arbeitsplätzen, Verteilung von Arbeit auf mehrere Personen, Qualifizierung von bestimmten Zielgruppen für Arbeit, Verkürzung der zulässigen Arbeitszeit usw. Hinter
diesen positiven Zielen stehen unterschiedliche politische Konzepte. Deshalb muss
in der Politik entschieden werden mit welchen Prioritäten an die Aufgabe herangegangen werden soll.
Meilensteinsystem
Die zweite Gruppe von Zieldefinitionen sind die allgemeinen oder globalen und
die spezifischen Ziele. Die allgemeinen Ziele müssen konkretisiert werden und so in
ein spezifisches Ziel verwandelt werden. Das ist in komplexen Situationen manchmal
nur schwer lösbar. Ein solches Ziel lautet zum Beispiel: „Wir, die A-Partei, wollen
innerhalb von zehn Jahren die Regierung in V-Land übernehmen.“ Die Absicht ist ja
durchaus konkret und auch positiv ausgedrückt. Es handelt sich dabei aber um eine
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Langzeitziel. Ein solches Ziel muss durch das Setzen von Meilensteinen konkretisiert
werden. Rainer Oesterreich37 verweist auf Zwischenschritte, die eine hohe EffizienzDivergenz aufweisen müssen. Das bedeutet, dass möglichst viele verschiedene Optionen mit hoher Effizienzwahrscheinlichkeit geschaffen werden müssen. Wenn im
Rahmen einer Langzeitstrategie die Meilensteine nach dem zeitlich geplanten Ablauf jeweils neu evaluiert werden, ist das globale Oberziel eine Orientierungsmarke,
die auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Das ist deswegen notwendig,
weil bei der Zielerreichung nicht nur der Strategieträger aktiv ist, sondern sich das
Umfeld und die Aktionen des Strategiegegners ständig verändern.
Die dritte Gruppe von Zieldefinitionen zeichnen sich durch klare oder unklare
Ziele aus. Diese Entwicklung gibt es oft dann, wenn das Ziel mit komparativen
Begriffen versehen ist. „Bürgernähere Verwaltung“, „Kinderfreundlichere Stadt“,
„Benutzerfreundlichere Bibliothek“, „Bessere interne Kommunikation“. Bei solchen
Zielen kommt zur Unklarheit noch die Vielzieligkeit (Polytelie) hinzu. Solche Ziele
sind nicht für eine gute Strategieplanung zu benutzen und müssen deshalb dekomponiert werden. Das führt zu einer Menge verschiedener Ziele an verschiedenen
Orten zu verschiedenen Zeiten. Oft sind diese Ziele auch verknüpft und man erkennt
diese Verknüpfung erst nach der Dekomposition.
Unklares Ziel
Klares Ziel
Klares Ziel
Klares Ziel
Klares Ziel
Klares Ziel
Dekomposition von unklaren Zielen
Wird die Dekomposition durchgeführt, muss anschließend eine Prioritätenbildung unter den klaren Einzelzielen durchgeführt und ein Zeitraster entwickelt
37
Rainer Oesterreich: Handlungsregulation und Kontrolle. München: Urban & Schwarzenberg
1981.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
werden. Das gilt besonders für Ziele, die miteinander vernetzt sind. Es ist auch notwendig, die zentralen Ziele zur Problemlösung zu identifizieren, denn diese müssen
zuerst beseitigt werden und lösen manchmal viele andere Probleme. Man spricht
hier auch von Zielen, die mit der Flaschenhalsproblematik verbunden sind. Denn in
manchen Fällen hängt die Lösung eines mehrschichtigen und komplexen Problems
ausschließlich an einem zentralen Problem, dem sogenannten Flaschenhals.
Beispiel: Eine Flaschenhalsproblematik liegt zum Beispiel vor, wenn ein Vorstand
einer Organisation sich als handlungsunfähig herausstellt. Dann kann die Organisation nicht handeln und alles wird durch die Untätigkeit des Vorstandes blockiert.
Wenn keine Flaschenhalsproblematiken oder zentralen Probleme auszumachen sind, muss eine Ordnung bei den Zielen nach Wichtigkeit und Dringlichkeit
hergestellt werden.
Die vierte Kategorie von Zieldefinitionen ist mit den Begriffen Einzelziel und
Mehrfachziele verbunden. Für die Mehrfachziele gilt das unter klare und unklare
Ziele Gesagte. Die Mehrfachziele müssen auch in Einzelziele aufgelöst werden. In
Programmen von Parteien, aber auch in Regierungserklärungen und Statements von
Politikern wird oftmals die Flucht aus den klaren Einzelzielen in unklare Mehrfachziele angetreten. Es gilt nämlich die Regel, dass wenn man konkrete Einzelziele zu
einem Problembündelziel zusammenschnürt, die Zustimmung meistens gesichert
ist, aber die Handlungsverpflichtung beseitigt wird.
Beispiel für Problembündelziele: Senkung der Kriminalität, Abbau von Korruption,
Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Zu jedem dieser Ziele werden alle politischen Parteien und die Gesellschaft Zustimmung signalisieren. In welche Richtung jetzt aber
gearbeitet wird und welche Einzelziele angegangen werden, wurde nicht definiert
und deswegen werden auch Handeln und Ergebnisse nicht eingeklagt.
Die letzte Kategorie von Zieldefinitionen sind implizite und explizite Ziele.
Während implizite Ziele nicht sofort offenkundig sind, sind explizite Ziele leicht
erkennbar.
Dafür ein Beispiel: Für einen gesunden Menschen ist Gesundheit natürlich auch
wichtig, aber sie stellt ein implizites Ziel dar, da das Ziel nicht im Zentrum des aktuellen Interesses liegt. Für einen Kranken ist Gesundheit dagegen ein explizites
Ziel, weil die Gesundheit für ihn von entscheidender Bedeutung für sein weiteres
Leben ist.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Frage von impliziten und expliziten Zielen tritt besonders bei postmateriellen Werten auf. Natürlich sind Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Transparenz und
Partizipation wichtige Ziele, sie sind aber immer dann nur implizit, wenn ein Mangel
nicht offenkundig ist. Dieses Problem zeigt sich in manchen Wahlkämpfen, wenn
eine Partei hauptsächlich implizite Ziele anbietet und damit nicht den Nerv der
Wählerschaft trifft, oder nur von wenigen hoch sensibilisierten Wählern.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
$IE&AKTENSAMMLUNG
Bei der Sammlung von Fakten tritt immer wieder das Problem auf, dass entweder
zu wenig oder zu viele Informationen vorhanden sind und dass diese Informationen oftmals zu wenig aussagefähig sind. Die Faktensammlung dient ja zuallererst
dem Auffinden von Stärken und Schwächen bei der Erfüllung des vorgegebenen
Auftrags. Deswegen muss die Faktensammlung gezielt angelegt werden und der
Versuch gemacht werden, durch gezieltes Nachfragen auch diejenigen Fakten zu
erfahren, die entweder aus Nachlässigkeit oder teilweise auch mit Bedacht von den
Teilnehmern einer Planungsrunde nicht präsentiert werden.
Für die Bearbeitung von Informationen eignen sich zwei Methoden:
Die Analyse und
die Synthese.
Professor Eduardo Morato vom Asian Institute of Management hat diese beiden
Methoden etwas näher im Zusammenhang mit der Strategieplanung beschrieben.
Er führt aus:
„Sich durch einen Haufen von Informationen zu wühlen, um herauszufinden, was
wichtig für die Bewertung und Entscheidungsfindung ist, kann ohne den Gebrauch
eines Datensiebes schwierig sein. Zwei geistige Übungen sind für diesen Sichtungsprozess notwendig. Die eine Übung ist die Analyse, die die Informationen in Teile
zerlegt, die dann entsprechend ihrer Relevanz, Größe, Wichtigkeit und Dringlichkeit
präsentiert werden. Die andere Übung ist die Synthese, die Einzelinformationen
verdichtet zu größeren und sichtbareren oder bedeutsameren Einheiten, so dass ein
Gesamtbild entsteht oder die Bedeutung der Information sichtbar gemacht wird.
Die letzte Übung wird unterstützt durch den Aufbau von Mustern, Verbindungen
und Trends der Daten, um zu entscheiden, wie sie miteinander vernetzt sind und
wie wohl das zukünftige Szenario der Daten aussieht. Beide, Analyse und Synthese, sind ein Beitrag zur Kunst des kritischen Denkens. Einfach gesagt, kritisches
Denken trennt die Spreu vom Weizen. Das erlaubt deutliche Konzentration und die
Entwicklung von Einsichten.
Um mit der Analyse zu beginnen, sollten die Daten zunächst sauber klassifiziert werden. Dabei kann jede Ordnung, die zur Sammlung von Umfelddaten vorgeschlagen wird, angewandt werden. Nachdem die Daten sortiert sind, kann man
0OLITISCHE3TRATEGIEN
dann das Datensieb mit den Kriterien Relevanz, Größe, Wichtigkeit und Dringlichkeit anwenden.
Relevanz beschreibt, wie sich die Information zum Auftrag, zu der logischen
Erklärung für ein Thema oder einer Situation aus der Sicht der Institution oder
Organisation verhält. Zum Beispiel würde eine Gruppe, die sehr für den Schutz
natürlicher Wälder eintritt und einen entsprechenden Auftrag hat, Daten für sehr
relevant halten, die mit der Zerstörung oder der Wiederherstellung von Waldflächen
zu tun haben, oder mit der Regierungspolitik, die sich auf die Nutzung der Wälder
bezieht, oder was Waldbewohner mit ihrem Besitz machen oder Daten über das
Ökosystem, das von Wäldern unterstützt wird. Relevanz zeigen deshalb Daten, die
mit dem Daseinsgrund und der Basisabsicht der Organisation zu tun haben.
Geht es dagegen um einen Wahlkampf, so sind Daten relevant, die sich mit
dem Wahlsystem, der Verteilung von Wählern, den vorherrschenden Wahlentscheidungsgründen usw. befassen.
Größe beschreibt das quantitative Ausmaß und den Einflussbereich, den bestimmte Faktoren bei einem Thema oder Problem haben. Größe oder Ausbreitung
sind die operativen Messinstrumente. Zum Beispiel würden bei einer Prüfung der
Produktionskapazität einer bestimmten Region, die Zahl der Menschen, die arbeitsfähig sind und der Arbeit zugeführt werden können, die relevante Größe sein. Oder
für die Bereitstellung kostenloser Ausbildung auf dem Grundschulniveau wäre die
entscheidende Größe die Zahl der Kinder, die eine solche Schulebene besuchen.
Bei einer politischen Kampagne mit Freiwilligen würde die Zahl der Freiwilligen
und ihre Verbreitung im Kampagnengebiet wichtige Größen darstellen.
Wichtigkeit beschreibt den qualitativen Grad des Einflusses, den bestimmte
Faktoren auf eine bestimmte Situation haben. Zum Beispiel kann der religiöse
Glaube wichtige Beiträge für das Wertesystem der Menschen haben. Das Niveau
des verfügbaren Einkommens kann sehr wichtig für die Bestimmung der Kaufkraft
sein. Klimatische Bedingungen könnten sehr wichtig sein für die Ausbeute an bestimmten landwirtschaftlichen Früchten. Wichtigkeit wird daher gezeigt durch
die signifikante Auswirkung oder die Tiefe des Einflusses, den ein Umfeldfaktor
auf andere hat.
Geht es um einen Wahlkampf in einer medienorientierten Gesellschaft, so sind
die Faktoren „Zugang zu Medien” und „Geld” wichtige Faktoren.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dringlichkeit beschreibt Daten, die vom zeitlichen Eintreffen abhängig sind oder
die in einer bestimmten Zeit eine Antwort für ein bestimmtes Problem erwarten.
Zum Beispiel kommen große Erdbeben nicht sehr oft vor (geringe Häufigkeit), sind
keine entscheidende Bedingung für den Reichtum der Nation (niedriges Niveau
von Wirksamkeit, wenn isoliertes Auftreten), sind nicht die Hauptbeschäftigung
für eine Regierung (geringe Relevanz), aber dem Erdbeben muss die gesamte Aufmerksamkeit und die Regierungsmaschinerie gewidmet werden, wegen der hohen
Dringlichkeit für die Rettung von Leben und Eigentum.
Bricht zum Beispiel während einer laufenden Wahlkampagne ein Krieg aus, so
ist dieser Tatsache eine hohe Dringlichkeit einzuräumen und damit handelt es sich
um ein wichtiges Faktum.
Die Synthese bringt Teile zusammen. Ein Instrument dafür ist, die Vergangenheit zu untersuchen, Trendanalysen zu nutzen und Projektionen zu machen oder
Zukunftsansichten zu schaffen. Ausgehend von Datenanalysen kommt man zu
Synthesen, indem man Gesamtszenarien der Vergangenheit, der Gegenwart und
der Zukunft entwickelt. Mit Synthesen schafft man auch Muster von analysierten
Daten, wie ein Mosaik, das uns zu neuen Einsichten führt. Man beginnt Ursachen
und Wirkungen zu erkennen, Korrelationen oder den Mangel an Korrelationen,
Abfolgen, Ketten von Ereignissen und Parallelitäten. Synthesen können erreicht
werden durch rationale Denkprozesse oder durch mehr intuitive Ansätze. Das Erste
bedarf der Anwendung von Logik, während das Zweite die Anwendung von Sprüngen und kreativer Entdeckungen benötigt. Die Instrumente der Synthese umfassen
daher: Vorhersagetechniken, Ursache-Wirkungs-Forschung, Datenintegration durch
Musterbildung, Reihenentwicklung für Ereignisse durch zeitliche Parameter oder
durch ihren Grad von Einfluss oder Wirkung, Korrelationen und kreative Prozesse
inklusive der Entwicklung von neuen Szenarien, innovatives Denken und Intuition
oder psychische Sprünge.”
7.1
Bilder machen
Um mit den Daten aus der Analyse wirkungsvoll umgehen zu können, empfiehlt
es sich, die Erkenntnis in Bilder oder Formeln umzuwandeln, um das System zu
verstehen. Nur dann, wenn Ursache und Wirkung erkennbar werden, wenn Abhängigkeiten sichtbar sind, wird an die richtigen Stellschrauben (Regulatoren) für eine
erfolgreiche Strategie gedreht. Das Auffinden der Regulatoren ist im Strategiefindungsprozess eine der wichtigsten Aufgaben. Im Folgenden werden einige Bilder,
die in der praktischen Beratung entstanden sind, gezeigt und die Zusammenhänge
interpretiert.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.1.1 Fall 1: Öffnung eines Wählermarktes in Südafrika
DA-Position im südafrikanischen Township-Wählermarkt
Das erste Beispiel stammt aus der Beratung der Democratic Alliance (DA) in Südafrika. Es ging darum zu begreifen, wie es der DA in den Townships mit einer fast
100 % igen schwarzen Bevölkerung gelingen kann, ihr Wählerpotenzial auszubauen.
Der Normalzustand in denTownships war es, dass dort der African National Congress (ANC) dominierte und die DA als eine Partei, die ein „weißes“ Image hatte,
magere Ergebnisse bekam. In diesem Bild sieht man zunächst unten die Wählerschaft in einem Township, die stark von dem ANC ausgeschöpft wird. Aufgrund
von Enttäuschungen über die ANC-Regierung und eine realtiv schlechte lokale
ANC-Kommunalverwaltung gibt es ein genügend großes Potenzial, das eigentlich
von der DA angesprochen werden könnte. Oben im Bild sehen wir die DA mit ihrem Angebot, das sich zusammensetzt aus dem Image, dem personellen Angebot
und dem Angebot zur Lieferung bestimmter Dienstleistungen. Wir nennen diese
Kombination das Produkt der DA. Wenn dieses Produkt so gestaltet wird, dass es
eine Attraktivität für die potenzielle DA-Wählerschaft darstellt, muss die Botschaft
über das Produkt die Wähler erreichen. Das bedeutet, dass kommuniziert werden
muss. Die Kommunikation ist aber nur sinnvoll und wirkungsvoll, wenn sie auf einer Ebene von Vertrauen abläuft. Dieses Vertrauen muss aufgebaut werden durch
0OLITISCHE3TRATEGIEN
eine regelmäßige Präsenz im Wahlgebiet, durch das Zeigen von Involvement mit
den Problemen der Wähler und durch die Überzeugung von Opinionleadern in diesem sozialen Quartier.
Durch die Erstellung des Bildes wurde dann deutlich, woran es bisher gemangelt
hatte. Die DA war zuvor nur sporadisch in dasWahlgebiet gegangen und hatte nicht
versucht nachhaltig Vertrauen aufzubauen. Sie verfolgte eine „Invaderstrategie“,
die nicht zu guten Ergebnissen führen konnte. Diese Strategie wurde ersetzt durch
eine „Residentstrategie“, die die Ergebnisse deutlich verbessert haben. Nach der
Präsentation des Bildes im Entscheidergremium war es für den Berater ein Leichtes,
die Entscheider vom Vorteil der Residentstrategie zu überzeugen.
7.1.2 Fall 2: Formel für die Bekämpfung von Korruption
In diesem Fall wird statt eines Bildes eine Formel verwendet, die den Wirkungszusammenhang darstellt. Mit Hilfe dieser Formel können jetzt die Interventionspunkte (Regulatoren) erkannt werden und die Strategie kann an diesen Regulatoren ansetzen. Diese Formel beschreibt, wie Korruption beeinflusst werden kann.
Die Grundlage dafür ist die von Robert Klitgaard38 maßgeblich entwickelte Formel,
die hier vom Autor leicht verändert wurde.
C = M + (D – T) -A
C = Korruption
D = Entscheidungsspielraum
A = Rechenschaft
M = Monopol
T = Transparenz
Variierte Klitgaard-Formel
Danach ist das Ausmaß der Korruption zunächst abhängig von der Monopolsituation (M), in der sich der Entscheider befindet. Wird das Monopol aufgebrochen, sinkt damit die Wahrscheinlichkeit, dass es zu korruptem Verhalten kommt.
Der Entscheidungsspielraum des Entscheiders (D) erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für mehr Korruption, da der Korrumpierende durch den Akt der Korruption im
Entscheidungsspielraum seine Position durchsetzen kann. Das wird umso weniger
38
Robert Klitgaard: Controlling Corruption (University of California Press, 1988
0OLITISCHE3TRATEGIEN
der Fall sein, je mehr Transparenz (T) im Prozess praktiziert wird. Wenn der Prozess
völlig öffentlich und durchschaubar ist, wird Korruption nicht möglich und nötig
sein. Eine wichtige Rolle spielt bei der Korruption die Möglichkeit, nicht entdeckt
und zur Rechenschaft (A) gezogen zu werden. Je größer die Wahrscheinlichkeit
ist, dass Korruption aufgedeckt und wirklich bestraft wird, umso niedriger wird der
Anreiz sein, sich korrupt zu verhalten.
Der Autor hat auf dieser Basis eine Antikorruptionsstrategie für den Finanzminister in Mazedonien entworfen. Die Bedrohung durch die Strategie erschien den
in Korruption verwickelten Politikern so hoch, dass der Finanzminister deshalb aus
seinem Posten entfernt wurde.
7.1.3 Fall 3: Regulatoren für den Kampf gegen Terrorismus
Dieses Bild wurde entwickelt und verwandt für die Beratung von Politikern, die
sich in der Diskussion über wirksame Instrumente zur Abwehr von Terrorismus informieren wollten und ihre Politik daran ausrichten wollten.
Öffentl. Wahrnehmung
Medienecho
Führung
Hoffnung, Glaube
Wir
T
Aktion
Feind
Sie
Vertrauen
Unterstützer
Verzweiflung, Zwang
Soziale Bedingungen
Ressourcen
Trennung
Bekämpfung von Terrorismus
In diesem Bild werden die Regulatoren für die Bekämpfung von Terrorismus
gezeigt. Wichtiger Regulator ist die Trennung, d.h. die Möglichkeit der Abgrenzung (Wir-Sie). „Wir“ stellt dabei das terroristische Lager dar, während „Sie“ der
Rest der Gesellschaft ist. Wird diese Abgrenzung schwierig oder unmöglich, hat
das beträchtliche nachteilige Auswirkungen auf das terroristische Lager. Weitere
Regulatoren sind Hoffnung und Glaube an eine Sache oder eine Lehre und die un
0OLITISCHE3TRATEGIEN
erschütterliche Treue zur Führung. Denn ohne diese Elemente sind die notwendigen
Unterstützer der eigentlichen Terroristen (T) verunsichert und kehren dem terroristischen Lager unter Umständen den Rücken. Die Zahl der Unterstützer hängt
von der gesellschaftlichen Situation für das soziale Umfeld der Unterstützer ab.
Je mehr Verzweiflung, Zwang und schlechte soziale Bedingungen herrschen, umso
größer die Unterstützung aus der Gesellschaft und Abwanderung in das Lager der
Terroristen. Ein weiterer Regulator ist die Menge an Ressourcen, die zur Verfügung
stehen. Ressourcennachschub spielt also eine große Rolle für das Funktionieren der
Aktionen. Auf der Seite der Gesellschaft ist die öffentliche Wahrnehmung und das
Medienecho auf terroristische Aktionen unerläßlicher Erfolgsfaktor für den Terrorismus. Ohne Medienecho würde die terroristische Aktion ihre eigentliche Wirkung
verfehlen. Diese Wirkung „der Propaganda der Tat“ hat schon Michail Bakunin mit
folgenden Worten beschrieben: „Wir müssen unsere Prinzipien nicht mit Worten,
sondern mit Taten verbreiten, denn dies ist die populärste, stärkste und unwiderstehlichste Form der Propaganda.39
Das Bildermachen von der Situation führt dazu, dass Zusammenhänge und Abhängigkeiten frühzeitig erkannt werden und so ein Stochern im Nebel vermieden
wird. Man kann so weit gehen, dass ein Strategieplaner, der nicht in der Lage ist,
ein Bild von der Situation zu entwerfen, nur mit Glück eine erfolgreiche Strategie
entwickeln kann, während der Entwurf eines Bildes mit den wirklichen Zusammenhängen zu einer deutlich höheren Erfolgsquote führen wird.
Das Entwerfen solcher Bilder setzt voraus, dass eine umfangreiche Faktensammlung durchgeführt wurde und dass das System verstanden wird. Gerade beim Überschreiten von Kulturkreisgrenzen geistern hier manchmal völlig falsche Bilder durch
die Köpfe der Berater, was dann naturgemäß zu einem Misslingen führen muss.
Beispiel: Ein westlicher Berater, der es bisher im Wesentlichen mit programmorientierten Parteien in Mitteleuropa zu tun hatte, wird mit einem solchen Bild
in Ländern mit Stammes- oder Clanorientierung in Afrika oder in der arabischen
Welt scheitern, weil dort die Wahlentscheidungen von anderen Kriterien beeinflusst werden als von programmatischen und ideologischen. Die Umstellung auf
das andere Bild kollidiert dann manchmal mit dem eigenen Weltbild. Wer nicht
bereit ist, sein Weltbild aufzugeben und das real wirksame Bild zur Grundlage von
strategischen Entscheidungen zu machen, sollte als Missionar aber nicht als Strategieplaner auftreten.
39
Michael Bakunin, Anachist, 1814–1876 in „Letter to a Frenchman on the Present Crisis”,
1870
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.2
Faktensammlung – eigene Faktoren
Die Faktensammlung beginnt mit der Binnenanalyse, das heißt eine Analyse der
Situation der eigenen Organisation. Über die eigene Organisation liegen zumeist
ausreichende Mengen von Daten vor. Probleme in der Informationsbeschaffung
gibt es zumeist nur in Fragen der Außeneinschätzung (Image) von Parteien und
Personen, wenn es keine ausreichende Anzahl von Umfragen oder mangelhaft
durchgeführte Umfragen gibt. In einem solchen Fall sollte eine Einschätzung mit
Hilfe von außenstehenden Personen (Multiplikatoren, Opinionleader usw.) vorgenommen werden.
7.3
Das Produkt - Profil, Personen, Programme, Kompetenz, Leistung
Zitat: Die Öffentlichkeit kauft Namen und Gesichter und keine Parteiprogramme, und
ein Kandidat für ein öffentliches Amt muss auf fast die gleiche Weise in den Handel
gebracht werden wie irgendein anderes Produkt. (Richard Nixon, 1957)
Auch bei den politischen Strategien sprechen wir von einem Produkt, das es
zu vermarkten gilt und das auf dem Wählermarkt anzubieten ist. Das gilt auch für
Strategien, die nicht eindeutig wahltagsorientiert sind, sondern sich mehr auf die
Implementierung von politischen Maßnahmen beziehen.
Das Produkt besteht aus mehreren Komponenten, die je nach Typ der zu planenden Strategie und je nach Kulturkreis unterschiedliches Gewicht haben können.
Für eine Partei, eine politische Gruppe oder eine Person besteht das Produkt, das
mit anderen Produkten konkurriert aus:
Profil
Das Profil entspricht in vielen Fällen dem Image einer Organisation oder Person.
Hier werden bestimmte typische Merkmale beschrieben, die von der Öffentlichkeit erkannt werden und als wichtig eingestuft werden. Ist ein klares Profil nicht
entwickelt, ist es für die Öffentlichkeit schwer, merkfähige Elemente zu entdecken
und zu speichern. Deshalb sind Organisationen ohne klares Profil meistens überhaupt nicht bekannt.
Personen
Personen spielen für die Beschreibung des Produktes eine wichtige Rolle. Allerdings hängt das auch vom jeweiligen Kulturkreis ab oder ist beeinflusst durch das
0OLITISCHE3TRATEGIEN
jeweilige Wahlverfahren. So führt beispielsweise die Direktwahl gegenüber dem
proportionalen Listenwahlverfahren zu einer stärkeren Betonung der Person bei
der Bildung des Produkts. Auch bei Strategien, die nicht auf eine Wahl abzielen,
sondern die Implementierung von Politik zum Ziele haben, sind Leitfiguren für die
Vertrauensbildung in die angestrebten Maßnahmen oftmals entscheidend.
Programm
Das politische Programm (Grundsatzprogramm, Wahlprogramm) einer politischen Organisation oder eines Kandidaten oder das Maßnahmenprogramm bestimmt das Produkt ganz wesentlich, jedenfalls dort, wo es in der Bevölkerung eine
Programmorientierung gibt.
Kompetenz
Bei der Produktbildung ist der zugewiesenen Kompetenz besondere Aufmerksamkeit zu widmen, weil es eben nicht ausreicht, ein gutes Programm zu haben
und auch gute Kandidaten zu haben, wenn Zweifel daran bestehen, dass die jeweilige politische Gruppe in der Lage ist, die Programme auch in praktische Politik
umzusetzen.
Leistung
Wenn hier von Leistung gesprochen wird, geht es nicht um Leistungen in der
Zukunft, sondern um Leistungen der politischen Gruppe oder des Kandidaten in der
Vergangenheit. Diese früher erbrachte Leistung gehört auch zum Produkt, wird in
der Wirkung von politischen Organisationen aber oftmals überschätzt. Die Leistung
in der Vergangenheit kann als kompetenzsteigernder, vor allem vertrauensbildender
Imagefaktor genutzt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Profil
Personen
Programm
Produkt
Kompetenz
Leistung
Produktkomponenten
Das Produkt einer politischen Partei, einer Organisation oder eines Kandidaten
besteht also aus fünf Komponenten, die später im jeweiligen Markt beurteilt und
bewertet werden müssen. Dabei spielt der Vorteil, den die möglichen Wähler, Käufer oder Unterstützer aus dem Produkt ziehen können, die entscheidende Rolle für
die Beurteilung des Produktes. Das Produkt löst Zustimmung oder Ablehnung aus,
ermuntert die Wähler die Partei oder den Kandidaten zu wählen oder abzulehnen,
produziert Sympathie oder Hass gegenüber Regierungen, Bürgermeistern, Verwaltungen aber auch Gewerkschaften, Kirchen usw.
An dieser Stelle wird vielleicht schon deutlich, was für die späteren strategischen
Entscheidungen so bedeutsam ist, dass nämlich ein so definiertes Produkt niemals
im gesamten Markt gleiche Reaktionen auslösen wird, sondern in bestimmten
Marktsegmenten unterschiedlich beurteilt wird.
Mit der Gestaltung des Produktes versucht die Strategie also etwas zu entwickeln, mit dem sie die Verhaltensweise von Zielpersonen steuern kann. Diese
Steuerung erfolgt aber zu einem großen Teil nicht über rein rationale Argumente,
da die Zielpersonen bei komplexen Situationen in letzter Konsequenz emotional
entscheiden40. Deshalb muss die Entscheidung auch durch emotionale Argumente
unterstützt werden.
40
Zum Thema der intuitiven und emotionalen Entscheidungsfindung siehe Kapitel 15.3
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.3.1 Profil
Mit dem Profil werden allgemeine Imagewerte einer Organisation beschrieben. Sie
werden meist in Umfragen ermittelt. Diese Imagewerte werden sehr oft paarweise
zusammengefasst, so dass auf einer Skala die Organisation zwischen zwei extremen Positionen angesiedelt wird. Typische Profilpaare sind:
alt, neu; seriös, unseriös; bekannt, unbekannt; fortschrittlich, rückständig; sozial, unsozial; zuverlässig, unzuverlässig; ehrlich, korrupt; usw.
+3
alt
+2
+1
0
-1
x
x
x
unseriös
unbekannt
ehrlich
x
zuverlässig
sozial
-3
neu
seriös
bekannt
-2
x
x
korrupt
unzuverlässig
unsozial
Skalenmatrix für Imagewerte
Ist das Ergebnis der Umfrage, wie in der Tabelle angegeben, so handelt es sich
um eine Organisation, die ein klares Profil hat. Sie gilt als alt, bekannt, unseriös,
korrupt und unzuverlässig. Dass bedeutet, die Organisation hat ein ausgeprägtes
Profil, leider überwiegen dabei die negativen Faktoren.
Ausgeprägte Profile sind vor allem dann interessant, wenn sie mit anderen
Profilen von Organisationen, die im selben Markt agieren, verglichen werden können. Einen solchen Vergleich zeigt die graphische Darstellung einer Umfrage in der
folgenden Abbildung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
!"
#!"
$!"
Parteienprofile im Vergleich
Hier zeigt sich, dass die Partei C sich deutlich von den Parteien A und B im
Profil unterscheidet. Welche Schlüsse im Einzelnen daraus zu ziehen sind, muss
der Stärken- und Schwächenanalyse (siehe dort) in Verbindung mit Informationen
aus der Umfeldanalyse überlassen bleiben.
7.3.2 Personen
Ganz klar ist die Rolle der Person bei einer Personenwahl, das heißt bei einer Direktwahl im Wahlkreis. Hier ist das personelle Angebot meistens entscheidend. Andere
Komponenten der Produktbildung spielen eine untergeordnete Rolle.
Aber auch bei Listenwahlen sind die Personen, die eine Organisation repräsentieren, ein wichtiger Bestandteil des Produktes. Gerade im politische Prozess und
bei Wahlhandlungen spielen Personen als Vertrauensträger eine wichtige Rolle. Einer der wesentlichen Wahlentscheidungsgründe ist das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit, die Leistungsbereitschaft und die persönliche Integrität von Personen.
Das ist bei Direktwahlen stärker ausgeprägt als bei Listenwahlen. Aber auch bei
Listenwahlen wollen die meisten Wähler eine oder mehrere Personen sehen, denen
sie vertrauen können.
Im Zuge der Politikverdrossenheit hinter der sich zumeist gar keine Verdrossenheit über die Politik, sondern mehr eine Verdrossenheit über das Verhalten von
Politikern zeigt, hat die personelle Komponente des Produktes einer politischen
Organisation eine eher zunehmende Funktion.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Da die Auswahl von Personen in demokratisch strukturierten Organisationen
und Parteien zumeist einer internen Wahlhandlung unterliegt, ist ein Einfluss unter
strategischen Kriterien auf die Personenauswahl meistens sehr gering. Das bedeutet,
dass mit den im demokratischen Prozess gewählten Personen oder Personengruppen gearbeitet werden muss, unabhängig davon, ob diese die Produktchancen auf
dem Markt verbessern oder nicht41.
Für die Beurteilung der Personen sind folgende Informationen notwendig:
Bekanntheitsgrad
Hier ist zu unterscheiden zwischen dem Bekanntheitsgrad in der Gesamtbevölkerung des jeweiligen für die Entscheidung wichtigen Bereiches und dem
Bekanntheitsgrad in einem bestimmten Marktsegment in diesem Bereich.
Image
Das Image macht Aussagen über von der Öffentlichkeit wahrgenommene Eigenschaften einer Person. Wobei zu berücksichtigen ist, dass der Bekanntheitsgrad auf die Imageausbildung großen Einfluss hat und dass in verschiedenen
Marktsegmenten das Image sehr unterschiedlich sein kann.
Ein Kandidat, der auf einer Popularitätsskala von -5 (Ablehnung) bis +5 (Zustimmung) Werte um 0 hat, kann in seinem Marksegment hohe positive Werte
haben und im gegnerischen Marktsegment hohe negative Werte. Das bedeutet,
dass der Kandidat bei seiner eigenen Wählerschaft hohes Ansehen genießen
kann. Der Wert um 0 kann aber auch signalisieren, dass der Kandidat kein ausgeprägtes Profil hat und relativ unbekannt ist. Deshalb ist es nicht ausreichend,
Imagefaktoren nur in der Grundgesamtheit (siehe dazu auch das Kapitel über
Umfragen) zu messen, sondern die Analyse ist auf die verschiedenen Marktsegmente auszudehnen.
Ein Kandidat, der hoher Sympathieträger bei einer großen Mehrheit der Bevölkerung ist, ist oftmals sogar ein schlechter Kandidat, weil er nicht genügend
Kraft besitzt, aus hohen diffusen Sympathiewerten auch Wahlentscheidungen
zu machen.
Typische Beispiele dafür sind viele deutsche Außenminister. Sie haben zumeist
einen hohen Bekanntheitsgrad, da sie oft in Fernsehen und in den anderen
41
Über die Art des Einbaus von Personen in eine Strategie siehe auch die Kapitel 12 „Auswahl der
Strategie“ und 15 „Zielimage“.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Medien erscheinen. Sie sind aber zumeist nicht in der deutschen Innenpolitik
involviert und positionieren sich so nicht in den Feldern, die letztlich relevant
für eine Wahlentscheidung sind. Wenn ein Außenminister das Feld der Innenpolitik betritt, gehen seine Umfragewerte meistens auch drastisch zurück.
Interne Zustimmung
Das organisationsinterne Image der Person ist für eine nachhaltige Unterstützung aus den eigenen Reihen wichtig und beeinflusst auf Dauer auch das Produkt.
Hier sind Fragen zu klären, wie:
– Hat die Person die gesamte Unterstützung der Organisation oder sind die
Mitglieder oder die Mitarbeiter gespalten?
– Gibt es intern Zweifel an der Zuverlässigkeit?
– Gibt es Zweifel am Erfolg mit dieser Person?
Gerade die letzte Frage führt oft zu prekären Situationen bei einer Produktbildung, wenn nämlich die eigenen Mitglieder in der Öffentlichkeit diskutieren, ob
denn ihr Kandidat eine Chance habe oder ob er ein „Loser“ sei.
7.3.3 Programme
Bei politischen Organisationen wird angenommen, dass das politische Programm
der Partei oder Organisation das Produkt stark prägt. Das ist jedoch nicht immer
der Fall. In Ländern mit einem starken Anteil von Persönlichkeitsorientierung sind
politische Programme nur unwesentlicher Bestandteil des Produktes.
In Ländern mit stärkerer Programmorientierung und sogenannten Programmparteien wird das Produkt zunächst durch die Grundsatzprogramme geprägt. Hier
sind dann also sozialistische, sozialdemokratische, liberale, konservative, oder auch
ökologische Parteien usw. zu erwarten. Das Produkt ist also stark ideologisch eingefärbt. Entlang der nach den politischen Mustern verlaufenden Generallinien sind
dann auch deren Einzelpolitiken ausgerichtet. Die Personen spielen in solchen Politikprodukten im wesentlichen nur die Rolle des Dienstleisters für die Erreichung
der politischen Ziele.
Bei der Analyse der Fakten ist zu untersuchen, welche politische Ausrichtung
die jeweilige Organisation hat, welche speziellen Politiken sie vertritt, zu welchen
politischen Problemlagen Programme vorhanden sind.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Grundsatzprogramme der Parteien bestimmen dabei ihren Charakter. Danach
können die meisten Parteien in folgendes Schema eingeordnet werden:
– Faschistische Parteien
– Rechtsradikale Parteien
– Konservative Parteien
– Liberale Parteien
– Sozialdemokratische Parteien
– Sozialistische Parteien
– Kommunistische Parteien
– Ökologische Parteien
– Religiös orientierte Parteien
– Ethnisch orientierte Parteien
Zwischen den Parteien gibt es zumeist fließende Übergänge, so dass klare Grenzen nur schwer auszumachen sind42.
7.3.4 Kompetenz
Die Kompetenz zur Lösung von Problemen, die die Bürger als wichtig ansehen,
ist für die Beurteilung einer Partei oder eines Kandidaten außerordentlich wichtig, weil die Problemlösungskompetenz Grundlage der Vertrauensbildung und der
Grad des Vertrauens in Organisationen und Personen ein wichtiger Wahlentscheidungsgrund ist.
Die Kompetenz zur Lösung von Problemen spielt auch bei der Frage der Unterstützung von Initiativen und bei der Spendenakquisition eine große Rolle. Ermittelt werden die Problemlösungskompetenzen zumeist durch repräsentative
Umfragen.
Werden einer Partei oder einem Kandidaten in einem politischen Feld keine
Kompetenzen eingeräumt, so ist es nicht sinnvoll sich in diesem Feld in einem Wahlkampf zu bewegen. Gibt es einen Mangel an Problemlösungskompetenz, so kann
42
Siehe dazu auch das Kapital 26 über Parteien und Parteisysteme, in dem weitere Typologisierungsversuche gemacht werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
diese Kompetenz durch intensive Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut werden, aber das
gelingt nur allmählich und muss daher früh genug begonnen werden.
Problemlösungskompetenzen werden meistens anhand einer Liste von Themen
abgefragt. Dabei wird den Interviewten die Frage gestellt: „Welche Partei ist am besten geeignet, das jeweilige Problem zu ihrer Zufriedenheit zu lösen?” oder „Welcher
Politiker ist am besten geeignet, das jeweilige Problem zu ihrer Zufriedenheit zu
lösen?” Zumeist konzentrieren sich die Umfrageinstitute dabei auf die Frage nach
den von der Mehrheit als am wichtigsten eingestuften Problemen.
Beispiel 1: Umfrageergebnisse zu den wichtigen Themen:
Frage: Welche der nachfolgend genannten Themen halten Sie für sehr wichtig oder
wichtig?
Thema
sehr wichtig
wichtig
Sichere Arbeitsplätze
78,1
Preisstabilität
75,8
21,7
Kriminalitätsbekämpfung
61,4
20,9
Korruptionsbekämpfung
50,3
10,8
Bildungspolitik
20,9
19,9
Umweltschutz
17,9
24,3
5,9
14,1
Schwangerschaftsabbruch
19,5
Frage: Welche Partei ist aus Ihrer Sicht am besten geeignet, die mit den Themen
verbundenen Probleme zu lösen?
Thema
A-Part
B-Part
C-Part
D-Part
wn
Sichere Arbeitsplätze
20,5
47,3
3,6
7,9
8,9
Preisstabilität
55,1
27,2
1,4
9,8
7,5
Kriminalitätsbekämpfung
49,2
23,1
9,9
14,5
3,3
Korruptionsbekämpfung
14,1
13,5
4,6
35,7
32,1
Bildungspolitik
22,2
23,4
5,6
41,2
7,6
Umweltschutz
15,9
31,8
10,7
29,8
11,8
2,8
9,6
80,1
0,4
6,9
Schwangerschaftsabbruch
Im Beispiel 1 wird in der ersten Tabelle gezeigt, welche Themen von der Bevölkerung als sehr wichtig oder wichtig eingestuft werden. Dabei zeigen sich deutliche
Unterschiede in der Einstufung der Bedeutsamkeit. Das Thema „Sichere Arbeitsplät
0OLITISCHE3TRATEGIEN
ze” wird von 97,6 % für sehr wichtig oder wichtig gehalten, während das Thema
„Schwangerschaftsabbruch” nur von 20 % der Bevölkerung als sehr wichtig oder
wichtig eingestuft wird.
In der zweiten Tabelle wird nun nach der Kompetenz zur Lösung der Probleme
gefragt. Dabei hat die Partei A deutliche Problemlösungskompetenz bei der Herstellung von Preisstabilität und Kriminalitätsbekämpfung. Beide Themen werden auch
als wichtige Themen eingestuft. Die Partei B hat ihre Problemlösungskompetenz bei
der Sicherung von Arbeitsplätzen und führt zumindest die Kompetenzskala beim
Umweltschutz an. Die Partei C hat in den als sehr wichtig und wichtig bewerteten
Themen so gut wie keine Kompetenz. Ihr wird eine eindeutige Kompetenz nur zum
Thema Schwangerschaftsabbruch zugewiesen. Dieses Thema wird von 20 % der
Bevölkerung als wichtig oder sehr wichtig eingestuft. Die Partei D hat Problemlösungskompetenz in der Bildungspolitik und in der Korruptionsbekämpfung. Im
Umweltschutz sind auch ausbaubare Problemlösungskompetenzen vorhanden.
Für die Parteien A, B und D sind aufgrund der Umfrage Kompetenzdaten ermittelt, die für alle, aber besonders für A und B, gute Ausgangspositionen für die
Plazierung im Wählermarkt ergeben. Die Partei C hat eine Einzelkompetenz in
einem speziellen Markt. Sie wird daher bei der Plazierung im Wählermarkt eine
Nischenpolitik43 fahren müssen.
Beispiel 2: Kompetenz von Regierung und Opposition
Frage: Wer ist am besten geeignet, das jeweilige Problem zu Ihrer Zufriedenheit zu
lösen, die Regierung, die Opposition, beide oder keiner?
Thema
Regierung
Opposition
beide
keiner
Sichere Arbeitsplätze
39,4
27,3
14,6
16,7
Verbrechensbekämpfung
39,1
20,3
23,8
14,9
Wirtschaftsförderung
50,3
21,2
18,6
8,1
Umweltschutz
27,7
39,8
18,4
12,4
Soziale Sicherung
39,8
26,2
19,8
12,4
Datenschutz
32,6
27,8
23,6
14,2
Inflationsbekämpfung
47,6
20,2
20,5
9,7
Abbau Staatsschulden
49,1
18,7
17,1
13
43
Siehe dazu das Kapitel 13.4.4.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bei Zweiparteiensystemen, aber auch in Fällen von Regierungskoalitionen und
gemeinsamen Oppositionsparteien, wird die Kompetenz zwischen Regierung und
Opposition aufgeteilt. Im Beispiel 2 wird sichtbar, dass die Regierung bis auf das
Thema Umweltschutz bei der Kompetenzzuweisung immer führt. Teilweise hat sie
gegenüber der Opposition dramatische Kompetenzvorteile. Dieses Ergebnis ist sehr
oft vor Wahlen messbar, weil in vielen Fällen die Opposition im Laufe der Legislaturperiode ihre Kompetenz nur selten ausspielen kann, während die Regierung
zu den verschiedenen Themen ständig in den Medien auftritt und sich damit eine
hohe Kompetenzzuweisung erarbeiten kann.
7.3.5 Leistung
Die Leistung als Bestandteil des Produktes ist zuallererst ein Nachweis für die Fähigkeit Dinge realisieren zu können und durchzusetzen. Nicht die Leistung selbst
– also das Erbrachte – ist als späterer Wahlentscheidungsgrund anzusehen, sondern die Leistung wird als ein Indiz für Kompetenz gewürdigt und schafft damit
Vertrauen.
Beispiel: Eine Regierungspartei hat in der vergangenen Legislaturperiode eine
Steuerreform mit beträchtlichen und spürbaren Steuersenkungen für die Bürger
durchgesetzt. Sie will diese Leistung in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen.
Es wäre falsch, diese Leistung als Steuersenkungsleistung zu verkaufen, um
bei der nächsten Wahl mehr Stimmen zu sammeln. Die Wähler sind nämlich nicht
an dem interessiert, was sie schon haben, sondern nur an dem, was sie zukünftig
bekommen können. Die Leistung kann nur zur Steigerung der Kompetenzwerte und
der Vertrauenswerte eingesetzt werden.
Strategischer Merksatz: Wähler sind nicht dankbar.
Das Zusammentragen von Leistungen bei der Faktensammlung ist also nicht
unter dem Aspekt zu sehen, dass die Einzelleistung mit ihrem inhaltlichen Wert
vom Wähler positiv gesehen wird, sondern nur unter dem Aspekt der Kompetenz
und der Vertrauensbildung. Leistungsbilanzen müssen deswegen auch nur auf diese
Zielsetzung hin konzipiert werden. Zumeist sind sie völlig überflüssig, leider aber
meist nicht auszumerzen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.3.6 Das Problem der Kongruenz
Zwischen einzelnen Bestandteilen des Produkts (Personen, Profil, Kompetenz, Programme und Leistung) sollte eine weitgehende Kongruenz bestehen. Der Zustand
dieser Kongruenz muss bei der Faktensammlung beschrieben werden. Dabei sind
folgende Fragen zu stellen:
1. Stimmt das Profil der Personen (Kandidaten) mit dem präsentierten Programm
überein? Kann z.B. die Person das Programm glaubwürdig vertreten oder gibt
es bei der Darstellung Probleme. Wenn z.B. das Thema Korruptionsbekämpfung
eine Rolle spielen soll, der Kandidat aber das Image eines korrupten Politikers
hat, ist die Glaubwürdigkeit der Aussage schwer geschädigt. Oder wenn das
Thema Umweltschutz gefahren werden soll, der Kandidat aber dafür bekannt
ist, dass seine Fabriken die Umwelt beträchtlich schädigen, treten ähnliche
Probleme auf.
2. Stimmt das zu präsentierende Programm der Partei mit der zugewiesenen Kompetenz und Leistung überein? Wenn die Partei bisher ein stark wirtschaftspolitisch orientiertes Image durch hohe marktwirtschaftliche Kompetenzzuweisung
und Leistung hatte und als unternehmerfreundlich gilt, wird sie Schwierigkeiten
haben sich als soziale Schutzpartei für sozial Schwache darzustellen.
3. Haben die Kandidaten ausreichende Kompetenz zur Besetzung der gewünschten
Programmfelder?
Treten hier Probleme bei der Kongruenz auf, so hat das beträchtliche Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit im jeweiligen Programmfeld und gibt dem politischen Gegner die Möglichkeit zum Angriff.
7.4
Multiplikatoren, Allianzen
Multiplikatoren im engeren Sinne des Wortes sind Vervielfältiger, d.h. im Zusammenhang mit der politischen Kommunikation Vervielfältiger einer politischen Botschaft.
Allianzen sind Gruppen oder Organisationen, die gemeinsam mit unserer Organisation bestimmte Ziele anstreben und daher mit unserer Organisation zusammenarbeiten. Die Bedeutung der Allianzen darf nicht unterschätzt werden und spielt
eine zunehmend wichtige Rolle. In vielen Fällen werden sogenannte strategische
Allianzen genutzt. Am Bekanntesten sind dabei die Allianzen der internationalen
Fluggesellschaften, wie Star Alliance, One World, Skywards oder Flying blue. Sol0OLITISCHE3TRATEGIEN
che Allianzen oder Netzwerke werden heute wie Ressourcen eingestuft und sollen
auch dort behandelt werden.44
Multiplikatoren sind Menschen, die durch ihren Beruf, ihre Zugehörigkeit zu
Organisationen, wie Vereinen, Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Nachbarschaften, Familien und Kollektiven, durch gemeinsames Arbeiten
im Team usw. viel mit anderen Menschen zusammenkommen und entsprechend
viel kommunizieren.
Muliplikatoren sind auch Vertreter von professionellen Organisationen, die sich
die Verbreitung von Informationen oder Ideen zur Aufgabe gemacht haben, wie z.B.
die Medienvertreter oder die Vertreter von PR- und Werbeagenturen.
Multiplikatoren können aber auch Vertreter von Allianzen sein, die gemeinsam
mit unser eigenen Organisation ein bestimmtes Ziel erreichen wollen und deswegen
bereit sind, unsere Botschaft zu verbreiten. Dazu können Bündnisparteien gehören,
aber auch Bürgerinitiativen und Wählerinitiativen.
Bei der Faktensammlung ist zunächst einmal eine Liste von vorhandenen Multiplikatoren und Allianzpartnern aufzustellen. Dabei wird in vielen Fällen schon
deutlich, dass bei vielen politischen Strategien und auch Wahlkampfstrategien die
Zahl der wirklich verlässlichen Multiplikatoren sehr gering ist.
Um Multiplikatoren qualitativ richtig einzustufen, kann folgendes Frageschema verwandt werden:
1. Sind Name, Anschrift, Telefon (dienstlich und privat) des Multiplikators vorhanden? (Wenn nicht, dann gibt es auch keinen nutzbaren Multiplikator.)
2. Gibt es regelmäßige Kontakte zum Multiplikator? (Wenn nicht, wie wird er dann
gepflegt und auf dem Laufenden für seine Multiplikatorenaufgabe gehalten?)
3. Ist eine Kontaktperson unserer Organisation für den Multiplikator zuständig?
4. War der Multiplikator schon für uns tätig?
5. Gibt es darüber Erfahrungsberichte?
6. Waren die Erfahrungen gut?
Können die Fragen 1 - 3 mit ja beantwortet werden, handelt es sich um einen
Multiplikator, der in die Multiplikatorenliste aufgenommen werden kann. Können
44
Siehe Kapitel 7.5.4
0OLITISCHE3TRATEGIEN
weitere Fragen mit ja beantwortet werden, so handelt es sich um aktive und wirkungsvolle Multiplikatoren.
7.4.1 Motivation/Interesse
Im Zusammenhang mit der Bewertung der Multiplikatoren sollte die Frage nach
der Motivation geprüft werden. Ist zum Beispiel der Multiplikator ein professioneller Multiplikator, so ist seine Motivation zumeist durch eine finanzielle Abgeltung seiner Tätigkeit eindeutig definiert. Das trifft zu bei Angestellten der Partei,
bei Werbe- und PR-Agenturen usw.
Die Motivation bei anderen Multiplikatoren ist nicht immer sofort erkennbar.
Jedoch sollte die Motivation daraufhin untersucht und erfasst werden, ob unter
Umständen die Motivation in einem Bereich liegt, der nicht förderlich für das eigene Ziel ist. Die Motivation sich als Multiplikator anzubieten, könnte z.B. dadurch
ausgelöst sein, dass die Konkurrenten an gute Informationen herankommen wollen,
oder dass sie frühzeitig unsere Argumentationsketten erfahren wollen.
Liegt die Motivation in der politischen Überzeugung oder darin, dass gleiche
Ziele verfolgt werden, so sind dieses für die Pflege der Multiplikatoren wichtige
Erkenntnisse.
7.4.2 Effektivität
Die Frage nach der Effektivität der Multiplikatoren und deren Organisationen ist
berechtigt. Teilweise wird viel Zeit und viel Geld in Multiplikatoren gesteckt, deren
Effektivität nicht oder nicht mehr vorhanden ist.
Beispiel: In den 70er Jahren gab es zur Unterstützung der Parteien im Wahlkampf
in Deutschland und einigen anderen Ländern sogenannte Wählerinitiativen mit einer
Vielzahl von aktiven Multiplikatoren. Damals waren diese Wählerinitiativen effektiv. Heute dagegen muss viel Aufwand in diese Initiativen gesteckt werden, so dass
deren Effektivität zur Zeit zumindest in Deutschland nicht gegeben ist.
Manchmal nimmt die Effektivität von Multiplikatoren auch dadurch ab, dass
ein bestimmtes Thema an Bedeutung verliert und somit der Kontakt zu der jeweiligen Zielgruppe nicht weiter von Interesse ist.
Beispiel: Durch Strukturänderungen ist die Bedeutung der Zielgruppe der Viehzüchter in Uruguay stark zurückgegangen. Während früher Politik ohne diese Gruppe
0OLITISCHE3TRATEGIEN
kaum möglich war, und damit die Multiplikatoren zu den Viehzüchtern von großer
Bedeutung war, ist nach dem gesellschaftlichen Strukturwandel zu einer Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft der Viehzüchtersektor so unbedeutend
geworden, dass die Multiplikatoren stark an Effektivität eingebüßt haben.
7.4.3 Kosten
Im professionellen Bereich sind Kosten der Multiplikatoren schnell verständlich.
Es sind die Kosten der Agenturen und der Werbungsmittler. Diese Kosten müssen
kritisch überprüft werden, ob sie in einem angemessenen Verhältnis zur Multiplikatorenarbeit stehen.
Im medialen Bereich sollten Kosten für Multiplikatoren (Journalisten) normalerweise nicht anfallen. Es hat sich allerdings in einer Vielzahl von Ländern ergeben,
dass Parteien, Regierungen usw. Zuwendungen an Journalisten machen, um sie zu
einer Multiplikatorenarbeit zu veranlassen. Dieses ist eine Fehlentwicklung, die aber
nach Einführung dieses Systems nur schwer wieder abzuschaffen ist. Umso mehr
muss hier die Kostenseite immer wieder deutlich überprüft werden.
Jenseits der Kosten, die sich rein materiell in Geldzahlungen ausdrücken, sind
besonders bei den ehrenamtlichen Multiplikatoren Kosten möglich, die erst nach
der Wahl eingeklagt werden. So werden viele Aktivisten nur deshalb aktiv, um nach
der Wahl die Chance auf einen besseren oder überhaupt einen Job zu haben. In
anderen Fällen, und das tritt besonders dann auf, wenn Multiplikatoren aus Organisationen mit eindeutigen Interessen aktiv werden, wird nach einer erfolgreichen
Wahl eine politische Rechnung präsentiert, die darin besteht, bestimmte Politiken
zu forcieren, oder andere nicht zu beginnen, auch wenn das nicht im Interesse der
Partei oder des Politikers liegt.
Beispiel: Die Unterstützung der katholischen Kirche für eine Partei hat oftmals
danach Forderungen zur Behandlung von bestimmten moralischen oder ethischen
Fragen im Sinne der Kirche zur Folge gehabt. Beispiele dafür sind das Verhalten in
der Frage der Abtreibung usw.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.5
Ressourcen
Unter Ressourcen wird hier verstanden:
1. Personelle Ressourcen
2. Finanzielle Ressourcen
3. Organisatorische Ressourcen
4. Netzwerke
Ressourcen bestimmen bei vielen politischen Aktivitäten und in vielen Strategien
die Chancen zu gewinnen. Allerdings sind oftmals mangelnde finanzielle Ressourcen
auch nur die Ausrede für sonstige Schwächen der politischen Organisation. Geld ist
zwar wichtig, bestimmt aber nicht immer über Wahlsieg oder Niederlage. Und vor
allem ist Mangel an Geld kein Hemmschuh Politik zu implementieren.
7.5.1 Personal
Personelle Ressourcen bestehen aus Mitgliedern der Organisation, den Funktionsträgern, haupt-, ehren- und nebenamtlichem Personal. Bei der Beurteilung spielt
dabei auch der Ausbildungsstand und die Motivation eine entscheidende Rolle.
Was kann man schon mit einer Vielzahl von Mitgliedern machen, die nicht motiviert sind. Oder was hilft umfangreiches Personal, wenn dieses seine Aufgaben
nicht erfüllen kann.
Mitglieder
Bei den Faktensammlungen wird sowohl beim Geld, wie auch bei den Mitgliederzahlen unglaublich gelogen. Deshalb ist es erforderlich, diese beiden Ressourcen
ausführlich zu diskutieren und realistisch einzuschätzen. In vielen Fällen werden
als Mitgliederzahlen schlicht die Wählerzahlen angegeben, manchmal sogar noch
mehr.
In vielen Diskussionen mit Parteifunktionären haben wir ein System von unterschiedlichen Parteimitgliedschaften entwickelt, die sich am besten mit den lateinamerikanischen Bezeichnungen beschreiben lassen. Dort gibt es drei Gruppen
von Mitgliedern: Die Militantes, die Afiliados und die Coreligionarios
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Militantes
Diese Gruppe besteht aus den Parteiaktivisten oder den „Parteisoldaten”. Diese
Gruppe ist bereit zu jeder Zeit jeden an sie gegebenen Auftrag zu erfüllen. Auf sie
kann sich die Organisation vollständig verlassen.
Die Afiliados
Das sind die Mitglieder, die irgendwann einmal einen Aufnahmeantrag unterschrieben haben und ihren Satzungspflichten nachkommen, d.h. in vielen Fällen
nichts als den Beitrag zahlen. Aber auch hier gibt es natürlich viele Abstufungen:
Mitglieder, die bereit sind dann und wann etwas für die Partei zu tun, oder zumindest in ihrem unmittelbaren Umfeld im Parteisinne zu kommunizieren.
Die Coreligionarios
Die Coreligionarios entsprechen größenordnungsmäßig der aktuellen Wählerschaft der Partei. Dieser Mitgliedertyp kommt sehr stark überall dort vor, wo sich
die Wähler in ein Wählerverzeichnis eintragen müssen, um an Vorwahlen der Partei
teilzunehmen. Hier müssen sie bekanntgeben, für welche Partei sie sich entscheiden. Diese Eintragung in das Wählerverzeichnis wird in einigen Fällen später mit
dem allgemeinen Wahlregister abgeglichen.
In einigen Fällen, in denen für die Eintragung in das Hauptwahlregister bestimmte Bedingungen zu erfüllen sind, wie z.B. das Vorlegen der Personalpapiere
kann es dazu kommen, dass im Register der Partei mehr Mitglieder aufgeführt sind
als später im staatlichen Wählerverzeichnis.
Wenn es um die Mitglieder dieses Typs geht, spielt für die Faktenerhebung der
Einschreibungsgrad ins Wahlregister eine besondere Bedeutung und muss hier mit
aufgenommen werden. Wenn die Mitglieder der Partei aus irgendeinem Grund nicht
ins Wahlregister eingetragen sind, werden sie später auch nicht wählen können
und senken damit die Wahlchancen der Partei.
Bei der Erhebung von Mitgliederdaten spielen folgende Fakten noch eine Rolle:
Wie ist das Verhältnis zwischen Gesamtwählerschaft und Parteimitgliedschaft
nach regionaler Auswertung? Oder – wo gibt es weiße Flecken auf der Landkarte
und warum?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wie sind die gesellschaftlichen Gruppen in der Partei repräsentiert? Deckt sich
der Anteil von Jugendlichen, Frauen, usw. mit dem Anteil in der Wahlbevölkerung
und wo gibt es Abweichungen? Gibt es dafür eine Erklärung?
Wie setzt sich die Partei religiös und tribal zusammen? Gibt es dabei Auffälligkeiten?
Gibt es eine hohe Mitgliederfluktuation?
Funktionsträger
Funktionsträger sind gewählte oder in Parteien, deren innere Struktur Wahlen nicht für alle Positionen vorsieht, eingesetzte Persönlichkeiten, die bestimmte
Aufgaben für die Partei wahrnehmen. Das können z.B. sein:
–
Vorsitzende von regionalen Verbänden
–
Vorstandsmitglieder auf den verschiedenen Ebenen
–
Delegierte bei Parteien mit Delegiertensystemen
Die Funktionsträger nehmen zumeist ehrenamtlich Funktionen in der Partei
wahr. Deswegen spielen bei der Beurteilung der Funktionsträger folgende Faktoren
eine wichtige Rolle:
1. Sind alle Funktionen mit Funktionsträgern besetzt oder gibt es viele vakante
Positionen? Wenn ja – warum?
2. Sind die Funktionsträger aufgrund einer Wahl tätig oder sind sie von der
nächsthöheren Ebene eingesetzt worden?
3. Wie hoch ist der Aktivitätsgrad der Funktionsträger?
4. Ist auch innerparteiliche Opposition an den Vorständen beteiligt, oder unterhält die Partei entsprechend ihren jeweiligen Flügeln unterschiedliche Strukturen?
5. Wie hoch ist der Grad der Ämterhäufung in den wichtigen Positionen?
Bei der Bestandsaufnahme über den inneren Zustand der Organisation wird
von der nationalen Ebene oft darauf hingewiesen, dass es eine schwache Führung
auf der mittleren und unteren Ebene gibt. Dieser Äußerung muss intensiv nachgegangen werden. Es gibt einige typische Gründe für diese Führungsschwäche und
diese folgen zumeist dem Sprichwort: „Der Fisch stinkt immer von Kopf zuerst.“
Das bedeutet, dass Verwerfungen in der Qualität der mittleren und unteren Füh0OLITISCHE3TRATEGIEN
rungsebene fast immer auf Managementfehler der höheren Ebene zurückzuführen
sind. Sehr oft ist eine zu schwache Führung auf höchster Ebene vorhanden oder
die interne Kommunikation funktioniert nicht, oder die mittlere und untere Führungsebene fühlt sich von der Top-Ebene allein gelassen.
Eine besondere Rolle bei den Funktionsträgern spielen die Mandatsträger, d.h.
die Mitglieder in den Parlamenten und Regierungen auf den unterschiedlichen
Ebenen. Hier sind folgende Daten zu erheben:
1. Wie stark ist die Partei auf den verschiedenen Ebenen mit Mandatsträgern
vertreten?
2. Gibt es eine enge Kooperation von Mandatsträgern und der Partei?
3. Sind die Mandatsträger jeweils in Fraktionen organisiert und funktionieren
diese bei der Entscheidungsfindung?
Die Funktions- und Mandatsträger der Partei auf den verschiedenen Ebenen
sind für die strategische Beurteilung außerordentlich wichtig, weil diese das Image
der Partei stark beeinflussen können und in den Nichtwahlkampfzeiten, diejenigen
sind, die fast ein Monopol zur Außendarstellung der Partei haben.
Haupt-, ehren- und nebenamtliches Personal
Wieviel haupt-, ehren- und nebenamtliches Personal steht überhaupt zur Verfügung? Wo ist das Personal angesiedelt? Ist das Personal direkt unter Vertrag genommen, oder wird das Personal von anderen Organisationen zur Verfügung gestellt.
Wieviel Personaltage pro Tag oder pro Woche stehen insgesamt zu Verfügung.
Hier stellt sich also die Frage, wo welches Personal mit wieviel Kosten unterhalten wird. Diese Fakten werden später benötigt, um zu überprüfen, ob den Aufgaben
entsprechend ausreichend Personal an den jeweiligen Stellen vorhanden ist.
Ausbildungsstand
Da es nicht ausreicht, nur einfach personelle Ressourcen zur Verfügung haben,
spielt der Stand der Ausbildung oder die fachliche Qualifikation eine wichtige Rolle.
Das gilt besonders für nebenamtliches und ehrenamtliches Personal. Es kann aber
auch beim hauptamtlichen Personal eine Rolle spielen.
An dieser Stelle der Faktensammlung muss also eine Personalliste mit den Qualifikationen an den verschiedenen Standorten aufgestellt werden. Die Ansprüche
0OLITISCHE3TRATEGIEN
an die Qualifikation ergeben sich zumeist erst nach der Strategieplanung, wenn
feststeht, welche Aufgaben erfüllt werden müssen. Danach muss eine Rückkoppelung zur Personal-/Qualifikationsliste gemacht werden und mögliche Defizite
ausgeglichen werden.
Beispiel für eine Personalliste:
Personal
Name
Standort
Abteilung/
Einheit
Regionalvorstand
Pressesprecher
Qualifikation
Ausbildung
Training
Journalist
Rundfunkmoderatorenausbildung
Seemann,
Frauke
Ortsvorstand
xy-Stadt
Geschäftsstelle
Aller,
Klaus
Ortsvorstand
xy-Stadt
Pressesprecher
Heber,
Hermann
Verfügbarkeit
MT-Monat
Status/
Kosten
Personal-Nr.
ganztägig
verfügbar
hauptamtlich
Parteiangestellter
40.000 `/a
17-003
Sekretariatskenntnisse
4 Std./Woche
ehrenamtlich
5.000 `/a
Lehrer
2,5 Tage
Seminar für
Pressesprecher
nach Bedarf
ca. 3 Std./Woche
ehrenamtlich
Vorstandsmitglied
ohne Kosten
356001
356002
Parteien leiden in vielen Fällen unter einem beträchtlichen Mangel an professionellem Personal. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen wird die Besetzung des
Hauptquartiers und der Geschäftsstellen der Partei nicht als permanente Aufgabe gesehen, sondern spielt in den Augen der Führung der Partei eigentlich nur zu
Zeiten von Wahlkämpfen eine Rolle. In den übrigen Zeiten versucht man die Partei
mit einem Minimum von Personal zu führen, was zur Folge hat, dass die Partei ihre
permanenten Aufgaben, wie Stärkung der regionalen Struktur, Finanzbeschaffung,
Qualifizierung von Personal und Personalentwicklung, Mitgliederwerbung, Politikentwicklung und Marktbeobachtung sträflich vernachlässigt.
Zum anderen kommt es oft vor, dass nach einer Wahl ein großer Teil des qualifizierten Personals von der Fraktion oder der zu bildenden Regierung aufgesogen
wird. Das ist immer dann der Fall, wenn auch die Mitarbeiter in der Partei, die Partei
selbst nur als Karrieresprungbrett für höhere Aufgaben sehen. Ein weiterer Grund
ist die oftmals schlechte Finanzierung von Parteien, was dazu führt, dass die Partei
sich außerhalb von Wahlkämpfen keine hauptamtliche Verwaltung leisten kann.
Wenn das der Fall ist, werden die Managementaufgaben der Partei zumeist auf
die Schultern der politischen Parteiführung gelegt. Dabei handelt es sich dann oft
um qualifizierte Politiker aber nicht um qualifizierte Manager. Und darunter leidet
dann die Qualität der exekutiven Parteiführung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Motivation
Die Motivation von haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitern spielt bei
der Implementierung von Strategien eine wichtige Rolle. Deshalb ist bei der Faktensammlung eine Bewertung der Motivation anzugeben. Dabei geht es vorwiegend um die Feststellung von Motivationsstörungen, die später abgestellt werden
müssen und um den Grad und die Art der Motivation.45
Fluktuation und die Ursachen
Die Fluktuation von Mitgliedern kann ein Indiz für die Einsatzfähigkeit und
die Motivation von Mitgliedern einer Organisation sein. Hohe Fluktuation sowohl
bei den Mitgliedern wie auch beim Personal deuten zumeist auf Probleme mit der
Führung, mit den Zielen oder in der Kommunikation hin.
Eine geringe Fluktuation kann unterschiedliche Ursachen haben. Es kann sich
um eine Organisation handeln, die ohne wirkliches Leben ist und daher weder
Eintritte noch Austritte zu verzeichnen sind. Es kann aber auch eine Organisation
sein, in der alles stimmt. Die Mitglieder sind zufrieden, die Organisationsgröße ist
optimiert.
Gemessen werden kann die Fluktuation im haupt- und nebenamtlichen Bereich durch Feststellung von Neueinstellungen und Kündigungen innerhalb der
letzten 12 Monate. Im ehrenamtlichen Bereich, das bedeutet vor allem im Mitgliederbereich wird die Fluktuation auch gemessen durch Neueintritte und Austritte
innerhalb der letzten 12 Monate, allerdings ist hier die Austrittsart besonders zu
analysieren. Kam der Austritt zustande durch a. Umzug, b. Tod oder c. durch erklärten Austritt aus der Organisation. Bei der Fluktuation kann hier eigentlich nur
eine Analyse der Austrittsgründe eine Aussage über die Motivation innerhalb der
Organisation geben.
7.5.2 Finanzielle Ressourcen
Der Mangel an finanziellen Ressourcen wird sehr oft bei politischen Strategien als
Begründung für ein Scheitern der Absichten genommen. Sicherlich trägt ein Mangel an finanziellen Ressourcen zu einem Scheitern bei, aber es ist durchaus nicht
immer der entscheidende Grund. Es gibt viele politische Strategien, die kein Geld
kosten müssen oder die auch ohne Finanzmittel erfolgreich waren. Dagegen gibt
45
Zur Führung von Freiwilligen und zur Motivationsförderung siehe Kapitel 19.1.4
0OLITISCHE3TRATEGIEN
es auch Strategien, die trotz ausreichender Finanzmittel gescheitert sind, weil viele
andere Rahmenbedingungen nicht gestimmt haben.
Viele Wahlkämpfe werden verloren, weil die Partei oder der Kandidat schwach
ist und nicht weil zu wenig Mittel vorhanden sind. Sehr oft gibt es hier allerdings
auch Korrelationen. In einen schwachen Kandidaten oder in eine zerstrittene Partei investiert auch niemand Kapital, weil er sich davon auch keinen Wahlsieg erwartet.
Der Vorteil von ausreichenden finanziellen Ressourcen ist, dass andere Schwächen damit unter Umständen kompensiert werden können. Ist z.B. die Organisation schwach, kann man bei ausreichend Geld Dienstleistungen dazukaufen. Ist die
Motivation in der Mitgliedschaft schwach, kann bei ausreichend Geld ein Maßnahmenbündel von PR-Maßnahmen die mangelnde Motivation kompensieren.
Finanzielle Ressourcen sind heute sehr wichtig, aber nicht alles entscheidend.
Und weil sie sehr wichtig sind, müssen sie gründlich untersucht werden. Hierbei
gibt es allerdings sehr oft Widerstände bei Kandidaten und Parteien, die ihre Karten nicht aufdecken wollen. Weder die Höhe noch die Herkunft der Mittel wird
offengelegt, was es sehr schwer macht, eine gute Strategie zu planen, weil für die
Implementierung und Durchführung der Strategie wesentliche Kenntnisse fehlen.
Bei der Arbeit mit Regierungen, Gouverneuren und Bürgermeistern ist das viel
einfacher, weil die zur Verfügung stehenden Mittel Haushaltsmittel sind und damit
zwar nicht immer ausreichend klar, aber dennoch nachprüfbar, bestimmte finanzielle Ressourcen von vornherein definiert sind.
Aufbringung
Über die Frage des Fundraisings und der Finanzierung von Kampagnen und
Wahlkämpfen wird im Kapitel 24 ausführlich berichtet. Hier soll nur eine knappe
Übersicht für die Faktenerhebung dargestellt werden.
Wie hoch ist das Vermögen der Organisation inkl. Kassen- und Bankbestände?
Wie hoch ist das nicht ausgeschöpfte Kreditvolumen?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wie hoch sind die bis zum Schluss der Kampagne erwarteten Einnahmen
aus:
– Mitgliedsbeiträgen
–
Aufnahmegebühren
–
Spenden
–
staatlicher Finanzierung
–
eigene wirtschaftlicher Betätigung?
Welche Art von Sachzuwendungen und Personalbereitstellung gibt es?
Hier werden also zunächst nur die Fakten gesammelt, die mit dem Aufbringen
von Finanzmitteln zu tun haben. Wie schon vorher angedeutet, kann es bei dieser
Sammlung von Fakten zu Schwierigkeiten kommen, weil die Datenressourcen die
Weitergabe von Fakten verhindern. In einem solchen Fall wird dann nur erhoben,
was satzungsrechtlich abgesichert ist (zum Beispiel Höhe und Ausschöpfung von
Mitgliedsbeiträgen, Aufnahmegebühren, Zuwendungen von Mandatsträgern und
Regierungsmitgliedern) oder was durch Parteienfinanzierungsgesetze ohnehin offenkundig ist.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen müssen in finanzieller Hinsicht die
Parteien- und Wahlgesetze sauber analysiert werden. Hier gibt es Vorschriften
über die Finanzierung von Parteien, Möglichkeiten und Einschränkungen. Während
zum Beispiel in einigen Ländern großzügige Finanzierungen der Parteien oder der
Parlamentsgruppen der Parteien durch den Staat vorgenommen werden, gibt es
andere Länder, die wiederum auf eine staatliche Förderung der Parteien vollständig verzichten.
Diese Länder wiederum bieten den Parteien Möglichkeiten der wirtschaftlichen
Betätigung, der Durchführung von Lotterien usw. Die Vielfalt der Art der Finanzierung hat natürlich auch Auswirkungen auf das Verhalten der Parteien in der Öffentlichkeit und gestaltet damit auch strategische Rahmenbedingungen.
Aber nicht nur die reinen finanziellen Regelungen sind hier zu dokumentieren, sondern auch Ansprüche der Parteien auf kostenlose Sendezeit in Radio und
Fernsehen, kostenloser Zugang zu bestimmten Medien, kostenloser Anzeigen- und
Plakatierungsraum usw.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Einsatz der Mittel
Der Einsatz der Mittel ist der dritte Aspekt, der unter strategischen Gesichtspunkten untersucht werden muss. Wofür gibt die jeweilige Organisation ihr Geld
aus. Fließt es überwiegend in die Fixkosten, d.h. in Personal-, Verwaltungs- und
sonstige Kosten (wie z.B. Zinsen und Tilgung usw.) oder werden darüber hinaus auch
Mittel für Kampagnen aufgewandt. Wie hoch waren die letzten Kampagnenkosten,
wie hoch die Veranstaltungs-, Aktions- und Druckkosten.
Bei der Überprüfung des Mitteleinsatzes sollte vor allem auch geprüft werden,
ob die ermittelte Kostenkombination überhaupt veränderbar ist oder nicht.
Organisation der Finanzverwaltung
Der vierte Aspekt, der zu untersuchen ist, ist die Frage, wie die Finanzverwaltung organisiert ist. Gibt es eine zentrale oder dezentrale Finanzverwaltung mit
welchen Kompetenzen auf den unterschiedlichen Ebenen.
Hat die Finanzverwaltung die Komponenten
–
Akquisition
–
Haushaltsplanung
–
Buchhaltung?
7.5.3 Struktur
Welche Struktur hat die Organisation für die eine Strategie geplant werden soll?
Dabei muss unterschieden werden zwischen der administrativen Struktur und der
politischen Struktur. Mit der Struktur ist die politische Organisation gemeint.
Hier geht es um Fragen, wie der Aufbau der Organisation aussieht, welche
Partizipationsrechte innerhalb der Organisation vorhanden sind, wo die Machtzentren der Organisation liegen und wie Entscheidungs- und Wahlmechanismen
organisiert sind.
Diese Daten geben einen Anhalt für die Implementierung der Strategie, für die
Notwendigkeit bestimmte Personen oder Funktionen in den Planungsprozess einzubeziehen oder sie bewusst auszuschließen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Organisation
Mit der Organisation ist die administrative Struktur gemeint. Hier geht es um
das Vorhandensein von Verwaltungseinrichtungen, Geschäftsstellen, Abteilungen
und Funktionen und deren Wirkung und Tiefe.
Mit der administrativen Struktur müssen später die geplanten Maßnahmen realisiert werden oder die Maßnahmen müssen vergeben werden, das heißt in einem
solchen Fall wird die eigene nicht vorhandene oder nicht funktionsfähige Organisation und Struktur durch Geld kompensiert.
Aufbau
Bei der Untersuchung des Aufbaues der Organisation geht es zunächst um die
Feststellung, welche Tiefe die Organisation hat. Das umfasst folgende Fragen:
Wie viele Hierarchiestufen sind vorhanden?
Wie sind die Stufen miteinander verbunden?
Gibt es klare Überordnungen und Unterstellungen?
Wird die Struktur von den verschiedenen Ebenen als Struktur akzeptiert?
Ein besonderes Problem stellen sehr oft sogenannte Dachorganisationen dar.
Bei einer Dachorganisation haben sich unabhängige Organisationseinheiten zusammengefunden und eine entsprechende Dachorganisation zumeist zur Vertretung
ihrer Interessen gegründet. Eine solche Dachorganisation ist bei der Durchsetzung
von Zielen in den Mitgliedsorganisationen traditionell schwach und die Planungen
der Dachorgansationen werden sehr oft von den Mitgliedsorganisationen konterkariert oder sogar boykottiert. Sind solche Strukturen vorhanden, muss später um
so mehr interne Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Bei klassischen Organisationen muss vor allem auch untersucht werden, ob die
Leitungsbreite angemessen ist. Das bedeutet die Analyse, wie viele Mitarbeiter oder
Abteilungen von einer Person geführt werden. Geht diese Leitungsbreite über acht
hinaus, kann angenommen werden, dass die Führungsperson oft überfordert ist und
eine vernünftige Delegation und Kontrolle der Delegation nicht stattfindet.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In politischen Parteien tritt in der Organisation ein besonderes Problem auf,
das mit der inneren Demokratie in der Organisation verbunden ist. Autoritär geführte Parteien haben mit der Führung deutlich weniger Probleme als Parteien,
die eine wirksame interne Demokratie haben. Hat eine Organisation eine solche
innere Demokratie, so werden zum Beispiel die Vorstände einer Ebene von der Mitgliederversammlung dieser Ebene gewählt. Bei höheren Ebenen tritt ein Parteitag
zusammen, der aus Delegierten der nachgeordneten Verbände besteht. Auch diese Delegierten haben das Recht die Vorstände zu wählen, politische Prioritäten
zu setzen, Kandidaten für Wahlen aufzustellen usw. Es handelt sich also um eine
Organisation, deren Macht sich von unten nach oben entwickelt. Solche Organisationen sind nur schwer zu führen, weil zu bestimmten Zeiten in der Kampagne
oder beim Wahlkampf das Prinzip Befehl (von oben) und Gehorsam (von unten)
gelten muss und strategische und taktische Zielvorgaben gemacht werden, die die
jeweils nächste Ebene zu erreichen hat. Über solche Ziele kann keine breite Diskussion geführt werden und vor allem nicht demokratisch entschieden werden,
sondern es muss alles daran gesetzt werden, die Ziele zu erreichen. (Wer hat denn
schon einen demokratischen Feuerwehreinsatz gesehen, bei dem die Feuerwehrmänner zunächst diskutieren und dann demokratisch entscheiden, wie das Feuer zu
löschen ist?) Bei der Implementierung einer Strategie ist daher auch kein Raum für
Diskussion und Mehrheitsentscheidung, sondern es muss das Prinzip gelten, dass
die Führung entscheidet und nach Abschluss der Strategie die Verantwortung für
die Entscheidungen übernehmen muss. Der in demokratischen Parteien vorhandene
Widerspruch zwischen Phasen der demokratischen Willensbildung und Phasen der
Unterordnung lähmt die Aktionsfähigkeit vieler Parteien.
Abläufe
Die Ablauforganisation, das heißt die Verteilung der Aufgaben, die Verteilung
der Weisungsbefugnis und die Arbeits- und Kommunikationsvorgänge spielen für
die erfolgreiche Implementierung einer Strategie ein wichtige Rolle. Gerade bei
Kampagnen, Implementierungen und Wahlkämpfen sind besondere Anforderungen
an die Arbeitsorganisation zu richten. Und hier versagen zumeist die klassischen
Strukturen der Organisation, weil sie auf Routinen ausgerichtet sind. Die Maßnahmen, die sich aus politischen Strategien ergeben, stellen jedoch in der Regel keine
Routine dar. Es wird dadurch oft notwendig sein, mit Projektorganisation46 zu arbeiten. Um optimale und störungsfreie Abläufe zu sichern, ist die Bestandsaufnahme von Abläufen wichtig. Bei Störungen kann es zu empfindlichen Verzögerungen
und Informationsverlusten kommen.
46
Siehe dazu das Kapitel 23.4
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7.5.4 Netzwerke
Netzwerke
7.5.4.
Zu den Ressourcen zählen neuerdings auch die Netzwerke. Hier sind nicht die
sogenannten „social networks“ gemeint. Diese werden später im Kapitel 16.7 beschrieben. Die hier beschriebenen Netzwerke bestehen aus einer nichtökonomischen
Kooperation zwischen verschiedenen Organisationen.
Ein strategisches Netzwerk entsteht als Resultat einer die jeweiligen Organisationsgrenzen überschreitenden Differenzierung und Integration von Aktivitäten
durch die in ihm organisierten Institutionen. Ihm liegt die Fokussierung dieser Organisationen auf ihre Kernkompetenzen zu Grunde. Alle Aktivitäten, die außerhalb der
eigenen Kernkompetenzen liegen, werden durch die Netzwerkpartner übernommen.
Die Hauptmotive der Zusammenarbeit in strategischen Netzwerken liegen in der
Erschließung finanzieller und funktionaler Synergiepotenziale unter Beibehaltung
starker Flexibilität, um auf die sich verändernden Wettbewerbsbedingungen schnell
reagieren zu können. Ein hohes Maß an formaler Organisation und Abhängigkeiten
innerhalb des Netzwerkes würden die Flexibilität einschränken.
Die beteiligten Organisationen übernehmen unterschiedliche Rollen innerhalb
des Netzwerkes. Es kann eine oder mehrere Organisationen geben, die als so genannte fokale Organisation die strategische Führung übernimmt. Diese Organisation nimmt stärker Einfluss als andere auf
–
den Markt, auf dem das Netzwerk agiert;
–
die Art und den Inhalt der gemeinsam vertretenen Visionen und konkreten
Ziele;
–
die Marktbearbeitungsstrategien sowie
–
die Form und den Inhalt der interorganisatorischen Beziehungen.
Nur wenn eine solche fokale Organisation aktiv ist, kann man wirklich von
einer effektiven Form eines strategischen Netzwerkes sprechen. Die Vielzahl von
Netzwerken im Lager der Nichtregierungsorganisationen, die unter dem Stichwort
„networking“ kooperieren, sind zumeist nichts anderes als ein gemeinsames Netz
von Organisationen, die Informationen untereinander austauschen, die aber nicht
zu einer schlagkräftigen Dachorganisation zusammengeführt werden können.
Zum Aufbau eines Netzwerkes sind insgesamt sieben Schritte zu durchlaufen,
die in der folgenden Grafik dargestellt sind:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wo wollen
wir hin?
Was
brauchen wir
vom Partner?
Wer hat,
was wir
brauchen?
Passt der
Partner zu
uns?
Was wollen
die Partner
voneinander?
Wie wollen
wir zusammen
arbeiten?
1
2
3
4
5
Selbstanalyse
Anforderungsprofil
Vorauswahl
Partneranalyse
Zielfestlegung
6
Prozessmodelllierung
7
Umsetzung
Schritte zum Aufbau eines Netzwerkes
Zunächst ist das für die fokale Organisation zu erreichende Ziel klar zu definieren. Das ergibt sich zumeist schon aus dem strategischen Oberziel. Danach sind die
in der eigenen Organisation vorhandenen Defizite zu beschreiben, um sich darüber
klar zu werden, welches Anforderungsprofil die Organisation hat. Das sind in den
meisten Fällen die Bereiche, die außerhalb der Kernkompetenz der Organisation
liegen. Das können Think-tanks, Dienstleister unterschiedlichen Typs, Verbände,
Vereine, Vorfeldorganisationen, Bildungseinrichtungen usw. sein. Danach werden
die Organisationen identifiziert, die ein entsprechendes Angebot haben, wobei es
hier nicht darauf ankommt, ein Angebot anzunehmen und dann zu bezahlen. Es
geht vielmehr darum andere Organisationen zu finden, die im Zuge einer gegenseitigen Vorteilnahme auch davon profitieren, dass sie mit dem fokalen Unternehmen zusammen arbeiten. Würde die Leistung, die die kooperierende Organisation
übernimmt durch Geldleistungen abgegolten, hätten wir eine klare Marktbeziehung
zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber. Beim Aufbau eines Netzwerkes geht es
darum, ständig über gegenseitig Vorteilverschaffung nachzudenken.
Nach der Identifikation muss der potenzielle Partner analysiert werden, um zu
ermitteln, ob der Partner in seiner von ihm selbst definierten Art und Weise, seinem
Auftritt und seinen Zielen auch wirklich zu uns passt. Danach muss in einer umfangreichen Form ermittelt werden, welche immateriellen und welche materiellen
Vorteile der Partner von einer Kooperation im Netzwerk hat. Auch hier gilt wieder
der Leitsatz aus dem generischen Marketing: „Niemand tut etwas, ohne etwas dafür zu bekommen.“ Gerade bei den Netzwerken ist die Suche nach immateriellen
Profits und Synergieeffekten, die sich für beide Seiten auszahlen von besonderer
Bedeutung, weil nur im Ausnahmefall eine direkte ökonomische Verbindung zum
Partner aufrechterhalten wird.
Sind alle Vorfragen geklärt geht es um die Art der Kooperation, das bedeutet
um die Modellierung des Netzwerkes mit seinen Prozeduren und Regeln. Hier muss
klar werden, wie man zusammen arbeiten will, wie nahe man sich dabei kommt
0OLITISCHE3TRATEGIEN
und wo die Grenzen der Kooperation liegen, das heißt, wann man sich am besten
wieder trennt.
7.6
Führung
Die Rolle der Führung in der Durchführung einer politischen Strategie ist von immenser Bedeutung. Führungsschwäche führt zur zögerlichen Implementierung,
was schwere Folgen für das Timing haben kann, aber auch für die Motivation der
Geführten. Vertrauensverluste in die Führung machen alle strategischen Anstrengungen zunichte und führen unweigerlich zum Scheitern der geplanten Maßnahme
oder zum Verlust der Wahl.
Deswegen muss untersucht werden, ob die Führung die Managementfähigkeiten
hat, die jeweiligen taktischen Einheiten zu führen. Und es muss gefragt werden, ob
die taktischen Führer die benötigten Führungsfähigkeiten, aber auch die fachlichen
Voraussetzungen haben, um akzeptiert zu werden.
Sun Tzu nennt fünf Qualifikationen für Führungskräfte und fünf negative Eigenschaften, die schädlich sind. Die Überprüfung anhand dieser Kriterien kann
hilfreich für die Bewertung der Führung sein.
Als positive Eigenschaften nennt er fünf Tugenden, nämlich Weisheit, Aufrichtigkeit, Güte, Mut und Strenge.
1. Weisheit
Weisheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man nicht nur Kenntnisse
über die Situation hat, in der man handelt, sondern, dass man darüber hinaus
auch in der Lage ist, Dinge zu begreifen und die zukünftige Entwicklung der
Strategie vorauszusehen. Dazu sind einmal die in einem früheren Kapitel
erwähnten Bilder und Szenarien wichtig. Andererseits sind Erkenntnisse und
Erfahrungen die Voraussetzung für Vertrauen bei den Mitarbeitern. Dazu muss
die Bereitschaft bestehen, mit Gleichgestellten und mit Untergebenen Zeit zu
verbringen und Informationen zu sammeln. Es geht dabei darum zu wissen,
wie sich die Mitarbeiter fühlen und ein Frühwarnsystem zu haben, dass einer
Führungskraft ermöglicht, proaktiv zu handeln.
2. Aufrichtigkeit
Eine Führungskraft sollte versuchen, die Mitarbeiter zu motivieren, ihre gesetzten Zeile zu erreichen und sie nicht durch Drohungen zu demotivieren. Deshalb
geht es darum, diejenigen, die Bedenken haben oder sogar opponieren, wahr
0OLITISCHE3TRATEGIEN
zunehmen und einzubinden und mit mehr Engagement als bei anderen auf die
Linie der Strategie zu bringen. Es geht also um die Sammlung und Verwendung
von Informationen, die die Führungskraft aus unterschiedlichen Kanälen erhält.
Diese sollten immer dazu verwandt werden, die Implementierung der Strategie
zu sichern und nicht dazu, Mitarbeiter zu bedrohen und zu schikanieren. Aufrichtigkeit bedeutet aber auch, dass man sich offen von Mitarbeitern trennt,
die nicht bereit sind, am gemeinsamen Ziel zu arbeiten und es ist kein Indiz
für Aufrichtigkeit, wenn die Führungskraft beginnt Mitarbeiter zu mobben.
3. Güte
Hier geht es um Freundlichkeit und die Art und Weise, wie Mitarbeiter behandelt werden. Das Klima in der Arbeitseinheit, für die eine Führungskraft
verantwortlich ist, soll gut sein. Das bedeutet, dass sich die Führungskraft
um die Mitarbeiter kümmern soll, sie soll die Mitarbeiter als Menschen wahrnehmen mit all ihren Sorgen und Nöten, aber sie soll sich auch nicht von den
Mitarbeitern ausbeuten lassen. Das beliebte Prinzip der Delegation nach oben
macht aus der Führungskraft einen Sachbearbeiter und macht die Mitarbeiter
zu Chefs.
4. Mut
Die Fähigkeit „nein“ zu sagen, erfordert von vielen Führungskräften Mut, den
sie nicht immer aufbringen. Aber jede Führungskräft, die nicht in der Lage ist
„nein“ zu sagen, wird über kurz oder lang mit Arbeit überladen und ineffektiv
oder kann ihre Ziele nicht mehr erreichen.
Als Steve Jobs als iCEO47 von Apple 1997 zurück kam, fand er eine Produktpalette vor, die viel zu breit und verspielt angelegt war. Er musste Apple also auf
die Kernkompetenzen zurückfahren. Dazu gehörte unheimlich viel Mut aber
vor allem die Fähigkeit „nein“ zu sagen zu all den Produkten, die eine Schwerpunktbildung verhinderten.48
5. Strenge
Die Mitarbeiter, hauptamtlich oder ehrenamtlich erwarten von der Führungskraft
Klarheit und Gradlinigkeit. Wenn die Führungskraft ständig Unsicherheit und
wenig Disziplin zeigt, wird auch Disziplinlosigkeit in den unteren Rängen die
Folge sein. Wenn Anweisungen nicht durchgeführt werden und danach keine
Bestrafung erfolgt, ist das ein Signal dafür, dass man sich nicht an Anweisungen
halten muss. Wenn Regeln ständig durch die Führung selbst gebrochen werden,
47
48
iCEO = Interims CEO
Leander Kahney „Steve Jobs‘ kleines Weißbuch“, 2008, Finanzbuchverlag München, ISBN 9783-89879-351-3 im Original als „Insid Steve’s Brain“ bei Portfolio erschienen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
gehört der Regelbruch zur Organisation und wird zum Bestandteil des täglichen
Handelns.
Die negativen Eigenschaften sind:
1. Tollkühnheit. (Dadurch gefährdet die Führung die gesamte Strategie und
kann leicht in Fallen gelockt werden.)
2. Feigheit. (Dadurch wird die Führung zum Spielball der Gegner, weil sie ständig
versucht, ihren Angriffen auszuweichen.)
3. Leicht aufbrausend. (Dadurch kann die Führung leicht provoziert werden und
macht in der Reaktion vermeidbare Fehler.)
4. Empfindlichkeit. (Dadurch ist die Führung leicht zu beleidigen, ist emotional
gesteuert und macht daher leichter Fehler.)
5. Zu viel Mitgefühl. (Dadurch wird die Führung von den wichtigen Dingen
abgelenkt und verliert ihre Funktion als Führungskraft.)
Da politische Führungen zumeist keine langfristigen Ziele verfolgen, sondern
am kurzfristigen Erfolg orientiert sind, ist der Umgang mit dem „human capital“
verschwenderisch und nicht auf Pflege und Qualifizierung ausgerichtet. Das ist
ein weiterer Grund, dass der Politiker nicht die Führung in einer Kampagne, einem
Wahlkampf oder bei der Implementierung von Politik übernehmen sollte. Die konsequente Trennung von politischer Führung (König, Parteivorsitzender, Minister)
und Führung bei der Durchführung der Strategie (General, Generalsekretär, Beamte
usw.) muss untersucht und durchgesetzt werden.
7.7
Kommunikation
Der Zustand und die Funktionsweise der internen Kommunikation von Organisationen ist entscheidend für die Weitergabe von Informationen, Befehlen und Rückmeldungen. In der besonderen Situation von Wahlkämpfen oder anderen Kampagnen ist vor allem die vertikale Kommunikation von Bedeutung. Hier sind folgende
Fragen zu stellen:
1. Wie und mit wieviel Kosten kann die nächste Ebene erreicht werden?
2. Wie weit reicht die Kommunikation?
3. Wie sicher ist die Kommunikation?
4. Gibt es geschlossene und abhörsichere Kommunikationswege?
5. Ist die Kommunikation erprobt oder muss sie neu installiert werden?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
6. Wie direkt kommt das Feedback von den Basiseinheiten zur Spitze? Gibt es hier
womöglich Filter, die die negative Botschaft nicht zum Entscheider vordringen
lässt und ihn damit zu Fehlentscheidungen aufgrund von Fehlinformationen
verleitet?
Zur Ausbildung von Netzwerken und in der Arbeit mit Allianzen ist auch die
horizontale Kommunikation notwendig. Hier sind folgende Fragen zu klären:
1. Sind die Kommunikationssysteme zwischen den Beteiligten kompatibel?
2. Sind die Kommunikationsbeteiligten (Sender und Empfänger) definiert?
3. Ist das Kommunikationssystem auch bei den Partnern gesichert?
7.8
Ziele
Die eigentlichen Ziele der Organisation sind schon im Auftrag49 definiert. Dennoch
muss erforscht werden, ob es eine „hidden agenda“ gibt, das heißt, ob es verdeckte
Ziele gibt, die offen nicht genannt werden. Sind solche Ziele vorhanden, können
sie die gesamte Strategie später gefährden. In der Politik aber auch in der Wirtschaft findet man solche verdeckten Ziele von internen Konkurrenten recht häufig.
Diese unterschiedlichen privaten Zielsetzungen von Führungspersonen blockieren
den gesamten Strategieplanungsprozess oder führen bei der Implementierung zu
Blockaden.
Ein Beispiel aus der Praxis war, dass bei einer Reihe aufeinander folgender Wahlen ein verstecktes Ziel darin bestand, dass eine bestimmte Wahl verloren werden
sollte, um die Motivation der Mitglieder und Wähler auf die nächste Wahl zu lenken, die dann mit größerem Gewinn für eine Teilgruppe der Entscheider gewonnen
werden sollte.
Solche verdeckten Ziele sind immer dann zu vermuten, wenn ständig Blockaden
finanzieller und personeller Art durchgeführt werden, wenn Termine nicht eingehalten werden, wenn immer neue Argumente gegen die konsequente Einführung
der strategischen Schritte vorgebracht werden. Aber auch der Verrat der Strategie oder das Durchsickern von Teilen der Strategie zum Wettbewerber oder in die
Öffentlichkeit gehören zum Instrumentarium derjenigen, die ihre eigenen Zeile
gegen die Ziele der Strategie verfolgen.
49
Siehe dazu das Kapitel 6.3. Die Probleme bei der Beschreibung der strategischen Oberziele
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Es steht außer Frage, dass sich ein Strategieplaner in einer solchen Situation
entweder zurückziehen oder das Komplott aufdecken sollte. Durch diesen Vorgang
wird aber zumeist so viel interner Spengstoff entzündet, dass eine sinnvolle Fortsetzung der Arbeit nicht möglich ist.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
$IE&AKTENSAMMLUNG¯&AKTORENDER7ETTBEWERBER
8.1
Faktoren der politischen Wettbewerber
Zunächst einmal stellt sich die Frage, wer eigentlich Wettbewerber ist. Andere
Worte für Wettbewerber sind zum Beispiel „Konkurrent“, „Gegner“ oder in Ausnahmefällen sogar „Feind“. Das hängt jeweils vom politischen Klima ab und kann
im Laufe der Zeit auch wechseln.
Im Falle eines Wahlkampfes ist die Definition des Wettbewerbers recht einfach. In diesem Fall sind es alle Kandidaten oder Gruppen (Parteien, Wählergemeinschaften usw.), die versuchen auf dem Wählermarkt einen Anteil zu erhalten. In
einigen stark durch ethnische oder religiöse Spannungen geprägten Ländern oder
Regionen können auch Kirchenverbände, Stämme usw. als Gegner auftreten, die
gar nicht direkt auf dem Markt als Wettbewerber erscheinen, aber sich feindlich
verhalten und damit Einfluss auf das Ergebnis nehmen können.
Im Falle der Einführung von bestimmten Politiken können die Konkurrenten
oder Gegner sehr vielfältig sein. Sie hängen von Thema und vom Ausmaß der Wirkung ab.
Beispiel: Korruptionsbekämpfung. Hier sind die Gegner natürlich diejenigen, die
bisher von der Korruption profitiert haben, sowohl aktiv wie auch passiv. Es können
aber auch konkurrierende Parteien und Kandidaten sein, die nicht wollen, dass die
Maßnahme der Regierung zu einem Erfolg wird.
Beispiel: Privatisierung. Hier geht es um eine ideologische und richtungsbedingte
Auseinandersetzung. Es ist daher zu erwarten, dass die politischen Parteien, die gegen Privatisierung sind, als Gegner auftreten. Daneben sind auch Gewerkschaften
und die durch Entlassung oder Versetzung bedrohten Mitarbeiter der betroffenen
Betriebe als Gegner zu erfassen und zu bewerten.
Beispiel: Einführung von Umweltschutzmaßnahmen. Natürlich treten auch hier
wieder diejenigen als Gegner auf, die bisher von der unbeschränkten Nutzung der
Umwelt Vorteile hatten. Soweit hier auch die Bevölkerung direkt betroffen ist, treten hier auch Wettbewerber auf, die mit den Begriffen „Apathie“ und „Unkenntnis“
beschrieben werden können.
Beispiel: Erhöhung des ehrenamtlichen sozialen Engagements oder Verbesserung
der Motivation von Parteimitgliedern zum Engagement im Wahlkampf. Hier treten
0OLITISCHE3TRATEGIEN
meistens keine direkten Wettbewerber auf. Die eigentlichen Wettbewerber sind hier
die Bequemlichkeit, die Freizeitgestaltung, die familiäre Bindung usw.
Vor der Untersuchung, welche Faktoren zu sammeln sind, ist also zunächst einmal die „Feindlage“ zu klären. Allein diese Überlegung, wer denn für oder gegen ein
bestimmtes Ziel auftreten wird, ist eine wichtige strategische Übung, weil sie davor
schützt, plötzlich von unvorhergesehenen Gegner angegriffen zu werden.
Die Auflistung aller möglichen Wettbewerber, Gegner oder Feinde ist – wie
ausgeführt – eine hilfreiche strategische Übung, zwingt aber nicht dazu, die Fakten aller dieser Gruppen und Erscheinungen zu sammeln. Einige Gruppen können
wegen Bedeutungslosigkeit für den Ausgang vernachlässigt werden.
Tritt zum Beispiel eine liberale Partei in einem Wahlkampf in einem Land an,
das stark durch programmatische Parteien geprägt ist, können die extremen linksund rechtsorientierten Parteien aus der Faktensammlung ausgeschlossen werden,
weil sie sich nicht in den Wählermarktsegmenten bewegen, die der liberalen Partei
zugänglich sind.
Nichtwähler
F
Wir
F
F
F
W
W
W
links
F
rechts
Wettbewerber und Feinde
Zur Einschätzung, welche Parteien besonders gefährlich für die eigene Position
und den Ausgang einer Wahl sind, ist es notwendig darüber nachzudenken, welche
Partei ähnliche Angebote macht, wie die eigene Partei. Generell gilt die Regel, dass
die Parteien und Gruppen, die sich inhaltlich sehr nahe stehen, die intensivsten
Wettbewerber (W) sind. Das liegt daran, dass es für den Wähler keinen großen
Unterschied macht, zwischen zwei Parteien zu wählen, die sich sehr nahe stehen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Deshalb gibt es zwischen richtigen Wettbewerbern auch zumeist einen großen
Wähleraustausch. Je weiter eine Partei sich jedoch inhaltlich von einer anderen
entfernt, desto geringer wird der Wähleraustausch. Für die Positionierung bedeutet
dass, dass man sich nicht mit den Feinden (F) auseinander setzt, um ihnen nicht
noch zusätzliche Publizität zu geben, sondern dass man darauf achtet, dass man
für die avisierte Wählergruppe attraktive Unterschiede zu den „nahen“ Parteien
zeigt. Wird kein attraktiver Unterschied zwischen zwei sich nahestehenden Parteien gezeigt, neigt der Wähler dazu, die jeweils größere Partei zu wählen, weil er
sich von ihr mehr Durchsetzungsvermögen erwartet.
Treten in einem Wahlkampf viele kleine Splitterparteien auf, so können diese
vernachlässigt werden, soweit sie nicht ausdrücklich gegen die Partei, für die die
Strategie entwickelt wird, antreten.
Treten bei der Implementierung einer bestimmten Politik eine Vielzahl von NRO‘s
oder Bürgerinitiativen gegen die Politik auf, so sollten nicht die Fakten aller einzelnen Organisationen erfasst werden, sondern es sollte der Versuch gemacht werden,
die Gruppe dieser Gegner als Einheit zu sehen und deren übereinstimmenden Fakten zu sammeln.
Die Gliederung für die Sammlung von Fakten über die Wettbewerber entspricht
der Sammlung der Fakten über die eigene Organisation oder den eigenen Kandidaten. Es handelt sich dabei also um die folgenden Faktengruppen:
1. Produkt
2. Multiplikatoren, Allianzen
3. Ressourcen
4. Struktur
5. Führung
6. Kommunikation
7. Ziele
8.2
Beschaffung von Informationen vom Gegner/Aufklärung
Die Beschaffung von Informationen über die Wettbewerber ist eine der wichtigsten
Aufgaben für die Strategieplanungsvorbereitung. Die Unkenntnis und Fehleinschätzungen über Absichten, Planungen, Stärken und Schwächen der Konkurrenten ist
bei den Strategieplanungen im politischen Feld erschreckend hoch. Kein Unter0OLITISCHE3TRATEGIEN
nehmen würde es wagen, ohne saubere Marktanalyse und Kenntnisse über die
Konkurrenten ein Produkt auf den Markt zu bringen. Politische Parteien und Regierungen tun dieses täglich – zurückzuführen im wesentlichen auf eine unglaubliche
Selbstüberschätzung. Ein solches Verhalten rächt sich natürlich. Das ist besonders
schade, wenn eine Regierung eine als richtig erkannte Politik implementieren will
und wegen mangelnder Aufklärung beim Gegner nicht in der Lage ist, die Implementierung erfolgreich abzuschließen. Es trifft aber auch eine Vielzahl von Gooddoer-NROs, die überhaupt nicht verstehen können, dass man gegen ihre „guten“
Absichten etwas haben kann.
Sun Tzu sagt dazu: Wenn du die anderen und dich selbst kennst, wirst du auch
in hundert Schlachten nicht in Gefahr schweben; wenn du die anderen nicht kennst,
aber dich selbst kennst, siegst du einmal und verlierst einmal; wenn du die anderen
nicht kennst und dich selbst nicht kennst, dann wirst du in jeder einzelnen Schlacht
in Gefahr sein.
Die wesentlichen Formen der Informationsbeschaffung und Aufklärung50 sind
folgende:
1. Informationen aus dem Lager des Wettbewerbers
2. Spionage
3. Auswertung von Umfragen
4. Auswertung der Medien
5. Aufklärung bei den Alliierten der Wettbewerber.
50
Über die Art der Beschaffung von Informationen informiert ausführlich das Kapitel 20 „Strategiekontrolle“.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
$IE&AKTENSAMMLUNG¯5MFELDFAKTOREN
9.1
Gesellschaftsstruktur
Die Kenntnis der Gesellschaft, in der oder mit der gearbeitet werden soll und in der
Ziele erreicht werden sollen, ist für eine strategische Planung von entscheidender
Bedeutung. Dabei spielen Daten über die Bevölkerung, deren regionale Verteilung
und deren ethnische, geschlechtliche, religiöse und altersmäßige Zusammensetzung, die politische Situation, die Erwartungen, Hoffnungen und Bedürfnisse und
das Verhalten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen eine Rolle.
Ähnlich wie bei der Kenntnis der Konkurrenten kann hier bei der praktischen
Strategieplanung immer wieder festgestellt werden, dass es an Informationen über
den Zustand der Gesellschaft mangelt.
Deutlich wird der Mangel an Kenntnis über die Stimmung in der Bevölkerung
sehr oft bei der Implementierung von Auflagen des Internationalen Währungsfonds.
Wenn hier Preise von Grundnahrungsmitteln angehoben werden sollen, stellt die
Regierung oftmals erst nach der Maßnahme fest, wie explosiv diese Frage von der
Bevölkerung beantwortet wird. Viele Rebellionen und Aufstände wären zu vermeiden
gewesen, wenn die Lage richtig erkannt und eingeschätzt worden wäre.
Wenig bekannt sind auch die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen, die
sich in den meisten kumulierten Umfrageergebnissen nicht mehr erkennen lassen.
Das liegt daran, dass die immer kleiner werdenden Stichprobengrößen bei den Umfragen immer weniger Differenzierung zulassen und die Reduzierung auf nur wenige Fragen bei den Umfragen lässt Verknüpfungen und Korrelationen mit anderen
wichtigen Daten nicht zu. Damit liefern die quantitativ orientierten Umfragen nicht
mehr diejenigen Daten, die für die Beurteilung von Stimmungen in unterschiedlichen Teilmengen der Gesellschaft notwendig sind. Sie müssen deswegen ergänzt
werden um Umfragen (Delphi-Umfragen oder Focus-Group-Befragungen), die die
qualitativen Daten für bestimmte Bevölkerungsgruppen liefern können.51
9.1.1 Bevölkerung/Wähler
Zunächst muss hier untersucht werden, wie sich die Bevölkerung im Lande oder
im jeweiligen Aktionsgebiet verteilt. Hier spielt die Frage der Verteilung zwischen
ländlicher und städtischer Siedlungsform eine wichtige Rolle. Auch die Konzen51
Zu Umfragen siehe das Kapitel 20.1.1 f
0OLITISCHE3TRATEGIEN
tration von Einwohnern in bestimmten Regionen des Landes, die Verteilung verschiedener ethnischer Siedlungsgebiete und die religiöse Verteilung muss erfaßt
werden, soweit die Daten für den Auftrag relevant sind. Besonders wichtig z.B. für
Wahlkampagnen ist die altersmäßige Verteilung der Bevölkerung oder der Grad der
Registrierung in den Wahlregistern.
Liegen Daten über berufliche Tätigkeiten, Schulbildung, Familienstand und Einkommensklassen vor, so sind diese soweit wie möglich darzustellen. Bei der Sammlung dieser Daten sind die Auswahlkriterien des Datensiebes (Kapitel 7) Relevanz,
Größe, Wichtigkeit und Dringlichkeit besonders zu beachten, weil die Datenmengen
sonst zu umfangreich ausfallen könnten.
Für einige Länder mit hohem Anteil ihrer Bürger im Ausland können die Daten
über die im Ausland wohnenden Bürger für Wahlkämpfe, aber auch für das Fundraising eine enorme Bedeutung haben und sind daher darzustellen.
9.1.2 Verhalten
Beim Verhalten der Bevölkerung stehen unterschiedliche Verhaltensweisen im
Mittelpunkt.
Bei Wahlen spielt das frühere Wahlverhalten eine Rolle, wie zum Beispiel
1. die Verteilung der Wähler auf die Parteien,
2. die Entwicklung der Wahlbeteiligung,
3. das Verhalten der Nichtwähler,
4. die Wählerwanderung,
5. das Stamm- und Wechselwählerverhalten,
6. die Wahlentscheidungsgründe.
Bei Politikimplementierungsstrategien sind es
1. Einstellungen zum Politikbereich,
2. Ausmaß des Mobilisierungspotentials, d.h. die Anzahl derjenigen, die sich für
oder gegen die geplante Politikveränderung so mobilisieren lassen, so dass sie
zu bestimmten Aktionen (Demonstrationen, Streik, Gewaltanwendung) greifen
könnten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3. Verhalten bei Konflikten, ethnischen und religiösen Spannungen aber auch um
das Verhalten in bestimmten politischen und sozialen Situationen.
9.1.3 Bedürfnisse
Ein Bedürfnis ist ein als Mangel empfundener Erlebniszustand, der mit einem Streben nach Behebung (Befriedigung) verbunden ist. Es ist ein Begriff aus dem Bereich
der Motivationspsychologie und spielt daher beim Wahlverhalten oder Verhalten
in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Von den Triebtheorien werden der Nahrungstrieb, der Selbsterhaltungstrieb usw. als primäre oder angeborene Bedürfnisse
unterschieden von den sekundären (Geltung, soziale, religiöse Interessen) oder
erworbenen Bedürfnissen. Maslow entwickelte ein Modell einer Bedürfnishierarchie52 mit den Stufen
–
Selbstverwirklichung
–
Wertschätzung
–
Geborgenheit und Liebe
–
Sicherheit und
–
physiologische Bedürfnisse.
Die Ermittlung der Bedürfnisse der Menschen ist für politische Strategien, besonders wenn es um die Planung von Wahlkämpfen geht, notwendig. Die meisten Wahlentscheidungsgründe hängen zusammen mit der Erwartung von Bedürfnisbefriedigung. Bei anderen Strategien, die mehr mit Politikimplementierung zu tun haben,
geht es darum, frühzeitig zur erkennen, was bei Einführung einer bestimmten Politik
im Bedürfnisbereich der Menschen passieren wird, welche Bedürfnisse tangiert und
unter Umständen gefährdet und wo neue Bedürfnisse entstehen werden.
9.2
Gesellschaftswandel
Die Gesellschaft befindet sich in den meisten Ländern in einem ständigen Wandlungsprozess. Teilweise verlaufen diese Wandlungen schleppend und kaum bemerkbar. In anderen Fällen, besonders nach Revolutionen, Kriegen, aber auch bei
Dekolonisierungsmaßnahmen läuft der Wandlungsprozess sehr schnell ab, was
zu beträchtlichen Problemen in der Bevölkerung und im politischen System führen kann. Besondere Wirkung auf den gesellschaftlichen Wandel hat die moderne
52
Über die Anwendung dieser Bedürfnisspyramide und ihre Übertragung auf politische Kategorien
berichtet Kapitel 15.4.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Kommunikationstechnologie, die es möglich macht, in kurzer Zeit Informationen
aus allen Teilen der Welt zur Verfügung zu stellen und damit Bedürfnisse und
Emotionen zu wecken. Nicht umsonst versuchen einige Länder den Zugang zum
Internet und zu sozialen Netzwerken im Internet zu unterbinden oder zumindest
zu stören. Solche Wandlungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen frühzeitig
zu erkennen, sie zu nutzen, sie zu beschleunigen oder abzubremsen ist Aufgabe
einer aktiven Gesellschaftspolitik und damit auch eine Aufgabe, die von der Strategieplanung zu lösen ist.
Trends im Gesellschaftswandel sind aber auch Grundlage für die Positionierung
von Parteien je nach mehr oder weniger konservativer oder fortschrittlicher Ausprägung. Denn jede Veränderung oder wie verbreitet behauptet wird, jede sogenannte
„Modernisierung“ bringt Modernisierungsgewinner und Modernisierungsverlierer
hervor. Im Informationszeitalter mit Globalisierungstendenzen, hoher Migration
und Vermischung von Religionen und Wertesystemen ist im Bereich des Gesellschaftswandels ein riesiges Feld für Pro- und Contrastrategien entstanden, die von
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen für ihre eigenen Interessen genutzt werden. Beispiele dafür sind die Erscheinungen von Fundamentalismus, ethnischer und
religiöser Kriege, Gewaltanwendung, Werteverfall, Isolierung und Verwahrlosung.
9.2.1 Wertewandel
Wertewandel bedeutet Veränderung von gesellschaftlich gesetzten Normen und
Regeln und religiös und ethnisch beeinflussten Geboten sowie von individuellen
Werteorientierungen und -vorstellungen.
Zum Beispiel werden in einigen Gesellschaften traditionelle Autoritätsverhältnisse der Leistungsgesellschaft, wie Leistungsprinzip und quantitatives Wirtschaftswachstum, in Frage gestellt. Dagegen setzen sich als sozial gerecht und ökologisch
angepasst geltende Lebensformen durch.
In anderen Gesellschaften bricht das sozialistische System mit geplanter Wirtschaft, seiner Idee des Internationalismus und der staatlich angeordneten Solidarität zusammen und wird nur teilweise ersetzt durch kapitalistische Formen der
Wirtschaft und Förderung des Individualismus. In anderen Ländern kommt es zu
einer Renaissance des Sozialismus.
Nach der globalen Finanzkrise wird der Kapitalismus mit seinen prägenden Elementen in Zweifel gezogen und es bilden sich große gesellschaftliche Gruppen, die
0OLITISCHE3TRATEGIEN
nach neuen Formen des Wirtschaftens suchen oder zumindest die kapitalistische
Wirtschaftsform fundamental ablehnen.
In einigen Gesellschaften durchbrechen soziale Bewegungen alte Strukturen,
schaffen sich Frauen ihren Platz in der Gesellschaft, wird Umweltschutz zur Orientierungsmarke für wirtschaftliches Handeln.
Gleichzeitig brechen in anderen Ländern nationale Denkgebäude zusammen
und es findet eine Rückkehr zur kleinräumigen und tribalen Orientierung statt. Die
„alte“ Ordnung wird wiederhergestellt.
Der Machtverlust der etablierten Kirchen und der Verlust an Orientierung und
Leitung durch akzeptierte Normen führt zur Flucht in Sekten und fundamentalistische
Bewegungen, die wiederum für ihre Mitglieder klare und auf Hierarchie bedachte
Ordnungen liefern.
Die Kenntnis der in einer Gesellschaft vor sich gehenden Wertewandelprozesse
sind für die Gestaltung von Politik, aber auch für die Gestaltung des Wandlungsprozesses außerordentlich wichtig. Die Unfähigkeit der Regierungen mit fundamentalistischen Bewegungen umzugehen und das Problem mit speziellen Sekten
zeigt, wie wenig politische Gruppen strategisch auf den Wertewandel reagieren
und zumeist nur Abwehrstrategien entwickeln, die, wie die Praxis zeigt, nur wenig,
wenn überhaupt wirksam sind.
9.2.2 Strukturwandel
Während der Wertewandel auf Veränderungen von gesellschaftlichen Normen und
Regeln basiert, geht der Strukturwandel zumeist auf ökonomische Veränderungen
zurück. Der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die Veränderung in
Richtung Dienstleistungsgesellschaft und Informationsgesellschaft sind Verursacher
von beträchtlichen Strukturänderungen, die mit dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen an bestimmten Standorten und dem Aufbau von neuen Arbeitsplätzen an
anderen Standorten verbunden sind.
Strukturwandel kann auch ausgelöst werden durch Konkurrenz auf dem Weltmarkt und die Verdrängung der heimischen Produktion aus dem Weltmarkt, wie
dieses bei der Textilproduktion, dem Schiffbau und im Stahlbereich zu bemerken
ist.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Auf solche Strukturwandlungsprozesse muss strategisch reagiert werden. Aber
vielmehr gilt es in den Verliererregionen alternative Produktionen anzusiedeln oder
zumindest sich als Partei oder Kandidat in diesem Strukturwandlungsprozess richtig zu positionieren.
Ein massiver Strukturwandel in der Demographie zeichnet sich in vielen Gesellschaften durch Überalterung ab. Teilweise ist das bedingt durch die Ein-Kind-Politik
wie z. B. in China oder durch die Möglichkeiten der Geburtenkontrolle. Beträchtliche
Verwerfungen in der gesellschaftlichen Komposition werden durch das Wegsterben
der mittleren Generation in HIV durchseuchten Gebieten ausgelöst, was dann zu
Folgeproblemen z.B. durch zu Zunahme der sogenannten AIDS-Waisen führt.
9.2.3 Verhaltenswandel
Veränderungen im Wahlverhalten haben ihre Ursachen. Entweder werden nicht die
richtigen Bedürfnisbefriedigungsstrukturen angeboten oder die Angebote für Bedürfnisbefriedigung werden von anderen Gruppen und Parteien kompetenter und
vertrauenswürdiger angeboten. Wahlverhaltensverschiebungen bei bestimmten
Gruppen, wie z.B. bei Jugendlichen, bestimmten Berufsgruppen oder Lebensstilzielgruppen können alarmierende positive oder negative Signale sein, die sauber
interpretiert werden müssen, um die nötigen Entscheidungen treffen zu können.
Beispiele: Das Auftreten von aggressiven Verhaltensweisen in einigen Gesellschaften gegenüber Ausländern und Asylbewerbern zu Zeiten, in denen die Unsicherheit über Arbeitsplätze und die Zukunft zunimmt, ist ein ernstzunehmendes
Faktum für die strategische Planung.
Ein weiteres wichtiges Phänomen in Gesellschaften, die schon längere Demokratieerfahrungen haben, ist die Aufweichung von Wählerbindungen und das
Auftreten von großen volatilen Wählerschichten, die durch kleinste Ereignisse dazu
bewegt werden, Parteien fluchtartig zu verlassen und sich dann in Parteien ohne
klares Profil, wie zum Beispiel die Piratenpartei bei der Wahl zum europäischen
Parlament im Jahr 2009 zusammenfinden.
Verhaltensänderungen im Bereich Kriminalität und Gewaltanwendung sind
ein Signal für Veränderungen in der Gesellschaft, die von Gruppen oder Parteien
genutzt werden können, die aber auch Anlass für Aktionen von Regierungen und
anderen exekutiven Machtträgern sein können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
9.2.4 Bedürfniswandel
Der Wandel bei den Bedürfnissen hängt von der psychologischen Entwicklung der
Individuen und in der Summe von gesellschaftlichen Gruppen ab. Diese Entwicklung basiert sehr stark auf Veränderungen der ökonomischen Basis und der sozialen Sicherungssysteme. Je besser die Basisbedürfnisse, die Sicherheitsbedürfnisse
und die sozialen Bedürfnisse befriedigt werden, umso mehr neigen die Gruppen
zur Forderung von postmateriellen Befriedigungen. Solche Prozesse dürfen nicht
verschlafen werden, weil damit Chancen vergeben werden. Dabei sollte nicht verkannt werden, dass Makrodaten nur sehr unzureichend die reale Situation in der
Gesellschaft beschreiben. Eine hohe Nachfrage nach postmateriellen Bedürfnissen
bedeutet noch nicht, dass in dieser Gesellschaft die Basisbedürfnisse weitgehend
befriedigt sind. Das gilt besonders dann, wenn in einer Gesellschaft zum Beispiel der
Mittelstand fehlt. Es gibt in jeder Gesellschaft Menschen, die einen Status haben,
der ihre Orientierung auf einen bestimmten Typ der Bedürfnisbefriedigung bestimmt.
In Entwicklungsländern genauso wie in entwickelten Industrieländern.
Bei einem Wandel in den Bedürfnissen muss genau erforscht werden, woher
dieser Wandel kommt, welche Ursachen er hat und inwieweit er als stabil betrachtet werden kann. Die Stabilität hängt von den Auslösefaktoren ab. Dieses können
aktuelle Ereignisse sein (Katastrophen wie Tschernobyl, besondere Kriminalitätsfälle
wie der Amoklauf an einer amerikanischen Highschool, Terroranschläge, Klimakatastrophen usw.), die die Bedürfnisse für kurze oder längere Zeit beeinflussen53.
9.2.5 Technologiewandel
Der Wandel in der Technologie zeigt sich besonders in der Informationstechnologie.
Früher genügte es den Radiosender in einem Land zu besetzen, um das Informationsmonopol in die Hand zu bekommen. Das ist heute Vergangenheit. Es gelingt
nicht mehr, Länder und Menschen von der Information abzuschneiden. Mobiltelefone, Satelliten und Internet lassen selbst regionale Ereignisse nicht ohne weltweites Interesse.
Ob ein Mönchsaufstand in Burma, die Unterdrückung von Informationen in
China oder der Versuch des Putsches in Moskau mit der Besetzung des „weißen
Hauses“. Dank der Mobiltelefone gelingt es immer wieder die Weltöffentlichkeit zu
53
Zum Wandel und der Beeinflussbarkeit von Themen und Bedürfnissen siehe Kapitel 15.5.4
Auswahl der richtigen Themen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
informieren. Alles wird zum Weltspektakel und die Weltöffentlichkeit wird Zeuge
und Kontrolleur der Vorgänge.
Auch für die interne Komunikation von Organisationen und Parteien in Ländern,
in denen Post und Festnetz nicht funktioniert, sind die modernen Technologien ein
Mittel, um Informationen nach unten und von unten nach oben zu geben, und damit
sind sie wesentliche Voraussetzung für die Implementierung von Strategien.
9.3
Politische Trends
Große politische Trends bestimmen den Ausgang eines Wahlkampfes oder anderer kompetitiver Vorgänge weit mehr, als eine im Rahmen dieses Trends gestaltete
Strategie. Sun Tzu betont in seiner Schrift immer wieder, dass das Timing und der
Schwung für den Ausgang eine besondere Bedeutung hat.
Zum Timing sagt Sun Tzu: Wenn der Schlag des Falken das Rückgrat seines Beutetieres bricht, dann liegt das an der perfekten zeitlichen Abstimmung.
Zum Schwung sagt Sun Tzu: Wenn reißendes Wasser Felsbrocken bewegen kann,
so liegt das an seinem Schwung.
Gegen den politischen Trend, das korrekte Timing und den Schwung kann eine
auch sehr gute Strategie nichts ausrichten. Deswegen ist es manchmal sinnvoll,
ein bestimmtes Ziel nicht dadurch zu zerstören und unglaubwürdig zu machen,
dass man es zum falschen Zeitpunkt und gegen den Trend zu erreichen versucht.
Deshalb ist die Analyse des Trends für die Abschätzung, ob man mit einer Strategie
erfolgreich sein kann oder nicht, von entscheidender Bedeutung. Manchmal ist es
eben gut, ein wenig zu warten und die Trendumkehr zu seinem eigenen Vorteil zu
nutzen, statt verzweifelt gegen den Trend zu kämpfen und zu verlieren.
Für Langfriststrategien kommt es darauf an, bestimmte zu erwartende Trends
vorauszusehen und sie optimal zu nutzen.
Beispiel: Ein kalkulierbarer Trend ist, dass eine Regierungspartei auf nationaler
Ebene in der Mitte der Legislaturperiode normalerweise schlechte Imagewerte hat,
weil viele Erwartungen der früheren Unterstützer nicht erfüllt worden sind. Diesen
kalkulierbaren Trend kann die Opposition bei regionalen Wahlen zur Mitte der Legislaturperiode für sich ausnützen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel: Eine Regierung, die weiß, dass sie aufgrund bestimmter Vorkommnisse
und Planungen in absehbarer Zeit in Schwierigkeiten kommen wird und damit die
Unterstützung des Wahlvolkes verlieren wird, muss verhindern, dass dieser Trend
Wirklichkeit wird. Dafür muss sie zum Beispiel rechtzeitig einen äußeren Feind
präsentieren oder äußere Ereignisse nutzen (Naturkatastrophen, Ereignisse in entfernten Ländern usw)., die vom Trend ablenken und ihn somit für die Opposition
nicht nutzbar macht.
Die Nutzung dieser Trends wird nur erfolgreich sein, wenn die Trends vorher
erkannt und analysiert worden sind.
9.4
Kommunikation
Die Faktensammlung über die Kommunikation umfasst die typischen Kommunikationsmöglichkeiten mit der Gesellschaft und einzelnen gesellschaftlichen Gruppen.
Im einzelnen sind die möglichen Zugänge zu den Zielgruppen mit ihren Preisen und
der Verfügbarkeit zu bestimmten Zeiten zu analysieren.
Dabei handelt es sich um folgende Zugänge mit Untergruppen:
Medialer Zugang
s 0RINTMEDIEN
elektronische Medien
Außenwerbung
s &ORMELLER:UGANG
Verbandsarbeit
Multiplikatorarbeit
s )NFORMELLER:UGANG
Opinionleaderaktivitäten
Face-to-face-Aktivitäten
s .ETZWERKZUGANG
Aktivitäten im sozialen Netzwerken
Die Kenntnis über Zugangsmöglichkeiten und Preise ist für die strategischen
und taktischen Entscheidungen sehr wichtig. Gibt es zum Beispiel in bestimmten
Ländern keinen Zutritt für Oppositionsparteien zu den Zeitungen, TV- und Hör0OLITISCHE3TRATEGIEN
funkprogrammen, weil sie staatlich kontrolliert werden, müssen alternative Zugangsmöglichkeiten herausgearbeitet werden, um im wesentlichen auf informellen
Wegen die Kommunikation zu betreiben.
Die Kenntnis über Preise und die zeitliche Verfügbarkeit ist für die Finanzplanung und die Zeit- und Maßnahmenplanung von entscheidender Bedeutung.
Neben den allgemein bekannten Kommunikationskanälen gibt es in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche informelle Kommunikationssysteme, die mit
einer erstaunlichen Wirkung versehen sind. So findet die Verbreitung von Gerüchten
auf bestimmten Informationskanälen statt, die nicht buchbar und belegbar sind.
Dennoch kann es sehr wichtig sein, innerhalb dieses informellen Systems Nachrichtengeber zu sein, um das formale Kommunikationssystem zu unterlaufen.
9.5
Rahmenbedingungen
9.5.1 Gesetze
Bei den Rahmenbedingungen spielen Gesetze eine entscheidende Rolle. Nahezu
alle Entscheidungen, die von strategischer Bedeutung sind, sind in den meisten
Ländern durch Gesetze beeinflusst.
Wenn eine politische Strategie zur Privatisierung geplant und durchgeführt werden soll, spielen Eigentumsgesetze, Eigentumsübertragungsgesetze, Sozialgesetze
und eine Vielzahl anderer Regelungen und gesetzlicher Vorschriften eine Rolle.
Blickt man auf eine Wahlkampfsituation, so ist die Kenntnis der Wahlgesetzgebung, der Gesetze über Parteien und ihre Finanzierung, der Gesetze über die Medien
und die Nutzung von Medien eine entscheidende Rolle. Deshalb ist bei aller kreativen Leistung einer Strategiefindung, die zunächst gültige gesetzliche Grundlage zu
prüfen, weil sie sehr oft über Erfolg und Misserfolg einer Strategie entscheidet. Die
Gesetze entsprechen dem Terrain über das Sun Tzuan vielen Stellen berichtet.
Beispiel: Für die Strategieplanung ist es von entscheidender Bedeutung, ob man
es mit einem Mehrheitswahlrecht oder einem Proportionalwahlrecht oder einem der
vielen anderen Wahlrechtsalternativen zu tun hat, wie der Stimmzettel aussieht,
wie der Zugang zu den Medien organisiert ist, und wie sich eine Partei finanzieren
kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Für die politische Arbeit sind es vor allem folgende Gesetze, die eine Rolle
spielen können:
1. Verfassung
2. Parteiengesetz
3. Wahlgesetze und -verordnungen
4. Presse- und Mediengesetze
5. sonstige Gesetze, die mit der jeweiligen politischen Strategie zu tun haben.
Bei der Analyse der Gesetze ist darauf zu achten, dass die jeweils letzte gültige
Fassung vorliegt. Wichtig für die Strategieplanung ist, dass die Gesetze im vollen
Wortlaut vorliegen und nicht nur durch Berichterstattung bekanntgemacht werden. Die volle Ausnutzung der gesetzlichen Formulierungen für die Strategie liegt
sehr oft im Detail. Zur Analyse der gesetzlichen Lage gehört auch, dass überprüft
wird, ob die Gesetze überhaupt angewandt werden. Daraus können sich vielfältige
Probleme ergeben, wie zum Beispiel Wahlfäschung, Unterdrückung von oppositionellen Parteien usw.
9.5.2 Bedrohungen
Die Kenntnis von Bedrohungen während der Durchführung einer politischen Strategie oder einer Wahlkampfstrategie ist bedeutsam für die Einschätzung möglicher
Unterstützung oder auch Passivität oder Abwehr durch Angst.
Beispiel: Eine typische Situation ergab sich bei der Behandlung von Abtreibungsgesetzen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier kam es zu heftigen, persönlichen Bedrohungen nicht nur von Politikern, sondern vor allem auch von Personal in
Abtreibungskliniken und Sympathisanten der Abtreibungsregelung. Solche Bedrohungen müssen möglichst als ein Bestandteil der Faktensammlung in die Strategie
eingehen, um von vornherein auf solche Situationen vorbereitet zu sein.
Bedrohungen kann es bei Wahlkämpfen vielerlei geben. In einigen Ländern werden die Angehörigen von Oppositionsparteien körperlich durch die Regierungskräfte
bedroht, in Gefängnisse gesteckt oder sonstigen Repressalien ausgesetzt. In anderen
Ländern sind unterschiedliche politische Gruppen so militant zueinander, dass es
regelmäßig zu Morden kommt zum Beispiel zwischen unterschiedlichen Ethnien,
unterschiedlichen Religionen oder auch zwischen Familien der Kandidaten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Zahl der politischen Morde bei Wahlen in bestimmten Ländern ist ein
eindeutiger Beweis für solche Bedrohungen. Die Situation für die Sicherheit von
Wahlkämpfern, Wählern und Kandidaten muss daher frühzeitig geklärt werden,
um entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten oder eigene Sicherheitsdienste
aufzubauen.
9.5.3 Interventionen
Während Bedrohungen bei politischen Strategien als solche definiert werden, die
von innerhalb des Landes kommen, so kommen Interventionen von außen. Zumeist
sind es Nachbarländer, sehr oft aber auch Länder, auf die andere Staaten Einfluss
ausüben wollen.
Solche Interventionen hat es schon immer gegeben und haben oft genug zu
kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Manchmal sind solche Interventionen
offen und die Drohung ist unmittelbar.
Beispiel: Die Japaner nennen einen übermäßigen amerikanischen Druck zur
Öffnung der japanischen Märkte für amerikanische Waren „die Wiederkehr der
schwarzen Schiffe”. Das kommt daher, dass 1853 der Admiral Matthew C. Percy mit
seinen schwarzen Kriegsschiffen das Shonugat überzeugte, den japanischen Markt
für amerikanische Händler zu öffnen.
Manchmal sind die Drohungen versteckt oder oftmals überhaupt nicht öffentlich sichtbar. Aber dennoch nehmen Kräfte auf das Geschehen Einfluss, so dass das
von ihnen gewünschte Resultat erreicht wird. Das gilt bei Wahlen genauso wie bei
der Einführung bestimmter Politiken.
Beispiel: Bei einer Präsidentschaftswahl in Guatemala teilten mir die Mitglieder
einer Planungsgruppe mit, dass Präsident von Guatemala nur werden könne, wer die
Unterstützung der amerikanischen Botschaft, des Militärs und des „Sector Privado”
habe. Ich musste mich im Laufe des Wahlkampfes davon überzeugen lassen.
Beispiel: Als bei der Präsidentschaftswahl 1995 in Taiwan der Kandidat der DPP
(Democratic Progressive Party) eine Politik betrieb, die gegen eine Wiedervereinigung
mit Festlandchina war, entsandte China viele Kriegsschiffe in die Formosa Street und
löste damit so viel Angst in Taiwan aus, dass der Kandidat der Kuomingtang erneut
gewählt wurde.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
9.5.4 Fixe Termine
Fixe Termine haben keinen offensichtlichen Einfluss auf politische Strategien.
Dennoch sind sie wichtig und können natürlich die Präsenz bestimmter politischer
Gruppen fördern oder behindern. Sie bieten in bestimmten Ländern auch die Chance,
Dinge zu tun, die sonst unmöglich wären. Solche Termine sind zum Beispiel Ereignisse, bei denen die ganze Welt auf das Land schaut, wie die Olympischen Spiele
oder die Fussballweltmeisterschaft usw.
Das Auftreten von Unruhen in Tibet vor den Olmypischen Sommerspielen im Jahr
2008 ist ein Beispiel dafür. Wenn es die Spiele nicht gegeben hätte, wäre die Reaktion
der chinesischen Führung wahrscheinlich sehr viel härter ausgefallen und vor allem
hätten die Medien darüber weniger berichtet als so kurz vor den Spielen.
Fixe Termine sind zunächst einmal Feiertage, die voraussehbar Strategien beeinflussen können.
Beispiel: Bei einer Anhäufung von Feiertagen, z.B. die Weihnachts- und Neujahrszeit werden politische Kampagnen unterbrochen und empfindlich gestört, wenn
man nicht rechtzeitig die Planungen so gestaltet, dass die Kampagne nicht zerstört
wird. Dieser Fall trat bei einer Bundestagswahl im Januar in Deutschland auf. Hier
mussten Vorkehrungen getroffen werden, um die Dramaturgie der politischen Wahlkampagne im gewünschten Sinne zu beeinflussen.
Ähnliche Situationen gibt es auch in moslemischen Ländern im Ramadan.
Neben diesen fixen Terminen, die sich aus Feiertagen oder Ferienzeiten ergeben,
sind zum Beispiel auch Sportereignisse, politische Großereignisse usw. von Bedeutung für die Planung von politischen Strategien. Diese Termine haben manchmal
Nachteile, weil der politische Gegner sie besser nutzen kann als die eigenen Organisation oder weil große Bevölkerungsteile abgelenkt sind und sich lieber durch
Fußball, NBA-Playoffs, Cricket-World-Cups oder Basketballmeisterschaften ablenken lassen, als durch Politik. Andererseits bieten solche Ereignisse auch Chancen,
die nicht ungenutzt vergehen dürfen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3TiRKENUND3CHWiCHENBILDUNG
Zur Ermittlung der Stärken und Schwächen werden die Fakten in ihrer Beziehung
zum Auftrag bewertet. Das bedeutet, man vergleicht jede dokumentierte Tatsache
mit dem Auftrag und stellt dabei die Frage: Ist diese Tatsache förderlich oder nicht
förderlich für die Erreichung des im Auftrag formulierten Oberziels?
10.1 Stärken
Wenn das Faktum förderlich ist, handelt es sich um eine Stärke. Wenn das Fakt
dagegen ein Problem darstellt zur Erreichung des Oberziels aus dem Auftrag, handelt es sich um eine Schwäche. Wenden wir uns zunächst den Stärken zu. Stärken
können unterschiedlich zu bewerten sein. Dazu einige Beispiele:
Wenn unsere Partei eine sehr gute und funktionierende Organisation hat, ist das
eine Stärke für die eigene Partei.
Eine solche Stärke kommt aus der eigenen Organisation selbst. Sie kann uns
nicht genommen werden. Der Opponent kann hier höchstens durch den Ausbau
seiner eigenen Organisation gleichziehen. Insgesamt bleibt unsere Stärke aber erhalten.
Haben wir für eine Wahlkampagne eine aktive Mitgliedschaft und Freiwillige
mit einem sehr hohen Aktivitätsgrad, so ist dieses eine Stärke, die aus unserer eigenen Organisation kommt.
Diese Stärke kann von uns genutzt werden. Allerdings muss die Stärke gepflegt
werden, da Mitgliedermotivation und Freiwilligengruppen durch Maßnahmen der
Gegner auch gefährdet werden können. Wenn unsere Stärke in diesem Bereich eine
wirkliche Schwäche für unsere Gegner darstellt, müssen wir damit rechnen, dass der
Gegner versuchen wird, durch spezielle Strategien unseren Vorteil zu zerstören.
Haben wir eine bessere und verständlichere Programmatik in einem eine Zielgruppe interessierenden Themenbereich, so haben wir eine Stärke, die sich aus einem
Vergleich mit unserem Gegner ergibt.
Solche Stärken sollten in der Auseinandersetzung mit dem politischen Konkurrenten genutzt werden, solange es geht. Denn niemand kann unseren Gegner
daran hindern, seine Programmatik auch attraktiv zu machen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wenn die Regierungspartei als unser Opponent schlechte Leistungen gezeigt
hat und in Umfragen schlechte Bewertungen durch die Bevölkerung erhält, ist das
eine Schwäche für die Regierungspartei und eine Stärke für uns.
Schwächen unser Opponenten sind also Stärken für uns. Wir können also Stärken durch schwache Gegner erhalten, wir müssen allerdings in der Lage sein, die
Schwäche auch auszunutzen. Gerade dieser Bereich ist sehr anfällig für Fehleinschätzungen. So stellen zum Beispiel Fehler, die von Regierungsparteien gemacht
werden, sicherlich Schwächen dar. Wenn die Oppositionsparteien aber nicht in der
Lage sind, ihre eigenen attraktiveren Lösungen der Wahlbevölkerung präsentieren und damit Hoffnung auf eine bessere Leistung zu wecken, wird die Schwäche
nicht genutzt. Die alleinige negative Kritik an einer Politik, die eine Schwäche der
Gegenseite auslöst, führt nicht zu einer Stärke unsererseits.
10.2 Schwächen
Wenden wir uns nun unseren Schwächen zu. Die Schwächen können genauso wie
die Stärken unterschiedlich bewertet werden. Auch hierzu einige Beispiele:
Haben wir keine funktionierende interne Kommunikation, so ist das eine Schwäche, die uns bei der Erreichung unserer Ziele behindern wird. Deswegen muss versucht
werden, diese Schwäche abzubauen.
Diese Schwäche unserer eigenen Organisation kann von uns allein, ohne Einfluss unseres Gegners beseitigt werden. Er hat auch keine Möglichkeiten diesen
Prozess aufzuhalten.
Gibt es innerhalb unserer Organisation Konflikte über ein politisches Thema, dann
kann der Gegner diesen Konflikt jederzeit gegen uns nutzen und unsere Glaubwürdigkeit in diesem Punkt in der Öffentlichkeit erschüttern.
Diese Schwäche kann dem Gegner eine Stärke bescheren, wenn er unsere
Schwäche nutzt. Um sicher zu sein, dass der Gegner hier nicht angreift, sind strategische Lösungen für das Problem zu finden.
Hat unser politischer Gegner eine starke Verbindung zu den Gewerkschaften und
spielt die Unterstützung der Gewerkschaften eine wichtige Rolle, so haben wir eine
Schwäche, die sich aus der Stärke unseres Konkurrenten ergibt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der Abbau dieser Schwäche ist nur dadurch erreichbar, dass man die Stärke
des Gegners mindert oder im besten Fall zerstört.
10.3 Fakten, die weder Stärken noch Schwächen sind.
Nun wird es eine Vielzahl von Fakten geben, die weder eine Schwäche noch eine
Stärke sind. Diese Fakten stellen oftmals Rahmenbedingungen dar, die bei der späteren Formulierung der Taktik und der Zeit- und Maßnahmenpläne wichtig werden
können, und sind deswegen nicht nutzlos erhoben worden.
Wenn zum Beispiel ein Wahlkampf während der Zeit der olympischen Spiele
stattfindet, so ist das sicherlich von vornherein keine Schwäche oder Stärke für die Erreichung des Oberzieles im Auftrag. Dennoch müssen die wichtigen Veranstaltungen
der olympischen Spiele bei der Planung berücksichtigt werden, weil das Interesse der
Wähler von der politischen Auseinandersetzung abgelenkt sein kann.
10.4 Schwächen, die entweder nicht relevant für den Auftrag sind oder
nicht zu verändern sind.
Schwächen können bedeutsam sein, sie können aber auch zu vernachlässigen sein,
weil sie für unseren Auftrag nicht wichtig sind.
Beispiel: Für die Neuentwicklung eines Grundsatzprogramms einer Partei ist
„Geldmangel“ keine wesentliche Schwäche. Während andererseits Geldmangel bei
der Durchführung einer Wahlkampagne eine beträchtliche Schwäche darstellen
kann.
Andere Schwächen sind relevant, aber sie sind nicht zu verändern. Das bedeutet,
dass der Grad des Einflusses auf eine Schwäche unterschiedlich sein kann.
Beispiel: Die Absicht die Schwäche „undemokratische Strukturen im Verband „
durch eine „demokratische Reform“ abzuschaffen, liegt in unseren eigenen Zugriffsbereich, wir können also verändern.
Die Absicht einer Oppositionspartei das für sie ungünstige Wahlrecht bis zur
nächsten Wahl zu verändern, liegt nicht im Einflussbereich der Partei und kann daher auch nicht verändert werden.
Daher muss bei der Bewertung der Stärken und Schwächen zunächst einmal
überprüft werden, ob denn die erkannten Stärken und Schwächen zur Erreichung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
des Oberzieles überhaupt wichtig sind und ob die Schwächen von uns verändert
werden können und ob unsere Stärken unter Umständen von den anderen verändert werden können.
10.5 Stärken- und Schwächenmatrix
Zur Ermittlung der Situation eignet sich die Einordnung
1. der Stärken in einem Raster, bei dem die X-Achse den Einfluss beschreibt, den
unsere Konkurrenten auf unsere Stärken haben, das heißt also den Grad der
Gefährdung unserer Stärke, und die Y-Achse beschreibt die Wichtigkeit der
Stärke für die Erfüllung unseres Auftrages,
2. der Schwächen in einem Raster, bei dem die X-Achse den Einfluss beschreibt,
den wir zur Änderung einer Schwäche haben, und die Y-Achse beschreibt die
Wichtigkeit der Schwäche für die Erfüllung des Auftrags.
Die Stärken werden nun wie folgt den Feldern zugeordnet:
Feld aa: Sehr wichtige Stärke, auf die der Gegner keinen Einfluss nehmen kann.
(nicht gefährdet)
Feld ab: Sehr wichtige Stärke, auf die der Gegner beschränkten Einfluss hat.
(teilweise gefährdet)
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Feld ac: Sehr wichtige Stärke, die der Gegner voll beeinflussen kann. (gefährdet)
Feld ba: Wichtige Stärke, auf die der Gegner keinen Einfluss nehmen kann.
(nicht gefährdet)
Feld bb: Wichtige Stärke, auf die der Gegner beschränkten Einfluss hat. (teilweise gefährdet)
Feld bc: Wichtige Stärke, die der Gegner voll beeinflussen kann. (gefährdet)
Feld ca: Unwichtige Stärke, auf die der Gegner keinen Einfluss nehmen kann.
(nicht gefährdet)
Feld cb: Unwichtige Stärke, auf die der Gegner beschränkten Einfluss hat.
(teilweise gefährdet)
Feld cc: Unwichtige Stärke, die der Gegner voll beeinflussen kann. (gefährdet)
Die Schwächen werden nun wie folgt den Feldern zugeordnet:
Feld AA: Sehr wichtige Schwäche mit großen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.
Feld AB: Sehr wichtige Schwäche mit eingeschränktem Einfluss.
Feld AC: Sehr wichtige Schwäche ohne Einfluss auf Änderung.
Feld BA: Mittelwichtige Schwäche mit großem Einfluss.
Feld BB: Mittelwichtige Schwäche mit mittlerem Einfluss.
Feld BC: Mittelwichtige Schwäche ohne Einfluss auf Änderung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Feld CA: Unwichtige Schwäche mit großem Einfluss.
Feld CB: Unwichtige Schwäche mit mittlerem Einfluss.
Feld CC: Unwichtige Schwäche ohne Einfluss auf Änderung.
Bei der Beurteilung der Stärken und Schwächen kann das Raster, das schon bei
der Sammlung von Fakten eine Rolle gespielt hat, gute Hilfe leisten. Danach werden
die Schwächen nach den Kriterien Relevanz, Größe, Dringlichkeit in Bezug auf die
Wichtigkeit bewertet und danach in die Schwächematrix eingebaut.
10.6 Analyse der Matrizen
Stellt man bei dieser Analyse fest, dass die nicht zu verändernden Schwächen
sehr viele sind und auch bedeutsam für die Erreichung des Auftrages (also in den
Feldern AC und BC), so werden wir das Ziel des Auftrages nicht erreichen können.
Dann muss das Oberziel verändert und zumeist reduziert werden. Das hat Auswirkungen auf die Schwächen. Ein Teil der Schwächen wird dadurch wegfallen, andere
Schwächen verändern ihre Bedeutung und werden unbedeutend.
Diese Grafik zeigt die oben erwähnte Situation. Es gibt viele Schwächen, die
nicht im Einflussbereich unserer Organisation sind. (Schwächen 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8,
12, 15, 16, 19, 20) Auf der anderen Seite sind diese Schwächen wichtig. Man kann
also bei der Erstanalyse der Schwächen schon feststellen, ob das definierte Oberziel aus dem Auftrag überhaupt erreichbar ist oder nicht. Im Falle der Nichterrei0OLITISCHE3TRATEGIEN
chbarkeit muss die Diskussion über dieses Thema offen geführt werden, weil sonst
unnütz Ressourcen verschleudert werden. Sieht die Situation wie in der Matrix aus,
so muss der Auftrag reduziert werden. Ein Beibehalten des Auftrags in Kenntnis
der Situation, die sich aus der Matrixanalyse ergibt, ist unverantwortlich. Seriöse
Führungskräfte werden daher in einer solchen Situation bereit sein, die Ziele zu
reduzieren, um keine unnötigen Niederlagen einzustecken.
Die hier geschilderte Beurteilung gilt allerdings nur dann, wenn sich die Organisation an die Gesetze und vereinbarten Regeln hält. In einigen Ländern und
unter bestimmten Umständen sind die Organisationen durchaus bereit, die Regeln und Gesetze zu brechen, um ein strategisches Oberziel zu erreichen. So ist es
durchaus möglich und akzeptierbar, dass in einer Diktatur die dort herrschenden
Regeln gebrochen werden müssen, um die Diktatur zu bekämpfen und im besten
Falle abzuschaffen.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es im Grundgesetz den Artikel 20 Abs. 4,
der das Widerstandsrecht beschreibt. Er lautet: „Gegen jeden, der es unternimmt,
diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn
andere Abhilfe nicht möglich ist.“
In einer Reihe von Ländern allerdings werden zum Beispiel in Wahlkämpfen
auch Maßnahmen angewandt, die sich durch Gewaltanwendung auszeichnen wie
zum Beispiel Mord von Kandidaten, Brandstiftung, Anschläge usw., die nicht legitimiert sind. Wie weit eine Partei in einem repressiven System gehen darf, muss
die Parteiführung nach intensiver Debatte entscheiden.
Stellt man bei dieser Analyse fest, dass die Organisation auf die wichtigen
Schwächen Einfluss nehmen kann und nur die unwichtigeren dem Einfluss der
Organisation entzogen sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das im Auftrag definierte Ziel erreicht werden kann, sehr groß. Diese Situation wird in der folgenden
Matrix vorgestellt. Im Fall dieser Matrix sind alle wichtigen Schwächen im Einflussbereich der Organisation. Das bedeutet, dass der Auftrag erfüllt werden kann.
Es kann sogar gesagt werden, dass wenn der Auftrag nicht erreicht wird, es ausschließlich Schuld der Organisation selbst war, weil sie offensichtlich nicht in der
Lage oder Willens war, ihre eigenen Schwächen zu beseitigen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Sehr oft erhält man keine so eindeutigen Bilder wie in den oben gezeigten
Matrizes. Vielmehr sind Mischformen vorhanden, die es oftmals dem subjektiven
Eindruck des Strategieplaners überlassen, zu einer Reduzierung oder Beibehaltung
des Auftrages zu raten.
Bei der Beurteilung dieser Matrix ist das Ergebnis zunächst offen. Es gibt einige
wichtige Schwächen, auf die die Organisation keinen Einfluss hat. Inwieweit dieses
entscheidend ist, muss der Interpretation der Planer überlassen bleiben. Sicher sein
kann niemand, dass in diesem Fall der Auftrag erreicht werden kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Für die Fälle, in denen der Ausgang offen ist, ist es notwendig, die Analyse
der Stärkenmatrix vorzunehmen. Liegen hier die Stärken im Bereich, in dem der
Gegner keinen oder nur wenig Einfluss hat, also unsere wichtigen Stärken nicht
gefährdet sind, steigen die Chancen für einen Erfolg und die Erreichung des Zieles
des Auftrages. Sind unsere Stärken aber zum großen Teil gefährdet, sinken die Erfolgschancen.
Gute Verteilung der Stärken zur Erreichung des Oberziels:
!
!
Schlechte Verteilung der Stärken zur Erreichung des Oberziels:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Werden mehrfach erfolgreiche Strategien durchgeführt, kann es passieren,
dass die Schwächen, auf die wir viel oder mittleren Einfluss haben, mit der Zeit
ganz verschwinden. In diesem Fall sind dann alle Schwächen nur noch in dem
Bereich zu finden, auf den wir keinen Einfluss haben. Die alleinige Analyse dieser
Schwächenmatrix würde nun irrigerweise zu der Annahme führen, dass wir das
Oberziel als nicht erreichbar einstufen. Das Gegenteil ist aber zumeist der Fall, weil
alle Schwächen, auf die wir Einfluss hatten, ja nun abgebaut sind. Hier wird ganz
deutlich, dass es notwendig ist, auch die Stärkenmatrix mit zur Beurteilung der
Situation heranzuziehen.
Schwächenmatrix:
!
Stärkenmatrix:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
10.7 Die Relativität des strategischen Vorteils bei den Stärken
Eigene Stärken geben uns die Möglichkeit den Konkurrenten anzugreifen. Das geht
aber nur dann, wenn wir in Bezug auf unseren Gegner einen strategischen Vorteil
haben, das heißt, dass wir ihm in dem Bereich, in dem wir eine Stärke haben, überlegen sind. Wenn unser Konkurrent in unserem Stärkebereich auch eine Stärke oder
zumindest eine gute Verteidigung hat, lohnt sich eine Auseinandersetzung nicht
und unsere Stärke ist durch die ausgeglichene Situation mit dem Gegner nicht
einsetzbar und damit für die Auseinandersetzung nutzlos.
Entstammt unsere Stärke einer Schwäche unseres Konkurrenten, so sind strategische Vorteile auf jeden Fall vorhanden. Deswegen muss diese Stärke mit Intensität verfolgt werden und darf nicht ungenutzt bleiben.
Beispiel: Ist bekannt, dass unser politischer Konkurrent in einem politischen Feld,
das wir selbst gut besetzt haben, zerstritten ist, so muss hier auf jeden Fall der Angriff
erfolgen. Ein solcher strategischer Vorteil darf nicht vernachlässigt werden.
10.7.1 Die Analyse der Stärken auf Brauchbarkeit in der Strategie
Alle von uns identifizierten Stärken müssen daraufhin geprüft werden, ob sie geeignet sind, strategisch gegen die Konkurrenten oder Gegenspieler eingesetzt zu
werden. Dazu muss ermittelt werden, ob es einen strategischen Vorteil gibt und
wo dieser liegt. Dazu sind folgende Fragen – abhängig vom Typ der jeweiligen
Stärke – zu stellen:
Welche Organisation und Führung ist besser?
Welche Themen sind stärker und wer hat die höhere Themenkompetenz?
Wer hat die stabileren Allianzen?
Wer hat das bessere Team mit der besseren Ausbildung?
Wer hat die bessere Disziplin?
Wer hat die bessere Motivation?
Wer liegt mit welchen Themen mehr im gesellschaftlichen Trend?
Wer nutzt die Chancen besser?
Folgende Übersicht soll die Problematik der Stärkenanalyse deutlich machen:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Stärke durch Schwäche des Gegners
Was können wir einsetzen?
Vorteil?
Gegner hat einen schwachen Kandidaten.
Haben wir einen besseren?
?
Gegner ist in thematischer Frage zerstritten.
Sind wir in dieser Frage geschlossen?
?
Gegner hat eine Führungskrise.
Haben wir eine geschlossene Führung?
?
Gegner hat einen Allianzpartner verloren.
Können wir den Partner übernehmen?
?
Die Stärke, die aus der Schwäche des Gegners kommt, kann nur dann ausgenutzt werden, wenn die eigene Organisation nicht auch eine Schwäche, zumindest
aber strategische Vorteile aufweist.
Eigene Stärke
Situation beim Gegner
Vorteil?
Wir haben einen guten Kandidaten.
Hat der Gegner einen schwächeren?
?
Wir sind in X-Stadt stark.
Ist X-Stadt auch eine Hochburg des
Gegners?
?
Wir haben ein gutes, neues Programm.
Zeigt der Gegner programmatische
Schwächen?
?
Wir haben motivierte Wahlkämpfer.
Sind die Wahlkämpfer des Gegners nicht
?
motiviert?
Diese Zusammenstellung zeigt, dass die eigenen Stärken nur dann nutzbare
Stärken sind, wenn sie auf Schwächen des Gegners treffen. Es ist daher nicht anzuraten, auf eigene Stärken zu setzen, die auf Stärken des Gegners treffen.
Die eigenen und die Stärken der Gegner sind für die strategische Planung daher
weit weniger wichtig als die eigenen und die Schwächen der Gegner.
Sun Tzu sagt dazu: Unbesiegbarkeit liegt in der eigenen Hand. Diejenigen, die in
der Kriegskunst ausgebildet sind, können sich selbst unbesiegbar machen, aber die
Verletzlichkeit des Feindes kann nur der Feind selbst liefern.
Das bedeutet, dass zunächst der Versuch gemacht werden muss, die eigenen
Schwächen zu beseitigen, um sich keinen unnötigen Angriffen auszusetzen und
„unbesiegbar“ zu werden. Danach müssen diejenigen Stärken genutzt werden, die
dazu geeignet sind, Schwächen des Gegners auszunutzen. Hier zeigt sich, dass die
Aufklärung beim Gegner Voraussetzung für eine richtige strategische Stärkennut0OLITISCHE3TRATEGIEN
zung ist. Ohne Kenntnis der Schwächen des Gegners können Stärken nicht sinnvoll
eingesetzt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
$IE2~CKKOPPLUNGZUM!UFTRAG¯
+RITISCHE0HASEINDER0LANUNG
Die Rückkoppelung zum Auftrag mit der Bewertung der Situation und der Abschätzung,
1. ob der Auftrag erreicht werden kann oder nicht,
2. wieweit eine Veränderung gehen muss, um Aussicht auf Erfolg zu haben,
3. ob es sinnvoll ist, das ursprüngliche Oberziel aus dem Auftrag in eine Langfriststrategie zu übernehmen und die eigentliche Strategie mit einem veränderten
Auftrag zu versehen,
ist eine der schwierigsten Aufgaben eines Strategieplaners. Sicherlich helfen
die Methoden, die im Kapitel 5.3.4. schon geschildert wurden, die Situation besser
zu überblicken. Dennoch bleiben viele Einschätzungen subjektiv, sowohl auf der
Seite des Strategieplaners, wie auch auf der Seite derjenigen für die eine Strategie
erarbeitet werden soll. Das bedeutet, dass man auch nach sorgfältigen Analysen
nie mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit einen Sieg oder eine Niederlage
voraussagen kann. Es gibt gewisse Indizien für das eine oder das andere, aber absolute Sicherheit gibt es nicht.
11.1 Die Rolle des Strategieplaners in diesem Prozess
Strategieplanung kann zwar für mehr Sicherheit sorgen, aber es bleibt immer ein
bisschen Gefühl und Intuition. Diese sehr subjektiven Bewertungsmaßstäbe machen
aus dem mechanischen Strategieplanungstechnokraten einen erfolgreichen, aber
eben auch von Gefühlen und Emotionen geprägten Strategieplaner.
Und so hilft zwar das „konzeptionelle Planen“ logisch einen Schritt nach dem
anderen zu planen. Das gilt für viele Planungsschritte. Aber in den Phasen der
Evaluierung, der Strategiefindung und in diesem Schritt der Rückkoppelung zum
Auftrag nach der Situationsanalyse ist die „Nase“ des Planers von Nöten.
Dieser Schritt ist auch deswegen so schwer, weil er vielen Auftraggebern, besonders im engagierten Entwicklungs-NRO-Bereich und bei den sogenannten Gooddoern, die Augen über ihre eigene Situation öffnet. Bei vielen Organisationen wird
plötzlich deutlich, dass die Arbeit, die seit vielen Jahren geleistet wurde, sinnlos
und vor allem ziellos war. So werden viele Organisationen, die erstmals nicht die
Aktion als Ziel, sondern ein zu erreichendes Ziel mit einer Veränderung des Status
0OLITISCHE3TRATEGIEN
quo formuliert haben, von ihrer Wirkungslosigkeit und vor allem von ihrer Ohnmächtigkeit überwältigt sein.
Bei der Rückkoppelung zum Auftrag ist es sinnvoll, dass die Beteiligten zunächst selbst ihre Situation einschätzen und Vorschläge machen, wie sie den Auftrag gegebenenfalls verändern können. Ist die Bereitschaft der Beteiligten aber
nicht vorhanden, diesen Reflexionsschritt zu durchlaufen, ist es Aufgabe des Strategieplaners, die Illusionen abzubauen, Wunschträume als solche zu entlarven und
Empfehlungen auszusprechen. Das kann an die Substanz der Organisation gehen,
was dann natürlich auch zu Konflikten zwischen dem Strategieplaner und den übrigen Beteiligten führt. Tritt ein solcher Konflikt auf, muss der Planer über seine
weitere Rolle im Planungsprozess nachdenken und sich möglicherweise aus dem
Prozess verabschieden. Das gilt besonders dann, wenn das Grundvertrauen in den
Planer erschüttert ist.
Viele Parteien, Regierungen und andere Organisationen wenden sich ja zumeist
erst dann an einen Strategieplaner, wenn sie festgestellt haben, dass sie bestimmte
Ziele nicht erreichen können oder wenn ihre Existenz gefährdet ist. Es gibt nur
wenige Organisation im politischen Bereich, die vorausschauend und bewusst ihre
Zukunft und bestimmte Ziele für die Zukunft planen. Daher wird vom Strategieplaner oftmals auch die „Rettung“ aus einer schwierigen Situation erwartet. Der Planer erhält – was viele Kollegen auch genießen – ein Guru-Image. Das ist schädlich
und führt dazu, dass allein schon von der Zusammenarbeit mit einem erfolgreichen
Planer, Wunder erwartet werden, die doch immer nur durch das eigene Handeln
der Organisation zustande kommen.
Ein anderes Problem, das hier berührt werden muss, ist die allzu tiefe Identifizierung des Planers mit der Planungsabsicht (Auftrag) der Auftraggeber. Wenn hier
nicht die nötige Distanz gewahrt wird, ist der Planer nicht mehr objektiver Begleiter
eines Prozesses, sondern wird zum Protagonisten für eine Idee, was immer auch
das Urteilsvermögen einschränkt. Gerade bei der Beurteilung der Chance für die
Erreichung des Oberzieles aus dem Auftrag ist das besonders gefährlich.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
!USWAHLDER3TRATEGIEUND&ORMULIERUNG
DERSTRATEGISCHEN!UFGABEN
Die Auswahl der Teilstrategien als Lösung für die identifizierten Schwächen und
die Auswahl der Stärken für den Angriff auf die Schwächen der politischen Wettbewerber ist der wichtigste Schritt bei der Planung von politischen Strategien.
Grundsätzlich wird für jede Schwäche eine Teilstrategie entwickelt. Dabei gilt, dass
es für jede identifizierte Schwäche mehrere Lösungen gibt und damit gibt es nicht
nur eine strategische Antwort, sondern es gibt Alternativen.
Bei der Auswahl der Strategien geht es vor allem darum, wirkungsvolle und
ressourcenschonende Lösungen zu finden, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit
auch wirklich realisierbar sind und die sich als Teilstrategien zu einer Gesamtstrategie verbinden lassen und keine inneren Widersprüche aufweisen.
12.1 Formulierung von Aufgaben (Teilstrategien)
Ausgehend von den von der eigenen Organisation zu verändernden Schwächen,
werden nun Lösungen für diese Schwächen gesucht, die wenn möglich unter Verwendung von eigenen Stärken erreicht werden sollen. Die von uns zu verändernden
Schwächen finden wir in der Schwächenmatrix in den Sektoren AA, AB, BA und
BB54. Die Schwächen in den Sektoren AC und BC sind nicht von uns zu verändern,
weil wir keinen Einfluss darauf haben. Wir suchen daher für diese Schwächen auch
keine Lösungen. Die Schwächen in den Sektoren CA, CB und CC sind unbedeutend
und müssen nicht vordringlich einer Lösung zugeführt werden.
54
Siehe Kapitel 10.5 Stärken- und Schwächenmatrix.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Formulierung Teilstrategie
Bei der Formulierung der Aufgabenstellung beschreiben wir, in welcher Richtung wir den Zustand A der Schwäche m mit Hilfe der Stärken y und z in den Zustand B bewegen wollen.
Wenn z. B. die Schwäche lautet: „zu wenig finanzielle Ressourcen“, so sind mehrere Möglichkeiten für die Aufgabenstellung vorhanden. Die Grundaufgabe kann
heißen: „ausreichende finanzielle Ressourcen“. Diese Aufgabe kann unterschiedlich
gelöst werden. Zum Beispiel:
1. Wir beschaffen ausreichend finanzielle Ressourcen mit Hilfe unserer Kontakte
zur Wirtschaft (Fremdfinanzierungsstrategie).
2. Wir beschaffen ausreichend finanzielle Ressourcen durch Umlagen und Spenden
unserer Mitglieder (Eigenfinanzierungsstrategie).
3. Wir schichten unsere bisherigen Ausgaben um und schaffen damit verfügbare
Ressourcen (Restrukturierungsstrategie).
4. Wir lassen uns durch staatliche Subventionierung finanzieren (Staatssubventionsstrategie).
5. Wir diskreditieren die Mitbewerber durch Fragen nach der Herkunft von deren
finanziellen Ressourcen mit Hilfe der Medien (Diskreditierungsstrategie).
Bei diesen Lösungen handelt es sich um legale Ansätze. Die Erfahrung zeigt,
dass bestimmte Parteien und politische Organisationen weitere Möglichkeiten der
0OLITISCHE3TRATEGIEN
strategischen Lösung des finanziellen Problems gefunden haben. Solche Möglichkeiten lauten:
1. Wir verwenden als Regierungspartei staatliche Mittel, um ausreichende finanzielle Ressourcen zu haben.
2. Wir beteiligen uns an kriminellen Aktionen zur Beschaffung von finanziellen
Ressourcen.
3. Wir lassen uns durch Drogen- und Mafia-Geld finanzieren.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es für die Lösung von Schwächen also
auch illegale Formen gibt. Inwieweit in der politischen Praxis solche Formen angewandt werden, liegt jeweils in der Entscheidung der planenden Gruppe, hat mit
deren Selbstverständnis zu tun und wird beeinflusst durch die politische Kultur im
jeweiligen Land.
12.1.1 Beispiele
Beispielefür
fürdie
dieAufgabenformulierung
Aufgabenformulierungfür
fürSchwächen
Schwächenininoffener
offener
Konkurrenz.
Konkurrenz.
Bei der strategischen Arbeit mit Parteien, NRO‘s und Regierungen treten immer
wieder vergleichbare Schwächen auf, für die Standardlösungen entwickelt wurden.
Dabei wurden zunächst alle illegalen Lösungen eliminiert und nur solche Lösungen
angeboten, die die politische Kultur nicht nachhaltig schädigen. Das bedeutet auch,
dass für bestimmte Situationen andere Lösungen sinnvoller und besser sein können.
Darüber hinaus gibt es auch noch weitere legale Lösungen, die aber nicht so weit
verbreitet sind, so dass sie hier nicht erwähnt werden. Bei der laufenden Nummer
bezeichnet „I“ eine interne Schwäche, „K“ eine Schwäche, die sich aus der Stärke der
Konkurrenten entwickelt und „E“ eine Schwäche, die aus dem Umfeld kommt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
lfd.
Nr.
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der strategischen Aufgabe
I-001
Defizite im Programmbereich
I-002
Kein klares Image oder negative
Imagekomponenten
I-003
Keine Motivation
I-004
Zu geringe personelle Ressourcen
(Mitglieder)
I-005
Keine Ausbildung der Mitglieder
und Funktionsträger
I-006
Zu geringe finanzielle Ressourcen
I-007
Keine funktionierende Organisation
Wir propagieren nur die Programmbereiche in
der Öffentlichkeit, in denen wir stark sind.
Alternative:
Wir gleichen die Defizite durch Programmarbeit aus, wenn unsere Zielgruppen das
erwarten.
Wir schaffen ein besseres Image.
Alternative:
Wir leben mit einem Negativimage, das unserer Zielgruppe gefällt. (Nischenstrategie)
Alternative:
Wir akzeptieren ein diffuses Image, um die
Herausstellung von Unterschieden zu vermeiden. (Defensive Strategie)
Wir schaffen Motivation bei Mitgliedern und
Funktionsträgern.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne, die nicht auf der
Motivation von Mitgliedern und Funktionsträgern beruht.
Wir werben neue Mitglieder und erhöhen das
ehrenamtliche Engagement.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne, die nicht auf
Mitglieder und Funktionsträger setzt.
Wir bilden Mitglieder und Funktionsträger
aus.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne, die nicht auf
Mitglieder und Funktionsträger setzt.
Wir schaffen ausreichende finanzielle Ressourcen.
Alternative:
Wir verbessern die Kosten-Nutzen-Relation.
Alternative:
Wir kriminalisieren die Einnahmen der Gegner.
Wir machen die Organisation funktionsfähig.
Alternative:
Wir lagern Organisationsaufgaben aus.
Alternative:
Wir schaffen eine neue Organisationseinheit.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
lfd.
Nr.
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der strategischen Aufgabe
I-008
Keine oder schwache Führung
I-009
Interne Machtkämpfe
in der Führung
I-010
Inhomogenität in der internen
Gefolgschaft.
I-011
Mangel an innerverbandlicher
Demokratie
I-012
Keine funktionierende interne
Kommunikation
K-001
Gegner haben besseres
Programmangebot
Wir wechseln die Führung aus.
Alternative:
Wir qualifizieren die Führung.
Alternative:
Wir verlagern die Entscheidungen auf ein
führungswilliges Organ oder Personen.
Wir schaffen ein klares Außenfeindbild.
Alternative:
Wir verlagern die Entscheidungen auf ein
führungsfähiges Organ oder Personen.
Alternative:
Wir eliminieren einen Teil der Führung.
Wir schaffen ein klares Außenfeindbild.
Alternative:
Wir integrieren die Flügel. (Unter Umständen
auch durch Beuteverteilung.)
Wir schaffen innerverbandliche Demokratie.
Alternative:
Wir verändern die Strukturen nicht, sondern
schaffen Pseudopartizipation.
Alternative:
Wir präsentieren eine überzeugende, charismatische Führungsfigur.
Wir bauen ein funktionsfähiges internes Kommunikationsnetz auf.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne, die nicht auf
Mitglieder und Funktionsträger setzt.
Wir entwickeln ein neues Programm.
Alternative:
Wir propagieren in der Öffentlichkeit nur die
Programmbereiche, in denen wir stark sind.
Alternative:
Wir argumentieren, dass das Programm der
Gegner gegen die Interessen unserer Zielgruppen ist.
lfd.
Nr.
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der strategischen Aufgabe
K-002
Gegner haben besseres
Personalangebot
K-003
Gegner haben mehr Kompetenz
K-004
Gegner haben besseres Image
K-005
Gegner sind mehr im Trend
E-001
Schlechte Performance
in Umfragen
Wir verändern unser Personalangebot.
Alternative:
Wir verbessern unser Personalimage.
Alternative:
Wir sorgen für die Demontage des Images des
gegnerischen Personal durch Dritte. (indirekte
Kräfte, negative campaigning)
Alternative:
Wir bauen ein Kontra-Image auf, welches von
unser Zielgruppe akzeptiert wird.
Wir bauen Kompetenzimage auf.
Alternative:
Wir ziehen die Kompetenz unseres Gegners in
Zweifel. (am besten durch Dritte)
Alternative:
Wir bauen ein Image als Vertreter des
„gesunden” Menschenverstandes auf.
Wir bauen besseres Image (im Sinne unser
Zielgruppen) auf.
Alternative:
Wir sorgen für die Demontage des Images
unseres Gegners durch Dritte. (negative campaigning)
Alternative:
Wir präsentieren positive eigene Imagefaktoren gegen die Imageschwächen des Gegners.
Wir gehen nicht auf die Trendthemen ein
und emotionalisieren Themen außerhalb des
Trendbereiches.
Alternative:
Wir kümmern uns, wie unsere Zielgruppen,
nicht um den Trend.
Alternative:
Wir entwickeln in einem Teilbereich des
Trends hohe Kompetenz.
Wir stellen die Glaubwürdigkeit der Umfragen
in Frage.
Alternative:
Wir intensivieren und konzentrieren unsere
Öffentlichkeitsarbeit in den Zielgruppen.
Alternative:
Wir organisieren eigene Umfragen mit besseren Ergebnissen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
lfd.
Nr.
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der strategischen Aufgabe
E-002
Kein Zugang zu den Medien
E-003
Kein Zugang zu Verbänden und
Organisationen
Wir bauen Kontakte zu den ungesteuerten
Medien auf und nutzen diese.
Alternative:
Wir nutzen gesteuerte Medien.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne, die nicht auf dem
Einsatz von Medien beruht.
Alternative:
Wir bauen eigene Medien auf.
Wir bauen Kontakte zu Verbänden und Organisationen auf.
Alternative:
Wir zerstören die gegnerischen Allianzen.
Alternative:
Wir präsentieren unsere „Ungebundenheit”.
E-004
Kein Potential
E-005
Keine Stammwähler
E-006
Einschränkende gesetzliche
Regelungen (Parteiengesetz,
Wahlgesetz)
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wir definieren mögliches Potential und bauen
Potential auf.
Alternative:
Wir korrigieren unseren Auftrag und treten
zum Beispiel bei der nächsten Wahl nicht an.
Wir intensivieren unsere Arbeit in unseren
Zielgruppen und bieten starke Bindungsmöglichkeiten an.
Alternative:
Wir suchen nach Situationswählern.
Wir verändern die gesetzlichen Regelungen.
Alternative:
Wir umgehen die gesetzlichen Regelungen.
Alternative:
Wir machen Druck von außen auf die Gesetzgeber.
Alternative:
Wir suchen Nischen im System.
12.1.2 Beispiele
Beispielefür
fürdie
dieAufgabenformulierung
Aufgabenformulierungfür
fürSchwächen
Schwächen
ohneoffene
offeneKonkurrenz
Konkurrenz
ohne
lfd.
Nr.
A-001
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der Aufgabe, neuer Zustand
Kein klares Image oder negative
Imagefaktoren
Wir schaffen ein besseres Image.
Alternative:
Wir leben mit einem Negativimage, das unserer Zielgruppe gefällt.
Wir schaffen Motivation bei Mitarbeitern.
Alternative:
Wir ersetzen nicht motivierte Mitarbeiter.
Wir schaffen Motivation in der Führung.
Alternative:
Wir korrigieren den Auftrag.
Wir werben neue Mitglieder und erhöhen das
ehrenamtliche Engagement.
Alternative:
Wir suchen Kooperation mit anderer Organisation.
Alternative:
Wir lagern Tätigkeiten aus.
Wir bilden Mitglieder und Mitarbeiter aus.
Alternative:
Wir planen eine Kampagne ohne Einsatz von
Mitgliedern und Mitarbeitern.
Wir führen ein System von Bestrafung und
Belohnung ein.
Alternative:
Wir schaffen hohe Motivation.
Alternative:
Wir führen ein System von Steuerung und
Kontrolle ein.
Wir erhöhen die Einnahmen.
Alternative:
Wir verbessern die Kosten Nutzen-Relation.
Alternative:
Wir konzentrieren den Mitteleinsatz auf die
Kampagne.
Alternative:
Wir korrigieren den Auftrag.
A-002
Keine Motivation bei Mitarbeitern
A-003
Keine Motivation in der Führung
A-004
Zu geringe personelle Ressourcen
(Mitglieder, Personal)
A-005
Keine Ausbildung der Mitglieder
und Mitarbeiter
A-006
Keine Disziplin
A-007
Zu geringe finanzielle Ressourcen
A-008
Keine funktionierende
Organisation
Wir machen die Organisation funktionsfähig.
Alternative:
Wir lagern Organisationsaufgaben aus.
Alternative:
Wir schaffen neue Organisationseinheiten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
lfd.
Nr.
A-009
Beschreibung, alter Zustand
Beschreibung der Aufgabe, neuer Zustand
Keine oder schwache Führung
Wir wechseln die Führung aus.
Alternative:
Wir qualifizieren die Führung.
Alternative:
Wir verlagern die Entscheidungen auf ein
führungswilliges Organ oder Personen.
Wir verlagern die Entscheidung auf ein führungswilliges Organ oder Personen.
Alternative:
Wir korrigieren den Auftrag.
Alternative:
Wir sorgen für eine Entscheidung in der Führungsfrage.
Wir implementieren einen Zielkatalog und ein
Controlling.
Alternative:
Wir verzichten auf jegliche Planung.
Alternative:
Wir bauen Überregulierung ab.
Wir schaffen Interesse in der Zielgruppe.
Alternative:
Wir wechseln die Zielgruppe.
Alternative:
Wir korrigieren den Auftrag.
A-010
Interne Machtkämpfe in der
Führung
A-011
Mangelnde Flexibilität
A-012
Desinteresse in der Zielgruppe
12.1.3 Die
Diezeitliche
zeitlicheAbfolge
Abfolgebei
beider
derAufgabenformulierung
Aufgabenformulierung
Da es nicht immer möglich ist, für jede Schwächenbeseitigung sofort eine Stärke
zur Verfügung zu haben, ist es manchmal sinnvoll mehrere Zwischenschritte einzulegen. Für die Durchführung der Konzepte, die sich aus der Aufgabenstellung ergeben, sollte man sich Zeiträume reservieren. Dabei ist es notwendig, eine sinnvolle
zeitliche Ordnung festzulegen. So ist es nicht sinnvoll, eine Aufgabe zu starten, die
das Image positiv verändert, wenn der Bekanntheitsgrad noch zu niedrig ist. Hier
bedeutet sinnvolle Zeitplanung also:
1. Erhöhung des Bekanntheitsgrades und
2. Verbesserung des Imagefaktors Z.
Mit der Formulierung bestimmen wir also die Art der Lösung der vorhandenen
Probleme. Wie schon vorher erwähnt, sind dafür mindestens immer zwei Möglichkeiten, sehr oft jedoch noch mehr vorhanden. Die Beratung bei der Auswahl der
0OLITISCHE3TRATEGIEN
richtigen Möglichkeiten und die Präsentation vielfältiger Lösungsansätze ist die
eigentliche strategische Leistung des Straegieplaners.
Die angestrebten Lösungen für unsere Probleme müssen realistisch in Umfang,
Art und Zeit sein. Jeder Fehler und vor allem jede Selbstüberschätzung führt später
zu katastrophalen Folgen.
12.2 Grundsätze der Strategieformulierung
Sun Tzu weist bei seiner Darlegung der Formulierung von Strategien darauf hin,
dass es bestimmte Prioritäten bei der Auswahl von Strategien geben muss.
Sun Tzu: „Die beste Form der Kriegführung ist es, die Strategie des Feindes
anzugreifen; die nächstbeste ist es, die Allianzen des Gegners zu zerbrechen; die
nächstbeste ist es die Armee anzugreifen; die schlechteste ist es befestigte Städte
zu belagern.“
Um die Strategie des Gegners anzugreifen ist es notwendig, die Strategie zu
kennen. Daher spielt die Aufklärung in den gegnerischen Reihen eine wichtige Rolle,
weil sonst die Strategie nicht bekannt wird. Die Attacke auf die Strategie des Gegners
bedeutet, den Gegner in der Umsetzung der strategischen Schritte so nachhaltig
zu stören, dass er seine Strategie nicht realisieren kann. Beim Fußball nennt man
so etwas frühzeitiges Stören, so dass ein Spielaufbau nicht erfolgen kann.
Sind Informationen über die Strategie nicht verfügbar oder zu unsicher, sollten
die Allianzen der Gegner zerstört oder zumindest gestört werden. Hat der Gegner
wirkungsvolle und gute Verbindungen zu gesellschaftlichen Gruppen (Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbände, Militär, andere Parteien usw.) so müssen
diese Verbindungen gelockert werden. Das kann sowohl durch attraktive Angebote
geschehen wie auch durch Diskreditierung des Gegners oder durch Verunsicherung
der Vertrauens der Allianzpartner zueinander.
Erst wenn weder die Strategie noch die Allianzen bekämpft werden können,
sollte man sich auf eine wirkliche Auseinandersetzung auf den politischen Schlachtfeldern (Themen, Personen usw.) einlassen. Dabei sollten Themen ausgewählt werden, die entweder mit ausgeprägten Vorteilen verbunden sind oder vom Gegner
vernachlässigt wurden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die schlechteste aller Möglichkeiten ist die Belagerung von Hochburgen der
Gegner. So sollte man niemals ein Themenfeld angreifen, von dem man weiß, dass
der Gegner hier ausgesprochen stark ist.
12.3 Strategietypen
Bei der Auswahl der Strategien ist es nötig, das Grundmuster der benötigten Strategie zu erkennen, um die richtige Auswahl zu treffen. Für jedes Grundmuster gibt
es dann eine Reihe von Einzelstrategien, deren spezielle Auswahl von den Rahmenbedingungen, dem gewünschten Image und den Zielen der Organisation abhängen. Grundsätzlich unterscheidet man Offensiv- und Defensivstrategien, wobei
die Offensivstrategien sich unterteilen in Strategien zur Erweiterung des Marktes
und Strategien zur Durchdringung des Marktes. Bei den Defensivstrategien handelt es sich um Strategien zum Halten des Marktes und Strategien zur Aufgabe
des Marktes.
Offensivstrategien
Defensivstrategien
Strategie zur Erweiterung des Marktes
(Konkurrenzstrategie)
Strategie zum Halten des Marktes
(Kunden-, Multiplikatorenstrategie)
Strategie zur Durchdringung des Marktes
(Kundenstrategie)
Strategie zur Aufgabe des Marktes
(Umfeldstrategie)
Strategiematrix
12.4 Offensivstrategien
Offensivstrategien sind immer dann notwendig, wenn zum Beispiel eine Partei
ihren Wähleranteil erhöhen will oder eine Exekutive ein Projekt implementieren
will. In beiden Fällen müssen mehr Menschen als vorher eine positive Einstellung
gegenüber der Partei oder gegenüber dem Projekt entwickeln, um die Kampagne
erfolgreich abzuschließen.
Als Offensivstrategien stehen die sogenannte Markterweiterungsstrategie und
die Marktdurchdringungsstrategie zur Verfügung. Grundsätzlich gilt für alle Offensivstrategien bei Wahlkämpfen, dass der Unterschied zu den Parteien, von denen
man Wähler haben will, deutlich und attraktiv gezeigt wird. Bei Offensivstrategien, die der Implementierung von Politik dienen, muss der Unterschied zum augenblicklich herrschenden Zustand verkauft und die zu erwartenden Vorteile herausgestellt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
12.4.1 Die
DieStrategie
Strategiezur
zurErweiterung
Erweiterungdes
desMarktes
Marktes
1. Im Wahlkampf
Die offensive Markterweiterungsstrategie hat im Falle des Wahlkampfes das Ziel,
über die bisherigen Wähler hinaus neue Wählergruppen zu erschließen. Dazu muss
ein neues oder besseres Angebot für bisherige Konkurrenzwähler angeboten werden.
Es handelt sich hier also um eine eindeutige Konkurrenzstrategie, in der verschiedene Parteien in den Wettbewerb um Wählerschichten eintreten.
Eine solche Strategie muss zunächst durch eine Einführungskampagne vorbereitet werden, um der Öffentlichkeit deutlich zu machen, welche neuen und besseren
Angebote (im Verhältnis zu den anderen Parteien) die Partei macht. Dabei ist es
sinnvoll den Wertewandel oder Strukturänderungen der Gesellschaft für das neue
Angebot zu nutzen. Mit Ladenhüterthemen ist Markterweiterung nicht möglich.
Für die Partei selbst sind folgende Voraussetzungen zu schaffen und Konsequenzen zu bedenken:
1. Es bedarf neuer ergänzender programmatischer Aussagen.
2. Mit der Präsentation der neuen Programme verändert sich das Profil der Partei.
Dabei ist auf die Verträglichkeit des neuen Profils mit den alten Wählern zu
achten, damit nicht der Wählerzuwachs durch Wählerverluste kompensiert
oder womöglich sogar überschritten wird.
3. Zu den Programmen müssen Personen gestellt werden, die eine ProgrammPersonen-Kongruenz aufweisen.
4. Das neue Programm oder Thema kann nicht plötzlich erscheinen, sondern die
Funktions- und Mandatsträger müssen durch Personalentwicklungsmaßnahmen
vorbereitet sein.
Beispiel: In einem konkreten Fall trug der Generalsekretär einer Partei eine neue
Programmidee in der Öffentlichkeit vor. Die Idee wurde von den wesentlichen Medien mit großen Interesse aufgenommen und verbreitet. Leider waren die Mitglieder
und Funktionsträger der Partei nicht vorbereitet. Deshalb gab es einmal Widersstand
von Seiten der Funktionsträger, weil sie nicht eingeweiht waren. Zweitens waren
die Mitglieder nicht in der Lage in ihrem sozialen Umfeld für eine Unterstützung zu
sorgen, weil sie nicht ausreichende Informationen hatten. So verlief die Aktion im
Sande und war danach nicht wieder zu beleben.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Eine Kampagne zur Markterweiterung bietet auch immer Möglichkeiten der
Mitgliederwerbung. Daher ist die Organisation auf die neuen Zielgruppen vorzubereiten, die Partizipation und die Pflege der neuen Mitglieder ist zu sichern. Investitionen sind im Entwicklungsbereich (Programmatik), im Personalentwicklungsbereich
(Schulung) und im PR-Bereich notwendig.
2. Bei der Implementierung von Politik
In diesem Fall ist Werbung für das neue Produkt, das heißt für die neue Politik oder
besser für die Vorteile der neuen Politik zu machen. Dazu muss zunächst einmal die
Politik sauber formuliert sein. Unfertige Politik wird genausowenig gekauft wie unfertige Produkte. Hier treten im Handeln der Exekutive beträchtliche Fehlleistungen
auf, indem das Produkt und dessen Vorteilspalette unklar formuliert ist und deswegen das Verständnis der Bürger nicht erreicht wird. Vor der Implementierung
ist ausreichend Öffentlichkeitsarbeit zu machen, weil sonst das Projekt jederzeit
diskriminiert werden kann.
Es gibt eine Vielzahl von gescheiterten Implementierungsversuchen von Politik
durch Regierungen und andere Organisationen. Beispielhaft sollen hier nur die vielfältigen gescheiterten Privatisierungsversuche genannt werden, sowie die gescheiterte
Strategie des IWF, die Armut zu reduzieren oder die gescheiterte Drogenpolitik der
USA. Die Politiken werden unvollständig präsentiert, unvollständig implementiert
und müssen wegen des auftretenden Widerstandes in Teilen korrigiert oder ganz
zurückgenommen werden.
Produkte oder Politiken, die schon längere Zeit auf dem Markt sind und bisher
noch nicht erfolgreich implementiert worden sind oder sogar gescheitert sind, können nicht unter dem alten Namen zu einer Markterweiterung führen. Sie benötigen
einen neuen Namen55, neue Vorteilsbeschreibungen und wenn man so will eine neue
Verpackung, die auch mit neuen Personen verbunden ist. Interne Widerstandsnester
sind soweit wie irgendmöglich vor der öffentlichen Kampagne zu beseitigen.
Bei der Erweiterung des Marktes spielt es eine große Rolle, ob die Zielpersonen
das Angebot verstehen und ihren Vorteil erkennen. Hier gibt es bei den Versuchen
der Markterweiterung sowohl bei Parteien wie auch bei Regierungen große Qualitätsdefizite. Oftmals sind die Angebote nicht verständlich, oftmals werden Angebote
gegen alte Konzepte gesetzt, ohne dass vorher überlegt wird, wie diese neuen An55
In Sri Lanka wurde in den 90er Jahren das verbrannte Wort „privatisation“ durch „peoplelisation“
erfolgreich ersetzt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
gebote auf die Zielpersonen wirken. Insgesamt ist feststellbar, dass die Qualität der
Programme der politischen Akteure zu wünschen übrig lassen. Gerade bei Markterweiterungen sollte das Augenmerk auf Qualitätsmanagement gelegt werden.
12.4.2 Die
DieStrategie
Strategiezur
zurDurchdringung
Durchdringungdes
desMarktes
Marktes
Bei der Marktdurchdringungsstrategie geht es nicht um die Erschließung von Konkurrenzwählern oder bisher nicht aktiven Bürgern durch neue oder bessere Angebote,
sondern um eine bessere Ausschöpfung des bisher schon vorhandenen Potentials
oder durch eine bessere Ausschöpfung der Anteile in Zielgruppen, in denen man
bisher schon erfolgreich war. Ziel kann es zum Beispiel sein, in einer Zielgruppe,
die bisher zu 30 % ausgeschöpft wurde, nunmehr 50 % zu erreichen. Daher geht
es um eine bessere Vermarktung bisheriger Programme und die Intensivierung von
Programm-Personen-Kongruenz, sowie die Erhöhung des Drucks auf die Zielgruppe.
Das bedeutet für die Organisation:
1. Steigerung der Motivation von Multiplikatoren und Funktionsträgern durch
bessere Vermarktung der Vorteile.
2. Nutzung neuer Kommunikationskanäle.
3. Verbesserung der Argumentation durch Schulung.
4. Emotionalisierung der Zielgruppen durch Ausnutzung eines besonderen Klimas
oder durch Aufbau von Feindbildern.
5. Investitionen sind besonders im PR-Bereich und für die Schulung vorzunehmen.
12.5 Defensivstrategien
Defensivstrategien treten dann auf, wenn zum Beispiel eine Regierungspartei oder
eine Regierungskoalition aus mehreren Parteien ihre Mehrheit verteidigen will oder
wenn Marktanteile gehalten werden sollen, oder wenn im Falle der Aufgabe eines
Marktes der Rückzug aus dem Markt möglichst viel Gewinn abwerfen soll.
12.5.1 Die
DieStrategie
Strategiezum
zumHalten
Haltendes
desMarktes
Marktes
Diese Strategie ist typisch für die Verteidigung der Mehrheiten von Regierungen.
In diesem Fall werden die Parteien die Stammwähler pflegen und frühere Situationswähler in ihrer Auffassung der Situationsbeurteilung bestärken. Gegenüber
den angreifenden Oppositionsparteien werden die Regierungsparteien versuchen,
die Unterschiede zu verwischen und Unterschiede nicht erkennbar zu machen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dazu benutzen sie verschiedene Detailstrategien, wie zum Beispiel die Desinformationstrategie56. Die Parteien, die den Markt halten wollen, verhalten sich also
genau umgekehrt, wie die Parteien mit Offensivstrategien. Während die einen die
Unterschiede herausstellen, um so ein attraktives Angebot zu unterbreiten, sind
die Parteien mit defensiver Strategie darauf aus, gerade den Unterschied nicht erkennbar werden zu lassen.
Im Umgang mit Multiplikatoren und Allianzen, werden die Defensivstrategieparteien eine intensive Multiplikatorenpflege betreiben und Incentives anbieten.
Im Umfeld werden Erfolgsdaten verbreitet. Investitionen werden vorwiegend im
PR-Bereich vorgenommen. In der Organisation werden Abläufe vereinfacht, Routinen entwickelt und dadurch Kosten gesenkt.
12.5.2 Die Strategie zum Aufgeben des Marktes
Die Strategie zum Aufgeben des Marktes kann zweierlei bedeuten. Im ersten Fall
will eine Partei wirklich aufgeben und unter Umständen mit einer anderen Partei
verschmelzen. Das kommt nicht allzu oft vor. Viel häufiger ist der zweite Fall. Bei
Wahlen mit Ballotage, das heißt mit einem zweiten Wahlgang, an dem dann nur
noch die stimmstärksten Bewerber des ersten Wahlganges teilnehmen, ist die vorübergehende Aufgabe des Marktes ein sehr häufig vorkommendes Ereignis.
Wenn zum Beispiel nach dem ersten Wahlgang innerhalb von zwei Wochen ein
zweiter Wahlgang stattfindet und nur die beiden Kandidaten an dem zweiten Wahlgang teilnehmen dürfen, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen bekommen
haben, stellt sich für die anderen Kandidaten die Frage, welche Strategie sie in den
14 Tagen anwenden sollen. Hier ist kein Markt zu halten und auch keine offensive
Strategie zu benutzen. Wenn die Kandidaten nun aber gezwungen sind, den Markt
aufzugeben, dann müssen sie zunächst ihre Nichtteilnahme verdeutlichen und begründen und eine andere Wahl empfehlen. Und gerade in dieser Wahlempfehlung
liegt ein Hebel, der strategisch genutzt werden kann. Denn es können natürlich
Bedingungen für eine Wahlempfehlung mit den anderen Kandidaten ausgehandelt werden. Das kann von politischen Zugeständnissen bis zur Beteiligung an der
Macht gehen. Das muss begleitet werden durch eine Informationskampagne für
Multiplikatoren. Geht es um die totale Aufgabe und das Verschmelzen, sind Mitgliederüberleitung, Vermarktung der Restressourcen und Abbau der Organisation
oder Überleitung der Organisation strategisch zu planen.
56
Siehe Kapitel 13.2.10 Strategie der Desinformation.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Eine Aufgabe des Marktes findet auch dann statt, wenn sich der Staat, auf
welcher Ebene auch immer, aus einer bisher vom Staat betriebenen Tätigkeit herauszieht. Hier handelt es sich zum Beispiel um typische Privatisierungen. Die Abwesenheit von Strategien bei diesen Maßnahmen wird allein schon dadurch verdeutlicht, dass das Ausmaß an Korruption bei diesen Aktionen gewaltige Ausmaße
annimmt, was in vielen Fällen schon den ganzen Prozess diskreditiert hat.
Privatisierung ist also nicht nur ein Verkauf oder die Aufgabe eine Tätigkeit,
sondern es ist eine Aufgabe eines Marktes oder Marktanteils, der strategisch nach
bestimmten Regeln geplant werden muss.
12.5.3 Überblick über das Verhalten bei verschiedenen Strategien
Faktoren des
Ausrichtungsverhaltens
Offensivstrategie
Markt erweitern
Wähler
Neue Wählergruppen
erschließen
Konkurrenzparteien
besseres (neues)
Angebot für
bisherige Konkurrenzwähler
Multiplikatoren,
Werber/Berater
Umfeld
Produkt/Profil
Personen
Offensivstrategie
Markt durchdringen
Potential stärker
ausschöpfen
Defensivstrategie
Markt halten
Defensivstrategie
Markt aufgeben
Stammwähler
pflegen, Situationswähler
bestärken
Unterschiede
verwischen
Nichtteilnahme
begründen, andere Wahl
empfehlen
Konditionen für
Wahlempfehlung
aushandeln
Einführungskam- Zielvorgaben
pagne realisieren für Stimmen,
Leistungsanreize
Incentives,
Multiplikatoren
pflegen
Infokampagne
für Multiplikatoren
Wertewandel
nutzen
Strukturänderungen nutzen,
neue Kommunikationstechnologien
neue Kommunikationstechnologien anwenden,
Klima nutzen
Daten zur
Stammwählerbindung nutzen,
Erfolgsdaten
nutzen
neue ergänzende
Programme,
Veränderung
im Profil, Programm-Personen
– Kongruenz
herstellen
Vermarktung
bestehender
Programme,
ProgrammPersonen-Kongruenz intensivieren
Vermarktung
bestehender Programme
ProgrammPersonen –
Kongruenz
zeigen
Konkurrenzpartei- wähler
erschließen
Rückzugsstufen
terminieren oder
Rückzug zeitlich
begrenzen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Mitglieder/
Funktionsträger
Mitgliederwerbung/
Personalentwicklung
Schulung durchführen,
Motivation
steigern
Mitgliederabgän- Mitgliederüberge kompensieren leitung
sichern oder,
Mitglieder ruhig
halten
Finanzen
Investitionen im
Entwicklungsund PR-Bereich
Investitionen im
PR-Bereich
Investitionen im
PR-Bereich
Investitionen
einstellen, optimale Vermarktung der Restressourcen
Organisation
Organisation auf
neue Zielgruppen
vorbereiten, Partizipation neuer
Zielgruppen
sichern,
Neumitgliederpflege
Abläufe optimieren,
EDV-Einsatz
ausbauen
Abläufe vereinfachen, Routinen
entwickeln,
Kosten senken
Organisation in
Stufen abbauen
12.5.4 Mischung von Defensiv- und Offensivstrategien
Unter bestimmten Umständen kann es passieren, dass eine Partei sowohl eine Offensiv- wie auch eine Defensivstrategie fährt. Das ist zwar strategisch immer ein
Risiko, aber dennoch manchmal sehr erfolgreich. Wichtige Voraussetzung für eine
Mischung solcher Strategien ist allerdings, dass das strategische Verhalten gegenüber einer jeweils klar definierten anderen Partei eindeutig ist, d.h. entweder
offensiv oder defensiv.
Zu einer Mischung kann es kommen, wenn zum Beispiel eine Regierungskoalitionspartei gegenüber den Oppositionsparteien eine defensive Strategie als Regierungspartei fährt, aber gleichzeitig innerhalb der Koalition eine offensive Strategie gegen den Koalitionspartner. Diese sogenannte Binnenwahlkampfstrategie
in der Koalition, die besonders die jeweils kleineren Koalitionspartner gegenüber
dem größeren praktizieren, ist zumeist für den kleineren Partner wirkungsvoll und
erfolgreich. Problematisch kann es unter Umständen dann werden, wenn durch
die zu intensive Binnenorientierung der Wahlkampf gegenüber den angreifenden
Oppositionsparteien vernachlässigt wird.
Ein besonderes Beispiel ist hier beim speziellen Wahlrecht, dem Ley de Lemas57,
festzumachen. Bei diesem Wahlrecht kann eine Partei mehrere Kandidaten für diesel57
Siehe Kapitel 27.2.6. Ley de Lemas.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
be Position, zum Beispiel den Präsidenten, aufstellen. Nach der Wahl wird zunächst
ermittelt, wieviel Stimmen eine Partei in der Summe aller ihrer Kandidaten erhalten hat. Aus dieser Zählung ergibt sich dann, welche Partei den Präsidenten stellt.
Danach stellt man fest, wer innerhalb der Partei die meisten Stimmen erhalten hat.
Dieser Kandidat ist damit Päsident. Hier muss also sowohl nach außen, als auch nach
innen gekämpft werden, wobei im Außenkampf die Regierungspartei jeweils defensiv ist und die Oppositionspartei offensiv. Darüber hinaus wird aber auch nach innen
gekämpft. Und hier kämpfen allen Kandidaten bis auf den bisherigen Präsidenten
(wenn Wiederwahl zugelassen ist) offensiv gegeneinander.
12.6 Das Arbeiten mit Pull- und Pushfaktoren (Positive and negative
campaigning)
Die Frage der offensiven Strategien ist eng verbunden mit der Frage, wie es gelingen kann, Wähler oder Unterstützer von anderen Parteien oder Organisationen
abzuwerben. Wie in diesem Kapitel schon dargestellt, geht es dabei vor allem um
attraktive Angebote an die Wähler, die durch Markterweiterungs oder Marktdurchdringungsmaßnahmen zustande kommen. Diese Strategie basiert also auf sogenannten Pullfaktoren, die die Wähler anziehen. Besonders bei Personalwahlen geht
es oftmals gar nicht darum, möglichst viele Stimmen auf sich zu ziehen, sondern es
kann auch darum gehen, dafür zu sorgen, dass der Gegenkandidat oder die Partei
weniger Stimmen erhält als man selbst. Das wird teilweise dadurch bewirkt, dass
man Scheinkandidaten aufstellt, die etwa das gleiche Angebot haben, wie der Kandidat, den man besiegen will. In einem solchen Fall wird der Scheinkandidat einige
Stimmen vom anderen Kandidaten abziehen und ihn dadurch schwächen. Ist die
Schwächung erfolgreich, kann man also auch mit einem schwächeren Ergebnis
relativ stärker werden als der Konkurrent.
Eine sehr viel häufiger angewandte Methode ist allerdings das sogenannte
„Negative campaigning“, auch als Schmutzkampagne bekannt. In diesem Fall wird
über den Konkurrenzkandidaten Wahres und Unwahres behauptet. Die Hauptsache
ist, dass die Behauptung das Image des Kandidaten beschädigt und damit Wähler
vom Kandidaten fernhält oder abspaltet. Die Wirkung der Negativkampagnen liegt
darin, dass die Medien, aber auch die Wähler ein weitaus größeres Interesse an negativen Meldungen haben als an positiven. Der Journalistenspruch: „Bad news are
good news“ zeigt hier seine Wirkung. Für die Parteien, die eine solche Kampagne
fahren wollen, bedeutet das, dass sie zunächst ihre Gegenkandidaten überwachen
und ausspionieren und dabei gehen sie auch weit in die Vergangenheit. Ein „Joint“
in der Schulzeit hat schon so manche politische Karriere beendet.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Wirkung von Push- und Pullfaktoren
Die Pushfaktoren treiben also Wähler von den Konkurrenzparteien oder –kandidaten weg, es ist aber nicht klar, wie sich die Wähler danach verhalten. Sie können zu den Nichtwählern gehen, weil ihre bisherige Partei durch die Pushfaktoren
an Attraktivität verloren hat. Sie können aber auch eine andere Partei wählen. Sie
fließen nicht automatisch der Partei zu, die die Pushfaktoren eingesetzt hat. Das
bedeutet, dass ohne Pullfaktoren keine Wahl gewonnen werden kann.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass der Absender der Pushfaktoren eine
Rolle beim Ergebnis spielen kann. Werden die Pushfaktoren (also die negativen Informationen oder auch nur die Gerüchte) von einer konkurrierenden Partei abgegeben
oder vom konkurrierenden Kandidaten kann das durchaus unerwünschte Effekte
haben. Der am meisten bekannte Effekt ist der sogenannte „Wagenburg-Effekt“.
Zur Erklärung des Wagenburg-Effekts muss man sich an alte Wildwest-Filme
erinnern. Hier wurden die großen Trecks vom Osten nach Westen geführt. Innerhalb
des Trecks gab es vielfältige Konflikte zwischen den Teilnehmern. Es ging um die
Führung, es ging um Diebstähle und um Frauen. Die Teilnehmer am Treck handelten
in vielen Fällen aggressiv gegenüber anderen Treckteilnehmern. Wenn nun plötzlich
der Treck von den Indianern angegriffen wurde, bildete der Wagentreck eine Wagenburg und kämpfte geschlossen gegen die Indianer. Plötzlich waren alle internen
Reibereien vergessen, man kämpfte nach außen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Das passiert in der Politik dann, wenn eine Partei mit einer Negativkampagne
einer anderen Partei angegriffen wird. Mitglieder und Wähler schließen sich sofort
zusammen und verteidigen „ihre“ Partei – auch wenn vorher schon viele Wähler mit
den Leistungen ihrer Partei unzufrieden waren und eigentlich auf dem Abmarsch zu
anderen Parteien waren. Für die Indianer – genauso wie für die angreifende Partei
– wäre es viel besser, wenn man seine Attraktionen zeigen würde (Im Falle der Indianer: Frischfleisch, frisches Wasser und andere Produkte, die für die Treckfahrer
attraktiv waren.) und damit Wähler wie auch Treckfahrer anlocken würde.
Wenn man also eine Negativkampagne, die durchaus erfolgreich sein kann, wie
einige Wahlkämpfe der letzten Zeit bewiesen haben, führen will, sollte die Partei selbst nicht offen darin verwickelt sein. Bei der Partei sollte so etwas wie eine
„special task force“ gebildet werden, die die Gerüchte und negativen Informationen
sammelt und die Verteilung steuert. Die Parteiführung selbst muss jederzeit in der
Lage sein, sich von solchen Aktivitäten zu distanzieren.
Was kann man gegen Negativkampagnen machen, wenn man selbst betroffen ist?
Die Normalreaktion von Parteien und Kandidaten ist zu dementieren. Das ist
mit Sicherheit der falsche Weg, weil dabei die negative Information noch einmal
wiederholt wird und aus der Defensive keine Vorteile gewonnen werden können.
Da die meisten Bürger eine negative Grundeinstellung zu Politikern haben, ist die
Glaubwürdigkeit des Dementis schwächer als das negative Gerücht. Es ist also
oftmals besser zu schweigen, als zu dementieren. Bei bestimmten Vorwürfen ist
es manchmal sogar besser einfach zuzugeben. Siehe dazu auch unter 13.2.11 Die
Strategie des Zugebens – Der Befreiungsschlag.
Auch wenn es sich nicht gut anhört, so weiß man als Strategieplaner, dass die
beste Strategie gegen eine Negativkampagne die ist, dass man eine bessere Negativkampagne hat. Das bedeutet, dass man zur Sicherheit frühzeitig Daten über die
Gegenkandidaten sammelt, um sie für den Fall, dass man von einer Negativkampagne überzogen wird, selbst einzusetzen.
gegen
Negativkampagnen
ist:
Strategischer Merksatz:
Merksatz:Die
Diebeste
besteStrategie
Strategie
gegen
Negativkampagnen
Besser
seinsein
bei Negativkampagnen.
ist:
Besser
bei Negativkampagnen.
Die Methode der Bekämpfung von Negativkampagnen mit Negativkampagnen
hat durchaus Ähnlichkeit mit der Methode Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Durch
das Legen von Gegenfeuern wird dem zu bekämpfenden Feuer das Material für
0OLITISCHE3TRATEGIEN
das Entflammen geraubt. Die Methode ist zwar gefährlich, aber dennoch die einzig wirksame.
Grundsätzlich ist zu Negativkampagnen aber zu sagen, dass sie die politische
Kultur in einem Land nachhaltig schädigt und soweit möglich vermieden werden
sollte. Auf der anderen Seiten dürfen sich diejenigen, die normalerweise keine Negativkampagne anzetteln würden, nicht dem Anwender einer solchen Kampagne
unterwerfen und damit auf Wahlerfolge verzichten. Das eigentliche Problem liegt
hier bei den Wählern, die ein weit größeres emotionales Interesse an Gerüchten
und schmutzigen Geschichten haben als an der Abwägung von Programmen und
rationalen Argumentationsketten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3PEZIELLE3TRATEGIEMUSTER
Für bestimmte Situationen gibt es bestimmte mögliche Strategiemuster, die sich
aus unterschiedlichen strategischen Überlegungen ergeben. Dabei spielt die Spieltheorie58 eine besondere Rolle.
13.1 Strategien für Führende und Verfolger
Bei Siegstrategien für Führende und Verfolger lässt sich die Strategiebildung bei
zwei Konkurrenten auf folgende Regeln beschränken:
Strategischer Merksatz:
hrende sollte
denden
Verfolger
kopieren
undund
der
Strategischer
Merksatz:Der
DerF¸Führende
sollte
Verfolger
kopieren
Verfolger
solltesollte
etwasetwas
anderes
tun alstun
derals
F¸ hrende.
der
Verfolger
anderes
der Führende.
Beispiel: Ein führender Kandidat sollte seinem Verfolger nicht die Chance geben,
einen Unterschied zu zeigen, weil er nur durch den Unterschied gefährdet werden
könnte. Er sollte soweit wie irgend möglich behaupten, dass er die Angebote seines
Konkurrenten auch abdecke.
Ein verfolgender Kandidat muss der Wählerschaft gegenüber dem Führenden
attraktive Unterschiede zeigen, sonst würde der Führende ja auch weiterhin bis
zum Wahltag führen. Versucht der Führende den Verfolger zu kopieren, so muss
der Verfolger immer neue Felder suchen, um den Unterschied zu zeigen, vielleicht
muss er sogar extreme Positionen vertreten, um es dem Führenden unmöglich zu
machen, ihn zu kopieren, ohne dessen eigene Wählerschaft in Zweifel zu stürzen.
In der Wirklichkeit finden wir immer wieder, dass der Verfolger sich dem Verhalten und den Themen des Führenden oft anpasst, weil er hofft dadurch wählbarer
zu werden. Gerade das Gegenteil würde ihm aber den Erfolg bescheren.
Diese Sätze gelten allerdings nur, wenn zwei Konkurrenten von Bedeutung am
Start sind. Handelt es sich um mehr als zwei in etwa gleichwertige Konkurrenten,
dann ist ein Kopieren der Verfolger oftmals nicht möglich, weil die beiden Verfolger
sich für unterschiedliche Wege entscheiden können.
58
Leicht verständliche Literatur zu der ansonsten schwer verständlichen Spieltheorie: Dixit,
Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, Schaeffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel: Ein liberaler Kandidat führt das Feld der Kandidaten an. Seine Verfolger
sind ein konservativer Politiker und ein sozialistischer Politiker, die beide versuchen
in ihrem Lieblingsfeldern Unterschiede zu zeigen. Und so könnte Marktwirtschaft
gegen Planwirtschaft und Privatwirtschaft gegen Staatswirtschaft stehen. In einem
solchen Fall ist es für den Führenden schwierig, beide Verfolger zu kopieren.
In einem solchen Fall ist es besser eine andere Strategie einzuschlagen und
das ist die Strategie der Desinformation59.
Beispiel: Desinformation kann in diesem Fall das sein, was Ludwig Ehrhardt in
Deutschland machte, als er als PR-Titel die sogenannte „soziale Marktwirtschaft”
erfand, und damit ein neues Wort in die Diskussion brachte unter dem jeder das verstehen konnte, was er darunter verstehen wollte.
13.2 Strategien, die vom zeitlichen Ablauf bestimmt werden
Es gibt Situationen, bei denen die Beteiligten ihre Schritte nacheinander vornehmen und dabei die Chance haben, den Zug des vorher Ziehenden zu evaluieren
und ihre eigene Entscheidung davon beeinflussen zu lassen. Dann handelt es sich
um Entscheidungen mit sequentiellen Zügen. Werden jedoch die Züge gleichzeitig
vorgenommen, ohne dass die andere Seite davon weiß, dann handelt es sich um
strategische Entscheidungen mit simultanen Zügen.
13.2.1 Strategische Entscheidungen mit sequentiellen Zügen
Generell gilt bei strategischen Entscheidungen mit sequentiellen Ereignissen, dass
jeder Beteiligte versuchen sollte, die Antworten seines Gegenspielers herauszufinden. Auf dieser Grundlage kann er dann den Zug ermitteln, der in der bestehenden
Situation für ihn am besten ist.
Die Grundregel
Vorausschauen
undund
aufauf
dasdas
eigene
Verhalten
Grundregellautet
lautetalso:
also:
Vorausschauen
eigene
Verhalten
zurückschließen
zurückschließen
Das bedeutet, dass man seine eigene Aktion besser planen kann, wenn man
weiß, wie der Gegenspieler in einer bestimmten Situation reagieren wird.
59
Siehe Kapitel: 13.2.10 Strategie der Desinformation
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Man verdeutlicht solche sequentiellen Entscheidungen zumeist mit Hilfe von
Entscheidungsbäumen, in denen die einzelnen Entscheidungspunkte mit den möglichen Entscheidungen (manchmal auch mit Wahrscheinlichkeiten) dargestellt
werden.
Ein typisches Beispiel sind Wahlabsprachen zwischen Fraktionen in einem Parlament. Bei aufeinanderfolgenden Wahlen versprechen sich zwei Partner eines vorübergehenden Zweckbündnisses, dass sie sich gegenseitig bei den Wahlen im Parlament zu Mehrheiten verhelfen werden.
Entscheidungsbaum
Die Grafik zeigt die Abläufe der Entscheidungen. Bei E1 hat die Partei A zu entscheiden, ob sie der Partei B zur Mehrheit verhilft. Dabei sollte sie überlegen, was
passiert, wenn das geschehen ist. Denn dann muss die Partei B bei E2 entscheiden,
ob sie nun im Gegenzug auch der Partei A hilft. Wenn keine weiteren Kooperationen geplant sind und keine weiteren Wahlen anstehen, auf die sich die Absprache
bezieht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Partei B sich nicht an die
Absprache hält, weil sie ihr Ziel, nämlich ihren Kandidaten wählen zu lassen, schon
erreicht hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Partei A unter diesen Umständen ihren Kandidaten durchbringt, ist sehr gering. Deshalb sollte die Partei A bei
der Entscheidung E1 entweder nicht der Partei B helfen oder andere Vorkehrungen
treffen, damit die Partei B bei E2 gezwungen wird, die Kandidaten der Partei A zu
wählen. Das kann zum Beispiel dadurch erfolgen, dass eine weitere Absprache für
spätere Zeiten gemacht wird, von der dann wieder die Partei B profitiert.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
13.2.2 Strategische Entscheidungen bei simultanen Zügen
Die bekannteste Situation mit simultanen Zügen ist das sogenannte Gefangenendilemma. Diese Situation zeichnet sich dadurch aus, dass bei rationalem Handeln
jedes Individuums mit dem Ziele der individuellen Nutzenmaximierung das insgesamt schlechteste aller möglichen Ergebnisse erreicht wird.
Das Modell der Situation ist wie folgt gestaltet: Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe für das
Verbrechen beträgt fünf Jahre. Der Richter macht jedem der beiden das folgende
Angebot: „Wenn du auspackst und somit deinen Partner belastest, kommst du ohne
Strafe davon und er muss die vollen fünf Jahre absitzen. Wenn ihr beide schweigt,
haben wir genügend Indizienbeweise, um Euch für zwei Jahre einzusperren. Wenn
ihr beide gesteht, müsst ihr vier Jahre Eures Lebens hinter Gittern verbringen.”
Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren
und ihr Vorgehen abzustimmen. Wie werden Sie sich entscheiden?
Jeder der Gefangenen hat zwei Möglichkeiten: Zu schweigen oder zu gestehen oder aus der Sicht des jeweils anderen Gefangenen zu kooperieren, also zu
schweigen, oder zu defektieren, also zu gestehen. Die Situation der Gefangenen
kann zur Verdeutlichung in eine in der Spieltheorie übliche Payoff-Matrix übertragen werden.
A/B
B schweigt
B gesteht
A schweigt
(-2, -2)
(-5, 0)
A gesteht
(0, -5)
(-4, -4)
Die Tabelle zeigt die Payoff-Marix für die im Text beschriebene Situation. Die
im Gefängnis zu verbringende Zeit ist jeweils in negativen Zahlen ausgedrückt.
Wenn man sich einmal in die Rolle der Gefangenen versetzt, versteht man, warum
die durch die Spieltheorie vorausgesagten Ergebnisse eintreten.
Gefangener A weiß, dass Häftling B entweder gesteht oder sein Schweigen
durchhält. Falls B gesteht, wird A zu fünf Jahren verurteilt, wenn A selbst durchhält. Aber er erhält nur vier Jahre, wenn er auch gesteht. Es ist also in jedem Fall
besser für ihn zu gestehen. Falls B jedoch schweigt, erhält A zwei Jahre, wenn A
auch schweigt. Er bekommt aber einen Freispruch, wenn er gesteht. Es wäre also
0OLITISCHE3TRATEGIEN
erneut besser für A zu gestehen. Für A ist die dominante Strategie zu gestehen.
Dominante Strategien stellen den Spieler in jeder Entscheidung besser.
In der anderen Zelle stellt B ähnliche Überlegungen an und gelangt zu demselben
Schluss. Das Ergebnis wird also sein, dass beide gestehen und damit nicht das beste
für sie erreichbare Ergebnis (nämlich beide zwei Jahre) erreicht wird. Sie erhalten
beide das zweitschlechteste Ergebnis, nämlich vier Jahre Haft. In der Summe der
gesamten Haftjahre für beide ist es sogar das schlechteste Ergebnis.
Ein typisches Beispiel tritt bei Abrüstungsverhandlungen auf. Jeder Seite wäre
es natürlich am liebsten, wenn die andere Seite abrüsten würde und man selbst die
Waffen aus „Sicherheitsgründen“ behalten könnte. Das Schlimmste für eine Seite
wäre, dass man selbst abrüstet und die andere Seite die Waffen behielte. Deswegen
wird zumeist nicht die Abrüstung, sondern die Beibehaltung der Waffensysteme
oder manchmal sogar ein Wettrüsten der Erfolg solcher Abrüstungsverhandlungen
sein. Es gelingt den beiden Seiten zumeist nicht, die für sie jeweils zweitgünstigste
Strategie zu wählen.
Die nukleare Abrüstung, die zwischen der NATO und der damaligen Sowjetunion vereinbart wurde, ist deswegen auch nicht auf Verhandlungen mit simultanen
Zügen zurückzuführen, sondern – vorbereitet durch die Nachrüstungsoffensive des
Westens – durch die Unfähigkeit der Sowjetunion der Nachrüstung wirtschaftlich
folgen zu können. Hier wurde die Entscheidung mit simultanen Zügen in eine Entscheidung mit sequentiellen Zügen umgewandelt.60
Das klassische Gefangenendilemma zeichnet sich durch vier Restriktionen
aus:
1. Keine Kommunikation unter den Beteiligten
2. Keine Wiederholung des Spiels
3. Nur zwei Handlungsalternativen (Kooperieren oder Defektieren)
4. Zwei Beteiligte
Diese Restriktionen können in der Wirklichkeit verändert werden.
60
Siehe Kapitel 13.2.4. Strategische Züge.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Variante 1:
Es kann Kommunikation zugelassen werden. Bei Kommunikation unter den
Spielern ist es wahrscheinlich, dass sich die Gefangenen darauf einigen werden
beide zu leugnen. Es ist aber auch sehr wahrscheinlich, dass einer von beiden oder
sogar beide die Absprache brechen werden.
In der Geschichte der OPEC gibt es eine Reihe von Vereinbarungen zur Begrenzung
der Ölmengen, um den Ölpreis zu stabilisieren oder anzuheben. Die meisten dieser
Abkommen sind immer wieder von einzelnen Mitgliedsstaaten gebrochen worden,
um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
Nach Rapoport61 ist es deshalb nötig, Vereinbarungen erzwingbar und einklagbar zu machen. Dabei muss die Strafe die Auszahlungsmatrix (Payoff-Matrix) so
verändern, dass der Bruch der Vereinbarung die Auszahlung für denjenigen, der die
Vereinbarung bricht, so senkt, dass das Ergebnis beim Einhalten der Vereinbarung
besser ist als beim Bruch der Vereinbarung.
Variante 2:
Hebt man die Begrenzung der Zahl der Spiele auf, so ermöglichst das eine indirekte Absprache, denn jeder Beteiligte hat die Möglichkeit aus dem Verhalten der
anderen beim vorangegangenen Spiel Schlüsse zu ziehen. Bei diesem sich wiederholenden Gefangenendilemma (iteratives Gefangenendilemma) werden die Reaktionen der einzelnen Spieler abgeschätzt und gleichzeitig müssen auch zukünftige
Spielsituationen berücksichtigt werden.
Das klassische Beispiel für ein iteratives Mehrpersonen-Gefangenen-Dilemma
ist die Nutzung freier Güter. In einem Artikel in der Zeitschrift „Sciene” schrieb der
Biologe Garrett Hardin62: „Stellen Sie sich eine Weide vor, die für alle offen ist (Allmende). Es ist zu erwarten, dass jeder Hirte versuchen wird, soviel Vieh wie möglich
auf dieser Gemeinschaftsweide zu halten. ... Hierin liegt die Tragik. Jeder einzelne
ist gefangen in einem System, das ihn zwingt seine Herde grenzenlos zu vergrößern;
und zwar in einer Welt, die sehr wohl Grenzen hat. In einer Gesellschaft, die an den
freien Zugang zur gemeinsamen Weide glaubt, werden die Menschen auf den Ruin
zustürzen und dabei doch alle nur ihr bestes Eigeninteresse verfolgen.
61
62
Rapoport, Anatol and Chamnah, Albert M.: Prisoners Dilemma, Michigan 1963, S. 25 und 26.
Hardin, Garrett. (1968) The tragedy of the commons. Science, 162, 1243-1248.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Diese Situation nennt man ökologisch soziales Dilemma. Es tritt vielfach auf
und ist besonders in den folgenden Bereichen zu finden: Umweltverschmutzung,
Überbevölkerung, Überfischung, Ausbeutung erschöpfbarer Ressourcen.
Da die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte in diesen Bereichen ständig
erfolgen, kann man von einem iterativen Gefangenendilemma ausgehen. Hier sind
also ständig neue strategische Entscheidungen zu treffen, die das Verhalten der
anderen Spieler mit berücksichtigen. Rapoport und andere63 haben Standardstrategien gesammelt und kommentiert.
Variante 3:
Die Restriktion auf zwei Handlungsmöglichkeiten dient ausschließlich der Vereinfachung des Denkprozesses, an der Methodik ändert sich auch bei der Erhöhung
der Handlungsalternativen nichts.
Variante 4:
Die Restriktion, die die Zahl der Akteure auf zwei setzt, ist die Kernrestriktion,
wenn man das Gefangenenmodell auf die Wirklichkeit übertragen will. Bei größeren Kollektiven tritt das Problem der Trittbrettfahrer auf. Das ist immer dann der
Fall, wenn der Nutzen jedes einzelnen durch eine Handlung des Kollektivs vergrößert werden könnte. In diesem Fall wird sich jedes Individuum in diesem Kollektiv
überlegen, ob es den freiwilligen Beitrag zur kollektiven Aktion leisten solle, weil
es auch ohne diesen Beitrag in den Genuss der Leistung kommen wird. Verhält sich
jeder so, wird also niemand seinen Beitrag leisten.
Beispiel: In einer Nachbarschaft, die von einer Ungezieferplage befallen ist, einigen sich die Nachbarn darauf, die Plage gemeinsam bekämpfen zu lassen. Dazu
muss jeder Beteiligte einen bestimmten Betrag in einen Fond einzahlen. Nun gibt
es einen Nachbarn, der sich weigert den Betrag zu zahlen. Da mit einer einzigen
Ablehnung nun aber das Gesamtprojekt nicht scheitern soll, werden die anderen
weiter kooperieren und nehmen das Defektieren des einen Nachbarn hin. In der Realität ergibt sich danach das Problem der Trittbrettfahrer, was dazu führen kann,
dass niemand mehr einzahlt.
63
Robert Axelrod 1988, Die Evolution der Kooperation, München: Oldenbourg.; Mathieu,P.;/
Delahaye, J.P. Our meeting with gradual: A good strategy for the iterated prisoner‘s dilemma.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Strategische
bei simultanen Zügen
13.2.3 Strategien
aus Entscheidungen
dem Gefangenendilemma
Die Auswege aus dem Gefangenendilemma bestehen in folgenden strategischen
Schritten:
1. Kooperation erreichen
2. Aufdecken von Betrug
3. Bestrafung der Betrüger
4. Tit-for-tat64
Eine Kooperationsvereinbarung wird zumeist über Verhandlungen erreicht. Typisch dafür sind internationale Abkommen über den Schutz bestimmter Arten, über
die Nichtverwendung bestimmter Stoffe, über Embargos, über Zölle usw. Das größte
Problem besteht nun darin diejenigen zu erwischen, die gegen die Vorschriften der
vertraglichen Vereinbarungen verstoßen.
Beispiel: Jedes Embargo, besonders bei Waffenlieferungsverboten, ist gebrochen
worden. Da gibt es zwar dann nicht mehr den direkten Transport von Waffen, aber
ganze Waffenfabriken werden exportiert, natürlich unter anderer Bezeichnung.
Beispiel: Jede Vereinbarung zum Abbau von Protektionismus durch Senkung von
Zöllen wird unterlaufen. Die Kontrolle ist hier oftmals sehr schwer. Dabei gibt es keinen sichtbaren Verstoß gegen die jeweilige Zollvorschrift, aber es werden auf Druck
bestimmter Lobbies andere Handelshemmnisse aufgebaut: Technische Restriktionen,
Standards, bürokratische Verfahren, Quotenregelungen usw.
Vereinbarungen, Verträge, Gesetze und Verordnungen, die zur Kooperation führen sollen, sind immer dadurch bedroht, dass die Neigung zum Schummeln sehr
groß ist und ständig der Versuch gemacht wird, das Gesetz oder die Vereinbarung
zu brechen. Nach der im Gefangenendilemma sehr üblichen Strategie des Tit-fortat und unter Berücksichtigung von Trittbrettfahrern brechen viele Vereinbarungen
zusammen oder es werden Gesetze zwar beschlossen, aber nicht exekutiert. Auch
die Probleme der Massenkorruptionsbekämpfung sind in diesem Bereich angesiedelt.
Der massenhafte Verstoß gegen die Vorschrift wird dann zumeist als Kavaliersdelikt
angesehen. Generell gilt, dass es keine Lösung gibt für die Fälle, in denen einmalig
Kooperation sichergestellt werden soll. Nur in fortdauernden Beziehungen gibt es
64
Tit for Tat (engl. Redewendung, auf deutsch „wie du mir, so ich dir“)
0OLITISCHE3TRATEGIEN
die Möglichkeit, die Strafinstrumente einzusetzen oder die Hoffnung auf weitere
Kooperation zu wecken.
Voraussetzung für eine langfristige Kooperation ist also der Aufbau des Vertrauens unter den Teilnehmern und das konsequente Bestrafen von Umgehungen
und Verstößen. Ein Zusammenbruch der Kooperation bringt automatisch den Verlust von künftigen Gewinnen (Kosten). Wenn diese Kosten groß genug sind und
schmerzen, wird die Betrugsabsicht zurückgesteckt und die Kooperation aufrechterhalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Verlust der Kooperation mit sehr hohen Kosten verbunden ist.
Beispiel: Daimler Benz stimmte einer Strafzahlung von 185 Millionen US $ zu,
mit der die US-Justizbehörden den Konzern wegen Korruption in 22 Ländern belegten, um die Börsennotierung an der Wallstreet zu behalten. Diese Notierung ist
für den Konzern ausgesprochen wichtig und so Gewinn bringend, dass das Volumen
der Strafzahlung gedeckt werden kann.
Bei der Nutzung von freien Gütern ist das eben zum großen Teil nicht der Fall,
so dass die hier aufgestellten Regeln dafür nicht gelten. Aber auch das allgemeine
Prinzip ist schon mit zwei Einschränkungen versehen:
1. Wenn die Beziehungen ein vorgesehenes Ende haben, bespielsweise der Ablauf
einer Legislaturperiode. In diesem Fall ist die Zahl der Interaktionen endlich.
Es gibt also einen Zeitpunkt, bei dem es keine Bestrafung mehr geben kann.65
Zumindest hier kann jetzt defektiert werden. Der Ausgang des letzten Spieles
bedeutet also „keine Kooperation”. Wenn der Ausgang des letzten Spieles nicht
zu beeinflussen ist, wird automatisch das vorletzte Spiel zum letzten Spiel. Und
jetzt wird hier geschummelt oder defektiert und so weiter, und so weiter.
2. Wenn die Vorteile des Betrugs vor dem Zusammenbruch der Kooperation entstehen, das heißt vor den Kosten. Das eine ist Gegenwart, das andere Zukunft.
In der Politik ist die Abwägung zwischen Gegenwart und Zukunft subjektiv. In
den meisten Fällen möchte man den gegenwärtigen Vorteil speziell bei Wahlen
nutzen und ist nicht so sehr auf zukünftige Vorteile nach dem Wahltermin
ausgerichtet. Kooperation ist unter diesen Umständen schwer zu erreichen.
Koalitionsregierungen können davon viele Lieder singen.
In dem Fall, dass es um die Allmende geht, also um Güter, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, wie Luft, Wasser, Fischbestände, zugängliche Rohstoffe
65
Siehe Beispiel in Kapitel 13.2.1. Strategische Entscheidungen bei sequentiellen Zügen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
usw. ist die Kooperation auch noch dadurch erschwert, dass der Zusammenbruch
der Kooperation nicht mit Kosten verbunden ist, sondern dass bei den ökologisch
sozialen Dilemmata der Profit für den einzelnen gerade im Bruch der Kooperation
liegt. Allerdings nur so lange bis die Ressource erschöpft ist.
Ökologisch soziale Dilemmata besitzen zwei eng zusammenhängende Seiten.
Zum einen nutzen die Beteiligten meist eine natürliche, sich selbst regenerierende
Ressource. Die Ressource vermehrt sich nach Gesetzmäßigkeiten, die den Beteiligten
nicht von vornherein bekannt sind. Der Ausbeutung sind durch die Wachstumsfähigkeit der Ressource Grenzen gesetzt. Sie kann durch zu hohe Nutzung schwerwiegend, sogar irreparabel geschädigt werden. Dazu kommt, dass der Gewinn der
Nutzung sofort entsteht, während Verluste durch Schädigung der Regenerationsfähigkeit der Ressource erst mit zum Teil erheblicher Zeitverzögerung eintreten.
Allein schon diese zeitverzögerten Rückmeldungen auf eigenen Handlungen machen die Situationen für den Menschen schwer durchschaubar und provozieren
unangemessenes Verhalten.
Dazu kommt der zweite Aspekt: Der Gewinn aus der Nutzung der Ressource
kommt jedem Individuum selbst zugute, wohingegen ein Schaden durch Übernutzung alle am Geschehen Beteiligten gleichermaßen trifft. In der Regel übersteigt
zumindest kurzfristig der Nutzen, den der Einzelne erhält, den auf ihn zurückfallenden Anteil des Schadens, so dass gewisse für die Umwelt und die Gemeinschaft
problematische Handlungen dem Individuum gerade in einer Konkurrenzsituation
attraktiv erscheinen können.66 67
Hardin kommt zu dem Schluss, dass die einzige Strategie dagegen die Einsicht
in die Notwendigkeit ist, die Freiheit individueller Entscheidungen einzuschränken
und statt dessen gemeinschaftlichen Zwang, auf den man sich gemeinsam geeinigt hat, zu akzeptieren.
Die Lieblingslösung der Ökonomen ist es, Eigentumsrechte zu schaffen. Andere Lösungen sind die Internalisierung externer Kosten, wie zum Beispiel bei der
marktwirtschaftlichen Ökologie68. Allerdings sind zunächst auch Hardinsche Vereinbarungen nötig.
66
67
68
Ernst, Andreas M. und Spada, Hans: „Ökologisches Handeln im Konflikt. Die Allmende-Klemme”
in P.Day, U.Fuhrer & U.Laucken (Hrsg.) Umwelt und Handeln (S. 63-85) Tübingen.Attempto.
Spada, H. & Ernst A.M. : Wissen, Motivation und Verhalten in einem ökologisch-sozialen Dilemma.
In K. Pawlik & K.-H. Stapf (Hrsg.), Umwelt und Verhalten. Bern: Huber, 1991.
Knüppel, Hartmut: Umweltpolitische Instrumente: Analyse der Bewertungskriterien und Aspekte
einer Bewertung, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
13.2.4 Strategische
StrategischeZüge
Züge
Strategische Züge dienen dazu, die Einschätzungen und Aktionen der anderen so
zu verändern, dass man selbst dadurch einen Vorteil erlangt. Das Typische an einem
solchen strategischen Zug ist, dass man seine eigene Handlungsfähigkeit durch den
strategischen Zug selbst beschränkt.
Es gibt dabei drei verschiedene Formen von strategischen Zügen:
Schema für strategische Züge
13.2.5 Der bedingungslose Zug
Ein bedingungsloser Zug ist eine Antwortregel (Was werde ich tun, wenn....), bei der
man selbst den ersten Zug macht. Wir nennen diesen Zug deswegen auch Initiative.
Bei diesem Zug verwandelt man die simultane Situation, in der die Kontrahenden
zeitgleich Aktionen starten können in eine sequentielle Situation, bei der man selbst
die Initiative ergreift, um die andere Seite darauf reagieren zu lassen.
Beim bedingungslosen Zug verpflichtet sich zum Beispiel der Präsidentschaftskandidat A die Steuern nicht zu erhöhen, sondern zu senken, wenn er gewählt wird.
Diese Äußerung wird ohne jede Bedingung gemacht. Damit wird sie zum Anlass einer
breiten Diskussion, bei er es darauf ankommt, wie sich der gegnerische Kandidat verhält. Auf jeden Fall bringt der bedingungslose Zug des Präsidentschaftskandidaten
A den Kandidaten B in einen Zugzwang. Spielt das Thema „Steuern“ im Wahlkampf
eine Rolle und führt Kandidat A, wird Kandidat B nichts anderes übrigbleiben, als
auch Steuersenkung zu versprechen. Damit aber macht er den strategischen Fehler,
dass er sich nicht abgrenzt, sondern dass er kopiert. Damit sinken die Siegeschancen des Kandidaten B, weil er ja keinen attraktiven Unterschied zum Kandidaten A
0OLITISCHE3TRATEGIEN
zeigt. Der Kandidat A hat sich durch seinen bedingungslosen Zug in eine bessere
Position gebracht.
Das Problem der bedingungslosen Züge in einer solchen Situation besteht in der
mangelnden Glaubwürdigkeit von Politikern. Obwohl der Politiker die Aussage ohne
jede Bedingungen gemacht hat, kann seine Zusage die Steuern zu senken, nach der
Wahl jederzeit zurückgenommen werden. Um die strategischen Züge glaubwürdiger
zu machen, müssen unterstützende Schritte unternommen werden. Zum Beispiel die
Berufung von Sachverständigen in einen Beratungsausschuss für Steuerentlastung,
um zumindest den Anschein zu erwecken, der Kandidat meine es ernst.
Ein anderes Beispiel stammt aus dem Bundestagswahlkampf 2002 in Deutschland. Damals startete der Bundeskanzler Schröder in einem für ihn schwierigen
Wahlkampf die Initiative, dass er völlig ungefragt einen Eintritt der Bundesrepublik
Deutschland in den Irak-Krieg kategorisch ausschloss. Damit brachte er seinen Herausforderer Stoiber in eine schwierige strategische Lage, da dieser einen Unterschied
zum Bundeskanzler hätte zeigen müssen. Das hätte eine Teilnahme am Krieg bedeutet, was aber von über 80 % der Wähler abgelehnt wurde.
Drohungen und Versprechen
Drohungen und Versprechungen kommen dann ins Spiel, wenn man selbst den
zweiten Zug machen will, dem Gegner aber schon seine Antwortregel mitteilt. (Ich
werden das Folgende tun, wenn du Folgendes tust.) Diese Form der strategischen
Züge, sowohl in der Drohungs- wie auch in der Versprechensform, kennen wir alle
aus unserer Kindheit und setzen sie genauso bei unseren Kindern ein. „Wenn du
deine Suppe jetzt aufisst, gehen wir anschließend ins Schwimmbad.“ Oder „Wenn
du deinen Spinat nicht isst, bekommst du auch keinen Nachtisch.“ Das bedeutet,
dass hier die Antwortregel festliegt, bevor der Gegner seine Entscheidung fällt und
ausführt. Wenn der andere seinen Zug macht, reagiert man selbst in der Form der
angekündigten Regel.
Zur Zeit des kalten Krieges drohte die USA der Sowjetunion mit dem Einsatz von
Atombomben, wenn die Sowjetunion ein NATO-Land angreifen würde.
Mit dieser Drohung, die gleichzeitig auch von der Sowjetunion ausgesprochen
wurde, konnte über viele Jahre vermieden werden, dass es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam. (Abschreckungsstrategie und Gleichgewicht des Schreckens)
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel: Terroristen benutzen bei Geiselnahmen zumeist das Instrument der
Drohung. Wenn nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Aktion im
Sinne der Geiselnehmer erfolgt ist, drohen die Geiselnehmer, die Passagiere eines
gekaperten Flugzeuges zu erschießen.
Diese Strategie der Drohung kann durch eine andere Strategie aufgehoben oder
sogar unterbunden werden. In diesem Fall erklärt der jeweils betroffene Staat, dass
er unabhängig von möglichen Verlusten die Geiselnehmer angreifen und vernichten
werde. Hier setzt der Staat also eine stärkere Drohung gegenüber einer schwächeren
ein. Das kann aber nur dann funktionieren, wenn die Geiselnehmer die Glaubwürdigkeit der staatlichen Drohung anerkennen. Dazu muss es also schon Präzedenzfälle
gegeben haben, die die Ernsthaftigkeit der Drohung unterstreichen.
Die andere Kategorie der Antwortregeln sind die Versprechen. Hier teilt man
seinem Gegenspieler mit, was man ihm geben wird, wenn er sich in bestimmter
Art und Weise verhält.
Beispiel: Mit der Kronzeugenregelung wird eine solche Strategie angewandt.
Wenn ein Beschuldigter zur Aufklärung eines bestimmten Falles durch seine Aussage
beiträgt, kann er straffrei ausgehen oder erhält eine Strafminderung.
Auch die Kronzeugenregelung braucht eine Glaubwürdigkeit. Deswegen wird
sie meistens sogar gesetzlich abgesichert. Strategische Züge enthalten also immer
zwei Elemente: Einen Aktionsplan und die Selbstbindung.
In einigen Fällen werden Drohungen und Versprechen gemeinsam ausgesprochen, ohne dass wirklich klar ist, was zum Einsatz kommt.
Ein typisches Beispiel dafür ist die sogenannte Schutzgelderpressung. Hier teilt
die eine Seite der anderen mit, dass sie bereit ist, bei regelmäßiger Zahlung einer
bestimmten Summe Geldes, das Eigentum, zum Beispiel ein Restaurant, vor den Angriffen einer unbestimmten Gruppe zu schützen.
In diesem Fall verschwimmen die Konturen der Drohung und des Versprechens,
weil beides in der Antwortregel enthalten ist.
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13.2.5 Strategie – Verbrannte Erde
Die Strategie der verbrannten Erde ist ein berühmtes Beispiel für sogenannte „strategische Züge“.
„Wir müssen eine gnadenlosen Kampf organisieren. Dem Feind darf nicht ein
einziger Laib Brot , nicht ein einziger Liter Benzin in die Hände fallen. Die Bauernkollektive müssen ihr Vieh wegtreiben und ihr Getreide fortschaffen. Was nicht fortgebracht werden kann, muss zerstört werden. Brücken und Straßen müssen gesprengt
werden. Wälder und Läger müssen niedergebrannt werden. Für den Feind müssen
unerträgliche Bedingungen geschaffen werden.“ Josef Stalin am 3.7.1941 bei der
Verkündung seiner Strategie der verbrannten Erde.
Der strategischen Selbstbindung von Josef Stalin, den deutschen Truppen nur
verbrannte Erde zu überlassen, wurde dadurch Glaubwürdigkeit verliehen, dass die
Felder wirklich abgebrannt wurden.
Auch im ökonomischen Bereich gibt es eine Reihe von Versuchen, verbrannte
Erde zu hinterlassen. Das gilt besonders für die feindlichen Firmenübernahmen.
Hier wehren sich Firmenleitungen gegen die Übernahme, indem sie versuchen, die
Attraktionen des Unternehmens (zum Beispiel Verträge mit Autoren bei Verlagen)
zu zerstören, so dass diejenigen, die die Übernahme planen, nichts mehr davon
haben.
13.2.6 Die Strategie der kleinen Schritte
Bei der Strategie der kleinen Schritte handelt es sich darum, die Maßnahmen so zu
planen, dass die Zahl der Gegner beherrschbar bleibt und nacheinander die benötigten Maßnahmen durchzuführen, ohne dass es zu großem Widerstand kommt.
Beispiel: Eine Regierung plant den massiven Abbau von Subventionen. Würde
sie das in einem Schritt tun, würde nahezu jeder Bürger irgendwie betroffen sein
und deshalb lässt sich diese Maßnahme so nicht durchführen.
Die Strategie der kleinen Schritte sieht nun vor, dass der Abbau in einem Stufenplan vor sich geht. Zunächst werden einige kleinere Subventionen abgebaut, die
Gruppen betreffen, die keine gemeinsamen Interessen haben und sich daher nicht
zusammenschließen können. Danach kommt eine zweite Welle des Subventionsabbaus, usw. Je näher man nun an die größeren Subventionen mit starker Lobby
kommt, umso mehr Unterstützung findet man bei denjenigen, die nun schon gelit0OLITISCHE3TRATEGIEN
ten haben und die aus dem Gefühl der Gerechtigkeit den Subventionsabbau auch
für die anderen Gruppen haben wollen.
Ähnlich kann man vorgehen bei einer Steuererhöhung. Solange die Erhöhung
in kleinen Schritten vorgenommen wird, ist das Protestpotential nicht groß genug
und nicht emotionalisiert genug, um wirkliche Gegenwehr leisten zu können. Für
10 ` mehr Steuern pro Monat geht man noch nicht auf die Straße. Wenn aber
100 ` mehr Steuern pro Monat zu zahlen sind, können viel mehr Menschen motiviert werden, an Aktionen gegen Steuererhöhungen teilzunehmen.
Steigt der Preis für Nahrungsmittel monatlich um 2 %, wird höchstwahrscheinlich kein Aufstand ausbrechen. Die Erhöhung gibt in 12 Monaten mehr als
26 %. Eine solche einmalige Erhöhung ließe sich ohne Proteste und Aufruhr nicht
durchsetzen.
Beispiel: Erfahrungen mit der radikalen Erhöhung von Preisen für Grundnahrungsmittel auf Druck des IWF oder der Weltbank haben viele Länder, wie Tunesien,
Indonesien, Thailand usw. gemacht. Eine Strategie der kleinen Schritte hätte die
Ausschreitungen und Kämpfe vermeiden können.
13.2.7 Das Spiel mit dem Abgrund – Brinkmanship
Das berühmteste Beispiel für Brinkmanship ist die Kuba-Krise von 1962. Hier verkündete John F. Kennedy eine Seeblockade gegen Kuba, nachdem seine Aufklärung
festgestellt hatte, dass die Sowjetunion auf Kuba Atomraketen stationieren wollte
und die Raketensilos schon gebaut wurden.
Hätte die Sowjetunion mit Nikita Chruschtschow die Herausforderung angenommen, dann hätte die Krise bis zum totalen Atomkrieg eskalieren können. Für
beide Seiten gab es mehrere Optionen zum Handeln. Einige Optionen führten zu
einer sicheren Lage, wie zum Beispiel das Nichtstun der Amerikaner oder der Abbau
der Raketen in Kuba. Andere Optionen dagegen waren abgestuft gefährlich, wie das
Stoppen der Raketentransporter im Atlantik, das Durchbrechen der Seeblockade
oder der Präventivschlag gegen die USA. Wo genau der kritische Punkt bei diesen
Aktionen liegen würde, konnte niemand voraussehen.
Die Idee der Strategie des Brinkmanship ist es, den Gegner an den Rand einer
Katastrophe zu führen, um ihn zu zwingen sich zurückzuziehen. Der Schlüssel zum
Verständnis von Brinkmanship besteht darin zu erkennen, dass der Abgrund in den
man den Gegner führt keine scharfe Kante hat. Es handelt sich um eine abschüssige
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bahn, die immer steiler abfällt. Das heißt, dass man ins Rutschen kommen kann
und dann mit dem Gegner in den Abgrund fällt.
Der Kern des Brinkmanship besteht also darin, ein Risiko absichtlich herbeizuführen. Das Risiko sollte für den Gegner hinreichend unerträglich sein, um ihn
dazu zu bewegen, der Gefahr auszuweichen und sein Verhalten zu ändern. Eine
reine Drohung kann nicht die Wirkung des Brinkmanship haben, weil beim Brinkmanship das unkalkulierbare Risiko des menschlichen Versagens oder der Handlung
aus einer Emotion heraus die Gefahr real macht.
Wenn man Brinkmanship anwendet, kommt es dann und wann wirklich zur
Katastrophe, d.h. zum Absturz in den Abgrund.
Ein Beispiel ist das Massaker an den chinesischen Studenten 1989 auf dem
Tiannanmen-Platz in Peking. Hier befanden sich die Studenten mit den Hardlinern
in der Regierung auf Konfrontationskurs. Entweder würden die Hardliner ihre Macht
verlieren oder die Studenten mussten bei ihren Forderungen Kompromisse machen.
Der Ausgang ist bekannt.
Anders verliefen ähnliche Aktionen in der DDR und in der Tschechoslowakei, wo
es auch zu demokratischen Protesten kam. Hier entschieden sich die politische Führer für ein Nachgeben. Aber wie nachträglich bekannt wurde, hingen die Entscheidungen über den Umgang mit den Demonstrationen in Leipzig immer am seidenen
Faden und hätten durchaus mit einem Sturz in den Abgrund enden können.
Ein weiteres Beispiel für erfolgreiches Brinkmanship war das Pokern der Franzosen in der Europäischen Union um den Posten des Präsidenten der Europäischen
Zentralbank. Hier setzten die Franzosen in letzter Sekunde das Entstehen des Euro
aufs Spiel, um die Amtszeit von W. Duisenberg abzukürzen.
Von diesen Brinkmanships gibt es viele, auch wenn davon nicht immer ein
Weltuntergang oder die Existenz einer europäischen Währung abhängt. Beispiele
dafür sind:
–
Arbeitgeber und Gewerkschaften stehen vor einem Streik mit verheerenden
Folgen für beide Seiten.
–
Starrsinnige Eheleute wollen sich nicht einigen und riskieren die Scheidung.
–
Ein Parlament blockiert und riskiert damit die Zahlungsunfähigkeit einer Regierung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In allen diesen Fällen schaffen und manipulieren die Beteiligten absichtlich das
Risiko, das zu einem für beide Parteien ungünstigen Ergebnis kommen kann. Damit
versuchen sie die andere Seite zum Einlenken zu bringen.
13.2.8 Strategien bei Nullsummenspielen und Nicht- Nullsummenspielen
Viele politische Situationen stellen sich als Nullsummenspiele dar. Das bedeutet:
Was der eine gewinnt, verliert der andere. Wenn der eine die Macht gewinnt, muss
der andere die Macht abgeben. Wenn der eine weniger Steuern zahlen soll, muss
ein anderer mehr Steuern zahlen (jedenfalls, wenn der Haushalt ausgeglichen sein
soll). Wenn der eine ein neues Projekt durchsetzt, muss an anderer Stelle dafür
gespart werden oder ein anderer zahlt mehr oder man verschuldet sich, was wiederum bedeutet, dass die nachfolgende Generation zahlt.
Bei Wahlkämpfen ist das unbestritten. Bei Politiken kann das auch anders gesehen werden. Bei sektoralem Denken in der Politik sind viele Politikvorgänge Nullsummenspiele. Bei ganzheitlichem Denken wird unter Hinzuziehung der Umwelt oder
des Sozialgefüges manches Nullsummenspiel zu einem Nichtnullsummenspiel, wie
das deutlich bei dem Problem der ökologisch sozialen Dilemmas gezeigt wurde.
Die Strategien beim Nullsummenspiel sind einfacher als die in anderen Fällen.
Im Nullsummenspiel geht es darum zu gewinnen. Das bedeutet, dem Gegner etwas
abzunehmen (Wählerstimmen, Macht, Einfluss, Geld, usw.). Beim Nichtnullsummenspiel geht es darum, aus einer Situation das optimale Ergebnis für alle Beteiligten
herauszuholen. Das bedeutet Kooperation, Verhandlungen und Konsensbildung. Hier
stehen Verhandlungstrategien mit Win-win-Strategiecharakter an erster Stelle.
13.2.9 Die Strategie der Unberechenbarkeit
Der Erfolg der Strategie der Unberechenbarkeit liegt darin, dass der Gegner dadurch überrascht wird, weil etwas geschieht, was er nicht erwartet hat. Daher ist
die Strategie der Unberechenbarkeit eine Strategie gegen die Strategie der Entscheidungen in sequentiellen Zügen und damit auch gegen die Strategie des Vorausschauens und Zurückschließens.
Beispiel: Nehmen wir an, eine Regierung plant größere Privatisierungsmaßnahmen. Hier kann allgemein angenommen werden, dass sich daraus ein Konflikt
mit den Gewerkschaften entwickelt, der sicherlich von den Oppositionsparteien
ausgenutzt werden wird. Das bedeutet, dass die Opposition vorausschaut und einen
Konflikt erwartet und dann zurückschließt und sich auf diesen Konflikt einstellt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Strategisch wäre es für die Regierung richtig, ein Bündnis für Arbeit mit den
Gewerkschaften einzugehen und diese soweit einzubinden, dass sie sich nur schwer
aus dem Bündnis lösen können, wenn es zu den Privatisierungen kommt. Mit dieser
Entwicklung kann die Opposition nicht rechnen und wird daher mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit die falschen strategischen Entscheidungen treffen.
Andere Beispiele zeigen, dass bei einer Unberechenbarkeit die Reaktion der
Betroffenen so spät kommt, dass man das Ergebnis schon erreicht hat, bevor sich
Widerstand regen kann. Das entspricht im militärischen Bereich den Überraschungsangriffen.
Beispiel: Als Tony Blair Regierungschef wurde, erhöhte er die Studiengebühren.
Gerade dieses war von ihm nicht zu erwarten gewesen, weil das als unfreundlicher
Akt gegenüber dem Labour-Potential galt. Keine konservative Regierung hätte dieses
ohne gewaltige Proteste schaffen können. Tony Blair erledigte das mit links.
13.2.10 Die Strategie der Desinformation
Die Strategie der Desinformation kann offensiv und defensiv eingesetzt werden. Im
defensiven Einsatz hat die Strategie zwei Ansätze: Einmal den Ansatz der Lieferung
von falschen Informationen (Täuschung) und zweitens den Ansatz der Lieferung
von zu viel Informationen, die niemand mehr auf wahr und unwahr überprüfen
kann (Informationsüberschwemmung).
Offensiver Ansatz – Lieferung von falschen Informationen
Bei dieser Strategie werden bewusst falsche Informationen ausgestreut, die
von der Bevölkerung oder der gegnerischen Seite fehlinterpretiert werden sollen
und so falsche Schwerpunkte oder Themen besetzt werden.
Berühmt ist diese Strategie durch die Geheimdiensttechniken geworden, die
zum Beispiel durch gefälschte Dokumente, Briefe, Photos, durch Gerüchte und
Falschmeldungen innenpolitische Spannungen in bestimmten Ländern verschärfen
sollten, um damit ungeliebte Regierungen zu beseitigen oder revolutionäre Tendenzen in Gang zu setzen. Ausgezeichnet haben sich damit sowohl der KGB, wie
auch das FBI und der CIA und viele andere Geheimdienste.
In der parteipolitischen Praxis werden solche Falschmeldungen auch sehr gerne eingesetzt. Sie laufen in bestimmten Ländern als ständiges Begleitwerk in den
Wahlkämpfen und werden als schwarze Kampagnen bezeichnet.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Defensiver Ansatz – Lieferung von falschen Informationen
Diese Strategie kann dazu dienen, unangenehme Informationen zu verdecken
und und strategische Nachteile zu beseitigen. In diesen Fall ist die Desinformationsstrategie eine defensive Strategie. Sie wird also gegen den Angriff des Gegners
eingesetzt.
Beispiel: Ein Politiker ist im Laufe seiner politischen Karriere in eine Situation
gekommen, in der er Geld für eine Gegenleistung als Politiker genommen hat. Nun
hat der Gegner Informationen darüber erhalten und will diese in der Öffentlichkeit
ausspielen.
Dieser Tatbestand wird allgemein als Korruption bezeichnet. Zeichnet sich ab,
dass dieser einmalige Vorgang „unglücklicherweise” an die Öffentlichkeit kommen
wird, muss eine Desinformationskampagne vorbereitet werden. Dazu werden einige
Korruptionsfälle konstruiert, die alle nicht stattgefunden haben. Nun werden diese
an die Öffentlichkeit lanciert. Für alle diese Fälle gibt es vorbereitetes Material,
das nachweisen kann, dass der Vorwurf der Korruption unbegründet ist. In diesem
Wust von Informationen geht die einzige „wahre” Information unter.
In dem Film „Wag the dog” mit Dustin Hoffmann und Robert de Niro wird eine
sehr erfolgreiche Desinformationsstrategie vorgestellt. Nach der Drohung eines
Schulmädchen darüber zu berichten, dass der Präsident der Vereinigten Staaten
ihr bei einem Besuch im Weißen Haus zu nahe gekommen sei, wird ein Krieg mit
Albanien, den es in Wirklichkeit nicht gibt, medienmäßig inszeniert. Er führt dazu,
dass der Kandidat seine Wahl gewinnt. Die in den heißen Tagen der Lewinsky-Affäre
angeordnete Bombardierung Iraks durch amerikanische Truppen, wurden zum Teil
von Journalisten mit dem Hinweis auf „Wag the dog” kommentiert.
Defensiver Ansatz – Lieferung von zu viel Informationen
Im Falle des Angriffs mit einem Thema, das einen strategischen Vorteil beinhaltet, lässt sich auch die Desinformation einsetzen.
Beispiel: Ein Kandidat hat im Wahlkampf einen strategischen Vorteil durch das
Aufgreifen eines wichtigen Themas. Es ist absehbar, dass dieser strategische Vorteil
so stark sein kann, dass er die Wahl entscheidet.
In diesem Fall muss der strategische Vorteil durch eine sogenannte technische
Debatte egalisiert werden. Das bedeutet, dass die gegnerische Partei oder der Kan
0OLITISCHE3TRATEGIEN
didat eine Debatte über technische Details, über Erfolge und Misserfolge, über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Durchführung, über die notwendigen Erlasse
und personellen Besetzungen usw. beginnen muss, so dass unter dieser Informationsdecke für den Wähler der strategische Vorteil nicht mehr erkennbar ist.
13.2.11 Die
Die Strategie
Strategie des
des Zugebens
Zugebens –– Der
Der Befreiungsschlag
Befreiungsschlag
Die Strategie des Zugebens oder des Befreiungsschlages ist eine defensive Strategieform. Sie dient dazu, unangenehme Debatten zu beenden. Im Rahmen der
„schwarzen Kampagnen” werden oftmals Vorwürfe gemacht, die nur außerordentlich schwer zu widerlegen sind.
Ein beliebter Vorwurf ist zum Beispiel, dass der Kandidat uneheliche Kinder habe
oder mehrere außereheliche Verhältnisse.
Diese Vorwürfe sind zumeist auch diffus gehalten, so dass es schwerfällt, etwas
dagegen zu sagen oder einen schlüssigen Beweis anzutreten. Wenn die Zielgruppe
des Kandidaten nicht allzusehr geschockt ist, ist es in diesem Falle gut, die Sache
einfach zuzugeben, weil damit die Debatte beendet wird. Zumindest in Lateinamerika ist ein Vorwurf dieser Art für den Kandidaten durchaus nicht schädigend.
Im mehr prüden Nordamerika hat man sich nach Clinton an solche Vorwürfe auch
gewöhnt. Man muss aber genau abwägen, ob der Vorwurf in der Zielgruppe verträglich ist oder nicht. So wird zum Beispiel der Vorwurf, ein Kandidat sei homosexuell
in vielen Ländern so negativ bewertet, dass die Strategie des Zugebens hier völlig
falsch wäre. Während in Deutschland das Outing der Homosexualität für Politiker
eher positive Entwicklungen mit sich bringt.
Eine andere Situation liegt dann vor, wenn sich zum Beispiel eine Regierungspartei Fehler in der Politik vorhalten lassen muss. Hier gilt die Strategie des Zugebens als Befreiungsschlag. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, eine Liste aller
einzugestehenden Fehler aufzustellen und diese der Öffentlichkeit als Fehler zu
präsentieren mit dem Hinweis darauf, dass man diese Fehler erkannt habe und nicht
wieder machen werde. Damit nimmt man der Opposition die Möglichkeit ständig
die Fehler herauszuarbeiten und in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Da die Wähler immer mehr an der Zukunft orientiert sind als an der Vergangenheit, kommt dieses Verfahren auch der Wählererwartung entgegen. Leider sind
Politiker nur schwer davon zu überzeugen, dass sie diese Strategie einschlagen
sollten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In der Wirtschaft gibt es mehr und mehr Kampagnen, die dieses Zugeben als
ein Instrument der Vertrauensbildung nutzen. Typisch ist zum Beispiel die Kampagne einer Autofirma: „Wir haben verstanden.”
13.3 Prioritäten bei Teilstrategien
Die Prioritäten bei Teilstrategien orientieren sich an dem formulierten Auftrag. Es
gilt dabei alle Kräfte so zu bündeln, dass der Auftrag ohne große Verluste, das heißt
mit möglichst minimalem Einsatz von Ressourcen erfüllt werden kann. Es geht also
darum zu gewinnen und das möglichst profitabel.
Sun Tzu sagt dazu: Dein Ziel muss sein, alle Staaten in einem intakten Zustand
zu übernehmen.
Für die politischen Strategien bedeutet das, dass im einem Wahlkampf zum
Beispiel die politische Kultur nicht zerstört werden darf, so dass es anschließend unmöglich wird, das Land demokratisch zu regieren. Es gilt also immer diejenige Strategie zu wählen, die die politische Kultur möglichst wenig negativ beeinflusst.
Sun Tzu sagt auch: Unterwerfe die Armee des Feindes ohne direkten Kampf,
nehme die Städte der Feinde ein, ohne großen Aufwand.
Hier geht es also um den Einsatz von Ressourcen. Das Ziel muss erreicht werden unter möglichst geringem Einsatz von Ressourcen, was bedeutet, dass man
nur dort aktiv werden soll, wo man reale kurzfristige Erfolge erzielen kann. Das
bedeutet auch, dass man nicht alles machen sollte, was möglich ist, sondern nur
dasjenige was den einfachsten Gewinn verspricht.
Deshalb müssen die Teilstrategien, also die zur Bekämpfung der Schwächen eingesetzten Lösungsansätze und die zum Angriff genutzten Felder nach bestimmten
Prioritäten geordnet und beurteilt werden. Die mit den Strategien verbundenen Ziele
müssen wirklich erreichbar sein und die Strategien müssen jede für sich Gewinne
oder Erfolge abwerfen, die wichtig für die Erreichung des Auftrags sind.
Wie sieht nun eine solche Prioritätensetzung aus?
Sun Tzu sagt dazu: Die beste Form ist es, die Strategie des Gegners anzugreifen.
Das Nächstbeste ist es, die Allianzen der Gegner zu zerstören. Das Nächstbeste ist, den
Gegner wirklich anzugreifen. Und das Schlechteste ist, die befestigten Hochburgen
der Gegner zu belagern. Das tue nur, wenn dir nichts anderes übrigbleibt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
13.3.1 Die Strategie des Gegners angreifen.
Was bedeutet das für die praktische Strategieplanung? Zunächst geht es um die
Frage, wie man die Strategie des Gegners angreifen kann. Dazu ist Voraussetzung,
dass man die Strategie des Gegners kennt. Das kann einmal durch Beobachtung
des Gegners aber auch durch Spionage69 geschehen, ist aber auch vielfach durch
Vorausdenken und Zurückschließen70 möglich. Ist die Strategie des Gegners bekannt
oder kann sicher vermutet werden, welche Strategie der Gegner wählen wird, wird
es einfach die Strategie anzugreifen. Die Idee dabei ist, den Gegner schon im Ansatz
zu stören, so dass er nicht dazu kommt, seine Stärken auszuspielen.
1. Beispiel: Will der Gegner entsprechend seiner Strategie seine Produktpalette
ändern und ein neues attraktives Produkt auf den Markt bringen, so sollte man
selbst mit demselben oder einem sehr ähnlichen Produkt zehn Tage vor dem vom
Gegner geplanten Termin auf dem Markt erscheinen. Dem Gegner bleibt dann
nur noch die Kopie oder die Entscheidung nicht mit dem Produkt auf dem Markt
zu erscheinen.
Achtung: Hier besteht immer die Gefahr, dass der Gegner das alles als Täuschung
geplant hat. Man muss also sicherstellen, dass es sich um die wirkliche Strategie
handelt und nicht um eine Täuschungsstrategie, um uns zu den falschen Maßnahmen zu verführen.
2. Beispiel: Will der Gegner zum Beispiel eine neue Zielgruppe erschließen, so sollte
man dieses Marktsegment früher betreten als der Gegner. Je früher man in dieses
Marktsegment eintritt, um so schwerer fällt es später dem Gegner sich auch dort
zu plazieren.
Sun Tzu sagt dazu: Generell gilt, dass diejenigen, die das Schlachtfeld zuerst erreichen und besetzen, ausruhen können und auf den Gegner warten. Diejenigen,
die zu spät auf dem Schlachtfeld erscheinen, müssen sofort in Aktion kommen
und sind gleichzeitig schon erschöpft und müde.
3. Beispiel: Will der Gegner uns an einer bestimmten Stelle angreifen, so können wir
dort unsere Verteidigung verbessern oder vielleicht sogar ein nicht so wichtiges
Schlachtfeld aufgeben und den Gegner ins Leere laufen lassen.
69
70
Siehe dazu Kapitel 20.1.5 Spionage.
Siehe dazu Kapitel 13.2.1. Strategische Entscheidungen mit sequentiellen Zügen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Um die Strategie des Gegners anzugreifen, bedarf es eines guten Beobachtungssystems. Und das bedeutet, dass die Organisation oder die Partei proaktiv handeln
muss. Da das bei den meisten Parteien nicht der Fall ist und daher meistens reaktiv gehandelt wird, bekommt das proaktive Handeln eine besonders starke Durchschlagskraft, ist aber nur schwer in der Politik durchzusetzen.
DieAllianzen
Allianzender
derGegner
Gegnerzerstören.
zerstören.
13.3.2 Die
Im politischen Leben gibt es vielfältige Allianzen71, die von der verdeckten Zusammenarbeit zwischen einflussreichen Persönlichkeiten bis hin zur offenen Unterstützung bestimmter Parteien oder Kandidaten durch Kirchen, Gewerkschaften,
Vorständen wichtiger Organisationen usw. reicht.
Die Unterstützung von Kirchen für bestimmte Kandidaten hat großen Einfluss
auf die Wahlergebnisse. Dabei handelt es sich nicht immer nur um die großen Kirchen, sondern manchmal um sehr effektive kleine Sekten und Gruppen von Sekten.
Bei der Wahl eines Präsidenten in Guatemala gelang es dem in Umfragen zunächst nicht sehr hoch gehandelten Kandidaten Serrano, nachdem er die Unterstützung evangelischer Sekten in Guatemala erhielt, Präsident zu werden.
Der Einfluss der Gewerkschaften auf den Ausgang einer Wahl kann in vielen
Ländern verfolgt werden.
So haben die Gewerkschaften in Deutschland bei der Wahl 1998 eindeutig für
den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Stellung bezogen, öffentliche Veranstaltungen durchgeführt und so ihren Beitrag zum Wahlerfolg der Sozialdemokraten geleistet.
Aber auch der Einfluss der Gewerkschaften zur Verhinderung der Implementierung von Politik, wie zum Beispiel der Privatisierung öffentlicher Unternehmen in
Uruguay unter dem Präsidenten Lacalle ist bekannt.
Ein weiteres Beispiel für politische Allianzen ist die OPEC. Diese Allianz ist aber
immer wieder dadurch geschwächt worden, dass es gelungen ist, einzelne Mitglieder
gegeneinander auszuspielen oder einzelnen Mitgliedern so große Zusagen zu ma-
71
Siehe dazu das Kapitel 7.4. Multiplikatoren, Allianzen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
chen, dass sie den Rest der Allianz verraten haben. Bei der OPEC spielten im übrigen
Probleme des Gefangenendilemmas eine Rolle72.
Allianzen spielen sehr oft eine entscheidende Bedeutung bei der Finanzierung
von Kampagnen. Dabei können sie sich später aber sehr negativ auf die Fähigkeit
auswirken, Politik im gewünschten Sinne zu machen.
Ein typischer Fall ist die Verbindung der „National Rifle Association73” mit bestimmten Politikern in den USA. Beim Versuch, das Tragen und den Erwerb von Waffen einzuschränken, stoßen alle Regierungen immer wieder auf den hartnäckigen
Widerstand der Rifle Association, die wiederum über ihre Allianz mit bestimmten
Politikern in den politischen Entscheidungsgremien ihre Wirkung haben.
Hier ist als Gegenstrategie nur der Aufbau einer noch mächtigeren Allianz von
Waffengegnern möglich, die die Bindung an die Rifle-Association durch neue Finanz- und Wählerstöme auflockern kann.
Die Strategien, die in Bezug auf Allianzen eingeschlagen werden können,
sind:
1. Die Verhinderung der Bildung von strategischen Allianzen durch Störmanöver,
durch Diskreditierung und Präsentation besserer oder attraktiverer Angebote
an den ins Auge gefassten Allianzpartner. Das kann so weit gehen, dass man
versucht, den geplanten Allianzpartner über die Frage der Allianz zu spalten
und damit so zu schwächen, dass er von einer Allianz absieht.
2. Die Störung des Einvernehmens innerhalb der Allianz. Das kann durch Einschleusen von Störern, durch Gerüchte, durch Diskreditierung der Führer des
Allianzpartners geschehen, aber auch durch lukrative Angebote an Führer des
Allianzpartners. Als Gegenmittel gegen die Störung von Allianzen benutzte
man in früheren Zeiten das Instrument der Heirat. So wurden die Allianzpartner
nicht nur vertraglich gebunden, sondern auch durch familiäre Bindungen. „Tu
felix Austria nube74” ist wohl der bekannteste Ausspruch zur Untermauerung
dieses Prinzips.
72
73
74
Siehe dazu Kapitel 13.2.2. Entscheidungen mit simultanen Zügen.
Am 19. Oktober 2005 trat im Bundesstaat Alaska ein Waffengesetz in Kraft, das sowohl den
Waffenbesitz von Handfeuerwaffen, als auch ihr Mitführen im PKW liberalisiert. Das Gesetz
war auf Betreiben der National Rifle Association verabschiedet worden, um den restriktiveren
lokalen Grundsätzen der Kommunen und Countys zuvorzukommen. Alaska soll nach dem Willen
der NRA Vorbild für die anderen Bundesstaaten werden
„Du glückliches Österreich heirate.”
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3. Die Bildung einer eigenen Allianz, um die Wirkung der anderen Allianz zu
unterlaufen.
Eine der neueren Entwicklungen bei den strategischen Allianzen finden wir im
Bereich der Luftfahrt. Hier wurden neben der Star-Alliance aus Lufthansa, United
Airlines und anderen auch von Air France oder KLM strategische Allianzen aufgebaut. Auch hier sind Störungen und Versuche zur Verhinderung solcher Allianzen
an der Tagesordnung.
13.3.3 Den Gegner angreifen.
Den Gegner angreifen, bedeutet bei politischen Strategien,
1. dem Gegner seine Ressourcen wegzunehmen,
2. dem Gegner durch bessere Angebote seine Wähler abzuwerben,
3. die Moral der Unterstützer des Gegners zu zerstören.
Das Wegnehmen der Ressourcen kann darin bestehen,
– dass man wichtige Mitarbeiter und Experten des Gegners abwirbt. Dazu
werden Headhunting-Firmen eingesetzt. Oftmals setzt man dazu auch
Allianzpartner ein, weil der direkte Übergang zum Gegner sehr oft zu viel
verlangt ist. Aber schon allein das Abwerben von wichtigen Pressesprechern,
von Strategen, Logistikern aber auch von Schlüsselpersonen in politischen
Fachbereichen kann den Gegner schwächen. Auch das Abwerben von Abgeordneten in Parlamenten ist eine beliebte Methode,
– dass man den Mittelzufluss stört. Das kann dadurch geschehen, dass man
Druck auf Banken oder andere Geldgeber auslöst, dass man Missmanagement
und Finanzskandale beim Gegner aufdeckt, dass man die Kreditfähigkeit des
Gegners negativ beeinflusst und dass man die Wahrscheinlichkeit des Sieges
in Frage stellt.
Einen Einbruch bei den Ressourcen musste das Clinton-Team bei ihrer ersten
Präsidentschaftskampagne erleben, als durch das Auftreten des Kandidaten
Ross Perot, die Siegeschancen deutlich zurückgingen. Erstmals in der Geschichte der Wahlkämpfe in den USA musste Clinton Bankkredite aufnehmen,
um die Kampagne weiterführen zu können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Das bessere Angebot
Das Angreifen mit besseren Angeboten, um Wähler abzuwerben, ist normalerweise die ehrlichste Form des Kampfes. Hier konkurrieren unterschiedliche Produkte
auf den Wählermarkt gegeneinander. Die Wähler haben die Auswahl. Und es gewinnt
derjenige, der das attraktivere Angebot für die richtigen Zielgruppen liefert.
Aber auch hier kann es zu einem Verhalten kommen, dass Kandidaten unter
Ausnutzung des Angebotes von besseren und attraktiveren Angeboten die Realität nicht berücksichtigen und alles versprechen, obwohl sie wissen, dass man die
Versprechen nicht halten kann.
Wir sprechen hier von der Strategie des populistischen Verhaltens.
Was ist Populismus? Der Begriff ist unter Politikwissenschaftlern umstritten
und wird daher oft wegen seiner Unbestimmtheit gegen unliebsame politische
Konkurrenten als Diffamierung benutzt. Der Begriff des Populisten wird dabei auf
Politiker angewandt, die sich gerade nicht populistisch verhalten, aber unangenehm
für die gegnerischen Parteien sind. Hier wird das Wort Populist zu einem Diskriminierungsversuch benutzt.
Unabhängig von der Definitionsschwierigkeit kann eine bestimmte Verhaltensweise in der politischen Kommunikation entdeckt werden, die wir hier als Populismus bezeichnen wollen.
Populismus bezeichnet danach eine um Nähe zum Volk bemühte Politik, die
Unzufriedenheit, Ängste und aktuelle Konflikte für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Dabei spricht er Gefühle an, stellt einfache Lösungen vor und arbeitet mit klaren
Feindbildern. Realisierbarkeit bleibt dabei weitgehend außer Acht. Mit dieser Strategie ist der Populismus in Gesellschaften mit einer schnellen Entwicklung, mit
komplexen Problemlagen und in Kombination mit einer charismatischen Führung
sehr erfolgreich. Zielgruppe des Populismus sind in der Regel soziale Schichten und
gesellschaftliche Gruppen, die sich durch die bestehende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung oder ihre Entwicklung benachteiligt sehen.
In der Neuen Politischen Ökonomie wird Populismus als Tendenz von Parteien
und Politikern zur gesellschaftlichen Mitte beschrieben. Diese Tendenz entsteht
durch die Reduktion von Problemlösungen auf einfache Alternativen, so dass die
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Kontrahenten nur durch die ideale Mittelposition Mehrheiten erreichen können.
(Medianwählermodell)75
Medianwählermodell76
Das Medianwählermodell wird dann besonders problematisch für Politiker, wenn
sie durch eine Vorwahl gehen müssen.
Beispiel: Ein Kandidat der Demokraten in den USA muss bei der Vorwahl sich
deutlich linker darstellen, als bei der Hauptwahl. Das liegt daran, dass der Median
der Demokratenmitglieder- und anhänger gegenüber den Republikanern weiter
links stehen. Ist der Kandidat dann in der Vorwahl gewählt, muss er einen Schwenk
nach rechts machen, um nun wieder den Medianwähler der Gesamtgesellschaft
anzusprechen. Dieser Median ist durch die Republikanischen Wähler nach rechts
verschoben.
Bei der Frage nach der Strategie des Populismus kommt man schnell zur Kommunikation und zu den Inhalten. Wichtig ist bei der populistischen Strategie die
Emotionalität und die Vereinfachung von komplexen Problemen. Mit diesem Problem werden wir uns im Kapitel 15.3 ausführlich beschäftigen, wenn es um die
Darstellung der Wahlentscheidungsfindung beim Menschen geht. Hier liegt auch
die Antwort auf die Erfolge der populistischen Strategie. In komplexen Situationen
und besonders wenn Angst eine Rolle spielt, wird die Entscheidung immer emotional und nicht rational gesteuert. Daher gibt es eigentlich keine erfolgreiche Strategie im laufenden Wahlkampf um populistische Politiker und Parteien zu brem75
76
Roger Congleton: The Median Voter Model . In: Rowley, R. K.; Schneider, F. (Hrsg.): The Encyclopedia of Public Choice. 2002.
aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Median_voter_model.png#file
0OLITISCHE3TRATEGIEN
sen. Verheerend wirkt sich dabei das mediale Interesse an populistischen Politikern
und Parteien aus, die diesen einen unver-hältnismäßig breiten Aufmerksamkeitswert schenken.77 Gegen populistische Parteien und Politiker hilft nur eine Langzeitstrategie der Aufklärung und der politischen Bildung, die zum Inhalt hat, dass
Politik nicht monokausal gesehen werden darf und die die Menschen in die Lage
versetzt,werden, komplexe Systeme zu verstehen. Davon sind zurzeit weltweit mehr
als 95 % der Wähler weit entfernt. Allerdings muss aber auch an die nichtpopulistischen Parteien der Anspruch gerichtet werden, ihre politische Kommunikation
auf Verständlichkeit hin zu überprüfen.
Die Erfahrungen mit populistischen Strategien zeigen, dass der Populist zumeist
gewinnt. Das führt dazu, dass auch Parteien und Kandidaten, die diese Strategie
nicht verfolgen wollen, oft gezwungen sind, mehr zu versprechen, als sie eigentlich halten können.
Die Moral der Unterstützer des Gegners zerstören.
Das kann dann ein wichtiges Instrument sein, wenn sich der Gegner gerade
auf seine Mitglieder und Unterstützer verlassen muss. Wir finden diese Form der
Aktion sehr oft in Ländern, in denen die Medien durch die Regierungspartei kontrolliert werden. Hier versuchen dann oppositionelle Parteien unter Nutzung ihrer
Mitgliedschaft einen Wahlkampf zu betreiben, der die öffentlichen Medien unterläuft und dabei gleichzeitig auch noch preisgünstig ist.
In solchen Situationen greifen dann wiederum die Regierungsparteien zu
Maßnahmen, um die Unterstützer zu verängstigen und die Unterstützung zu zerstören.
Beispiel: In Kenia versuchte die Regierungspartei KANU des Präsidenten arab
Moi, die Unterstützer der Oppositionskandidaten dadurch einzuschüchtern, dass er
androhte, dass die Wahlkreise, in denen Kandidaten der Opposition gewählt würden, keinerlei Unterstützung durch die Regierung erhalten würden und so ihr Schul-,
Gesundheits- und Sozialsystem zusammenbrechen würde.
In anderen Ländern zum Beispiel auch in der Slowakei unter Meciar wurden die
Unterstützer der Opposition durch Angriffe so stark bedroht, dass es schwer wurde,
öffentlich für die Opposition aufzutreten.
77
Thomas Meyer (2006): Populismus und Medien. VS-Verlag Wiesbaden
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In Kambodscha werden Häuser der sich bekennenden Mitglieder abgebrannt
oder die Mitglieder werden gleich umgebracht.
In einigen Ländern werden deshalb nicht-partei-gestützte Kampagnen zur
Durchführung von freien und fairen Wahlen durchgeführt, die mit anderen Maßnahmen den nötigen Erfolg der Opposition trotz aller Bedrohungen nicht immer,
aber immer öfter sicherstellen.
Eine andere Form der Zerstörung der Moral der Unterstützer ist die Diskreditierung der Führung der Partei. Hier werden vielfältige Kampagnen entwickelt, um dieses sicherzustellen. Zumeist handelt es sich dabei um „schwarze
Kampagnen”78.
13.3.4 Die Hochburgen des Gegners belagern.
Sun Tzu nennt diese Strategie die schlechteste Form. Sie sollte vermieden werden,
es sei denn, es gibt keine Alternative.
Hochburgen sind zum Beispiel politische Themen, bei denen der Gegner eine
hohe Lösungskompetenz hat, bei denen er strategische Vorteile hat und die er daher
auf jeden Fall mit allen Mitteln verteidigen wird. Hochburgen können auch spezielle Zielgruppen sein, bei denen der Gegner ein besonderes Vertrauen genießt und
in denen er gut organisiert ist. Auch diese Zielgruppen wird er mit allen Mitteln
verteidigen und er hat dabei strategische Vorteile.
Werden solche Hochburgen dennoch angegriffen, muss immer mit einem hohen
Einsatz von Ressourcen gearbeitet werden und man muss sich darauf einrichten,
dass viel Zeit vergehen wird, bevor die ersten Erfolge zu sehen sind. Für solche langen Zeiträume haben politische Organisationen zumeist nicht die Ausdauer und das
Schleifen von Hochburgen ist daher kein Instrument für einen Wahlkampf, sondern
gehört zu den Zielen eine Langzeitstrategie.
Ist es trotz aller Bedenken notwendig, in das Thema oder in die Zielgruppe
einzubrechen, sollte nicht der offene Kampf gesucht werden, weil man diesen nur
verlieren kann. Hier geht es um das Anwenden von Strategien zur Unterwanderung und die Anwendung von Guerrilla-Taktiken. Weiterhin lassen sich bestimmte
Personen für eine längere Zeit in das System des Gegners (Hochburg) einschleusen
und betreiben dort Sabotage, Spionage, Desinformation und Zerstörung.
78
Siehe dazu Kapitel 13.2.10. Die Strategie der Desinformation.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
13.4 Die Formulierung der Strategien
Bei der Formulierung der Strategien sind vier Prinzipien wichtig.
1. Das Prinzip der Auswahl des Schlachtfeldes oder der Auswahl der Themen, mit
denen man sich mit dem Gegner auseinandersetzen will. Hier geht es um die
Ermittlung von Gebieten, in denen man definitive strategische Vorteile hat, oder
um Gebiete, die vom Gegner vernachlässigt wurden. Und es geht dabei um das
Erkennen der Charakteristika des Schlachtfeldes.
2. Das Prinzip der Konzentration der Kräfte. Hier geht es darum, durch die Konzentration von Kräften relative Überlegenheit zu gewinnen, es geht um Täuschungsmanöver, um die Kräfte des Gegners an die falschen Stellen zu locken
und es geht um die Sicherheit für den eigenen wirklichen Kampfplan.
3. Das Prinzip des Angriffs. Hier geht es darum, im Falle der Notwendigkeit einer
Auseinandersetzung, das heißt, dass andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel
der Angriff auf die Strategie des anderen oder die Zerstörung der Allianzen der
anderen, gescheitert oder nicht möglich sind, die Notwendigkeit und die Art des
Angriffs festzulegen. Hier geht es auch um die Möglichkeit der Nischenpolitik,
um zu überleben.
4. Das Prinzip der Nutzung von direkten und indirekten Kräften. Das bedeutet,
dass außerhalb der sichtbaren Kräfte der Partei oder Organisation noch andere
nicht sichtbare Kräfte mitwirken können und müssen, die nicht zur Partei oder
Organisation gerechnet werden. Sie können dennoch in den Prozess des Kampfes
eingreifen und Schwerpunkte verschieben, Angriffe verlagern und Entlastungen
bei der Verteidigung schaffen.
13.4.1 Auswahl der Themen
Die strategische Auswahl von Themen erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst wird
eine Sammlung von Themen durchgeführt, die von der Partei im Wahlkampf angeboten werden könnten und mit den Grundprinzipien der Partei übereinstimmen.
Grundlage dafür kann auch das Programm der Partei sein. Im Falle der Implementierung von Politik durch eine exekutive Einheit wie Regierung oder Bürgermeister
wird eine Sammlung von Themen, die mit dem Hauptthema zusammenhängen,
angelegt.
Bei einem Dezentralisierungsprojekt kann das zum Beispiel sein:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Ortsnahe Verwaltung
–
Schnellere Entscheidungswege
–
Kostensenkung
–
Mehr Partizipation und Einfluss der Bürger
–
usw.
Bei einem Privatisierungsprojekt kann das zum Beispiel sein:
–
Ausgleich des Haushaltes durch Verkauf von staatlichen Einrichtungen
–
Mehr Effektivität bei der Erstellung von Leistungen durch Private
–
Rückzug des Staates aus Bereichen, die nicht seine originäre Aufgabe darstellen
–
Kostengünstigere Angebote
–
Mehr Flexibilität im Angebot und Herstellung von Wettbewerb
–
Stärkung des Mittelstandes oder der Privatwirtschaft
–
Stärkung der Zukunftsfähigkeit des Sektors
Nach der Sammlung von Themen müssen vier Filter durchlaufen werden.
Diese Filter sind:
1. Filter: Interesse: Ist das Thema für die Gesamtheit oder eine spezifische Zielgruppe interessant oder ist das Thema nur für den Planer wichtig? Bei der
Auswahl der Themen muss das Interesse, die Betroffenheit oder die Bedürfnisse
der Bevölkerung berücksichtigt werden. Hier gilt der Merksatz: Der Köder muss
dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
2. Filter: Strategischer Vorteil: Da es nicht sinnvoll ist, in Feldern ohne strategischen Vorteil zu kämpfen, sollten Themen ausgeschlossen werden, die keinen
Erfolg versprechen, weil man selbst in diesem Feld zu schwach ist. Dieser Vorteil
ist dann vorhanden, wenn das Thema selbst einen eindeutigen Vorteil hat oder
wenn das Thema von den Wettbewerbern vernachlässigt wird oder wenn das
Gelände, in dem gekämpft wird, der eigenen Organisation Vorteile gewährt.
3. Filter: Abgrenzung: Bei offensiven Strategien bei Wahlen kommt es auf die
Möglichkeit an, den Unterschied zum Wettbewerber zu zeigen. Ist das Aufzeigen
von Unterschieden nicht möglich, muss ein anderes Thema gewählt werden
oder die Darstellung des Themas so verändert werden, dass ein Unterschied
erkennbar wird.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4. Filter: Verständlichkeit: Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl von Themen
ist die Verständlichkeit der Argumentation. Das bedeutet, dass der Bürger, den
die Botschaft erreichen soll, in der Lage ist, das Argument oder den Inhalt des
Themas zu verstehen. Lässt sich das Thema nicht verständlich darlegen, ist es
für die Nutzung nicht geeignet. Die Verständlichkeit kann allerdings durch
Emotionalisierung ersetzt werden. Hier wird dann also nicht an den „Homo
sapiens” appelliert, sondern an den „Hormo sapiens”. Zur Emotionalisierung
der Argumentation siehe das ausführliche Kapitel 15.3.
In der folgenden Tabelle ist der Ablauf der Prüfung eines Themas auf Verwertbarkeit dargestellt.
Thema (x)
Ist das Thema konkret und
interessant für bestimmte
Bürgergruppen?
Ja/Nein
Bürgergruppen, pro und contra:
Was ist der Profit für die
Bürger?
Wie und von wem setzt uns
das Thema oder die Lösung
ab.
Ist unser Thema glaubwürdig,
emotional und verständlich
darstellbar?
Profit 1:
Profit 2:
Wettbewerber:
Ja/Nein
Themen mit eindeutigen strategischen Vorteilen
Themen mit eindeutigen strategischen Vorteilen liegen dann vor, wenn
–
man das Thema als erster besetzt hat und dadurch Meinungsführerschaft und
Kompetenz gewonnen hat oder
–
man die Bedürfnisstruktur der Bevölkerung mit den Thema abdeckt oder
–
man spezielle und stabile Allianzen mit gesellschaftlichen Gruppen aufweisen
kann und dadurch fest in der Gesellschaft verankert ist oder
–
man anerkannte Experten hat, die an dem Thema kompetent arbeiten und Fachgruppen, die in der Lage sind, das Thema öffentlichkeitswirksam umzusetzen
oder
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
man mit den Thema finanzielle und personelle Ressourcen anlocken kann
oder
–
wenn das Thema zumeist aus aktuellem Anlass von den Medien gefördert
wird.
Themen, die vom Gegner vernachlässigt werden
Die Themen, die vom Gegner vernachlässigt werden, sind anders als die Themen
mit einem strategischen Vorteil. Bei den Themen mit einem strategischen Vorteil
muss damit gerechnet werden, dass es auf jeden Fall zu einer Auseinandersetzung
mit den Wettbewerbern kommen wird, weil sie das Feld auch besetzen wollen. Mit
einer solchen Auseinandersetzung ist bei den Themen, die vom Gegner vernachlässigt werden, zunächst nicht zu rechnen. Es handelt sich hier also um Themen, die
für bestimmte Zielgruppen interessant sind, die aber aus welchen Gründen auch
immer bisher nicht aufgegriffen wurden. Hier bedarf es keiner großen Anstrengungen um Erfolge zu erzielen, weil man mit relativ kleinem Aufwand das Feld
allein beackern kann.
Sun Tzu sagt in diesem Zusammenhang: Die Stärke der Armee hängt nicht von
der großen Zahl der Streitkräfte ab. Es kommt mehr darauf an, dort anzugreifen,
wo der Feind nicht verteidigt.
13.4.2 Charakteristika der Schlachtfelder
Bei der Auswahl der Felder der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern
kommt es auf ein klares Verständnis des Geländes an. Das Wort Gelände steht
hier als Synonym für das politische Aktionsfeld. Die Beschaffenheit des Geländes
kann die Strategie stark beeinflussen. Hier sind deutlich Stärken und Schwächen
erkennbar, die durch eigene Entscheidungen beeinflusst werden können. Hier wird
entschieden, ob defensiv oder offensiv vorgegangen werden kann, ob man allein
oder nur mit Hilfe anderer gewinnen kann und ob es überhaupt sinnvoll ist, in
einem solchen Gelände den Kampf aufzunehmen. Deshalb gehört die Prüfung des
Geländes zu den wesentlichen Aufgaben einer politischen Strategie.
Sun Tzu definiert in seinem Buch „Art of War“ eine ganze Reihe von Geländetypen,
die sowohl auf wirtschaftliche Marktprozesse wie auch auf politische Auseinandersetzungen zu übertragen sind.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zersplittertes eigenes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Im eigenen zersplitterten Gelände kämpfe nicht.“ und „Im
zersplitterten Gelände vereinige die Zielsetzungen der Armee.“
Die Lehren von Sun Tzu besagen zunächst einmal, dass man versuchen sollte,
nicht auf eigenem Gelände zu kämpfen, sondern den Kampf auf feindliches Gelände zu verlagern, dass also vor allem eine offensive Strategie eingeschlagen werden
sollte und keine defensive. In der Praxis bedeutet das, dass der Versuch gemacht
werden muss, neue Wählerschichten zu erreichen oder die bisherigen Zielgruppen
tiefer zu durchdringen. Das bedeutet, dass der Kampf nicht im eigenen Gelände
stattfindet.
Das ist natürlich nicht immer möglich, besonders wenn man als Regierungspartei automatisch eine defensive Rolle zugewiesen bekommt.
Die Verlagerung auf das fremde Gelände ist besonders wichtig, wenn das eigene Gelände zersplittert ist, d.h. wenn zum Beispiel in der Partei das Thema umstritten ist. Das ist in der praktischen Politik sehr oft der Fall. Es gibt immer wieder
Beispiele dafür.
Ein typisches Beispiel war 1994 der Streit in der liberalen Partei in Deutschland
über das Abhören von Wohnungen zur Verfolgung von Kriminalität. In dieser Frage
hatte sich die Partei nicht geeinigt und verlor so im Wahlkampf die Möglichkeit das
gesamte Thema Rechtsstaat, das eines ihrer klassischen Themen war (eigenes Gelände), glaubwürdig zu vertreten. Sun Tzu sagt dazu, dass in einem solchen Fall die
Zielvorstellungen der Armee auf jeden Fall geeint werden müssen.
Ein anderer Fall ist der Versuch einer Regierung ein Antikorruptionsprogramm
durchzusetzen. Dieses gelingt meistens nicht, wenn eine Regierung schon länger
im Amt ist, weil erstens der Kampf auf eigenem Gelände stattfindet und zweitens
die Organisation zersplittert ist, weil viele Vorteilnehmer der Korruption in den eigenen Reihen sind und nicht durch ein gemeinsames Ziel verbunden sind.
Der Kampf auf eigenem zersplitterten Gelände ist typisch für Wahlkämpfe in
parlamentarischen Systemen, in Koalitionsregierungen und neuerdings zunehmend
auch in präsidentiellen Systemen mit Koalitionen oder ähnlichen Konstruktionen.
Deswegen gibt es auch Koalitionswahlkämpfe, bei denen in der Zeit des Wahlkampfes das Hauptziel die Fortsetzung der Koalition ist, aber innerhalb der Koalition
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Alleinstellungsmerkmale gesucht werden, was teilweise zu schweren Erosionen bei
einzelnen Koalitionspartnern führt.
Leichtes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Erlaube nicht, dass deine Glieder getrennt werden. Achte
strikt auf die Verteidigung. Sei der Erste, der die höheren und sonnigeren Positionen
besetzt, die angenehm für Deine Nachschubwege sind, um so Vorteile in der Schlacht
zu bekommen.“
Im Gelände, das jeder leicht betreten kann und das jeder auch leicht wieder
verlassen kann, finden wir die gängigen, sich an die Bedürfnisse der Mehrheit der
Bevölkerung richtenden Themen, wie die Befriedigung der Basisbedürfnisse, soziale
Sicherheit usw. Diese Themen werden von allen Parteien versprochen. Besonders die
Sozialpolitik spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Angebote unterscheiden sich
kaum, der Wettbewerb ist stark und führt auch zu Verdrängungen vom Markt.
Was bedeutet nun die Besetzung der höheren und sonnigen Positionen? Hiermit ist gemeint, dass derjenige, dem es gelingt sich mit großen gesellschaftlichen
Gruppen zu vereinen, wie zum Beispiel den Gewerkschaften, den Kirchen oder anderen bedeutsamen Gruppen, eine günstige Ausgangsposition erhält, um erfolgreich zu sein. Die Nachschubwege (Multiplikatoren) und die Verteidigung erhalten
eine besondere Bedeutung.
Für eine offensive Strategie bedeutet das, dass versucht werden muss, die Bindungen der gegnerischen Parteien zu ihren Multiplikatoren und Allianzpartnern zu
lockern und aufzubrechen und damit unter Umständen auch die Parteien zu spalten. Für die defensive Strategie bedeutet das, dass diese Bindungen gepflegt und
verteidigt werden müssen.
Beispiele zu diesem Komplex sind auch im Bereich der Religionsbindung, des
Nationalismus und im Bereich der Traditionspflege zu suchen, bei denen sich besonders die konservativen Parteien hervortun. Auch sie sichern ihre Aktivitäten über
enge Beziehungen zu gesellschaftlichen Gruppen ab.
Grenzgelände
Sun Tzu sagt dazu: „Halte nicht auf leichtem Gelände im Feindesland. Halte die
Truppen eng beisammen.“
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Neue Politikbereiche und neue Problemlösungen für politische Probleme müssen zunächst entweder regional oder zielgruppenspezifisch getestet werden. Das ist
einmal durch punktuelle lokale Anstrengungen möglich, die nahezu unbeobachtet
von der nationalen Ebene bleiben, um hier lokal einen Brückenkopf zu bilden. Das
geht aber auch über eine zielgruppenspezifische Ansprache, die auch zunächst in
ausgewählten Gebieten versucht werden kann. Ist der Brückenkopf gebildet, stößt
die Gesamtpartei oder die jeweilige Regierung nach und forciert die Besetzung des
Gebietes mit der gleichzeitigen Nutzung der vorbereiteten Kommunikationskanäle
und Kontaktstellen.
Ein Beispiel dafür kann eine neue politische Lösung für ein Umweltproblem
darstellen oder die Abschaffung alter Sozialtransferstrukturen zugunsten neuer,
wie z.B. die negative Einkommensteuer. Dabei lassen sich bei drei oder vier lokalen
Ansatzpunkten auch unterschiedliche Problemlösungsdarstellungen testen.
Wichtig bei dieser Art der politischen Strategie ist, dass erstens das Produkt
(die neue politische Idee) fertig und nicht erst im Entwicklungsstadium ist und
zweitens, die Gesamtorganisation darauf vorbereitet ist, im entscheidenden Moment nachzustoßen und den Brückenkopf schnell zu erweitern. Wichtig ist auch,
dass die Partei geschlossen handelt, nicht zögert und sich nicht wegen der neuen
Forderung spaltet.
Gelände mit Fallen
Sun Tzu sagt dazu: „Wenn Du nicht sofort siegst, wirst du nur schwer wieder
zurückkehren können.“
Auf der Makro-Ebene sind einige Wohlfahrtsprogramme der Regierungen Fallen,
die sie daran hindern wieder zurückkehren zu können. Europäische und nordamerikanische Gesellschaften sind angefüllt mit einer Anzahl solcher Beispiele, speziell
im Zusammenhang mit sozialen Wohlfahrtsprogrammen. Zum Beispiel haben die
Vereinigten Staaten trotz der zähen Versuche Reagans zur Reduzierung der Staatsausgaben die Schwierigkeit gehabt, Wohlfahrtsausgaben zu reduzieren, speziell bei
den Älteren und den Arbeitslosen. In Großbritannien brauchte Premierministerin
Margret Thatcher viele Jahre, bevor sie in der Lage war die Wohlfahrtsausgaben zu
beschneiden. In Frankreich ereignete sich ein mehrwöchiger Generalstreik, als die
Regierung versuchte, Programme zurückzudrehen. Es ist unstreitig, dass es leicht
ist, Wohlfahrtsprogramme zu starten, aber sehr schwer sie abzuschaffen, ohne
große politische Unterstützung zu verlieren. Eine ähnliche Situation hat sich für
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Griechenland ergeben, das in der Bedrohung durch einen Staatsbankrott versuchte,
die Staatsausgaben im Bereich von Wohlfahrtsprogrammen zu reduzieren.
Enges Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Überlege eine Kriegslist. Sei der erste, der die strategischen
Punkte besetzt und warte auf den Feind. Greife ihn nicht an, wenn die wichtigen
Punkte vom Feind besetzt sind. Greife nur an, wenn die Verteidigung des Feindes an
den besetzten Punkten schwach ist. Sperre die Eingangs- und Ausgangspunkte.“
Enges Gelände zeichnet sich dadurch aus, dass man schwer hineinkommt, aber
auch sich nur schwer aus dem Gelände herausziehen kann. Das ist immer dann der
Fall, wenn zum Beispiel ein politisches Feld erst neu erschlossen werden muss und
die Lösungen für die Probleme ganz neu erarbeitet werden müssen. Hier investieren
Parteien gewaltige personelle und teilweise auch finanzielle Mittel, um sich spezielle
Problemlösungen zu erarbeiten, die noch neu und noch nicht getestet sind. Dazu
gehören zurzeit die Vorschläge zum Umgang mit solchen Themen wie Genmanipulation, Gefährdung durch einen offenen Informationsmarkt, Klimaveränderung
usw. Hier gibt es keine Vorerfahrungen, das technische Know-how und die wissenschaftliche Einarbeitung erfordern großen Aufwand. Deshalb ist es schwer in das
Gelände einzudringen. Aber wegen der hohen Investitionen fällt es den Parteien
danach auch wieder schwer, diesen Markt zu verlassen. Gleichzeitig besteht die
Gefahr, dass kleine Einheiten (Expertengruppen, Fachausschüsse) zu völlig neuen
und besseren Lösungen kommen und damit den Wettbewerbsvorteil der bisherigen
Lösung und die Investition in die bisherige Lösung schlagartig eliminieren.
Um in einem solchen Gelände zu überleben, braucht es ständig neue kreative
Lösungen, die in Form von Zuarbeit durch kleine Arbeitseinheiten erreicht werden kann (Think-tanks). Sun Tzu empfiehlt hier Kriegslisten. Das bedeutet auch
das Ausspähen von Lösungen des Gegners und deren Veröffentlichung vor diesem.
Also spielt Aufklärung im feindlichen Lager und bei befreundeten Organisationen
eine wichtige Rolle.
Weiter wird vorgeschlagen, den Gegner nicht anzugreifen, wenn er einen
Wettbewerbsvorteil hat, der nicht durch eine bessere und überzeugendere Lösung
abgebaut werden kann. Daher nur den Gegner angreifen, wenn seine Verteidigung
schwach ist. Das bedeutet, dass seine Lösung abgenutzt und weniger effektiv als
die eigene ist.
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Umkämpftes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Im umkämpften Gelände muss ich der erste sein, der die
sonnigen Höhen besetzt und auf die Ankunft des Feindes warten. Wenn der Feind
zuerst das Gelände besetzt hat, folge ihm nicht, aber ziehe dich zurück, um ihn herauszulocken.“ und „Greife keinen Feind an, der umkämpftes Gelände besetzt hat.
Im umkämpften Gebiet räume deine Nachhut und alle sonstigen Teile auf.“
Umkämpfte Gelände sind solche, von denen sich auch die Konkurrenten einen
Vorteil versprechen. Es handelt sich hier zum Beispiel um Themen, die durch Großereignisse plötzlich öffentliches Interesse erlangt haben (Tschernobyl, Umweltkatastrophen, Klimaveränderungen usw.) oder die durch Medien hochgespielt wurden und besonders emotional sind. Diese Ereignisse oder Meldungen verändern die
Wertekombinationen der Bürger für eine bestimmte Zeit. In diese Themen drängen
dann zumeist alle Parteien, weil sie sich einen Vorteil von der Erreichung dieses
neuen Marktes versprechen. Sun Tzu’s Rat besteht nun darin, einen Gegner, der ein
solches Thema schon besetzt hat und damit einen Wettbewerbsvorteil besitzt, nicht
anzugreifen. Handelt es sich hier um ein Schlüsselthema für den Wettbewerber,
wird er den Platz mit allen Mitteln verteidigen, so dass große Verluste zu erwarten
sind und das Ergebnis nicht vorausgesagt werden kann. Wenn der Gegner das Gelände besetzt hat also nicht angreifen, sondern sich zurückziehen, um den Gegner
abzulenken und unter Umständen sogar zu Fehlern herauslocken.
Es ist aber auf jeden Fall wichtig, die unterstützenden Faktoren zu verbessern.
Das bedeutet, das Angebot zu spezifizieren, leichter verständlich zu machen, näher an die Problemlage der Bürger heranzubringen und damit das Produkt oder die
Botschaft zu verbessern und für den Wählermarkt zu optimieren, um so zumindest
Teilmärkte (Nischen) zu besetzen.
Eingekreistes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Befriede die Nachbarstaaten.“ und „Verstärke die Beziehungen zu Alliierten.“
Diese Situation findet man in vielen Ländern mit repressiven Systemen oder
mit Unterdrückungsmechanismen für konkurrierende Parteien. Besonders in den
Ländern, in denen Regierungsparteien unter dem Druck der Weltöffentlichkeit dazu
gezwungen wurden, ein plurales Parteiensystem zuzulassen, sind solche Verhältnisse üblich. Die Politiker der Oppositionsparteien und diese selbst werden durch
repressive Maßnahmen des Staates, durch Interventionen des Militärs und der
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Exekutive am Handeln gehindert. Sie werden eingekreist, um sie so handlungsunfähig zu machen.
In einer solchen Situation ist es zunächst notwendig, gesellschaftliche Gruppen
(Nachbarstaaten) zu befrieden, das heißt sie von aggressiven Maßnahmen gegen die
Partei abzuhalten und zumindest ein Stillhalteabkommen zu erreichen. Wichtiger
ist es Alliierte zu finden. Dies können internationale Organisationen sein, wie zum
Beispiel amnesty international, die Weltbank, UNO-Organisationen, Botschafter
von Ländern mit Distanz zum Regime, Exilgruppen usw. Dazu gehören aber auch
Kontakte zur internationalen Presse, Funk und Fernsehen. Gewinnt man diese Organisationen für das eigene Anliegen, lässt der Einkreisungsdruck nach. Gleichzeitig
kann auch Zugang zu benötigten Ressourcen erreicht werden.
Unwegsames Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Bewege dich geschwind. Schlage kein Lager auf. Treibe vorwärts über die Straßen.“
Ein unwegsames Gelände ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gefahren, die
sich hier ergeben, nicht bekannt sind und dass die Partei diesen Gefahren ausgeliefert ist. In eine solche Situation kommt man nicht mit Bedacht wie beim engen
Gelände, sondern dieses Gelände erreicht man durch Zufall, durch Bewegungen,
die einen plötzlich in dieses Gelände verschlagen.
Das bedeutet, dass die Gefahr, die sich aus diesem Gelände ergibt, plötzlich
erkannt wird, ohne dass man sich darauf vorbereiten konnte. So etwas kann zum
Beispiel bei Diskussionen unter Politikern stattfinden, bei denen man plötzlich erkennt, dass man in dem angesprochenen Thema nicht fit ist, keine Informationen
hat, jederzeit in Fallen laufen kann und so plötzlich angreifbar ist.
Das kann auch dadurch geschehen, dass ein Thema plötzlich in der Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle spielt, aber die Partei das vorher nicht erkannt und
verfolgt hat. In einem solchen Moment geht es nur noch darum, möglichst schnell
das Thema zu wechseln. Kein Lager aufschlagen (also nicht beim Thema verweilen)
und schnell über die Straßen treiben, sind die Ratschläge von Sun Tzu.
Ein unwegsames Gelände sollte nicht unbedingt gemieden werden. Es sollte
vielmehr durch Aufklärung und Beobachtung erschlossen werden, um so eine Veränderung der Ausgangsbedingungen zu erreichen.
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Verödetes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Bleibe nicht im verödeten Gelände.“
Diese Geländeformen treten dann auf, wenn durch politisches Handeln oder
gesellschaftlichen Wandel Themen an Bedeutung verlieren oder Probleme gelöst
sind. Dieser Wandel wird manchmal von Parteien nicht rechtzeitig erkannt oder sie
verweilen aus Nostalgiegründen bei diesen Themen, obwohl niemand mehr oder nur
kleine Minderheiten (manchmal besonders in der Partei) daran interessiert sind.
Typische Beispiele dafür ist der Wandel von der Agrargesellschaft mit hoher
Bedeutung für Viehzucht zur Industrie-, zur Dienstleistungs- oder sogar zur Informationsgesellschaft. Wer in einer modernen Gesellschaft noch immer die Kämpfe für
Viehzüchter führt, befindet sich auf verödetem Gelände und wird seine Schlachten
verlieren, weil er für die Interessen einer Minderheit gegen Mehrheiten kämpft.
Ein ähnliches Beispiel gab es in Deutschland mit der sogenannten Wiedervereinigungspolitik oder Deutschlandpolitik. Nach dem Fall der Mauer und der Vereinigung waren die Politiker, die sich auf dieses Feld spezialisiert hatten zunächst
nicht mehr von Bedeutung und mussten sich umorientieren oder aus der Politik
ausscheiden.
Gefährliches Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Plündere die Ressourcen des Feindes.“ und „Schütze die Versorgungswege, um regelmäßigen Nachschub sicherzustellen.“
Diese Situation tritt dann auf, wenn sich eine politische Kraft sehr stark auf
feindliches Gelände, also auf fremde Themen, gewagt hat. Hier ist es wichtig, die
Bindung an die Partei (Basis) nicht zu verlieren und gleichzeitig Fachleute, die bisher für den Gegner gearbeitet haben, abzuwerben und ihm damit das Know-how
zu entziehen.
Wenn sich zum Beispiel eine Partei, die sich bisher fast ausschließlich um
Rechtsstaats- und Menschenrechtsfragen gekümmert hat, weit auf das Feld der
Wirtschaftspolitik wagt, muss diese sicherstellen, dass die eigene Partei diese Aktion versteht und unterstützt (Nachschub sicherstellen) und sie muss dafür sorgen,
dass der Gegner dadurch geschwächt wird, dass man ihm einige Fachleute oder
Aushängeschilder abwirbt (Ressourcen plündern), um als ernstzunehmende Kraft
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in diesem Feld zu erscheinen. Hier darf es sich auch um das Überlaufen von Opinionleadern und Multiplikatoren handeln.
Sun Tzu geht noch weiter, wenn er davon spricht, dass ein weiser General seine
Truppen vom Feind füttern lassen soll, weil Nachschub über lange Entfernungen
zur Verarmung führt. In der politischen Praxis bedeutet das, dass beim Betreten
eines neuen Feldes, das weit vom bisherigen entfernt ist, das Know-how, Personal
und andere Ressourcen „lokal“ also aus der direkten Umgebung des Themas besorgt
werden sollte und nicht durch Ausbeutung und Transfers eigener Ressourcen.
Wenn die Partei mit all diesen Aktivitäten nicht erfolgreich ist, muss sie wieder
den Rückzug auf ihr ehemaliges Hauptfeld (eigenes Gelände) antreten, was aber
mit beträchtlichen Imageverlusten verbunden ist. Deshalb handelt es sich um gefährliches Gelände.
Entferntes Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Vermeide Auseinandersetzung im entfernten Gelände, die
jeder Seite doch nur kleine Vorteile bringen könnten.“
Im entfernten Gelände sind beide Seiten von der Heimatbasis entfernt. Sun
Tzu empfiehlt hier, die Auseinandersetzung zu vermeiden. Beispiele hierfür sind
Situationen, bei denen zwei oder mehrere Seiten gegen eine übermächtige Partei
kämpfen. Solche Fälle gab es zum Beispiel in der Phase der Ablösung von Pinochet
in Chile. Dort haben die Oppositionsparteien versucht, ihre eigenen Konflikte zu
minimieren, um sich in einem Bündnis „Commando por el no“ zusammenzufinden und so gemeinsam zu kämpfen. Jede Partei hätte zwar eigene kleine Vorteile
erreichen können, wenn sie das Bündnis verlassen hätte, jedoch wäre das große
Ziel nicht erreicht worden. Ein ähnlicher Fall ist bei der Bildung der Oppositionsvereinigung „UNO” in Nicaragua gegen die Sandinisten zu berichten und bei der
Bildung der „SDK” aus mehreren Parteien zur Ablösung von Meciar in der Slowakischen Republik.
Tödliches Gelände
Sun Tzu sagt dazu: „Kämpfe.“ und „Mache deutlich, dass es keine andere Chance
gibt zu überleben als zu kämpfen.“
Da sich normalerweise eine solche Situation nicht ergibt, weil es für die Beteiligten immer Möglichkeiten zum Überlaufen oder zum Fliehen gibt, sind nur weni
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ge Fälle denkbar, in denen ein solches Gelände auftreten kann. Dieses ist dann der
Fall, wenn der Druck auf die politisch Aktiven so groß wird und eine Möglichkeit
zur Flucht nicht besteht, dass nur noch der direkte Kampf übrigbleibt.
Das ist der Fall in repressiven Systemen mit Reisebehinderungen, Diktaturen
und anderen Unterdrückungsformen, in denen das Recht auf Widerstand zum
Zuge kommt und hier auch mit Gewalt zum Sturz des Regimes beigetragen werden muss.
13.4.3 Konzentration der Kräfte
Eine der wesentlichen Voraussetzungen bei der Entwicklung wirkungsvoller Angriffstrategien ist die Notwendigkeit seine Kräfte zu bündeln und sich auf wenige
wirkungsvolle Themen festzulegen und nicht zu versuchen in allen Feldern gleichzeitig anzugreifen oder zu verteidigen, weil dazu die Ressourcen meist nicht ausreichen. Die Konzentration auf drei bis vier Felder, in denen der oder die Wettbewerber
angegriffen werden, trägt einerseits zu einer für den Wähler überschaubaren und
verständlichen Menge von Kampffeldern bei. Zum anderen können die Ressourcen
dadurch sehr geplant eingesetzt werden.
Das Gewinnen relativer Überlegenheit
Nach der Reduktion von Kampfthemen ist das Gewinnen von relativer Überlegenheit in den einzelnen Kampffeldern wichtig. Relative Überlegenheit kann geplant
werden. Einmal durch das Thema selbst, dann durch die Auswahl der Schlachtfelder
aber auch durch Täuschung.
Werden zum Beispiel Kampffelder gewählt, in denen der Gegner so festgelegt
ist, dass er keine Änderung vornehmen kann oder will, so kann ein solches Thema
gewählt werden, wenn man selbst in diesem Sektor Vorteile hat.
Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Bundestagswahl 1998 in Deutschland, bei
der die Sozialdemokratische Partei mit ihrem Kanzlerkandidaten Schröder gegen
den christdemokratischen Kanzler Kohl antrat. Die deutschen Wähler wollten nach
16 Jahren Kanzlerschaft von Kohl einen Wechsel. Nachdem die CDU sich entschieden hatte, erneut mit Kohl anzutreten, konzentrierte die SPD alle ihre Aussagen
auf den „neuen” und „jüngeren” Kanzler zur Ablösung des „alten”. Andere Themen
wurden von der SPD kaum noch behandelt. Die SPD hatte die relative Überlegenheit in diesem Feld erkannt und nutzte sie konsequent, was letztendlich auch den
Wahlerfolg brachte.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Solche relative Überlegenheit kann auch dadurch erzielt werden, dass man das
richtige Schlachtfeld auswählt. Also ein Feld, auf dem man zum Beispiel starke Allianzpartner hat oder ein Feld, das man zuerst besetzt hat und in dem man Kompetenzen hat.
Beispiel: Wenn das Kampffeld „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit” betreten werden
soll, schafft man dadurch relative Überlegenheit, dass man der natürliche Allianzpartner von Gewerkschaften ist. Zumindest interpretiert der normale Wähler das so.
Beispiel: Wenn das Kampffeld „Schaffung neuer Arbeitsplätze” betreten werden
soll, so sind die Allianzpartner „Unternehmer” hilfreich, um hier relative Überlegenheit zu finden.
Beispiel: Wenn das Kampffeld „Abschaffung von Atomkraftwerken” betreten
werden soll, so kann diejenge Partei relative Überlegenheit haben, die sich schon
längere Zeit kompetent mit Alternativenergien und deren Förderung beschäftigt,
während andere Parteien in diesem Feld noch kein Know-how haben.
Relative Überlegenheit wird auch dadurch erreicht, dass der Wettbewerber im
unklaren gelassen wird, in welchem Feld man angreifen will und vor allem auch
dadurch, dass man den Gegner über seine Absichten bewusst täuscht.
Sicherheit für den eigenen Kampfplan79 und Täuschungsmanöver
Durch Täuschungsmanöver versuchen wir die Verteidigung des Gegners bewusst auf ein Feld zu lenken, das wir überhaupt nicht angreifen wollen. Täuschen
kann man den Gegner natürlich nur dann, wenn er nicht weiß, was wir zu tun beabsichtigen.
Sun Tzu sagt dazu: Der Feind darf nicht wissen, wo du angreifen willst. Denn
wenn er das nicht weiß, muss er an vielen Stellen verteidigen. Und an je mehr Stellen er sich verteidigt, umso zersplitterter sind seine Truppen und umso schwächer
ist seine Kraft an jedem einzelnen Punkt.
Die Sicherheit für den eigenen Kampfplan ist ein großes Problem für demokratische Parteien und Regierungen. Da die Pläne oftmals in einem fast demokratischen Prozess zustandekommen oder zumindest durch Beschluss eines Organs
79
Siehe Kapitel 21.4. Sicherheit und Informationsschutz.
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legitimiert werden, wissen zu viele Personen von den Absichten. Und damit ist die
Sicherheit nicht mehr gewährleistet.
Es gibt Beispiele, bei denen man in den Zeitungen die Strategie von Parteien
nachlesen konnte. In einem solchen Fall sind natürlich die Möglichkeiten des Gegners groß, die Strategie im Keime zu ersticken, indem er nicht die Partei, sondern
ihre Strategie angreift und kaputtmacht.80
Ein anderes Problem stellt die sogenannte Ankündigungsstrategie dar, die bei
Politikern und besonders bei Regierungen sehr beliebt ist. Diese besteht darin,
eine Politik nicht zu implementieren, sondern nur anzukündigen, dass man eine
bestimmte Politik mit einer bestimmten Strategie implementieren wolle. Nach der
Ankündigung erfolgt dann meistens nur noch wenig, auf jeden Fall wird der angekündigte strategische Schritt meistens nicht implementiert.
Beispiel: Eine Partei kündigt an, dass sie sich nunmehr von ihrem früheren Koalitionspartner stärker abgrenzen will. In Wirklichkeit nimmt sie diese Ankündigung
schon als Tatsache und grenzt sich tatsächlich nicht ab. Die Absicht wird als Tat
genommen.
Grundsätzlich werden nur die wenigsten Strategien im politischen Bereich
wirklich geheim gehalten. Gründe hierfür sind – wie oben schon erwähnt – die Art
des Zustandekommens durch Partizipation zu vieler Menschen in einem quasi-demokratischen Prozess. Ein zweiter Grund ist der innere Druck von Politikern, solche
strategischen Überlegungen den Medien vorzustellen oder zuzuspielen. Und der
dritte Grund ist, dass es immer auch abweichende Meinungen innerhalb von Parteien
und Regierungen gibt und die Gegner im eigenen Bereich die Strategie verraten,
um sie kaputt zu machen. Die Regeln und die Disziplin reichen meist nicht aus, um
die Verräter so zu bestrafen, dass eine abschreckende Wirkung erreicht wird.
13.4.4 Angriffspolitik
Sun Tzu
nicht
gewinnen
können,
müssen
sichsich
verteidigen;
dieTzusagt:
sagt:Diejenigen,
Diejenigen,diedie
nicht
gewinnen
können,
müssen
verteidigen;
jenigen
die die
gewinnen
können,
müssen
angreifen.
diejenigen
gewinnen
können,
müssen
angreifen. Unbesiegbarkeit in der Verteidigung liegt an den eigenen Anstrengungen, während die Möglichkeit zum Sieg
vomUnbesiegbarkeit
Gegner abhängt.in der Verteidigung liegt an den eigenen Anstrengungen, während die Möglichkeit zum Sieg vom Gegner abhängt.
80
Siehe dazu Kapitel 13.3. Prioritäten bei Teilstrategien.
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Hier wird deutlich, dass ohne Angriff auf den Gegner kein Sieg errungen werden kann. Viele gesellschaftliche und politische Kräfte glauben immer wieder, sie
könnten Veränderungen in der Gesellschaft vornehmen, ohne sich mit ihren Gegnern auseinanderzusetzen. Das ist besonders bei Nichtregierungsorganisationen
der Fall, die in einem klar definierten Bereich „Gutes” tun wollen. Das gilt aber
auch für bestimmte Parteien, die es ablehnen mit „Feindbildern” zu arbeiten und
glauben, das „Gute” oder ihr Parteiprogramm werde sich auch ohne Kampf mit
Gegnern durchsetzen.
In den Fällen, in denen so etwas wirklich passiert ist, haben andere den Kampf
geführt und die NROs oder die Parteien profitieren nun vom Kampf der anderen.
In der Realität allerdings sind meistens diejenigen die Verlierer, die nicht angreifen wollen.
Ein unpolitisches Beispiel, dass die Notwendigkeit des Angriffs zeigt, ist ein
Fußballspiel. Man kann das Spiel nur gewinnen, wenn man angreift und versucht
den Ball in das gegnerische Tor zu befördern. Das ist nicht durch Verteidigung des
eigenen Tores zu erreichen.
Die Veränderung von Produktionsverfahren, Produzenten, Handelsbilanzen, Import- oder Exportströmen verlangt von Regierungen ein offensives Vorgehen, was
allerdings stark unterentwickelt ist und sich zumeist in defensiven Verhaltensweisen mit negativen Auswirkungen auf das Land zeigt.
Sichtbar wird zum Beispiel das defensive Verhalten von Regierungen, wenn sie
zur Abwehr von Importen Handelsbarrieren aufbaut, Zölle und andere Handelshemmnisse etabliert, wie die EU im Agrarbereich oder wenn sie bei Exportschwierigkeiten
Subventionen zur Exportförderung einführt. Hier reagieren die Regierungen defensiv, statt offensiv von den Exportproduzenten neue Produkte mit besserer Wettbewerbsfähigkeit einzuklagen.
Sichtbar wird das auch bei der Entwicklung neuer Politiken durch Parteien, die
zum Beispiel immer wieder Kleinreparaturen am Sozialsystem vornehmen, statt den
Mut zu haben, den Schwierigkeiten durch einen Vorschlag für grundlegende generelle Reformen offensiv entgegenzutreten.
Nur durch Innovation kommen neue Produkte zustande, die sich für eine Angriffspolitik eignen. Alte Produkte und Politiklösungen werden automatisch mit der
Zeit in die Defensive gedrängt. „Alt” und „neu” beschreibt hier nicht ein Herstellungs- oder Entwicklungsdatum, sondern „alt” bedeutet „schon eingeführt und nicht
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mehr erfolgreich”, während „neu” bedeutet „noch nicht eingeführt und praktiziert”.
Dabei kann das Produkt selbst schon alt sein.
Die Notwendigkeit zum Angriff wird in vielen Fällen dahingehend missverstanden, dass man glaubt, man müsse den Gegner schlecht machen und eine Negativkampagne starten. Das ist ein großer Fehler. In der Politik ist der Angriff eine
Maßnahme, um zum Beispiel Wähler oder Unterstützer vom Gegner wegzulocken.
Das kann man nicht durch eine Negativkampagne erreichen. Es gelingt vielleicht
sogar, Wähler von der Konkurrenzpartei abzuspalten, aber es gelingt noch lange
nicht diese Wähler für sich selbst zu erschließen. Zumeist ist das Ergebnis einer
Negativkampagne der sogenannte „Wagenburg-Effekt”. Siehe dazu auch das Kapitel 12.6.
13.4.5 Nischenpolitik
Gegenüber der Angriffspolitik, die auf eine direkte Konfrontation mit den politischen Gegnern hinausläuft, ist für kleine Parteien auch eine Politik möglich, die
der direkten Konfrontation aus dem Wege geht. Dieses ist die Möglichkeit der Nischenpolitik. In diesem Fall sucht sich die kleine Partei eine politische Nische, die
für eine bestimmte auch mengenmäßig beschränkte Gruppe der Bevölkerung von
hoher Bedeutung ist, aber nicht das Interesse der großen Parteien erreicht. Eine
solche Nischenpolitik ist zum Überleben von bestimmten Parteien bei großen Umwälzungen eine geeignete Form.
Ein Beispiel dafür ist das Verhalten der Democratic Party (DP) in Südafrika nach
der Abschaffung der Apartheid. Die DP – eine vorwiegend weiße Partei –, die immer für
die Abschaffung der Apartheid eintrat, musste sich bei den ersten freien Wahlen mit
einem mageren und enttäuschenden Ergebnis zufriedengeben, obwohl sie glaubte,
sie könne deutlich gewinnen. Das trat nicht ein, weil die schwarze Bevölkerung ihre
eigenen schwarzen Parteien hatte (ANC und Inkatha) und die weiße Bevölkerung
wurde mehr von denjenigen angezogen, die die weiße Bevölkerung verteidigen wollte.
Liberale und demokratische Werte waren zu dieser Zeit nicht gefragt, weil sie schon
errungen schienen. So bereitete sich die DP auf eine Nischenpolitik für exakt diese
Werte vor und konnte so überleben. Bei der Wahl 1999 wurde sie dann zu stärksten
Oppositionspartei gegenüber dem ANC.
13.4.6 Wechsel zwischen direkten und indirekten Kräften
Bei der Planung von Strategien unterscheidet man zwischen direkten und indirekten
Kräften. Die direkten Kräfte sind die Aktivitäten und Handlungen der Partei oder
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der Organisation, die als solche auch zu erkennen sind. Daneben besteht aber auch
die Möglichkeit indirekte Kräfte zu benutzen. Dieses sind Aktionen und Handlungen
von Organisationen, die nicht direkt als eigene Aktionen zu erkennen sind.
Beispiel dafür sind Maßnahmen von sogenannten Vorfeldorganisationen, wie
Wählerinitiativen, Allianzpartnern, Jugendorganisationen und teilweise eigens für diese Zwecke konstruierte Vereine und Verbände, die lange vor Wahlkämpfen gegründet
werden, um im Wahlkampf dann zum Leben erweckt zu werden und zu handeln.
Wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde, ist es nicht sinnvoll, eine Negativkampagne gegen eine andere Partei direkt von der angreifenden Partei zu führen.
Es wird aber möglich, wenn die Negativ- oder Schmutzkampagne von einer indirekten Kraft geführt wird, die nicht direkt in Verbindung mit der angreifenden
Partei gebracht werden kann.
Beispiele sind Formen wie „Verein für saubere Politik”, „Verein zur Bekämpfung
der Korruption”, „Stiftung für Moral und Ethik in der Politik”, „Bewegung für mehr
Demokratie” usw.
Diese Organisationen werden insgeheim von Kräften in der Partei geführt. Sie
bringen bestimmte Themen in Umlauf, sie starten negative Kampagnen gegen Politiker und Parteien, sie können für jede Maßnahme zur Verfügung stehen, die die
Partei nicht selbst durchführen will, weil sich das negativ auf die Partei auswirken
würde.
Teilweise geht die Täuschung so weit, dass die angreifende Partei (direkte Kraft)
den von der Tarnorganisation (indirekte Kraft) in der Öffentlichkeit angegriffenen
Politiker offiziell in Schutz nimmt, während sie selbst den Angriff gestartet hat und
dafür verantwortlich ist.
Das Zusammenspiel zwischen direkten und indirekten Kräften kann vielfältig
sein und ständig ineinander übergehen, ohne dass die Bürger erkennen können,
dass es sich hier um eine gemeinsame Aktion handelt.
13.5 Die Evaluierung der Strategieformulierung
Nach der Auswahl und Formulierung der Strategien ist eine Evaluierung der Strategien notwendig. So ist zunächst einmal zu bewerten, ob die ausgewählten Strategien
direkt zu einem Sieg oder zur Erreichung des Auftrages führen oder ob bestimmte
strategische Schritt nichts mit dem Auftrag zu tun haben.
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Es passiert immer wieder, dass sich im Laufe der Strategieentwicklung und
Formulierung Strategien einstellen, die nicht auf dem Hauptfeld wirken, sondern
sich auf Nebenkriegsschauplätzen oder den Spielwiesen bestimmter Planungsteilnehmer bewegen.
Beispiel: Es wird immer wieder versucht, im Rahmen einer Wahlkampagne gleichzeitig eine Reorganisation der Partei durchzuführen. Das eine hat mit dem andern
wenig zu tun und sollte in einer getrennten Strategie zu anderen als Wahlkampfzeiten durchgeführt werden.
Beispiel: Es wird immer wieder versucht, allgemeine Bildungsprogramme für
Bürger mit Wahlkämpfen zu verbinden. Das ist in den meisten Fällen sogar kontraproduktiv, weil die Wähler in der Zeit der Wahl (Das ist die Zeit, in der sie das Gefühl
von Macht gegenüber Politikern haben.) nicht von denjenigen, über die sie zu entscheiden haben, erzogen werden wollen. Hier gilt es, die Konzentration der Kräfte
auf das Ziel im Auftrag zu lenken.
Beispiel: Es wird auch immer wieder versucht, Lösungen für Probleme als Wahlkampf zu inszenieren. Beispiel: Partei X baut einen Kinderspielplatz. In Wirklichkeit
geht es jedoch nur darum geht, Hoffnung auf die Lösung zu erwecken und den Wähler mit der Hoffnung und nicht mit der Tat zu locken.
Deswegen ist zunächst zu überprüfen: Verfolgen alle gewählten Einzelstrategien das Oberziel der Gesamtstrategie oder wird versucht, auch andere nicht definierte Ziele zu erreichen?
13.5.1 Subjektive Bewertung der Auftragserreichung
Bei der subjektiven Bewertung der Auftragserreichung geht es um das subjektive
Empfinden des Strategieplaners, ob die Einzelstrategien zusammenpassen, ob strategische Vorteile vorhanden sind und ob das Timing stimmt. Diese Bewertung kann
nicht wissenschaftlich durchgeführt werden. Hier kommen viele Faktoren zusammen, die dem Strategieplaner helfen, eine Bewertung abzugeben. Dabei handelt es
sich um Erfahrungen, um Gefühle, um den „Riecher” oder das „Bauchgefühl“ für die
richtige Einzelstrategie und für die Möglichkeit die Strategie wirklich durchzuführen
und das Gefühl für die Reaktion der Gegenseite und aller Beteiligten.
Die subjektive Bewertung kann deshalb in diesem Buch nicht detailliert beschrieben werden, weil sie von der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Gefühl
des Strategieplaners abhängt. So gibt es Strategien, die der Planer schon in anderen
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Fällen mit Erfolg angewandt hat, aber im konkreten Fall das Gefühl entwickelt wird,
dass es diesmal nicht geht. In anderen Fällen hat er immer vor einer bestimmten
Strategie zurückgeschreckt und sie nicht angewandt, aber in diesem konkreten Fall
ist er von der Machbarkeit überzeugt.
Die Fragen, die bei der subjektiven Bewertung zu beantworten sind, sind die
folgenden:
1. Passen die Einzelstrategien zusammen?
2. Gibt es bei jeder Einzelstrategie einen strategischen Vorteil?
3. Passen die Einzelstrategien zeitlich zueinander und passen sie zeitlich in das
Umfeld?
13.5.2 Objektive Bewertung
Bei der objektiven Bewertung stehen mehr die messbaren Daten im Vordergrund
und können für die Bewertung herangezogen werden. Das subjektive Gefühl des
Strategieplaners spielt hier keine Rolle. Die hier zu stellenden Fragen sind die folgenden:
1. Kennen wir den Bewegungsspielraum, den wir bei den einzelnen gewählten
Themen haben?
2. Steht der finanzielle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ergebnis?
3. Steht der personelle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ergebnis?
4. Sind die Stärkeverhältnisse zwischen den Konkurrenten so verteilt, dass mit
einem Erfolg zu rechnen ist?
5. Kann die gewählte Strategie auch implementiert werden?
Sind die Fragen der subjektiven Bewertung und der objektiven Bewertung positiv
ausgefallen, so kann man annehmen, dass die gewählte Strategie wirkungsvoll sein
wird und der Auftrag erreicht werden kann. Wenn die Evaluierung dagegen große
Zweifel aufkommen lässt und wichtige Fragen unzureichende Antworten erhalten
haben, dann muss die Strategie neu formuliert werden.
Gelingt auch bei einer Neuformulierung keine befriedigende Antwort auf die
Evaluierungsfragen, so zeichnet sich ab, dass der Auftrag nicht erreicht werden
0OLITISCHE3TRATEGIEN
kann. In diesem Fall muss also zum Auftrag zurückgekoppelt werden und der Auftrag muss neu formuliert werden.
An dieser Stelle ist es die Aufgabe des Strategieberaters oder -planers, die jeweilige Partei oder Regierung vor einem „mit den Kopf durch die Wand” oder „Augen
zu und durch” abzuhalten, weil zu viele personelle, finanzielle und Imageressourcen
gefährdet werden, wenn eine als falsch erkannte Strategie implementiert wird.
Sun Tzu sagt dazu: „Krieg ist ein Fall von großer Bedeutung für den Staat. Er betrifft das Leben und den Tod von Menschen und beeinflusst das Überleben oder den
Niedergang des Staates. Deshalb muss der Fall tiefgehend durchdacht werden.”
Nach der Auswahl, Formulierung und Evaluierung der Teilstrategien besteht
der nächste wichtige Schritt in der Implementierung der Strategien. Diese Implementierung erfolgt über zwei Wege. Weg 1 ist die Implementierung über die Ziele,
die später zu den Maßnahmen führen (siehe nächstes Kapitel). Weg 2 ist die Implementierung über das Zielimage (siehe übernächstes Kapitel).
0OLITISCHE3TRATEGIEN
:IELDE½NITION
Die Implementierung der Teilstrategien über Ziele erfolgt durch Zielsetzungen, die
aus den Teilstrategien entwickelt werden. Dabei kann eine Teilstrategie in mehrere
Ziele aufgelöst werden. Wichtig ist, dass die angestrebten Ziele der Richtung der
beabsichtigten Teilstrategie wirklich folgen.
14.1 Zielformulierung
Die Formulierung von Zielen fällt manchmal etwas schwer. Dabei ist das Prinzip
sehr einfach. Ein Ziel ist die Beschreibung eines Zustandes, der nach einer Abfolge
von Maßnahmen erreicht wird. Im Ziel wird jeweils ein quantitatives Element beschrieben, das mit einem Enddatum belegt ist. Dabei kommt es darauf an, dass die
quantitative Größe auch messbar ist. Ziele, die nicht messbar sind, können nicht als
Ziele akzeptiert werden. Weiterhin gilt, dass der Planer nur solche Ziele formulieren
kann, für deren Erreichung auch Verantwortung übernommen werden kann. Deshalb
ist auch die Angabe der verantwortlichen taktischen Einheit anzugeben.
Ziele werden aus den Teilstrategien abgeleitet. Die Teilstrategien wiederum
werden, wie schon vorher gezeigt von den Schwächen oder Stärken abgeleitet.
Daraus ergibt sich dann folgendes Schema:
Schwäche
Nicht genug Geld.
Teilstrategie
Wir beschaffen Spenden mit
Hilfe unserer Wirtschaftskompetenz bei Unternehmern.
Ziel
Wir haben bis zum 1.10.xx
200.000 US $ als Spenden
eingenommen. (Fund-Raising-Gruppe)
Zu wenig Motivation in der
Mitgliedschaft.
Wir schaffen Motivation bei
unseren Mitgliedern.
Bis zum 1.7.xx haben sich
40 % unserer Mitglieder zum
freiwilligen Wahlkampfeinsatz gemeldet. (Abteilung
interne Kommunikation)
Veraltete programmatische
Aussagen im Bereich Gesundheitswesen.
Wir entwickeln ein modernes
Gesundheitsprogramm.
Bis zum 1.3.xx ist ein
modernes Gesundheitsprogramm entwickelt und
genehmigt. (Abteilung Programmatik)
In diesem Schema sieht man, wie aus der Schwäche zunächst eine Teilstrategie entwickelt wird und wie diese Teilstrategie dann in ein taktisches Ziel überführt wird. Im gezeigten Fall sind alle Ziele einfach zu messen. In der Realität gibt
0OLITISCHE3TRATEGIEN
es manchmal aber Situationen, die nur schwer oder nur mit großem Aufwand zu
messen sind.
Schwäche
Schlechte Präsenz in den
Medien durch schlechte
Pressearbeit.
Teilstrategie
Wir verbessern unsere Pressearbeit.
Ziel
Alternative 1: Ab sofort werden täglich mindestens zwei
Pressemeldungen abgesetzt.
(Presseabteilung)
Alternative 2: Wir erscheinen in den Zeitungen A,B,...E
mindestens dreimal in der
Woche mit einer Meldung,
die wir selbst initiiert haben.
(Presseabteilung)
Alternative 3: Wir erscheinen In den Zeitungen A,B,...E
mindestens dreimal in der
Woche mit einer Meldung.
(Presseabteilung)
Diskussion der Alternativen:
Die Alternative 1 setzt ein Ziel für unsere Arbeit. Wir können also messen, ob
die Verantwortlichen für Pressearbeit täglich zwei Meldungen abgegeben haben.
Das sagt aber nichts über die Qualität und den Erfolg aus. Es könnte ja auch sein,
dass keine dieser abgegebenen Meldung jemals gedruckt wird.
Die Alternative 2 orientiert sich am Erfolg. Hier wird sowohl die Menge der
gedruckten Meldungen in bestimmten Zeitungen in Verbindung mit dem Urheber
gemessen. Dieses Ziel ist richtig formuliert und gibt bei Erreichen Aufschluss über
die Beseitigung der Schwäche.
Die Alternative 3 orientiert sich an der Zahl der Meldungen ohne auf den Urheber abzustellen. Das bedeutet, dass eine Partei, die sich durch interne Machtkämpfe
auszeichnet und deshalb täglich negativ in den Medien vertreten ist, dieses Ziel
erreicht, aber nicht im Sinne der Schwächenbeseitigung und der Teilstrategie. Man
sieht hier auch, dass die taktische Einheit Presseabteilung darauf nur beschränkt
Einfluss nehmen kann und daher nicht verantwortlich sein kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Schwäche
Wir haben eine negative
Imagekomponente „Streit in
der Partei”.
Teilstrategie
Wir verändern das Image in
Richtung „Geschlossenheit”.
Ziel
Alternative 1: Bis zum 1.9.xx
glauben 40 % der Wähler,
das wir eine geschlossene
Partei sind. (PR-Abteilung)
Alternative 2: Bis zum 1.9.xx
glauben 80 % unserer potentiellen Wähler, dass wir eine
geschlossene Partei sind.
(PR-Abteilung)
Alternative 3: Bis zum 1.5.xx
haben wir alle Streitigkeiten
in der Partei beigelegt.
(Vorstand der Partei)
Die Alternative 1 zeigt in die richtige Richtung. Die Komponente „Geschlossenheit” wird von 40 % der Wähler akzeptiert. Wenn hier eine Verbesserung gegenüber früheren Ergebnissen erreicht wurde, kann das Ziel im Sinne der Teilstrategie
als erreicht gelten.
Die Alternative 2 zeigt ein Ziel, das eine bessere Umsetzung der Teilstrategie
beinhaltet, weil hier die eigentliche potentielle Wählerschaft der Partei, auf die
es letztendlich ankommt, zur Grundlage gemacht wird. Es ist allerdings schwer,
bei einfachen Umfragen ein solches Ergebnis bestätigt zu bekommen. Deshalb ist
die Alternative 1 vorzuziehen, wenn man nicht eine sehr umfangreiche Umfrage
geplant hat.
Alternative 3 ist kein Ziel im Sinne der Teilstrategie. Die Teilstrategie verlangt
nur die Änderung des Images und nicht der Realität. Das bedeutet, dass man die
Partei auch als geschlossen darstellen kann, wenn es in Wirklichkeit nicht so ist.
(Es kommt nicht darauf an, was wirklich ist, sondern was die Leute glauben.) Andererseits kann der Abbau von Konflikten in der Partei zwar gelingen, aber das Image
muss sich allein durch die Konfliktlösung noch nicht verbessern.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Schwäche
Wir haben ein zu geringes
Potential.
Teilstrategie
Wir erweitern unser Potential durch Verstärkung der
Arbeit im Feld „Sozialpolitik”.
Ziel
Alternative 1: Bis zum 1.8.xx
ist unser Potential um 10 %
gewachsen. (PR-Abteilung)
Alternative 2: Bis zum 1.8.xx
haben wir ein Potential
von 60 % der Wähler. (PRAbteilung)
Alternative 3: Bis zum 1.8.xx
haben 30 % der Wähler
unser Engagement im Feld
Sozialpolitik erkannt und
bewerten dieses positiv für
ihre Wahlentscheidung.
(PR-Abteilung)
Die Alternative 1 konzentriert sich auf das Wachstum des Potentials. Hier wird
zwar das Potential erweitert, ob dieses aber für die Strategie ausreichend ist, wird
hier nicht gemessen. Außerdem wird keine Verbindung zum Politikfeld „Sozialpolitik“ hergestellt.
Die Alternative 2 bezeichnet ein bestimmtes zu erreichenden Potential von 60 %.
Dieses ist durch Umfragen zu messen. Das Ziel ist daher im Sinne der Teilstrategie
richtig formuliert, aber es zeigt nicht die Verbindung mit der in der Teilstrategie
geforderten Arbeit im Feld Sozialpolitik.
Die Alternative 3 sagt etwas über die Erkennbarkeit unserer Arbeit im Bereich
„Sozialpolitik” aus und über die Wirkung auf das Potential. Daher ist dieses Ziel im
Sinne der Teilstrategie richtig formuliert.
14.2 Die Ziele als Übergang von der Strategie zur Taktik
Die Ziele sind die Nahtstelle zwischen der Strategie und der Taktik. Man spricht auch
von „taktischen” Zielen. Das bedeutet mit dem Ziel wird gleichzeitig ein Auftrag an
die taktische Einheit81 erteilt. Die taktische Einheit ist diejenige Einheit, die das Ziel
verantwortlich erreichen muss. Ist das in Ausnahmefällen nicht darstellbar, bietet
sich als Organisationsform eine Projektgruppe an. In arbeitsteiligen Organisationen
sind die taktischen Einheiten durch ihren Arbeitsauftrag82 beschrieben. Da gibt es
Verantwortliche für Logistik, für Finanzen, für Pressearbeit, für PR-Maßnahmen,
81
82
Siehe dazu auch das Kapitel 3.2.1. Abgrenzung der Taktikplanung von der Strategieplanung.
Siehe dazu auch das Kapitel 23 Organisation von Parteien, Kampagnen und Wahlkämpfen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
für Programmarbeit, für Materialwirtschaft usw. Alle diese Einheiten erhalten ihre
Aufträge über die taktischen Ziele. Das bedeutet für die Planer, dass die Ziele so
geschnitten werden müssen, dass sie von einer taktischen Einheit allein erfüllt
werden können. Zuständigkeiten mehrerer taktischer Einheiten für ein Ziel müssen entzerrt werden und die Verantwortlichkeit muss eindeutig sein. Bei kleineren
Organisationen kann es geschehen, dass mehrere taktische Einheiten zusammengelegt werden und unter der Leitung einer Person stehen.
Aus den Zielen werden später unter Heranziehung von weiteren Vorgaben, wie
zum Beispiel Zielgruppen, Haupt- und Kommunikationsinstrumente, Maßnahmen
und Aktionen abgeleitet, die zu einem geschlossenen Zeit- und Maßnahmenplan
(Masterplan) führen83.
14.3 Evaluierung der Zielformulierung
Die Zielformulierungen müssen wie auch die Teilstrategien evaluiert werden. Hier
geht es besonders um den notwendigen Realismus.
Folgende Fragen müssen dazu beantwortet werden:
1. Ist das Ziel richtig formuliert? Gibt es einen Endtermin, eine messbare quantitative Größe und eine verantwortliche taktische Einheit?
2. Kann das Ziel realistisch in der dafür vorgesehenen Zeit erreicht werden?
3. Kann die quantitative Seite des Ziels erreicht werden?
4. Kann das Ziel allein und ohne Hilfe anderer von der taktischen Einheit erreicht
werden?
5. Ist das Ziel von der Terminseite realistisch in andere Zielplanungen eingebettet?
6. Ist das Ziel der richtigen taktischen Einheit zugeordnet?
83
Siehe dazu auch das Kapitel 22 Ableitung von Maßnahmen aus Zielen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
:IELIMAGE
Der zweite Weg, die Strategie zu implementieren, ist der Weg über das Zielimage.
Hier werden vor allem die ausgewählten Themen und Schlachtfelder, das heißt die
Stärken, behandelt. Mit dem Zielimage planen wir also unseren Angriff, denn wir
wollen in den Köpfen der Entscheider ein Bild von uns aufbauen, das besser ist als
das der Konkurrenten, mit besseren Themen, mit besseren Lösungen, mit einem
besseren Personalangebot und mit mehr Kompetenz.
15.1 Die Funktion des Zielimages
Jede Organisation, jede Partei, jeder Kandidat hat in seinem Umfeld ein bestimmtes
Image. Das ist das Bild, das sich die Menschen oder die Wähler von der Organisation
im Augenblick machen. Manchmal ist dieses Bild noch leer. Dann ist die Organisation oder der Mensch einem anderen Menschen unbekannt. Er kann sich also kein
Bild von jemanden oder von der Organisation machen.
Bekanntheit ist also die Voraussetzung für den Aufbau eines Images. Ist eine
Organisation oder ein Mensch einer bestimmten Gruppe bekannt, so kann es sein,
dass das Bild, das bisher in der Öffentlichkeit erschienen ist, nicht immer von Vorteil ist. Es können zu Recht oder zu Unrecht Elemente im Bild eines Menschen
oder einer Organisation auftauchen, die für den Zweck der zukünftigen Aktivität
ungünstig sind.
Hat ein Kandidat zum Beispiel ein Image eines rücksichtslosen Karrieristen, dann
wird es schwer sein, ihn als liebevollen und nachdenklichen Politiker in der Öffentlichkeit zu verkaufen.
Hat eine Organisation das Image der Nähe zu Skandalen und krimineller Tätigkeit, so wird es schwer sein, diese Organisation als Kämpfer gegen Korruption
darzustellen.
Das Zielimage, auch Wunschimage genannt, ist also das Image, das bei den
Kunden, Wählern oder bei bestimmten Zielgruppen erreicht werden soll. Es unterscheidet sich vom Ist-Image dadurch, dass es keine negativen Imageelemente
mehr enthält.
Das Zielimage ist also das Bild, das durch eine Vielzahl von Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeit in den Köpfen der Zielpersonen gezeichnet werden soll. Es soll
positiv im Sinne der Erreichung des Auftrages sein, es darf aber auch nicht illusi0OLITISCHE3TRATEGIEN
onär weit vom Ist-Image eines Kandidaten oder einer Organisation entfernt sein.
Die Veränderung von Bildern in den Köpfen der Menschen ist eine sehr schwierige
Operation. Nur durch Ausdauer und ständige penetrante Wiederholung derselben
Botschaften sind Veränderungen möglich.
Auch beim Erstaufbau eines Images, das bedeutet der Schaffung eines Bekanntheitsgrades und der Etablierung bestimmter Imagekomponenten, ist daran
zu denken, zunächst kein falsches Bild zu zeichnen, nur um einen höheren Bekanntheitsgrad zu erreichen. Dieser Fehler wird in der Praxis oft gemacht. Zunächst
kommt es Organisationen oder Kandidaten oftmals nur darauf an, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden. Dazu ist ihnen fast jedes Mittel recht. Dazu wählen
sie zum Beispiel sehr konfliktive Themen, mit denen ihre Aussagen sicher in die
Medien transportiert werden. Oder sie starten Aktionen, die mit großer Sicherheit
zu Bildern in den Medien führen. Die Themen und die Aktionen sind aber oft nicht
in Übereinstimmung mit dem für spätere Zeiten erwünschten Image der Partei
oder des Kandidaten.
Ein Beispiel war das Auftreten einer Partei in der Türkei, die unter Leitung eines
bekannten Unternehmers sehr schnell die Aufmerksamkeit größerer Bevölkerungsteile auf sich zog, nachdem sie Themen wie die Armee, die Kurdenfrage usw. in den
Mittelpunkt ihrer Aussagen gestellt hatten. Das führte zu einer klaren Imagebildung,
die allerdings für das Erreichen von guten Wahlergebnissen schädlich war, weil sie
einerseits ein kurdenfreudliches Image hatten, aber dennoch keine Kurdenpartei und
damit andererseits „verdächtig” für die türkischen Bevölkerungsteile waren.
15.2 Die Positionierung im Umfeld
Das Zielimage muss die Organisation oder den Kandidaten deutlich in seinem
Umfeld positionieren. Das bedeutet, dass die zu positionierende Person oder Organisation durch das Zielimage erkennbar wird. Die Positionierung erfolgt in drei
Abschnitten:
1. Die grobe Positionsbeschreibung der Partei oder des Kandidaten. Dazu gehört
die Zugehörigkeit zu einer wichtigen Organisation, die Wertekombination, die
von dieser verfolgt wird, die Funktion als Regierung oder Opposition oder als
Gruppe außerhalb des politischen Spektrums.
2. Die Vision, beschränkt auf wenige Schlüsselelemente (maximal vier Politikfelder), die sich im offensiven Fall von den Konkurrenten deutlich unterscheiden,
ist eine Beschreibung der Zukunft. In der Vision wird der Zustand beschrieben,
den die Organisation bzw. der Kandidat erreichen will. Diese Vision muss die
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wahlentscheidung oder die Entscheidung für eine politische Handlung unterstützen. Dazu muss der Vorteil für den Entscheider erkennbar werden.
3. Die personelle Vertrauensbildung. Hier geht es um die Darstellung der handelnden Personen, Gruppen oder des einzelnen Kandidaten. Mit dieser Beschreibung
soll Vertrauen in die Kompetenz und für die Person geschaffen werden.
Alle Elemente des Zielimages müssen im offensiven Fall versuchen, den Unterschied zu den Konkurrenten deutlich werden zu lassen, ohne dass die Konkurrenz
negativ geschildert wird. Es geht hier also immer nur um die eigene positive Positionierung gegenüber den Mitkonkurrenten oder den Gegnern.
15.3 Die Entscheidungsfindung: rational oder emotional
Mit dem Zielimage wollen wir also die Entscheidung des Entscheiders beeinflussen. Dazu müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie Entscheidungen zustande kommen und wie die Entscheidungsvorbereitung abläuft und wie die letzliche
Endentscheidung im Gehirn eines Menschen getroffen wird und wie sie in Aktion
umgesetzt wird.
15.3.1 Wahlentscheidungen
In vielfältigen Veröffentlichungen ist immer wieder davon die Rede, dass der
Mensch seine Entscheidungen und sein Handeln von Vernunft und Verstand leiten lässt. Nach dieser Lehre – auch “Rational Choice Theory“ genannt – stellt der
Mensch eine gründliche Kosten-Nutzen-Rechnung an und lässt sich vom Prinzip
der Gewinn-Maximierung leiten. Er versucht ein Maximum an Erfolg, Nutzen oder
Lust zu gewinnen.
Menschliches Handeln geschieht zwar nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung,
allerdings unter Abwägung der Nutzens von Rationalität und Affektivität. Das bedeutet, dass der Mensch bei seinen Entscheidungen sich teilweise wie ein Homo
oeconomicus84 verhält, aber die Entscheidung letztendlich dann doch wieder affektiv
unter dem Gesichtspunkt des Besitztumseffekts und der Risikovermeidung gefällt
wird. Damit ist der Entscheider, der sich nur an der Nützlichkeit orientiert, zwar in
84
Eduard Spranger bezeichnete 1914 in seiner „Psychologie der Typenlehre“ den homo oeconomicus
als eine Lebensform des Homo sapiens und beschrieb ihn wie folgt: Der ökonomische Mensch
im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert
voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums
Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
der reinen Lehre nicht mehr vorhanden, dennoch spielen Nützlichkeitsüberlegungen
aber nach wie vor eine wichtige Rolle., aber eben nicht allein.
Bei dem Besitztumseffekt85 – auch Endowmenteffekt genannt – geht es darum, dass der wahrgenommene Wert eines Gutes, das man besitzt, höher ist, als
der Wert des Gutes, das man nicht besitzt, obwohl der Wert des Gutes objektiv
gleich ist. Das führt dazu, dass der Besitzende seinen Besitz stark verteidigt und in
politischen Situationen, in denen es darum geht, zugestandene Subventionen zu
kürzen oder Steuern anzuheben, überproportionale, emotionale Abwehrreaktionen
zeigt, die mit den wirklichen Wert der Sache nicht zusammen passen.
Hinzu kommt ein zweiter Faktor, nämlich die Furcht vor dem Risiko. Das bedeutet, dass Menschen ihr Verhalten auch bei deutlich steigenden Kosten fortsetzen,
wenn sie im Zusammenhang mit ihrem Verhalten ein unkalkulierbares Risiko sehen.
Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Kurzsichtigkeit des menschlichen Verhaltens, das zum Weitermachen wie bisher führt. Auch hier haben näherliegende
Ereignisse ein viel höheres Gewicht als ferner liegende. Deswegen werden näher
liegende Ziele eher verfolgt als weiter entfernt liegende, welche überzeugenden
Argumente auch immer für die ferner liegenden vorgebracht werden. Ebenso wiegen
zeitlich naheliegende Belohnungen oder Versprechen viel stärker als zeitlich fern
liegende, auch wenn diese viel größer sind. Volkstümlich ausgedrückt findet man
das im den Satz: „Lieber einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.“
Eine dramatische Dimension bekommt dieses Verhalten, wenn es in der Politik um große Reformen mit langwierigen Apassungsprozessen geht. Diese sind
im Regelfall in einer partizipativen Gesellschaft mit regelmäßigen Wahlen kaum
durchsetzbar, es sei denn alle Parteien einigen sich darauf, am Bürger vorbei eine
notwendige Reform zu machen. Das ist aber wohl der absolute Ausnahmefall, weil
auch die Parteien nach dem kurzfristigen Wahlerfolg schielen und dabei die langfristigen gesellschaftlichen Ziele aus den Augen verlieren.
Beispiel: Die Fähgkeit der Menschen Zukunftsvisionen zu entwickeln, die grundlegende Änderungen mit sich bringen ist sehr wenig entwickelt. So klagte schon Henry
Ford, als er sagte, dass wenn er die Menschen gefragt hätte, was sie haben wollten,
hätten sie gesagt: „Schnellere Pferde“ aber niemals „ein Auto“.
85
Jack L. Knetsch: The Endowment Effect and Evidence of Nonreversible Indifference Curves. In: The
American Economic Review. Bd. 79, Nr. 5 Dez. 1989, S. 1277–1284
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Um den fundamentalen Unterschied zwischen Autos und Pferden zu verstehen,
mussten die Kunden aufhören, die beiden miteinander zu vergleichen. Erst dann
waren sie in der Lage, die Vorteile von beiden wirklich zu verstehen Dass Pferde
bislang nicht ausgestorben sind, beweist, dass Autos nicht die besseren Pferde,
sondern eben einfach Autos sind86.
Ähnlich geht es zum Beispiel heute Politikern, die ein hochkompliziertes und
schwerfälliges Steuersystem mit vielen Sozialtransfers ablösen wollen durch ein
System der „negativen Einkommensteuer“. Das ist deswegen für die Bürger nicht
denkbar, weil sie zunächst immer an ihren Besitz, nämlich alle möglichen Sozialtransfers denken und diese beschützen wollen. Das System der negativen Einkommensteuer ist eben nicht vergleichbar mit dem komplizierten Steuersystem und
den Sozialtransfers, sondern hat eine neue Qualität. Aber solange die Bürger (und
auch die Politiker) nicht bereit sind, auf einen Vergleich zu verzichten, ist aus den
vorher genannten Gründen eine Umsetzung nicht möglich.
Der Verhaltenspsychologe Prof. Gerhard Roth hat in seinem Buch “Aus der Sicht
des Gehirns“87 Folgendes ausgeführt: “Rationalität ist eingebettet in die affektivemotionale Grundstruktur des Verhaltens; das Limbische System, entscheidet, in
welchem Maße Verstand und Vernunft zum Einsatz kommen.
Balken
(corpus callosum)
Neocortex
Hirnrinde
Sitz des
limbischen
Systems
Limbisches System
Hypophyse
Kleinhirn
Stammhirn
verlängertes
Mark
86
87
Jörg Gerschlauer in http://www.boersenblatt.net/350172/template/bb_tpl_blog_libreka/
(2009) Gerhard: Roth: Aus Sicht des Gehirns. Suhrkamp, Frankfurt ISBN 978-3-518-29515-1
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Nicht die Optimierung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen ist das wichtigste Kriterium menschlichen Entscheidens und Handelns, sondern die Aufrechterhaltung
eines möglichst stabilen und in sich widerspruchsfreien emotionalen Zustandes
der handelnden Person.“
Übertragen wir diese Erkenntnisse einmal auf das Wahlverhalten und die Formulierung unseres Angebotes in einem Zielimages, so ergeben sich daraus folgende
Konsequenzen:
1. Da ein Kosten-Nutzen-Denken grundsätzlich vorhanden ist, muss es konkrete
Angebote geben. Ohne klare Ziele mit Angeboten kommt es noch nicht einmal zu
einer rationalen Abwägung, die aber Voraussetzung für die emotional-affektive
Bewertung ist.
2. Bei einer geplanten Veränderung des heutigen Zustandes muss ermittelt werden, ob die Wähler sich von der Veränderung in ihren Besitztümern bedroht
fühlen. Solche Veränderungen müssen so formuliert werden, dass möglichst
nahe liegende Vorteile, auch wenn sie klein sind, dargestellt werden.
3. Risikofreudigkeit ist bei der überwiegenden Masse der Wähler nicht oder nur
gering ausgeprägt. Daher sind Angebote, die mit einem für einen einfachen
Bürger unkalkulierbares Risiko verbunden sind, nicht attraktiv. Falls diese Risiken aber offenkundig sind, muss die Kompetenz der Partei oder des Politikers
zur Lösung des Problems ohne Risiken in den Vordergrund gestellt werden. Der
Wähler will, wenn er eine Entscheidung bei der Wahl trifft, sicher geleitet und
geführt werden. Dazu braucht er sichere Leuchttürme (also Orientierungspunkte)
und Führungspersönlichkeiten, von denen er annehmen kann, dass diese ihn
durch die komplexen Problemlagen einer Gesellschaft, die er nicht mehr versteht, führen werden. Basierend auf diesen Überlegungen nimmt der Wunsch
nach Sicherheitselementen zu. Dazu gehören
a. Vertrauen
b. Verlässlichkeit
c. Glaubwürdigkeit.
Da der Wähler unter normalen Umständen das Gefühl entwickelt, dass er in
komplexen Problemlagen die nötigen Entscheidungsgrundlagen (Informationen,
Zusammenhänge, Kenntnis der Alternativen und Wirkung auf seine soziale Umwelt)
nicht hat, wird er als eine Option seine Entscheidungsalternativen holzschnittartig
so stark begrenzen, dass er sich mit seinen Vorurteilen und Vorerfahrungen – so
falsch sie auch immer sein mögen – in ein stabiles und widerspruchsfreies Weltbild
0OLITISCHE3TRATEGIEN
flüchten kann. Solche einfachen Lösungen werden von Parteien angeboten, die sich
durch Radikalität, Ausländer-feindlichkeit und Minderheitenhass auszeichnen. Hier
werden Sündenböcke präsentiert, die für die Probleme verantwortlich sind und es
werden deterministische monokausale Zusammenhänge hergestellt. Ist der Wähler
erst in diesem Zustand, ist er durch eine differenzierte Kommunikation zwischen
Politik und Bürgern nur noch schwer erreichbar und der Inhalt unseres Zielimages
wird ihn kaum überzeugen, seine Handlungen neu auszurichten.
Die andere Option ist die Annäherung an Opinionleader. Diese Personen unterstützen als „Experten“ den allgemeinen Massenkommunikationsprozess. Siehe
dazu auch das Kapitel 16.8. Diese Opinionleader werden von den orientierungslosen
Wählern in ihrer eigenen sozialen Schichtung gefunden und befragt und ihre Meinung wird als Handlungsempfehlung wahr- oder angenommen. Wenn ein dichtes
Netzwerk von Opinionleadern gepflegt wird, gelingt es auch in den Gruppen, die die
Zusammenhänge eines komplexen Systems nicht mehr verstehen, Handlungsorientierung auszulösen. Solche Netzwerke von Opinionleadern spielen auch in Ländern
mit hoher Analphabetenrate oder in Ländern, in denen es keine offene Kommunikation gibt und der Zugang zu Informationen besonders schwer ist, eine sehr wichtige
Rolle. Hier ist es also Aufgabe von Parteien und Politikern, solche Opinionleadernetze
aufzubauen und diese sehr intensiv über lange Zeiten zu pflegen.
15.4 Unterstützung der Entscheidungsgründe
Jeder Mensch, der sich entschließt, eine bestimmte Handlung auszuführen, wie
zum Beispiel die Unterstützung oder sogar der Beitritt zu einer Organisation oder
die Wahl einer Partei oder eines Kandidaten, hat seine Gründe, die ihn zur Entscheidung veranlassen. Ob dem einzelnen seine Gründe bewusst sind oder nicht,
spielt dabei keine Rolle. Gerade bei Wahlen wird, wie im vorigen Kapitel gezeigt,
sehr häufig nicht rational entschieden, sondern vielmehr emotional.
Das Zielimage muss deutlich die Entscheidungsgründe für das politische Handeln oder das Wählen unterstützen. Dazu müssen die Entscheidungsgründe vorher
genau analysiert werden. Dabei sind folgende Fragen vorher zu beantworten:
1. Welches sind die Entscheidungsgründe des Bürgers für einen Kandidaten, für
eine Partei oder eine Organisation?
2. Wie können die Entscheidungsgründe unterstützt werden?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Normalerweise liegen die Entscheidungsgründe für politisches Handeln in folgenden Bereichen. Dabei kann fremdbestimmtes und eigenbestimmtes Verhalten
unterschieden werden.
1. Traditionelles Verhalten aufgrund des Verhaltens des sozialen Umfelds. (Familie,
Stamm, usw.)
2. Durch Multiplikatoren oder Leitfiguren bestimmtes Verhalten.
3. Oppositionelles Verhalten gegenüber gesellschaftlichen Strukturen und Leitfiguren bzw. dem sozialen Umfeld. (Protestwähler)
4. Vertrauen in die Kompetenz eines Menschen oder einer Organisation zur Lösung
von Problemen, durch die sich die Zielperson belastet fühlt.
5. Materieller Profit für sich oder das engste soziale Umfeld.
6. Imagegewinn im sozialen Umfeld bei einer bestimmten Handlung.
7. Förderung des Selbstwertgefühls durch Übereinstimmung von internalisierten
Ge- und Verboten.
8. Zustimmung zum Selbstbild.
9. Anerkennung von Leistungen der Zielperson.
10. Angst vor Pressionen.
Die Entscheidungsgründe für eine bestimmte Person, für eine Partei oder Organisation oder für ein ein bestimmtes Handeln sind in verschiedenen Kulturen und
Gesellschaften aufgrund von Erziehung, Erfahrungen und gesellschaftlich geprägten
Bindungen sehr unterschiedlich. Daher ist es eine wichtige analytische Arbeit, die
Struktur der Entscheidungsgründe herauszufinden, bevor politische Strategien geplant und umgesetzt werden.
Die Analyse der Entscheidungsgründe wird sehr oft verdeckt gehalten. Das tritt
besonders bei politischen Vorgängen auf, die sich an einem fremden Politikideal
orientieren und bei denen entfremdete Eliten die kulturellen Sperren beim Zugang
zu diesen Idealen verdecken oder nicht offen diskutieren wollen.
Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das plurale Parteienangebot durch Entscheidungsgründe, die in Stammesbindungen liegen, aufgehoben wird, oder wenn
der Stimmenkauf kulturell akzeptiert – ja vielleicht sogar kulturell notwendig ist,–
oder wenn die Einführung der Marktwirtschaft am Fehlen der Profitorientierung
scheitert.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zum Aufspüren der in den jeweiligen Gesellschaften vorliegenden Entscheidungsgründe sind Umfragen und Diskussionen mit in westlichen Metropolen erzogenen Eliten nicht besonders hilfreich, sondern eher schädlich. Hier hilft nur
ein Eintauchen in die Gesellschaft und das offene Gespräch mit Analytikern der
örtlichen Gegebenheiten. Darunter versteht man weniger Soziologen und Politikwissenschaftler, sondern vielmehr Taxifahrer, Ärzte, Kellner usw.
15.5 Das Bedürfnisbefriedigungsargument
Ein wichtiger Entscheidungsgrund ist das Bedürfnisbefriedigungsargument. Die
Menschen, die zu einem politischen Handeln bewegt werden sollen (Wahl, Engagement, Partizipation usw.), haben unterschiedliche Bedürfnisse. Diese hängen von
der Erziehung, der Ausbildung, der sozialen Situation und vielen anderen Bedingungsfaktoren ab. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass alle Menschen als
Individuen unterschiedliche Bedürfnisse mit unterschiedlicher Intensität haben.
Innerhalb der Gesamtgesellschaft sind Gruppen vorhanden, die ähnliche Bedürfnisstrukturen haben und die mit Hilfe von Bedürfnisbefriedigungsargumenten angesprochen werden können.
15.5.1 Maslowsche Bedürfnispyramide
Mit den Beziehungen von Bedürfnissen untereinander hat sich der amerikanische
Psychologe, A. H. Maslow88 beschäftigt. Maslow entwickelte ein Modell der Bedürfnishierarchie, an deren oberster Stelle des Bedürfnis nach Selbstverwirklichung
steht und an deren unterster Stelle das nackte Überleben, das heißt das Bedürfnis nach physiologischer Bedürfnisbefriedigung stehen. Sind die Bedürfnisse der
einen Stufe befriedigt, hat das Bedürfnis der nächsthöheren Stufe Vorrang. Über
die Struktur der Bedürfnisse gibt es unterschiedliche Auffassungen, die von der
Annahme einer mosaikartigen Zusammensetzung einzelner Bedürfnisse zu einem
individuellen Bedürfnissystem bis zur holistischen Sicht gehen, wonach Bedürfnisse
ausdifferenzierte Glieder einer vorherigen individuellen Bedürfnisausrichtung89 sind.
Maslow geht zunächst von einer Pyramide aus. Mit dieser Pyramide wird die Hierarchie der Bedürfnisse gezeigt.
88
89
Prof. Abraham Harold Maslow, 1908-1970; Hierarchy of the Prepotency of Human Needs, USA;
Motivation and Personality, New York, 1970; Psychologie des Seins, München, 1973.
Clark Leonhard Hull, amerikanischer Psychologe, 1884-1952.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Selbstverwirklichung
Ich-Bedürfnisse
Anerkennung, Geltung
Soziale Bedürfnisse
Zugehörigkeit, Freundschaft
Sicherheitsbedürfnisse
Eigentum, Leben, Beruf, Wohnung
Grundbedürfnisse
Essen, Trinken, Schlafen
Maslowsche Bedürfnispyramide
Die unterste Ebene besteht aus den physiologischen Bedürfnissen. Hier handelt
es sich um Essen, Trinken, Schlaf, Sex und alles, was mit dem physischen Überleben
zu tun hat. Auf der zweiten Ebene handelt es sich um Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse. Hier geht es um Obdach, physisches Wohlbefinden, Sicherheit. Auf der
dritten Ebene geht es um soziale Bedürfnisse. Das bedeutet, hier geht es um das
Zusammenleben, Freunde, Zugehörigkeit, Akzeptanz. Diese Bedürfnisse sind eng
verbunden mit anderen Bedürfnissen, die zum psychologischen Überleben benötigt werden. Auf der vierten Ebene stehen daher Ich-Bedürfnisse. Dazu gehören
Anerkennung, Macht, Geltung und Status. Erst danach treten die sogenannten höheren Ziele des Menschen auf, wie intellektuelle, ästhetische und Selbstverwirklichungsbedürfnisse. Hierzu gehören Bedürfnisse wie Wissen, Lernen, Verstehen,
Schönheit, Kreativität, Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung.
15.5.2 Konzentration auf drei politische Bedürfnisebenen
Bei der Übertragung auf Bedürfnisse, die durch politische Aktionen und Programme
erfüllt werden können, ist eine Reduktion der Bedürfnishierarchie auf drei Ebenen
vorzuschlagen. Dadurch wird das Bild einfacher und kann leichter in die Strategieplanungspraxis umgesetzt werden, ohne dass dadurch entscheidende Einbußen
bei der Anwendung hingenommen werden müssen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Einzuteilen sind die Bedürfnisse, wenn man sie unter dem Aspekt der politischen
Erreichbarkeit sieht, in drei Hauptkategorien: Basisbedürfnisse, soziale Bedürfnisse
und postmaterielle Bedürfnisse.
Basisbedürfnisse
Als Basisbedürfnisse werden alle diejenigen vitalen Bedürfnisse bezeichnet, die
entweder unmittelbar oder mittelbar zum Überleben der jeweiligen Person beitragen. Dazu gehören zunächst einmal
1. Essen,
2. Trinken,
3. Schlafen.
Zu den Basisbedürfnissen kommen aber in der heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft noch folgende Aspekte:
1. Arbeit als ein Mittel zur Schaffung des Lebensunterhaltes und damit zum
Überleben der eigenen Person oder der Familie.
2. Wohnung als ein Platz zum Leben und zum Schlafen.
3. Schutz vor Angriffen auf das Leben und das Eigentum, das der Mensch zum
Überleben benötigt.
Die politischen Schlagworte im Zusammenhang mit den Basisbedürfnissen
lauten also:
1. Sorge um Nahrungsmittel zu Preisen und an Orten, die jedermann erreichen
kann.
2. Sorge um Wasser in ausreichender Menge und in ausreichender Qualität zu
Preisen und an Orten, die jedermann erreichen kann.
3. Sorge um Wohnraum in benötigter Menge und Qualität zu Preisen und an
Orten, die jedermann erreichen kann.
4. Armutsbekämpfung, soweit die Basisbedürfnisbefriedigung ein Problem der
Armut ist.
5. Sorge um Arbeitsplätze für diejenigen, die nach Arbeit nachfragen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
6. Kriminalitätsbekämpfung als Schutz des Lebens und des zum Überleben notwendigen Eigentums.
Soweit es in einer Gesellschaft oder in wichtigen Teilen von ihr, Basisbedürfnisbefriedigungsprobleme gibt, sind diese vorrangig in die Diskussion aufzunehmen
oder zumindest zu erwähnen.
Soziale Bedürfnisse
Als soziale Bedürfnisse werden alle diejenigen Bedürfnisse bezeichnet, die mit
dem Zusammenleben in einer Gemeinschaft verbunden sind. Das Zusammenleben
in einer Gemeinschaft stellt für diejenigen Menschen, die nicht in einem der modernen Staaten mit seinen Sozialsicherungssystemen leben, auch ein gewisses Maß
von Sicherheit in besonderen Fällen dar. Deshalb muss es bei der Bedürfnisbefriedigung der sozialen Bedürfnisse Antworten auf folgende Fragen geben:
1. Was geschieht, wenn Menschen alt werden und nicht mehr in Lage sind, für
sich selbst zu sorgen?
2. Was geschieht, wenn Menschen krank werden oder einen Unfall haben und nicht
mehr oder für eine bestimmte Zeit nicht mehr für sich selbst sorgen können?
3. Was geschieht, wenn Menschen keine Arbeit haben und so nicht mehr für sich
selbst sorgen können?
4. Was geschieht, wenn Menschen krank sind, zu ihrer Behandlung?
5. Was geschieht, wenn Elternteile mit ihren Kindern allein leben müssen, weil
ein Elternteil verschwunden ist oder sich hat scheiden lassen?
Die Antworten auf diese Fragen fallen in den unterschiedlichen Gesellschaften
völlig unterschiedlich aus. Das hängt zu einem großen Teil damit zusammen, ob
zum Beispiel die Familienstrukur intakt ist. Oder ob es soziale Sicherungssysteme
in den Stämmen oder zunftähnlichen Organisationen gibt. In Gesellschaften mit
intakten sozialen Subsystemen, wie Großfamilien und wirksamen Stammesstrukturen bleibt von den oben erwähnten Fragen zumeist nur das Gesundheitssystem
übrig, das durch die Politik sichergestellt werden soll.
Sind solche sozialen Systeme aber weitgehend zerstört oder durch staatliche
Konkurrenzangebote im Absterben begriffen, werden die oben erwähnten Fragen
zu wichtigen Bedürfnisfaktoren, auf die die Politik Antworten geben muss.
Die politischen Schlagworte im Zusammenhang mit den sozialen Bedürfnissen lauten:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1. Altersversorgung, Renten und Alterspflege
2. Krankenversicherung, Unfallversicherung oder Pflegesysteme
3. Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
4. Staatliche Gesundheitssysteme, staatliche Krankenhäuser
5. Hilfe für Alleinerziehende, rechtliche Absicherung
Trotz der Bedeutung der sozialen Bedürfnisse in vielen Gesellschaften sind vor
deren Befriedigung die Basisbedürfnisse angesiedelt. Das bedeutet, dass in Gesellschaften mit großen Problemen bei der Basisbedürfnissicherung, die sozialen
Bedürfnisse im Bewusstsein der Menschen an zweiter Stelle stehen, soweit nicht
das Sozialsystem (ob nun staatlich oder privat) die Basisbedürfnisse befriedigen
kann.
Das kann an folgendem Beispiel deutlich gemacht werden. Für einen Hungernden,
der erwarten kann, dass er innerhalb kürzester Zeit stirbt, wenn er nicht bald etwas
zu essen bekommt, ist das Funktionieren eines Gesundheitssystems absolut zweitrangig, weil ihm das bei der für ihn notwendigen Befriedigung seiner Basisbedürfnisse nicht hilft.
Postmaterielle Bedürfnisse
Als postmaterielle Bedürfnisse werden diejenigen Bedürfnisse bezeichnet, die
nach der physiologischen und psychologischen Überlebenssicherung eintreten.
Dazu gehören viele Themen, die vor allem von liberalen Parteien immer wieder in
den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt werden:
1. Rechtsstaat
2. Verfassung
3. Frieden
4. Freiheit
5. Gerechtigkeit
6. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen
7. Partizipation
8. Bildung
9. Selbstverwirklichung
10. Demokratie
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Kette dieser Themen ließe sich noch fortsetzen. Bei den postmateriellen
Bedürfnissen gibt es ein Phänomen, dass sie nämlich unter bestimmten Umständen
ihren Platz wechseln und teilweise sogar zu Basisbedürfnissen werden können. In
einigen Fällen ist das ziemlich klar in anderen schwerer durchschaubar.
Zu den offensichtlich klaren Fällen gehört Frieden. Die Abwesenheit von Frieden,
das bedeutet Kampf und Krieg, wird für alle Betroffenen dann zu einem ernsten
Problem, wenn ihr Leben direkt gefährdet ist. In einem solchen Fall entwickelt sich
das postmaterielle Bedürfnis Frieden zu einem Basisbedürfnis. Aber das gilt nicht
für alle Betroffenen. Sonst könnten die jahrelangen Auseinandersetzungen und die
politische Unterstützung von Kriegsparteien nicht möglich sein.
Ein viel schwierigeres Kapitel stellt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, also auch Umweltschutz, dar.
Ist zum Beispiel die Umweltverschmutzung so weit vorangetrieben, dass kein
Trinkwasser mehr gewonnen werden kann, dann wandert das Thema Umweltschutz
in der betroffenen Region auf die Ebene der Basisbedürfnisse, weil ein wichtiges
Lebensgut nicht mehr vorhanden ist.
Anders ist das mit den armen Menschen im Regenwald. Mit ihnen kann nur
schwer über Umweltschutz diskutiert werden, weil es ihnen ums Überleben für
sich und ihre Familien geht und daher das Basisbedürfnis ihnen näher steht als
der Umweltschutz.
Ähnliches gilt, wenn zum Beispiel ein Betrieb geschlossen werden muss, weil er
die Umwelt zu sehr schädigt. Die Arbeiter, die nun von Arbeitslosigkeit bedroht sind,
und teilweise auch die Gewerkschaften wehren sich gegen die umweltschützende
Maßnahme und verteidigen ihre Basisbedürfnisse oder sozialen Bedürfnisse.
Auch der Kampf für Freiheit und Demokratie in der Bekämpfung von Diktaturen
zeigt einige Auffälligkeiten bei der Bedürfnisbefriedigung. Soweit Menschen sich
an der Bekämpfung von Diktaturen beteiligen, haben sie oftmals ein sehr persönliches und mit dem Schutz von Leib und Leben verbundenes Argument. So scheint
ihr Kampf für Freiheit und Demokratie vordergründig ein Kampf für postmaterielle
Bedürfnisse. In Wirklichkeit liegen hinter den vordergründigen Bedürfnissen zumeist
andere materielle oder soziale Bedürfnisse. Ist die Diktatur dann abgeschafft, ändert sich das Bild sofort. Demokratie und Freiheit rücken wieder auf den Platz der
postmateriellen Bedürfnisse und der Kampf um die Basis- und sozialen Bedürfnisse
gewinnt wieder an Bedeutung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Kommunikation und Bedürfnisse
Die Bedürfnisstrukturen haben für die politische Kommunikation eine wichtige
Bedeutung. Vera F. Birkenbihl stellt die Auswirkungen in mehreren ihrer Bücher90
ausführlich dar. Solange die Bedürfnisse einer unteren Ebene nicht erfüllt sind, ist
Kommunikation über eine der höheren Ebenen gestört oder sogar unmöglich. Das
bedeutet, dass jemand, der hungert, nur schwer zu veranlassen sein wird, über
Demokratie und Wahlrecht zu kommunizieren, weil es für ihn wichtigere Dinge
zum Überleben gibt.
Um im politischen Prozess, in der politischen Diskussion und in Wahlkämpfen
nun überhaupt eine kommunikative Chance zu haben, muss die Planung der Ansprache der Wähler entsprechend ihrer Bedürfnisstruktur und in Übereinstimmung
mit dem eigenen Wollen (Programmatik oder Kandidatenorientierung) erfolgen.
15.5.3 Das Problem der heterogenen Gesellschaft
Da, wie schon weiter oben erläutert, sich die Bedürfnisse im Laufe der Jahre entsprechend der Veränderung von gesellschaftlichen Strukturen verändern und da
diese Bedürfnisveränderungen nicht immer alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig erfassen, ergibt sich, ergänzt um kulturelle Unterschiede in den verschiedenen
Gesellschaften, eine Vielzahl von Kombinationen von Bedürfnissen in den verschiedenen Ländern. Das bedeutet, dass es in jeder Gesellschaft Gruppen gibt, die
mehr basisbedürfnisorientiert sind, andere Gruppen sind mehr interessiert an der
Befriedigung sozialer Bedürfnisse und andere wollen, dass ihre postmateriellen
Bedürfnisse befriedigt werden. Das bedeutet für die Planung von Strategien und
Kampagnen, dass grundsätzlich damit zu rechnen ist, dass in jeder Gesellschaft die
unterschiedlichen Bedürfnisorientierungen nebeneinander existieren. Allerdings ist
die mengenmäßige Ausprägung unterschiedlich. Dafür sollen einige typische Beispiele für unterschiedliche Gesellschaften vorgestellt werden.
Beispiel 1:
Stark unterentwickeltes Land mit klassischer und intakter Großfamilien- und
Stammesstruktur, stark ländlich und agrarisch geprägt, geringer Urbanisierungsgrad, in städtischen Regionen Dienstleistungen und Gewerbe sowie Administration.
Zuwanderung zu den städtischen Zentren nimmt wegen starken Bevölkerungszuwachs in der ländlichen Region zu.
90
Vera F.Birkenbihl, Kommunikationstraining, moderne verlagsgesellschaft mbH.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In einer solchen Gesellschaft werden folgende Bedürfnisstrukturen vorhanden
sein:
1. Zunehmende Basisbedürfnisorientierung in ländlichen Regionen und in den
städtischen Gebieten, in denen Zuwanderung erfolgt.
2. Geringe soziale Bedürfnisorientierung (bis auf das Gesundheitssystem) in den
ländlichen Regionen, weil die Großfamilienstrukturen und die Stammesstrukturen soziale Defizite spürbar nicht auftreten lassen. Deutlich zunehmende
soziale Bedürfnisorientierung in den städtischen Regionen mit Zuwanderung
wegen hoher Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Systeme, soweit die Kontakte zu den Stämmen nicht aufrechterhalten bleiben können.
3. Postmaterielle Orientierung in den administrativen und wirtschaftlichen Eliten
der Städte und sehr geringe, beginnende postmaterielle Bedürfnisorientierung
in den ländlichen Regionen, ausgelöst durch Kritik von NROs am Bildungs- und
Infrastruktursystem.
Beispiel 2:
Hoch industrialisiertes Land mit wirkungsvollem sozialen Sicherungssystem, aber
zunehmend drückender werdenden Arbeitslosigkeit, hohem Sozialtransfer, starker
Abgabenbelastung und Gefährdung der Sozialsicherungssysteme durch Überbelastung. Stark urbanisiert, aber ohne regionale soziale Brennpunkte. Kleinfamilien
und Single-Haushalte dominieren.
1. In einer solchen Gesellschaft werden folgende Bedürfnisstrukturen vorhanden
sein:
2. Gering ausgeprägte Basisbedürfnisorientierung, vorwiegend bei sozialen
Randgruppen und Arbeitslosen, die sich besonders in der Wohnungssituation
zeigt.
3. Hohe ausgeprägte soziale Bedürfnisorientierung, die zu einer existentiellen
Frage wird, weil das Sozialsicherungssystem gefährdet ist und damit auch eine
Bedrohung auf der Basisbedürfnisebene droht. Durch das Problem der Gefährdung der Alterssicherung und der hohen Abgabenbelastung ist ein großer Teil
der Gesellschaft davon betroffen.
Stark ausgeprägte postmaterielle Orientierung in den Gruppen, die nicht von
sozialen Randgruppenproblemen und von Arbeitslosigkeit bedroht bzw. tangiert
sind. Das ist der Teil der im öffentlichen Dienst Beschäftigten und der Teil der Gesellschaft, der unabhängig beschäftigt ist, sowie große Teile Jugendlicher.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel 3:
Ehemals sozialistisches Land im Transitionsprozess.
In einer solchen Gesellschaft werden folgende Bedürfsnisstrukturen vorhanden sein:
1. Starke Orientierung auf Basisbedürfnisse, wegen hoher Arbeitslosigkeit und
Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme.
2. Starke Orientierung auf Befriedigung sozialer Bedürfnisse, wegen des Zusammenbruchs aller betrieblichen sozialen Sicherungssysteme und der nicht intakten Familienstrukturen, die im Sozialismus bewusst aufgespalten wurden.
3. Nur geringe Orientierung auf postmaterielle Bedürfnisse, meist nur von einer
kleinen politischen, administrativen und sich bildenden wirtschaftlichen Elite.
Beispiel 4:
Unterenwickeltes Land mit starker Urbanisierung und vielen Slums, die durch
Wanderungsbewegungen entstanden sind, Überbevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit.
1. Stark entwickelte Basisbedürfnisse, besonders in den Slumgebieten der Städte
und in den ländlichen Regionen.
2. Stark entwickelte soziale Bedürfnisse wegen des Verlustes natürlicher sozialer
Sicherungssysteme wie zum Beispiel die Familie usw. in den Slumgebieten der
Städte.
3. Kaum entwickelte postmaterielle Bedürfnisorientierung, abgesehen von einigen
Minieliten.
15.5.4 Auswahl der richtigen Themen
a. Bürgerthemen
Die Auswahl der Themen für das Zielimage hängt von unterschiedlichen Kriterien ab. Einmal bestimmt natürlich die Bedürfnisorientierung der Bevölkerung
die Themen. Wobei wegen der unterschiedlichen Orientierung verschiedener
Bevölkerungsgruppen die Auswahl der Themen auch immer eine Auswirkung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
auf die Auswahl der Zielgruppen und deren Erreichbarkeit hat. Die Fähigkeit die
anvisierten Themen in der Zielgruppe vertrauensvoll zu kommunizieren ist für
die Überzeugungfähigkeit in diesen Gruppen von großer Wichtigkeit. Es handelt
sich hier um die Bürgerthemen oder zumindest um Bürgergruppenthemen.
Beispiel: Wenn eine Partei das Thema Steuersenkung zu einem wichtigen Thema
macht, muss sie wissen, dass damit natürlich nur Steuerzahler angesprochen werden. Die übrigen Bürger sind daher eher nicht interessiert oder teilweise sogar von
vornherein dagegen, da sie um die Finanzierung der Leistungen des Staates für sie
bangen. Um die Dimension deutlich zu machen. In Deutschland zahlen von 84 Mio.
Bürgern nur etwa ein Viertel Lohn- und Einkommensteuern.
b. Medienthemen
Die zweite Gruppe von möglichen Themen werden durch die Medien bestimmt.
Diese Themen haben oftmals nichts mit den realen Bedürfnissen der Bürger zu
tun, werden aber durch ständigen Druck über die Medien als wichtiges Thema
eingestuft und führen zu Verhaltensveränderungen bei den Bürgern. Empirische
Untersuchungen aus den USA91 zeigen, dass dauerhafte Krisen (Afghanistan,
Irak, Rassenkonflikte), symbolische Krisen (Watergate, Drogen, Umweltverschmutzung und Armut), stark auf Betroffenheit abzielende Probleme (Inflation,
Arbeitslosigkeit) und anhaltend abweichendes Verhalten (Kriminalität) das
stärkste öffentliche Interesse erregen und daher zu anhaltenden Spitzenreitern
der öffentlichen Agenda zählen92.
Themen durchlaufen im Prozess öffentlicher Aufmerksamkeitszuwendungen
eine Karriere, die in der amerikanischen Literatur als „issue attention cycle“93 bezeichnet wird. Nach diesem Modell erlebt das Thema fünf Phasen:
1. eine Vorphase der Thematisierung,
2. eine Entdeckungsphase,
3. einen Höhepunkt,
4. eine Abschwungphase und
5. eine Nachproblemphase.
91
92
93
W. Russell Neumann, The Threshold of Public Attention, Public Opinion Quarterly, 54 (1990).
Barbara Pfertsch: Themenkarrieren und politische Kommunikation, Aus Politik und Zeitgeschichte
B39/94, 30.9.94.
Anthony Downs, Up and Down with Ecology: The Issue Attention Cycle, in: The Public Interest
28 (1972).
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Phasen der Aufmerksamkeit
Die Aufgabe der Strategieplanung ist es, solche durch die Medien produzierten Themenkarrieren möglichst frühzeitig aufzuspüren und zu besetzen. „Wer
die Themen beherrscht, über die politisch gesprochen wird, der ist den politischen
Konkurrenten einen Schritt voraus; der hat eine größere Chance, seine Bewertung
des debattierten Themas zur Meinung der Mehrheit zu machen.“94 Die Rolle der
politischen Akteure lässt hier meistens zu wünschen übrig. Viele Politiker schalten
sich in das Thema ein, wenn es schon von anderen besetzt ist und wenn es seinen
Höhepunkt in der Aufmerksamkeit schon überschritten hat. In einem solchen Fall
ist es strategisch wichtiger das „neue“ Thema aufzuspüren, als einem abschwingenden Thema nachzuhängen.
Wenn es einer Partei, einem Kandidaten oder einer Gruppe gelingt, die Themen,
die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, durch eigenes strategische Verhalten in
den Medien zu platzieren und die Debatte in der Öffentlichkeit zu bestimmen, dann
nennt man diesen Prozess „Agenda Setting“. Das Agenda Setting wird zumeist den
Medien zugeschrieben. Es könnte aber auch gelingen als Partei oder Kandidat das
Agenda Setting der Medien im eigenen Sinne zu beinflussen.
c. Parteithemen
Die dritte Gruppe von Themen wird durch Regierung und Opposition oder durch
die aktiven Parteien gesetzt. Diese dritte Gruppe hat wiederum sehr oft nichts
mit den Bedürfnisthemen der Bürger (Bürgerthemen) noch mit den durch die
94
Wolfgang Bergsdorf, Probleme der Regierungskommunikation, in: Communications, 12 (1986)
3.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Medien gesetzten Themen (Medienthemen) zu tun, sondern sind Themen, von
denen sich die politischen Akteure (Parteithemen) strategische Vorteile versprechen. Manchmal sind es sogar Themen, die nur deswegen installiert werden,
um von anderen Themen abzulenken.
Bei der Installierung neuer Themen haben die Regierungsparteien und deren
Regierungen nicht nur eine passive Rolle. Bei ihren Bestrebungen die politische
Agenda zu bestimmen, haben sie in der Regel sogar strategische Vorteile. Im
Vergleich zu konkurrierenden Parteien verfügen sie über die größeren materiellen Ressourcen und damit in Kombination mit ihrer Entscheidungskompetenz
auch über eine Überlegenheit bei der Themenfestsetzung.95 Allerdings ist hierfür
Voraussetzung, dass die politische Agenda der Regierung strategisch geplant
wird. Oppositionsparteien haben offensichtlich strategische Nachteile bei der
Thematisierung, weil ihre Themen keine verbindlichen Entscheidungen, sondern
allenfalls Politikalternativen repräsentieren. Diese Situation ändert sich aber
dann, wenn die Opposition zum Beispiel in präsidentiellen Systemen die Mehrheit im Parlament oder einer sonstigen Kammer hat oder wenn sie in föderativen
parlamentarischen Systemen über Mehrheiten in Provinzen verfügt.
Themen, die von der Bevölkerung nicht nachgefragt werden, für die es also
kein Bedürfnis gibt oder für die kein Bedürfnis geweckt wurde, sind für die
Ansprache der Bevölkerung ungeeignet. Soweit das oberste Ziel der Strategie
nicht die Aus- und Fortbildung von politischen Wesen (Wählern) ist, sind die
strategischen Entscheidungen auf der Basis der vorhandenen Einstellungen zu
treffen. Optimale Ergebnisse sind nur dann erzielbar, wenn die strategische
Planung die handelnden Menschen so nimmt, wie sie aktuell sind und nicht
versucht, zunächst den Menschen umzuerziehen, bevor dieser das Angebot
der Partei oder des Kandidaten würdigen kann. Die Enttäuschung der Parteien
und Kandidaten bei der Feststellung, dass ihr geliebtes Produkt (Demokratie,
Marktwirtschaft, usw.) bei den Wählern keine Nachfrage auslöst, ist immer
wieder verblüffend. Wie wenig – so muss man sich hier fragen – kennen diese
Politiker ihre Bürger, wie groß ist die Distanz zwischen dem Angebot und der
Nachfrage.
15.6 Das Kompetenz- und Vertrauensargument
Trifft eine Partei oder ein Kandidat nach dem Studium der Bedürfnisstrukturen in
einer Gesellschaft die richtigen Bedürfnisse, um damit in Kommunikation mit den
Wählern zu treten, ist das noch nicht ausreichend für eine erfolgreiche Strategie.
95
Franz Ronneberger, Die Rolle von Public Relations im politischen Entscheidungsprozess, in Frank
E. Böckelmann (Hrsg.), Medienmacht und Politik, Berlin 1989, S. 151.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Kenntnis der Bedürfnisse muss kombiniert werden mit einer zugewiesenen Kompetenz zur Lösung der Probleme. Das bedeutet, dass das Image einer Partei oder
eines Kandidaten auch Problemlösungskompetenzen ausweisen muss.
Einer bisher kommunistischen oder sozialistischen Partei wird man kaum Kompetenzen bei der Einführung der Marktwirtschaft unterstellen. Einer Partei, deren
Politiker in handfeste Korruptionsskandale verwickelt waren, wird man keine Kompetenz bei der Bekämpfung der Korruption zuweisen. Einem Kandidaten, dessen
Fima gerade pleite gegangen wird, wird keine wirtschaftspolitische Kompetenz
zugewiesen. Und einem Unternehmer, der sich durch unsoziale Verhaltensweisen einen Namen gemacht hat, wird nicht die Kompetenz für eine menschliche
Sozialpolitik zugewiesen.
Das Kompetenzargument hängt also ganz stark mit dem bisher erworbenen
Image zusammen. Dieses Image kann teilweise berechtigt sein, aber es finden sich
auch ungerechte Bewertungen der Kompetenz. Hier fragt man sich, ob es nicht
doch möglich sein kann, dass ein Lehrer Wirtschaftsminister oder dass ein Landwirt
Minister für Technologie und Forschung sein kann. Da die Erfahrungen der Bürger
mit den Regierungsmitgliedern zumeist schlecht sind, sind ihre Vermutungen über
die Kompetenz von Politikern auch negativ. Das bedeutet also, dass der Aufbau von
Kompetenz für Parteien und Politiker in unterschiedlichen Politikfeldern wichtig
ist, weil sonst das nötige Vertrauen der Bevölkerung in die Leistungsfähigkeit und
-willigkeit der Kandidaten fehlt.
Weltweit ist ein Trend spürbar, der sich durch Vertrauensverlust zu Parteien
und Politikern auszeichnet. Die Wähler sind enttäuscht von ihren Politikern, in die
sie die Hoffnung gesetzt hatten, dass diese ihre Probleme beseitigen würden. Die
Performance der Politik nimmt aber stetig ab. Das liegt einmal an den immer komplexer und schwieriger werdenden Problemen, die eben nicht mehr allein national
oder lokal zu lösen sind, sondern mehr und mehr miteinander vernetzt und durch
internationale Ereignisse beeinflusst werden, wie die weltweite Finanzkrise, ausgelöst durch eine Immobilienblase in den USA, gezeigt hat. Die Wähler bekommen
den Eindruck, dass ihre Politiker unfähig sind oder, wenn es ganz schlimm kommt,
auch unwillig sind, sich mit den Problemen der Menschen zu beschäftigen.
Hinzu kommt, dass einige Politiker auch wirklich weniger an Problemlösungen
und Gestaltung interessiert sind, sondern vielmehr an der unkontrollierten Ausübung von Macht, an Korruption und Bereicherung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Insgesamt ergibt sich damit gerade auch für repräsentative Demokratien eine
hohe Gefährdung, denn wenn Wähler sich enttäuscht von Parteien und Politikern
abwenden, ist eine repräsentative Demokratie nicht länger funktionsfähig. Die
Politik löst sich von den Institutionen, deren Zusammenspiel in den jeweiligen
Verfassungen beschrieben ist, und besetzt Räume, die durch die Verfassung nicht
strukturiert und geregelt sind. Beispiele sind dafür das Auftreten von Verfassungsbrechern als Diktatoren oder Präsidenten mit lebenslangen Machtgelüsten96 aber
auch der Übergang zur Cyberdiktatur, das heißt der Machtergreifung durch Massenbewegungen im Web 2.097, 98.
Es kommt also darauf an, dass zur Sicherstellung einer funktionierenden
Kommunikation zwischen Politik und Wählern Vertrauen geschaffen wird, weil
jede Kommunikation zur Vermittlung eines Zielimages scheitern muss, wenn die
Zielperson der Botschaft von vornherein die Botschaft als unglaubwürdig und als
Lüge einstuft.
Der Soziologe Niklas Luhmann führt aus, dass Vertrauen ein „Mechanismus
zur Reduktion sozialer Komplexität“ und zudem eine „riskante Vorleistung“ sei.99
Immer dann, wenn eine rationale Abwägung von Informationen, wegen hoher
Komplexität, wegen Zeitmangels oder wenn Informationen überhaupt nicht vorhanden sind, nicht möglich ist, befähigt Vertrauen eine Person dennoch zu einer
Entscheidung, die dann allerdings auf Intuition und Emotion basiert. Die vertrauende
Person erwartet von demjenigen, dem sie vertraut, dass der andere seine Freiheit,
sein Potenzial seiner Handlungsmöglichkeiten in dem Sinne handhabt, wie er es
angekündigt hat. Das bedeutet, dass die vertrauende Person sich nicht mit eigenen Abwägungen beschäftigen muss, sondern dieses einer anderen Person überlässt. Und hier liegt nach Luhmann eine riskante Vorleistung vor, da es ja durchaus
vorkommen kann, dass die Vertrauensperson das Vertrauen ausnutzt und anders
handelt, als angekündigt.
Vertrauen ist aber Grundlage für das repräsentative demokratische System, wie
vorher schon ausgeführt. Deshalb muss es ein wesentliches Ziel von Parteien und
96
97
98
99
Oliver Diehl, Wolfgang Muno (Hg.): Venezuela unter Chávez – Aufbruch oder Niedergang?
Vervuert 2005.
Minha Kim: Cyberculture of Postmaterialism and political participation, Review of Korean
Studies, Volume 10 Number 4 (December 2007)
Dalton, Russell J.: „The Decline of Party Identifications“ In Parties without Partisans: Political
Change in Advanced Industrial Democracies, Oxford University Press, 2000
Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. UTN, Stuttgart
2000, ISBN 3825221857, S. 27
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Politikern sein, Vertrauen zu schaffen und zu bewahren. Zum Vertrauen gehört Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit. Man muss sich auf das Handeln verlassen können.
Dazu muss man wissen oder zumindest fühlen, wie die Person oder Partei in einer
bestimmten Situation handeln wird. Ist das Handeln in Wirklichkeit nicht offenkundig und einfach zu durchschauen, ist es Pflicht desjengen, dem die Menschen
vertrauen, sein Handeln transparent zu machen und zu erklären.
15.7 Das funktionale Argument
Ein weiteres Entscheidungskriterium für Wähler kann die Funktion der Partei in der
zukünftigen politischen Landschaft sein. Besonders in parlamentarischen Systemen
spielen Koalitionsüberlegungen eine entscheidende Rolle. Hier wird in bestimmten
Wählerschichten sehr taktisch gewählt. Das bedeutet, dass die Wahl davon abhängig gemacht wird, welche Rolle die zu wählende Partei in der Zukunft spielen
will und ob diese Partei die eigentlich präferierte Partei bei der Erreichung oder
Stabilisierung von Macht unterstützen wird. Solche sogenannten Koalitions- und
Situationswähler setzen ihre Stimmen nicht nach ihrer politischen Überzeugung
ein, sondern nach koalitionsarithmetischen Überlegungen.
Solche Überlegungen können im einzelnen sein:
1. Ich helfe mit meiner Stimme der Partei X über eine Sperrklausel, weil diese
Partei meine Lieblingspartei unterstützen wird.
2. Ich wähle die Partei X, weil diese in der Koalition mit meiner Lieblingspartei
deren Alleinherrschaft und damit möglichen Machtmissbrauch meiner Partei
verhindert.
3. Ich wähle die Partei X, weil diese in einer geplanten Koalition mit der Partei Y,
deren Ziele ich hasse, das Schlimmste verhindern kann. Ich mache dieses, weil
ich weiß, dass meine Lieblingspartei nicht die Mehrheit erhält.
Solche funktionalen Argumente zeigen nie eine Bindung an die zu wählende
Partei. Sie sind unter anderen Bedingungen, die bei einer späteren Wahl jederzeit
eintreten können, sehr oft nicht mehr wirkungsvoll und führen zu schweren Verlusten. Das bedeutet, dass das funktionale Argument in besonderen Situationen ein
große Rolle spielen kann, dass aber die Bindung von stabilen Wählern an die Partei
im wesentlichen über das Bedürfnis- und Kompetenzargument und über Vertrauen
in die personellen Angebote erreicht werden muss und nicht über das Funktionsargument. Dennoch kann das Funktionsargument besonders in der Endphase von
Wahlkämpfen eine wichtige Rolle bei der Optimierung von Ergebnissen spielen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
15.8 Das personelle Argument
Ein oftmals entscheidendes Argument für die Wahlentscheidung ist das personelle
Argument. Das trifft vor allem in den Gesellschaften zu, in denen Politik im wesentlichen als ein Produkt von verschiedenen Persönlichkeiten gesehen wird.
In diesen Ländern, in denen die Person vor Programm und Partei kommt, und
das sind fast alle Länder mit präsidentiellen Systemen, aber auch viele Länder mit
hohen Persönlichkeitsanteilen auf der regionalen und lokalen Ebene, kommt es vor
allem darauf an, die Kandidaten positiv zu positionieren. Hier entfällt zum großen
Teil das Bedürfnisbefriedigungsargument und auf jeden Fall das Funktionsargument. Eine wichtige Rolle spielt aber das Kompetenzargument, allerdings nicht in
der Schärfe, die es in der Kombination mit Programmelementen hat. Hier geht es
mehr um eine allgemeine Kompetenz, die dazu führen soll, dass der Politiker für
fähig gehalten wird, das Land zu regieren und damit um Vertrauen.
Beim Einsatz des personellen Arguments spielt vor allem die Vertrauenswürdigkeit des Kandidaten eine Rolle. Im Zielimage sind daher alle Komponenten, die
für die Vertrauensbildung notwendig sind, darzulegen.
Mit dem personellen Argument im Zielimage positioniert man den Kandidaten
gegenüber den Konkurrenzkandidaten. Hier gelten auch die strategischen Regeln
für offensive und defensive Verhaltensweisen. Im offensiven Fall muss deutlich ein
Unterschied zu anderen Kandidaten gezeigt werden. Im defensiven Fall muss versucht werden, die Eigenschaften des gegnerischen Kandidaten weitgehend zu kopieren. Im personellen Bereich geht es hauptsächlich um folgende Eigenschaften:
–
Kompetenz
–
Ehrlichkeit
–
Verbundenheit
–
persönliche Eigenschaften
–
besondere Fähigkeiten
Bei der Kompetenz muss entschieden werden, welche Kompetenz herausgestellt werden soll. Es kann sich um Fachkompetenz, Managementkompetenz, Kompetenz im Umgang mit Menschen, kommunikative Kompetenz oder Kompetenz des
gesunden Menschenverstandes handeln. Ob der Kandidat die Kompetenz wirklich
hat oder nicht, spielt dabei keine so große Rolle, weil man Kompetenzmerkmale in
der Öffentlichkeitsarbeit relativ leicht herstellen kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bei der Frage der Ehrlichkeit treten schon wesentlich mehr Probleme auf. Das
liegt vor allem daran, dass Politiker in den Augen der Öffentlichkeit vorwiegend
als unehrlich, korrupt und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht angesehen werden. Das generelle Image der Politiker ist bei den meisten Wähler schlecht. Das ist
auch einer der Gründe warum Antikorruptionsargumente im Wahlkampf von Parteien und Politikern meistens nicht ernst genommen werden und damit auch als
überzeugendes wahlentscheidendes Argument entfallen. Natürlich wünscht sich
der Wähler ehrliche und nicht korrupte Politiker. Deshalb ist eine Aussage über die
Ehrlichkeit auch notwendig. Dennoch glauben die Wähler nicht an diese Aussagen.
Es ist daher auch nicht anzuraten, das Thema Korruption und Unehrlichkeit gegen
die Gegenkandidaten einzusetzen.
Es hat zum Beispiel mehrfach Präsidentschaftswahlkämpfe wie in Venezuela
gegeben, bei denen völlig klar und bewiesen war, dass einer der Kandidaten das
Land ausgeraubt und viel Geld durch Korruption verdient hatte. Dennoch wurde
dieser Kandidat wiedergewählt.
Dagegen spielt die Verbundenheit mit einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung oder dem Wahlkreis eine sehr wichtige Rolle. Viele Wähler wollen einen
Kandidaten, der einer von ihnen ist. Er soll die Probleme der Gruppe oder der Region kennen, er soll so fühlen, wie die Wähler. Deshalb ist es immer von Nachteil,
wenn in Direktwahlkreisen Kandidaten aufgestellt werden, die nicht im Wahlkreis
wohnen. Ist das trotzdem notwendig, muss versucht werden, eine Beziehung zum
Wahlkreis herzustellen (früherer Wohnort, Arbeitsstelle, Verwandtschaft, Vereinstätigkeit usw.).
Bei den weiteren persönlichen Eigenschaften muss entschieden werden, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen und welche Vorstellungen diese von
einem idealen Kandidaten haben. Hier können Elemente, wie „Familienvater” (Wer
kennt nicht die Bilder vom Kandidaten mit Frau und Kindern.), „sportlich” (Wer kennt
nicht die Bilder vom joggenden Clinton.), „heimatverbunden” (Wer kennt nicht die
Bilder vom bayrischen Kandidaten in Tracht oder mit Lederhose.) oder „mutig”, „erfahren”, „erfolgreich”, „immer gut angezogen” usw. verwandt werden.
Darüber hinaus kann es noch besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten geben,
die für Wähler ohne besonderes politisches Interesse und besonders dann, wenn die
Angebote der Kandidaten sich stark ähneln, wahlentscheidend sein können.
Dazu gehört entweder eine gewisse Berühmtheit zum Beispiel als Sänger (Ruben
Blades als Kandidat in Panama), als Schauspieler (Ronald Reagan in den USA), als
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Formel 1 Fahrer (Reuttemann in Argentinien) oder als Astronaut, als Tennisspieler
usw. oder es genügt die Zugehörigkeit zu einer Familie.
Der Familienname wird oft zum Markenzeichen, besonders in bestimmten Ländern, in denen Politikerfamilien vorherrschend sind.
Beispiele sind hier die Gandhi-Familie in Indien, die Bandaranaike-Familie in
Sri Lanka, die Zavalía-Familie in der Provinz Santiago de Estero in Argentinien, die
Bhutto-Familie in Pakistan usw.
In einigen Ländern sind es Familiennamen, die zwar nicht so bekannt sind, die
aber allein schon ausreichen, um in einem Wahlkreis zu gewinnen, wie in Süd-Korea
oder den Philippinen, oder die Zugehörigkeit zu einem Stamm. Nicht nur in Afrika
und in arabischen Ländern, sondern auch in anderen stark durch Ethnien geprägten
Ländern ist die Zugehörigkeit zu einem Stamm oder zu einer Ethnie ausreichend,
um gewählt zu werden oder im umgekehrten Fall, wenn der Stamm zu klein ist, um
nie die Chance zu haben, gewählt zu werden. Die ethnische Bindung dominiert in
vielen Gesellschaften und lässt politische Unterschiede verblassen. So ist es trotz
massiver Unterstützung von multiethnischen Parteien durch das Ausland in Bosnien
Herzegowina nicht gelungen, eine solche Partei mit Erfolg zu etablieren.
15.9 Imageanpassung an das Idealimage der Bevölkerung
Um über die personellen Imageanforderungen der Bevölkerung und die Imagefaktoren der Kandidaten nähere Informationen zu erhalten, können Umfragen durchgeführt werden, die zumeist befriedigende Ergebnisse zeigen, wenn der Bekanntheitsgrad der Kandidaten groß genug ist.
Die in der nachfolgenden Grafik dargestellte Situation ist das Ergebnis einer
Umfrage bei einem Präsidentschaftswahlkampf. Wie man sehen kann, ist der Kandidat 1nur im Bereich der Kompetenz von der Idealfigur, wie die Bevölkerung sich
einen Präsidenten wünscht, entfernt. Es wird also Aufgabe der Imagekorrektur sein,
diese Kompetenzwerte anzuheben. Die anderen Kandidaten sind in allen Bereichen
weit von der Idealform entfernt. Es ist daher strategisch anzuraten, sich intensiv
im Wahlkampf dem personellen Image zu widmen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Imageumfrageergebnisse
15.10 Das interne Zielimage
Neben dem externen Zielimage sollte auch ein internes Zielimage entwickelt werden, das sich besonders den Bedürfnissen und Erwartungen der Mitgliedschaft und
der Funktionsträger der Partei oder den Bedürfnissen und Erwartungen der Mitarbeiter von Organisationen und Regierungen widmet.
Dabei ist klar, dass sich das externe Zielimage nicht von dem internen so unterscheiden darf, dass Widersprüche auftreten. Das interne Zielimage ist ein Zusatz zum externen Zielimage, der im Rahmen einer internen Kampagne verwandt
werden soll, und beschreibt, wie das Ziel der Organisation, das Klima in der Organisation, die Zusammenarbeit mit der Führung oder dem Kandidaten und der
Managementstil aussieht. Beim internen Zielimage geht es also um Bereiche wie
Klima, Stil, Partizipation, Disziplin, Ent- und Belohnungen, Siegeszuversicht, Stärkung des Selbstwertgefühls usw.
Das interne Zielimage, wird ähnlich wie die interne Motivationskampagne im
politischen Raum zumeist sträflich vernachlässigt. Besonders bei Parteien, die öffentliche interne Wahlen bestreiten wollen oder müssen, ist das Zusammenführen
der verschiedenen Flügel nach den internen Wahlen eine sehr wichtige Aufgabe, die
nur mit Hilfe eines internen Zielimages erfolgreich durchgeführt werden kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
15.11 Die Evaluierung des Zielimages
Ähnlich wie bei den Teilstrategien und den Zielen muss auch das Zielimage evaluiert werden. Dabei gibt es eine Form der Evaluierung, die sich damit beschäftigt,
wie das Zielimage in die Gesamtstrategie passt. Dabei sind folgende Überprüfungen
durchzuführen:
1. Verfolgt das Zielimage den Auftrag der Strategie?
2. Sind die in den Teilstrategien festgelegten Angriffsfelder im Zielimage verankert?
3. Sind die Angriffsfelder mit den strategischen Vorteilen verbunden und konzentrieren sich die Argumente auf die Bedürfnisbefriedigung, auf die Kompetenz,
auf die Funktionalität oder auf die Person?
4. Ist das Zielimage in der geplanten Kampagnenzeit realisierbar? Hier geht es
um die Überprüfung, wie weit das Zielimage vom realen Image der Organisation oder der Person entfernt ist. Ist der Abstand unrealistisch groß, lässt sich
das angestrebte Image durch die geplante Kampagne nicht erreichen. Unter
solchen Umständen wäre es besser, das Zielimage näher an das reale Image
heranzubringen.
Die zweite Evaluierung des Zielimages befasst sich mehr mit formalen Fragen.
Hier sind folgende Überprüfungen vorzunehmen:
1. Ist das Zielimage zu kurz oder zu lang? Ein Zielimage sollte etwa eine Schreibmaschinenseite lang sein. Wenn ein internes Zielimage angehängt ist, sollte es
eineinviertel Seite möglichst nicht überschreiten. Zu lange Zielimages beinhalten
zu viele Informationen, die im Rahmen einer Kampagne kaum in die Köpfe der
Bevölkerung oder der Wähler transferiert werden können. Ist das Zielimage zu
kurz (weniger als eine halbe Seite) kann vermutet werden, dass die Präsentation
der Argumente unzureichend ist.
2. Ist das Zielimage so abgefasst, dass es durch die Augen der Empfänger gesehen
wird? Das Zielimage muss so formuliert sein, als würde ein Bürger die Partei,
die Regierung oder den Kandidaten beschreiben.
3. Ist die Sprache des Zielimages verständlich? Entspricht die Sprache dem
Sprachverhalten der Bürger oder ist hier eine typische Politikersprache, Bürokratensprache oder Parteisprache gewählt worden. Es ist zu überprüfen, ob jeder
einzelne Begriff von allen verstanden werden kann, oder ob sich Fachchinesisch
eingeschlichen hat.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4. Ist das Zielimage emotional aufgeladen? Das Zielimage darf nicht kalt, rational und technokratisch wirken, sondern muss soweit es irgend möglich ist,
emotionale Elemente aufnehmen. Die meisten Entscheidungen des Menschen
und besonders Wahlentscheidungen fallen nicht nach einem rationalen Abwägungsprozess, sondern hoch emotional. Um diese Entscheidungsebene möglichst
einfach zu erreichen, muss auch die Emotionalität im Zielimage spürbar sein.
5. Benutzt das Zielimage die richtigen Bezeichnungen und Titel und vermeidet
diskriminierende Begriffe oder Begriffe, die unangenehme Konnotationen100
haben? Hier geht es um die Evaluierung der einzelnen Worte. Werden Titel
verwandt, sind diese richtig? Sind die Organisationsbezeichnungen und mögliche
Abkürzungen richtig? Wird irgendjemand durch die Wortwahl unabsichtlich
diskriminiert? Gibt es bei bestimmten Worten Konnotationen, die im jeweiligen
kulturellen Umfeld zu negativen Reaktionen führen können.
Bei der Evaluierung des Zielimages darf es keine Kompromisse geben. Da das
Zielimage später die Grundlage für alle Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit ist,
kann durch ein fehlerhaftes Zielimage die gesamte Kampagne zerstört werden.
15.12 Beispiele
In den folgenden Beispielen werden zunächst vier Zielimages vorgestellt, die aus
der praktischen Arbeit des Beraters kommen. Sie sind soweit Personen, Orte und
Organisationen betroffen sind, verfremdet. Die einzelnen Abschnitte der vorgestellten Zielimages werden kommentiert und im einzelnen begründet.
15.12.1 Beispiel: Zielimage für die NW-Partei
Die Neue Weg Partei (NWP) ist eine führende Partei in der Koalitionsregierung und
Faktor der Stabilität in Nordland. Die NWP übernahm in allen Regierungen seit der
Unabhängigkeit Verantwortung für Freiheit, Fortschritt und eine erfolgreiche Überleitung aus der kommunistischen Herrschaft. Die NWP ist eine kraftvolle Partei,
die sich kürzlich mit einer jungen und dynamischen Führung und kreativen Ideen
selbst aufgefrischt hat.
Die NWP will Nordland in eine Zukunft mit Wohlstand führen. Deshalb wird
die NWP in allen denjenigen Gebieten investieren, die bessere Lebensbedingungen
100 Konnotation bedeutet in der Semantik Nebenbedeutung. „Hund“ und „Köter“ sind ein Beispiel,
wobei „Köter“ eine negative Konnotation hat. Auf diese Konnotationen muss besonders bei der
Arbeit in unterschiedlichen Kulturkreisen geachtet werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
für die Menschen in Nordland schaffen: Bessere Erziehung mit besseren Chancen
einen attraktiven Arbeitsplatz zu bekommen. Bessere Möglichkeiten für die Menschen für sich selbst und ihre Familien zu sorgen. Bessere Infrastruktur und Investitionen, um die Lücke zwischen dem Verdienst und den Lebenshaltungskosten zu
schließen. Um diese Zukunftschancen zu eröffnen, ist die NWP auch bereit, Haushaltsdefizite hinzunehmen.
Die NWP ist die einzige Partei, die die Integration in die Europäische Union
will. Sie will den Nordländern die Chance zu geben, die Sicherheit und den Schutz
Europas zu genießen, und einen größeren Markt mit mehr Möglíchkeiten, neue und
bessere Arbeitsplätze zu schaffen.
Die NWP wird ein politisches System mit mehr Durchschaubarkeit, Offenheit
und Beteiligung und ohne Ungerechtigkeit einführen. Die NWP kämpft gegen unkontrollierte Staatsmonopole, die Wohlstand und Wachstum zerstören.
Die NWP ist überzeugt, dass eine Person allein die Hoffnungen der Nordländer nicht erfüllen kann. Die NWP weiß, dass alle Bürger und die politischen Kräfte
zusammen arbeiten müssen, um ein besseres Leben für die Menschen in Nordland
zu erreichen.
Die NWP ist eine offene, dynamische und saubere Partei, mit berechenbaren,
professionellen, erfahrenen und kompetenten Kandidaten. Die NWP hat Experten für
alle Bereich der Politik und ist darauf vorbereitet, die Regierung zu übernehmen.
Mit dem Team von Harald Haraldsen als Kandidat für den Ministerpräsidenten,
mit Knut Knudsen als Parteivorsitzenden und Christa Christensen als Kandidatin für
die Parlamentspräsidentin hat die NWP ein junges, kreatives und erfahrenes Team
mit neuen Ideen, um die Probleme der Menschen in Nordland zu lösen. Dieses Team
wird die NWP zu einer erfolgreichen Wahl führen.
Alle Bürger von Nordland, die eine bessere Zukunft mit besserer Lebensqualität
haben wollen, müssen deshalb die NWP und ihre Kandidaten wählen.
Diskussion
Vorbemerkungen: Es handelt sich in diesem Zielimage um eine Partei, die sich
gerade in einer schweren Krise befand. Es gab interne Konflikte in der Führung, die
Bereitschaft der Wähler die Partei zu wählen, ging dramatisch zurück. Die Partei
0OLITISCHE3TRATEGIEN
drohte unter die Sperrklausel von 5 % abzusinken. Das Wahlrecht ist ein reines Verhältniswahlrecht.
Die Neue Weg Partei (NWP) ist eine führende Partei in der Koalitionsregierung
und Faktor der Stabilität in Nordland. Die NWP übernahm in allen Regierungen seit
der Unabhängigkeit Verantwortung für Freiheit, Fortschritt und eine erfolgreiche
Überleitung aus der kommunistischen Herrschaft. Die NWP ist eine kraftvolle Partei,
die sich kürzlich mit einer jungen und dynamischen Führung und kreativen Ideen
selbst aufgefrischt hat.
Im ersten Absatz wird zunächst die Partei beschrieben. Sie ist Regierungspartei
und war in allen Regierungen seit der Unabhängigkeit. Deshalb wird die Partei mit
den Imagekomponenten „Faktor der Stabilität” belegt. Gleichzeitig wird das Wort
„Verantwortung” mit der Partei verbunden.
Die ständige Regierungsbeteiligung hat in der Partei natürlich zu gewissen Abnutzungserscheinungen geführt. Gleichzeitig brachen interne Konflikte auf. Deshalb
musste gegen diese negativen Imagefaktoren gegengesteuert werden. Deshalb wird
von der „Auffrischung” mit einer „jungen und dynamischen Führung” und von „kreativen Ideen” gesprochen.
Die NWP will Nordland in eine Zukunft mit Wohlstand führen. Deshalb wird die
NWP in allen denjenigen Gebieten investieren, die bessere Lebensbedingungen für
die Menschen in Nordland schaffen: Bessere Bildung mit besseren Chancen einen
attraktiven Arbeitsplatz zu bekommen. Bessere Möglichkeiten für die Menschen
für sich selbst und ihre Familien zu sorgen. Bessere Infrastruktur und Investitionen,
um die Lücke zwischen dem Verdienst und den Lebenshaltungskosten zu schließen.
Um diese Zukunftschancen zu eröffnen, ist die NWP auch bereit, Haushaltsdefizite
hinzunehmen.
Die zentrale Botschaft hier ist die Bereitschaft „Haushaltsdefizite hinzunehmen”
wenn dadurch „bessere Lebensbedingungen für die Menschen in Nordland” erreicht
werden. Hier stellt sich die Partei gegen Konkurrenzparteien, die das Diktat des IWF
und der EU zur Vermeidung von Haushaltdefiziten hinnehmen. Hier wird also eine
Position eingenommen, die sich deutlich von anderen Parteien unterscheidet. Um
das attraktiv zu machen, wird dieser Vorschlag mit einigen Vorteilen („Zukunftschancen”) für die Bürger verbunden, wie unter anderem „Bessere Erziehung, um
attraktivere Arbeitsplätze zu bekommen”, „Lücke zwischen Verdienst und Lebenshaltungskosten schließen”.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die NWP ist die einzige Partei, die die Integration in die Europäische Union
will. Sie will den Nordländern die Chance zu geben, die Sicherheit und den Schutz
Europas zu genießen, und einen größeren Markt mit mehr Möglíchkeiten, neue und
bessere Arbeitsplätze zu schaffen.
In diesem Absatz wird ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zur Abgrenzung zu
anderen Parteien vorgestellt. Die EU-Integration, die hier mit Vorteilen für die Büger „Sicherheit und Schutz Europas” ,„neue und bessere Arbeitsplätze” verbunden
wird. Die EU-Integration ist allein zu schwach, um wählerattraktiv zu sein. Deshalb
müssen die Vorteile hinzugefügt werden.
Die NWP wird ein politisches System mit mehr Durchschaubarkeit, Offenheit
und Beteiligung und ohne Ungerechtigkeit einführen. Die NWP kämpft gegen unkontrollierte Staatsmonopole, die Wohlstand und Wachstum zerstören.
Mit diesem Absatz versucht die Partei sich von dem aktuellen Koalitionspartner
abzugrenzen, das heißt einen Binnenwahlkampf zu starten. Das ist wichtig, weil zur
Zeit der Wahl auch ein Referendum gegen ein Gesetz zur Integration einer fremden
Ethnie läuft. Mit dem Bekenntnis zu „Beteiligung” und gegen „Ungerechtigkeit”
nimmt die Partei damit Stellung gegen das Referendum, das teilweise von den Koalitionspartnern unterstützt wird.
Mit dem Hinweis auf „unkontrollierte Staatsmonopole” grenzt sie sich gegen
die schleppende Privatisierungspolitik eines Koalitionspartners ab und weist diesem
damit die Schuld an der „Zerstörung von Wohlstand und Wachstum” zu.
Die NWP ist überzeugt, dass eine Person allein die Hoffnungen der Nordländer nicht erfüllen kann. Die NWP weiß, dass alle Bürger und die politischen Kräfte
zusammen arbeiten müssen, um ein besseres Leben für die Menschen in Nordland
zu erreichen.
Dieser Absatz dient der Abgrenzung zu einer neu entstandenen Partei, die unter
einem charismatischen Führer steht, der dafür bekannt ist, dass er nicht mit anderen
gemeinsam arbeiten kann und sich ständig überschätzt.
Die NWP ist eine offene, dynamische und saubere Partei, mit berechenbaren,
professionellen, erfahrenen und kompetenten Kandidaten. Die NWP hat Experten für
alle Bereich der Politik und ist darauf vorbereitet, die Regierung zu übernehmen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dieser Absatz dient der Förderung der Kompetenz und der Anmeldung auf den
Führungsanspruch in einer Koalition. „Ist darauf vorbereitet, die Regierung zu übernehmen.” Dieser Anspruch kann nur deswegen realistisch gestellt werden, weil die
Partei zur Zeit an der Regierung ist, sie aber nicht leitet. Der Anspruch auf Führung
wird bei steigenden Umfragedaten dann immer realistischer.
Mit dem Team von Harald Haraldsen als Kandidat für den Ministerpräsidenten,
mit Knut Knudsen als Parteivorsitzenden und Christa Christensen als Kandidatin für
die Parlamentspräsidentin hat die NWP ein junges, kreatives und erfahrenes Team
mit neuen Ideen, um die Probleme der Menschen in Nordland zu lösen. Dieses Team
wird die NWP zu einer erfolgreichen Wahl führen.
Mit der Präsentation eines Trios (alles Leute, die sich früher nicht ausstehen
konnten und sich intern bekämpft haben) wird gegen das Negativimage der zerstrittenen Partei vorgegangen und das Team als „jung, kreativ und erfahren” vorgestellt. Den besten Ausdruck fand dieser Absatz in einem gemeinsamen Plakat der
drei Kandidaten.
Alle Bürger von Nordland, die eine bessere Zukunft mit besserer Lebensqualität
haben wollen, müssen deshalb die NWP und ihre Kandidaten wählen.
Mit der Wahlaufforderung, in der noch einmal der qualitative Teil des Auftrages
der Strategie wiederholt wird, schließt das Zielimage. Eine solche Wahlaufforderung
muss bei Wahlkampf-Zielimages immer formuliert werden, weil sie ein wichtiger
Teil der Botschaft ist.
15.12.2 Beispiel: Zielimage für eine Bürgermeisterwahl in Herwald.
Die Freie Wählergemeinschaft Herwald (FWG) ist die für alle Bürger offene, parteifreie Vertretung der Bürger im Rat der Stadt Herwald. Die FWG tritt mit ihrem
Fraktionsvorsitzenden Heinz Roser als Bürgermeisterkandidat bei der nächsten
Kommunalwahl an, um im Herwalder Filz endlich aufzuräumen und die Stadt mit
ihren Stadtteilen fit für die Zukunft zu machen.
Heinz Roser und die FWG werden die Bürger der Stadt von bürokratischen Fesseln und unnützen Regulierungen befreien, damit die Bürger so frei handeln können, dass es ihnen und der gesamten Stadt nützt. Damit wollen Heinz Roser und
die FWG die Verwaltung so modernisieren, dass sie endlich bürgerfreundlich und
sparsam wird, um auch Steuern und Gebühren senken zu können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Heinz Roser und die FWG werden Schluss machen mit der Ökodiktatur, um
den Verkehr wieder zum Fließen zu bringen und den Handel und die Wirtschaft
zum Blühen, damit man in Herwald wieder arbeiten, einkaufen und attraktiv leben
kann. Dazu werden Heinz Roser und die FWG auch den Kampf aufnehmen für mehr
Sauberkeit und Sicherheit für die Bürger.
Heinz Roser und die FWG werden der Jugend bessere Zukunftschancen geben,
durch weniger Unterrichtsausfall, mehr Angebote in Sport, Kultur und Freizeit und
durch mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
Der in Herwald geborene Bürgermeisterkandidat Heinz Roser ist ein erfolgreicher
Geschäftsmann, der mit seinen juristischen Kenntnissen und seinen Managementfähigkeiten alle Kompetenzen als Verwaltungschef mitbringt. Er engagiert sich seit
langem im sozialen und ehrenamtlichen Bereich und genießt das Vertrauen all
derjenigen, die professionelle Hilfe erwarten.
Die Kandidaten der FWG sind kompetente und engagierte Vertreter ihrer Stadtteile. Deshalb müssen alle Bürger, die für eine bessere Zukunft für Herwald und
seine Bürger sind, die Kandidaten der FWG in den Rat und den Bürgermeisterkandidaten Heinz Roser wählen.
Diskussion
Vorbemerkungen: Es handelt sich hier um eine Bürgermeisterwahl im Direktwahlverfahren. Es gewinnt derjenige, der im ersten Wahlgang über 50 % der Stimmen
erhalten hat oder derjenige, der im zweiten Wahlgang mit den beiden stimmstärksten Kandidaten mehr als 50 % erhält.
Die Freie Wählergemeinschaft ist keine etablierte Partei, sondern eine kommunale
parteiähnliche Vereinigung, die zur Zeit schon im Rat der Stadt vertreten ist und
sich dort in der Opposition befindet.
Die Freie Wählergemeinschaft Herwald (FWG) ist die für alle Bürger offene,
parteifreie Vertretung der Bürger im Rat der Stadt Herwald. Die FWG tritt mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Heinz Roser als Bürgermeisterkandidat bei der nächsten
Kommunalwahl an, um im Herwalder Filz endlich aufzuräumen und die Stadt mit
ihren Stadtteilen fit für die Zukunft zu machen.
Im ersten Absatz wird zunächst der Kandidat mit seinem aus dem Strategieauftrag entwickelten qualitativen Oberziel „im Filz aufräumen” und „die Stadt
0OLITISCHE3TRATEGIEN
mit den Stadtteilen fit machen” vorgestellt. Hier wird zunächst ein Thema (Filz)
aufgegriffen, das normalerweise den Parteien zugeordnet wird. Eine Wählervereinigung grenzt sich damit deutlich von etablierten Parteien ab. Das zweite Thema
(Stadtteile) zeigt die Orientierung der Vereinigung. Es geht um die Vertretung von
Bürgerinteressen in den Stadtteilen und nicht um parteiorientierte Politik. Auch
hier eine deutliche Abgrenzung.
Heinz Roser und die FWG werden die Bürger der Stadt von bürokratischen Fesseln und unnützen Regulierungen befreien, damit die Bürger so frei handeln können, dass es ihnen und der gesamten Stadt nützt. Damit wollen Heinz Roser und
die FWG die Verwaltung so modernisieren, dass sie endlich bürgerfreundlich und
sparsam wird, um auch Steuern und Gebühren senken zu können.
In diesem Absatz wird das Thema „Deregulierung” angepackt, das sich in den Begriffen „Befreiung der Bürger von bürokratischen Fesseln und unnützen Regulierungen” zeigt und damit direkt die Bürger anspricht. Um den Vorteil noch deutlicher
zu machen, wird eine Verwaltungsreform angekündigt, die aber nicht allein steht,
sondern die Vorteile „bürgerfreundlich” und noch mehr wirksam „Steuern und Gebühren senken” an die Reform koppelt. Mit diesem Thema kann sich die Vereinigung
gegen die herrschenden Parteien im Rat deutlich abgrenzen, weil diese natürlich die
Verantwortung für Bürokratie und zu hohe Steuern und Gebühren haben.
Heinz Roser und die FWG werden Schluss machen mit der Ökodiktatur, um
den Verkehr wieder zum Fließen zu bringen und den Handel und die Wirtschaft
zum Blühen, damit man in Herwald wieder arbeiten, einkaufen und attraktiv leben
kann. Dazu werden Heinz Roser und die FWG auch den Kampf aufnehmen für mehr
Sauberkeit und Sicherheit für die Bürger.
Das Wort „Ökodiktatur” ist ein wenig benutztes Wort. Damit wird zunächst Aufmerksamkeit erzeugt. Dieser Absatz wendet sich gegen eine Koalition aus zwei Parteien, bei denen die ökologische Partei eine Vielzahl von Vorschriften durchgesetzt
hat, die zu einem Zusammenbruch des Autoverkehrs geführt haben, aber auch zu
Problemen bei Handel und Wirtschaft. Um in der Stadt wieder „attraktiv zu leben”
und um „einkaufen” und „arbeiten” zu können, muss die „Ökodiktatur” abgeschafft
werden. Damit ist eine sehr emotionale Abgrenzung zu den beiden verantwortlichen
Parteien erreicht.
Heinz Roser und die FWG werden der Jugend bessere Zukunftschancen geben,
durch weniger Unterrichtsausfall, mehr Angebote in Sport, Kultur und Freizeit und
durch mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
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Das wesentliche Stichwort heißt in diesem Absatz „Unterrichtsausfall”. Das Wort
wirkt auf Eltern sehr emotional, weil sie die Erziehung ihrer Kinder und damit deren Zukunft gefährdet sehen. Gleichzeitig sind alle Gegenkandidaten „Lehrer” und
werden damit beschuldigt, den Unterrichtsausfall teilweise zu verursachen.
Der in Herwald geborene Bürgermeisterkandidat Heinz Roser ist ein erfolgreicher
Geschäftsmann, der mit seinen juristischen Kenntnissen und seinen Managementfähigkeiten alle Kompetenzen als Verwaltungschef mitbringt. Er engagiert sich seit
langem im sozialen und ehrenamtlichen Bereich und genießt das Vertrauen all derjenigen, die professionelle Hilfe erwarten.
In diesem Absatz wird zunächst einmal mit „in Herwald geboren” Verbundenheit
mit der Stadt demonstriert. Im übrigen wird die Kompetenz des Kandidaten und die
Vertrauensbildung gefördert.
Die Kandidaten der FWG sind kompetente und engagierte Vertreter ihrer Stadtteile. Deshalb müssen alle Bürger, die für eine bessere Zukunft für Herwald und
seine Bürger sind, die Kandidaten der FWG in den Rat und den Bürgermeisterkandidaten Heinz Roser wählen.
In diesem Absatz erfolgt wiederum die notwendige Wahlaufforderung und die
Einbeziehung der Stadtteilkandidaten in den Wahlkampf des Bürgermeisters.
15.12.3 Beispiel: Zielimage für die Stadt Santa Mar
Santa Mar ist die Hauptstadt von Surland. In Surland, dem Herz des Mercosur finden
wir die offenste und am wenigsten regulierte Wirtschaft, unbegrenzte Möglichkeiten für Unternehmer mit umfangreichen finanziellen Hilfen und mit niedrigen
Steuern. Surland bietet niedrige Kosten für Arbeit und soziale Sicherheit und die
niedrigsten Energiepreise.
Santa Mar ist eine sichere Stadt ohne jegliche ethnische Unruhen, aber mit
gut ausgebautem Kommunikationsnetz, einem sehr guten Schulsystem und guten
Transporteinrichtungen.
Die Stadtverwaltung von Santa Mar hat interessante Projekte für Kapitaleigner,
Firmen und Nichtregierungsorganisationen aus allen Teilen der Welt und aus Surland.
Diese Projekte konzentrieren sich auf die Schaffung einer besseren Infrastruktur
und die Anhebung der Lebensbedingungen für die Bürger von Santa Mar.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Stadtverwaltung von Santa Mar ist eine korruptionsfreie Zone. Sie hilft
Investoren und Firmen ihren Weg durch den Dschungel von bürokratischen Widerständen der Zentralregierung zu finden. Das Investionsförderungsbüro ist wirkungsvoll und gut informiert. Alle Fragen und Zweifel über Projekte können dort
sofort beantwortet und ausgeräumt werden.
Der Bürgermeister von Santa Mar und sein Team sind offen, kreativ und modern. Ihre pragmatische Sicht in die Zukunft macht den Weg frei für leichte, unbürokratische und schnelle Entscheidungen.
Es ist immer eine gute Idee einen Blick auf die Angebote der Stadtverwaltung
von Santa Mar zu werfen und sich daran zu beteiligen, weil sie immer gute Resultate bringen und sich für private Investoren lohnen.
Diskussion
Vorbemerkung: Dieses Zielimage ist für eine Stadt entwickelt worden und in diesem Zusammenhang für eine spezielle Zielgruppe. Dabei handelt es sich um potentielle Investoren. Das Ziel der Stadt ist es, bei nationalen und internationalen Präsentationen Investoren anzulocken. Dazu wurde eine offensive Strategie entwickelt.
Santa Mar ist die Hauptstadt von Surland. In Surland, dem Herz des Mercosur finden wir die offenste und am wenigsten regulierte Wirtschaft, unbegrenzte
Möglichkeiten für Unternehmer mit umfangreichen finanziellen Hilfen und mit
niedrigen Steuern. Surland bietet niedrige Kosten für Arbeit und soziale Sicherheit
und die niedrigsten Energiepreise.
Hier wird zunächst die Stadt und ihre Lage vorgestellt. Es handelt sich um eine
Stadt in einem Land in Lateinamerika, das zum Mercosur gehört. Zugleich werden
hier schon wesentliche Attraktionen für die Zielgruppe gezeigt, wie „Hauptstadt”,„am
wenigsten regulierte Wirtschaft”, „niedrige Kosten und Energiepreise”. Damit werden
schon deutliche Unterschiede zu anderen Wettbewerbern gezeigt.
Santa Mar ist eine sichere Stadt ohne jegliche ethnische Unruhen, aber mit
gut ausgebautem Kommunikationsnetz, einem sehr guten Schulsystem und guten
Transporteinrichtungen.
In diesem Absatz wird die Stadt abgegrenzt zu anderen Städten mit dem Hinweis
auf „Sicherheit” und keine „ethnischen Unruhen”. Positive Attraktionen werden geboten über das „Schulsystem, das Kommmunikationsnetz und das Transportsystem.”
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Die Stadtverwaltung von Santa Mar hat interessante Projekte für Kapitaleigner,
Firmen und Nichtregierungsorganisationen aus allen Teilen der Welt und aus Surland.
Diese Projekte konzentrieren sich auf die Schaffung einer besseren Infrastruktur
und die Anhebung der Lebensbedingungen für die Bürger von Santa Mar.
In diesem Absatz werden die Investoren direkt mit den Projekten in Verbindung
gebracht, die eine positive Wirkung für die Menschen im Lande haben. Damit wird
das Bedürfnis vieler Kapitaleigner angesprochen, die ihr Geld zwar in profitable
Geschäfte stecken wollen, dabei aber gleichzeitig das Image des „Gutes tun” mitnehmen wollen.
Die Stadtverwaltung von Santa Mar ist eine korruptionsfreie Zone. Sie hilft
Investoren und Firmen ihren Weg durch den Dschungel von bürokratischen Widerständen der Zentralregierung zu finden. Das Investionsförderungsbüro ist wirkungsvoll und gut informiert. Alle Fragen und Zweifel über Projekte können dort
sofort beantwortet und ausgeräumt werden.
Hier werden wichtige Bedürfnisse von Investoren angesprochen, wie „korruptionsfreie Zone, Führung durch die Bürokratie und kompetente Partner”.
Der Bürgermeister von Santa Mar und sein Team sind offen, kreativ und modern. Ihre pragmatische Sicht in die Zukunft macht den Weg frei für leichte, unbürokratische und schnelle Entscheidungen.
Die Bedürfnisbefriedigung der Investoren wird hier ergänzt um die personelle
Komponente. Der „Bürgermeister und sein Team” sind „pragmatisch” und „machen
den Weg frei”.
Es ist immer eine gute Idee einen Blick auf die Angebote der Stadtverwaltung
von Santa Mar zu werfen und sich daran zu beteiligen, weil sie immer gute Resultate bringen und sich für private Investoren lohnen.
In diesem Absatz wird, ähnlich wie bei einer Wahlaufforderung eine Aufforderung zum Handeln ausgesprochen. Das ist ein wesentlicher Aspekt. Denn es genügt
nicht ein gutes Image zu verbreiten, solange die Zielgruppe nicht konkret weiß, was
sie tun soll.
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15.12.4 Beispiel: Zielimage für eine Regierung.
Die Regierung Alberto Rubin (RAR) ist die demokratisch gewählte, rechtmäßige
Regierung von Mittelland. Die von der Aufbaupartei geführte Regierung der nationalen Allianz will nationale Einheit und Versöhnung. Die RAR lädt jeden, der beim
Wiederaufbau des Landes mithelfen will, ein und weist niemanden zurück.
Die RAR setzt auf Freiheit und Toleranz, auf Eigeninitiative und Gerechtigkeitssinn bei der friedlichen Entwicklung dieses von Ausbeutung und Eigennutz, von
Verfolgung und Gängelung geschundenen Landes.
Die RAR bekämpft Korruption und schützt privates Eigentum in Mittelland. Sie
führt Recht und Gesetz nach langen Jahren der Ungerechtigkeit und Tatenlosigkeit
in Mittelland wieder ein und bringt so den Menschen in diesem Land Sicherheit
und Gerechtigkeit.
Die RAR nutzt wirtschaftlichen Fortschritt und Ausbau der sozialen Leistungen
dazu, um den Familien in Mittelland mehr Sicherheit in ihrem täglichen Kampf ums
Überleben zu bringen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.
Die RAR weiß, dass ihre Maßnahmen von den Machthabern der Vergangenheit
mit allen Mitteln bekämpft werden. Diese wollen ihre eigenen Privilegien schützen und die Menschen in Mittelland weiter ausbeuten und für ihre persönlichen
Zwecke missbrauchen.
Die RAR ist mutig. Sie lässt sich nicht durch Gewalt, Drohungen und Manipulation bei ihrem Kampf zum Abbau von Privilegien, Auflösung von ausbeuterischen
Monopolen und Schaffung von Sicherheit und Gerechtigkeit einschüchtern.
Die RAR hat mit Arturo Rubin einen Präsidenten, der trotz aller Anfeindungen
mit seiner Regierung auf der Seite des Volkes steht und mit seinen fähigen und
ehrlichen Ministern Mittelland in eine bessere Zukunft führen wird. Die RAR verdient die Unterstützung des Volkes in ihrem täglichen Kampf gegen die Vertreter
der Vergangenheit und bei allen Wahlen der Zukunft.
Diskussion
Vorbemerkung: Bei diesem Zielimage geht es um eine Regierung, die unter
starkem Druck der ehemaligen Machthaber steht. Es handelt sich dabei um eine präsidentielle Demokratie, deren Präsident in einem Bündnis mehrerer Parteien gewählt
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wurde, um die bisherige Machtclique abzulösen. Die Regierung zeigt unter dem Druck
und den Drohungen der bisher Mächtigen Auflösungserscheinungen.
Die Regierung Alberto Rubin (RAR) ist die demokratisch gewählte, rechtmäßige
Regierung von Mittelland. Die von der Aufbaupartei geführte Regierung der nationalen Allianz will nationale Einheit und Versöhnung. Die RAR lädt jeden, der beim
Wiederaufbau des Landes mithelfen will, ein und weist niemanden zurück.
In diesem Absatz geht es darum deutlich zu machen, das die Regierung die legitime „demokratisch gewählte” Regierung ist. Hier wird auch deutlich gemacht, dass
niemand ausgegrenzt wird und somit die Arme der Regierung für jedermann offen
sind. Das ist gegenüber dem früheren Regime anders, weil damals eine Ausgrenzung
und Verfolgung stattfand.
Die RAR setzt auf Freiheit und Toleranz, auf Eigeninitiative und Gerechtigkeitssinn bei der friedlichen Entwicklung dieses von Ausbeutung und Eigennutz, von
Verfolgung und Gängelung geschundenen Landes.
Hier geht es um die Übernahme einer Reihe von Stichworten, die bei einer Umfrage als besonders wichtig für die Bevölkerung herausgearbeitet wurden. „Freiheit”,
„Toleranz”, „Gerechtigkeit”, „Frieden”. Als besonders negativ für die Vergangenheit
erwiesen sich die Begriffe „Ausbeutung”, „Eigennutz”, „Verfolgung” und „Gängelung”. Mit dieser Gegenüberstellung wird die neue Regierung deutlich von der alten
abgegrenzt.
Die RAR bekämpft Korruption und schützt privates Eigentum in Mittelland. Sie
führt Recht und Gesetz nach langen Jahren der Ungerechtigkeit und Tatenlosigkeit
in Mittelland wieder ein und bringt so den Menschen in diesem Land Sicherheit
und Gerechtigkeit.
Auch hier werden weitere Vorteile für den Bürger dargestellt. Im wesentlichen
wird der Begriff „Sicherheit” eingeführt, der für viele Bürger im Land ein wichtiges
Ziel ist.
Die RAR nutzt wirtschaftlichen Fortschritt und Ausbau der sozialen Leistungen
dazu, um den Familien in Mittelland mehr Sicherheit in ihrem täglichen Kampf ums
Überleben zu bringen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In diesem Absatz zeigt die Regierung, wie sie die Basisbedürfnisse der Bürger
befriedigen will. Durch die Formulierung „in ihrem täglichen Kampf ums Überleben”
wird eine Dramatik eingebracht, die stark emotionalisiert.
Die RAR weiß, dass ihre Maßnahmen von den Machthabern der Vergangenheit
mit allen Mitteln bekämpft werden. Diese wollen ihre eigenen Privilegien schützen und die Menschen in Mittelland weiter ausbeuten und für ihre persönlichen
Zwecke missbrauchen.
In diesem Absatz wird das Feindbild aufgebaut. Es geht hier darum, die Regierung mit dem Bürger in ein Boot zu bringen und den alten Kräften die Schuld für
alle Aggressionen zuzuweisen.
Die RAR ist mutig. Sie lässt sich nicht durch Gewalt, Drohungen und Manipulation bei ihrem Kampf zum Abbau von Privilegien, Auflösung von ausbeuterischen
Monopolen und Schaffung von Sicherheit und Gerechtigkeit einschüchtern.
In diesem Absatz wird die Antwort auf die Aggression gegeben. Die Regierung
ist „mutig”, sie lässt sich nicht „einschüchtern”. Die Botschaft für die Bürger ist, dass
niemand Angst haben muss. Die Regierung „kämpft” und wird alle Angriffe zurückschlagen.
Die RAR hat mit Arturo Rubin einen Präsidenten, der trotz aller Anfeindungen
mit seiner Regierung auf der Seite des Volkes steht und mit seinen fähigen und
ehrlichen Ministern Mittelland in eine bessere Zukunft führen wird. Die RAR verdient die Unterstützung des Volkes in ihrem täglichen Kampf gegen die Vertreter
der Vergangenheit und bei allen Wahlen der Zukunft.
Mit diesem Absatz wird noch einmal deutlich gemacht, dass das Volk und die
Regierung zusammengehören. Und dass eine „bessere Zukunft” vor dem Volk liegt.
Dazu muss das Volk allerdings die Regierung „unterstützen”.
15.12.5 Beispiel: Wie man ein Zielimage nicht schreiben sollte.
Die LFP ist eine Partei in Mülldorf. Sie ist eine Partei, die im verschlafenen Mülldorf
den Bürgern Dampf machen will, um den Anschluss an die Entwicklung anderer
Städte endlich zu schaffen. Die LFP tritt mit Ronald Mayer als Kandidat an.
Mit ihm präsentiert die LFP einen selbständigen Unternehmensberater, der
weiß was man mit Mülldorf machen muss, um die Gemeinde zu sanieren. Mit sei0OLITISCHE3TRATEGIEN
ner Managementerfahrungen als Sanierer von maroden Betrieben hat er bewiesen,
dass er sich durchsetzen kann.
Ronald Mayer kennt die Sorgen und Nöte der Stadt und weiß, wie wichtig die
heutigen Entscheidungen für die Zukunft der Stadt sind. Mit Ronald Mayer wird
Mülldorf Aufsehen erregen im gesamten Kreis und im Land.
Ronald Mayer und die LFP wollen Schluss machen mit dem Firlefanz der Natur- und Denkmalschützer, die den Prozess der Umgestaltung der Stadt doch nur
aufhalten.
Ronald Mayer und die LFP wollen den Haushalt wieder ausgleichen. Sie werden
dazu die Mittel aus dem Ausgleichsfonds des Landes benutzen und gleichzeitig eine
konsequente Sparpolitik für Mülldorf einleiten. Dazu müssen Steuern und Gebühren
erhöht werden. Vor allem müssen die ehrgeizigen Pläne der bisherigen Koalition
aus SWP und ARD zum Ausbau eines umfangreichen Sportstättenkomplexes, mit
Schwimmbad, Turn- und Sporthallen gestoppt werden.
Wir wollen den Bürgern zeigen, dass sie auch für sich selbst sorgen können
und nicht ständig am Tropf der Gesellschaft hängen müssen.
Die Kandidaten der LFP sind kompetente und engagierte Vertreter einer Idee
des Zurückschraubens von Ansprüchen der Bürger gegenüber der Stadt. Deshalb
müssen alle Bürger, die für eine realistische Zukunft für Mülldorf und seine Bürger
sind, die Kandidaten der LFP und Ronald Mayer als Bürgermeister wählen.
15.12.6 Diskussion
Das hier gezeigte Beispiel ist ein fiktives Zielimage, dass in dieser Form bisher noch
nicht existiert hat. Es dient ausschließlich dazu, Fehler bei der Zielimageformulierung zu zeigen.
Die LFP ist eine Partei in Mülldorf. Sie ist eine Partei, die im verschlafenen Mülldorf den Bürgern Dampf machen will, um den Anschluss an die Entwicklung anderer
Städte endlich zu schaffen. Die LFP tritt mit Ronald Mayer als Kandidat an.
Die Positionierung der LFP in Mülldorf gelingt mit dem ersten Satz nicht. „Eine
Partei” ist zu unscharf und grenzt nicht ab.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Im zweiten Satz wird versucht die Partei klarer zu beschreiben. Allerdings geschieht das mit einem Angriff auf die Bürger und die Stadt mit den Begriffen „verschlafen” und „den Bürgern Dampf machen”. Dadurch wird das Selbstwertgefühl
vieler Bürger verletzt, was negative Reaktionen zur Folge hat.
Auch der Hinweis auf die Entwicklung anderer Städte, an die man endlich anschließen soll, fördert nicht das Selbstwertgefühl.
Im letzten Satz wird Ronald Mayer als Kandidat vorgestellt. Aber für welche
Funktion?
Mit ihm präsentiert die LFP einen selbständigen Unternehmensberater, der
weiß was man mit Mülldorf machen muss, um die Gemeinde zu sanieren. Mit seiner Managementerfahrungen als Sanierer von maroden Betrieben hat er bewiesen,
dass er sich durchsetzen kann.
In diesem Absatz wird nun der Kandidat näher beschrieben. Seine Kompetenz
wird allerdings eher als Bedrohung für den Bürger gezeigt. „Er weiß, was man machen muss”. Was ist hier nicht gesagt, so dass die Zukunft im Dunkeln liegt. Gleichzeitig „kann er sich durchsetzen”. Hier stellt sich die Frage: Gegen wen, womöglich
gegen die Bürger?
Ronald Mayer kennt die Sorgen und Nöte der Stadt und weiß, wie wichtig die
heutigen Entscheidungen für die Zukunft der Stadt sind. Mit Ronald Mayer wird
Mülldorf Aufsehen erregen im gesamten Kreis und im Land.
Im Mittelpunkt dieses Absatzes steht die Zukunft der Stadt und nicht die der
Bürger. Es geht ihm auch nicht um das Wohl der Bürger, sondern um das „Aufsehen”,
das „erregt” wird.
Ronald Mayer und die LFP wollen Schluss machen mit dem Firlefanz der Natur- und Denkmalschützer, die den Prozess der Umgestaltung der Stadt doch nur
aufhalten.
Hier wird ein direkter Angriff in negativer Form auf bestimmte Bürgergruppen
gemacht. Dabei wird nicht positiv beschrieben, was denn danach wirklich passiert.
Wo liegt hier der Vorteil für die Bürger? Der Begriff „Umgestaltung der Stadt” hat
keine qualitative Note und ist auch in der Formulierung zu kalt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ronald Mayer und die LFP wollen den Haushalt wieder ausgleichen. Sie werden
dazu die Mittel aus dem Ausgleichsfonds des Landes benutzen und gleichzeitig eine
konsequente Sparpolitik für Mülldorf einleiten. Dazu müssen Steuern und Gebühren
erhöht werden. Vor allem müssen die ehrgeizigen Pläne der bisherigen Koalition
aus SWP und ARD zum Ausbau eines umfangreichen Sportstättenkomplexes, mit
Schwimmbad, Turn- und Sporthallen gestoppt werden.
In diesem Absatz versteckt sich ein oft zu findender Fehler. Eigentlich ist die
Haushaltssanierung sicherlich positiv. Sie lässt sich aber mit der „Erhöhung von
Steuern und Gebühren” und dem „Stop des Sportstättenkomplexes” nicht positiv
verkaufen. Trotz aller Ehrlichkeit, die in diesem Absatz steckt, wird hier nur negativ
abgegrenzt, was zur Folge hat, dass der Wähler diejenige Partei nicht wählt, die ihm
Steuererhöhungen und Nichterfüllung von Bedürfnissen verspricht.
Ein weiterer Fehler ist die Benutzung von Worten, mit denen der Bürger nichts
anfangen kann, wie den „Ausgleichsfonds des Landes”.
Grundsätzlich gilt, dass man möglichst die konkurrienden Parteien nicht im
eigenen Zielimage nennt. In diesem Fall wird das besonders schlimm, weil die Parteien im Zusammenhang mit einem von den Bürgern offensichtlich gewünschten
Sportkomplex genannt werden.
Wir wollen den Bürgern zeigen, dass sie auch für sich selbst sorgen können
und nicht ständig am Tropf der Gesellschaft hängen müssen.
Hier finden wir zwei klasssische
Fehler. Erstens
Erstens wird
wird der
der Blick
Blick durch die Augen
klassische Fehler.
der Bürger
verlassen.
Das
„Wir”
muss
ersetzt
werden
durch
„Ronald
Mayer
undund
die
Bürger verlassen. Das „Wir” muss ersetzt werden durch „Ronald
Mayer
LFP”.LFP”.
Zweitens
gelingt
es ines
diesem
Absatz,
die Bürger
durchdurch
zum Beispiel
„am Tropf
die
Zweitens
gelingt
in diesem
Absatz,
die Bürger
zum Beispiel
„am
der Gesellschaft
hängen”
so negativ
zu positionieren,
dass die
Wahrscheinlichkeit
Tropf
der Gesellschaft
hängen”
so negativ
zu positionieren,
dass
die Wahrscheinder Wahlder
beträchtlich
abnimmt.
lichkeit
Wahl beträchtlich
abnimmt.
Die Kandidaten der LFP sind kompetente und engagierte Vertreter einer Idee
des Zurückschraubens von Ansprüchen der Bürger gegenüber der Stadt. Deshalb
müssen alle Bürger, die für eine realistische Zukunft für Mülldorf und seine Bürger
sind, die Kandidaten der LFP und Ronald Mayer als Bürgermeister wählen.
In diesem Absatz wird noch einmal die negative Einstellung der Kandidaten gegenüber den Bürgern ausgedrückt. Sie sind „kompetent” im „Zurückschrauben von
Ansprüchen der Bürger”.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Im allerletzten Satz wird erst deutlich, dass Ronald Mayer Kandidat für das
Bürgermeisteramt ist.
Wie könnte dieses Zielimage richtig und positiv formuliert aussehen?
Die Liberale Freiheitspartei (LFP) ist die Partei der unabhängigen Bürger in
Mülldorf. Sie ist die Partei, die Mülldorf das Ansehen verschaffen will, das die
Stadt verdient. Dazu will sie gemeinsam mit den Bürgern initiativ werden, um die
Führung unter den Städten in der Region zu übernehmen. Die LFP tritt mit Ronald
Mayer als Kandidat für das Bürgermeisteramt an.
Mit ihm präsentiert die LFP einen selbständigen Unternehmensberater, der
weiß, wie Arbeitsplätze geschaffen werden, wie Einnahmen erhöht werden und
wie durch eine Reform der Verwaltung die Gemeinde saniert werden kann. Mit
seinen Managementerfahrungen als erfolgreicher Sanierer von gefährdeten Betrieben hat er bewiesen, dass man Sanierung auch menschlich und sozial verträglich
durchführen kann.
Ronald Mayer kennt die Sorgen und Nöte der Stadt und weiß, wie wichtig die
heutigen Entscheidungen für die Zukunft der Stadt, seiner Bürger und vor allem der
Jugend sind. Mit Ronald Mayer als Bürgermeister wird Mülldorf Ansehen erringen,
so dass die Menschen in Mülldorf stolz auf ihre Stadt sein können.
Ronald Mayer und die LFP wollen Schluss machen mit überflüssigen Regulierungen, die die Bürger und die Stadt daran hindern, die Stadt so umzugestalten,
dass der Verkehr wieder fließen kann, die Wirtschaft und der Handel wieder blühen
und die Menschen in Mülldorf arbeiten, einkaufen und attraktiv leben können.
Ronald Mayer und die LFP wollen den Haushalt sanieren durch höhere Einnahmen vom Land, durch mehr Steuereinnahmen von einer florierenden Wirtschaft und
durch angemessene Preise für die effektiv erbrachten und qualitativ guten Dienstleistungen der Stadt. Sie wollen gleichzeitig Abstand nehmen von Prestigeobjekten,
die nur dem Ansehen von Politikern dienen und nicht der übergroßen Mehrheit der
Bürger in Mülldorf. So gewinnt Mülldorf finanziellen Spielraum für die Aufgaben,
die die Stadt wirklich leisten muss.
Ronald Mayer und die LFP wollen die Bürger befreien von der Bevormundung
durch die Verwaltung und Bürokratie. Sie werden ihnen die Freiheit geben, die sie
brauchen, um ihre Eigeninitiative entfalten zu können, für sich selbst und in ihren
Stadtteilen und Nachbarschaften.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Kandidaten der LFP sind kompetente und engagierte Vertreter der Bürger,
die Verantwortung übernehmen wollen, für eine dynamische Entwicklung der Stadt.
Deshalb müssen alle Bürger, die eine bessere Zukunft für Mülldorf und seine Bürger
wollen, die Kandidaten der LFP und Ronald Mayer als Bürgermeister wählen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
:IELGRUPPEN
Zielgruppen beschreiben Teilgruppen der Gesamtöffentlichkeit. Sie dienen dazu
den Kommunikationsprozess so zu steuern, dass möglichst hohe Reichweiten bei
möglichst geringen Streuverlusten erzielt werden.
Der umgangssprachlich oft verwendete Begriff „die Öffentlichkeit“ ist zu weit
gefasst, denn für die Botschaft einer Partei (Zielimage) interessieren sich nie alle
Menschen und darüber hinaus ist es sinnlos zu versuchen, alle Menschen anzusprechen.
Nicht wahlberechtigte Kinder und Jugendliche oder nicht wahlberechtigte
Ausländer sind keine geeignete Zielgruppe für eine Partei, die eine Wahlkampfstrategie entwickelt. Wohl können Themen dieser Gruppen eine Rolle spielen, aber
Zielgruppen können sie sinnvollerweise nicht sein.
Auch müssen sich politische Organisationen und Kandidaten darüber klar sein,
dass jeder ihrer Vorschläge auf Zustimmung, aber auch auf heftige Ablehnung stoßen wird.101 Gruppen, die den politischen Ideen ablehnend gegenüberstehen, können in einem Wahlkampf nicht Zielgruppen sein. Anders ist das bei langfristigen
Strategien und Kampagnen, bei denen Überzeugungsarbeit geleistet werden soll.
Hier können auch ablehnende Gruppen zu Zielgruppen werden, um ihre Meinung
langfristig durch Bildung zu beeinflussen.
Zielgruppenansprache bedeutet also, die Energie und Kraft erfolgsversprechend
zu bündeln und damit Ressourcen zu schonen.
Wie findet man nun die Zielgruppen? Wer interessiert sich besonders für die
Aussagen, die die Organisation verbreiten möchte? Wer interessiert sich für das
Produkt, das die Partei, der Kandidat, die Regierung oder eine andere Organisation
anbietet.
Das geschieht einmal dadurch, dass untersucht wird, welche sozialen Gruppen
in der Gesellschaft von einer Aussage im Zielimage besonders angezogen wird. Das
herauszufinden ist ständige Aufgabe der Marktforschung102.
101 Siehe Kapitel 3.1 Kampf um Macht und Einfluss.
102 Die Marktforschungsinstrumente sind im Kapitel 20.1 „Aufklärung und Informationsbeschaffung“
ausführlich dargestellt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bei den Zielgruppen handelt es sich zunächst immer um Gruppen von Menschen mit bestimmten klar definierten Eigenschaften. Wir nennen sie die sozialen
oder auch die Lebensstil-Zielgruppen. Diese Zielgruppen können im wesentlichen
erreicht werden über vier Zugänge. Dabei handelt es sich um den
1. formalen Zugang (Organisationen, Verbände, Vereine, usw.),
2. informellen Zugang (Aufenthaltsorte)
3. medialen Zugang (Medien) und
4. elektronischen Netzzugang (Internet, Web 2.0, Soziale Netze).
Dabei können diejenigen, die den jeweiligen Zugang verwalten, selbst zu Zielgruppen werden. Im formalen Zugang zeigt sich das dann in einer konsequenten
Vereins- und Verbandsarbeit, bei informellen Zugang zeigt sich das in der Öffentlichkeitsarbeit vor Ort und beim medialen in der Kontaktpflege zu Medienvertretern.
Beim elektronischen Netzzugang geht es um den direkten Kontakt zu gesellschaftlichen Netzwerken mit Hilfe von Internet, E-Mail, SMS und den bekannten Netzen
wie Facebook, twitter, Xing usw.
Soziale
Zielgruppen
Formaler
Zugang
Informeller
Zugang
Lebensstilzielgruppen
Medialer
Zugang
Elektronischer
Netzzugang
Zielgruppentypen und Zielgruppenzugang
16.1 Soziale Zielgruppen
Soziodemographen teilen die Gesellschaft in soziodemographische Sektoren auf.
Diese Sektoren stellen soziale Zielgruppen dar. Sie können groß und klein geschnitten sein. Kriterien für solche Sektoren sind:
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–
Geschlechtsspezifische Unterscheidung: Männer, Frauen
–
Altersmäßige Unterscheidung: Menschen in bestimmten Altersklassen wie 1120jährige, 21-30jährige, usw. oder Jugendliche, Alte, Kinder
–
Wohnorttypische Unterscheidung: Menschen auf dem Lande, Großstädter,
Kleinstädter, Menschen in Stadtrandsiedlungen
–
Berufsmäßige Unterscheidung: Berufsgruppen, arbeitslose Menschen, Unterbeschäftigte, Teilzeitarbeiter, Arbeiter, Angestellte, Beamte, Selbständige,
mithelfende Familienangehörige
–
Einkommensmäßige Unterscheidung: nach Einkommensklassen
–
Glaubensmäßige Unterscheidung: Christen, Muslime, Buddhisten usw., evangelisch, katholisch usw., Angehörige von Sekten, kein Mitglied
–
Standesmäßige Unterscheidung: verheiratet, ledig, geschieden, verwitwet, mit
Kindern, ohne Kinder
–
Unterscheidung nach Mitgliedschaften: Gewerkschaftsmitglied, Parteimitglied,
Mitglieder von Verbänden und Vereinen
–
Unterscheidung nach Bildungsniveau: Schulabschlüsse, Ausbildung, Studium
Durch „und”-Kombinationen der Sektoren können die Gruppen verkleinert und
weiter spezifiziert werden. Ein Ablauf einer solchen Spezifizierung könnte wie folgt
aussehen:
1. Stufe: Frau
2. Stufe: Frau, geschieden
3. Stufe: Frau, geschieden, mit 1 Kind
4. Stufe: Frau, geschieden, mit 1 Kind, teilzeitbeschäftigte Beamtin
5. Stufe: Frau, geschieden, mit 1 Kind, teilzeitbeschäftigte Beamtin, Großstädterin
So können sehr spezifische Zielgruppen entwickelt werden, deren Bedürfnisse
auch entsprechend spezifisch sind. Wenn es gelingt, solche Zielgruppen auch spezifisch erreichen zu können, wird es möglich auf die Zielgruppe ausgerichtete Botschaften ohne Streuverlust an diese zu schicken.
Durch „oder-Kombinationen” können Zielgruppen mit vergleichbaren Bedürfnissen auch miteinander verbunden werden. So haben zum Beispiel Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe manchmal gemeinsame Interessen und Bedürfnisse,
0OLITISCHE3TRATEGIEN
andererseits kann man auch spezielle Freiberufler aneinander koppeln, wenn sie
ähnliche Bedürfnisse haben. Das gilt zum Beispiel für die Gruppe Rechtsanwälte,
Ärzte, Architekten, die zum Beispiel in Steuerfragen ähnliche Probleme haben, die
aber nicht in der Gesamtgruppe der Freiberufler zusammenzufassen sind, weil bestimmte Freiberuflergruppen, zum Beispiel Künstler, andere Bedürfnisse haben.
Es kann angenommen werden, dass eindeutig definierte Zielgruppen ähnliche
oder sogar identische Bedürfnisstrukturen haben oder bestimmte gemeinsame Erwartungen an die Zukunft oder an das Handeln von Politikern oder Regierungen.
Die Bedürfnis- und Erwartungsstrukturen in einer definierten Zielgruppe gehen
immer weiter auseinander je größer die Zielgruppe wird. Deswegen sind große
soziale Zielgruppen als Instrument zur Vermittlung von Botschaften, die sich auf
Bedürfnisbefriedung oder Erwartungserfüllung beziehen, nicht geeignet.
Beispiel: Die Gesamtgruppe der Frauen ist in ihrer Bedürfnisorientierung und bei
den Erwartungen sehr unterschiedlich. Es gibt große Unterschiede in der Wertehaltung, die von ihrem sozialen Umfeld geprägt wurde. So werden Frauen an den Universitäten ganz anders auf die Frage der Gleichberechtigung reagieren, als Frauen in
ländlicher Umgebung mit traditioneller Gesellschaftsform. Was bei der einen Gruppe
unproblematisch ist und Zustimmung findet, löst in der anderen Gruppe Angst aus
und wird abgelehnt.
Auch bei der Gruppe der Jugendlichen gibt es solche Probleme. Hier spielen Faktoren wie soziales Niveau, Ausbildung, Arbeit. soziales Umfeld, usw. eine entscheidende Rolle für die Einschätzung von Politik und bei der politischen Entscheidung.
Wegen der großen Unterschiede in diesen Zielgruppen, die auch um die Gruppe
der Alten erweitert werden kann, sind umfassende Kampagnen, wie zum Beispiel
eine Frauenkampagne oder eine Jugendkampagne von Parteien oder Regierungen
immer ein Reinfall gewesen. Die erwarteten Ergebnisse konnten nicht erzielt werden, weil die Ansprache zu unspezifisch war und die Bedürfnisstrukturen nur immer
eine Teilgruppe der Hauptzielgruppe wirklich positiv erreichte.
16.2 Lebensstil-Zielgruppen
Das bei den großen sozialen Zielgruppen auftretende Problem der unterschiedlichen
Wertehaltungen innerhalb einer Gruppe wird durch das Konzept der Lebensstilzielgruppen gelöst.
Die Untersuchung von Lebensstilen und Milieus ist ein relativ neuer Forschungsansatz, der sich für Fragen einer sich ausdifferenzierenden und pluralisiernden
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Gesellschaft eignet. Er erweitert Untersuchungen zu Schichten und Klassen um
Orientierungen. Der Begriff des Lebensstils103 geht zurück auf Max Weber. Die moderne Definition der Lebensstile nach Sefan Hradil geht davon aus, dass sich Milieus
durch Lebenstile differenzieren lassen.
So werden die sozialen Milieus Unterschicht, untere Mittelschicht, mittlere Mittelschicht, obere Mittelschicht und Oberschicht kombiniert mit Wertorientierungen
wie traditionelle Grundorientierung „Bewahren”, materielle Grundorientierung
„Haben”, Hedonismus „Genießen”, Postmaterialismus „Sein” und Postmodernismus
„Haben, Sein und Genießen”104.
Dieses Modell führt zu folgenden Milieubeschreibungen:
Oberschicht
Konservatives
gehobenes M.
Technokratisch liberales Milieu
Obere
Mittelschicht
Mittlere
Mittelschicht
Aufstiegsorientiertes Milieu
Kleinbürgerliches
Milieu
Alternatives
Milieu
Neues
ArbeitnehmerMilieu
Untere
Mittelschicht
Hedonistisches
Milieu
Traditionsloses
Arbeitermilieu
Traditionelles
Arbeitermilieu
Unterschicht
Traditionelle
Orientierung
„Bewahren“
Materielle
Orientierung
„Haben“
Hedonismus
„Genießen“
Postmaterialismus
„Sein“
Postmodernismus
„Haben, Sein,
Genießen“
Milieubeschreibung
103 Andreas Klocke: Sozialer Wandel, Sozialstruktur und Lebenstile in der Bundesrepublik Deutschland, 1993.
104 Quelle: Sinus Heidelberg 1994.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Mit Hilfe dieser Milieus gelingt es besser, politische Themen an die richtigen
Zielgruppen zu vermitteln. Die hier vorgestellten Lebensstilkategorien sind nur ein
Beispiel. Es gibt von anderen Institutionen auch andere Formen von Lebenstilbeschreibungen. So beschreibt Thomas Gensicke105 folgende Lebensstile:
–
Berufsorientierter Materialist. Dieser konzentriert sich voll auf den beruflichen
Erfolg. Dieser soll durch den Gang in die Selbständigkeit und beruflichen Aufstieg
erreicht werden. Hoher Verdienst soll den Lebensabend sichern. Selbstentfaltung,
Hedonismus, Familienleben und Kinder werden dahinter zurückgestellt.
–
Engagierter Idealist. Dieser ist motiviert zu verstärkter politischer und kultureller Aktivität. Damit wird die Verschlechterung der eigenen Lebenssituation
kompensiert und versucht, die gesellschaftlichen Bedingungen menschlicher
und lebenswerter zu gestalten.
–
Individualistischer Hedonist. Er ist bereit zur territorialen und beruflichen
Mobilität. Dabei wird jedoch weniger ein sozialer Aufstieg und eine überdurchschnittliche Einkommenserhöhung angestrebt. Vielmehr handelt es sich
um eine Strategie des Ausweichens vor Problemen ohne größere Steigerung
der beruflichen Anstrengungen und Ansprüche. Freiräume des Privaten und
hedonistische Entfaltung werden verteidigt.
–
Perspektivlos Resignierter. Hier liegt ein Rückzug aus dem öffentlichen und
beruflichen Bereich vor und ein Absenken der Ansprüche. Ausgenommen sind
die Erwartungen auf Transferzahlungen.
–
Aktiver Realist. Dieser zeigt auf allen Gebieten erhöhte Aktivität. Berufliches,
kulturelles, politisches und Freizeitengagement gehen Hand in Hand. Eigenverantwortung und Selbstentfaltung sind dabei die Hauptbedürfnisse.
Eine andere Beschreibung von Lebensstilzielgruppen richtet sich ein wenig
mehr an den Altersgruppen in der Gesellschaft aus. Diese Beschreibung kommt zu
folgenden Typen:
–
Aufstiegsorientierte jüngere Menschen
–
Linksliberale integrierte Postmaterialisten
–
Unauffällige eher passive Arbeitnehmer
–
Aufgeschlossene und anpassungsfähige Normalbürger
–
Gehobene Konservative
105 Thomas Gensicke: Lebenskonzepte im Osten Deutschlands, BISS public, Wissenschaftliche
Mitteilungen aus dem Berliner Institut für sozialwissenschaftliche Studien, 9/92.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Integrierte ältere Menschen
–
Postmateriell-linksalternativ eingestellte jüngere Menschen
–
Pflichtorientierte konventionsbestimmte Arbeitnehmer
–
Isolierte ältere Menschen.
Eine vom RISC Sozialforschungsinstitut in Deutschland durchgeführte Untersuchung106 über Lebensstilgruppen, denen sich mit Hilfe von Marktforschungsumfragen bestimmte Vorlieben zuordnen lassen, zeigt folgende Lebensstile:
–
Die Kulturfreudigen: ausgeglichen-autonom, ethisch-engagiert, überwiegend
Selbständige, leitende Angestellte und höhere Beamte, Einkommen eher hoch,
6,2 % der Bevölkerung
–
Die Bodenständigen: ethisch-verwurzelt, überwiegend Selbständige, leitende
Angestellte und höhere Beamte, Einkommen mittel bis hoch, 8,7 % der Bevölkerung
–
Die Genießer: individualistisch-hedonistisch: überwiegend Selbständige, Einkommen eher hoch, 3,2 % der Bevölkerung.
–
Die neuen Bürgerlichen: Konventionell, zugänglich, bürgerlich, leitende Angestellte, Beamte, Selbständige, Einkommen mittel bis hoch, 13,2 % der Bevölkerung
–
Die Trendies: impulsiv-hedonistisch, Schüler, Studenten, kleinere und mittlere
Selbständige, mittleres Einkommen, 5,4 % der Bevölkerung
–
Die Suchenden: anomisch (gesetzlos)-entwurzelt, kein klarer Schwerpunkt bei
Berufen, mittleres Einkommen, 16 % der Bevölkerung
–
Die Rechtschaffenden: rigide-traditionell, überwiegend kleine Angestellte und
Arbeiter, Einkommen eher niedrig, 14,9 % der Bevölkerung
–
Die Bescheidenen: isoliert-sicherheitsbedürftig, überwiegend Arbeiter oder
Rentner, Einkommen niedrig bis mittel, 32,4 % der Bevölkerung
Wie man an den aufgeführten Beispielen aus Deutschland sehen kann, ist
die Einteilung in Lebenstilgruppen auch von Seiten der Sozialwissenschaft immer
recht willkürlich und subjektiv. Eine standardisierte Einteilung von Lebensstilen
liegt nicht vor.
106
Quelle: Typologie der Wünsche, Intermedia 96/97 II, veröffentlicht in Focus 50/1996.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In einigen Ländern gibt es Lebensstilzielgruppenanalysen. Die meisten Länder
haben eine solche Untersuchung jedoch nicht. Das ist aber kein besonderes Problem, wenn man mit solchen Lebensstilkonzepten arbeiten will. Intensives Nachdenken über unterschiedliche Lebensstile in der Gesellschaft und die Zuordnung
von Basis-, sozialen und Sicherheitsbedürfnissen zu diesen Lebensstilen ist relativ
leicht, wenn man sich in seiner Gesellschaft ein wenig auskennt. Schwieriger wird
das aber bei den Verhaltensweisen dieser Zielgruppen und den postmateriellen
Bedürfnisstrukturen.
16.3 Ableitung von Zielgruppen aus dem Zielimage und aus den Zielen
Die Zielgruppen werden nicht wahllos ausgewählt, sondern werden konsequent aus
dem Zielimage und den Zielen abgeleitet. Die Ableitung aus dem Zielimage erfolgt
dadurch, dass man jeden Satz des Zielimages daraufhin untersucht, welche Gruppe
der Bevölkerung diesen Satz wohl attraktiv finden wird. Bei der Ableitung aus den
Zielen wird jedes Ziel daraufhin untersucht, wer bei der Zielerreichung eine Rolle
spielen wird. Daraus ergeben sich dann die Zielgruppen.
16.3.1 Beispiel für die Ableitung von Zielgruppen aus dem Zielimage
Als Beispiel werden hier einige Sätze aus dem Zielimage für den Bürgermeisterkandidaten in Herwald gewählt.
Satz aus dem Zielimage
Heinz Roser und die FWG werden die Bürger
der Stadt von bürokratischen Fesseln und
unnützen Regulierungen befreien, damit die
Bürger so frei handeln können, dass es ihnen
und der gesamten Stadt nützt.
Damit wollen Heinz Roser und die FWG die
Verwaltung so modernisieren, dass sie endlich
bürgerfreundlich und sparsam wird, um auch
Steuern und Gebühren senken zu können.
Heinz Roser und die FWG werden Schluss
machen mit der Ökodiktatur, um den Verkehr
wieder zum Fließen zu bringen und den Handel und die Wirtschaft zum Blühen, damit
man in Herwald wieder arbeiten, einkaufen
und attraktiv leben kann.
Zielgruppen
Bürger, die mit der Überregulierung schlechte
Erfahrungen gemacht haben. Dazu gehören
vor allem: Bauwillige, Bauherren, Selbstständige und Unternehmer, Grundstückseigentümer, Besucher oder Nutzer öffentlicher
Einrichtungen, Gebührenzahler
Nutzer öffentlicher Einichtungen, Steuerzahler, Gebührenzahler, Unternehmer und
Selbständige
Autofahrer, Anlieger an Straßen, die von
Staus betroffen sind, Gewerbetreibende,
Unternehmer, Geschäftsinhaber, Arbeitslose,
Käufer
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Satz aus dem Zielimage
Dazu werden Heinz Roser und die FWG auch
den Kampf aufnehmen für mehr Sauberkeit
und Sicherheit für die Bürger.
Zielgruppen
Anlieger an Parks und Straßen, in denen sich
Obdachlose herumtreiben, Hauseigentümer
Heinz Roser und die FWG werden der Jugend
bessere Zukunftschancen geben, durch weniger Unterrichtsausfall, mehr Angebote in
Sport, Kultur und Freizeit und durch mehr
Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
zukunftsorientierte Jugendliche, Schüler in
Abgangsklassen, Eltern, Lehrer, Mitglieder
von Sportvereinen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen
16.3.2 Beispiel für die Ableitung von Zielgruppen aus Zielen
Als Beispiel werden hier die in Kapitel 13.1 definierten Ziele genommen.
Ziele
Wir haben bis zum 1.10.xx 200.000 US$
als Spenden eingenommen. (Fund-RaisingGruppe)
Zielgruppen
Unternehmer, frühere Spender
Bis zum 1.7.xx haben sich 40 % unserer Mitglieder zum freiwilligen Wahlkampfeinsatz
gemeldet. (Abteilung interne Kommunikation)
Interne Zielgruppe: nicht aktive Mitglieder
Bis zum 1.3.xx ist ein modernes Gesundheitsprogramm entwickelt und genehmigt. (Abteilung Programmatik))
Fachleute für Gesundheitspolitik, Mitglieder,
die am Thema Gesundheitspolitik arbeiten
möchten.
Nach der Ableitung der Zielgruppen muss jetzt entschieden werden, auf welche
Weise man die Zielgruppen erreichen will. Dafür gibt es vier Zugänge:
–
Der formale Zugang
–
Der informelle Zugang
–
Der mediale Zugang
–
Der elektronische Netzzugang
16.4 Formaler Zugang zu Zielgruppen
Der formale Zugang zu den definierten Zielgruppen erfolgt über Organisationen,
Institutionen, Verbände, Firmen, usw., die zum Beispiel eine Satzung, eine klare
Struktur, eine Anlaufadresse oder definierte Zuständigkeiten haben. Diese formalen
Zielgruppen finden sich auf allen Ebenen, d.h. auf nationaler, regionaler und oft
auch auf lokaler Ebene, manchmal auch auf internationaler Ebene. Das bedeutet,
dass der Umgang mit diesen Zielgruppen bestimmten Ebenen nicht verschlossen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
ist. So kann der Kandidat in seinem Wahlkreis genauso gut formale Zielgruppen
finden und ansprechen, wie die nationale Partei auf nationaler oder vielleicht internationaler Ebene.
Das Aufspüren der formalen Zugänge erfolgt in der Weise, dass man die definierten sozialen oder Lebensstil-Zielgruppen daraufhin überprüft, in welchen Organisationen die Zielgruppen vertreten sind:
Soziale oder Lebensstil-Zielgruppe
Steuerzahler, Gebührenzahler
formaler Zugang
Bund der Steuerzahler, Hauseigentümerverband, Mieterverband, Unternehmerverband,
Industrie- und Handelskammer, Verbraucherorganisationen, usw.
Unternehmer, Selbständige
Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Verein der Gewerbetreibenden, usw.
Automobilclubs, Taxifahrerinnung, usw.
Lehrerverband, Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft usw.
Autofahrer
Lehrer
Klassische formale Zielgruppen sind zum Beispiel:
–
Regierung, Parlamente, Verwaltungen
–
Militärische Organisationen
–
Botschaften
–
Parteien, politische Bewegungen
–
Internationale Organisationen (Amnesty International, Green Peace, UNO,
usw.)
–
Nicht-Regierungsorganisationen (NROs)
–
Kirchen und andere religiöse Organisationen
–
Organisationen von Wissenschaft und Forschung
–
Organisationen von Bildung und Erziehung
–
Organisationen von Kunst und Kultur
–
Gewerkschaften
–
Berufsorganisationen
–
Arbeitgeberverbände
–
Beamtenverbände
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Verbraucherorganisationen
–
Frauenorganisationen
–
Jugendorganisationen
–
Ethnische Organisationen
–
Soziale Organisationen
Jede politische Organisation und jeder Kandidat sollte sich von solchen formalen Zielgruppen eine Datei anlegen, die den Namen, Ansprechpartner, Adressen,
E-Mailzugänge und Telefonnummern enthält. Bei diesen Zielgruppen ist zumeist
eine längerfristige Vertrauensarbeit erforderlich, bevor Vorteile aus den Kontakten
gezogen werden können. Regelmäßige Informationen und regelmäßige Kontakte
sind Voraussetzung dafür, diese Zielgruppen optimal nutzen zu können.
Die Ergebnisse und Vorteile einer effektiven Zielgruppenarbeit bei den formalen
Zielgruppen liegen in folgenden Bereichen:
1. Aufspüren von Opinion-Leadern und Multiplikatoren, die die an sie gerichtete
Botschaft in einem weiteren Schritt weitergeben.
2. Zugang zu Veranstaltungen der Verbände und Organisationen, um direkt Kontakt
mit den Mitgliedern der Organisation aufzunehmen.
3. Zugang zu den Medien der Organisationen und Verbände, um die Botschaft
darüber zu verbreiten.
4. Nutzung von Kommunikationswegen und Logistik solcher Einrichtungen.
In einigen Fällen sind solche Kontakte auch aus ganz anderen Gründen erforderlich. Zum Beispiel in Ländern, in denen das Militär eine besonders dominante
Rolle spielt, sind Kontakte zu militärischen Organisationen schon deswegen wichtig, um zum Beispiel zu wissen, wo die Schmerzgrenze des herrschenden Militärs
beginnt und wie weit Forderungen erhoben werden können, ohne dass gleich ein
Militärputsch bei der Übernahme von Macht in Gang gesetzt wird.
In anderen Fällen ist es notwendig die politische Arbeit auch international zu
dokumentieren, weil dadurch sowohl internationales Renommee gewonnen werden, wie in Krisensituationen auch für die eigenen Politiker ein internationales
Schutznetzwerk aufgebaut werden kann. Das kann einmal durch Kontakte zu den
internationalen Parteiorganisationen, aber auch über die im Lande tätigen Botschaften geschehen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Für die Durchführung von Kampagnen, die ressourcenschonend sein sollen,
eignen sich formale Zielgruppenzugänge sehr gut, weil es oft ausreicht, den Multiplikator in der Organisation zu informieren, der dann wiederum die Mitglieder
der Organisation informiert.
16.5 Informeller Zugang zu Zielgruppen
Informeller Zugang zu Zielgruppen ist die Konzentration auf Orte und Gruppen,
die ein gemeinsames Interesse zusammenführt und zwar zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Sie sind außerhalb des Zusammentreffens nur sehr schwer zu erreichen.
Deshalb müssen sie am Versammlungsort angesprochen werden.
Die informellen Zielgruppen sind fast immer Zielgruppen, die einen lokalen oder
regionalen Bezug haben und eben auch nur lokal erreicht werden können. Deshalb
werden solche informellen Zielgruppen zumeist auch von den örtlichen Organisationseinheiten angesprochen.
Informelle Zielgruppen sind zum Beispiel die Besucher einer Sportveranstaltung. Sie sind alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort und haben vergleichbare Interessen.
Am Beispiel, das für den formalen Zugang schon praktiziert wurde, werden hier
nun die informellen Zugänge aus den sozialen Zielgruppen abgeleitet.
soziale oder Lebensstil-Zielgruppe
informeller Zugang
Steuerzahler, Gebührenzahler
Besucher des Finanzamtes, Protestveranstaltungen von Gebührenzahlern,
Mieterversammlungen usw.
Versammlungen von Verbänden, Rotarier
usw.
Staus, Tankstellen, Taxistandplätze,
Kfz-Handel usw.
Schulen, Lehrerversammlungen, Lehrerfortbildungen usw.
Unternehmer, Selbständige
Autofahrer
Lehrer
16.6 Medialer Zugang zu Zielgruppen
Der Zugang zu Zielgruppen über Medien ist eine weitverbreitete Form. Hierbei kann
das Medium sowohl gesteuert als auch ungesteuert genutzt werden. Ungesteuert
dann, wenn man die redaktionellen Beiträge der Medien beeinflussen kann. Ge
0OLITISCHE3TRATEGIEN
steuert dann, wenn man seine Botschaft in Form von gekaufter Zeit oder gekauftem Raum verbreitet.
Auch hier sollen als Beispiel die sozialen Zielgruppen medial erreicht werden,
die schon in den früheren Darstellungen benutzt wurden.
soziale oder Lebensstil-Zielgruppe
medialer Zugang
Steuerzahler, Gebührenzahler
Haus- und Grundeigentümerzeitungen, Bausparkassenzeitungen, Verbraucherschutzzeitungen, Sendungen im Fernsehen und
Radio, die sich mit Steuern und Gebühren
beschäftigen, usw.
Wirtschaftszeitungen, Zeitungen mit großem
Wirtschaftsteil, branchenbezogene Zeitungen, Wirtschaftsendungen im Radio und
Fernsehen, IHK- und HK-Zeitungen
Automobilclub-Zeitungen, autospezifische
Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen mit
Autobezug, usw.
Zeitungen mit erziehungswissenschaftlichen
Informationen, Schulzeitungen, Zeitungen
der Verbände, usw.
Unternehmer, Selbständige
Autofahrer
Lehrer
16.7 Soziale Netzwerke und Web 2.0
Ein sich in den letzten Jahren immer mehr entwickelnder Zugangsweg zu Zielgruppen ist die im elektronischen Kommunikationsbereich liegende Möglichkeit,
in direkten Kontakt mit sozialen Netzwerken zu treten. Solche sozialen Netzwerke
sind zum Beispiel: Es existieren weit über 150 große Netzwerke, die bekanntesten
heißen Facebook, wer-kennt-wen, myspace, StudiVZ, SchuelerVZ, Xing, Stayfriends
und Twitter. Innnerhalb der großen sozialen Netzwerke gibt es Untergruppen, die
bestimmten Zielgruppen zugeordnet sein können. In kleineren, isoliert agierenen
Netzwerken besteht das Netzwerk von vornherein aus der zu erreichenden Zielgruppe.
soziale oder Lebensstil-Zielgruppe
Elektonischer Netzzugang
Steuerzahler, Gebührenzahler
Untergruppen auf den großen Netzwerken
wie Facebook, Xing, aber auch Steuerzahler.
de, steuerbar.de, regionale Mieternetzwerke
usw.
Xing.de, powerbusiness.us, Kompetenznetzwerk, Freiberuflernetzwerk.com, viele regionale Unternehmernetzwerke etc.
Unternehmer, Selbständige
0OLITISCHE3TRATEGIEN
soziale oder Lebensstil-Zielgruppe
Elektonischer Netzzugang
Autofahrer
Autofahrerblog. Autossportnetzwerk, Verkehrssicherheit.de usw.
Untergruppen auf den großen Netzwerken
wie Facebook, Linkedin, studiVZ, aber auch
Netzwerke wie Barinboom, teachernetwork,
Musiklehrernetz, Lehrerforum usw.
Lehrer
16.8 Multiplikatoren und Opinionleader
Bei der Einflussnahme auf Zielgruppen spielen sowohl bei den formalen Zugängen
wie auch bei den informellen Zugängen Multiplikatoren und Opinionleader eine
wichtige Rolle.
Angefangen hat die Diskussion über das Konzept der Meinungsführerschaft mit
einer Untersuchung über den Einfluss von Presse und Rundfunk auf die Wählermeinung der amerikanischen Präsidentschaftswahl 1940. Im Gegensatz zu der üblichen
Auffassung erwies sich der Effekt der Massenmedien auf die Meinungen der Wähler
als wesentlich geringer als der von Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen. Dabei
hatten die Meinungen, Ratschläge und Verhaltensweisen bestimmter Personen einen besonders großen Einfluss auf die Meinungsbildung ihrer Mitmenschen. Solche
Personen wurden von Lazarsfeld107 als Opinionleader (Meinungsführer) bezeichnet.
Diese Befunde führten dann zur Zwei-Stufen-Prozess-Hypothese. Danach werden Informationen aus Massenmedien auf der ersten Stufe von Meinungsführern
aufgegriffen und über persönliche Kommunikation in Primärgruppen den weniger
aktiven Mitgliedern vermittelt.
Massenmedien
Meinungsführer
Wenig
aktive
Rezipienten
Stufenprozess der Kommunikation
Das Konzept der Meinungsführerschaft berücksichtigt erstmals, dass das Individuum als Mitglied von Primärgruppen in ein Netz von Sozialinteraktionen eingebunden ist, die die Wirkung von Massenmedien entscheidend mit beeinflussen.
Mit dem Begriff Meinungsführer (Opinionleader) werden andere Begriffe synonym verwandt, die das Ausmaß dieser Kommunikation beleuchten. So zum Beispiel
107 Lazarsfeld et al. ,The people‘s choice, New York 1948.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Meinungsbildner, opinion givers, advisors, Multiplikatoren, influentials, Personen
mit großer Persönlichkeitsstärke, gate keepers, Innovatoren, Trendsetter, fashion
leaders, tastemakers, Induktoren und Austauscher.
Die Forschung über dieses Kommunikationsverhalten in der Öffentlichkeit hat
zusammengefasst zu folgenden Ergebnissen geführt:
1. Es besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen demographischen und
psychologischen Merkmalen und Meinungsführerschaft. Meinungsführer unterscheiden sich nach Produktbereichen und haben nicht generell einen höheren
Sozialstatus oder sind jünger als Meinungsfolger.
2. Jeder Produkt- und Dienstleistungsbereich hat seine eigene Struktur von Meinungsführern.
3. Meinungsführer spielen bei solchen Produktbereichen eine Rolle, die mit einem
relativ hohem Kaufrisiko verbunden sind oder wertexpressive Produkte sind.
Dazu gehört auch die Mitgliedschaft in einer werteorientierten Organisation
(Partei) oder die Wahl einer Partei. Dabei spielen unterschiedliche Arten von
Kompetenzen eine Rolle, die dem Meinungsführer zugeordnet werden: Die
sachliche (technisch-funktionale) bzw. soziale (normen- und wertebezogene)
Kompetenz.
4. Der Informationsvermittlungsprozess/Beeinflussungsprozess ist nicht von oben
nach unten gerichtet. Fälschlicherweise wird immer noch angenommen, dass
Personen mit höherem sozialen Status, Einfluss auf Personen ausüben, die einen
geringeren sozialen Status haben. Die soziale Distanz zwischen Meinungsführern und Meinungsfolgern ist gering, d.h. dass interpersonelle Kommunikation
hauptsächlich zwischen Personen stattfindet, die einen ähnlichen sozialen
Status haben.
5. Meinungsführer sind innerhalb aller demographischen Segmente einer Population in fast gleichem Umfang anzutreffen.
6. Meinungsführer sind nicht identisch mit Innovatoren, d.h. mit Personen, die
innerhalb einer Gemeinschaft eine neue Idee als erste übernehmen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Einstufiger
Informationsfluss
Zweistufige
Beeinflussung
Experten,
prof. Vermittler
Informationsdefizit,
Kontaktsuche
Aussage der
Massenkommunikation
1. Stufe
Meinungsführer
Kontaktsuche
Übernommen von
Rosenstiehl und Ewald 1979
Marktpsychologie, Kohlhammer
Beeinflussung
Beeinflussung
2. Stufe
Angehörige
der
Gefolgschaft
Stufenprozess der Kommunikation 2
Die These vom einseitigen Informationsfluss im Zweistufenprozess der Kommunikation muss eingeschränkt werden (Meinungsführer = Opinionleader). Der Meinungsführer kann nicht einseitig als Multiplikator verstanden werden, weil er fast
in gleicher Weise Informationsvermittler wie auch Informationssucher ist. Dieser
sehr wichtige Zusammenhang ist in der Graphik dargestellt aus der hervorgeht,
dass der Meinungsführer wiederum beeinflusst wird durch „Experten” oder „professionelle Vermittler” von Sachverhalten. Will eine Organisation also nachhaltig
im Kommunikationsprozess auf eine breite Zielgruppe wirken, so ist ihr anzuraten,
Meinungsbildner für die Zielgruppe zu identifizieren und diese Meinungsführer an
ihre Experten zu binden und so zu führen. Dabei ist es nicht sinnvoll, die Meinungsbildner zu Parteimitgliedern zu machen, da sie damit ihren neutralen und glaubwürdigen Charakter verlieren und in der Gefolgschaft Wirkung einbüßen. Gleichzeitig
0OLITISCHE3TRATEGIEN
muss berücksichtigt werden, dass der Meinungsbildner in seiner Gefolgschaft bei
fehlerhaften Empfehlungen seine Glaubwürdigwürdigkeit und damit seine Wirkung verliert. Deshalb sollte eine Partei von den identifizierten Meinungsführern
nie verlangen, etwas zu vertreten, was sich später als Fehlinformation erweist.
Meinungsführer sind eben nicht Multiplikatoren, die eine Botschaft kommerziell
weitertragen, sondern sie müssen von ihrer Botschaft überzeugt sein.
16.9 Bestimmung der Wertehaltungsnähe von Zielgruppen
Politik als Parteipolitik, aber auch als Politik von Regierungen, hat immer etwas zu
tun mit Werteorientierungen und Erwartungshaltungen. Daher kann es vorkommen, dass bestimmte spezifische Politiken oder Vorteile, die geboten werden, zwar
einer Zielgruppe gefallen müssten, aber dennoch diese Zielgruppe auszuschließen
ist, weil sie von ihrer Gesamtwerteorientierung nicht zur Partei passt.
Beispiel: Eine sozialistische Partei mit den klassischen orthodoxen und ordnungspolitischen Vorstellungen vertritt in einem bestimmten Zusammenhang eine liberale
Position (z.B. in Frage „gleichgeschlechtlicher Ehen”). Obwohl diese Position in einer
bestimmten liberalen Zielgruppe positiv beurteilt wird, wird diese Zielgruppe für die
sozialistische Partei dennoch nicht ansprechbar sein, weil sie in wesentlichen anderen
Politikfeldern (zum Beispiel Wirtschaftspolitik) zu weit von der Werteorientierung
der liberalen Zielgruppe entfernt ist.
Aus diesen Gründen kann es sinnvoll sein, die nach dem vorher beschriebenen
Verfahren ausgewählten Zielgruppen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen.
Und dieses ist die Bestimmung der Wertehaltungsnähe oder auch StakeholderAnalyse genannt.
Bei dieser Analyse wird die Entfernung der Zielgruppe von der Werteorientierung
der Regierung oder der Partei abgeschätzt und damit ermittelt, ob die Zielgruppe
angesprochen werden kann, oder ob die Zielgruppe starke Abneigungen gegen die
Organisation mit ihrem Gesamtangebot hat.
Eine weitere Form der Darstellung besteht in der Möglichkeit Zustimmung und
Ablehnung durch Balkendiagramme zu beschreiben.
Zeigt sich bei der Bestimmung der Wertehaltungsnähe, dass eine Zielgruppe
im wesentlichen ablehnend ist, aber mit einem Teilangebot sympathisiert, muss
der Versuch, die Zielgruppe in den Kommunikationsprozess einzubeziehen, abgewogen werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wertehaltungsnähebestimmung mit Hilfe konzentrischer Kreise
% + + + + Wertehaltungsnähe mit Balkendiagramm
Die Methode der Feststellung von Gruppen, die einem speziellen Projekt zustimmen oder nicht (Stakeholders-Analyse) eignet sich auch als Methode zur Beschreibung der Situation und kann Bestandteil der Situationsanalyse werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
16.9.1 Schnittmengenproblematik
Im Zusammenhang mit der Stakeholderanalyse tritt noch ein weiteres Phänomen
auf, das ist die Unverträglichkeit von Themen und/oder Zielgruppen.
Beispiel: Eine Partei möchte das Thema Minderheitenschutz als ein Wahlkampfthema behandeln. Solange sie dabei keine konkreten Festlegungen auf bestimmte
Themen und Gruppen macht, ist das nicht besonders problematisch. Aber das Thema
verführt dazu, konkret zu werden. Wenn diese Partei nun drei zentrale Themen im
Bereich Minderheiten aufgreift, wie Schutz von Homosexuellen, Verbesserung des
Strafvollzuges und Freigabe von Drogenkonsum, tritt das sogenannte Schnittmengenproblem auf.
Da nicht alle Homosexuellen Drogenkonsum akzeptieren, nicht alle Strafgefangenen Homosexualität, und nicht alle Drogenkonsumenten besondere Freiheiten
im Strafvollzug befürworten usw., sind Minderheiten eben nicht unter einen Hut
zu bringen. Hier wird das Problem deutlich, dass immer nur eine Untermenge der
Minderheit auch die Interessen der anderen Minderheit akzeptiert. Graphisch kann
das wie folgt dargestellt werden:
$ % & !
" #
"
' "
('
"
)'
"
*'
Schnittmengenproblem
Das Problem für die Partei besteht darin, dass die Zustimmung bei den drei
Minderheiten durch die „und-Verknüpfung” auf die Schnittmenge 4 reduziert wird
und damit viel kleiner ist als die Summe der Einzelminderheiten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
16.10 Erreichbarkeit von Zielgruppen
Ein besonderes Problem stellt manchmal auch die Erreichbarkeit von Zielgruppen
dar. Viele Zielgruppen, die aus der Zielimageanalyse heraus definiert werden, stellen
sich als nicht identifizierbar und damit als nicht erreichbar heraus.
Beispiel: In einem Fall, in dem die Sicherheit in einer Stadt thematisiert werden
soll, wird nach Zielgruppen gesucht. Die Zielgruppe „Menschen, die Angst haben”
ist zwar eine geeignete Zielgruppe aber als Zielgruppenbeschreibung nicht ausreichend, weil die Zielgruppe keine gemeinsamen sichtbaren Merkmale aufweist. Sie
ist weder über formale, informelle noch über mediale oder elektronische Netzzugänge erreichbar.
Zielgruppen müssen so definiert und ausgewählt werden, dass sie erreichbar
werden. In dem angebenen Beispiel könnten das alte Menschen sein, die besonders leicht verunsichert werden oder Hauseigentümer, die Angst vor Einbrüchen
haben usw. So kommt man zu einer klareren Zielgruppe, die man dann auch erreichen kann.
Grundsätzlich gilt die Regel: Eine Zielgruppe, die man nicht erreichen kann,
ist keine Zielgruppe.
aus
dem
Zielimage
16.11 Evaluierung
Evaluierungder
derZielgruppenauswahl
Zielgruppenauswahl
aus
dem
Zielimage
Wie alle anderen strategischen Schritte muss auch die Zielgruppenauswahl evaluiert werden. Dazu müssen folgende Frage beantwortet werden:
1. Gibt es für die Zielgruppe ausreichend Vorteile?
2. Liegt die Zielgruppe in der Wertehaltung in den Kategorien 1 - 6?
3. Sind die Zielgruppen erreichbar?
4. Sind ausreichend Zugänge zu den Zielgruppen vorhanden oder kann die Zielgruppe nur über einen Zugang (informell, formal, medial, elektronisch) erreicht
werden und sind die Zugänge für uns offen?
5. Wie groß sind die Zielgruppen?
6. Wie stark sind die Überschneidungen zwischen den Zielgruppen. Gibt es eine
Schnittmengenproblematik bei den Zielgruppen und Themen?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
16.12 Rückkopplung zu den Zielen
Werden die Zielgruppen aus den Zielen abgeleitet, so muss auch hier evaluiert
werden, ob die Zielgruppen miteinander verträglich sind und die auf der Basis des
Zielimages aufgebaute Öffentklichkeitsarbeit mit den Zielgruppen aus den Zielen
zusammenpasst.
Beispiel: Wollen wir Geld bei den Unternehmern holen und haben wird im Zielimage eine Passage, dass die Arbeiter von Steuern entlastet werden sollen durch die
Anhebung von Unternehmenssteuern, so wird die Finanzwerbung bei Unternehmern
unmöglich gemacht.
Die Aussage im Zielimage ist also nicht verträglich mit der Zielgruppe Unternehmer.
Bei dieser Evaluierung sind folgende Fragen zu stellen:
1. Vertragen sich die Aussagen im Zielimage mit den Zielgruppen, die aus den
Zielen abgeleitet wurden?
2. Sind die Ziele nach der Zielgruppenfestlegung im Umfang realistisch und zeitlich
zu halten?
16.13 Rückkopplung zum Auftrag
Bei der Rückkoppelung zum Auftrag geht es im wesentlichen um die Abschätzung,
ob die definierten Zielgruppen, die ja das anzustrebende Potential darstellen, bei
der Annahme einer realistischen Ausschöpfung ausreichen, um das quantitative
Ziel des Auftrages zu erfüllen.
Wenn ein Kandidat nur ein Potential von 40 % der Wähler über die Zielgruppen definiert hat und erreichen kann, wird er wohl kaum 51 % der Wähler versammeln können, um Präsident zu werden. Hier muss abgeschätzt werden, wie
die Größenordnungen der Zielgruppen mit den Zielvorstellungen aus dem Auftrag
zusammenpassen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
:IELGRUPPEN"OTSCHAFT
17.1 Die definierte Botschaft für die einzelne Zielgruppe
Bei der Auswahl der Zielgruppen wurden bestimmte Teile des Zielimages daraufhin
untersucht, welche Teile der Bevölkerung von bestimmten Teilen des Zielimages
besonders angesprochen werden, das heißt welche Vorteile von bestimmten Gruppen besonders positiv bewertet werden.
Sortiert man jetzt die Zielimageteile nach Zielgruppen, so erhält man die Zielimages für bestimmte Zielgruppen.
Im Kapitel 16.3.1. haben wir aus dem Zielimage für den Bürgermeisterkandidaten der Stadt Herwald die Zielgruppen abgeleitet. Dabei gibt es auch die Zielgruppe „Unternehmer”. Wir wollen im folgenden einmal zusammenstellen, welches
Zielimage also bei den Unternehmern ausgelöst werden soll.
Dazu gehören zunächst die allgemeinen Absätze, das heißt die Absätze 1, 5
und 6.
Absatz 1:
Die Freie Wählergemeinschaft Herwald (FWG) ist die für alle Bürger offene,
parteifreie Vertretung der Bürger im Rat der Stadt Herwald. Die FWG tritt mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Heinz Roser als Bürgermeisterkandidat bei der nächsten
Kommunalwahl an, um im Herwalder Filz endlich aufzuräumen und die Stadt mit
ihren Stadtteilen fit für die Zukunft zu machen.
Absatz 5:
Der in Herwald geborene Bürgermeisterkandidat Heinz Roser ist ein erfolgreicher
Geschäftsmann, der mit seinen juristischen Kenntnissen und seinen Managementfähigkeiten alle Kompetenzen als Verwaltungschef mitbringt. Er engagiert sich seit
langem im sozialen und ehrenamtlichen Bereich und genießt das Vertrauen all derjenigen, die professionelle Hilfe erwarten.
Absatz 6:
Die Kandidaten der FWG sind kompetente und engagierte Vertreter ihrer Stadtteile. Deshalb müssen alle Bürger, die für eine bessere Zukunft für Herwald und seine
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bürger sind, die Kandidaten der FWG in den Rat und den Bürgermeisterkandidaten
Heinz Roser wählen.
Diese Absätze sind allgemeine Absätze über die FWG und Heinz Roser. Speziell
interessant für Unternehmer sind nun noch folgende Absätze. Die Analyse wurde
im Kapitel 16.3.1. vorgenommen.
Absatz 2:
Heinz Roser und die FWG werden die Bürger der Stadt von bürokratischen Fesseln
und unnützen Regulierungen befreien, damit die Bürger so frei handeln können, dass
es ihnen und der gesamten Stadt nützt. Damit wollen Heinz Roser und die FWG die
Verwaltung so modernisieren, dass sie endlich bürgerfreundlich und sparsam wird,
um auch Steuern und Gebühren senken zu können.
Absatz 3, Satz 1:
Für die Zielgruppe der „Autofahrer” sind wieder die Absätze 1, 5 und 6 als allgemeine Absätze und Absatz 3, Satz 1 als spezieller Absatz relevant.
Für die Zielgruppe „Eltern” sind auch die Absätze 1, 5 und 6 als allgemeine
Absätze und der spezielle Absatz 4 „Heinz Roser und die FWG werden der Jugend
bessere Zukunftschancen geben, durch weniger Unterrichtsausfall, mehr Angebote
in Sport, Kultur und Freizeit und durch mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze.” von
Bedeutung.
17.2 Zielgruppenbotschaften für Zielgruppen aus Zielen
Auch für die Zielgruppen aus Zielen müssen wir Zielimages entwickeln. Dieses können Teile aus dem Zielimage sein. Sie können aber für einzelne Zielgruppen noch
konkreter gefasst werden.
Wenn wir bei der Zielgruppe Unternehmer bleiben, so haben wir diese einmal
als Zielgruppe für Wähler. Die Zielgruppe ist aber auch bei der Ableitung aus Zielen
zu finden, nämlich dann, wenn es um die Beschaffung von Geld geht108.
108 Siehe dazu das Kapitel 16.3.2.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zusätzlich zu der Zielgruppenbotschaft für Unternehmer aus dem letzten Kapitel,
brauchen wir spezifische Botschaften, die das Spendenverhalten der Unternehmer
befördern. Hier müsste also eine spezische Botschaft wie folgt ergänzt werden:
„Die FWG und Heinz Roser benötigen für ihren Wahlkampf Geld, damit sie ihre
wichtige Aufgabe für die Unternehmer dieser Stadt auch wirklich erfüllen können.
Ohne finanzielle Mittel droht eine Mehrheit der ABC-Partei, die die Unternehmen
der Stadt gefährden werden. Heinz Roser ist selbst Unternehmer und verdient die
Solidarität der Unternehmerschaft in Herwald.”
17.3 Das Problem des zusätzlichen Incentives und des überlappenden
Informationsmarktes
Je mehr Elemente für eine Zielgruppe relevant sind und Vorteile für diese Gruppe zeigen, um so stärker ist die Regierung, die Partei oder der Kandidat in dieser
Zielgruppe. Deswegen geht es oftmals auch daraum, zusätzliche Vorteile zu entwickeln, die man nur einer bestimmten Zielgruppe versprechen will. Wie schon im
Kapitel 5.8 mit dem Beispiel der „separaten” Gehaltserhöhung für Lehrer gezeigt,
kann das Anbieten von Incentives dieser Art auch gefährlich werden, wenn zum
Beispiel andere Gruppen aus dem öffentlichen Dienst davon erfahren und nun auch
die Forderung nach Gehaltserhöhungen stellen. So läuft man schnell Gefahr alles
zu versprechen und anschließend nichts halten zu können.
Die Entwicklung zusätzlicher Incentives in der Endphase der Wahl, sogenannte
Wahlgeschenke für bestimmte Zielgruppen (beliebt sind hier die Rentner, die Beamten und die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes), ist üblich, aber führt durchaus
nicht immer zum Erfolg, weil die Konkurrenten das Angebot kopieren und damit
wieder Gleichstand erreicht wird.
Deshalb versuchen Parteien und Politiker, bei bestimmten Incentives sogenannte geschlossene Kanäle zu benutzen, um Versprechungen zu machen, die andere
Zielgruppen nicht hören sollen oder von denen andere Zielgruppen sich gestört
fühlen könnten109.
Beispiel: Bei einer Kampagne zur Bundestagswahl 1980 versuchte eine Partei
die Zielgruppe der Homosexuellen (ca. 6-8 Prozent der Wähler) dadurch zu gewinnen, dass sie ihnen eine Änderung des Strafgesetzbuches versprach. Werbung dafür
wurde nur innerhalb der Homosexuellen-Medien gemacht. So wurde vermutet, dass
109 Siehe dazu das Kapitel 16.8 und 16.8.1 über die Unverträglichkeit von Zielgruppen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
nur innerhalb der Gruppe davon Kenntnis genommen würde und sich die Botschaft
verbreiten ließe, ohne dass sich die überwiegend heterosexuelle Bevölkerung dadurch gestört fühlte. Wenige Tage vor der Wahl erschien in einer weit verbreiteten
Boulevardzeitung die Headline mit der Information über diese versteckte Kampagne.
Ein aufgebrachter Pfarrer hatte den Stein zum Rollen gebracht.
Dieses Beispiel zeigt, dass man nicht mit geschlossenen Kommunikationskanälen und -bereichen rechnen kann. Der Zugang zu den Informationen wird immer möglich sein, auch wenn man in den Zeiten der Computer ausnahmsweise als
Hacker tätig werden muss. Aber normalerweise ist immer mit einem „spill-overEffekt” zu rechnen.
17.4 Evaluierung der Zielgruppen-Zielimages
Die Evaluierung der Zielgruppen-Botschaften ist relativ einfach. Es sind folgende
Fragen zu stellen:
1. Sind die Botschaften vollständig?
2. Unterscheiden sich die Botschaften für die einzelnen Zielgruppen? Wenn nicht,
braucht kein getrennter Zielgruppenwahlkampf geführt werden. Die Zielgruppen
können mit einer Oder-Verknüfung zusammengeführt werden.
3. Sind zusätzliche Incentives nur dann aufgenommen, wenn es keinen anderen
Weg zu Verbesserung der Attraktivität gibt?
4. Ist die Summe der Incentives und Botschaften verträglich mit dem Zielimage?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
(AUPTINSTRUMENTE
In diesem Schritt in der Planung legen wir die Instrumente fest, mit denen wir vorwiegend umgehen wollen, um unser Ziel zu erreichen. Hier wird festgelegt, wie hoch
der Grad der Aggression sein wird, welche typischen Aktionen wir planen, wie die
Kommunikation verlaufen wird und welche Kommunikationsmittel wir verwenden
wollen. Instrumente sind also Handlungen und Mittel.
Die Bandbreite verläuft vom Verteilen von Informationsmaterial und der Nutzung von Medien zur Übertragung von Information, über das persönliche Gespräch,
bis hin zu Demonstrationen, Streiks und Hausbesetzungen und zu militanten Aktionen und Bürgerkriegen.
Wir wollen hier unterscheiden zwischen
1. Kommunikationsinstrumenten
2. gewaltlosen Aktionen
3. gewalttätigen Aktionen
18.1 Kommunikationsverhalten politischer Gruppen
Die Kommunikation110 zwischen politischen Gruppen (Parteien, Legislative, Exekutive, auf den verschiedenen Ebenen, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen usw.) auf der einen Seite und den Bürgern und Wählern auf der anderen,
aber auch die Kommunikation zwischen den politischen Gruppen und den Bürgern
und Wählern untereinander verläuft nach unterschiedlichen Modellen, teilweise
geplant, aber sehr oft auch ungeplant. In der politischen Kommunikation können
hauptsächlich drei verschieden Formen festgestellt werden.
1. Die Propaganda
2. Die Werbung
3. Die Public Relations
110 Zur Theorie der Kommunikation gibt es eine umfangreiche Literatur. Zu empfehlen ist: J. Habermas. Theorie des kommunikativen Handelns 2 Bde. 1982.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
18.1.1 Propaganda
Der Name Propaganda stammt aus „Congregatio de propaganda fide”111 und ist laut
Brockhaus eine Form der Werbung für bestimmte geistliche Ziele und politische
und religiöse Ideen. Politische Relevanz bekam der zunächst positiv besetzte Begriff
„Propaganda” im Zuge der französischen Revolution, als die negativen Begriffsinhalte zunahmen. Nach 1848 wurde Propaganda zu einem Schlagwort des politischen Anarchismus. Im ersten Weltkrieg wurde die sogenannte Kriegspropaganda
(Greuelpropaganda) zu einem zentralen Instrument der Kriegführung. Während des
Nationalsozialismus wurde nach der Gleichschaltung der öffentlichen Kommunikationsmittel die Propaganda zu einem Indoktrinationsmittel zur Gleichschaltung
der Bürger.
Wirkungsweise der Propaganda
Bei der Propaganda definiert sich die Organisation als außerhalb des Systems
stehend und versucht die Öffentlichkeit auf seine Denkweise auszurichten. Alle
Informationen, die an das System abgegeben werden, dienen nur diesem Zweck.
Feedback und Diskussion darüber ist nicht möglich112.
111 Päpstliche Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens.
112 Siehe dazu auch Kapitel 24.1.1 Totalitäre Regime
0OLITISCHE3TRATEGIEN
18.1.2 Werbung
Bei der Werbung definiert sich die Organisation wie bei der Propaganda als außerhalb des Systems stehend. Auch hier ist im Augenblick keine Diskussion über
das Produkt möglich. Feedback findet zwar statt, wird aber in der Phase der Werbung nicht mehr berücksichtigt. In der Werbung werden allerdings anders als in
der Propaganda nicht die gesamte Öffentlichkeit, sondern nur ausgewählte Zielgruppen in der Weise manipuliert, dass sie ihre Kauf- oder Wahlentscheidung, ihre
Entscheidung über ihr Engagement oder die finanzielle Zuwendung im Sinne der
Organisation fällen. Diese Form der Kommunikation wird in der Endphase eines
jeden Wahlkampfes angewandt. Hier geht es nur noch um die Ausschöpfung des
vorher angelegten Potentials.
Wirkungsweise der Werbung
18.1.2
Relations
18.1.3 Public Relation
Bei den Public Relations Maßnahmen definiert sich die Organisation als ein Teil des
Systems. Sie gibt Informationen nach außen ab, ist aber auch offen für Feedback
von außen und verändert sich damit ständig im Kommunikationsprozess. Dieses
Kommunikationsverhalten ist zum Beispiel in der Vorwahlkampfphase sinnvoll, aber
nicht in der heißen Phase, weil ein sich ständig ändernden Produkt nicht verkauft
werden kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wirkungsweise von Public Relations
18.2 Kommunikationsmedien
Der Umfang von Kommunikationsmedien ist groß. Die Wirksamkeit der Medien
wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst. Da spielt einmal das Kommunikationsverhalten in verschiedenen kulturellen Räumen eine Rolle. In vielen Ländern
läuft die Kommunikation sehr direkt ab. Das heißt es werden vor allem persönliche
(Face-to-face) Kontakte durchgeführt. In anderen Ländern spielen Printmedien eine
größere Rolle. Die Wirksamkeit hängt hier stark vom Grad der Alphabetisierung ab.
In anderen Ländern wiederum spielen elektronische Medien, wie Fernsehen, Radio
und Internet die entscheidende Rolle in der Kommunikation. Dazwischen gibt es
alle Übergänge. Weiterhin differieren die Preise für Kommunikationsmedien und es
ist der Zugang zu den einzelnen Medien länderspezifisch durch Gesetze aber auch
durch Restriktionen sehr unterschiedlich.
Deswegen ist es unmöglich grundsätzliche und allgemeingültige Aussagen über
die Wirksamkeit, über sinnvolle Werbeträger- und Werbemittelselektionen und über
Kommunikationsmittel- und Aktionsmittelkombinationen zu machen.
Was für einzelne Medienformen nicht möglich ist, ist dagegen für bestimmte
Typen von Medien möglich. In der Kommunikation unterscheidet man zwischen
den gesteuerten und den ungesteuerten Medien.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
18.2.1 Gesteuerte Medien
Die gesteuerten Medien geben exakt wieder, was wir als Sender einer Botschaft
gesendet haben. Beispiele dafür sind Anzeigen, Spots in TV, Radio, Plakate, Broschüren, die eigene Web-Site, E-Mails, Blogs und alles, bei dem man die Meldung
selbst gestalten kann. Der Vorteil dieser Medien besteht also in der exakten Übermittlung der Botschaft. Der Nachteil dieser Medien besteht darin, dass sie teuer
sind und dass ihre Glaubwürdigkeit bei der Zielperson beschränkt ist.
18.2.2 Ungesteuerte Medien
Die ungesteuerten Medien dagegen sind die redaktionellen Beiträge in den Zeitungen, in den Nachrichten von TV und Radio, es sind die Äußerungen von Multiplikatoren und Opinionleader und es ist die Kommunikation der Mitglieder einer
Partei in ihrem sozialen Umfeld. Dazu gehören neuerdings auch die vielfältigen
Möglichkeiten der Kommunikation im elektronischen Bereich, da ja die elektronisch erreichbaren Menschen und die Social Communities zum sozialen Umfeld
der Mitglieder gerechnet werden müssen.
Der Vorteil dieser Medien besteht darin, dass sie preiswert sind. Gleichzeitig
haben sie eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit. So glaubt der Wähler der Anzeige
in einer Zeitung sehr viel weniger, als dem redaktionellen Artikel, der gleich neben
der Anzeige steht. Der Nachteil besteht darin, dass man sich der exakten Übertragung der Botschaft nicht sicher sein kann.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Mediamix umso mehr zugunsten
der ungesteuerten Medien verschoben wird, je weniger Geld die Organisation hat
und je mehr ihr der Zugang zu Medien wie Zeitungen, Fernsehen und Radio versperrt ist.
18.2.3 Mischformen
Durch das Auftreten von vielfältigen Kommunikationsmedien im elektronischen
Bereich wie das Internet, Web 2.0 und ähnliche interaktive Formen, haben sich die
gesteuerten und ungesteuerten Medien miteinander vermischt und treten in Hybrid
auf. Dazu gehört zum Beispiel „virales Marketing“. Das ist eine Marketingform, die
soziale Netzwerke und Medien nutzt, um mit einer meist ungewöhnlichen Nachricht auf eine Marke, ein Produkt oder eine Kampagne hinzuweisen. Das Ziel einer
viralen Marketingkampagne ist es, dass sie durch Ihre Nutzer an deren Freunde
und Bekannte verbreitet wird. Diese wiederum leiten sie an deren Bekanntenkreis
0OLITISCHE3TRATEGIEN
weiter. Somit entsteht ein virusähnlicher (viraler) Effekt113. Doch die Kampagne
muss einen gewissen Unterhaltungsfaktor bieten, so dass die Nutzer einen Anlass
haben sie weiterzuverbreiten114.
Die epidemische Verbreitung der Nachricht ähnelt der Mundpropaganda, ist
aber mit dem Prinzip des viralen Marketings nicht zu vergleichen. Bei der Mundpropaganda geht die Initiierung für gewöhnlich von neutralen Teilnehmern aus.
Beim viralen Marketiung steckt aber die Strategie einer Organisation dahinter. Die
Information bei viralen Marketing wird innerhalb kürzester Zeit gleich einem biologischen Virus von Mensch zu Mensch übertragen. Die Verbreitung der Information beginnt mit den „Seeding“. Das ist das strategische und zielgruppengereichtete
Platzieren und Verbreiten viraler Botschaften in einem relevanten Online- oder
Interessenumfeld. Die Platzierung der Botschaft erfolgt über Videosharing- oder
Picture-sharing-Portale, wie YouTube, Flickr sowie themenrelevanten Blogs, Foren
und Internetseiten. Die am meisten genutzten Formen für den Vertrieb sind die
schnellen Medien,wie Chats, Instant Messenger und E-Mails.
18.3 Kommunikationsinstrumente
Im folgenden werden einzelne Kommunikationsinstrumente aufgezählt. Die Aufzählung ist keine Prioritätenliste.
18.3.1 Direkter Kontakt mit Bürgern
Der direkte Kontakt mit dem persönlichen Gespräch zwischen Vertretern einer Partei (Kandidat, Funktionsträger, einfaches Mitglied) und den Bürgern oder Wählern
ist qualitativ die beste Form der Kommunikation. Dazu gibt es eine Vielzahl von
Anlässen und Methoden.
–
Nutzung der täglichen sozialen Kontakte
Ein Weg, die Kommunikation zu verbessern – und das gilt unabhängig davon, ob
die Medien positiv oder negativ gestimmt sind, – ist die Einbeziehung der Mitglieder
in die Kommunikation zu den Wählern. Die Mitglieder einer Partei befinden sich,
113 In seinem Buch: “The Tipping Point: How little things can make a big difference.” von Macolm
Gladwell untersucht der Autor die Wirkung von epidemisch verbreiteten Nachricht, noch ohne
die elektronische Komponente. Verlag Little, Brown and Company, Boston, New York, London.
114 Über den Unterhaltungswert der von T-Mobile erfundenen Werbefigur Chad Kroski konnte die
Telekom Deutschland nicht mehr lachen, als die User im Netz die Figur verselbständigten und
ihr teils unangenehme Eigenschaften andichteten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
wenn die Partei das zulässt, in der Rolle der Verkäufer. Sie haben in ihrem sozialen
Umfeld eine Vielzahl von Kontakten. Das tägliche Gespräch mit den Nachbarn, der
Kontakt zum Friseur oder zum Bäcker, das Gespräch mit den Arbeitskollegen oder
mit Kunden, und der abendliche Kontakt zu Freunden und Verwandten. Durchschnittlich hat jeder Mensch zwischen 20 und 30 soziale Kontakte pro Tag. Nun ist
es sicherlich nicht möglich, alle diese Kontakte auch für ein politisches Gespräch
zu nutzen. Aber dennoch gibt es viele Möglichkeiten, einen Satz über die Partei
fallen zu lassen und je näher man sich dem Wahltag nähert, um so eher wird man
auch über politische Themen sprechen.
Dann stellt sich jedoch die Frage, worüber redet das Mitglied. Hier gibt es
bei vielen Mitgliedern Hemmungen ein bestimmtes Thema anzusprechen. Andere
wiederum leiden nicht unter Themenmangel, sondern plaudern fröhlich drauf los,
allerdings nicht immer im Sinne derjenigen, die die Strategie gemacht haben. Um
die Mitglieder in einem Wahlkampf strategisch auszurichten, hilft ein kleines Instrument, das die „Fünf-Gründe-Karte“ genannt wird. Dabei handelt es sich um ein
visitenkartengroßes Papier, auf dem auf der einen Seite fünf kurz gefasste Gründe
für die eigene Partei stehen und auf der anderen Seite stehen fünf Gründe gegen
die anderen Parteien oder zumindest gegen den Hauptwettbewerber. Eine solche
Karte könnte folgendermaßen aussehen:
Ich unterstütze und wähle die A-Partei, weil sie
Ich unterstütze und wähle keine Partei, die
s MIT 7ISSENSCHAFT UND &EHLINVESTITION IN DER
Stadt Schluss machen und uns von einer Riesenschuldenlast befreien will,
s 3TEUERNUND'EBàHRENIM:AUMEHALTENUND
uns Bürger nicht zu hoch belasten will,
s MITNEUEM"AULANDMITBESSEREN%INKAUFSMÚGlichkeiten in den Stadtteilen und Investitionen
mit neuen Arbeitsplätzen wieder mehr Geld
einnehmen will, statt es nur auszugeben,
s )NVESTITIONEN IN +INDER UND *UGENDLICHE DEN
Vorrang gibt vor der Bauwut von Prestigeobjekten,
s UNS83TËDTERINEINESICHERE:UKUNFTFàHREN
will.
s -ISSWIRTSCHAFT UND &EHLINVESTITIONEN ZU VERantworten hat und uns X-Städter fahrlässig in
eine Schuldenkrise führt,
s STËNDIG3TEUERNUND'EBàHRENERHÚHTUNDUNS
auf die möglichen Arten abzockt,
s UNFËHIGIST)NVESTORENMITNEUEN!RBEITSPLËTZEN
anzuwerben und stattdessen die Ausweisung
von Bauland und Ansiedlung von Discountern
und mehr Sicherheit zu geben,
s LIEBER IN 0RESTIGEOBJEKTE MIT IMMER NEUEN
Schulden investiert, statt unseren Kindern
und Jugendlichen bessere Chancen und mehr
Sicherheit zu geben,
s UNSERE:UKUNFTALS83TËDTERGEFËHRDET
Auf der linken Seite sind Argumente für die eigene Partei aufgeführt, die mit
der geplanten Strategie korrespondieren. Hier werden die positiven Angebote der
Partei aufgezeigt. Auf der rechten Seite sind die passenden Argumente gegen die
anderen Parteien aufgelistet. Die Fünf-Gründe-Karte wirkt also wie die beiden
Seiten einer Münze.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der Vorteil dieses „Werbemittels“ besteht aus mehreren Elementen. Zunächst
gibt man den Mitgliedern eine Orientierung, welche Themen im Wahlkampf intensiv
von der Partei genutzt werden sollen und wie man sich von den anderen Parteien
abgrenzt. Das zweite attraktive Element ist die Kürze. Hier wird nicht auf vielen
Seiten erläutert, sondern man kommt sofort zur Sache. Das ist gerade für diejenigen, die mehr oder weniger zufällig politische Kommunikation betreiben, besonders
bedeutsam. Das dritte Vorteilselement besteht darin, dass die Mitglieder die Inhalte
der Karte ihrem Kommunikationspartner entsprechend anpassen können. So wird
der Professor an der Uni im Gespräch mit seinen Kollegen etwas anders formulieren, als der Friseur im Smalltalk mit seinem Kunden. Aber letztendlich sprechen
alle über die gleichen Inhalte.
Die Kommunikation der Mitglieder ist deswegen so wichtig und gewichtig,
weil es um das persönliche Gespräch geht, das allemal viel wirkungsvoller ist, als
jedes Plakat und jedes Flugblatt, aber auch als jeder Fernsehspot und jede Anzeige.
Das Austauschen von Informationen Auge in Auge schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Jede Partei sollte, wenn sie ihre Mitglieder als wesentliche Elemente des Wahlkampfes in die Kommunikation einbeziehen will, dafür sorgen, dass die interne
Kommunikation zwischen den Entscheidern über die Strategie und den Mitgliedern als Verkäufer des Produktes funktioniert und dass vor allem die Mitglieder
nicht überfordert werden. Wenn die Themen zu kompliziert werden, müssen sie
entweder erläutert werden, so dass jeder versteht, worum es geht oder man muss
die Themen vereinfachen. Erfolgreich in der Kommunikation ist nicht derjenige, der
die komplizierteste Argumentationskette hat, sondern derjenige der mit wenigen
Worten erklären kann, worum es geht.
Canvassing, Hausbesuche
Zu den traditionellen Methoden des direkten Kontaktes zu den Bürgern oder
in Wahlkampfzeiten zu Wählern ist das Canvassing. Canvassing bedeutet eigentlich „für etwas werben“ oder „den Wahlkreis bearbeiten“. Man unterscheidet dabei
unterschiedliche Formen, die jeweils nach den Gewohnheiten und Sitten in verschiedenen Kulturkreisen und nach den Tagesrhythmen der Menschen sehr unterschiedliche Ausprägung haben können. Die hier dargestellten Formen sind typisch
für mitteleuropäische Regionen. Der Stil des Canvassings kann aber auch von der
Art des Wahlrechts abhängen und muss dann entsprechend angepasst werden.
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Haus-zu-Haus-Canvassing
Auch das Haus-zu-Haus-Canvassing kann in unterschiedlichen Formen durchgeführt werden. Dabei kommt es darauf an, welchen Zweck man damit verfolgt.
Klassisch
Das klassische Haus-zu-Haus-Canvassing dient dazu, einen Kandidaten bekannt
zu machen und einen direkten Kontakt zu den Wählern herzustellen. Das Verfahren
ist relativ einfach. Zunächst identifiziert man das Gebiet, in dem man den Kontakt
zu seinen Wählern aufnehmen will. Sinnvoll sind dabei Gebiete, die schon bisher
gute Ergebnisse für die Partei gebracht haben oder die von der Sozialstruktur typisch für die eigene Wählerschaft sind. Hat man das Gebiet identifiziert, geht es
darum eine Botschaft vorzubereiten. Man muss sich die Frage stellen, was sollen
die Menschen, die ich getroffen habe, anschließend von mir denken und was sollen sie behalten.
Für die meisten Kandidaten ist es der Erstkontakt mit den Wählern. Deshalb
steht das Anheben des Bekanntheitsgrades im Vordergrund. Deshalb ist die Vorstellung mit Namen und Funktion die erste Botschaft, die transportiert werden muss.
Um diese Botschaft zu verstärken, ist das Überreichen einer Visitenkarte – mit Bild
oder ohne – dringend notwendig. Vielleicht hat der Kandidat auch ein Faltblatt
mit seinen politischen Zielen. Dann kann bei fortgeschrittenem Wahlkampf auch
dieses Blatt abgegeben werden. Die Visitenkarte ist deswegen besonders wichtig,
weil der Kandidat den Bürgern das Angebot machen sollte, ihn bei Problemen zu
kontaktieren. Dazu benötigen die Bürger Kontaktdaten, wie Telefonnummer, E-Mail
und natürlich auch die Postanschrift. Vorsicht! Ein solches Angebot kann man nur
machen, wenn man anschließend auch wirklich zur Verfügung steht.
Handelt es sich bei den Kandidaten um jemanden, der schon einen erhöhten
Bekanntheitsgrad hat, gewinnt eine inhaltliche Botschaft für den Stadtteil oder
vielleicht die Straße an Bedeutung. Das bedeutet: Der Kandidat sollte ein wenig
über das Umfeld seines Canvassing-Gebietes Bescheid wissen und nicht völlig unvorbereitet in das Gebiet gehen.
Das wichtigste am Canvassing ist neben der Kontaktaufnahme die Gewinnung
von Vertrauen. Das bedeutet, dass der Kandidat vom äußeren Auftritt her, von
seiner Körpersprache oder seiner Rede in der Lage sein muss, dieses Vertrauen zu
schaffen. Dabei spielt besonders die Fähigkeit zuzuhören eine wichtige Rolle. Der
Kandidat muss den Bürgern das Gefühl geben, dass er sich um jeden Einzelnen in
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gleicher Art und Weise kümmern wird, dass der Bürger ihm wichtig ist und dass
im Mittelpunkt die Probleme der Bürger stehen. Auf keinen Fall sollte der Kandidat
dazu übergehen, die Rolle eines Missionars oder Teppichhändlers einzunehmen und
etwas verkaufen zu wollen, was die Menschen nicht haben wollen.
Als nächstes muss der Zeitpunkt des Canvassings festgelegt werden. Das sollte
davon abhängen, wie der Lebensrhythmus der Menschen im ausgesuchten Gebiet
aussieht. Manchmal bietet sich ein Samstag morgen an, weil dann schon viele
Menschen vielleicht im Vorgarten arbeiten. Manchmal ist gerade der Samstag Vormittag schlecht, weil die Menschen ausschlafen möchten. Grundsätzlich sollten
folgende Regeln zumindest im mitteleuropäischen Raum eingehalten werden. In
anderen Kulturkreisen sind gänzlich andere Regeln zu beachten.
1. Canvassing immer nur am hellen Tag machen und nicht in der dunklen Zeit,
wenn die Sonne schon untergegangen ist.
2. Die beste Zeit ist abends zwischen 17.00 und 20.00 Uhr. Nicht in die Abendnachrichten gehen. Da fühlen sich die Bürger beträchtlich gestört.
3. Am Wochenende Konzentration auf den Samstag und nicht auf Sonntag.
4. Möglichst nicht bei sehr schlechtem Wetter auf Tour gehen, weil man sonst
Einladungen in die Wohnung kaum ablehnen kann.
Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass man nicht allzu viel Zeiträume hat,
in denen Canvassing möglich ist. Das bedeutet, dass man die Zeit optimal nutzen
muss. Das wiederum hat zur Folge, dass man vermeiden sollte, die Wohnung oder
das Haus, das man besucht, zu betreten. Es dauert zu lange, die Besuchten haben
das Hausrecht und bestimmen damit viel zu sehr den Ablauf. Darüber hinaus gibt
es Menschen, die unter einem Mangel an Sozialkontakten leiden. Und diese werden
versuchen, den Kandidaten zu vereinnahmen und ihm möglichst viel Zeit abzunehmen. Um das alles in Griff zu behalten, gilt die Regel, dass man mit den Bürgern
an der Haustür spricht und das Gespräch nicht über Gebühr ausdehnt, das heißt
einen Zeitraum von 4–5 Minuten pro Gespräch einhält.
Canvassing als Stadtteilrepräsentant
Da der Stadtteilrepräsentant (auch Stadtteilbeauftragter oder Stimmbezirksbetreuer genannt) eine Dauerfunktion ist, kann dieser das Canvassing über einen
längeren Zeitraum durchführen und steht viel weniger unter Zeitdruck als der Kandidat. Der Stadteilrepräsentant sollte beim Canvassing seine Servicefunktion für die
Bürger in den Vordergrund stellen. Hier geht es um die Funktion als Ansprechpartner
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in dem Stadtgebiet, das je nach der Anzahl der Repräsentanten größer oder kleiner
sein kann. Ziel ist es, am Ende einer definierten Periode den Stadtrepräsentanten
so in der Bürger- und Wählerschaft bekannt gemacht zu haben, dass er als Kandidat auftreten kann und einen in seinem Stadtteil hohen Bekanntheitsgrad hat,
der mit Vertrauen verbunden ist.
Canvassing im Team
Dieses ist die aufwändigste Version, aber sie hat auch nachhaltigste Wirkung.
In dieser Version geht man mit drei Personen, dem Klingler, dem Kandidaten und
dem Schreiber.
Zunächst geht der Klingler allein und versucht den Kontakt herzustellen. Er ist
also der Türöffner, der klingelt und den Kandidaten ankündigt. Nachdem er die Tür
geöffnet hat, erscheint der Kandidat, stellt sich kurz vor und fragt die Bewohner
der Wohnung nach Problemlagen, nach positiven oder negativen Entwicklungen
im Wohngebiet. Der Klingler hat dabei schon wieder den Hauseingang verlassen
und es erscheint der Schreiber. Dieser notiert mögliche Beschwerden, Wünsche
und Anregungen der Bürger.
Nach kurzer Zeit des Zuhörens verabschiedet sich der Kandidat und weist darauf hin, dass die Bürger beim Schreiber ja in guten Händen seien, weil er ihre
Beschwerden notiere. Er werde sich um die notierten Sorgen und Nöte der Bürger
kümmern. Die Erfahrung zeigt, dass nachdem der Kandidat den Platz verlassen hat,
der Redefluss der Bürger schnell versiegt, so dass der Schreiber dem Kandidaten
zur nächsten geöffneten Tür folgen kann.
Nachdem ein ausgesuchtes Gebiet in dieser Form behandelt wurde, setzen sich
Klingler, Kandidat und Schreiber zusammen und beraten, was sie mit den erhaltenen
Informationen anfangen können. Dabei gibt es folgende Möglichkeiten:
Die Bürger haben Wünsche nach mehr Informationen zum Beispiel nach dem
Programm der Partei geäußert. Dann erhalten die Bürger das Programm mit einem
kurzen Brief des Kandidaten, der sich für die geopferte Zeit bedankt und das Programm oder ein anderes gewünschtes Dokument versendet.
Falls die Bürger Beschwerden geäußert haben, schreiben die Canvasser einen
Brief an die zuständige Stelle und leiten damit die Beschwerde kompetent weiter.
In dem Brief kündigen sie an, dass sie sich über den Fortgang der Sache weiterhin
unterrichten werden. Eine Kopie dieses Briefes mit einem Brief des Kandidaten an
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die betroffenen Bürger, in dem er sich für die geopferte Zeit bedankt und auf seine
Initiative verweist, wird an die Bürger verschickt.
Falls die Bürger Anregungen gegeben haben, erhalten sie auch einen Brief,
in dem angekündigt wird, wie der Kandidat mit den Anregungen umgehen wird.
In allen Fällen wird also ein Brief geschrieben und am nächsten Tag im Canvassinggebiet verteilt. Dieser Abschluss macht das Canvassing zu einem Erfolg, weil hier
beim Bürger die Zuverlässigkeit des Kandidaten demonstriert und damit Vertrauen
aufgebaut wird. Sollte der Kandidat zum zweiten Teil dieses Typs von Canvassing
– also dem arbeitsintensiveren Typ – nicht bereit sein, dann ist es sinnvoller, dass
Canvassing nach der klassischen Methode durchzuführen.
Bürgersprechstunden
Wenn die Partei ein Büro oder eine Geschäftsstelle unterhält oder wenn die
Fraktion Räume hat, dann ist es zu empfehlen, den Bürgern feste Sprechstunden
anzubieten, damit diese ihre Sorgen und Nöte vortragen können. Dazu ist es nur
notwendig auf den geeigneten Wegen der Kommunikation der Partei, die Bürgerspechstunde anzukündigen. Ob hierfür nun die lokale Zeitung, die Website oder
sogar eine Plakatierung genutzt wird, hängt von den örtlichen Bedingungen ab.
Für Abgeordnete sind solche Sprechstunden ein geeignetes Instrument, um nicht
den Kontakt zu den Bürgern zu verlieren und Vertrauen aufzubauen und zu stabilisieren.
Straßendiskussionen
Bei diesen Straßendiskussionen handelt es sich darum, dass Politiker oder Parteien sich an die Stellen begeben, an denen sie ihre Wähler vermuten. Ob das nun
ein Wochenmarkt ist, auf dem ein Kandidat oder der Ortsverband versucht mit den
Bürgern in Kontakt zu kommen, oder nur ein öffentlicher Platz, auf dem man viele
Menschen vermutet. Genauso könnte man sich am Wochenende in einen gut frequentierten Park stellen und dort versuchen Kontakt aufzubauen.
Informationsstände auf der Straße und bei Messen, Events und Ausstellungen
Der Info-Stand ist ein ideales Instrument, wenn man mit dem Bürger zu einem
bestimmten Thema aber auch ganz allgemein ins Gespräch kommen will. Aber dann
muss man dorthin gehen, wo dem Bürger der Schuh drückt. Zum Beispiel bei Verkehrslärmbelästigung, dort wo der Verkehrslärm ist, oder bei ständigen Staus, dort
wo die Staus stattfinden, bei Problemen in einer Schule, vor der Schule und nicht
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auf dem Bahnhofsvorplatz oder auf dem Markt. Oftmals geht man an den falschen
Ort, weil die Ordnungsbehörde die Genehmigung für einen Infostand an diesem Ort
gegeben hat und nicht für den Schauplatz des Geschehens. Dabei fällt immer wieder
das Argument, dass man für andere Plätze keine Genehmigung erhalte. Das mag ja
richtig sein, aber muss denn ein Infostand so aussehen, wie er normalerweise aussieht: Tisch, Sonnenschirm und Material, oder ist es nicht völlig ausreichend, mit
ein paar Mitgliedern vor einem Auto zu stehen, an dem einige Plakate angebracht
sind. Das ist mit Sicherheit kein Info-Stand, der genehmigungspflichtig ist.
Eine andere Form des Informationsstandes ist die Präsentation einer Partei bei
Messen, Ausstellungen und anderen Events. In einem solchen Fall mietet sich die
Partei einen Standplatz und mischt sich damit unter die Aussteller oder die Anbieter. Diese Art der Informationsstände benötigen einen gewissen Vorlauf, weil sowohl das optische Erscheingsbild wie auch die dort verbreiteten Botschaften und
Materialien qualitativ anspruchsvoller sind.
Nachbarschaftsparties
Nachbarschaftspartys gibt es in zwei Versionen. Einmal in der Form, dass ohnehin vorhandene Feierlichkeiten (Geburtstage, Jubiläen usw.) konsequent dafür
genutzt werden, den oder die Kandidaten der Partei dazu einzuladen oder einladen
zu lassen und im Rahmen dieser Party dafür zu sorgen, dass sich der Kandidat bekannt machen kann. Das geschieht ohne offizielle Rede, vielleicht unterstützt durch
einen dezenten Hinweis auf die Anwesenheit des Kandidaten durch den Hausherrn,
aber ansonsten muss sich der Kandidat in Form von Smalltalk und hier und dort
vielleicht auch einem politische Gespräch in dieser Party selbst bewegen.
Die zweite Version ist die inszenierte Version. Hier lädt die Partei, aus welchem
Grunde auch immer, die Nachbarschaft zu einer Party ein und versucht dabei die
Kandidaten und ihr Programm zu vermarkten. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und der typischen Ressourcenknappheit bei Parteien, scheint die erste Version
die attraktivere zu sein.
Stammtische
Ein Stammtisch ist sowohl eine Gruppe von mehreren Personen, die sich regelmäßig in einem Lokal trifft, als auch der (meist größere und oft runde) Tisch,
um den sich diese Gruppe versammelt. Stammtische sind nicht organisierte Treffen und daher nur ein freiwilliger, aber doch verbindlicher Zusammenschluss von
Teilnehmern. Der Tisch wird traditionell durch ein mehr oder weniger aufwendig
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geformtes Schild gekennzeichnet und ist damit für die Stammtischrunde reserviert,
die sich in regelmäßigen Abständen dort trifft.
Vor allem in ländlichen Regionen und kleinen Gemeinden war die Zugehörigkeit zum Stammtisch an einen höheren Sozialstatus gebunden. So setzte sich ein
Dorfstammtisch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem aus
örtlichen Honoratioren wie dem Bürgermeister, Arzt, Apotheker, Lehrer, Förster
oder wohlhabenden Bauern zusammen. Die Einladung an einen Ortsfremden, am
Stammtisch Platz zu nehmen, galt als nicht selbstverständlicher Wertschätzungsbeweis. Im iberischen Sprachraum (Spanien, Portugal, Lateinamerika und Brasilien)
hat sich dies in den dortigen „Tertulias“ bis heute erhalten.
Wo solche traditionellen Formen möglich sind, sind sie auch für Parteien geeignet, um Präsenz zu zeigen, aber auch um mit Bürgern in Kontakt zu kommen.
Dennoch sind in vielen Ländern die alten Stammtische out. Der Besuch ist schleppend, der Nutzen für die Partei gering. Aber es könnte eine neue Form von Stammtischen geben, die das Bedürfnis vieler Menschen befriedigen könnten, nach der
Arbeit in einem überschaubaren Rahmen zwanglos miteinander zu kommunizieren.
Dabei handelt es sich um ein Modell „After-work-Stammtisch“. Gelingt es einige
Parteimitglieder regelmäßig zu einem solchen AW-Stammtisch zu bewegen, kann
sich daraus nach kurzer Zeit ein interessanter Treffpunkt für Kandidaten, Bürger,
Arbeitskollegen und Freunden etablieren. Die lockere Form der Kommunikation über
politische und halbpolitische Themen ist eine optimale Ergänzung zu den Informationsveranstaltungen aus Radio, Fernsehen und Internet.
18.3.2 Veranstaltungen
Veranstaltungen
Kundgebungen
Kundgebungen sind nur dann eine sinnvolle Veranstaltung, wenn man mit
wirklich großen Namen aufwarten kann. Eine Kundgebung, bei denen nur wenige Zuhörer anwesend sind, wirkt eher peinlich und sollte vermieden werden. Eine
Kundgebung ist in der klassischen Form eine Ein-Weg-Kommunikations-Veranstaltung. Das bedeutet, dass es nicht zu Diskussionen und einem Dialog zwischen
Zuhörern und Hauptredner kommt. Daher gehört diese Form der Veranstaltung zu
den Maßnahmen der Werbung und findet in der politischen Kommunikation am
Ende des Wahlkampfes statt.
In vielen Ländern wird diese Art der Veranstaltung als ein Teil einer Rallye gesehen. Das ist eine Abfolge von Kundgebungen mit einem bedeutenden Politiker,
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der auf diese Art und Weise eine Vielzahl von Veranstaltungen an einem Tag absolvieren kann und dessen Auftritt bei dem jeweiligen örtlichen Ereignis dann der
Höhepunkt ist.
Zielgruppenveranstaltungen
Sind in der Planung des Wahlkampfes die Zielgruppen sauber definiert worden,
dann werden Veranstaltungen zu einem, die Zielgruppen interessierenden Thema
auch erfolgreich verlaufen. Für die Besucher aus der Zielgruppe wird es aber darauf
ankommen, neue und interessante Informationen zu erhalten. Darauf sollte schon
bei der Einladung hingewiesen werden.
Podiumsdiskussionen
Bei einer Podiumsdiskussion oder einem Podiumsgespräch kommen Fachleute oder Vertreter von Interessengruppen zum Gespräch vor einer größeren Zuhörerschaft zusammen, um ihre Auffassungen darzustellen und zu vergleichen. Bei
solchen Veranstaltungen haben die Besucher oftmals falsche Erwartungen und
werden enttäuscht. Das liegt daran, dass die Besucher erwarten, dass die Diskussionen zu einem Ergebnis führen und damit bestimmte Probleme gelöst werden
können. Das kann höchsten dann erreicht werden, wenn Fachlaute auf dem Podium
sitzen und das gemeinsame Ziel haben, ein Problem gemeinschaftlich anzugehen.
Bei Vertretern von Interessengruppen und von Parteien wird allerdings ein anderes
Ziel verfolgt, nämlich die Darstellung der Absichten der entsendenden Organisation
und bei Wahlkämpfen die Abgrenzung zu den anderen Posiumsteilnehmer. Hier gilt
der Satz: „Man setzt sich zusammen, um sich auseinander zu setzen.“ Strategisch
ist die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion nur dann für eine Partei sinnvoll,
wenn sie ihr eigenes Image schärfen kann und bei einem Teil der Zuhörer positiv
wahrgenommen wird.
Podiumsdiskussion sollten deshalb nicht von der Partei mit nahestehenden Vertretern verschiedener Organisationen selbst veranstaltet werden, weil diese eigentlich immer langweilig sind, überwiegend schlecht moderiert werden und von den
Diskussionsveranstaltungen im Fernsehen deutlich abfallen. Veranstaltet aber eine
Zeitung oder eine Volkshochschule oder eine sonstige eher neutrale Organisation
eine solche Podiumsdiskussion, so kann man sich dieser kaum entziehen. Hier gilt
die Regel, dass man ähnlich wie im Wahlkampf die Zuhörer spalten muss. Man muss
auffallen, damit die Zuhörer auch anschließend über den geleisteten Beitrag reden.
Das kann dadurch geschehen, dass man eine sehr deutlich abweichende Meinung
zu anderen Podiumsteilnehmern einnimmt, oder dass man ein Thema für wenig
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bedeutsam erklärt und über ein anderes für die Partei wichtiges Thema redet, auch
wenn der Moderator dabei unzufrieden wird. Denn es kommt nicht darauf an, den
Moderator glücklich zu machen, sondern das eigene Image zu schärfen.
Kongresse
Die Veranstaltung von Fachkongressen zu einem bestimmten Thema ist dann
eine sinnvolle Veranstaltung, wenn es gelingt, Fachpublikum und Medienverterter
von der eigenen Kompetenz in einer Sachfrage zu überzeugen. Bei solchen Kongressen kommt es sehr stark auf die Qualität der Referenten an, deren Anwesenheit
auf dem Kongress dann auch Fachkompetenz auf die Partei überträgt.
Besichtigungen
Interessante Objekte zu besichtigen und Bürger auch hinter die Kulissen schauen
zu lassen, ist gerade auf lokaler Ebene eine Attraktion, weil viele Bürger das Gefühl
haben, dass sie in der Nähe eines solchen Objektes wohnen aber davon ausgeschlossen sind. Wenn eine Partei, sich solche Besichtigungen für bestimmte Gruppen oder
für bestimmte Themen zu eigen macht, können sowohl positive wie auch negative
Erfahrungen weiter gegeben werden. Warum nicht einmal die Kulturstätten einer
Stadt gemeinsam anschauen und anschließend über die Finanzierung der Kultur
reden? Warum nicht einmal die schlimmsten Graffittiplätze der Gemeinde besuchen
und über Abhilfe mit den Verantwortlichen diskutieren? Warum nicht einmal die
Abwasseranlagen einer Gemeinde besichtigen und dabei den Benchmarkvergleich
zu anderen Städten bei den Gebühren präsentieren? Diese Art der Besichtigungen
führen die Bürger an die Problemzonen heran und können die Themenschwerpunkte
der Partei sehr gut verdeutlichen.
Eine andere Form der Besichtigung ist die Besichtigung mit einem Politiker
oder einem Prominenten. Auch solche Besichtigung von Einrichtungen, Firmen oder
anderen Plätzen, an denen positive oder negative Statements ermöglicht werden,
ist immer auch ein Ereignis für die Presse. Das eigentliche Ziel ist hier jedoch ein
Ereignis für die Presse zu schaffen, um eine Berichterstattung auszulösen.
Unterschriftensammlungen
Die Unterschriftensammlung ist immer eine Aktionsform des Protestes für oder
gegen etwas. Für Parteien sind sie besonders dann eine adäquate Aktionsform, wenn
die Partei in der Opposition ist oder sehr klein ist. Sie ist ein Mittel um Bürger zu
motivieren sich mit einem Thema und einer Partei auseinander zu setzen. Für re0OLITISCHE3TRATEGIEN
gierende Parteien ist eine solche Unterschriftensammlung weniger geeignet, weil
dadurch eher Schwäche ausgedrückt wird.
18.3.3 Print-Medien
Hier handelt es sich zu einem Teil um Medien, die ungesteuert sind, wie zum Beispiel redaktionelle Beiträge in Zeitungen oder gesteuert sind, wie zum Beispiel
Flugblätter oder Briefe. Die Wirkung der Printmedien hängt zum großen Teil von
der Alphabetisierungsrate115 ab. Printmedien können eben nicht auf Analphabeten
wirken, wobei hier auch in Ländern mit hoher Alphabetisierung die Sekundäranalphabetenrate zu berücksichtigen ist.
Redaktionelle Beiträge
Redaktionelle Beiträge sind mit Abstand immer noch eines der wichtigsten
Kommunikationsmittel einer Partei. Deswegen muss die Pressearbeit der Partei gut
organisiert sein. Siehe dazu auch das Kapitel über die Rolle der Medien. Ein großes
Problem besteht in vielen Ländern in der Konzentration auf den Zeitungsmarkt, so
dass die Vielzahl der lokalen Zeitungen zurückgegangen ist und damit auch die lokale Berichterstattung immer weniger Raum findet. In diese Lücke dringen nun auch
als Werbeträger lokaler Unternehmen Anzeigenblätter, die einmal oder teilweise
sogar mehrfach in der Woche erscheinen. Diese Blätter haben zumeist eine sehr
kleine Redaktion, so dass sie dankbar für gut geschriebene und kurze Meldungen
sind. Die Parteien allerdings unterschätzen die Wirkung dieser Medien, genauso
wie die Wirkung der Stadteilzeitungen usw.
Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften
Anzeigen sind ein teures und wenig glaubwürdiges Instrument, das aber einfach zu managen ist. Es sichert die Verbreitung in einem großen Kreis ohne eigene
Verteilungsarbeit. Der Inhalt der Anzeigen wird selten wahrgenommen. Aber es ist
ein Instrument der Erinnerungswerbung, um deutlich zu machen, dass die Partei
existiert und an den Wahlen teilnimmt.
Bei der Frage, ob Anzeigen überhaupt wahrgenommen werden, kommt es auf
die Gestaltung, die wahrnehmbare und merkbare Headline und die Platzierung an.
Eine allgemeine politische Anzeige in einem nichtpolitischen Umfeld, wie Sport,
115 Kress, Gunther R. (2003). Literacy in the new media age. New York: Routledge. ISBN 0-41525356-X.
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Todesanzeigen oder Feuilleton wird nicht wahrgenommen, weil es an der Sensibilisierung fehlt. Im politischen Teil der Zeitung kann eine solche Anzeige aber durchaus Wirkung haben, wird aber zumeist durch die redaktionelle Berichterstattung
erschlagen, da sie eine deutlich höhere Glaubwürdgkeit hat.
Falt- und Flugblätter
Falt- und Flugblätter sind gesteuerte Instrumente, mit denen die Partei oder der
Kandidat ganz gezielt bestimmte Themen aufgreifen kann und auch die Verteilung
zielgruppengerecht steuern kann. Damit sind diese Medien, die heute sehr schnell
und grafisch gut an jedem PC entworfen werden können, eines der flexibelsten
Medien, die im Wahlkampf und auch in Nichtwahlkampfzeiten zur Optionsbildung
eingesetzt werden können.
Die Erfahrungen mit dem Einsatz dieser Medien zeigt, dass die Konzentration
auf ein Thema wichtig ist. Nur so weckt des Falt- oder Flugblatt genügend Interesse und wird von der Zielgruppe wirklich wahrgenommen. Allgemeine Flug- und
Faltblätter mit vielen Themen verlieren ihren Wert als Transporteur eines Themas
und dienen dann ähnlich wie die allgemeine Anzeige nur der Erinnerung, dass die
Partei existiert und sich an Wahlen beteiligt.
Broschüren und Bücher
Die Produktion von Büchern und Broschüren ist zumeist sehr aufwendig. Der
Kostenfaktor ist groß und bei einer breiten Verteilung sind die Streuverluste zu
hoch. Wenn es wirklich genügend Stoff für eine Broschüre oder ein Buch gibt,
sollte das Medium nicht einfach verteilt werden, sondern als Medium beworben
und anschließend ein kostendeckender Preis im Verkauf erzielt werden. Es gelingt
durchaus bei guten Büchern mit namhaften Autoren diese Bücher in den allgemeinen Buchhandel zu bringen. Damit spricht man zwar in der Regel keine große
Zielgruppe an, sondern zumeist nur wenige Intellektuelle oder Medienvertreter,
die aber wiederum als wichtige Opinionleader wirken. Daher eignen sich Bücher
besonders dann, wenn in einem Wahlkampf zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich dem Wahltag, Gruppen mit unterschiedlichem Bildungsniveau gleichzeitig angesprochen und überzeugt werden müssen. Das Flugblatt, dass sich an die breite
Öffentlichkeit wendet, ist für ein hohes Bildungsniveau zumeist nicht ausreichend
und wirkt eher abschreckend. Wenn ergänzend und als Vorlauf zu den Themen ein
Buch oder eine Broschüre entwickelt wird, das die Anforderungen an Informnation und Problemlösungskompetenz erfüllt, kann die gleichzeitige Ansprache der
Niveaus erfolgreich werden.
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Zeitungsbeilagen
Zeitungsbeilagen in Form von Flug- oder Faltblättern verlieren ihre Wirkung in
einem Umfeld von vielen schönen Beilagen von Möbelhäusern, Kaufhäusern und
anderen Anbietern. Zumeist kann eine Partei nicht mit den aufwändig gemachten
Publikationen mithalten und verliert hier im Aufmerksamkeitswettbewerb. Andererseits unterliegt sie den Verlusten, die alle Zeitungsbeilagen zu beklagen haben,
dass nämlich der potenzielle Leser zunächst alle Zeitungsbeilagen entfernt und
wegwirft und damit von vornherein eine Wahrnehmung ausgeschlossen ist.
Direktwerbung
Hier handelt es sich um persönlich adressierte Anschreiben an bestimmte ausgewählte Personen. Also zumeist um Briefe, neuerdings gehören aber auch persönlich
adressierte E-Mails und SMS dazu. Diese werden aber noch einmal unter elektronischen Medien behandelt. Hier geht es um Briefe. Ein persönlich adressierter Brief
ist nach dem persönlichen Gespräch eine weitere sehr effiziente Form der Ansprache. Dabei ist natürlich klar, dass bei einem solchen Brief der Werbungscharakter
nicht zu sehr im Vordergrund stehen darf. Zunächst einmal muss hier die Frage
gestellt werden: Wem sende ich einen Brief? Die Direktwerbung ist eine Form der
Zielgruppenwerbung und wendet sich damit immer an eine definierte Zielgruppe.
Vor allen Überlegungen, ob ein solches Medium zum Einsatz kommen soll, muss
daher die Frage nach der Botschaft stehen. Gibt es eine attraktive Botschaft für
eine bestimmte Zielgruppe? Wenn nein, dann sollte man dieser Zielgruppe auch
keinen Brief schreiben. Wenn ja, dann sollte man versuchen, an möglichst gutes
Adressmaterial zu kommen. Solches Adressmaterial kann man von Adressverlagen
beziehen oder man kann seine eigenen Verteiler aufbauen. Für Politiker zum Beispiel
ist es eine gute Investition von allen Personen, mit denen man in der Legislaturperiode zusammengearbeitet hat oder für die man etwas gemacht hat, eine Datei
anzulegen, die man dann kurz vor der Wahl für einen persönlichen Brief nutzt.
In anderen Fällen – zum Beispiel bei gekauften oder überlassenen Adressen
– hängt die Wirkung sehr stark von dem Grad der persönliche Ansprache ab. Anschreiben mit Etiketten auf dem Briefumschlag und auf dem Brief keine Adresse und keine Anrede, sondern „Liebe Jungwähler“ oder „Sehr geehrte Damen und
Herren“ haben eine deutlich geringere Wirkung als ein Fensterbriefumschlag mit
der richtigen Adresse und der persönlichen Anrede: „Liebe Frau Mustermann“. Die
richtige Wirkung entfaltet die Direktwerbung dann, wenn die Person ein zweites
Mal kurz vor dem Wahltag angeschrieben wird.
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18.3.4 Medien für Außenwerbung
Sichtbarkeit ist permanent und besonders im Wahlkampf wichtig. In den meisten
Ländern wird diese Sichtbarkeit durch Außenwerbung hergestellt. Dabei dominieren im Wahlkampf Plakate, die auf den Straßen in unterschiedlicher Größe aufgestellt werden.
Plakate in verschiedenen Formaten
Plakate sind ein wichtiges Instrument im Wahlkampf. Das allein stehende
Plakat – in welcher Größe auch immer –, das vom Bürger isoliert wahrgenommen
wird, zeigt in Verbindung mit anderen Maßnahmen seine Wirkung. Im Gegensatz
zur Print- oder TV-Werbung eignet sich das Werbemedium Plakat wenig zur Übermittlung komplexer Botschaften und damit auch weniger zum Aufbau von langfristigem Image.116 Die Stärke des Plakats liegt in der unmittelbaren Bewerbung
von politischen Produkten und Marken. Plakate müssen die Werbebotschaft innerhalb von 1,5 bis 2 Sekunden kommunizieren.117 Während Anzeigen eher noch ein
Lesemedium sind, ist ein Plakat ein Sichtmedium. Plakate werden nicht gelesen,
sondern geschaut.
Folgende Elemente sind bei Plakaten zu beachten:
Durchsetzungskraft
Plakate müssen in Sekundenbruchteilen in einem Outdoor-Umfeld Aufmerksamkeit schaffen, in dem Tausende anderer Reize die Aufmerksamkeit des Konsumenten ablenken.
Wahrnehmung
Damit bei Plakaten die schnelle Botschaft wirkt, muss der Betrachter das Plakat
unmittelbar und in der gewollten Weise erschließen können.
116 Astafi ev, S.V./Shulman, G. L./Stanley, C.M./Snyder, A.Z./Van Essen, D.C./Corbetta, M.: Functional
Organization of Human Intraparietal and Frontal Cortex for Attending, Looking, and Pointing.
Journal of Neuroscience, June 1, 2003; 23(11), S. 4689–469
117 Barber, P. J./Cooper, S.: Poster Visibility. Technical Report for POSTAR UK Ltd., 1996
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Kognition
Plakate müssen die kurze Betrachtungsdauer, die ihnen zur Verfügung steht,
effizient nutzen. Zentrale Informationen müssen schnell und einfach transportiert
werden, damit die Botschaft verstanden werden kann.
Emotion
Emotionale Bilderwelten haben einen positiven Einfluss auf die Aufmerksamkeit und die Erinnerung der Marke. Somit spielt auch bei Outdoor-Werbemitteln
die Emotion eine wichtige Rolle.
Branding
Plakate müssen schneller als jedes andere Medium die werbende Marke klar
und präzise transportieren. Und das, ohne die anderen Inhalte in der Kürze der Zeit
zu kannibalisieren.
Handlung
Die durch Plakate geschaffene Aufmerksamkeit muss letztlich immer der Attraktivität des beworbenen politischen Produkts dienen. Daher ist zu prüfen, ob
das Werbemittel eine Aktivierung der Zielgruppe leisten kann.
Eine optimale Wirkung zeigen Plakate, wenn ihre Dichte circa 800 Plakate pro
100.000 Einwohner, oder 100 Plakate pro 10.000 Einwohner oder 15 Plakate pro
1.000 Einwohner beträgt. In ländlichen Gebieten mit auseinander liegenden Ortsteilen muss die Zahl der Plakat noch etwas nach oben korrigiert werden.
Transparente
Transparente, das heisst also Spannbänder quer über die Straße sind heute
nicht mehr sehr kostenaufwendig, da die Herstellung einfach geworden ist und
das Bedrucken zu niedrigen Preisen vorgenommen wird. Allerdings ist die Genehmigung zum Aufhängen dieser Transparente relativ aufwändig. Deshalb haben sich
die Werbeträger bisher nicht durchgesetzt. Sie sind aber wirkungsvoller als Plakate
und eine Kombination von Plakaten und Transparenten könnte einen optimalen
Außenwerbungseffekt erzielen.
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Sichtwerbung auf Verkehrsträgern
Sichtwerbung auf Verkehrsträgern, zum Beispiel auf Bussen, Bahnen und Taxen
sind sehr wirkungsvolle Werbeeinrichtungen. Sie sind nicht ganz billig, haben aber
den Vorteil, dass sie sehr auffällig sind.
Haus-, Wand-, Brückenbeschriftungen
In einer Viezahl von Ländern sind Beschriftungen von Häusern, Wänden und
Brücken ein übliches Verfahren für die Außenwerbung. In einigen Ländern wie z.B.
in Uruguay und Paraguay haben die Häuser selbst die Farben der Partei, die von
den Bewohnern präferiert werden. In Mitteleuropa ist das Beschreiben von Wänden und Brücken entweder verboten oder wird nur selten genutzt. Die Wirkung der
Beschriftung ist jedoch unbestritten, da sie wie große Plakate wirken.
Aufkleber, Merchandisingprodukte
Die Bereitschaft zum öffentlichen Bekenntnis von Sympathisanten oder Mitgliedern zu einer Partei ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgeprägt.
Sie ist manchmal mit Gefahren verbunden, wenn tätliche Angriffe auf Personen
oder Eigentum zu erwarten ist. In anderen Ländern wiederum hat sich das Image
von Parteien so weit verschlechtert, dass nur wenig öffentlich bekunden, welche
Partei sie bevorzugen. Dennoch gehört auch die Bereitschaft, das Auto oder sonstige Besitztümer mit Aufklebern der Partei zu bekleben, die Fahne der Partei in
den Fernstern zu zeigen und vieles mehr zur Außenwerbung. Die Bereitschaft hängt
auch von der Situation ab und davon wie emotional die Botschaft ist. Das gilt auch
für T-Shirts und andere Waren, die man heute ohne viel Aufwand bedrucken oder
herstellen lassen kann. Merchandising, wie es von vielen Markenartiklern und Sportvereinen betrieben wird, könnte für Parteien in zweierlei Hinsicht eine Bedeutung
haben. Einmal als Instrument der Verkaufsförderung und einmal als ein Instrument
der Kampagnenfinanzierung.
Ambient Media
Ambient Media ist eine besondere Form der Außenwerbung im direkten Lebensumfeld der Zielgruppe. Die Definition, die diese Form des Marketings am besten
trifft, lautet: „Ambient Media sind Medienformate, die im Out-of-Home-Bereich
der Zielgruppe planbar konsumiert werden.“ Dabei beschreibt der Begriff „Ambiente“ die spezifischen Lebensbereiche, in denen eine Zielgruppe lebt. Diese Medien
lassen sich besonders gut im Bereich der Lebensstilzielgruppen anwenden. Siehe
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dazu das Kapitel 16.2. Nachdem, die Zielgruppen zunehmend schwerer über die
Standardkanäle zu erreichen waren, findet Ambient Media den Weg in den direkten
Lebensraum. Das umfasst öffentliche Verkehrsmittel genauso wie den Supermarkt
oder den Delikatessenladen, das Gourmetrestaurant genauso wie die Jugendkneipe.
Die Zuordnung zum Out-of Home-Bereich grenzt diese Medienform von Telefoncanvassing, Haustürgeschäften und New Media ab. Als Medien sind bekannt Gratispostkarten in Gastronomiebetreiben oder Bierdeckel in Kneipen, Werbung auf
Pizzakartons, Zapfpistolen an Tankstellen, Toilettenplakate in Sanitärräumen von
Kneipen und Diskotheken, Spind- und Duschplakate in Fitnessstudios.
18.3.5 Elektronische Medien
Elektronische Kommunikation hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen. Wer konnte sich vor 20 Jahre vorstellen, mit einem Mobiltelefon Freunde anzurufen und damit auch SMS zu verschicken, wer hatte mit der
Möglichkeit gerechnet, dass man Briefe über das Internet verschicken kann und
wer konnte vor 20 Jahren das Internet als allgemein zugängliches Informationssystem nutzen. Die Kommunikation hat sich in diesen Jahren dramatisch verändert
und sie verändert sich weiter, über Hörbücher, Podcasts und Blogs. Aber nicht nur
neue Instrumente sind vorhanden, sondern auch seit längerer Zeit bekannte elektronische Medien können heute wegen der Preisstrukturen und wegen des erhöhten
Wettbewerbs im Wahlkampf genutzt werden.
Fernsehwerbung und -redaktion
In der politischen Kommunikation spielt die redaktionelle Berichterstattung im
Fernsehen heute für nationale und internationale Politik eine entscheidende Rolle. Je weiter man auf die lokale Ebene kommt, um so schwieriger wird der Zugang
zu diesen Medien. Das liegt einmal daran, dass regionale oder lokale Fenster beim
Fernsehen wenig vorhanden sind und dadurch die lokale Berichterstattung nur
schwer Akzeptanz findet. Wenn sie jedoch vorhanden sind, gilt es hier permanente
Präsenz in der Berichterstattung zu zeigen. Sind regionale und lokale Sender nicht
vorhanden, ist und bleibt Fernsehen ein Medium für die nationale Parteiebene. Bei
der reaktionellen Präsenz einer Partei spielen die Nachrichten die entscheidende
Rolle. Auch wenn heute Talkshows und ähnlich Events zunehmend mehr gesendet
werden, gilt die Nachrichtensendung als Vermittlung der „Wahrheit“.
Die Fernsehwerbung kann sehr unterschiedlich genutzt werden. In einigen
Ländern gibt es sehr restriktive Regeln der Nutzung, in anderen Ländern sind die
Regeln zwar großzügig, aber die Preise sind sehr hoch. Dennoch haben viele Kam
0OLITISCHE3TRATEGIEN
pagnen ihr Rückgrat in der Fernsehwerbung. Da hier audio-visuelle Informationen
übetragen werden, werden auch zwei Kanäle benutzt, nämlich das Auge und das
Ohr. Wichtig für das Verständnis der Wirkung des Fernsehens ist dabei, dass das
Bild die Audio-Information dominiert. Der Text, der übertragen wird, kann sogar
inkongruent zum Bild sein. Die bildliche Information wird aufgenommen. Daher
muss bei der Produktion von Fernsehwerbung das Bild im Mittelpunkt der Bewertung stehen.
Radiowerbung und -redaktion
Der Hörfunk spielt in all den Länder eine entscheidende Rolle, die nicht in der
Lage sind, das ganze Land mit Fernsehen abzudecken. Er ist das typische Informationsmittel für diejenigen Regionen mit hoher Analphabetenrate und dabei dann
auch ein Instrument um sprachliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Der Hörfunk ist ein typisches Sekundärmedium. Das bedeutet, dass Radio zumeist neben
einer anderen Tätigkeit gehört wird. Man lässt sich berieseln.
Im redaktionellen Bereich werden deswegen auch Nachrichten häufig wiederholt, so dass eine Penetration entsteht und damit zum Hörer durchgedrungen
wird. Bei der Hörfunkwerbung dagegen, die unregelmäßig gesendet wird, muss
entweder auch auf eine hohe Sendefrequenz geachtet werden oder durch Signale
(Jingles) die Partei akustisch annonciert werden, bevor die eigentliche Botschaft
gesendet wird.
Internetwerbung und Web-Sites
Websites sind ein weit verbreitetes Werbeinstrument für die Parteien, allerdings
oftmals in einem sehr schlechten Zustand, was die Aktualität betrifft. Bei diesem
Instrument muss berücksichtigt werden, dass es ein passives Instrument ist. Die
Website muss immer vom Wähler aufgerufen werden, bevor der Kontakt hergestellt wird. Das bedeutet in der Realität, dass die Website zunächst mit Print- und
anderen Medien beworben werden muss. Dabei muss eine so hohe Attraktivität
erzeugt werden, dass der Nutzer des Internet auch wirklich motiviert ist, die Website aufzurufen. Eine weitere Anforderung an eine gute Website ist die ständige
Aktualisierung, damit der Nutzer der Website öfter oder vielleicht sogar regelmäßig
auf die Site geht und für sich einen Nutzen sieht.
Internetwerbung bedeutet, Werbung mit Hilfe von Bannern oder anderen Instrumenten wie Google AdWords auf anderen Internetseiten zu platzieren. Diese
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Werbemedien sind oftmals überraschend preisgünstig und unterstützen den Zugriff
auf die eigene Website oder auf bestimmte Inhalte in der Website.
Podcasts
Die Internetpräsenz kann jetzt auch im Podcasts, das sind Mediendateien (Audio oder Video) im Internet, erweitert werden. Ein einzelner Podcast ist somit eine
Serie von Medienbeiträgen (Episoden), die über einen Feed automatisch bezogen
werden können. Man kann Podcasts als Radio- oder Fernsehsendungen auffassen,
die nicht mehr zu einer bestimmten Zeit konsumiert werden müssen.
Seit 2006 veröffentlicht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wöchentlich am Samstag einen Podcast und auch der amerikanische Präsident Barack Obama
nutzt diese Instrument, auch wenn die Downloads nur einen geringen Prozentsatz
der Internetnutzer ausmachen.
Weblog oder Blog
Eine weitere neue Entwicklung ist das Weblog oder auch Blog genannt. Es ist
so etwas wie ein digitales Tagebuch. Es wird am Computer geschrieben und im
Internet veröffentlicht. Es ist also eine Webseite, die periodisch neue Einträge enthält. Ein Blog ist ein Medium zur Darstellung des Lebens des Kandidaten und von
Meinungen zu spezifischen Themengruppen und Behandlungen von Themen durch
die eigene Partei und durch andere Parteien. Weiter vertieft kann es auch sowohl
dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrung als auch der Kommunikation dienen und ist insofern mit dem Internetforum sehr verwandt.
Internetforen
Ein Internetforum, auch Diskussionsforum, ist ein virtueller Platz zum Austausch
und Archivierung von Gedanken, Meinungen und Erfahrungen. Die Kommunikation
findet dabei asynchron, das heißt nicht in Echtzeit, statt.
Üblicherweise besitzt ein Internetforum ein bestimmtes Oberthema bzw. ist
nach Themen und Unterthemen in einzelne Unterforen unterteilt. Es können Diskussionsbeiträge (Postings) hinterlassen werden, welche die Interessierten lesen und
beantworten können. Mehrere Beiträge zum selben Thema werden wie im Usenet
zusammenfassend als Thread (Faden) oder Thema (Topic) bezeichnet. Mit dem Eröffnen eines neuen Threads kann ein neues Thema zur Diskussion gestellt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In den Internetforen gibt es eine Vielzahl von politischen Themen. Will eine
Partei die Diskussion beeinflussen, müssen Vertreter der Partei oder Sympathisanten
in den Foren massenhaft auftreten und ihre Meinung verbreiten. Ein Beispiel dafür war die Art, wie das Team von Obama die Internetforen in den USA für Wahlkampfzwecke benutzt hat.
E-Mail
E-Mail ist ein sehr effizientes und vor allem kostengünstiges Mittel der Kommunikation. Allerdings haben die Spam-Produzenten das Medium in Misskredit
gebracht. Gelingt es jedoch die E-Mail-Nutzer zu motivieren die Partei mit der EMail-Adresse in ihr Adressbuch aufzunehmen, dann kommt man normalerweise an
dem Spamfilter vorbei. E-Newsletter oder E-Informationen zu bestimmten Themen
sind so schnell und kostengünstig zu verschicken.
18.4 Gewaltlose Aktionen
Gewaltlose Formen der Aktionen richten sich zumeist gegen Gegner, die bereit
sind, Gewalt anzuwenden oder das staatliche Gewaltmonopol gegen Bürger und
Bürgergruppen auszuspielen. Sie sind daher Hilfsmittel für alle diejenigen, die gewaltfreie Aktion der gewalttätigen vorziehen und die gleichzeitig erkannt haben,
dass normale Formen der Kommunikation nicht ausreichen, um die gesetzten Ziele
zu erreichen.
Gewaltlose Aktionen spielen auch eine Rolle zwischen verschiedenen Staaten,
werden also auch international eingesetzt. Sie haben eine Bedeutung für unterdrückte Gruppen in einem System und sind Mittel autoritäre Herrschaften zu beseitigen. Und sie sind letztlich auch Ausdruck der normalen Auseinandersetzungen in
Machtfragen, die nicht gewalttätig geklärt werden sollen. Dieses kann dann auch
für beide Seiten gelten.
Man findet drei Gruppen von gewaltlosen Aktionen:
– Protest und Überzeugung
– Nichtkooperation
– Gewaltlose Interventionen
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18.4.1 Methoden des Protest und Drucks
Bei diesen Methoden geht es zum großen Teil um symbolische Akte, die oftmals
keine direkte Wirkung erzielen, aber in der Häufung dennoch ihre Spuren hinterlassen und teilweise die Opponenten in schwierige Erklärungslagen, besonders auf
internationalem Parkett bringen können. Es handelt sich hier um typische PublicRelations-Aktionen, die Aufmerksamkeit erzeugen sollen.
Formale Erklärungen
–
Öffentliche Reden
–
Offene Briefe
–
Öffentliche Stellungnahmen von Institutionen
–
Unterschriftensammlungen
–
Öffentliche Anklageerhebung
–
Petitionen
Gruppenaktionen
–
Abordnungen, Delegationen
–
Interessenvertretung/Lobbying
–
Mahnwachen
–
Flash-Mobs (Der Begriff Flashmob bezeichnet einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise persönlich nicht kennen und ungewöhnliche Dinge tun.
Flashmobs werden über Online-Communities, Weblogs, Newsgroups, E-MailKettenbriefe oder per Mobiltelefon organisiert. Flashmobs gelten als spezielle
Ausprägungsformen der virtuellen Gesellschaft, die neue Medien wie Mobiltelefone und Internet benutzt, um kollektive direkte Aktionen zu organisieren.)
Symbolische öffentliche Akte
–
Tragen von Buttons und Aufklebern
–
Zerstörung von eigenem Eigentum, wie Verbrennen von Dokumenten
–
Tragen von symbolischen Farben z.B. Trauerfarben
–
Symbolische Lichter zeigen, „Tausend Kerzen für ...”, Fackelzüge
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–
Symbolische Land- oder Hausbesetzungen
–
Symbolische Laute wie Glockenläuten, Pfeifkonzerte, Sirenengeheul
–
Schweigeminuten
–
Gottesdienste und öffentliche Gebete
–
Huldigung auf Friedhöfen
–
Inszenierte Beerdigungen
–
Straßentheater
–
Bemalung von Straßen
–
Gemeinsames Singen (so startete die estnische Befreiung)
Druck auf Persönlichkeiten
–
Jagd auf Offizielle durch ständiges Folgen, öffentliches Ansprechen
–
Verspotten von Offiziellen
–
Mahnwachen vor den Häusern
–
Telefonterror bei Tag und Nacht
–
Überreichung symbolischer Gaben (Zitrone, Kaktus)
–
Öffentlich den Rücken zukehren oder das Hinterteil
Umzüge
–
Aufmärsche
–
Paraden
–
Religiöse Prozessionen
–
Wallfahrten
–
Auto-, Fahrradrallyes
Versammlungen
–
Protestversammlungen
–
Getarnte Protesttreffen
–
Teach-ins
–
Auszug aus Veranstaltungen
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18.4.2 Methoden der Nichtkooperation
Die Methoden der Nichtkooperation sind deutlich wirkungsvoller als die des öffentlichen Protestes. Sie waren die bevorzugte Methodik von Gandhi und seinen Unterstützern. Man unterscheidet hier die soziale Nichtkooperation und die ökonomische
Nichtkooperation, die in den Formen von Boykott und Streik erscheinen.
Ächtung von Personen
–
Gesellschaftlicher genereller oder selektiver Boykott
–
Exkommunikation (Ausschluss aus Religionsgemeinschaft)
–
Sexueller Boykott (Lysistrata als Vorbild)
–
Kontaktverbot
–
Ausschluss von Aktivitäten (Sport, soziale Ereignisse)
Boykott von Ereignissen
–
Boykott von Veranstaltungen, Wahlen, gesellschaftlichen Ereignissen
–
Zurückweisung von Einladungen
–
Sozialer Ungehorsam wie Befehlsverweigerung, Dienstverweigerung, Steuerrebellion
–
Rückzug aus gesellschaftlichen Institutionen, Massenaustritte
Rückzug aus der Gesellschaft
–
Zu Hause bleiben
–
Totale Verweigerung der Kooperation
–
Gemeinsames Verlassen von Regionen oder Wohnquartieren
–
Zuflucht in religiösen Stätten suchen, Tempel, Kirchenasyl usw.
–
Protestemigration (Moses Auszug aus Ägypten)
18.4.3 Methoden ökonomischer Nichtkooperation: Boykott
Hier geht es um die Weigerung zu kaufen, zu verkaufen, bestimmte Güter zu behandeln oder Dienstleistungen zu erbringen oder anzunehmen.
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Verbraucheraktionen
–
Verbraucherboykott für bestimmte Güter oder Firmen
–
Nichtverzehr bestimmter Produkte
–
Verweigerung der Mietzahlung
–
Nationaler Boykott, Waren bestimmter Länder zu kaufen (zur Zeit der Apartheid
gegen Südafrika gerichtet oder Weinboykott gegen Frankreich nach Zündung
eines Atomversuches)
–
Nationaler Boykott, Waren aus dem Ausland zu kaufen (British-first-Aktion)
Aktionen von Produzenten, Arbeitern, Händlern usw.
–
Weigerung von Produzenten ihre Produkte zu verkaufen oder auszuliefern (kann
auf bestimmte Gruppen gerichtet sein, wie Ausländer, bestimmte Ethnien oder
Religionsangehörige)
–
Weigerung von Arbeitern mit den Produkten bestimmter Firmen zu arbeiten
–
Weigerung von Arbeitern, bestimmte Produkte zu entladen oder zu verschiffen
(Kaffeeverschiffungsboykott)
–
Weigerung von Händlern bestimmte Produkte zu kaufen oder zu verkaufen
–
Ausschließung von Arbeitern als Gegenmaßnahme zu Streiks oder Streikdrohungen
Aktionen von Kapitaleignern
–
Rückzug von Bankguthaben
–
Kapitalflucht aus einem Land
–
Weigerung Gebühren und Steuern zu zahlen
–
Weigerung Schulden und Zinsen zu zahlen
–
Kreditkündigung
–
Weigerung der Annahme von staatlicher Unterstützung
Aktionen von Regierungen
–
Embargo
–
Händler auf schwarze Listen setzen
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18.4.4 Methoden ökonomischer Nichtkooperation: Streik
Beim Streik wird eine Nichtkooperation im Bereich Arbeit angestrebt. Der Begriff
Streik hat sich allerdings auch auf andere Bereiche ausgedehnt:
–
Proteststreik
–
Blitzstreik
–
Warnstreik
–
Sympathiestreik
–
Schwerpunktstreik
–
massenhafte Krankmeldung
–
Generalstreik
–
Studentenstreik
–
Lehrerstreik
–
Gefangenenstreik
18.4.5 Die Methoden der politischen Nichtkooperation
Hier geht es um die Nichtkooperation von Bürgern mit politischen Einrichtungen,
um zivilen Ungehorsam, aber auch um Aktionen der politischen Einrichtungen gegen
die Bürger und um Aktionen von politischen Einrichtungen gegen andere politische
Einrichtungen, sowohl auf lokaler, nationaler wie auch auf internationaler Ebene.
Aktionen Bürger gegen Staat
–
Aufgabe von Loyalität
–
Verweigerung öffentlicher Unterstützung für das herrschende Regime und seine
Politiken
–
Aufruf zum Widerstand durch Literatur und Reden
–
Boykott mit der Regierung zusammen zu arbeiten auf allen Ebenen der Verwaltung, der Parlamente und bei Wahlen
–
Dienst nach Vorschrift
–
Arbeitsniederlegung, wenn keine Aufsicht, Bummeln
–
Sit-in
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–
Massenhafte Selbstanzeigen
–
Fernbleiben von angeordneten Versammlungen
–
Falsche Informationsweitergaben
–
Ziviler Ungehorsam bei „illegitimen Gesetzen”
Aktionen Staat gegen Bürger
–
Entzug von staatlicher Hilfe (generelle Streichung, Nichtzahlung oder Verzögerung)
–
Abzug von Subventionen
–
Erhöhung des Drucks durch mehr Reglementierung
–
Aktionen zwischen politischen Einrichtungen
–
Blockade zwischen legislativen Kammern
–
Blockade der Legislative gegenüber der Verwaltung (Nichtverabschiedung des
Haushaltes)
–
Blockade der Verwaltung gegenüber der Legislative (Nichtauszahlung der Diäten)
Aktionen zwischen Staaten
–
Auswechseln von Diplomaten und anderen Repräsentanten
–
Keine diplomatische Anerkennung
–
Rückzug von internationalen Organisationen
–
Ausschluss aus internationalen Organisationen
–
Verweigerung der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen
–
Ausladung von internationalen Treffen
18.4.6 Die Methoden des nicht gewalttätigen Eingriffs
Diese Methoden eignen sich um direkten Einfluss auf eine Situation zu nehmen.
Negative Interventionen können bestimmte Verhaltensweisen verändern und Muster
und Institutionen zerbrechen. Positive Eingriffe können neue Muster schaffen.
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Die hier dargestellten Methoden sind härter und direkter als die bisher vorgestellten. Sie sind schwieriger in der Durchführung und vor allem beim Durchhalten
der Aktion.
–
Sich den Elementen aussetzen
–
Hungerstreik
–
Tribunal
–
Gewaltlose Nötigung
–
Sit-in, Go-in usw.
–
Gewaltloser Überfall
–
Gewaltlose Invasion
–
Gewaltlose Unterbrechung von Energie- oder Wasserversorgung
–
Gewaltlose Besetzungen
–
Aufbau neuer gesellschaftlicher Muster
–
Aufbau neuer sozialer Einrichtungen
–
Aufbau neuer Kommunikationssysteme
–
Guerilla-Spiele
–
Fälschungen machen (Geld, Dokumente usw.)
–
Gewaltlose Landbesetzung
–
Straßen blockieren
–
Schwarzmärkte aufbauen
–
Alternative Transportsysteme aufbauen (Rote Punkt Aktion)
–
Administration lahmlegen
–
Massenhafte Verhaftungen provozieren
–
Ziviler Ungehorsam auch bei normalen Gesetzen
–
Alternative Regierung aufbauen
–
Exilregierung aufbauen
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18.5 Gewalttätige Aktionen
Clausewitz behauptet „der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel118”. In seinem Brief an Major i.G. von Roeder
vom 22.12.1827 erläutert er die Nähe von Politik und Krieg noch näher. Lenin119 hat
sich besonders mit diesem Kapitel des Buches von Clausewitz beschäftigt.
Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Politik hat dann Mao Tse-tung mit der
Theorie des Guerillakrieges fortgedacht. Die Weiterentwicklung dieser Kriegsform
zum Stadtguerilla und zu einer Strategie der Dritten Welt gibt Aufschluss über die
Bedeutung von Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele.
Der Terrorismus als politisch motivierte Gewaltanwendung von Gruppen oder
Einzelpersonen ist eine moralisch besonders schwer einzuschätzende Form der
Gewaltanwendung. Denn wo beginnt die terroristische Gruppe und wo endet der
Freiheitskämpfer, der gegen die Gewaltanwendung des Staates sein Widerstandsrecht nutzt.
Die regionalen Konflikte, die gewalttätigen Explosionen zwischen Ethnien und
Religionen, die Anwendung von Gewalt durch fundamentalistische Gruppen sind
ein weiteres Beispiel dafür, dass Gewaltanwendung zu einem täglichen Mittel zur
Durchsetzung von Machtansprüchen und politische Ideologien geworden ist.
Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellt die Änderung der Strategie der NATO
dar, die sich aus einem defensiven Bündnis mit Beistandsfunktion zu einer offensiven Organisation entwickelt und bereit ist, zur Einhaltung oder Einforderung von
Menschenrechten Gewalt anzuwenden.
Gewaltaktionen sind damit nicht auslaufendes Modell politischer Strategien,
sondern nehmen in letzter Zeit eher zu.
Zu den Aktionsformen gehören:
–
Überfälle
–
Erpressungen
–
Entführungen von Personen oder Transportmitteln
118 v. Clausewitz: Vom Kriege, 6. Kapitel B.
119 W. I. Lenin: Clausewitz’ Werk „Vom Kriege” Auszüge und Randglossen a.a.O. S. 35 ff.
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–
Bombenanschläge
–
politische Morde
–
Vertreibungen
–
Bürgerkrieg
–
verdeckter nicht erklärter Krieg oder offener erklärter Krieg
18.6 Evaluierung der Festlegung der Hauptinstrumente
Wie aus der Aufzählung von Hauptinstrumenten deutlich geworden ist, besteht eine
große Bandbreite mit gewaltigen Wirkungsunterschieden. Das persönliche Gespräch
mit dem Nachbarn auf der einen Seite und der offene erklärte Krieg auf der anderen
zeigen die Bedeutung der Abwägung des Einsatzes der Instrumente.
Die Evaluierung des Einsatzes von Instrumenten sollte daher folgende Fragen
umfassen:
1. Ist das Instrumentarium verhältnismäßig zum Auftrag?
2. Ist die Kombination der Instrumente untereinander verträglich?
3. Ist der Einsatz der Instrumente kulturell akzeptabel?
4. Ist die Kombination der Instrumente mit dem Zielimage verträglich?
5. Können mit den ausgewählten Instrumenten die Zielgruppen erreicht werden?
6. Ist der Einsatz der Instrumente personal- und ressourcenschonend?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
)MPLEMENTIERUNGDER3TRATEGIEN
Die Implementierung der Strategie erfolgt unter planerischen Gesichtspunkten
über die Definition der taktischen Ziele und durch die Festlegung des Zielimages.
Darüber hinaus geschieht die Implementierung aber durch aktives Handeln bei der
Durchführung von Maßnahmen und Aktionen. Deshalb hängt der Erfolg der Implementierung der Strategien von der Art und Weise des Handelns der Menschen
ab, die diese Aufgaben zu erfüllen haben. Dabei spielen menschliche Faktoren und
operative Faktoren eine wichtige Rolle.
Es ist immer wieder passiert, dass sehr gute Strategien in der Durchführung in
Hände gelegt wurden, die nicht in der Lage waren, die Aufgabe der Implementierung zu übernehmen oder bei der Implementierung vermeidbare Fehler gemacht
haben, was dann zum Scheitern der gesamtstrategischen Absichten führte.
19.1 Menschliche Faktoren
Bei den menschlichen Faktoren spielen die Handelnden in der politischen Führung,
in der Kampagnenleitung und bei den Aktiven vor Ort eine wichtige Rolle. Die Konstruktion von Parteien mit ihren innerparteilichen demokratischen Strukturen führt
hier oft zu einer Konfusion. Wer ist hier eigentlich die politische Führung? Sind das
die demokratischen Organe wie Parteitag oder Parteikongress, die in öffentlicher
Debatte wichtige strategische Entscheidungen für die Partei treffen? Oder ist das
der Parteipräsident oder der Kandidat mit einer kleinen Gruppe von ausgewählten
Funktionsträgern? Wer übernimmt hier eigentlich die Rolle des Generalstabs? Ist
das der Generalsekretär mit einem hauptamtlichen Team oder sind das vom Kandidaten oder von der Parteiführung politisch benannte Personen, die auch in der
politischen Führung eine Rolle spielen und ihre eigenen Hausmachten haben? Und
wer sind die Aktiven? Sind das die lokalen Führer und Mitglieder, die wiederum als
Entscheider auch im Parteitag sitzen und über die politische Führung entscheiden?
Wer ist oben und kann Weisungen und Befehle erteilen, wer ist unten und hat Weisungen auszuführen? Das alles ist bei Parteien unklar. Und das ist auch der Grund
dafür, dass die Kampagnenführung zumeist so schlecht funktioniert.
Dieses Kapitel will einige grundsätzliche Überlegungen anstellen für die Organisation einer Kampagne und einige zu beachtende Prinzipien darstellen.
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19.1.1 Die politische Führung
Die politische Führung – unabhängig davon, ob nun Regierung, Minister, Parteiführung, Bürgermeister oder Führung einer NRO – muss die ihr nach der Verfassung,
dem Wahlgesetz, der Satzung oder anderen gesetzlichen Vorschriften übertragenen
Aufgaben wahrnehmen oder für deren Wahrnehmung sorgen. Die politische Führung ist verantwortlich für das Programm, für die Auswahl von Kandidaten, für die
Rahmensetzung des Budgets und für die Genehmigung der strategischen Linie.
Wenn diese Festsetzungen gemacht sind, sollte die politische Führung sich aus
den weiteren Entscheidungen der Kampagnenleitung heraushalten, es sei denn die
Kampagnen-führung möchte wegen der Bedeutung einer Entscheidung diese von
der politischen Führung abgesichert haben.
Die politische Führung soll und muss eine professionelle Kampagnenführung
berufen. Aber sie sollte sich nicht anmaßen, die notwendigen professionellen Entscheidungen selbst zu treffen. Hier ist eine ernsthafte Überschätzung bei vielen
Politikern spürbar, die vom Plakatentwurf über die Gestaltung von Autoaufklebern,
das Drehbuch für den Fernsehspot bis hin zum geplanten Mediamix alles entscheiden wollen. Dabei sind sie meistens keine Strategieplaner, keine Kommunikationsfachleute, haben keine Ahnung von Reichweiten, Werbetrends usw.
Sun Tzu sagt dazu, dass es drei Möglichkeiten für die politische Führung gibt, die
Armee in Schwierigkeiten zu bringen, nämlich, wenn man in die militärische Kommandostruktur eingreift, wenn man in die Verwaltung des Militärs eingreift oder
wenn man in die Verantwortlichkeiten der militärischen Führer eingreift.
Diese Eingriffe werden allerdings täglich bei Wahlkämpfen, aber auch bei anderen politischen Strategien gemacht. Dadurch wird die Kampagnenleitung demoralisiert und gleichzeitig wird das Vertrauen der Mitarbeiter in die Kampagnenführung unterminiert.
Sun Tzu sagt:„Derjenige, dessen Generäle fähig sind und frei von Eingriffen des
Regenten sind, werden gewinnen. Deshalb denken erleuchtete Regenten intensiv
über Pläne nach, während die Generäle sie ausführen.”
Deshalb gilt das folgende Prinzip für die politische Führung:
„Die politische Führung hat ihre Aufgaben rechtzeitig und vollständig zu erfüllen und darf danach nicht im Detail in die Kampagnenführung eingreifen.”
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ein zweites Problem stellt sich immer bei der Berufung der Kampagnenführung.
Hier werden zu oft politische Berufungen vorgenommen, die nicht die Fähigkeit
des Berufenen zur Kampagnenführung berücksichtigen, sondern andere Kriterien
bei der Auswahl berücksichtigen, wie zum Beispiel „bedingungslose Unterwerfung”,
absolute Loyalität, „Familienzugehörigkeit”, „Freundschaft” usw. Werden solche Berufungen ausgesprochen, ist die Kampagnenfähigkeit von vornherein eingeschränkt.
Der Autor hat mehrere Kampagnen begleitet, bei denen der Kandidat in alle Funktionen der Kampagnenführung Familienmitglieder berufen hatte. Trotz erkennbar
schlechter Leistung dieser „Mitarbeiter” gelingt es im Regelfall nicht, auch nur einen von ihnen auszutauschen, weil der Kandidat zusätzlich zu seiner allgemeinen
Belastung nicht noch einen Familienkrach riskieren will. Das gilt genauso, wenn
gute Freunde oder gute Bekannte diese Funktionen übernehmen.
Die Berufung von professionellen Mitarbeitern ins Team hat viele Vorteile. Der
wichtigste ist, dass man sich auch trennen kann, wenn die Leistung nicht den Erwartungen entspricht oder wenn „die Chemie nicht stimmt”. Natürlich sollten solche
Schritte immer gut überlegt werden, denn ein rausgeworfener Kampagnenleiter
kann natürlich auch gefährlich werden, weil er die Strategie ja kennt.
Deshalb gilt das folgende Prinzip für die politische Führung:
Die politische Führung muss die Kampagnenleitung sorgfältig auswählen und
hohe Qualitätsanforderungen stellen. Sie muss auf jeden Fall vermeiden, politisch oder persönlich motivierte Berufungen vorzunehmen.
Wahlkampf-oder
oderKampagnenleitung
Kampagnenleitung
19.1.2 WahlkampfWelche Qualifikationen sollte ein Kampagnenleiter haben?
1. Ein Kampagnenleiter sollte in der Lage sein, strategisch und politisch zu denken
und zu entscheiden. Ein Kampagnenleiter hat sowohl Planungsaufgaben, aber
vor allem auch Entscheidungsaufgaben. Deswegen sind Entscheidungswille,
Umsichtigkeit und Klarheit notwendige Bedingungen. Zögerliche und unklare
Entscheidungen können das gesamte Projekt gefährden. Das Hinausschieben
von Entscheidungen und das endlose Datensammeln vor der Entscheidung sind
Verhaltensweisen, die nicht zu einem Kampagnenleiter passen.
2. Ein Kampagnenleiter sollte fähig sein, geplante Maßnahmen umzusetzen. Die
entschiedenen Pläne müssen effektiv umgesetzt werden. Das bedeutet, mit den
richtigen Leuten in geordneten Abläufen zu kooperieren und klare Vorgaben
zu setzen. Zögerliches und halbherziges Implementieren von Maßnahmen und
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unklare Weitergabe von Aufträgen vertragen sich nicht mit den Eigenschaften
eines Kampagnenleiters.
3. Ein Kampagnenleiter sollte fähig sein, seine Organisation und die ihm nachgeordneten Organisationsteile zu motivieren und zu managen. Dazu gehört die
Fähigkeit zu delegieren und gleichzeitig zu controllen. Dazu gehört auch die
Fähigkeit gerecht zu urteilen und mit Lob und Tadel umgehen zu können.
Diese drei Kriterien können am besten dadurch überprüft werden, wenn man
analysiert, was der Bewerber bisher gemacht hat. Strategisches und politisches
Denken, Umsetzungswillen und Managementfähigkeiten kann man sich nicht theoretisch aneignen. Hier müssen praktische Erfahrungen vorliegen. Das bedeutet,
dass überprüft werden muss, was der Bewerber bisher gemacht hat und welche
Ergebnisse er dabei erreicht hat.
Um die oben erwähnten Bedingungen zu erfüllen, braucht der Kampagnenleiter bestimmte Charaktereigenschaften, die ihn erst in die Lage versetzen, so zu
handeln, wie es von ihm verlangt werden kann. Die Überprüfung, ob er diese mitbringt, ist ungleich schwerer als die Überprüfung seiner praktischen Erfahrungen.
Siehe dazu auch das Kapitel 7.6 über die Führung.
19.1.3 Die Aktiven
Die Aktiven, das bedeutet die Mitglieder als Wahlkämpfer, die Freiwilligeneinheiten,
die eine Kampagne unterstützen, die Funktionsträger auf den unteren Ebenen, diejenigen, die vor Ort oder direkt bei den Zielgruppen Arbeit leisten, sind das Rückgrat einer jeden Kampagne, die auf Breitenwirkung angelegt ist und mehr als nur
gesteuerte Kommunikationsmedien nutzt.
Für die Beurteilung der Wirkung der Aktiven ist zunächst einmal die Quantität heranzuziehen. Die Menge der Mitglieder oder Helfer kann eine entscheidende
Bedeutung für die wirkungsvolle Implementierung haben. Wird zum Beispiel eine
Kampagne geplant, die die Mediendominanz der Regierung unterlaufen soll, hängt
der Erfolg der Massenkommunikation von der Zahl der Mitglieder oder Freiwilligen
ab, die die Face-to-face-Kommunikation übernehmen sollen.
Neben der Quantität spielt aber auch die Qualität eine Rolle. So kann eine
Face-to-face-Kommunikation dann nicht wirkungsvoll sein, wenn die Helfer nicht
trainiert und auf ihren Auftrag vorbereitet sind. Das ist eine Erfahrung, die bei politischen Kampagnen oft gemacht wird, dass erwartet wird, dass bestimmte Personen
ab einem bestimmten Zeitpunkt an beginnen, mit ihren Nachbarn, Verwandten
0OLITISCHE3TRATEGIEN
oder Kollegen zu kommunizieren, dieses aber ausbleibt, weil die Mitglieder nicht
vorbereitet sind.
Deswegen ist der Organisation dieser Aktiven besondere Aufmerksamkeit zu
widmen. Zunächst geht es dabei um die Steuerung dieser Einheiten. Die Steuerung
kann nur erfolgreich sein, wenn die Einheiten in Disziplin geführt werden oder durch
motivierende Zielvorgaben und klare Feindbilder so motiviert werden, dass sich
Disziplin ohne Drohung ergibt. Dabei kommt es auch darauf an, die Aktiven nicht
ruhen zu lassen, weil das automatisch zur Disziplinlosigkeit und Trägheit führt.
Es gibt in einem Wahlkampf keinen schlimmeren Fehler als Mitglieder oder
Freiwillige zur Arbeit aufzurufen und dann nichts zu tun zu haben. Hier gilt, dass
immer Arbeit anzubieten ist, zur Not auch Arbeit, die eigentlich nicht nötig ist, die
aber die angebotene Arbeitskraft der Freiwilligen bindet.
Eine weitere wichtige Bedingung für eine gute Führung der Aktiven ist die Kommunikation. Hier geht es um die interne Kommunikation, die sicherstellen muss, dass
die Informationen von oben nach unten gelangen, die aber auch die Möglichkeit
eröffnen muss, dass Feedback von unten nach oben gelangt. Für die Führung der
Aktiven ist es notwendig, dass sie jederzeit die für sie notwendigen Informationen
erhalten oder zumindest wissen, wo sie diese Informationen erhalten können. Eine
schlecht informierte Einheit vor Ort kann keine erfolgreiche Arbeit leisten.
Bei der Implementierung von politische Strategien kann bei unangenehmen
Situationen immer wieder beobachtet werden, dass die Führung „wegtaucht”, das
heißt sich aus der Kommunikation ausklinkt und keine oder falsche Informationen
weitergibt. Das führt natürlich automatisch zu falschem Verhalten der Einheiten,
die auf die Informationen angewiesen sind. Das bereitet den Weg zur Entwicklung
von vielfältigen Gerüchten, die die Motivation der Aktiven stark behindert.
Eine weitere Komponente zur Führung der Aktiven ist die „Überzeugung”, die
„Siegeszuversicht” oder die „Moral” der Truppe. Das Setzen und das erfolgreiche
Erreichen von Teilzielen ist daher eine wichtige Führungsaufgabe. Das strategische
Gesamtziel ist meistens so groß und unerreichbar für das normale aktive Mitglied,
dass die Ziele sowieso überschaubar gemacht werden, auf Kleinräume übertragen
werden und mit zeitlichen Unterzielen versehen werden müssen, so dass es viele
Anlässe gibt, den Erfolg zu feiern und motiviert die nächste Etappe anzustreben.
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19.1.4 Motivation der Freiwilligen
Die möglichen Motivationshemmer durch Führungsmängel lauten wie folgt:
Mangel an realistischen Zielen, die sich mit den Zielen der Mitglieder decken
Wenn die Führung keine Ziele hat, wird es ihr schwer fallen, jemanden mit auf
die Reise zu nehmen, denn niemand weiß, wohin es geht. Deswegen beginnt alles
mit einer klaren Zielvorstellung. Ohne Ziel, keine Motivation sich zu bewegen.
Lösung: Wie kommen wir zu Zielen, die sich mit den Zielen der Mitglieder
decken?
Wir müssen die Ziele, die hinter unseren vordergründigen taktischen oder strategischen Zielen liegen wieder umwandeln in Problemlösungsziele. Die Mitglieder
im eigenen Verband sind in ihrem Denken nicht weit von den Nichtmitgliedern
entfernt, außer ihrer politischen Ausrichtung. Deswegen müssen wir sie ähnlich
behandeln, wie die nicht gebundenen Bürger. Der Bürger will von der Politik zunächst Problemlösungen und genau das wollen unsere Wähler auch. Die Parteiorganisation will aber als Vorstufe „bessere Wahlergebnisse“, „mehr Mandatsträger
„ usw. Hier unterscheiden sich also die Ziele der Organisation von den politischen
Zielen unserer Mitglieder und Wähler, obwohl der Verband im Wahlkampf mit einem
Programm angetreten ist und Problemlösungen versprochen hat. In den Sitzungen der Parteiführungen wird kaum noch über Problemlösungen gesprochen. Politik wird in die Fraktion – wenn es denn eine gibt – verbannt. In Vorstand und
Mitgliederversammlung wird Krisenmanagement für den eigenen Verband
betrieben und dabei sollen die Mitglieder und die übrigen Freiwilligen helfen. Das
entspricht aber nicht ihrem eigenen Antrieb.
Mangel an interner Kommunikation
Wenn die Mitglieder und sonstigen Freiwilligen nicht erfahren, dass sie gebraucht werden, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie können sie sich dann beteiligen. Erst wenn sie das Gefühl haben, dass durch ihr Handeln mehr erreicht
werden kann, dann entwickelt sich ein Zuwachs im Selbstwertgefühl, das sich
zumeist positiv auf das Verhältnis zur Organisation auswirkt. Man muss schon
um Hilfe schreien, wenn man jemanden motivieren will, ihn zu retten.
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Lösung: Wie gestalten wir die Kommunikation, damit Motivation ausgelöst
wird?
Kommunikation muss regelmäßig und inhaltsreich sein. Sie muss dem Freiwilligen deutlich machen, dass es der Führung darum geht, dass der Freiwillige
informiert ist und in die Lage versetzt wird, zu entscheiden ob und wie er sich beteiligen will. Das bedeutet, dass die Kommunikation folgende Inhalte aufzeigt:
Was wollen wir, warum und wann tun? Welche Hilfe brauchen wir dazu? Wie
die Kommunikation im Einzelnen gestaltet wird, muss von den örtlichen Bedingungen und der Art der typischen Kommunikation im Verband abhängig gemacht werden. Dazu muss die Kommunikation im Verband überprüft werden. Erfüllt diese die
Voraussetzungen für eine motivierende Ansprache unserer Freiwilligen oder nicht?
Über- oder Unterforderung
Die freiwillig arbeitenden Mitglieder bringen alle eine bestimmte Menge von
Wissen, von Erfahrungen und von Fähigkeiten mit. Wenn sie sich durch die Führung überfordert fühlen, werden sie sich verweigern und Ausflüchte suchen.
Beispiel: Besetzung eines Infostandes. Hier liegt für viele die Überforderung
darin, dass viele Mitglieder das Gefühl haben, zu wenig von den Hintergründen
von Politik zu verstehen oder ihnen die Botschaft nicht klar ist. Sie haben Angst
mit den Bürgern in eine Diskussion einzutreten.
Wenn sie sich dagegen durch die Führung intellektuell unterfordert fühlen,
als Hilfsarbeiter für niedere Tätigkeiten, so wird ihr Selbstwertgefühl geschädigt.
Sie haben keine Lust zu der aus ihrer Sicht „unwürdigen“ Arbeit.
Beispiel: Handwerkliche Arbeit bei der Plakatierung. Das wird von einigen Mitgliedern abgelehnt, weil sie es für nicht angemessen halten, dass ein „Kopf“ mit
der „Hand“ arbeiten soll. In Wirklichkeit übersteigt die handwerkliche Arbeit sehr
oft auch ihre handwerklichen Fähigkeiten, was dann allerdings wieder in die Rubrik „Überforderung“ fällt.
Lösung: Wie schaffen wir es, die „richtigen“ Leute auf die „richtigen“ Plätze
zu bringen?
Dazu ist es nötig die „Leute“ mit ihren Erfahrungen, ihren Fähigkeiten aber
auch mit ihren Ängsten, den Rücksichtnahmen usw. zu kennen. In Wirklichkeit
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sind die Führungskräfte doch froh, wenn sie wissen, wie die Leute heißen, wo sie
wohnen und manchmal wissen sie sogar, welchen Beruf sie wo ausüben. Hier tritt
das Eisbergmodell in Erscheinung. Wir kennen nur die Spitze des Eisberges, wir
wissen kaum etwas darüber, wie es unter der Oberfläche aussieht. Aber genau da
sind die Gründe für Mitarbeit oder Abstinenz zu suchen.
Sie kennen viele Mitglieder nur von der Papierform des Aufnahmeantrages und
dann manchmal noch von einer Versammlung. Kaum jemand macht sich wirklich
die Mühe, den Menschen hinter dem Freiwilligen ausfindig zu machen. Und solange das nicht geschieht, wird es nicht gelingen, den Menschen zu motivieren
und dazu beizutragen, dass der richtige Mensch am richtigen Platz arbeitet.
Zur Überwindung dieser Schwäche müssen die Führungskräfte des Verbandes
mit ihren Mitgliedern direkt kommunizieren. Sie müssen versuchen, über ihren eigenen Kreis hinüber zu schauen in den Kreis der Persönlichkeit des anderen. Und
dann müssen sie auf der Basis dieser Erkenntnisse versuchen, einen gemeinsamen
Plan der Integration und der möglichen Karriere im Verband zu vereinbaren.
Machtspiele
Teilweise versuchen Führungskräfte die Mitglieder für ihre Machtspiele zu
nutzen. Mehrheitsbeschaffung auf Mitgliederversammlungen, Aushorchen anderer Führungskräfte usw. In solchen Spielen verlieren die Mitglieder, die ja eigentlich Probleme der Gesellschaft lösen möchten, ihre eigentlichen Anliegen und
werden sich nach einiger Zeit aus diesen Machtspielen durch Rückzug herauslösen. Wer andere für seine eigenen persönlichen Ziele missbraucht, wird deren
Unterstützung verlieren.
Lösung: Wie schaffen wir es, die Mitglieder aus den Ränkespielen um Macht
und Karriere herauszuhalten?
Das ist eine der schwersten Aufgaben, weil es eben in jeden Verband menschelt und Macht und Wirkung zu einem Grundbedürfnis eines jeden Menschen
gehört, beim einen mehr, beim anderen weniger. Das beste Mittel ist, die Zugehörigkeit zum Verband über Inhalte und Aktionen zur Problemlösung herzustellen, so dass die Mitglieder eine Nähe zum Verband aufweisen und nicht nur eine
Bindung über Führungspersonen erfolgt.
Missachtung der Kompetenzen von Freiwilligen
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen
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besteht darin, dass der Hauptamtliche zunächst die Zielerreichung im Sinne hat.
Er ist also zielorientiert und das im Sinne der strategischen oder taktischen Ziele
der Organisation. Der ehrenamtlich Tätige ist problemorientiert. Er möchte ein
Problem lösen oder dazu beitragen, dass es gelöst wird. In diese Problemlösung
tritt er als ganzheitliches Wesen ein, das heißt mit allen seinen Kompetenzen und
Fähigkeiten. Und er will ein gutes Gefühl bei der Problemlösung behalten. Deswegen ist sein Interesse nicht nur auf das Ziel gerichtet, sondern auf den gesamten Prozess. Er ist prozessorientiert. Wer andere wie Unmündige behandelt, muss
sich nicht wundern, wenn sie wie Unmündige handeln.
Lösung: Wie schaffen wir es, freiwillig ehrenamtlich Tätige so zu führen, dass
sie ihre Kompetenzen nutzen können?
Gerade die Orientierung auf den Prozess verlangt von der Führung ein Managementverhalten, das darauf gerichtet ist, Aufgaben verantwortlich zu delegieren. Das bedeutet, dass die ehrenamtlich Tätigen nicht als Handlanger genutzt
werden, sondern den Prozess selbst steuern können müssen. Diese Methode der
„Führung durch Ziele“ verlangt allerdings ein Instrument, das in der Politik unterentwickelt ist. Und dieses Instrument heißt Controlling. Ein Controlling macht
aber auch die Arbeit des Vorstandes und des Verbandes insgesamt effizienter.
Und das ist etwas, was ein motiviertes Mitglied auch will. Es möchte, dass seine
eingesetzte Arbeitszeit optimal genutzt wird und Ergebnisse bringt.
Desinteresse der Führung
Oftmals hat die Führung kein wirkliches Interesse an einer wirklich motivierten Mitgliedschaft. Denn motivierte Mitglieder verstehen sich als Teil des
Systems und nehmen sich deshalb auch das Recht heraus, nicht nur zu arbeiten,
sondern auch kritisch zu untersuchen, welche Ergebnisse ihre Arbeit bringt. Und
weiterhin kann man Motivation nicht an- und abschalten, sondern Motivation
ist, wenn sie erst einmal geweckt ist, ein Zustand, der auch gefordert werden
will. Das bedeutet, dass die Führung nicht erwarten kann, dass die Mitglieder auf
Zuruf motiviert sind und nach Erledigung der Aufgabe, dann wieder in Lethargie
verfallen. Sehr häufig ist das Klagen der Führung über zu wenig Motivation bei
den Mitgliedern unbegründet und nur als Ausrede zu verstehen.
19.2
Operative Faktoren
Neben den menschlichen Faktoren, die für eine erfolgreiche Implementierung
wichtig sind, gibt es auch einige operative Faktoren, die bei der Implementierung
berücksichtigt werden müssen.
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19.2.1 Das Prinzip der Zeitabhängigkeit
Zuallererst gilt das Prinzip der Schnelligkeit. Im Gegensatz zum Planungsprozess,
der lange dauern kann und durch und durch bedacht werden will, sollte die Implementierung rasch gehen. Denn je länger eine fertige Planung hinausgeschoben wird,
umso weniger werden die aktuellen Entwicklungen im Szenario berücksichtigt und
umso wahrscheinlicher wird es, dass es ein Leck gibt, so dass Teile der Planung an
die Öffentlichkeit geraten und dadurch die Aktion behindert wird.
Ein zweites zu berücksichtigendes Element ist das Timing120. Es kommt für die
erfolgreiche Implementierung stark darauf an, dass man den richtigen Zeitpunkt
wählt. Er muss zunächst übereinstimmen mit anderen geplanten Aktionen und
muss zeitlich harmonisiert mit der Implementierungen anderer taktischer Einheiten
verlaufen. Er muss aber auch äußere Termine berücksichtigen, so zum Beispiel den
Ramadan in islamisch orientierten Ländern und Weihnachten in christlich orientierten Ländern und die olympischen Spiele oder die Ferienzeiten usw.
Das dritte Element ist der Schwung oder Trend. Wenn es gelingt, sich von dem
Schwung einer bestimmten Bewegung mitreißen zu lassen und von dieser in die richtige Richtung mitgetragen zu werden, so spart das viele Ressourcen und der Erfolg
wird schnell und ohne viel Anstrengung sichtbar. Ist die Richtung des Schwunges
jedoch in die falsche Richtung gerichtet, so werden wir bei aller Anstrengung keinen Erfolg erreichen können. Deshalb sind die Beobachtung von gesellschaftlichen
Trends schon bei der strategischen Planung zu berücksichtigen und verlangen bei
der Implementierung auf taktischer Ebene besondere Berücksichtigung.
Eine Entwicklung bei der Implementierung, die auf jeden Fall zu vermeiden ist,
ist das Hinauszögern von Kampagnen oder die zu lange Laufzeit bestimmter Aktionen. Die Konzentration auf einen bestimmten Zeitabschnitt und die Erreichung
des gesetzten Zieles ist wichtig. In den anderen Fällen, in denen zu lange gewartet wird oder bei denen die Kampagne zu lange dauert, treten Ermüdungserscheinungen sowohl bei den Aktiven, wie auch in der Organisation auf. Aber auch die
Öffentlichkeit wird bei zu langen Kampagnen ermüdet und erschöpft und wendet
sich anderen Dingen zu.
120 Siehe dazu auch das Kapitel 4.2.3.
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19.2.2 Das Prinzip der flexiblen Anpassung
Flexibilität bedeutet das ortsnahe Erkennen von spezifischen Widerständen oder
Chancen und Anpassung an diese Bedingungen. Flexibilität bedeutet nicht Beliebigkeit. Der strategische und taktische Plan muss soweit irgend möglich durchgeführt
werden. Allerdings kann durch bestimmte Ereignisse oder örtliche Gegebenheiten
eine zeitliche Verschiebung, eine Anpassung an kulturelle Eigenschaften, eine Berücksichtigung bestimmter „Wetterlagen” notwendig sein. Insofern ist Flexibilität
die Feinanpassung an die örtlichen Bedingungen im Rahmen des großen vorgegebenen Zieles.
Sun Tzu sagt dazu: Das leitende Prinzip der militärischen Taktiken entspricht dem
Verhalten von Wasser. Genauso wie Wasser die Höhen umgeht und in die niedriger
gelegenen Gebiete fließt, sollte eine Armee die Stärken anderer und des Geländes
meiden und deren Schwächen ausnutzen.
Ein weiteres Element der flexiblen Anpassung ist innovatives Verhalten bei
der Implementierung. Aktionen, die erfolgreich waren, sollten nicht ohne weiteres
kopiert werden, weil die Bedingungen sich von Ort zu Ort und von Zeitpunkt zu
Zeitpunkt verändern. So kann die im letzten Jahr noch erfolgreiche Veranstaltungsform in diesem Jahr scheitern, weil es zum Beispiel besondere Konkurrenzangebote
gibt, die die Zielgruppe mehr interessieren als das dargebotene Angebot.
Innovatives Verhalten ist auch deshalb gefragt, weil die ständige Wiederholung
bestimmter Aktionen und Maßnahmen eine Berechenbarkeit zulässt, die es dem Gegner ermöglicht, sich darauf vorzubereiten und vor allem die geplanten Maßnahmen
zu behindern oder sogar zu vereiteln. Das typische Verhalten von Wahlkampfaktivisten auf lokaler Ebene, den Aktionsplan der letzten Wahl immer zu wiederholen,
muss auf Dauer scheitern, weil sich Verhalten, Medienkonsum und Technologien
verändern. Deshalb müssen neue Trends genutzt werden und die geplante Aktion
muss allein schon wegen der Neuartigkeit Interesse auslösen.
Bei aller vorausschauenden Planung wird es immer wieder Situationen geben,
in denen der Gegner Schritte unternimmt, die uns genauso überraschen, wie wir
immer wieder versuchen, den Gegner zu überraschen. In einer solchen Situation
muss flexibel gehandelt werden und es bedarf der Entschlusskraft des Verantwortlichen. Hier kann es dazu kommen, dass entgegen der Weisung der politischen
Führung Chancen genutzt werden müssen oder dem Kampf ausgewichen werden
muss, wenn dadurch das strategische Oberziel erreicht oder gefährdet werden kann.
Wenn es keine Zeit zur Abstimmung mit der Führung gibt, muss dort entschieden
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werden, wo die Entscheidung am besten getroffen werden kann und das ist dann
jeweils vor Ort.
19.2.3 Das Prinzip der Täuschung
Die Nutzung von Täuschungsmanövern dient dazu, strategische Vorteile zu erlangen. Die Täuschung dient zur Ablenkung von bestimmten Feldern, die nicht günstig
für uns sind. Die Täuschung dient auch dazu, den Gegner zu veranlassen an Stellen eine Verteidigung aufzubauen, die wir gar nicht angreifen wollen, um so seine
Verteidigung an anderen Stellen zu schwächen.
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3TRATEGIECONTROLLING
Der Abschluss der strategischen Planung und der Beginn der Überprüfung der alten und der Entwicklung neuer strategischer Pläne ist die Strategiekontrolle. Nach
jeder Implementierung von Strategien ist es notwendig, erneut Datenmaterial zu
sammeln, um verfolgen zu können, wie sich die Maßnahmen auf die taktischen
und strategischen Ziele auswirken. Dabei werden Nachsteuerungen nicht auszuschließen sein.
Das bedeutet, dass nur eine kontrollierte Strategie Sicherheit über den richtigen
Weg geben kann. Veränderungen in der Gesellschaft werden durch die Kontrolle
erfasst und dokumentiert. Werden dadurch wesentliche Stärken oder Schwächen,
die der Strategieplanung zugrunde lagen, verändert, muss auch die Strategie verändert werden. Sind die Veränderungen aber unbedeutend oder nicht strategierelevant, darf die Strategie nicht willkürlich verändert werden.
20.1 Aufklärung und Informationsbeschaffung
Informationsbeschaffung und Aufklärung sind wichtige Voraussetzungen für eine
erfolgreiche Strategie. Ohne Kenntnis der eigenen Fakten, ohne Kenntnis von Fakten
des Gegners und ohne Kenntnis über die Gesellschaft, in der die Strategie greifen
soll, sind Strategien nicht zu planen.
Sun Tzu sagt dazu: Kenne Deine Gegner, kenne Dich selbst und Dein Sieg wird
nicht bedroht sein. Kenne das Gelände, kenne die Witterung und Dein Sieg wird
vollständig sein.
Es gibt mehrere Möglichkeiten sich die Informationen, die man benötigt, zu
beschaffen. Folgende Methoden werden dabei angewandt:
1. Die repräsentative Befragung (quanitative Feldbefragung)
2. Die Delphi-Befragung oder Focus group Befragung (qualitative Zielgruppenbefragung)
3. Die Omnibus-Befragung
4. Auswertung der Medien
5. Spionage
6. Aufklärung bei den Allianzen der Gegner
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20.1.1 Die repräsentative Befragung (quantitative Feldbefragung)
Ein klassisches Instrument für die Sammlung von Informationen ist die repräsentative Bevölkerungsbefragung. Die Antwort auf die Frage, ob und inwieweit die Ergebnisse einer solchen Umfrage für die Entwicklung einer Strategie von Bedeutung sein
können, hängt von einer Vielzahl von Bedingungsfaktoren ab. Deshalb sind allein
die veröffentlichten Daten einer Umfrage für die Beurteilung nicht ausreichend.
Ein besonderes Problem bei veröffentlichten Umfragen stellt sich dadurch, dass
die Umfrage selbst als ein Instrument zur Veränderung von Einstellungen und Erwartungen benutzt wird. Mit Umfragen wird also Politik gemacht. Deshalb gehen
einige Länder dazu über, die Veröffentlichung von Umfragen in einer gewissen Zeit
vor der Wahl zu verbieten. Die Erfahrungen damit sind sehr unterschiedlich, weil in
dieser Zeit die Gerüchteküche umso mehr brodelt. Die Umfrageergebnisse der letzten
Tage vor der Wahl sind deshalb so wichtig, weil damit der „Band-Wagon-Effekt”121,122
ausgelöst werden kann. Dieser Effekt beruht darauf, dass viele Menschen ihre Wahlentscheidung davon abhängig machen, wer voraussichtlich die Wahl gewinnen
wird. Sie wollen beim Sieger sein. Der Effekt, auch „Last-minute-swing” genannt,
kann bis zu 3-4 % ausmachen. Noch dramatischer sind die Effekte, die bei der Anwendung von quantitativen Mindestklauseln bei Wahlen festzustellen sind.
In der Türkei gilt zum Beispiel die 10 % Klausel bei nationalen Wahlen. Hat eine
Partei deutlich über 10 % in den Umfragen, ist das nicht problematisch. Sinkt jedoch der Umfragewert in die Nähe von 10 % oder sogar darunter, dann fliehen die
Wähler, um mit ihrer Stimme einen funktionalen Effekt auszulösen. Sie verlassen
die gefährdete Partei und wenden sich einer großen Partei zu, von der sie erwarten,
dass diese eher eine nicht gewünschte Partei aufhalten kann.
Die Verfolgung der Wahlabsichten, die Entwicklung von politischen Trends, die
Bekanntheit von Politikern und die Imagekomponenten können alle durch quantitative Umfragen ermittelt und verfolgt werden.
Die beste Form eine solche Umfrage zu benutzen ist die Auswertung von selbst
in Auftrag gegebenen Umfragen. Hier kann Umfang und Zielrichtung der Befragung
selbst bestimmt werden. Trends können anhand von standardisierten Fragestel121 Band-Wagon-Effekt ist der Mitläufereffekt. Man orientiert sich an dem Wagen mit der Musikkappelle (Band wagon).
122 Harvey Leibenstein: “Bandwagon, Snob, and Veblen Effects in the Theory of Consumers’ Demand,”
The Quarterly Journal of Economics (May 1950).
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lungen abgelesen werden. Fehler aufgrund von schlecht gestellten Fragen können
vermieden werden.
man
ein Umfrageergebnisse
Umfrageergebnisse
Welche Bedingungen
Bedingungen müssen
müssenerfüllt
erfülltsein,
sein,damit
damit
man
überhaupt nutzen kann?
1. Die Umfrage muss repräsentative Ergebnisse liefern.
Da eine Befragung aller Zielpersonen in abgegrenzten geographischen Gebieten im Sinne einer Vollerhebung aus zeitlichen, organisatorischen und finanziellen
Gründen meist nicht möglich ist, wird in der Markt- und Meinungsforschung das
Instrument der Stichprobenerhebung eingesetzt. Dabei stellt sich zunächst die Frage,
ob das überhaupt möglich ist und ob man von einer Stichprobe auf die Grundgesamtheit schließen kann. Diese Frage muss mit „ja“ beantwortet werden, da nach
dem „Gesetz der großen Zahl”123 dieses jeweils mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsfaktor möglich ist. Die Größe der Stichprobe ist der Faktor für die Genauigkeit.
Es kommt dabei nicht auf das Verhältnis zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit an, sondern nur auf die Größe der Stichprobe. Dabei wird eine Strukturgleichheit zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit angestrebt, was bedeutet, dass
die Verteilung der untersuchungsrelevanten Merkmale in Grundgesamtheit und
Stichprobe identisch sein sollte. Wenn nun die Stichprobe ein verkleinertes, aber
ansonsten wirklichkeitsgetreues Abbild der Grundgesamtheit darstellt, kann von
Ergebnissen der Stichprobe auf die „wahren“ Werte in der Grundgesamtheit zurück
geschlossen werden, oder anders ausgedrückt: die Stichprobe ist repräsentativ für
die Grundgesamtheit.
2. Die Stichprobe muss groß genug sein, um den Stichprobenfehler klein zu halten.
Der Stichprobenfehler und damit der Fehler des gemessenen Merkmals hängt
nur von zwei Größen ab: Von der Ausprägung des Merkmals (p) und von der Größe
der Stichprobe (n). Generell kann man sagen, dass Stichproben mit einer Größe von
2.000 Interviews eine recht hohe Wahrscheinlichkeit haben. Auch 1.000 Interviews
reichen zumeist aus, um für das Gesamtwahlgebiet Aussagen zu machen. Hier treten
aber schon oft Probleme auf, wenn die Ergebnisse regionalisiert werden. Stichproben mit unter 1.000 Interviews sind deutlich weniger aussagefähig. Einen Überblick
über die Genauigkeit der Ergebnisse von Umfragen gibt die folgende Tabelle.
123 Auch Bernoullisches Theorem genannt. Danach nähert sich die Wahrscheinlichkeit P dafür, dass
bei einer genügend großen Anzahl n von Versuchen die Häufigkeit m eines Ereignisses ungefähr
gleich der Wahrscheinlichkeit p seines Eintreffens, beliebig nahe der Eins.
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Ergebnis (p)
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
90%
85%
80%
75%
70%
65%
60%
55%
50%
1,9
2,3
2,5
2,7
2,9
3,0
3,1
3,1
Stichprobe (n)
1000
3,2
900
2,0
2,4
2,7
2,9
3,1
3,2
3,3
3,3
3,3
800
2,1
2,5
2,8
3,1
3,2
3,4
3,5
3,5
3,5
700
2,3
2,7
3,0
3,3
3,5
3,6
3,7
3,8
3,8
600
2,5
2,9
3,3
3,5
3,7
3,9
4,0
4,1
4,1
500
2,7
3,2
3,6
3,9
4,1
4,3
4,4
4,4
4,5
400
3,0
3,6
4,0
4,3
4,6
4,8
4,9
5,0
5,0
300
3,5
4,1
4,6
5,0
5,3
5,5
5,7
5,7
5,8
200
4,3
5,1
5,7
6,1
6,5
6,7
6,9
7,0
7,1
100
6,0
7,1
8,0
8,7
9,2
9,5
9,8
9,9
10
Auf der linken Seite der Tabelle sind mögliche Stichprobengrößen angegeben,
die waagerechte Einteilung enthält die möglichen Merkmalsausprägungen von
10 bis 50 %. Diese Tabelle ist auf einem 95,5-%igen Signifkanzniveau erstellt.
Die erste Zahl der Tabelle besagt beispielsweise, dass bei einer Stichprobengröße
von 1.000 Fällen und einer Merkmalsausprägung von 10 % beziehungweise 90 %
die doppelte Standardabweichung 1,9 % beträgt. Das Ergebnis liegt also mit einer
95,5-%igen Sicherheit in einem Bereich von 88,1 % und 91,9 %. Die Tabelle zeigt
auch deutlich, dass bei der Interpretation unbedingt die Zahl der Fälle, auf die sich
Prozentwerte beziehen, berücksichtigt werden muss, weil die Schwankungsbreite
bei abnehmenden Fallzahlen zunimmt.
3. Die Stichprobe darf nicht verzerrt sein.
Verzerrungen treten auf, wenn zufällig oder aus Unachtsamkeit die Stichprobenzusammensetzung nicht der Bevölkerungsstruktur entspricht. Wenn zum Beispiel
die Umfrage zu viele Männer und zu wenig Frauen aufweist oder eine Altersgruppe
zufällig zu groß ist oder die Umfrage nur in der Hauptstadt gemacht wurde und
damit die ländlichen Gebiete nicht berücksichtigt wurden, sind Rückschlüsse auf
das Ergebnis nicht zulässig. Besondere Probleme treten in den Ländern auf, die über
keine statistischen Daten über ihre Bevölkerung verfügen. In einem solchen Fall kann
nicht einmal festgestellt werden, ob eine Stichprobe verzerrt ist oder nicht. Damit
ist das Risiko einer Verzerrung bei der Bewertung der Umfragedaten sehr groß.
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4. Die Gewichtung der Stichprobe muss nachvollziehbar sein.
Das bedeutet, dass die Umfrage mit den Gewichtungsfaktoren zum Ausgleich
von Verzerrungen bekannt sein muss. Besser ist noch, wenn man direkt an die Rohdaten herankommt. Diese Bedingungen erfüllen Umfragen, die in den Zeitungen
veröffentlicht werden, meistens nicht. Damit besteht immer die Möglichkeit, dass bei
der Gewichtung manipuliert wurde. Das hatte auch schon Churchill erkannt, als er
sagte, dass er nur den Statistiken Glauben schenke, die er selbst gefälscht habe.
5. Eine Umfrage allein genügt nicht.
Die Fixiertheit von Politikern auf Umfragen rührt daher, dass sie eigentlich immer
nur an drei Fragen interessiert sind. Das sind der Bekanntheitsgrad, die Imagewerte
für ihre Person und die sogenannte Wahl- oder Sonntagsfrage. Diese Teile sind für
einen Strategieplaner nur zum Teil interessant. Viel wichtiger ist die Liste der politischen Probleme, die Kompetenzwerte, die die Parteien oder die Kandidaten oder
Regierungen zur Lösung der Probleme haben. Aber alle diese Ergebnisse sagen als
Einzelwerte wenig aus. Besser ist es, wenn mehrere Umfragen nacheinander durchgeführt werden und der Trend in den Einzelwerten ausgewertet wird.
6. Der Fragebogen beeinflusst das Ergebnis.
Die Ergebnisse der Umfrage hängen vom Wortlaut der Fragen ab, die gestellt
werden. Dabei können beträchtliche Fehler gemacht werden. Besonders, wenn die
Parteien die Fragen selbst formulieren, kommt es immer wieder zu dramatischen
Fehlern, weil falsche Worte benutzt oder Fragen suggestiv formuliert wurden.
7. Das politische Klima beeinflusst das Ergebnis.
In einer politischen Atmosphäre von Angst und Repression sind Umfragen meistens unbrauchbar. Ein typisches Beispiel war das Desaster der großen Umfrageinstitute in Nicaragua bei den Wahlen 1990. Hier gab es, genauso wie zum Beginn
der Wende in den osteuropäischen Ländern, zu viele offensichtliche Lügen oder
Verweigerungen, dass die Ergebnisse nicht mehr repräsentativ sein konnten. Neuerdings machen sich viele Befragte einen Spaß daraus, bewusst falsche Angaben
zu machen, um ihre Unzufriedenheit mit den politischen System auszudrücken oder
die Ergebnisse der Umfrageinstitute unbrauchbar zu machen.
8. Das Auftreten der Interviewer spielt eine Rolle für das Ergebnis.
Deshalb sind selbstgemachte Umfragen (mit eigenem Personal, ohne ausreichende Schulung) meistens nichts wert.
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Bei der Beurteilung von Umfragen sollte man also sehr vorsichtig sein. Auf der
anderen Seite können gut gemachte Umfragen für den Strategieplaner ein ausgezeichnetes Instrument sein.
Der hier dargestellte Typ der Befragung zielt zum größten Teil auf die Darstellung von quantitativen Zusammenhängen ab. So werden zumeist geschlossene
Fragen gestellt, die entweder mit ja oder nein zu beantworten sind, oder es werden
mehrere Antwortmöglichkeiten vorgegeben, für die man sich entscheiden muss124.
Hier gibt es die Möglichkeiten
–
eine von mehreren ausformulierten Alternativen zu wählen
–
eine Auswahl aus einer Liste zu treffen
–
eine Auswahl von Karten zu wählen und diese in eine Reihenfolge zu bringen
–
von Bildblattvorlagen zu wählen
–
sich für eine Position auf einem Dialogblatt zu entscheiden
–
auf einem Thermometer eine graduelle Zustimmung oder Ablehnung zu äußern.
In allen Fällen ist hier die Antwort vorfabriziert. Ist keine der vorgegebenen
Antworten im Sinne des Befragten, kann er auch mit „weiß nicht” oder „keine
Antwort” antworten.
Bei diesem Typ von Umfragen gibt es aber auch die Möglichkeit der offenen
Frage. Das bedeutet, dass die Befragten frei sind, selbst Antworten zu finden. Offene Fragen verteuern die Umfrage sehr. Gleichzeitig müssen die offenen Antworten
im Befragungsinstitut codiert werden, um die Ergebnisse quantitativ darstellen zu
können. Von der Qualität dieser Codierung, die nur schwer überprüft werden kann,
hängt später die Aussagefähigkeit der offenen Frage und der Antworten ab.
Mit der Umstellung der Befragung von der Face-to-Face-Methode zur telefonischen Befragung sind neue Herausforderungen für die Bewertung von Umfragen
entstanden.
124 Andreas von Kirschhofer-Bozenhardt, Gabriele Kaplitza „Der Fragebogen” in Kurt Holm; Die
Befragung 1, UTB 1975-1982.
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20.1.2 Die Delphi-Befragung und die Focus-Group-Befragung
Die Delphi-Befragung dient der Sammlung von Expertenmeinungen als Grundlage
für Planungen und Einschätzung künftiger Entwicklungen in Wirtschaft und Politik.
Dabei werden die Mitglieder einer Delphi-Gruppe ohne gemeinsames Treffen anonym befragt und die jeweiligen zusammengefassten Antworten allen zur erneuten
Meinungsbildung und Stellungnahme zugeleitet. Das kann über mehrere Runden
gehen, um einen gewissen Konsens zu erreichen.
Solche Befragungen werden in einigen Ländern unter Experten groß angelegt,
wie zum Beispiel Technologie-Delphis, Gesellschafts-Kultur-Delphis oder UmweltDelphis.
Eine etwas andere Methodik wählt die Focus-Group-Befragung. Hier werden
kleine Gruppen (10-14 Teilnehmer) von ausgewählten Vertretern bestimmter Zielgruppen zu einem Gruppengespräch über etwa drei Stunden zusammengebracht. In
diesem Gespräch, das unter Leitung von erfahrenen Moderatoren stattfindet, werden
bestimmte Fragestellungen mit der Zielgruppe besprochen und deren Meinung dazu
gehört. Die Gespräche werden aufgezeichnet und anschließend ausgewertet.
Die Protokolle und Auswertungen geben einen Überblick über emotionale Einstellungen, Wertungen und Verknüpfungen, die für die jeweilige Zielgruppe weit
aussagefähiger sind, als die Ergebnisse quantitativer Befragungen. Die FocusGroup-Befragungen sind für das Testen von Argumentationsmustern, Imagekomponenten und Teilstrategien in der jeweiligen Zielgruppe sehr gute und preiswerte
Informationslieferanten.
20.1.3 Die
DieOmnibusbefragung
Omnibusbefragung
Die Omnibusbefragung ist eigentlich eine ganz normale quantitative Feldbefragung, allerdings mit dem Unterschied zur normal angelegten Befragung, dass sich
hier mehrere Organisationen zu einer Befragung zusammenschließen und jeweils
eine begrenzte Menge von Fragen stellen können. Durch diese Methode gelingt
es, die Frequenz von Umfragen zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten niedrig zu
halten.
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20.1.4 Auswertung der Medien
Eine wichtige Informationsquelle sind die Massenmedien (Zeitungen, Rundfunk,
Fernsehen). Diese Medien müssen regelmäßig ausgewertet werden und diese Auswertungen müssen in das strategische Controlling und die strategische Planung
eingehen. Wöchentliche Medienberichte sind Grundlage für weitere Entscheidungen. Allerdings sollten für bestimmte Themen (Kampffelder) kontinuierliche
Medienbeobachtungen angestellt werden, die in Spezialreports zusammengefasst
werden, damit hier der Trend besser erkannt werden kann. Weiterhin können regionalisierte Medienberichte angelegt werden, um Defizite in Regionen feststellen
zu können oder spezielle Aktivitäten der Wettbewerber. Das ist besonders wichtig
für das Erkennen von Versuchen der Wettbewerber Brückenköpfe anzulegen oder
besondere Aktionen in ausgewählten Regionen durchzuführen.
Heute ist auch die Auswertung der Diskussionsgruppen bei den Internetmedien eine wichtige Aufgabe. Es ist zwar feststellbar, dass im Internet die Art und
Weise der Diskussion von der normalen Art abweicht, weil dort viel härter und unverantwortlicher Position bezogen wird, aber man erkennt bestimmte Argumentationsmuster.
20.1.5 Spionage
Die Aufklärung mit Spionage ist eines der wichtigsten Instrumente zur Sammlung
von Daten über die Absichten der Wettbewerber, der Gegner oder der Zielgruppe.
Während Spionage ein durchaus gängiges und akzeptiertes Instrument in internationalen Beziehungen ist, hängt der Spionage im Bereich der Wirtschaft und der
Auseinandersetzungen im nationalen politischen Bereich ein Image des Unzulässigen an.
Die Aufklärung mit Hilfe von Spionen im gegnerischen Lager ist aber eine wirkungsvolle und weit verbreitete Methode. Dabei werden verschiedene Formen von
Spionage unterschieden.
Der angeworbene Spion
Dieser Aufklärungsmitarbeiter, wie wir ihn zukünftig nennen werden – arbeitet
in oder mit der Organisation, über die Informationen zu beschaffen sind. Dieser
Mitarbeiter wird angeworben. Dafür eignen sich besonders solche Personen, die
entweder
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1. von der anderen Seite schlecht behandelt worden sind,
2. die unzufriedene Mitarbeiter der Gegenseite sind,
3. die ihre Karriereplanungen nicht erreichen können,
4. die zur Verbesserung ihrer Lebensqualität materielle oder sonstige Vorteile
erreichen wollen, oder
5. die erpressbar sind.
Solche angeworbenen oder lokalen Aufklärungsmitarbeiter werden veranlasst,
alle ihnen zugänglichen Informationen zu liefern. Der Einsatz auf spezifische Informationen kann oftmals sehr gefährlich werden, weil die Mitarbeiter eben zufällige
Spione (Amateure) sind und keine entsprechende Kenntnis über die Beschaffung
von Informationen besitzen.
Der „Verräter” aus den eigenen Reihen
Dieser Agent ist dazu da, den Gegnern falsche Informationen zu liefern. Er
kommt aus den eigenen Reihen und wird in der Nähe von Orten eingesetzt, in denen sich leitende Mitarbeiter der gegnerischen Organisation regelmäßig aufhalten.
Das können Restaurants und Bars sein, aber auch Sport- und Freizeiteinrichtungen
oder die Freundeskreise dieser Personen. Bei den „Verrätern” handelt es sich um
sogenannte Großmäuler, die damit prahlen, dass sie alles wissen, was in unserer
Organisation geschieht. Bei Alkohol oder zu fortgeschrittener Zeit liefern sie dann
die Informationen ab, die für die Gegenseite interessant sein können. Die Informationen sind allerdings gefälscht, teilweise gemischt mit wahren Nachrichten.
Hat sich der Verräter aus den eigenen Reihen erst das Vertrauen einiger führender
Mitarbeiter erworben, werden sie versuchen, ihn als lokalen Spion anzuwerben. Bei
entscheidenden Situationen wird nun der lokale Spion mit solchen Informationen
präpariert, dass die eigene Organisation davon einen strategischen Vorteil erhält,
wenn der Gegner den übermittelten Informationen glaubt.
Ein Variante dieses Agenten ist die, dass ein wirkliches „Großmaul” in der Organisation bekannt ist, der jedermann von seinen Informationen erzählt. Es kommt
nun darauf an, ihm solche Informationen zuzuspielen, dass er die gegnerische Seite
unbewusst mit den falschen Informationen beliefert.
Der wirkliche, aktive Agent
Dieser Agent kommt aus dem eigenen Lager und wird in die Organisation der
Gegner bewusst an eine bestimmte Stelle oder in einen bestimmten Bereich einge0OLITISCHE3TRATEGIEN
schleust oder er ist in der Lage, intern auch über den eigenen Bereich hinausgehende
Informationen zu beschaffen. Der wirklich aktive Agent unterscheidet sich vom
schlafenden Agenten darin, dass dieser keine aktuelle Berichterstattung betreibt.
Er wird „geweckt”, wenn Informationsbedarf vorhanden ist. In der übrigen Zeit verrichtet er seinen normalen Dienst beim Gegner, baut Vertrauen auf und versucht im
Rahmen von Aufstieg in die strategisch wichtigen Bereiche vorzustoßen.
Der unbewusste Agent
Hier handelt es sich um Personen, die beim Gegner beschäftigt sind, und über
Informationen oder zumindest über Zugang zu Informationen verfügen. Auf diese
Personen werden nunmehr Informationsmittler angesetzt, die versuchen von der
Person Informationen abzuziehen. Die Informationsweitergabe erfolgt zumeist
unbewusst. Hier sind berühmte Beispiele bekannt, die fast alle davon profitierten,
dass es im Bett keinen Geheimnisschutz mehr gibt.
Der Feuermelder
Eine andere Form solcher Aufklärung besteht darin, dass man gar keine feindlichen Absichten verfolgt, sondern nur bessere Informationen zum Beispiel über
das Verhalten einer Zielgruppe haben möchte.
So ist es zu empfehlen, wenn man mit einer Zielgruppe arbeiten will, die man
nicht kennt, zum Beispiel Bewohner eines Slumgebietes, dort Kontaktpersonen
anzuwerben, die über die Vorkommnisse in diesem Gebiet oder in dieser Gruppe
regelmäßig informieren.
Solche Feuermelder in bestimmten Stadtgebieten können wichtige Informationsinstrumente für Bürgermeisterkandidaten sein. Der Ruf dieser Personen hat durch
Nutzung als Informant und Denunziant in autoritären Regimen gelitten. Der Begriff
„Blockwart” steht dafür als Synonym. Unabhängig vom Ruf ist das Instrument aber
außerordentlich wirkungsvoll und kann bei der Erschließung neuer Zielgruppen und unter Umständen auch als Opinionleader in der Gruppe sehr wertvoll sein.
20.1.6 Aufklärung bei den Alliierten der Gegner
Eine andere Form der Informationsbeschaffung über die gegnerische Organisation ist die Aufklärung bei den Allianzpartnern. Bei den Partnern gibt es meistens
gute Informationen über die jeweilige Organisation, die ausgespäht werden soll.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
So kann man auf diese Art und Weise Informationen erhalten, ohne in die andere
Organisation vordringen zu müssen.
20.2 Controlling
Controlling ist eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Durchführung einer Strategie. Controlling ist definiert als eine Teilaufgabe der Unternehmensführung, die
zur Steuerung benötigt wird. Das Controlling kann sich auf die ganze Organisation
oder auf bestimmte Funktionsbereiche beziehen. Man unterscheidet strategisches
und operatives Controlling. Für das strategische Controlling ist normalerweise ein
Mitglied der Führung oder eine Stabsstelle vorgesehen. Für das operative oder Bereichscontrolling ein Mitglied des mittleren oder unteren Funktionsbereiches oder
ein diesem Bereich zugeordneter Controller.
Die Aufgabe des Controllings ist es, die Zielerreichung auf den unterschiedlichen Ebenen zu beobachten und Vorschläge für die Steuerung der Organisation
zu machen, wenn Zielabweichungen zu erwarten sind. Diese Vorschläge werden
in Controllingberichten erfasst und den jeweilig zuständigen Leitungsebenen zur
Entscheidung vorgelegt.
In diesem Buch werden wir uns bei der Darstellung des Controllings im wesentlichen auf die Bereiche strategisches Controlling mit dem Image-Controlling
konzentrieren. Das operative Controlling und das Finanzcontrolling werden hier
nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zu diesen Bereichen gibt es genügend weiterführende Literatur.125
Im strategischen Controlling ist zu überwachen, ob die in den Teilstrategien
festgelegten Zielrichtungen und die aus ihnen abgeleiteten Ziele erreicht werden.
Hier geht es also nicht um die Überwachung der durchgeführten Maßnahmen,
sondern um die Überwachung, ob diese Maßnahmen auch wirklich dazu beitragen,
das gesetzte Ziel zu erreichen.(taktisches Controlling)
Nehmen wir als Beispiel ein Ziel, das wie folgt lautet: „Bis zum 1.10.xx haben
wir 100.000 US § als Spenden aus der Wirtschaft eingenommen.” Beim Controlling kommt es nun darauf an zu überprüfen, ob es mit den geplanten oder schon
durchgeführten Maßnahmen wirklich gelingt, das Ziel zu erreichen. Wenn zum
125 Jürgen Weber, Einführung in das Controlling, Schäffer Verlag Stuttgart 1998; Peter Horvath,
Controlling, Vahlen, München, 1998; Robert S. Kaplan; David P. Norton: Balanced scorecard.
Strategie erfolgreich umsetzen.; Schäffer Verlag Stuttgart, 1997.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel schon Maßnahmen durchgeführt wurden, aber keine Reaktion der Spender
erkennbar ist, so muss überprüft werden, woran dieser Mangel liegt und was geändert werden muss. Dazu muss ein Vorschlag erarbeitet werden. Das ist Aufgabe
des Controllings in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Fachabteilung.
Das Controlling wird nur bei Abweichungen von den geplanten Zielsetzungen
proaktiv tätig. Wenn alle Daten im Zielkorridor liegen, ist ein Handeln des Controllings nicht nötig.
Eine besondere Herausforderung für das Controlling bei politischen Aktionen
ist die Überwachung der Veränderungen im Image und die Feststellung von Abweichungen vom Zielimage.
20.2.1 Controllinginstrumente
Controllinginstrumente
Für das strategische und das Imagecontrolling stehen mehrere Instrumente zur
Verfügung. Im strategischen Controlling handelt es sich um
1. die Berichte des dezentralen operativen Controllings, das heißt um die Berichte
der Fachabteilungen oder der lokalen Organisationen über die Durchführung
von Maßnahmen und den Erfolg oder Misserfolg dieser Maßnahmen,
2. die Auswertung von Presse und der elektronischen Medien,
3. die Berichte von Informanten aus den gegnerischen Organisationen,
4. die Berichte über die Allianzen der Gegner,
5. die zur Verfügung stehenden Umfragen und Ergebnisse weiterer Befragungsaktionen, wie Delphi-Befragungen und Focus-Group-Befragungen,
6. die Berichte von Feuermeldern aus Regionen oder Zielgruppen.
Für das Imagecontrolling und die Beobachtung der anderen Partner oder Wettbewerber eignet sich ein besonderes Strategiecontrollinginstrument. Dieses ist die
sogenannte Controllingmatrix. Die Controllingmatrix sammelt Informationen aus
der Auswertung der Medien und macht auf Veränderungen aufmerksam.
Die Controllingmatrix
Aussagen
der der
verschiedenen
Beteiligten
Controllingmatrixdokumentiert
dokumentiertdiedie
Aussagen
verschiedenen
Beteiim Laufe
In dem In
obigen
handeltBild
es sich
um eine
Kampagne,
ligten
im einer
LaufeKampagne.
einer Kampagne.
dem Bild
folgenden
handelt
es sich
um eine
die zwischendie
vier
Parteienvier
abläuft
und inabläuft
der dieund
Kirche
unddie
dieKirche
Gewerkschaft
Kampagne,
zwischen
Parteien
in der
und die eine
Gewichtige Rolle
Allianzpartner
spielen.
werkschaft
einealswichtige
Rolle als
Allianzpartner spielen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Controllingmatrix
Auf der Diagonalen von oben links nach unten rechts sind jeweils die Aussagen der Organisationen über sich selbst zu finden. Nehmen wir an, wir wären die
Partei A. Dann müssten wir im Feld A/A unser Zielimage finden. Im Feld A/B finden
wir alles, was die Partei A, also wir, über die Partei B sagen. Im Feld D/K finden wir,
was die Partei D über die Kirche verbreitet und im Feld G/A finden wir, was die Gewerkschaft über unsere Partei sagt.
An einem bestimmten Stichtag beginnt man mit der Sammlung. Dabei sind
die auszuwertenden Medien eindeutig definiert und ändern sich im Laufe der
Datenerfassung auch nicht. Nun werden die Daten nur insoweit erfasst, wie sich
Veränderungen ergeben. Nur neue und von der alten Darstellung abweichende Informationen werden in die Matrix aufgenommen.
Was kann nun aus der Matrix abgelesen werden?
1. Es kann überprüft werden, ob durch die Öffentlichkeitsarbeit der eigenen Organisation das Zielimage angestrebt wird oder nicht und wer für Abweichungen
vom Zielimage verantwortlich ist.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
2. Es kann festgestellt werden, wie Organisationen oder gesellschaftliche Gruppen
die eigene Organisation in der Öffentlichkeit bewerten und welche Wirkung
das auf unser Image haben wird.
3. Es kann festgestellt werden, ob die anderen, besonders die Konkurrenten,
kohärente oder nicht kohärente Öffentlichkeitsarbeit betreiben und wo unter
Umständen Sollbruchstellen in den anderen Organisationen vorhanden sind,
die ausgenutzt werden könnten.
4. Es kann festgestellt werden, wie sich das Verhältnis der Allianzpartner in der
Öffentlichkeit zeigt und wie unter Umständen deutlich werdende Differenzen
auszunutzen sind.
5. Es kann festgestellt werden, ob sich das Verhältnis von Beteiligten zueinander
verändert. Zum Beispiel sind plötzliche Annäherungen oder Distanzierungen
wichtige Indizien dafür, dass sich in Allianzen oder zwischen Parteien strategierelevante Dinge tun.
6. Es kann aber auch festgestellt werden, ob die eigene Organisation überhaupt
wahrgenommen wird, ob die Konkurrenten sie angreifen oder nicht und ob sie
in den Medien durchdringt.
20.2.2 Balanced
BalancedScore
Scorecard
Card
Balanced Scorecard entstand Anfang der 90er Jahre als ein Instrument zur Einbindung von Strategien in Berichtssysteme. Dabei ging es darum, Strategien in meßbare
Ziele und Maßnahmen umzusetzen und diese für die Leitungsebene übersichtlich zu
präsentieren, so dass zu jeden Zeitpunkt der Zustand einer Strategie ablesbar war.
Kaplan und Norton126 haben diese Idee unter dem Motto: „Translate strategy into
action“ entwickelt. Danach wurden die Visionen und Strategien eines Unternehmens
in vier perspektivischen Bereichen dargestellt, nämlich der Finanzperspektive, der
Entwicklungsperspektive, der Kundenpersektive und der Prozessperspektive.
Für eine Partei ergeben sich vergleichbare perspektivische Bereiche, nämlich
die Wählerperspektive, die Programmperspektive, die Prozessperspektive und die
Ressourcenperspektive.
126 Robert S. Kaplan und David P. Norton: The Balanced Scorecard – Measures that Drive Performance. In: Harvard Business Review. 1992, January-February S. 71-79. Und Robert S. Kaplan und
David P. Norton: Putting the Balanced Scorecard to work. In: Harvard Business Review. 1993,
September-October S. 134-147.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Wählerperspektive
Personenperspektive
Programmperspektive
Partei
Prozessperspektive
Perspektivbereiche für eine Partei
In diesen Perspektivbereichen werden die jeweiligen Ziele, die Kennzahlen, die
Vorgaben (Soll) und die Initiativen beschrieben und geben so einen Überblick über
den Stand der Strategieimplementierung.
Programm
Wähler
Ziele
Kennzahlen
Soll
Initiativen
Ziele
Kennzahlen
Soll
Initiativen
Strategie/Vision
Ressourcen
Prozesse
Ziele
Kennzahlen
Soll
Initiativen
Ziele
Kennzahlen
Soll
Initiativen
Balanced Scorecard Präsentation
0OLITISCHE3TRATEGIEN
20.2.3 Controllingbericht
Die Controllinginstrumente müssen regelmäßig ausgewertet werden und die Abweichungen von Zielvorgaben, aber auch Veränderungen in der Datenlage müssen
dokumentiert und zur Evaluierung der Strategien genutzt werden. Mit diesen Berichten schliesst sich der Strategieplanungsprozess127.
Die Berichte werden zum einen dafür genutzt, um die Abweichungen gegenüber
den früheren Szenarien, die zur Strategieplanung dienten, zu dokumentieren und
Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn sich dabei gravierende Abweichungen ergeben,
die Auswirkungen auf die Stärken oder Schwächen haben, muss strategisch nachgesteuert werden. Der einmal verabschiedete Strategieplan ist also nicht auf alle
Zeiten festgeschrieben, sondern er hat sich flexibel den sich wandelnden Bedingungen anzupassen. Das darf aber nur geschehen, wenn sich wirklich gravierende
und für die Strategie bedeutsame Bedingungen geändert haben. Bei nicht für die
Strategie relevanten Änderungen soll auch keine Änderung der Strategie erfolgen.
Hier ist also ein sorgsamer Abwägungsprozess erforderlich.
Der Controllingbericht dient zweitens dazu, zu erwartende Zielabweichungen
frühzeitig festzustellen und Vorschläge für Änderungen zu machen. Dieses hat
zumeist direkte Auswirkungen auf die taktischen oder dezentralen Einheiten und
muss mit diesen kooperativ abgestimmt werden.
20.3 Sicherheit und Informationsschutz
Zur Strategiekontrolle gehört neben der Aufklärung, also der Beschaffung von Informationen und dem Controlling, auch die Sicherung der eigenen Strategie. Während
die Aufklärung der offensive Arm der Strategiekontrolle ist, ist die Sicherung der
Strategie die defensive Seite der Strategiekontrolle. Denn genauso wie wir werden
auch die Konkurrenten versuchen Aufklärung zu betreiben und versuchen unsere
strategischen Pläne zu entdecken und für sich zu nutzen.
Deshalb ist es wichtig mit strategischen Plänen vorsichtig umzugehen und sie
vor einem Leck in der eigenen Organisation zu schützen.
127 Siehe dazu Kapitel 4.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
20.3.1 Geheimhaltung von strategischen Plänen
Eines der wichtigsten Mittel zum Schutz der Strategien ist, dass sie geheimgehalten werden. Nur die Top-Führungsspitze sollte über die Pläne informiert sein. Aber
auch sie sollten die Pläne nicht besitzen, sondern schriftliche Exemplare sollten
immer wieder zurückgegeben werden. Das soll kein Misstrauen gegenüber diesen
Personen ausdrücken. Aber wenn sie die Pläne nicht haben, kann auch keine Sekretärin oder kein anderer Mitarbeiter sie physisch erhalten und damit auch nicht
kopieren usw.
Unterhalb der Spitzenführungsgruppe ist es nicht nötig, Strategien zu verbreiten, weil alle taktischen Einheiten nicht mit der Kenntnis der Strategie geführt
werden, sondern durch Ziele, die aus der Strategie entwickelt worden sind. Hier ist
es manchmal Bequemlichkeit, die dazu führt, dass die Geheimhaltung der Strategie gefährdet wird. Denn zum Führen mit Zielen (MbO) ist es erforderlich, dass
die taktischen Einheiten klare und nur für sie relevante Ziele erhalten. Deswegen
müssen manchmal komplexe Ziele noch einmal aufgespalten werden, um eindeutige Verantwortlichkeiten zu sichern128. Um diesen Arbeitsaufwand zu umgehen,
werden manchmal ganze Exemplare der Strategie oder zumindest relevante Teile
einfach an die taktischen Einheiten weitergegeben, was dann allerdings regelmäßig zur Veröffentlichung der Strategie führt.
20.3.2 Scharfe Sicherheitsmaßnahmen
Die Einrichtung von Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Strategie wird in der
politischen Szene absolut unterschätzt. Zunächst ist es wichtig festzulegen, wer
überhaupt mit strategischer Planung beschäftigt werden soll. Dazu wird zumeist
eine kleine Arbeitsgruppe gebildet – ob nun mit externen Beratern oder nicht. Die
Betonung liegt hier auf „klein”. Es ist durchaus möglich mehrere Personen bei der
Informationsbeschaffung usw. zu beteiligen. Sie müssen aber nicht zur Planungsgruppe gehören. Grundsätzlich gilt, dass bei der Festlegung der Personengruppe
schon eine Auswahl getroffen werden muss, die auf Vertrauensbasis aber auch auf
Überprüfung beruht.
Als nächstes ist der physische Arbeitsbereich der Planungsgruppe zu definieren. Hier müssen Räume existieren, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem
Hauptquartier stehen, deren Zugänge kontrolliert werden, die – für eine Reihe von
Ländern sehr wichtig – abhörsicher sind. Dazu gehört aber auch die Abkoppelung
128 Siehe dazu auch Kapitel 14.3.: Evaluierung der Ziele.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
des Computersystems, auf dem die Strategie entwickelt wird, von den übrigen genutzten Netzwerken. Dazu gehört auch die Unterbindung der Mobiltelefonie, besonders wenn damit auch soziale Netzwerke erreicht werden können. Twitter, SMS
und andere Informatoinsquellen haben in einem Raum, in dem Strategien entwickelt
werden, nichts zu suchen. Insgesamt ist der Informationsfluss von drinnen nach
draußen und auch von draußen nach drinnen so anzulegen, dass jeder Informationsfluss, der die Grenze passiert, nachvollziehbar dokumentiert wird.
Mit der Beauftragung dieser Gruppe für die Entwicklung einer Strategie müssen Verträge gemacht und Verhaltensregeln vereinbart werden, die die Sicherheit
der Strategie gewährleisten. Dazu gehört das absolute Verbot, Dokumente aus dem
Sicherheitsbereich zu entfernen.
20.3.3 Abschreckende Strafen
Bei militärischen Aktionen wird der Geheimnisverrat zumeist mit der Todesstrafe
belegt. Das muss bei politischen Planungen durch andere Strafen ersetzt werden.
Hohe finanzielle Vertragsstrafen sind neben dem sofortigen Verlust des Arbeitsplatzes zwar Drohungen, die vielleicht bei einigen Wirkung zeigen könnten. In vielen
Ländern wird aber der Verrat von der Gegenseite so hoch belohnt, dass es immer
noch lukrativ ist, den Verrat zu begehen.
Die Strafandrohung unterscheidet sich in unterschiedlichen Kulturräumen sehr
stark. Deshalb wird hier kein konkreter Vorschlag für die richtige Wahl der Strafe
gemacht. Allerdings muss die Strafe in jedem Fall abschreckend wirken.
20.3.4 Schaffung von Täuschung und Unvorhersehbarkeit
Zur Erhöhung der Sicherheit für die Strategie gibt es auch noch die Möglichkeit
die Vorhersehbarkeit für strategische Schritte dadurch zu erschweren, dass mehrere Alternativen ausgearbeitet werden und nur die Leitung zu bestimmten Zeiten
entscheidet, welche der Alternativen gewählt wird.
Dazu gehört natürlich auch das Streuen von Informationen über die Strategie,
die bewusst gefälscht wurden oder die Entwicklung von falschen Strategien, die
bewusst über Lecks in der Organisation den Gegnern zugespielt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
!BLEITUNGVON-A†NAHMENAUS:IELEN
21.1 Maßnahmen, Ziele, Strategien, Auftrag – eine Einheit
Im Rahmen der strategischen Planung haben wir aus dem Auftrag im Angesicht
unserer Stärken und Schwächen die Teilstrategien entwickelt, aus denen dann
wiederum die Ziele abgeleitet wurden. Zielgruppen und die Festlegung der Hauptinstrumente sind wiederum aus den Zielen, dem Zielimage und den allgemein gesetzten Rahmenbedingungen durch den Auftrag abgeleitet worden.
Damit sind die sogenannten taktischen Vorgaben definiert, in deren Rahmen
nunmehr die Maßnahmen geplant werden können. Die Maßnahmen und Aktionen
können also nicht wahllos geplant werden, sondern finden ihre Begrenzungen in
den taktischen Vorgaben.
Beispiele für solche taktischen Vorgaben sind:
1. Beispiel:
Taktische Einheit: Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit einer Partei
Zielimagekomponente: XY ist eine innovative und dynamische Partei.
Ziel: 60 % der Erstwähler kennen am Wahltag die Imagekomponente „innovativ”.
Zielgruppe: Erstwähler
Hauptinstrument: elektronische Medien
2. Beispiel:
Taktische Einheit: Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Finanzministeriums der
Regierung ABC
Ziel: 70 % der Zielgruppe sind innerhalb von 2 Monaten davon überzeugt, dass
die Steuerreform sie wirkungsvoll entlasten wird.
Zielgruppe: Eltern mit Kindern
Hauptinstrumente: Printmedien, elektronische Medien
3. Beispiel:
Taktische Einheit: Fundraising-Gruppe einer Umweltinitiative
Ziel: Innerhalb von drei Monaten haben wir 30.000 ` aus Spenden eingenommen.
Zielgruppe: Firmen mit Produkten mit dem blauen Umweltengel
Hauptinstrumente: Direktkontakte
Diese taktischen Vorgaben müssen vom Maßnahmenplaner, der normalerweise Leiter der taktischen Einheit ist, berücksichtigt werden. So ist es im Beispiel 1
0OLITISCHE3TRATEGIEN
benutzen.
Im Beispiel
2 muss
die Vorgabe
„zwei
nicht erlaubt
erlaubtauch
auchPrintmedien
Printmedienzuzu
benutzen.
Im Beispiel
2 muss
die Vorgabe
Monate”
eingehalten
werdenwerden
und dieund
Zielgruppe
darf nicht
werden.
Im
„zwei
Monate”
eingehalten
die Zielgruppe
darf verändert
nicht verändert
werBeispiel
3 darf die3 taktische
Einheit nicht
bei Organisationen,
wie Bankenwie
undBander
den.
Im Beispiel
darf die taktische
Einheit
nicht bei Organisationen,
öffentlichen
Verwaltung für
Spenden für
werben.
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Vorgaben
muss
die Kampaken
und der öffentlichen
Verwaltung
Spenden
werben.
Solche
Vorgaben
muss
gnenleitung
für die taktischen
Einheiten Einheiten
erarbeiten,erarbeiten,
um die Einheit
derEinheit
Strategie
die
Kampagnenleitung
für die taktischen
um die
der
zu sichern.zu sichern.
Strategie
21.2 Die Checkliste für die Maßnahmen
Für die Ableitung von Maßnahmen aus den taktischen Vorgaben ist eine Checkliste
erarbeitet worden, die folgendes Format hat:
# !
"!
"$$!
,$ 2$!
&$!
21.2.1 Kreativer Ideenfindungsprozess
Zur Entwicklung von Maßnahmenplänen ist zunächst die Sammlung von kreativen
Vorschlägen notwendig. Das geschieht meistens in einer kleinen Arbeitsgruppe
von Mitarbeitern aber vor allem auch von einigen Gästen, die aus den Zielgruppen
kommen, da diese am besten abschätzen können, ob die geplanten Maßnahmen
in der Zielgruppe wirken oder nicht.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der kreative Findungsprozess kann mit verschiedenen Methoden durchgeführt
werden. Hier werden kurz drei typische Methoden vorgestellt. Das Brainstorming,
das Brainwriting und das Mindmapping.
Das Brainstorming
Das Brainstorming bedeutet „Gehirnsturm“. Hier wird den Teilnehmern eine
Fragestellung vorgelegt, auf die diese mit Zurufen reagieren, die auf einem allen
sichtbaren Visualisierungsinstrument dokumentiert (Flip-Chart, Plakatwand, Tafel)
werden. Diese schon sehr alte Methode der Ideenfindung wird von vier entscheidenden Regeln beherrscht:
1. Kritik, besonders negative oder zerstörende, ist allen Beteiligten während der
Dauer des Brainstormings verboten. Die Ideenbewertung erfolgt später in einem
offenen Kommunikationsprozess. Während der Sammlung von Ideen kann Kritik
aber nur zur Unterdrückung von Ideen führen, was für den Prozess negativ
ist.
2. Freie Assoziation wird ausdrücklich gewünscht. Jeder soll spontan und ungehemmt das ausdrücken können, was ihm im Zusammenhang mit der Fragestellung und den Antworten der anderen – bis auf Kritik – einfällt.
3. Es sollen in kurzer Zeit möglichst viele Ideen gesammelt werden. Der Ideenfluss
soll also so ausgeprägt wie möglich sein. Durch die Aufforderung zur Spontaneität wird der rationale Filter, der einer Problemlösung zunächst immer vorgeschaltet ist, teilweise außer Kraft gesetzt. Das führt zu sehr kreativen Ansätzen.
Um zu verhindern, dass dieser Vorteil verschüttet wird, darf das Brainstorming
nicht an technischen Problemen wie zum Beispiel der
die Schreibgeschwindigkeit
des Moderators scheitern. Besser ist es daher mit zwei Moderatoren bei der
Dokumentation zu arbeiten.
4. Die geäußerten Ideen eines Teilnehmers sollen möglichst auch von anderen
aufgegriffen werden. So kann es gelingen, aus zwei guten Ideen eine sehr gute
zu machen.
Das Problem beim Brainstorming ist die Aufbereitungsphase. Hier geht für
das Sortieren, das Ausschließen von Dopplungen usw. sehr viel Zeit verloren. Das
führt zur Ermüdung von Teilnehmern, zu Frust und Unlust am Projekt weiterzuarbeiten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Kartenabfrage (Brainwriting)
Das Brainwriting (oftmals auch als Kartenabfrage bezeichnet) versucht das Verfahren des Brainstormings durch Veränderung des Verfahrens von den bisherigen
Nachteilen zu befreien. Das Brainwriting beginnt wie das Brainstorming mit einer
offenen Frage an die Teilnehmer. Die Antworten der Teilnehmer werden aber nicht
mehr offen geäußert und dann dokumentiert, sondern auf Karten geschrieben, die
dann später in Wolken geordnet werden.
Der Vorteil dieser Methode ist die Umgehung des mühsamen Sortierungsprozesses nach dem kreativen Startteil. Der Nachteil der Methode ist, dass die Spontaneität und die freie Assoziation zum Teil verlorengeht. Manchmal wird daher nach
dem ersten Kartendurchgang und der Sortierung der Karten ein zweiter Durchgang
gemacht, um assoziative Ergänzungen zu erhalten.
Hinweise für die Wolken (Collage-) Bildung:
1. Gleiche und ähnliche Karteninhalte werden zusammengruppiert. Solche Gruppen
nennt man Wolken, Cluster oder Blöcke.
2. Alle Karten werden geklebt, auch die mit gleichem Inhalt.
3. Auf eine Karte mit anderer Form und Farbe wird eine Überschrift zu den Wolken
gebildet.
4. Alle Prozesse werden mit den Teilnehmern in Kooperation erledigt.
5. Besteht der Wunsch, dass eine Karte in verschiedenen Wolken vorkommt, kann
die Karte gedoppelt werden.
6. Bei Kartenvorlesen und Kleben wird nicht kommentiert.
Das Mindmapping
Das menschliche Gehirn ist sehr unterschiedlich von einem Computer aufgebaut.
Während der Computer Probleme linear abarbeitet, arbeitet das Gehirn assoziativ
und linear. Dabei spielt das assoziative Denken die dominante Rolle. Jedes Wort und
jede Idee hat eine Vielzahl von Verbindungen zu anderen Ideen und Konzepten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Tony Buzan129 hat die Methode des Mindmappings entwickelt, um dem Anwender die Möglichkeit zu geben, gehirngerecht zu arbeiten.
Um ein Mindmap zu machen, beginnt man in der Mitte einer Fläche (Papierseite, Flip-Chart usw.) mit dem Ziel und sucht nach unterschiedlichen Aktionen und
Maßnahmen. Von der Mitte aus arbeitet man in alle Richtungen und produziert
eine wachsende und organisierte Struktur, die aus Schlüsselworten und Schlüsselbildern besteht.
Tag der offenen Tür
Fahrradanalyse
Wettbewerb
Outdoorwerbung
Events
Ziel A 27
Internet
Kinowerbung
Fernsehspots
Radiospots
Elektronische Medien
Printmedien
Leuchtwerbung
Verkehrsmittelwerbung
Plakatierung
Straßentransparente
Autoaufkleber
Broschüren
Anzeigen
Flugblätter
Mindmap
Dieses Beispiel für ein Mind-Map zeigt die Ideensammlung für die Erreichung
des angenommenen Zieles A 27, geordnet nach Außenwerbungsmaßnahmen, PrintMedien, elektronische Medien und PR-Aktionen.
21.2.2 Evaluierung der Ideen
Nach diesem kreativen Sammlungsprozess wird ein Ausleseprozess durchgeführt, der die taktischen Rahmenbedingungen als Evaluierunginstrument nutzt und
dabei folgende Fragen stellt:
1. Ist die Zielgruppenvorgabe eingehalten?
2. Ist die Zeitvorgabe eingehalten?
3. Ist die Planung realistisch, das bedeutet, ist die Planung im Zusammenhang
mit unseren finanziellen und personellen Ressourcen machbar?
129 Tony Buzan, Barry Buzan: Das Mind Map Buch; Die Methode zur Steigerung des geistigen
Potentials, moderne Verlagsgesellschaft München.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4. Ist die Planung ressourcenschonend, das heißt kann die Maßnahmenkombination zur Zielerreichung auch anders aussehen und dabei Ressourcen sparen?
5. Ist die Maßnahmenplanung wirkungsvoll zur Erreichung des Ziels und wird das
Ziel mit dem geplanten Umfang der Maßnahmen erreicht oder sind zu viele
Maßnahmen geplant, so dass das Ziel übererfüllt wird?
6. Passt die Maßnahmenplanung zum Stil unserer Organisation und ist Imagekongruenz auch durch die Maßnahmen gewährleistet?
21.3 Zeit- und Maßnahmenplanung
Mit Hilfe der verschiedenen Checklisten (Einzelmaßnahmenpläne), die für alle aufgestellten Ziele ausgefüllt werden, erfolgt in den verschiedenen taktischen Einheiten,
die eigentliche Zeit-und Maßnahmenplanung. Diese Einzelpläne müssen nun zu
einem Gesamtplan zusammengefasst werden. Dieser Gesamtplan ist einmal der
„Masterplan”, der geordnet nach der Zeit alle Maßnahmen umfasst, die von allen
verschiedenen Einheiten geplant werden. Zum Masterplan werden aber immer nur
diejenigen Maßnahmen und Aktionen zusammengefasst, die auf einer Ebene, zum
Beispiel vom Hauptquartier mit seinen angeschlossenen Einheiten durchgeführt
werden. Die Planungen der regionalen Ebene werden von den regionalen Ebenen
zusammengefasst und sind dann regionale Masterpläne.
Die Verantwortlichkeit
Für die einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen müssen Verantwortlichkeiten
festgelegt werden. Generell ist immer eine taktische Einheit und dort die jeweilige
Leitung für die Erreichung eines Zieles verantwortlich. Innerhalb der taktischen Einheit kann es untergeordnete Verantwortlichkeiten geben. Grundsätzlich gilt hier:
Verantwortlich kann immer nur eine Person sein. Einer Gruppe oder einem Kollektiv
darf bei der Maßnahmenplanung keine Verantwortung übertragen werden. Wenn
eine Gruppe eine Maßnahme durchzuführen hat, dann ist der Leiter der Gruppe für
die Maßnahme verantwortlich. Der Versuch den Teamgedanken so weit zu treiben,
dem Gesamtteam eine Verantwortung zu übertragen, führt regelmäßig dazu, dass
Maßnahmen nicht fristgerecht und unvollständig durchgeführt werden.
Die Codierung
Alle Maßnahmen müssen codiert werden. Nur dann ist erkennbar, welche taktische Einheit auf welcher Ebene welches Ziel mit welchen Maßnahmen verfolgt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beispiel: Hat die taktische Einheit die Bezeichnung HQ01 und werden von dieser
die Maßnahmen 001 bis 003 geplant, die das Ziel Nummer 29 erreichen sollen, so
heißen die codierten Maßnahmen: HQ001-29-001, HQ001-29-002 und HQ00129-003.
Die Codierung wird in den verschiedenen Organisationen immer etwas unterschiedlich ausfallen. Das hängt mit der Struktur der Organisation zusammen,
mit der Zuordnung von Aufgaben zu taktischen Einheiten und einer Reihe anderer
Faktoren. Nicht zuletzt ist das auch eine Frage der Verarbeitung der Datenmengen
mit EDV-Programmen.
Als Prinzip muss allerdings in jedem Fall gelten, dass jede Codierung einer Maßnahme eindeutig einem Ziel und einer Arbeitseinheit zugeordnet werden kann und
einen Aufschluss darüber gibt, welcher Schritt diese Maßnahme in einer Abfolge
von mehreren Schritten ist.
Ein solcher Maßnahmenplan für ein Ziel könnte dabei folgendermaßen aussehen:
Taktische Einheit: Abteilung Politikentwicklung
Ziel: Bis 30.5.xx ist ein Programm für die Altersheilkunde entwickelt.
Maßnahmen
Datum
Code
Sitzung der Arbeitsgruppe Programm
20.04.xx
HQ001-14-001
Verantwortl.
G. Meister
Entwicklung eines Programmentwurf für
die Verbesserung der Geriatrie
Abstimmung in der AG Programm
10.05.xx
HQ001-14-002
A. Becker
15.05.xx
HQ001-14-003
G. Meister
Abstimmung im Vorstand
25.05.xx
HQ001-14-004
M. August
Übergabe an Abt. Öffentlichkeitsarbeit
30.05.xx
HQ001-14-005
F. Herbert
ok
21.3.1 Die
DieZusammenfassung
Zusammenfassungder
derMaßnahmen
Maßnahmeninineinem
einemPlan
Plan
Die Vielzahl der verschiedenen Checklisten mit den Maßnahmenplänen müssen nun
in einer Übersicht zusammengefasst werden. Hier können die einzelnen codierten
Maßnahmen auch zu sogenannten Maßnahmenketten zusammengefasst werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zeiteinheit
1
2
3
4
5
6
7
Kosten
Personal pro Zeiteinheit
Kosten pro Zeiteinheit
Fundraising
andere Aktionen
PR-Aktionen
Veranstaltungen
Werbung
Multiplikatorenarbeit
Medienarbeit
Externe Maßnahmenketten
Interne Maßnahmenketten
Interne Veranstaltungen
Kreation/Text/Graphik
Programmarbeit
Logistik/Sicherheit/Organis.
Schulung
Interne Kommunikation
Controlling
Kosten pro Zeiteinheit
Personal pro Zeiteinheit
Maßnahmenketten sind Maßnahmen, die eng zusammengehören, wie zum
Beispiel, „Medienarbeit”. Darunter fallen alle Arbeiten, bei denen redaktionelle
Meldungen in unterschiedlichen Medien erreicht werden sollen. „Multiplikatorenarbeit” umfasst die Arbeit mit Verbänden, Vereinen und weiteren Multiplikatoren.
In der Maßnahmenkette „Werbung” sind alle Maßnahmen, die zur Werbung gehören aufgelistet. Hier wird keine Unterscheidung der verschiedenen Werbearten
und Werbeträger gemacht. Der Umfang reicht also von Fernsehspots, über Anzeigen bis zu Direktwerbemaßnahmen usw. Die Maßnahmenkette „Veranstaltungen”
umfasst alle externen Veranstaltungen. Die Maßnahmenkette „PR-Maßnahmen”
umfasst besondere Aktionen in der Öffentlichkeit, die vor allem Aufmerksamkeit
erregen sollen und besonders kreative Aktivitäten sind. Unter der Maßnahmenkette „andere Maßnahmen” können Instrumente aus dem Kapitel „Hauptinstrumente
der Strategie” zusammengefasst werden. Hier handelt es sich um ganz besondere
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Maßnahmen, die auch von indirekten Kräften übernommen werden können. Die
letzte Maßnahmenkette ist das „Fundraising”, die die Maßnahmen zur Geldbeschaffung unfassen.
Neben den Maßnahmenketten für die externe Arbeit gibt es natürlich auch
Maßnahmenketten für die interne Arbeit. Diese Maßnahmen sind besonders wichtig,
da draußen nicht wirken kann, was drinnen nicht vorbereitet ist. Die erste Maßnahmenkette ist „Interne Veranstaltungen”. Hier geht um alle internen Sitzungen, von
der Vorstandssitzung über Arbeitsgruppen bis hin zu internen Koordinierungstreffen
verschiedener taktischer Einheiten. In der Maßnahmenkette „Kreation Text/Graphik” werden die Maßnahmen zusammengefasst, die zum Beispiel mit der Zusammenarbeit mit Agenturen zu tun haben. Hier sind alle Text- und Graphikentwürfe
zeitlich bestimmt. In der Maßnahmenkette „Programmarbeit” sind alle Maßnahmen zur Vorbereitung, Änderung und Vorbereitung der Vermarktung von Programmen zu finden. In den Maßnahmenkette „Logistik, Sicherheit und Organisation”
sind die Maßnahmen geplant, die organisatorisch geleistet werden müssen. Dazu
gehört auch der gesamte Bereich der Materialwirtschaft. In der Maßnahmenkette
„Schulung” sind die Maßnahmen zur Qualifizierung von Mitgliedern der Organisation, von Funktionsträgern und Experten geplant. Die Maßnahmenkette „Interne
Kommunikation” deckt alle Maßnahmen ab, die für die Sammlung und Weitergabe
von internen Informationen geplant sind. In der Maßnahmenkette „Controlling”
schließlich sind alle Maßnahmen der externen Informationsbeschaffung, der Strategiesicherheit und der Überprüfung der Strategie versammelt.
In dem oben vorgestellten Zeit- und Maßnahmenplan werden je nach Zugehörigkeit der Maßnahmen zu Maßnahmenketten diese in codierter Form in das
Schema auf der Zeitskala eingetragen. Die Zeitskala, die auf diesem Blatt von 1 bis
7 läuft kann als Zeiteinheit Tage, Wochen oder Monate haben, je nach der Maßnahmendichte.
Sind die Maßnahmen nun so verteilt, können mit diesem Plan weitere Berechnungen angestellt werden. Es handelt sich dabei um die Personal- und Finanzplanung.
Die Personalplanung
Aus den Personalplanungsdaten der einzelnen Checklisten für die Entwicklung
der Maßnahmen können Informationen auf den Zeit- und Maßnahmenplan übertragen werden. Diese Informationen können im Zeit- und Maßnahmenplan in den
Zeiteinheiten addiert werden, so dass erkennbar wird, wieviel Personal-Tage (PT) als
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Arbeitstage insgesamt in einer Zeiteinheit benötigt werden. Bei großen Schwankungen kann dann versucht werden, besondere Belastungen durch mögliche Verschiebungen (zeitlich aber auch von Arbeitseinheit zu Arbeitseinheit) auszugleichen. Wenn das nicht möglich ist, muss entsprechend Fremdpersonal in Form von
bezahltem Personal oder Freiwilligen beschafft werden.
Der Cash-Flow-Plan
Aus den Finanzplanungsdaten der einzelnen Checklisten können im Zeit- und
Maßnahmenplan Erkenntnisse
Erkenntnisseüber
überden
denMittelabfluss
Mittelabfluss
in den
Zeiteinheiten
gein den
Zeiteinheiten
gewonwonnen
werden.
(Cash-flow-Plan)
Plan der
dientFinanzverwaltung
der Finanzverwaltung
zur
nen werden.
(Cash-flow-Plan)
DieserDieser
Plan dient
zur rechtrechtzeitigen
Bereitstellung
der nötigen
undzu
auch
zur generellen
Finanzzeitigen Bereitstellung
der nötigen
MittelMittel
und auch
generellen
Finanzplanung.
planung.
Gleichzeitig
können
im Zeitund Maßnahmenplan
auchdarüber
Daten darüber
Gleichzeitig
können im
Zeit- und
Maßnahmenplan
auch Daten
erreicht
erreicht
sich die Kapitalnutzung
über die verschiedenen
Maßnahwerden, werden,
wie sich wie
die Kapitalnutzung
über die verschiedenen
Maßnahmenketten
menketten
verteilt.
Man weiß
Geld intern ausgegeben
wird Geld
und wieviel
verteilt. Man
weiß wieviel
Geldwieviel
intern ausgegeben
wird und wieviel
extern.
Geld
extern.
Aus der
Verteilung
internen
und externen Mittelverwendung
Aus der
Verteilung
der internen
undder
externen
Mittelverwendung
können wertvolle
können
wertvolle
Rückschlüsse
aufder
dieKampagne
Wirksamkeit
der Kampagne
Rückschlüsse
auf die
Wirksamkeit
gezogen
werden. gezogen werden.
Zum Beispiel sollten ca. 10 % der externen Kampagnenkosten für interne MoZum und
Beispiel
solltenausgegeben
ca. 10 % derwerden.
externen
Kampagnenkosten
für interne
tivation
Schulung
Hier
kommt es bei Parteien
undMoRetivation
und
Schulung
werden. Hier
es bei Parteien
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Regierungen
immer
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zu Missverhältnissen,
beikommt
denen zumeist
die interne
gierungen
immer wieder zu Missverhältnissen, bei denen zumeist die interne Seite
leidet.
leidet.
21.3.2 Die Evaluierung der Zeit- und Maßnahmenplanes
21.3.2 Die Evaluierung des Zeit- und Maßnahmenplanes
Ist ein vollständiger Zeit- und Maßnahmenplan erstellt muss er auf Wirksamkeit,
aufein
dasvollständiger
richtige Zusammenspiel
der verschiedenen
taktischen
und auf
Ist
Zeit- und Maßnahmenplan
erstellt,
muss erEinheiten
auf Wirksamkeit,
Ressourcenplanung
hin evaluiert der
werden.
auf
das richtige Zusammenspiel
verschiedenen taktischen Einheiten und auf
Ressourcenplanung hin evaluiert werden.
Ein Auszug aus einem fiktiven Zeit- und Maßnahmenplan könnte wie folgt
aussehen:
Ein Auszug aus einem fiktiven Zeit- und Maßnahmenplan könnte wie folgt
aussehen:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Zeiteinheit
1
2
3
3
5
6
7
Personal pro
Zeiteinheit
10 PT
30 PT
100 PT
200 PT
400 PT
500 PT
500 PT
Kosten pro
Zeiteinheit
2.000
6.000
10.000
10.000
15.000
60.000
45.000
150.000
Fundraising
51
56
61
88,89
12.000
1.000
andere Aktionen
PR-Aktionen
55
Veranstaltungen
60
Multiplikatorenarbeit
Medienarbeit
65
80
87
5.000
71
78,79
86
20.000
64
69,7
74,75,
76,77
83,84, 85
100.000
59
Werbung
Kosten
53,54
58
63
68
73
50
52
57
62
66,67
72
2,3
9
2.000
81,82
10.000
Externe MaßnahMaßnahmenketten
Interne MaßnahMaßnahmenketten
Interne Veranstaltungen
Kreation/Text/
Graphik
Programmarbeit
4
1
Interne Kommunikation
8
Controlling
0OLITISCHE3TRATEGIEN
21
14.000
200
10
Schulung
Personal pro
Zeiteinheit
13, 14
5,6,7
Logistik/Sicherheit/
Organis.
Kosten pro
Zeiteinheit
1.000
11
17
15
18
16
19
12
22
24
26
3.300
1.000
23
20
2.000
25
27
500
22.000
4.000
500
10.000
2.000
2.000
2.000
1.500
8 PT
12 PT
10 PT
14 PT
16 PT
8 PT
15 PMT
/RGANISATIONVON0ARTEIEN
+AMPAGNENUND7AHLKiMPFEN
22.1 Die Organisation der Aufgaben, die eine Partei ständig durchführen
muss.
Es gibt eine Reihe von Tätigkeiten, die eine Partei, soweit sie auf der nationalen
Ebene tätig ist, erfüllen muss. Dazu gehört einmal der gesamte Bereich der zentralen Öffentlichkeitsarbeit, der Planung und Steuerung von Politik, der zentralen
Verwaltung und der Pflege und Unterstützung der regionalen und lokalen Parteieinheiten.
Daneben gibt es Aufgaben, die nur zu besonderen Anlässen anfallen oder aus
bestimmten im Lande liegende Gründe zu suchen sind. Dazu gehört vor allem die
Gewährleistung von Sicherheit, die Arbeit am Wahlregister und die Besetzung von
Wahllokalen oder Wahltischen.
22.1.1 Beschreibung
Beschreibungder
derTätigkeiten,
Tätigkeiten,die
dieeine
einenationale
nationalePartei
Parteimindestens
mindestens
erledigen
muss.
erledigen muss.
Im Detail ergeben sich folgende Aufgaben:
0.
Leitung
0.1.
Stab Presse oder Pressesprecher
0.2.
Stab Gremien
0.3.
Stab Controlling
1.
Wahlregister
1.1.
Wählerregistrierung
1.2.
Wahlgericht
1.3.
Juristische Vertretung
2.
Planung und Steuerung
2.1.
Marktbeobachtung
2.2.
Programmentwicklung
2.3.
Politische Koordination
2.4.
Vorfeldorganisationen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3.
Öffentlichkeitsarbeit
3.1.
Medienauswertung
3.2.
Medienarbeit print
3.3.
Medienarbeit elektronisch
3.4.
Medienarbeit Internet
3.5.
Aktionen und Events
4.
Interne Kommunikation und Service
4.1.
Interne Kommunikation
4.2.
Stammdatenpflege Mitglieder, Funktions- und Mandatsträger
4.3.
Mitgliederbetreuung und -pflege
4.4.
Service für Parteigliederungen
4.5.
Schulung
5.
Verwaltung
5.1.
Personal
5.2.
EDV/Datenverarbeitung
5.3.
Logistik/Sicherheit
5.4.
Materialwirtschaft
5.5.
Hausverwaltung/interne Dienste
6.
Finanzen
6.1.
Budgetplanung und -kontrolle
6.2.
Buchhaltung
6.3.
Zahlungsverkehr
6.4.
Finanzbeschaffung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22.1.2 Zu den Aufgaben im einzelnen
0. Leitung
Die Leitung der Parteizentrale hat die Aufgabe, die Arbeitseinheiten nach dem beschlossenen Managementprinzip zu führen. Über das Managementprinzip ist eine
Entscheidung zu treffen. Der Vorstand beauftragt die Leitung der Zentrale allgemein. Die Leitung führt mit den Arbeitseinheiten die Aufgaben aus.
Der Vorstand der Partei ist also Auftrags- und Kontrollorgan der Parteizentrale,
erteilt aber keine Detailweisungen und greift nicht direkt in die Arbeitseinheiten
ein. Die Leitung sollte nicht Mitglied des Vorstandes sein, weil sie sich sonst im
Vorstand selbst kontrolliert. In vielen Fällen ist der Generalsekretär gleichzeitig
Vorgesetzter der Leitung der Parteizentrale.
0.1. Stab Presse
Der Stab Presse besteht im wesentlichen aus dem Pressesprecher. Er vermittelt
Kontakte der Vorstandsmitglieder zur Presse, koordiniert diese Einsätze und spricht
verantwortlich für die Partei mit den Medien. Er ist vom Vorstand (oder dem Vorsitzenden) autorisiert und in seiner Sprecherfunktion nur diesem verantwortlich. Für die
operativen Aufgaben bedient er sich des Arbeitsbereiches Öffentlichkeitsarbeit.
0.2. Stab Gremienbetreuung
Der Stab Gremienbetreuung ist zunächst als Stabsstelle der Leitung zuständig für
die inhaltliche Vorbereitung der Gremiensitzungen (Vorstand usw.) Er bedient sich
der Zuarbeit aller Arbeitsbereiche und bereitet entscheidungsfähige Vorlagen für die
Leitung vor. Er ist auch Anlaufstelle für alle Gremienmitglieder. Der Stab sorgt dann
für die Erfüllung der Wünsche der Gremienmitglieder – soweit möglich. Dadurch
wird der direkte Eingriff der Gremienmitglieder in die Arbeitsbereiche verhindert.
0.3. Stab Controlling
Der Stab berichtet dem Vorstand direkt und ist nur diesem verantwortlich. Seine
Aufgabe umfasst das finanzielle und politisch strategische Controlling.
1. Wahlregister
In den meisten Ländern der Welt gibt es kein automatisches Wahlregister, das sich
aus einer Einwohnermeldedatei speist, sondern die Wähler müssen sich im Wahlregister registrieren lassen. In solchen Ländern ist die Pflege des Wahlregisters und
0OLITISCHE3TRATEGIEN
die Sicherstellung, dass die Sympathisanten einer Partei sich wirklich registrieren
lassen von wahlentscheidender Bedeutung.
1.1 Wählerregistrierung
Diese Arbeitseinheit ist dafür verantwortlich, dass sich möglichst viele Wähler für
die Wahl registrieren lassen und dass die Wahlregister auf einem aktuellen Stand
sind. Dazu müssen die Gliederungen der Partei in die Lage versetzt werden, solche
Registrierungskampagnen auszuführen und die Registrierung zu begleiten. Sie müssen auch Registerfehler und -fälschungen aufdecken und mit Hilfe der juristischen
Vertretung der Partei (Siehe 1.3.) für ein gut geführtes Wahlregister sorgen. (Siehe
dazu auch das folgende Kapitel)
1.2 Wahlgericht
Die Vertreung der Partei beim Wahlgericht ist in den meisten Ländern von großer Bedeutung, weil hier Manipulationen aufgedeckt werden können und für einen fairen Wahlkampf gesorgt werden kann. Das ist in vielen Ländern eben nicht
selbstverständlich. Deswegen muss diese Arbeitseinheit mit qualifiziertem Personal
besetzt sein.
1.3 Juristische Vertretung
In vielen Ländern ist der Ablauf einer Wahlkampagne durch ständige illegale Übergriffe der Regierung und anderer Gruppen auf die Parteien geprägt. Das geht von
Manipulationen am Wahlregister über Fälschungen der Wählerliste bis zur Bedrohung von Wahlkämpfern, Bombenanschläge und Mord. In einem solchen Umfeld
ist eine permanente juristische Beratung notwendig. Diese Aufgabe übernimmt
diese Arbeitseinheit.
2. Planung und Steuerung von Politik
Der Arbeitsbereich Planung und Steuerung von Politik ist die politische Grundsatzabteilung der Partei. Hier wird Politik koordiniert, programmatische Weiterentwicklung geplant und durchgeführt und der Politikmarkt beobachtet.
2.1. Marktbeobachtung
Diese Aufgabe umfasst die Beobachtung der konkurrierenden Parteien, der politischen Agenda von Legislative, Exekutive und des Wählermarktes.
2.2. Programmentwicklung
Diese Aufgabe umfasst die programmatische Weiterentwicklung und die Überarbeitung bestehender Programme. Dabei bleibt die Art der Programmentwicklung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
zunächst undefiniert (Arbeitsgruppen, Parteigremien, offene oder geschlossene
Fachausschüsse usw.).
2.3. Politische Koordination
Die politische Koordination hat die Aufgabe, die Aktivitäten von nationaler Partei und Fraktion im Parlament bzw. mit Regierungsvertretern zu koordinieren. Zu
dieser Koordination gehört auch der Versuch der Koordination der Politik der verschiedenen Ebenen der Partei.
2.4 Vorfeldorganisationen
Viele Parteien unterhalten Kontakt zu Vorfeldorganisationen, die teilweise direkt
in die Partei eingebaut sind, wie zum Beispiel die Jugend- und Frauenorganisationen, Organisationen von Mandatsträgern. Teilweise sind sie nur lose mit der Partei
verbunden, wie zum Beispiel Studenten- und ethnisch orientierte Organisationen,
Berufs- und Glaubensorganisationen. Sind solche Organisationen vorhanden müssen diese koordiniert und gepflegt werden. Die Partei muss in der Lage sein, diese Organisationen in ihre Strategie einzubinden und Konflikte zu vermeiden. Die
Aufgabe dieser Arbeitseinheit besteht hauptsächlich in der Kontaktpflege und der
Steuerung der Organisationen.
3. Öffentlichkeitsarbeit
Der Arbeitsbereich Öffentlichkeitsarbeit umfasst zunächst die Auswertung der
Medien, die operative Planung und Umsetzung der Öffentlichkeitsarbeit gegenüber Presse/Fernsehen/Radio und die Planung und Durchführung von Aktionen und
Veranstaltungen.
3.1. Medienauswertung
Die Auswertung von Medien aller Art ist zentrale Aufgabe dieser Arbeitseinheit.
Sie ist wichtig für die politische Führung der Partei, die Marktbeobachtung und
für den Sprecher der Partei.
3.2. Medienarbeit-print
Medienarbeit-print leistet die gesamte operative Arbeit für den Pressesprecher, die
sich auf gedruckte Medien beziehen, wie zum Beispiel Pflege einer Medien- und
Journalistendatei, Organisation von Pressekonferenzen, Herstellung von Pressekontakten. Aber dazu gehört auch die Beratung der Parteigliederungen für ihre
Pressearbeit.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3.3 Medienarbeit-elektronisch
leistet die gesamte operative Arbeit für den Pressesprecher, die sich auf elektronische Medien bezieht. Dabei geht es vor allem auch um die Vermittlung von Politikern der Partei für Talk-shows, Diskussionen im Fernsehen und Radio, aber auch
um die Organisation von Ereignissen, die für die elektronischen Medien attraktiv
sind. Dazu gehört auch Location für TV-Aufnahmen sowie die Entwicklung von
Kurzstatements für das Radio.
3.4 Medienarbeit-Internet
Die Medienarbeit Internet ist ein relativ neue Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit.
Hier geht es um den Aufbau und die Pflege der Web-Site, aber viel mehr um die
Überwachung der in den Social communities ablaufenden Diskussionen und die
Überwachung der Diskussionen in den politischen Chaträume und den Foren. Hier
muss entschieden werden, wo Eingriffe durch eigene Beiträge notwendig sind und
welche Themen in diesen Räumen und Foren beeinflusst werden sollen.
3.5. Aktionen und Events
Aktionen und Events mit PR-Charakter werden in dieser Aufgabe zusammengefasst.
Hier geht es um Planung, Entwicklung von Medien aller Art und Durchführung von
Aktionen und Veranstaltungen.
4. Interne Kommunikation
Dieser Arbeitsbereich umfasst alle vorbereitenden Maßnahmen für eine funktionierende interne Kommunikation sowie Service und Qualifizierungsmaßnahmen
für die Partei.
4.1. Interne Kommunikation
In dieser Aufgabe wird die gesamte interne Kommunikation zusammengefasst.
Außerhalb dieser Arbeitseinheit sind interne Kommunikationsmaßnahmen weder
zu planen noch durchzuführen. Dabei bedeutet Kommunikation Sicherstellung des
Informationsflusses von unten nach oben und von oben nach unten, sowie auf nationaler Ebene auch horizontal.
4.2. Stammdatenpflege Mitglieder, Funktions- und Mandatsträger
Die Stammdatenpflege ist nicht zu verwechseln mit den Betrieb der EDV. Es geht
hier ausschließlich um die Pflege der Daten, die die Grundlage für interne Kommunikation sind. Zur Stammdatenpflege gehört auch das aktive Beschaffen der
benötigten Daten.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4.3. Mitgliederbetreuung und -pflege
In dieser Aufgabe sind alle diejenigen Maßnahmen zusammengefasst, die Incentivecharakter für Mitglieder haben können. Das beginnt bei Gratulationen,
Ehrungen und endet bei materiellen Leistungsangeboten für Mitglieder (Bücher,
Reisen, Kontakte usw.).
4.4. Service für Parteigliederungen
Mit dieser Aufgabe wird der Austausch von Know-how über Parteiaktivitäten und
Initiativen sichergestellt, Anreize für Aktionen und Maßnahmen gegeben und Hilfestellungen durch Material und Know-how gewährt.
4.5. Schulung
Die Aufgabe Schulung dient der Qualifizierung des Humankapitals der Partei. Langfristig muss ein umfassendes Schulungsprogramm entwickelt werden.
5. Verwaltung
Der Arbeitsbereich Verwaltung umfasst alle Tätigkeiten, die einen reibungslosen
Ablauf der Aktivitäten der anderen Arbeitseinheiten sicherstellen.
5.1. Personal
Diese Aufgabe umfasst Durchführung der Personaleinstellung und -entlassung,
Personalentwicklung, Gehaltsabrechnung, Arbeitsplatzgestaltung.
5.2. EDV/Datenverarbeitung
Diese Aufgabe umfasst die Zurverfügungstellung von Hard- und Software in der
von den Arbeitseinheiten benötigten Form, die Datensicherung und Beratung der
Nutzer.
5.3. Logistik/Sicherheit
Die Logistik umfasst den eigenen Fuhrpark, die Sicherstellung aller benötigten Transporte und die Verfügbarkeit von Materialien an den jeweils gewünschten Orten. Im
Bereich Sicherheit geht es auch darum, sowohl die Personen wie auch das Eigentum
der Partei vor Angriffen zu schützen. (siehe dazu auch das folgende Kapitel)
5.4. Materialwirtschaft
Die Aufgabe Materialwirtschaft umfasst Beschaffung, Lagerung, Einsatz und Vertrieb aller benötigten Materialien.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
5.5. Hausverwaltung/interne Dienste
Diese Aufgabe umfasst die Unterhaltung von Parteigebäuden, Versicherungen,
Mietverträge, Wartung sowie Kantinen- bzw. Küchenbewirtschaftung, Botendienst,
Kopier- und Druckdienste.
6. Finanzen
Der Arbeitsbereich Finanzen stellt Haushaltsplanung, Finanzbeschaffung und -bewirtschaftung sicher.
6.1. Budgetplanung und -kontrolle
Die Aufgabe umfasst die Planung des Budgets und die Kontrolle seiner Durchführung durch die in ihrem Arbeitsbereich eigenverantwortlichen Leiter der Arbeitseinheiten.
6.2. Buchhaltung
Die Aufgabe liegt in der Durchführung der Buchhaltung, der Rechnungsprüfung,
die Erstellung von Jahresabschlüssen usw.
6.3. Zahlungsverkehr
Die Aufgabe liegt in der Erledigung aller Maßnahmen des Zahlungsverkehrs, sowohl
des bargeldlosen Verkehrs wie auch der Kasse.
6.4. Finanzbeschaffung
Die Aufgabe liegt in der Sicherstellung der Liquidität der Partei im Rahmen der
Beschlüsse des Vorstandes, der Spendenwerbung, der Sicherstellung von Beitragszahlungen usw.
22.2 Nichtständige oder außergewöhnliche Aufgaben
Zu den nichtständigen oder außergewöhnlichen Aufgaben einer Partei kann die
Sicherstellung von Sicherheit, die Arbeit am Wahlregister, die Besetzung von Wahltischen aber auch die Organisation von bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeiten
gehören.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1. Sicherheit
Zu den nichtständigen oder außergewöhnlichen Aufgaben gehört zunächst die Sicherstellung von Sicherheit. Diese Aufgabe hat in unterschiedlichen Ländern völlig
unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt Länder, in denen die Parteien und deren
Kandidaten und Personal ausreichend durch staatliche Organe (Polizei, Spezialeinheiten, Militär) geschützt werden, während in anderen Ländern oftmals gerade die
Oppositionsparteien eher Opfer dieser Organe sind, als dass sie durch diese Einheiten geschützt würden.
Aus diesen Gründen haben verschiedene Parteien Spezialeinheiten gebildet,
die für den Schutz der Personen aber auch der Parteiobjekte zu sorgen haben. Das
können dann auch bewaffnete Kräfte sein.
2. Arbeit am Wahlregister
In den Ländern, in denen keine automatische Wählerregistrierung durch Meldesysteme existiert, müssen die Parteien zur Sicherung der eigenen Ergebnisse dafür sorgen, dass das Wahlregister ordnungsgemäß geführt wird und dass sich ihre
Sympathisanten und besonders die Erstwähler in die Wählerregister einschreiben.
Das ist in vielen Ländern sehr problematisch, weil hohe bürokratische Hindernisse
aufgebaut werden, die die weniger gebildeten oder marginalisierten Schichten
der Bevölkerung von der Einschreibung ausschließen. Wenn nun aber gerade diese
Schichten wichtige Zielgruppen für eine Partei sind, dann hängt der Wahlerfolg
von der Fähigkeit der Partei ab, durch intensive Beratungs- und Betreuungsarbeit
die Ängste der Schichten abzubauen und sie durch die bürokratischen Hindernisse
zu führen. Dazu bedarf es umfangreicher personeller und finanzieller Ressourcen,
die aber immer nur vor Wahlen gebraucht werden.
3. Besetzung der Wahltische oder Wahllokale
Um auch nur einigermaßen vor Wahlbetrug und -manipulationen am Wahltag geschützt zu sein, müssen die Wahllokale oder Wahltische mit ausgebildeten Agenten
der Parteien besetzt werden. Die Organisation dieser Aufgabe umfasst in einer Reihe von Ländern umfangreiche Schulungs- und Organisationsmaßnahmen, für die
spezielle Organisationseinheiten in der Verwaltung der Partei aufgebaut werden
müssen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
4. Wirtschaftliche Aktivitäten
Wegen der besonderen Vorschriften zur Finanzierung von Parteien kann es vorkommen, dass die Parteien eigene wirtschaftliche Unternehmen unterhalten, die
geführt und koordiniert werden müssen. Teilweise gibt es eigene Hotels, eigene
Ferienheime, eigene Fabriken und Handelshäuser.
Aber es treten auch Fälle auf, in denen die Parteien regelmäßige Lotterien veranstalten, die von speziellen Fachkräften und mit ihren Mitarbeitern durchgeführt
werden.
22.3 Übertragung der Tätigkeitsfelder in eine Linienorganisation
Die oben beschriebenen ständigen Tätigkeiten, die nicht als ein Stellenplan zu verstehen sind, sondern als Aufgaben, die zu erledigen sind, werden in eine Linienorganisation gebracht. Innerhalb dieser Linienorganisation, die klare Zuständigkeiten und
Über- und Unterordnungen erkennen lässt, werden die Funktionen je nach Umfang
einer oder mehreren Personen zugeordnet. Mehrere Funktionen können auch einer
Person zugeordnet werden, aber nicht aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen.
Zusätzlich zu den Funktionen in der Linienorgansation weist der Plan auch
Stabsstellen aus. Stäbe sollen Führungsinstanzen, d.h. die Leitung entlasten, indem
sie ihr Expertenwissen bereit stellen und beratend tätig sind. Theoretisch ermöglicht ihre Unabhängigkeit eine konzeptionelle, strategische Arbeit ohne Rücksicht
auf eingefahrene Organisationsabläufe und -strukturen. Idealtypisch sollten Stäbe
keine Weisungsbefugnisse haben, also nur beratend tätig sein, aber selbst nicht
entscheiden dürfen.
Organisationsplan entsprechend der Aufgabenbeschreibung in einer Linienorganisation mit Stabsstellen:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Leitung
Stab
Controlling
Stab Presse
Stab Gremien
Wahlregister
Planung und
Steuerung
Öffentlichkeitsarbeit
Interne
Kommunikation
Service
Verwaltung
Finanzen
Wählerregistrierung
Marktbeobachtung
Medienauswertung
Interne
Kommunikation
Personal
Budgetplanung
und -kontrolle
Wahlgericht
Programmentwicklung
Medienarbeit
print
Stammdatenpflege
EDV/Datenverarbeitung
Buchhaltung
Juristische
Vertretung
Politische
Koordination
Medienarbeit
elektr.
Mitgliederbetreuung
Logistik/
Sicherheit
Zahlungsverkehr
Vorfeldorganisationen
Medienarbeit
Internet
Service
Materialwirtschaft
Finanzbeschaffung
Aktionen,
Events
Schulung
Hausverwaltung
Int. Dienste
22.4 Die Projektorganisation
Nicht immer lassen sich alle Aufgaben einer Partei oder politischen Organisation in
einer Linienorganisation, wie sie im vorigen Kapitel dargestellt wurde, organisieren.
Das gilt besonders dann, wenn die Linienorganisation einen bestimmten bürokratischen Sättigungsgrad erreicht hat. Dieser wäre normalerweise durch eine Reform
der Organisation zu bereinigen. In Wirklichkeit wird eine solche Reform aber wegen
persönlicher Rücksichtnahmen und anderer irrationaler Bedenken meistens nicht
vollzogen. Für solche Fälle eignet sich dann oftmals die Projektorganisation, die
zeitlich begrenzt und flexibel arbeiten kann. Sie kann unabhängig sein, aber auch
mit einer Linienorganisation verbunden sein.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22.4.1 Projektdefinition
Projekte sind als zeitlich begrenzte, innovative Aufgabenkomplexe definiert. Das
bedeutet:
1. Das Ziel ist im voraus festgelegt.
Das Projektziel wird im Strategiebeschluss durch den Vorstand festgelegt. Das
Projekt ist stets auf die Realisierung von speziellen vorher exakt definierten, den
Gesamtzielen untergeordneten Zielen ausgerichtet. Darüber hinaus muss ein
Projekt einen sachlich definierten und abgrenzbaren Aktivitätsumfang haben.
2. Die Frist für die Zielerreichung ist bestimmt.
Das Projekt muss einen zeitlich definierten Anfang und ein zeitlich definiertes
Ende haben. Es beginnt normalerweise mit einer angemessenen Vorbereitungszeit, geht über die Durchführungszeit und endet nach der Abrechnung ca. 1
Monat nach dem Ende (Wahltag oder Schluss der Kampagne).
2. Die Zielerreichung ist mit Unsicherheit und Risiko verbunden.
Das Projekt darf nicht nur Routinearbeiten umfassen, weil diese besser und
effektiver in einer bestehenden Linienorganisation erledigt werden könnten.
Für die Routine lohnt sich nicht der Aufbau eines Projektes.
3. Mehrere verschiedenartige Stellen sind beteiligt.
Aufgrund der Komplexität eines Projektes sind zu Zwecken der Planung und
Abwicklung von Maßnahmen mehrere interne und externe Stellen beteiligt,
die innerhalb einer festgelegten Organisation miteinander arbeiten. Zum Beispiel geht es auch um die Beteiligung einer Agentur und anderer Berater am
Planungsprozess.
4. Das Vorhaben besitzt eine gewisse Einmaligkeit.
Das Projekt muss innovative Aufgaben erledigen, die auch Routineaufgaben
sein können, aber in der jeweiligen Situation einmalig oder erstmalig sind.
Jeder Wahlkampf ist einmalig, weil Bedingungen unterschiedlich sind, und die
Abstände der Wahltage zu groß für eine ständige Aufgabenentwicklung sind.
5. Die Mittel sind begrenzt.
6. Das Projekt muss stets über einen bestimmten, definierten Wert liegen, um den
Aufwand zu rechtfertigen, der mit der Abwicklung eines Projektes zwangsläufig
verbunden ist. Ein jedes Projekt benötigt einen festen finanziellen Rahmen, in
dessen Grenzen die Mitglieder des Projektes frei entscheiden können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22.4.2 Installation des Projektes
Über die Einrichtung des Projektes entscheidet der Vorstand. Mit dem Beschluss
sind gleichzeitig festzulegen:
–
das Projektziel,
–
der Projektumfang,
–
der zeitliche Rahmen,
–
der finanzielle Rahmen,
–
die Zusammensetzung der Projektgruppe und
–
die Projektleitung.
Der Projektleiter nimmt als solcher nur koordinierende Aufgaben wahr. Die
Kompetenz der einzelnen Projektgruppenmitglieder bleibt bei der Übernahme einer
Aufgabe voll erhalten. Das PG-Mitglied führt seinen Teil also eigenverantwortlich
aus. Es hat nach Abschluss der Durchführung der Projektgruppenleitung nur den
jeweiligen Vollzug zu melden oder rechtzeitig auf Vollzugsschwierigkeiten hinzuweisen.
Der Projektleiter der Projektgruppe kann ein mit Kompetenzen versehenes Mitglied der Projektgruppe sein.
Politik
Externe
Kommunikation
Logistik
Materialwirt.
Veranstaltungen
Aktionen
Projektleitung
Interne
Kommunikation
Koordination
Vorstand
Öffentlichkeitsarbeit PR
Finanzen
Projektorganisation
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22.4.3 Formulierung eines Auftrages des Vorstandes der Partei an die
Projektgruppe.
Der Vorstand der X-Partei richtet durch diesen Beschluss eine Projektgruppe „Wahlkampf“ ein. Die Projektgruppe hat folgenden Auftrag: Das in der Strategie vom
...... durch den Vorstand beschlossene Hauptziel soll erreicht werden. Dazu hat die
Projektgruppe folgende Kompetenzen:
1. Im Rahmen der beschlossenen Strategie plant die Projektgruppe
alle MaßProjektgruppe alle
nahmen und sorgt für deren
deren Durchführung.
Durchführung.
2. Die Projektgruppe verfügt selbständig über den ihr zugewiesenen Budgetrahmen nach Vorlage eines Haushaltsplanes und dessen Genehmigung durch den
Vorstand.
3. Die Projektgruppenmitglieder haben im Rahmen der Gesamtorganisation in
ihrem Arbeitsbereich Weisungsrecht in der Geschäftsstelle.
4. Die Projektgruppe arbeitet kooperativ mit den Gliederungen der Partei zusammen. Werden zentrale Maßnahmen durchgeführt, hat die Projektgruppe oder ein
von ihr beauftragtes Mitglied Weisungsrecht gegenüber den nachgeordneten
Gliederungen.
5. Die Projektgruppe erstattet der Vorstand monatlich Bericht über den Fortgang.
Der Vorstand kann jederzeit einen Zwischenbericht verlangen.
6. Entscheidet die Projektgruppe abweichend von der Strategie, ist vorher die
Zustimmung des Vorstandes einzuholen.
7. Die Projektgruppe kann externe Berater hinzuziehen. Alle Entscheidungen trifft
ausschließlich die Projektgruppe.
Die Arbeit der Projektgruppe beginnt am ........ und endet am ......... mit der Abgabe des Schlussberichtes.
Die Projektgruppe kann über einen Haushaltsansatz von ........... verfügen.
Die Projektgruppe besteht aus den Funktionen:
a. Politik
b. Externe Kommunikation
c. Logistik/Materialwirtschaft
d. Interne Kommunikation
0OLITISCHE3TRATEGIEN
e. Finanzen
f. Öffentlichkeitsarbeit/PR
g. Veranstaltungen/Aktionen
h. Koordination Vorstand
Zum Leiter der Projektgruppe beruft der Vorstand ........., der innerhalb einer Woche eine Liste der restlichen Mitglieder der Projektgruppe erstellt und diese nach
Genehmigung durch den Vorstand beruft.
22.5 Tätigkeiten im Wahlkampf auf regionaler Ebene
Die auf nationaler Ebene beschlossene Strategie mit den daraus folgenden Zielvorgaben für die Gliederungen der Partei und den Zeit- und Maßnahmenplänen sind
auch für die regionale und lokale Ebene der Partei Richtschnur und verbindlich.
Im Wahlkampf geht es also darum, die vorgegebenen Ziele so weit wie möglich
zu erreichen. Je näher der Wahlkampf kommt, um so intensiver verlagert sich die
Arbeit von der nationalen Ebene nach unten an die Basis.
Folgende Tätigkeiten müssen bei ehrenamtlicher Struktur von der lokalen und
regionalen Ebene durchgeführt werden:
1. Aufbau von lokalen Wahlkampfteams
2. Motivation der Mitglieder zur Mithilfe
3. Schaffung materieller Ressourcen und der lokalen und regionalen Logistik
4. Sicherstellung der Außenwerbung der Partei (Plakate usw.)
5. Sicherung der lokalen Berichterstattung (Medienarbeit)
6. Verteilung von Material, Präsenzwerbung
7. Organisation von lokalen Veranstaltungen
8. Durchführung von Aktionen (Hausbesuche usw.)
9. Zusammenarbeit mit der nationalen Wahlkampfsteuerung.
Auf regionaler Ebene bietet sich dafür die Matrixorganisation an, die sicherstellt, dass die lokalen Einheiten bei der Planung und Durchführung beteiligt sind
und der Informationsfluss gesichert ist. Dazu werden die notwendigen Tätigkeiten
mit den lokalen Wahlkampfleitern gekreuzt. Dabei erhält dann jeder lokale Wahlkampfleiter eine regionale Kompetenz und führt diese in Kooperation mit dem lo
0OLITISCHE3TRATEGIEN
kalen Wahlkampfteam durch. Der regionale und lokale Vorstand der Partei führt die
laufenden Geschäfte der Partei, wie z.B. Mitgliederbetreuung, Mitgliederaufnahme,
politische Debatte und Entscheidungen usw.
Reg.
Wahlkampfleiter
Aufg.
1
Aufg.
2
Aufg.
3
Aufg.
4
Aufg.
5
Aufg.
6
Wahlkampfleiter A
Wahlkampfleiter B
Wahlkampfleiter C
Wahlkampfleiter D
Wahlkampfleiter E
Wahlkampfleiter F
Matrixorganisation
Die lokalen Wahlkampfteams können Ortsteams oder Stadtteilteams sein, je
nach Größe des Ortes. Ein fliegendes Wahlkampfteam für die Regionen, in denen
die Partei nicht organisiert ist, ist anzuraten.
Die oben vorgestellte Grafik stellt folgendes Organisationsschema vor: Der
Wahlkampfleiter des Ortes C nimmt die Aufgabe 1 (Materialwirtschaft) für die
gesamte Region wahr. Der Wahlkampfleiter des Ortes F nimmt die Aufgabe 6
(Rednerplanung) für die gesamte Region wahr. Sind mehr Wahlkampfleiter als
Aufgaben zu vergeben, können Aufgaben weiter unterteilt werden. Sind weniger
Wahlkampfleiter als Aufgaben vorhanden, müssen einige Wahlkampfleiter mehr
als eine Aufgabe wahrnehmen.
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23.1 Finanzierung von Kampagnen
Bei dieser Darstellung geht es um Konzepte für verschiedene Organisationen, wie
zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen, Non-Profit-Organisationen, Parteien
aber sogar auch einzelne Ämter von Kommunal- oder Landesverwaltungen, speziell
in den Bereichen Kultur, Soziales und Umwelt.
Als Finanzierungsmöglichkeiten lassen sich unterscheiden:
– Öffentliche Förderung durch den Staat oder Zusammenschlüsse von Staaten
– Spenden von Privatpersonen, Firmen, Bußgelder und andere öffentliche
Spenden
– Sponsoring durch Wirtschaftsunternehmen
– Förderung über Kooperation mit Verbänden und Institutionen und
– Leistungsentgelte
Drei Bereiche dieser Finanzierungsmöglichkeiten sollen hier etwas genauer
untersucht werden. Zunächst die öffentliche Finanzierung, danach das Sponsoring. Schwergewichtig wird dann die klassische Spendenwerbung, aber unter dem
Stichwort Fundraising, behandelt.
23.1.1 Öffentliche Finanzierung durch den Staat
Hier geht es zumeist um Finanzierung von Maßnahmen und Projekten aus den öffentlichen Haushalten. Dazu müssen Haushalte der öffentlichen Hand sorgfältig
studiert und auf Förderungsmöglichkeiten analysiert werden. Für die Förderungen
gibt es teilweise klare Richtlinien, teilweise ist aber der Ermessensspielraum durch
die Entscheider sehr groß.
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Soweit Haushaltsmittel zur Förderung bestimmter Projekte veranschlagt worden sind, ist nicht immer sichergestellt, dass man auch in den Genuss dieser Mittel
kommt, weil der Ansatz so geplant ist, dass andere Organisationen davon profitieren und neue Organisationen noch nicht berücksichtigt werden können. In einem
solchen Fall müssen dennoch Anträge gestellt werden, um zumindest die Chance
zu haben, in die Förderung des nächsten Haushaltes aufgenommen zu werden. Hier
ist intensive Lobbyarbeit sowohl bei den Fachämtern oder Ministerien, wie auch
bei den Politikern nötig.
23.1.2 Sponsoring
Das Sponsoring unterscheidet sich von Spenden. Sponsoring ist aus der Sicht des
Sponsors ein Geschäft und eine Werbeform. Ziel ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit im Rahmen der Sponsoringmaßnahme. Die Sponsoren erbringen dabei
Leistungen in Form von Geld, Sachleistungen oder Dienstleistungen. Die Gesponserten tragen durch ihre Maßnahme dazu bei, dass das Unternehmen bekannt wird
oder das Image positiv beeinflusst wird.
Die Maßnahmen, die von Gesponserten für den Erhalt der Leistung vorzunehmen sind, sind zu verhandeln und fallen je nach Bedarf des Sponsors unterschiedlich aus. Das kann zum Beispiel sein:
– Erwähnung der Sponsoren bei der Pressearbeit
– Nennung des Namens des Sponsors auf der Veranstaltung
– Erwähnung des Sponsors auf Tickets, Einladungen, Schriftwechsel usw. zum
Beispiel durch Aufnahme des Logos oder des Firmennamens
– Anzeigenplatz in Programmheften oder anderen Medien
– Sichtwerbung im Veranstaltungsraum
– Sichtwerbung an Personen
– Erwähnung des Sponsorings in der PR-Arbeit des Unternehmens
– Durchführung von Maßnahmen im Unternehmen.
Gesponsert werden können Personen, Vereine, einzelne Veranstaltungen, Projekte von unterschiedlichen Organisationen, auch aus dem staatlich öffentlichen
Bereich, besonders im Umwelt-, Sozial- und Kulturbereich.
Zwischen Spenden und Sponsoring besteht für die Unternehmen steuerlich ein
großer Unterschied. Während die Spendentätigkeit normalerweise steuerlich nur
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begrenzt zu berücksichtigen ist und bei Organisationen, die steuerlich keinen besonderen Status (wie zum Beispiel die Gemeinnützigkeit) haben, überhaupt nicht
zu berücksichtigen sind, sind die Sponsoringmaßnahmen unbegrenzt als Betriebsausgaben zu verbuchen. Für den Gesponserten sind dagegen die Einnahmen aus
Sponsoringmaßnahmen Einkünfte aus Gewerbetätigkeit und entsprechend steuerlich zu behandeln.
23.1.3 Spendenwerbung durch Fundraising
Soll die Organisation sich zu besonderen Anlässen aus Spenden finanzieren, ist es
nötig eine genaue Planung der Fundraising-Aktivitäten vorzunehmen. In einem
solchen Fundraising-Plan wird zunächst festgelegt, welcher Spendertyp besonders
angesprochen werden soll.
– Sollen vor allem Großspenden erzielt werden?
– Sollen Klein- und Mittelspender angesprochen werden?
– Welche Motivation könnten Spender haben, der Organisation Geld zu geben?
– Was kann die Organisation ihnen bieten?
– Wie soll die Ansprache erfolgen?
– Welche Instrumente sollen eingesetzt werden?
Ganz grundsätzlich gilt, dass niemand Geld gibt, ohne gefragt zu werden. Das
bedeutet, dass das Fundraising eine intensive und teilweise auch unangenehme
Arbeit ist oder zumindest sein kann.
Kim Klein130, eine erfolgreiche feministische Fundraiserin sagt dazu: Fundraising
ist das Prinzip, zu fragen, wieder zu fragen und um mehr zu fragen.
Weil das Fundraising ein Projekt, eine Kampagne oder den Wahlkampf finanziert, kann der Fundraising-Plan nicht im Vakuum entstehen. Er muss in Übereinstimmung mit den strategischen und taktischen Elementen der Planung stehen. Er
ist eine Strategie in der Strategie. Ein Fundraising-Plan muss also genauso wie die
Strategie geschrieben sein.
In vielen Fundraisingmanuals wird der Eindruck vermittelt, dass es das Ziel des
Fundraisingplans ist, möglichst viele Menschen zu möglichst vielen Anlässen auf
130 Kim Klein: Fundraising for Social Change, Inverness, CA, 1988.
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möglichst viele verschiedene Wege anzusprechen. Das wäre richtig, wenn man
ausreichend Zeit und Geld hätte. Das ist aber in der Realität nicht so. Deswegen
muss Fundraising auch strategisch geplant werden und die potentiellen Spender
nach Wahrscheinlichkeit des Spendens und der Spendensumme sortiert und mit
Prioritäten versehen werden.
23.1.4 Die Beteiligten
Um den Fundraising-Plan in eine erfolgreiche Aktion umzusetzen, braucht man zwei
wesentliche Dinge: Fähige Leute und ein gutes Managementsystem.
Die Fundraiser
Die Finanzwerbungsanstrengungen und Erfolge hängen sehr stark vom Talent
und der Überzeugungskraft der Mitstreiter (Fundraiser) ab. Viele Fundraisingpläne
scheitern, weil die falschen Leute zur falschen Zeit die falschen Spender ansprechen.
Um erfolgreich Spendenwerbung zu betreiben, muss zwischen dem Spendenwerber
und dem Spender eine ständige Kommunikation herrschen und ein Vertrauensverhältnis muss aufgebaut werden. Die Fundraiser müssen auf der Höhe sein mit den
Projektplanungen oder dem Parteiprogramm, mit dem, was die Organisation in der
nächsten Zeit tun wird, welche Ausgaben zu tätigen sind und wie, wo und warum
Geld ausgegeben wird.
Und sie müssen das Ziel, das Zielimage und das reale Image der Organisation,
die sie vertreten, genau kennen, müssen die Vorteile für die Spender herausarbeiten können.
Die Spender
Bevor der Fundraising-Plan in die Tat umgesetzt wird, muss man die Menschen
verstehen, die man um Geld angeht. Die Motive, Geld zu geben, lassen sich in folgende Kategorien einteilen:
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1. Werte und Glaubensgrundsätze
Diese sind von großer Bedeutung für das Spendenverhalten von Menschen.
Dadurch werden auch die Inhalte und Themen bestimmt, auf die der Spender
anzusprechen ist. Die Werte des Menschen erwachsen aus seiner Lebenserfahrung. Sie bestimmen dann auch sein soziales Engagement, seine politische
Einstellung und sein Eigeninteresse.
2. Eigeninteresse
Der potentielle Spender fühlt, dass die Organisation oder die Partei sein Eigeninteresse fördern könnte.
3. Zugehörigkeitsgefühl
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, einer sozialen Gruppierung aber auch zu einer Partei ist ein wesentliches menschliches Grundbedürfnis. Diese Zugehörigkeit wird auch durch die Bereitschaft zum Spenden
ausgedrückt.
4. Lokaler Bezug
Der lokale Bezug ist ein wichtiges Spendenmotiv. Denn die geographische Nähe
bietet ähnliche positive Gefühle wie die Zugehörigkeit zu einer Organisation.
5. Gesellschaftlicher Druck
Der potentielle Spender spendet, weil zum Beispiel ein Freund von ihm auch
gespendet hat.
6. Der richtige Bittsteller
Der potentielle Spender gibt etwas, weil die richtige Person ihn gefragt hat.
7. Steigerung des Selbstwertgefühls
Viele Menschen erhalten aus ihrem Umfeld, aus ihrem Lebens- und Berufsalltag
kein Bestätigung ihres Selbstwertgefühls oder sie werten die materielle Anerkennung als unbefriedigend. Sie versuchen daher Anerkennung aus anderen
Quellen zu beziehen. Spenden sind eine Möglichkeit zur Verbesserung des
Selbstwertgefühls.
8. Einflussnahme
Viele Menschen wollen sich für sie wichtige Anliegen engagieren. Da die individuellen Einflussmöglichkeiten im politischen Bereich gering sind oder manchmal
auch die Zeit dafür fehlt, geben Spenden die Möglichkeit Einfluss zu nehmen.
Das kann zum Beispiel darin bestehen, dass man einen bestimmten Kandidaten
unterstützt, oder eine bestimmte Organisation. Bei diesem Spendertyp, der
Einfluss nehmen will, gilt, dass man ihm auch Einfluss auf die Verwendung des
Geldes offerieren sollte.
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9. Das richtige Feindbild
Der potentielle Spender gibt etwas, weil seine persönlichen oder geschäftlichen
Gegner andere Organisationen oder Parteien unterstützen. Er spendet aus
privater Opposition.
10. Sich gut fühlen
Vielen Menschen bereitet es Schwierigkeiten, dass es ihnen gut geht und dass
es anderen schlecht geht. Mit ihrer Spende erkaufen sie sich eine Kompensation
vom schlechten Gewissen.
11. Über den Tod hinaus wirken
Viele erfolgreiche Unternehmer haben das Problem, dass sie mit ihrem Reichtum in der letzten Lebensabschnittsphase etwas anfangen wollen, was in der
Zeit nach ihnen wirkt und mit ihrem Namen verbunden ist. Daher errichten sie
Stiftungen oder versuchen durch gezielte Spenden das Gefühl zu entwickeln,
dass sie etwas für eine bessere Zukunft tun.
Das Finanzkomitee
Das Finanzkomitee ist das Herz des Fundraisings. Es sollte Personen aus allen Sektoren der Gesellschaft umfassen. Aus der Wirtschaft, aus verschiedenen
Berufsgruppen, Religionen und gesellschaftlichen Gruppen. Und es müssen Menschen sein, die bereit sind, mit aller Kraft Spenden einzuwerben. Daher muss man
sich immer wieder fragen: Ist die Zusammensetzung so, dass das Komitee produktiv arbeiten kann? Besorgt es das Geld, wenn die Organisation das Geld braucht?
Würden mehr Leute im Komitee das Komitee produktiver machen, oder sollte man
das Komitee verkleinern?
Beim Finanzkomitee geht es darum, Menschen zu haben, die auf der einen Seite
einflussreich und willensstark sind, aber eben nicht nur reiche Individualisten. Man
muss auch der Frage nach dem Zeitinvestment stellen. Oftmals sind im Finanzkomitee Leute, die zwar alle Bedingungen für einen guten Fundraiser erfüllen, aber
leider keine Zeit haben und ihre Aufgaben nicht erfüllen. Dann sollte man diese
Personen auswechseln.
Fundraisingpersonal
Wenn das Fundraising eine wichtige Aufgabe im Zusammenhang mit der Erreichung der strategischen Ziele ist, sollte man in Personal investieren. Das bedeutet,
es wird eine Anlaufstelle – unabhängig davon ob haupt- oder ehrenamtlich – ge0OLITISCHE3TRATEGIEN
schaffen, die quasi wie ein Motor das Finanzkomitee antreibt und die Aktivitäten
koordiniert. Ein solches Investment lohnt sich meistens.
Das Managementsystem
Das Spendenwerbungs-Management-System erfüllt zwei miteinander verbundene Aufgaben. Die Unterhaltung und Aktualisierung der Spenderlisten und die
Entwicklung der notwendigen Berichte, sowohl finanzieller Art wie auch für die
Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften.
Die Art, wie die Spenderdatei unterhalten wird, bestimmt die Geschwindigkeit
und den Erfolg, mit dem wichtige Berichte entstehen können. Ein gut funktionierendes System ermöglicht es, schnell und zuverlässig den Erfolg oder Misserfolg
bestimmter Aktionen zu ermitteln. Deswegen macht ein gutes Programm das Fundraising effektiver.
23.1.5 Die Fundraisinginstrumente
Es gibt sechs Instrumente für das Fundraising. Diese sind:
– Persönliche Ansprache
– Ereignisse, wie Benefizveranstaltungen
– Telefonische Ansprache
– Mailings
– Spendenaufrufe in den Medien
– Wiederansprache
Wiederansprache
Die persönliche Ansprache wird meistens für Großspender angewandt. Mittlere
und kleine Spender werden gewöhnlicherweise mit Ereignissen, telefonischer Ansprache, Spendenaufrufen in Medien und Mailings angesprochen. Wiederansprache
erfolgt nach positiven Abschluss einer der fünf ersten Instrumente.
Persönliche Ansprache
Das Spendenwerbung mit persönlicher Ansprache muss in zwei Kategorien
eingeteilt werden. Auf der einen Seite die Großspenderwerbung und auf der anderen Seite die Klein- und Mittelspenderwerbung. Während die Ziele für beide Kategorien zwar gleich sind, ist der Grad der Vorbereitung, die Arbeit, die in die Vor
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bereitung investiert wird und die Menge des Geldes, das akquiriert werden kann,
unterschiedlich.
Für jeden Großspender muss ein eigener Spendenwerbungsplan entwickelt
werden. Der umfasst die Forschung, Auswahl des Bittstellers, Entwicklung von
überzeugenden Argumenten, Erstkontakt usw.
Forschung
Neben der Kenntnis des Namens von Großspendern, der Adresse und TelefonNummer sollte ein ausführliches Spenderprofil entwickelt werden. Beruf, Einkommen, Hobbys, interessierende Themen, Freunde, Informationen über die Familie,
früheres Spenderverhalten und alle weiteren Informationen, die dazu beitragen
können, herauszubekommen, was den Spender motivieren könnte, zu bezahlen.
Wenn es sich bei den Spendern um Organisationen oder Firmen handelt, muss
vorher eruiert werden, wer in der Organisation über Spenden entscheidet. Ist die
Person bekannt, wird das Spenderprofil genauso ermittelt wie bei Einzelspendern.
Denn man muss sich immer darüber im klaren sein, dass nicht eine Organisation
sondern immer eine Person oder eine Gruppe von Personen entscheidet.
Alle diese Daten werden in einer Spenderprofildatei abgespeichert. Diese Daten
sind sehr empfindlich und müssen daher vor dem Zugriff Unberechtigter geschützt
werden. Wenn die Datenschutzgesetze solche Datenspeicherungen verbieten, muss
man solche Daten eben in anderen Formen von Dokumentationen sammeln.
Auswahl der Bittsteller
Wenn die Forschung abgeschlossen ist, sollte ein Bittsteller ausgewählt werden.
Das kann ein Freund, ein Familienmitglied, der Kandidat einer Partei, ein Finanzkomiteemitglied oder der Kampagnenmanager sein. Das geschieht entweder aufgrund
der persönlichen Kenntnisse oder den Beziehungen zum Spender. Je weniger im
Zusammenhang mit Wahlkämpfen auf den Vorsitzenden der Partei oder auf den
Kandidaten abgeschoben wird, um so besser ist das. Allerdings wird es dennoch
notwendig sein, dass der Vorsitzende oder der Kandidat im Spendenwerbungsprozess dann und wann eine wichtige Rolle übernehmen.
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Entwicklung von überzeugenden Argumenten
Aufgrund der Ergebnisse der Forschung und der persönlichen Kenntnis des potentiellen Spenders sollte ein auf ihn persönlich zugeschnittenes Argumentemuster entwickelt werden. Siehe dazu auch die vorher in diesem Kapitel aufgezählten
möglichen Spendermotive.
Erster Kontakt
Der Erstkontakt sollte über das Telefon oder im Einzelgespräch stattfinden und
als Anlass die Notwendigkeit der Spendenakquisition haben. Wenn der potentielle
Spender Interesse an der Organisation, der Partei oder den Kandidaten findet, sollte
der Bittsteller, – wenn nötig und nur dann – ein Treffen mit dem Vorsitzenden oder
dem Kandidaten vereinbaren.
Follow up
Ein Brief, der das Treffen bestätigt und sich für die geopferte Zeit bedankt,
sollte unverzüglich abgeschickt werden. Darüber hinaus sollte das Schreiben weitere Informationen zur Organisation oder zum Projekt beinhalten.
Ein Brief sollte auch dann geschickt werden, wenn der potentielle Spender noch
nicht zu einem Gespräch bereit war. Auch hier sollte man weiter über die Organisation oder das Projekt informieren und sich für die geopferte Zeit bedanken, damit
die Tür für spätere Anrufe oder Besuche geöffnet bleibt.
Persönliches Treffen
Das persönliche Treffen findet statt, wenn der Spendenwerber die Sache zum
Abschluss bringen will. Unter Verwendung aller ihm bekannten Informationen aus
dem Spenderprofil verhandelt der Spendenwerber, präsentiert die Situation und
schließt mit der direkten Spendenaufforderung ab.
Was tun, wenn der Spender noch andere Wünsche hat, zum Beispiel mit einer
weiteren Person zu sprechen. In diesem Fall muss der Spendenwerber entscheiden,
ob dadurch die Bereitschaft zum Spenden wächst oder nicht. Danach entscheidet
er über die weiteren Schritte.
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Vielen Dank oder Follow up
Großspender sind eine sehr spezielle Gruppe von Menschen, sie brauchen Anerkennung. Ihnen muss sofort nach der Spende gedankt werden. Selbst, wenn sie
noch nicht gespendet haben, sollte ihnen ein Brief mit dem Dank für die geopferte
Zeit geschickt werden.
Natürlich dürfen die Großspender nach der Spende nicht vergessen werden.
Sie müssen in die Kommunikation der Organisation einbezogen werden, damit eine
Wiederholung der Spendenwerbung möglich wird.
Persönliche Spendenwerbung bei kleineren und mittleren Spendern
Bei diesen werden normalerweise freiwillige Spendenwerber, oftmals aus dem
sozialen Umfeld des Spenders, eingesetzt, die nicht im Finanzkomitee sind und keine
herausragende Position in der Organisation haben. Diese Spendenwerber müssen
geschult werden, damit sie die richtigen Argumente verwenden, sie sollten Ablauf
und Methodik der Spendenwerbung kennen und sie müssen wissen, wie mit dem
Geld oder den gespendeten Sachen umzugehen ist.
Ereignisse, wie Benefizveranstaltungen
Ereignisse sind hervorragende Instrumente, um mittlere Spender anzuzapfen.
Man kann sie aber auch so strukturieren, dass man auch große oder kleine Spender erreichen kann. Weil das Instrument sehr flexibel ist, kann ein größerer Teil des
Haushaltes darüber finanziert werden.
Mögliche Probleme
Bevor man solche Veranstaltungen plant, sollte man sich über mögliche Probleme klar werden.
1. Erfolgreiche Veranstaltungen benötigen Personal und Zeit von Freiwilligen, um
zu planen und durchzuführen. Deshalb sollte genügend Zeit vorhanden sein.
2. Die Kosten für die Veranstaltung sind entscheidend für den Erfolg. Kosten
können schnell aus dem Ruder laufen und reduzieren dann die Nettoeinnahme.
Die Ausgaben müssen daher sorgfältig überwacht werden und man sollte keine
Veranstaltung durchführen mit weniger als 75 % Gewinn am Gesamtumsatz.
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3. Der Eintrittspreis muss entsprechend den potentiellen Spenderleistungen der
Zielgruppe festgesetzt werden.
4. Es muss ein Spendenziel für jede Veranstaltung gesetzt werden, das darauf
basiert, dass jeweils einer von fünf eingeladenen Spendern kommt. Dabei muss
Aufwand und Ertrag auch unter Zugrundelegung von freiwilligen Arbeitsstunden stimmen.
5. Für jede Veranstaltung muss eine Marketingstrategie ausgearbeitet werden.
Die Organisationsstruktur für den Verkauf der Eintrittskarten muss so sein,
dass die potentiellen Spender möglichst überzeugend angezapft werden.
Es muss immer versucht werden, die Anlässe möglichst optimal auszuschöpfen.
Zum Beispiel sollte man ein Dinner in zwei Teilanlässe aufspalten und für die
Großspender vorher einen Empfang geben. Das wird die Einnahmen erhöhen.
6. Die Zeitplanung muss immer mit den führenden Vertretern der Organisation,
dem Kandidaten und den anderen Organisationsebenen abgestimmt sein. Es
gibt zwar keinen optimalen Zeitraum für die Spendenwerbung, aber bestimmte
Tage eignen sich besser als andere.
7. Ein bekannter Sprecher auf der Veranstaltung wird sicherlich mehr Leute anziehen. Dennoch bleibt es harte Arbeit für diejenigen, die das Geld aus den Leuten
herausholen sollen. Auch ein guter Redner ersetzt nicht das Engagement der
Fundraiser.
8. Der Versand von Eintrittskarten darf erst nach der Bezahlung erfolgen.
9. Fundraisinganlässe und -ereignisse können nicht unter Zeitdruck vorbereitet
werden. Deswegen können kurzfristige Finanzschwierigkeiten auch nicht mit
solchen Ereignissen behoben werden.
Zwölf Schritte ein Fundraising-Ereignis vorzubereiten
Schritt 1: Entwicklung eines Konzeptes für den Anlass und Festsetzung des
Eintrittspreises.
Je interessanter die Idee für die Veranstaltung, um so mehr Karten können verkauft werden. Deswegen müssen Veranstaltungen geplant werden, an denen die
Teilnehmer Freude haben.
Ein Beispiel dafür ist, dass eine Finanzbeschaffergruppe einmal einen Block in
einem Theater aufgekauft hatte und diese Karten zu einem erhöhten Preis weiterverkauften und anschließend mit den Teilnehmern im Theater eine Party veranstalteten.
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Jede interessante Idee ist diskussionswürdig, allerdings muss immer darauf
geachtet werden, dass 75 % Gewinn erreicht wird. Fundraising-Aktivitäten sind
eben keine einfachen PR-Veranstaltungen, sondern Geldbeschaffungsmaßnahmen.
Jeder Versuch, zwei Ziele unter einen Hut zu bringen, scheitert mit großer Wahrscheinlichkeit.
Schritt 2: Festsetzen des Zeitpunktes und des Ortes für das Ereignis
Die Festsetzung von Ort und Zeit sind kritische Faktoren. Die Möglichkeiten
verändern sich oftmals mit Ereignissen, die später geplant werden. Deshalb darf
keine zu frühe Festlegung erfolgen, weil sonst die Flexibilität fehlt, auf externe
Vorkommnisse zu reagieren.
Schritt 3: Entwicklung der Liste potentieller Spender
Aus der allgemeinen Spenderliste und der Liste potentieller Spender muss eine
Liste derjenigen Untergruppe entwickelt werden, die für eine Einladung zu dem
speziellen Anlass geeignet erscheint. Diese Liste sollte durch lokale Vorschläge erweitert werden.
Falls die Liste datenmäßig erfasst wird, sollten folgende Daten enthalten
sein:
1. Name
2. Adresse
3. Telefonnummer
4. Datenquelle
5. Kleinste Spende/Größte Spende
6. Datum der letzten Spende
Schritt 4: Bewertung des Marktes und Entwicklung eines Marketingplanes
Es gibt zunächst drei Wege, die Karten für einen Anlass zu verkaufen. Person
zu Person, mit Hilfe des Telefons oder mit Hilfe von Briefen. Der Marketingplan
soll die kosteneffektivste Möglichkeit herausarbeiten. In diesem Plan müssen auch
die Deadlines für die Einladungen und die Herstellung des Veranstaltungsmaterials
festgelegt werden.
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Schritt 5: Festlegung der Organisationstruktur für den Verkauf und Auswahl
des Verantwortlichen für die Veranstaltung
Der größte Anteil von Karten wird immer durch die persönliche Ansprache verkauft. Abhängig von der Größe und der Bedeutung der Veranstaltung muss man
Einzelne verantwortlich machen für den Verkauf einer festgelegten Zahl von Eintrittskarten und für die Organisation der Veranstaltung.
Schritt 6: Entwicklung eines detaillerten Budgets für die Veranstaltung
Jedes Fundraising-Programm muss einen detaillierten Haushalt haben. Diese
Regel ist besonders wichtig für Ereignisse, die die Tendenz haben, dass sich ihre
Kosten aufblähen, wenn sie nicht eng kontrolliert werden.
Die Kosten schließen normalerweise ein: Porto, Druck, Telefon, Listen und spezielle Veranstaltungskosten wie Musik, Blumen, Bedienung usw. Wenn man einen
Haushalt aufstellt, sollte man immer in Kopf haben, dass man die Kosten minimieren will. Deswegen sollte auch darüber nachgedacht werden, welche der benötigten Dienstleistungen auch durch Freiwillige oder durch Sachspenden erledigt
werden können.
Schritt 7: Veranstaltung eines Start-Treffens
Die Veranstaltung eines Start-Treffens oder eines Empfangs für das Veranstaltungskomitee ist wichtig. Dazu muss für jeden Verkäufer von Karten ein Paket vorbereitet werden, das ein Blatt mit Tatsachen zur Veranstaltung, Karten und Anweisungen enthält. Wenn dazu noch eine Liste mit möglichen Kunden beigelegt wird,
muss besonders darauf hingewiesen werden, dass der Kartenverkäufer nicht auf
diese Liste beschränkt ist, sondern natürlich auch andere Leute ansprechen kann,
dass er aber auf jeden Fall die Leute auf der Liste kontaktieren muss.
Diese Start-Veranstaltung soll Spaß machen und motivieren, aber sie muss
auch deutlich machen, wie wichtig die Veranstaltung ist, und dass jeder Einzelne
Verantwortung für den Erfolg trägt.
Schritt 8: Der Beginn des Kartenverkaufs
Sofort nach der Startveranstaltung muss entsprechend den Festlegungen im
Marketingkonzept der Kartenverkauf beginnen. Dabei sollen keine Karten verschickt
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werden, bevor sie bezahlt sind. Es werden also nur Einladungen mit einem Anforderungsformular verschickt.
Wenn der Kartenverkauf begonnen hat, sollte auch eine Pressemitteilung erfolgen, die im wesentlichen folgende Fragen beantwortet:
– Was ist das Einzigartige an der Veranstaltung?
– Wer wird anwesend sein (Sprecher, Prominente, Politiker, Kandidat)?
– Wo können Karten erworben werden?
Schritt 9: Überwachung des Kartenverkaufs
Der Marketingplan wird eine Reihe von internen Deadlines gesetzt haben, die
sich auch auf den Verkauf von Karten beziehen. Diese müssen natürlich überwacht
werden. Dazu sind auch Treffen mit den Kartenverkäufern nötig, besonders dann,
wenn der Verkauf schleppend läuft. In einem solchen Fall muss unter Umständen
das Argumentationsmuster für den Kartenverkauf verändert werden.
Schritt 10: Überwachung der Veranstaltungsvorbereitung
Hier geht es vor allem um die Kostenüberwachung und die Kontrolle ob die
Veranstaltung nach Plan vorbereitet wird.
Schritt 11: Kurz vor der Veranstaltung
Jetzt müssen die Check-in Modalitäten überprüft werden. Hier muss genügend
Personal vorhanden sein, damit die potentiellen Spender sich nicht gleich zu Beginn
der Veranstaltung ärgern (Sitzplatzreservierung). Vor allem muss die Technik der
Spendenwerbung (Spendenbescheinigungen, Stifte usw.) sichergestellt sein.
Schritt 12: Sofort nach der Veranstaltung
Sehr schnell muss sichergestellt werden, dass die Spender ihre Spendenbescheinigungen und ihre Dankesbriefe bekommen. Auch die Abrechnung und die
Gewinnermittlung ist schnellstens vorzunehmen. Wenn die Veranstaltung erfolgreich war, sollte man planen, solche Veranstaltung jährlich zu wiederholen.
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Telefonfundraising
Telefonische Ansprache kann eine effektive und vergleichsweise billige Methode
sein, um eine große Zahl von Klein- und Mittelspendern anzusprechen. Die Methode wird zumeist in vier verschiedenen Varianten benutzt: Telefonisches Follow-up
einer brieflichen Ansprache, Ansprache von ausgewählten Kleinspendern oder Wiederansprache von Spendern und Anmahnung von Spendenzusagen.
1. Telefonisches Follow-up einer brieflichen Ansprache
Eine direkte und persönliche Ansprache nach der Einladung zu einer Veranstaltung oder nach durchgeführten Veranstaltungen ist durch die Benutzung von
Telefondatenbanken möglich. Hier können zum Beispiel bei der Nichtteilnahme
an der Veranstaltung Versuche gemacht werden, dennoch eine Spende oder
eine sonstige Zuwendung zu erhalten.
2. Ansprache von ausgewählten Kleinspendern
Es ist möglich, ehemalige Kleinspender telefonisch anzusprechen. Die briefliche
oder telefonische Ansprache oder die Kombination beider wird oftmals benutzt,
um die Kleinspender zu erinnern.
3. Wiederansprache von früheren Mittel- und Großspendern
Hier geht es im wesentlichen um die Vereinbarung eines persönlichen Termins.
Am Telefon wird man kaum Großspenden erhalten.
4. Erinnerung an zugesagte Spenden
Die Nutzung des Telefons für die Erinnerung an die zugesagten Spenden ist der
normale Weg. Dieser Weg ist besser als das Erinnern per Brief, weil er deutlich
weniger formalen Charakter hat. Hier wird man dann oft hören: „Der Scheck
ist schon unterwegs.“, obwohl er gerade in diesem Moment ausgeschrieben
wird.
5. Professionelles Telefonmarketing
Eine weitere Möglichkeit besteht auch darin, mit professionellen Telefonmarketingfirmen zu arbeiten. In einem solchen Fall wird ein spezielles Programm für
die Partei oder Organisation erarbeitet, das mit dieser abgestimmt wird. Dabei
ist zu empfehlen, dass dieses Programm zunächst nur für einen Testmarkt
vorbereitet wird. Wenn sich zeigen sollte, dass die Erfolge nur gering sind, oder
sogar negative Reaktionen auslösen, sollte Abstand von der Methode genommen
werden. (Achtung: In einigen Ländern ist Telefonfundraising genauso wie Telefonmarketing verboten, soweit nicht der Anzurufende eine Kontaktaufnahme
gewünscht hat.)
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Direct-Mail-Fundraising
„Directmail” ist der Begriff, der zwei verschiedene Formen von Spendenwerbung beschreibt. Die erfolgreichere Version ist das Direct-Mail-Fundraising mit der
Wiederansprache von Spendern aus der Spenderliste. Tatsächlich ist diese Form der
Nutzung des Directmailings die effektivste in Bezug auf den Nettogewinn.
Auf der anderen Seite kann Directmail auch zur Ermittlung neuer Spender genutzt werden. Eine Aktion, die schon dann erfolgreich ist, wenn der Break-evenpoint erreicht wird, weil dadurch die Spenderliste erweitert werden kann. Voraussetzung dafür ist natürlich ein Angebot von Listen mit den geeigneten Zielgruppen.
Neuerschließung von Spendern ist eine hochtechnische und hochentwickelte
Form des Directmailings. Sie umfasst Listenselektion und Akquisition, Gestaltung
des Packages, Druck und Produktion, Testmailings, Evaluierung von Testergebnissen
und dann den Vollzug des ganzen Mailings in den Listen, die erfolgreich waren.
Weil das Directmailing im Bereich der Spendenwerbung mit hohen Risiken
versehen ist, sind vor Beginn zwei Fragen zu beantworten:
1. Haben wir genug Know-how im eigenen Haus, um eine Neuerschließung
durchzuführen oder können wir uns leisten einen Direct-mail-Berater zu
konsultieren?
2. Gibt es genug Potential von potentiellen Spendern, die Interesse für unser
Programm zeigen und die sich über Direct-Mail ansprechen lassen?
Ob der Direct-Mail-Erschließungsplan nun groß oder klein ist, die Ziele sind
immer dieselben: Ausweitung der Spenderliste und die Erreichung des Breakeven-Points. Die Schlüssel zum Erfolg sind eine gute Auswahl der Zielgruppen
und Testläufe. Insgesamt sollte man die Aufgabe nach draußen vergeben. Allerdings sollte ein Monitoring durch die Organisation erfolgen.
Design des Briefes und des Packages
Man sollte verhindern, wenn der Brief in der eigenen Organisation geschrieben
wird, dass er entweder von einer internen Gruppe oder womöglich von einem Redenschreiber geschrieben wird. Beide sind nicht geeignet, einen solchen Brief zu
schreiben. Am besten fragt man einen Freiwilligen mit Erfahrungen in der Werbung
oder einen Profi, ob er nicht einen solchen Brief entwickeln kann.
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Wenn man folgenden Regeln folgt, kann eigentlich nichts mehr ganz schiefgehen:
1. Schreibe den Brief so, als ob er eine bekannte Person erreichen soll. Das macht
es einfacher, einen natürlichen, menschlichen Ton anzuschlagen.
2. Konzentration auf die Motivation. Einige Leute werden spenden, weil sie
zufällig gefragt worden sind. Um die potentiellen Kunden besser anzusprechen, appelliere an die grundlegenden menschlichen Motivationen wie Stolz,
Idealismus, Altruismus, Verpflichtung und Mitleid und von der anderen dunklen Seite als Bedrohung mit Angst und Selbstsucht.
3. Beschreibe das Projekt, die Planungen der Organisation oder das Parteiprogramm. Schreibe, dass die Organisation die Unterstützung von Spenden
braucht, um die Ziele zu erreichen.
4. Zeige die weite Zustimmung. Der Empfänger muss das Gefühl bekommen,
dass es gesellschaftlich akzeptiert und eigentlich ein Muss ist, an die Organisation zu spenden.
5. Sei konkret. Der potentielle Spender muss wissen, wofür das Geld verwandt
werden soll.
6. Löse ein Gefühl der Dringlichkeit aus. Das muss sowohl auf dem Briefumschlag,
wie auch im Brief deutlich werden. Es ist keine Zeit zu verlieren. Man sollte sofort reagieren. Man darf dem Empfänger nicht die Chance lassen, das
Schriftstück zunächst zur Seite zu legen.
7. Frage mehrfach nach dem Beitrag. Im Brief muss an allen möglichen Stellen
nach der Spende gefragt werden. Die Botschaft des Spendens muss deutlich
sein.
8. Halte die Absätze kurz und unterstreiche die Schlüsselworte.
9. Benutze ein Postskriptum. Das ist der Teil eines Briefes, der am meisten gelesen wird.
Alle anderen technischen Elemente sollte man einem professionellen Lettershop überlassen.
Spendenaufrufe in den Medien
Spendenaufrufe im Hörfunk oder Fernsehen gewinnen bei der Spendenwerbung eine immer größere Bedeutung, aber auch in den Printmedien zeigen sich
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große Erfolge, besonders dann, wenn die Aktion durch redaktionelle Beiträge unterstützt wird. Grundsätzlich gilt, dass die Nutzung der Medien für die Spendeneinwerbung kleinerer und mittlerer Spendenbeträge geeignet ist. Großspenden
wird man dadurch nicht erhalten.
23.2
Finanzierung von Parteien
Die Finanzierung von Parteien hat neben den vorher dargestellten grundsätzlichen
Bedingungen für das Fundraising einige besondere Komponenten. Diese sind darin begründet, dass es eine Reihe von Parteiengesetzen, Parteienfinanzierungsgesetzen und Wahlgesetzen gibt, die sehr unterschiedliche Möglichkeiten und
Begrenzungen für die Finanzierung von politischen Parteien aufzeigen.
Grundsätzlich gibt es folgende legale Möglichkeiten eine Partei zu finanzieren:
1. Mitgliedsbeiträge
2. Aufnahmegebühren
3. Spenden
4. Sachzuwendungen
5. Staatliche Finanzierung
6. Finanzierung durch eigene wirtschaftliche Betätigung
23.2.1 Mitgliedsbeiträge
Hier handelt es sich um Beiträge die regelmäßig (monatlich, viertel-, halb- oder
jährlich) von den Mitgliedern kassiert werden. Die Höhe der Beiträge richtet sich im
Regelfall nach dem Einkommen der Mitglieder. Die Rechtsgrundlage zur Erhebung
solcher Beiträge sollte die Satzung mit einer entsprechenden Finanzordnung sein,
die vor allem klärt, wie die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen auf die verschiedenen Ebenen der Partei verteilt werden.
Grundsätzlich sollte jede Partei Mitgliedsbeiträge von ihren Mitgliedern erheben. Das ist sowohl für die Finanzierung wie auch für das innerparteiliche Zusammenleben wichtig. Hängt eine Partei ausschließlich von Spenden oder von der
Finanzierung einiger weniger Mitglieder, manchmal sogar nur von einem wichtigen
Mitglied ab, erschwert das die innerparteiliche Demokratie und vor allem ist die
Partei ständig erpressbar.
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Die Eintreibung der Beiträge kann entweder durch die Schatzmeister in den
Vorständen vollzogen werden oder durch Beauftragte geschehen, die an den Beiträgen in einem bestimmten Prozentsatz beteiligt sind. Diese Geldsammler können eine wichtige Rolle in der innerparteilichen Kommunikation spielen, weil sie
ständig Kontakt zu den Mitgliedern haben und damit wie ein Seismograph wirken
können, der jede kleine Erschütterung bei der Mitgliedschaft aufnehmen und zur
Parteiführung weiterleiten kann.
In Gesellschaften mit einem überwiegend bargeldlosen Geldverkehr wird die
Sammlung der Beiträge von Banken wahrgenommen, die das Geld von den jeweiligen Konten abbuchen. Das ist zwar ein einfaches System hat aber den Nachteil,
dass der Direktkontakt zu den Mitgliedern fehlt und dass Veränderungen im Lebensstandard der Mitglieder ohne Auswirkung auf die Höhe der Beiträge ist. So gibt es
viele Fälle, bei denen ein Mitglied während seiner Studienzeit ohne Einkommen zu
einem geringen Beitragssatz Mitglied wurde, jetzt aber gut verdienender Manager
eines Unternehmens ist und immer noch den niedrigsten Beitragssatz zahlt.
Das Ausmaß der Mitgliedsbeiträge ist in den unterschiedlichen Parteien und
Ländern sehr unterschiedlich und bewegt sich zwischen einen monatlichen Anerkennungsbeitrag von wenigen Cent bis zu Größenordnungen von bis zu drei bis
fünf Prozent des Einkommens.
23.2.2 Aufnahmegebühren
Bei vielen Parteien wird zu Beginn der Mitgliedschaft eine Aufnahmegebühr erhoben.
Diese Gebühr deckt vor allem die Kosten der Aufnahme, dient aber nicht zur regelmäßigen Finanzierung der Partei und ist daher von untergeordneter Bedeutung.
23.2.3 Spenden
Der Umfang und die Form der Spendenwerbung wird zumeist in den einschlägigen
Partei- oder Wahlgesetzen geregelt. Dabei gibt eine Reihe von Restriktionen, die
die Quelle und die Höhe von Spenden limitieren.
1. Spenden aus dem Ausland
In den meisten Ländern ist die Annahme von Spenden aus dem Ausland verboten. Erreicht werden soll damit, dass Parteien nicht aus dem Ausland gesteuert werden oder in Abhängigkeit von ausländischen Gruppierungen geraten,
wenn sie nationale Entscheidungen zu treffen haben. Diese Vorschrift wird
teilweise dadurch unterlaufen, dass zunächst Transfers von Geld ins Inland
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über andere Kanäle laufen und dann ein inländischer Spender auftritt. Ein
weiteres Unterlaufen geschieht durch Dienstleistungen oder Sachzuwendungen, die durch internationalen Vereinigungen der Parteien vorgenommen
werden oder durch Finanzierung der Dienstleistung im Ausland und Erbringung dieser Dienstleistung durch ausländische Dienstleister im Inland. Das
geschieht sehr oft im Beratungs- aber auch im Agenturgeschäft, was bei
Agenturen mit internationaler Verbreitung kein Problem darstellt.
2. Verbot der Finanzierung von Parteien durch öffentliche Unternehmen
Im Unterschied zur staatlichen Finanzierung von Parteien, die in vielen Ländern
üblich ist, sind Zuwendungen aus öffentlichen Unternehmen an Parteien in
vielen Ländern verboten. Das vor allem deswegen, weil durch ungleichmäßige
Verteilung von öffentlichen Mitteln einseitige Bevorzugungen von Parteien und
dabei meistens Regierungsparteien stattfinden können, die zu einer Chancenungleichheit führen könnten. Allerdings zeigt die Realität, dass der Griff der
Parteien in öffentliche Kassen teilweise unglaubliche Ausmaße angenommen
hat. So gibt es Beispiele, wo Parteien ihren Wahlkampf aus dem Rentenfonds finanziert haben, der anschließend so angeschlagen war, dass die Renten nicht mehr ausgezahlt werden konnten. In diesem Zusammenhang spielt
auch die Diskussion eine Rolle, inwieweit Regierungsparteien von der offiziellen Regierungsöffentlichkeitsarbeit profitieren und inwieweit sie solche
dort produzierten Materialien für Wahlkampfzwecke einsetzen dürfen. In der
Bundesrepublik Deutschland hat es dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes131 gegeben, die enge Grenzen setzt.
3. Limitierung der Höchstbeträge oder Verbot von Spenden aus Firmen und Offenlegungsgebot von Spenden.
In einer Reihe von Ländern ist das Annehmen von Spenden von juristischen
Personen, also auch Firmen verboten, dagegen die Annahme von Spenden
von natürlichen Personen gestattet. In den meisten Ländern allerdings dürfen
auch Spenden von juristischen Personen angenommen werden. Damit stellt
sich die Frage der Einflussnahme von Wirtschaft und Industrie auf die Politik.
Soweit Limitierungen der Größenordnung vorgesehen sind, kann durch diese
Limitierung ein unzulässiger Einfluss ausgeschlossen werden. Soweit keine
Limitierungen vorhanden sind, kann das dazu führen, dass einzelne Firmen
Parteien fest in der Hand haben, weil ihre wesentliche Einnahmequelle aus
dieser Firma stammt. Um diese Einflussnahme zu verhindern, sind einige Länder dazu übergegangen ein Offenlegungsgebot von Großspenden vorzusehen.
Danach müssen Spenden in einem öffentlichen Anzeiger bekanntgemacht
131 Urteil des Bundesverfassungsrichts der Bundesrepublik Deutschland vom 2.3.1977 zur Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen.
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werden, die eine bestimmte Größenordnung überschreiten. Dadurch soll dem
Bürger Gelegenheit gegeben werden, Abhängigkeiten zu entdecken und bei
seiner Wahlentscheidung zu berücksichtigen. Um nun bestimmte Größenordnungen nicht zu überschreiten, werden vielfältige Tricks angewandt, die von
der Aufspaltung einer großen Konzernspende auf viele kleine Spenden von Firmen, die dem Konzern angehören, bis zum Ausweichen auf Sachzuwendungen
(siehe dort) oder die Entwicklung anonymer Fonds gehen, deren Einzelspender
dann nicht mehr erkennbar sind. An dieser Aufzählung, die weiter fortgeführt
werden könnte, kann schon entnommen werden, dass in den Finanzabteilungen der Parteizentralen sehr viel darüber nachgedacht wird, wie das jeweilige Gesetz durch Nutzung von Lücken am besten umgangen werden kann.
4. Verbot der Koppelung einer Spende an eine bestimmte Leistung
In einigen Ländern gibt es das Verbot der Koppelung einer Spende an eine
bestimmte Leistung der Partei im politische Bereich. Das ist eine durchaus
problematische Vorschrift, weil doch klar ist, dass ein Verband oder ein Unternehmen natürlich einer Partei eher mit einer Spende hilft, die in ihrem
Programm Themen und Ziele formuliert hat, die dem Eigeninteresse des Unternehmens dienen können. Ob nun eine Koppelung dergestalt vorgenommen
wurde, dass die Partei bewusst das Eigeninteresse des Unternehmens in ihr
Programm nach Zahlung einer Spende aufgenommen hat, ist stark auf Vermutungen angewiesen und beeinträchtigt nachhaltig die Spendenwerbung.
23.2.4 Sachzuwendungen
Um Vorschriften über Geldspenden zu umgehen, wird sehr oft auf Sachzuwendungen oder Personalübereignung ausgewichen. Dieses sind natürlich auch Spenden
im Sinne der geltenden Gesetze, sie sind aber viel schwieriger nachzuweisen.
Solche Sachzuwendungen können zum Beispiel Papier, Autos, Druckmaschinen, Druckleistungen, Überlassung von Telefonleitungen, Porto, und vieles mehr
sein. Dazu gehören auch die Bereitstellung von Radio- und Fernsehwerbungszeit
oder Anzeigenraum in Zeitungen, bei der die Rechnung für die Ausstrahlung der
Spots oder die Anzeigen einfach an Firmen umgeleitet werden und dort steuerlich voll abzugsfähig als Betriebsausgaben verbucht werden.
Gleichzeitig kann es auch zur Personalüberlassung kommen. Dann werden
Fahrer, Experten, Sachbearbeiter, Sekretäre usw. angewiesen, nicht mehr in der
eigentlichen Beschäftigungsfirma zu arbeiten, sondern für eine bestimmte Zeit
im Hauptquartier oder in Niederlassungen der Partei oder in den Kandidatenstä
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ben. Teilweise verbleiben sie aus Tarnungsgründen sogar in einer Firma und arbeiten von dort aber als Abteilung der Partei.
Das Problem der versteckten Sachzuwendungen wird besonders dann relevant, wenn in einigen Ländern Limitierungen bei den Ausgaben für einen Wahlkampf vorgesehen sind. Solche Limitierungen, die zumeist dadurch kontrolliert
werden, dass der Zahlungsverkehr und der Geldtransfer geprüft werden, werden
durch die Bereitstellung von Sach- und Personalzuwendungen unterlaufen. Hieran zeigt sich, dass der Versuch die gesamten Wahlkampfkosten durch solche Vorschriften begrenzen zu wollen, schon in den Ansätzen scheitert.
23.2.5 Staatliche Finanzierung
Die staatliche Finanzierung von Parteien ist ein weit verbreitetes Instrument, das
allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt ist und sehr unterschiedliche Erscheinungsformen hat. Es soll hier nicht der Versuch gemacht werden, alle Systeme zu
erfassen oder einzelne Systeme als besonders gut oder schlecht herauszustellen,
sondern vielmehr einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten geben,
die die staatliche Finanzierung bereithält.
Grundlage für die Überlegungen, die Parteien überhaupt aus Steuermitteln
zu finanzieren, ist die Idee, dass die Parteien in der Durchführung der Demokratie
unverzichtbare Einrichtungen sind, die bei der Vorbereitung und Durchführung
von Wahlen, aber auch in der Willensbildung des Volkes eine entscheidende Rolle
spielen. Ohne Parteien, ohne die Vorbereitung der Kandidaten und der Kandidaturen, ohne die Erarbeitung und Bereitstellung von alternativen Entwürfen für
die Lösung von gesellschaftlichen Problemen ist Demokratie in größeren Gesellschaften nicht denkbar. Das gilt trotz aller Kritik an den existierenden Erscheinungsformen von Parteien und Politikern.
Die wesentlichen Formen der staatlichen Finanzierung von Parteien und ähnlichen auf Parteien zurückgehenden Einrichtungen sind:
– Finanzierung der Verwaltungskosten der Parteien durch pauschale Zuweisungen oder an der Mitgliederzahl orientiert
– Zahlung von Beträgen entsprechend den Wahlergebnissen
– Kostenerstattung von nachgewiesenen Ausgaben
– Zurverfügungstellung von öffentlichen Leistungen für Zwecke der Partei
– Zurverfügungstellung von Räumen, Technik und Personal
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– Finanzierung von Aufwendungen von Fraktionen
– Förderung durch Steuerbefreiung von Spenden und Mitgliedsbeiträgen
– Förderung von Vorfeldorganisationen wie Jugendorganisationen, Frauenorganisationen, Stiftungen usw.
– Finanzierung der Ausgaben von Abgeordneten
Finanzierung der Verwaltungskosten der Parteien durch pauschale Zuweisungen
oder an der Mitgliederzahl orientiert
Hier werden an die Partei entweder pauschale Zuweisungen (für jede Partei
gleich) geleistet oder es wird nach der Mitgliederzahl der Partei differenziert.
Eine Variante ist die Koppelung von Sockelbeträgen und Zuweisungen nach der
Mitgliederzahl. In diesen Fällen geht es darum, die Verwaltungskosten der Parteien zu tragen. Es handelt sich hier also nicht um Zuweisungen für die Zwecke der
Vorbereitung und Durchführung der Wahlen. Deswegen erfolgen die Zahlungen
auch unabhängig von den Wahlen.
Zahlung von Beträgen entsprechend den Wahlergebnissen
Bei der Wahlkampfkostenerstattung gibt es verschiedene Modelle. Grundsätzlich beruhen sie darauf, dass pro erreichter Wählerstimme ein bestimmter
Betrag gezahlt wird. Es handelt sich hier also nicht um eine Wahlkampfkostenerstattung, sondern um eine Wahlerfolgsprämie. Die aufgewendeten Mittel können durch dieses Verfahren deutlich über- oder unterdeckt werden. Die Beträge
pro Wählerstimme variieren in den Ländern, die dieses System verwenden. Die
Berechnung der Wählerstimmen für die Auszahlung kann auch dadurch unterschiedlich sein, dass einmal nur die wirklich erreichten und damit abgegebenen
Wählerstimmen zur Grundlage der Auszahlung gemacht werden. In anderen Systemen wird auf der Basis der Annahme einer hundertprozentigen Wahlbeteiligung die erreichten Wähler hochgerechnet, was bei niedrigen Wahlbeteiligungen
zu einer deutlichen Verbesserung der Finanzsituation der Parteien beiträgt. Im
Falle der Orientierung nur an den wirklich erreichten Wählerstimmen müssen die
Parteien versuchen, mit ihrem Wahlkampf gleichzeitig eine Motivationsstrategie
zur Teilnahme an der Wahl zu fahren.
Kostenerstattung von nachgewiesenen Ausgaben
Bei der Kostenerstattung von nachgewiesenen Ausgaben werden bis zu bestimmten Grenzen die Ausgaben bezahlt oder prozentuale Anteile an den Ausga
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ben erstattet. Das kann sowohl Wahlkampfausgaben umfassen, wie auch bezogen sein auf die ständigen Verwaltungsausgaben.
Zurverfügungstellung von öffentlichen Leistungen für Zwecke der Partei
Bei der Zurverfügungstellung von öffentlichen Leistungen oder Einrichtungen für
Zwecke der Partei handelt es sich zum Beispiel um die kostenlose Zuverfügungstellung von Hörfunk- oder Fernsehsendezeit, soweit die Sender öffentlich-rechtlichen
Charakter haben oder um die Zurverfügungsstellung von Plakatierungsflächen
oder Außenseiten von öffentlichen Gebäuden, Brücken u.ä. für Werbung.
Zurverfügungstellung von Räumen, Technik und Personal
Für die Parteien oder die Fraktionen auf den unterschiedlichen Ebenen werden in
einigen Ländern Räume, Häuser, Lagereinrichtungen, technische Einrichtungen und
teilweise sogar Personal der staatlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
Finanzierung von Aufwendungen von Fraktionen
Für die Organisationen der Parteien im Parlament gibt es sehr unterschiedliche Regelungen. In einigen Ländern werden die Einheiten sehr großzügig ausgestattet, mit finanziellen Zuschüssen für Personal und technische Einrichtungen,
mit Räumen und Material, teilweise sogar mit der Möglichkeit eigene wissenschaftliche Dienst aufzubauen. In solchen Fällen ist die Finanzkraft der Fraktionen teilweise viel größer als die der Parteien. In anderen Fällen gibt es so gut wie
keine Förderung, nicht einmal Versammlungsräume stehen in Parlamentsnähe für
die Fraktionen zur Verfügung.
Wie stark die jeweiligen Fraktionen und dabei besonders die Oppositionsfraktionen gefördert werden, hängt zu einem großen Teil von der politischen
Kultur und der Stabilität der Demokratie und von der Ausprägung der parlamentarischen Einflüsse auf die Exekutive ab. So sind in präsidentiellen Verfassungssystemen die Ausstattungen der Fraktionen zumeist deutlich schlechter als in
parlamentarischen Demokratien.
Förderung durch Steuerbefreiung von Spenden und Mitgliedsbeiträgen
Ein Teil der Förderung der Parteien durch den Staat kommt dadurch zustande, dass der Staat eine Steuerbefreiung oder eine spezielle Steuererstattung von
Ausgaben für Parteispenden und für Mitgliedsbeiträge vorsieht. Durch diese Be0OLITISCHE3TRATEGIEN
freiungen fallen die Spenden deutlich höher aus, was dann aus dem öffentlichen
Haushalt finanziert werden muss.
Förderung von Vorfeldorganisationen wie Jugendorganisationen, Frauenorganisationen, Stiftungen usw.
Zusätzlich zu der direkten Förderung der Parteien durch den Staat werden in
einigen Ländern spezielle Institutionen, die der Partei oder zumindest der politischen Richtung zugeordnet werden können, gefördert. Dazu gehören Jugendorganisationen, die teilweise auf den unterschiedlichen politischen Ebenen direkt
Zuschüsse für ihre Arbeit erhalten, oder Studentenorganisationen der Partei, die
für ihre Arbeit an den Hochschulen gefördert werden. Das gilt auch für die Frauenorganisationen einiger Parteien.
Eine spezielle Form der Förderung ist die Förderung von parteinahen Stiftungen, die besonders in der Bildung und in der Vorfeldarbeit, das heißt in der Aufklärung über die politische Grundströmung der Partei direkten Einfluss auf den
Willensbildungsprozess bei den Bürgern nimmt.
Finanzierung der Ausgaben von Abgeordneten
Die Alimentierung der Abgeordneten gekoppelt mit der Zuweisung von finanziellen Mitteln für Wahlkreismitarbeiter und andere, mit der Übernahme von
Fahrtkosten und technischen Kosten ist eine weitere Form der indirekten Parteienfinanzierung durch den Staat. Aber auch diese Form fällt in den verschiedenen
Ländern völlig unterschiedlich aus. Hier gibt es auch Länder, die ihre Abgeordneten zwingen, ihren jeweils ausgeübten Beruf für die Verweilzeit im Parlament
aufzugeben und gleichzeitig nur eine geringe Aufwandspauschale zahlen, was zu
großen finanziellen Ausfällen bei den gewählten Abgeordneten führen kann.
23.2.6 Finanzierung aus wirtschaftlicher Betätigung
Eine völlig andere Form der Finanzierung von Parteien ist die Erlaubnis in den
Partei- oder Wahlgesetzen, dass die jeweilige Partei wirtschaftlich aktiv werden
kann, eigene Firmen gründen kann, Lotterien veranstalten und voll am wirtschaftlichen Leben und Wettbewerb teilnehmen darf. Diese Form der Finanzierung der
Parteien kann zu beträchtlichen Umleitungen von öffentlichen Mitteln durch die
Kanalisierung von öffentlichen Aufträgen an die Parteifirmen führen, was Korruption und Vetternwirtschaft nachhaltig fördert.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
2EGIERUNGSSYSTEME
24.1 Beschreibungen
Bei der Diskussion um Verfassungstypen und Regierungssystemen auf der Welt
wird sehr oft das Vorhandensein eines Parlaments als Indiz dafür genommen, dass
es sich um ein demokratisches System handelt. Das führt aber zu Fehlschlüssen,
da der Parlamentarismusbegriff unterschiedlich interpretiert wird. Mit einem sehr
weit gefassten Parlamentarismusbegriff könnte man sämtliche Systeme zusammenfassen, in denen ein Parlament existiert. Das sagt aber noch nichts über die
Aufgaben und die Kompetenzen der Parlamente aus. Der Nationalsozialismus erfüllte die Bedingungen dieses Begriffes ebenso wie das Beispiel der Sowjetunion
während der Stalin-Ära, Franco-Spanien und das Rumänien Ceaucescus. Westliche
Demokratien fallen genauso unter diesen Begriff wie autoritäre Systeme in weiten
Teilen der Welt.
Es ist notwendig zunächst die Systeme in demokratische und nicht demokratische einzuteilen und zu trennen. Die Versuche solche Typologien zu entwickeln sind
sehr alt. Schon in der Antike haben Aristoteles und Herdodot versucht, Typologien
zu entwickeln. Damals zunächst nach dem Kriterium: Zahl der Herrschenden.
Daraus ergab sich die klassische Dreiteilung:
– Monarchie als Staatsform, in der einer herrscht.
– Aristokratie als Staatsform, in der eine Oberschicht herrscht.
– Demokratie als Staatsform, in der das Volk herrscht.
Bei Aristoteles trat zusätzlich zur quantitativen Beschreibung noch eine qualitative Beschreibung, die dann mehr Formen der Herrschaft beschrieb. Denn es gab
zu jeder guten Staats- und Herrschaftsform auch eine schlechte.
Die guten Formen waren:
– Basilie, die Herrschaft eines „guten” Herrschers, dem Basileus.
– Aristokratie, die Herrschaft einer am Gemeinwohl orientierten Oberschicht.
– Politie, die Herrschaft des Volkes.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die schlechten Formen dagegen waren:
– Tyrannis, die Herrschaft eines Gewaltherrschers oder Tyrannen.
– Oligarchie, die Herrschaft einer kleinen eigennutzorientierten Gruppe.
– Demokratie, die Herrschaft der „Straße”.
In Laufe der Jahrhunderte wurden viele Versuche gemacht, solche Typologien
zu erarbeiten. Bestand hat die von K. Loewenstein132 in seiner Verfassungslehre entworfene Typologie gehabt. Für ihn schafft die Unterscheidung der geteilten Ausübung der politischen Macht und der geteilten Kontrolle derselben von der konzentrierten Machtausübung ohne Kontrolle den Begriffsrahmen für das Begriffspaar
Konstitutionalismus und Autokratie.
Man unterschiedet heute totalitäre Systeme, autoritäre Systeme, demokratische Systeme mit ihren Ausprägungen als parlamentarische und präsidentielle
Regierungsformen mit einer Vielzahl von Mischformen.
24.1.1 Totalitäre
TotalitäreRegime
Regime
Der Totalitarismus bildet in dieser Typologie den Gegenpol zu den demokratischen
Systemen. Die klassischen totalitären Systeme – der Nationalsozialismus und das
Sowjetsystem stalinistischer Prägung – sind insbesondere durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
–
Es existiert eine einzige Partei, die ihre Legitimation nicht aus Wahlen herleitet
und den Volkswillen nicht als Schranke der Macht akzeptiert. Sie betrachtet es
umgekehrt als ihre Aufgabe, den Volkswillen gemäß ihren eigenen Vorstellungen
zu prägen.
–
Grundlage dafür ist eine religionsähnliche Weltanschauung. Diese Weltanschauung nimmt für sich in Anspruch, dass sie „wahr” ist und den idealen
Endzustand der Gesellschaft nicht nur kennt, sondern ihn auch in absehbarer
Zeit herbeiführen wird.
–
Die Akzeptierung der herrschenden Weltanschauung ist für die Bürger in totalitären Systemen verpflichtend. Ihnen wird nicht gestattet, sich abseits zu
halten und in private Freiräume zurückzukehren.
132 Karl Loewenstein, Verfassungslehre 2. Auflage 1969, Tübingen, Mohr.
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AutoritäreSysteme
Systeme
24.1.2 Autoritäre
Autoritäre Systeme sind – und das haben sie mit den totalitären gemein – nichtdemokratische Systeme. Der Begriff „autoritäre Systeme” ist nicht ganz eindeutig. Er umfasst eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Regime. Unter die autoritären
Systeme sind zum Beispiel die linken und rechten Militärdiktaturen zu rechnen,
genauso wie das Franco-Spanien und Chile unter Pinochet.
Wahlen sind in solchen Systemen oft manipuliert. Im Gegensatz zu den totalitären Systemen spielt aber nicht die Weltanschauung, sondern die Herrschaftssicherung die zentrale Rolle. Ein eingeschränkter Pluralismus wird deshalb auch aus
Tarngründen geduldet. Aber natürlich nur so lange bis er das System gefährdet. Da
es keine allgemein verbindliche Weltanschauung gibt, spielt auch die Staatspartei
vielfach keine entscheidende Rolle und wird deshalb oft durch Herrschaftscliquen
abgelöst, die auf persönlichen Beziehungen beruhen.
24.1.3 Demokratische
DemokratischeSysteme
Systeme
In demokratischen Repräsentativsystemen wie den parlamentarischen und präsidialen Regierungssystemen übt das Volk seine Herrschaft nicht direkt aus, sondern überträgt sie auf Organe, die im Namen des Volkes die Regierungsgeschäfte
wahrnehmen. Großbritannien gilt als Ursprungsland des parlamentarischen Regierungssystems. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der Prototyp des präsidialen Regierungssystems. Die Verteilung der Systeme ist nach Regionen der Erde
unterschiedlich ausgeprägt. Während in Europa die parlamentarischen Systeme
vorherrschen, ist in Amerika und Afrika das präsidiale System weiter verbreitet.133
Stellt man das präsidiale und das parlamentarische Regierungssystem einander
gegenüber, so ergeben sich folgende formale Unterschiede:
–
Präsident und Parlament werden im präsidialen System in getrennten Wahlen
bestimmt, während im parlamentarischen Regierungssystem eine einzige Wahl
über Zusammensetzung von Parlament und Regierung entscheidet, auch wenn
die Möglichkeit unterschiedlicher Koalitionen gegeben ist. Dieses Prinzip führt
in einigen Ländern zunehmend zu großen Schwierigkeiten, vor allem dort, wo
das klassische Zweiparteiensystem sich in ein Mehrparteiensystem verändert.
Dort sind im Parlament Mehrheiten denkbar, die von der Mehrheit des gewählten
Präsidenten abweichen, so dass sich der Präsident bei wichtigen Fragen auch
133 Siehe dazu im Detail das Kapitel 24.1.4.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Mehrheiten durch Koalitionen im Parlament organisieren muss, wenn er auf
die Zustimmung des Parlaments angewiesen ist.
–
Die Regierung wird im parlamentarischen Regierungssystem vom Parlament
bestellt und sie kann auch wieder abberufen werden. Im präsidialen System
steht dem Parlament normalerweise die Abberufung des Präsidenten nicht zu.
Es sei denn, dass der Präsident gegen bestimmte Verfassungsnormen verstoßen
hat. In solchen Fällen kann ein Impeachmentverfahren eingeleitet werden. Das
Impeachmentverfahren wegen unterschiedlicher politischer Vorstellungen darf
aber nicht eingeleitet werden. Der Präsident kann also im Regelfall nicht wegen
politischer Meinungsverschiedenheiten gestürzt werden.
–
Die Frage der Auflösung der Parlamentes ist auch unterschiedlich geregelt.
Im Normalfall kann der Präsident das Parlament nicht auflösen, während der
britische Premierminister dazu durchaus in der Lage ist. Da es aber viele Mischformen des präsidialen mit dem parlamentarischen System gibt, sind hier die
Übergänge in der Praxis fließend geworden.
–
In parlamentarischen Systemen besteht eine geteilte Exekutive. Die repräsentativen Staatsaufgaben liegen in den Händen eines „Präsidenten” oder eines
Monarchen; die eigentliche Regierungsmacht bleibt aber in den Händen des
Regierungschefs – Premierminister, Kanzler oder Ministerpräsident. In den
präsidialen Systemen sind diese beiden Funktionen in einer Hand.
24.1.4 Mischformen
Zwischen den Urtypen der präsidialen und parlamentarischen Systeme hat sich
eine Vielzahl von Mischformen entwickelt, die mal mehr zum präsidialen System,
wie in Frankreich und mal mehr zum parlamentarischen System wie in der Schweiz
tendieren.
Verteilung der Systeme auf der Erde
In den verschiedenen Regionen der Erde haben sich verschiedene Regierungsformen, teilweise unterschiedlich von Land zu Land, teilweise aber typisch für
Regionen entwickelt. Die Bandbreite der Regierungssysteme reicht von absoluten
Herrschaftssystemen über sozialistische Diktaturen und pseudodemokratischen zu
demokratischen Systemen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
24.2 Auswirkungen auf die Strategie
Die Daten über die Verfassungen und Regierungssysteme gehören bei der Faktensammlung zu den Rahmendaten des Umfeldes.
Die Verfassungen und Regierungssysteme haben beträchtliche Auswirkungen
auf die Strategie, wenn der Strategieauftrag weit genug gefasst ist. Geht es dabei
um die Beeinflussung von Politik oder um den Versuch Macht in einem System zu
erreichen, so ist es notwendig zunächst das System zu durchleuchten und sich zu
fragen, welche Stellen sind wichtig für die Beeinflussung von Politik. Wo liegen
die Machtzentren?
Manchmal ist es das Parlament, manchmal aber hat das Parlament so gut wie
keine Machtfunktion und diese liegt geballt in den Händen eines Präsidenten. In
anderen Systemen ist der Präsident, wie in Deutschland, für die Wirkung auf die
politischen Entscheidungen nicht wichtig, dafür aber der vom Parlament gewählte Kanzler. Aber auch das Parlament ist in diesen Systemen nicht immer oberstes
Organ für die Willensbildung. In Ländern mit föderativer Verfassung haben die
Länder- oder Provinzkammern oft eine entscheidende Bedeutung.
Das Verfassungssystem und die Verfassungswirklichkeit müssen also in die strategische Planung einfließen, um sicher zu sein, dass man auf dem richtigen Weg
ist. Dabei spielt die Verfassungswirklichkeit eine größere Rolle als die Verfassung
selbst. In einer Reihe von Ländern hat sich die Verfassungswirklichkeit weit von der
Verfassung entfernt. Hier sind teilweise die Gewichte innerhalb des Verfassungssystems verschoben, teilweise nehmen aber auch nicht in der Verfassung vorgesehene
Kräfte Einfluss auf die Politik und gestalten diese von außen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
0ARTEIENUND0ARTEIENSYSTEME
Der Begriff „politische Partei” in seiner heutigen Bedeutung entstand im 19. Jahrhundert mit der Herausbildung der westlichen Demokratien und der Durchsetzung
des allgemeinen Wahlrechts in Europa und den USA. Aber nicht erst seit dieser Zeit
gibt es solche Phänomene. Zur Zeit der antiken Stadtstaaten bis hinein ins Mittelalter kämpften oligarchische und ständische Vertretungen um Macht und Einfluss.
Parteien sind Gruppen von Gleichgesinnten, die auf staatlicher Ebene nach Einfluss und Macht streben, um die Willensbildung zu beeinflussen und gemeinsame
politische Vorstellungen zu verwirklichen. Die Definition von Parteien wird stark
beeinflusst vom Gesellschaftsverständnis. Im Zeichen des Pluralismus, vor allem in
parlamentarisch orientierten Verfassungen, ist die Vielfalt von Interessen die Basis für die Bildung von Parteien. Der Marxismus-Leninismus definiert die Parteien
als politische Organisationen, in denen sich Klassen zusammenschließen, um ihre
gruppenspezifischen Interessen durchsetzen zu können. Nach Max Weber134 sind in
einer modernen Gesellschaft politische Führung und politische Willensbildung ohne
Parteien nicht möglich. Die Parteien übernehmen die Übertragung (Transmission)
von Entscheidungsprozessen zwischen der Gesellschaft und dem Staat.
In parlamentarisch-demokratischen System gilt der Grundsatz der freien Parteibildung. Je nach den historischen und gesellschaftlichen Bedingungen haben sich
unterschiedliche Parteiensysteme entwickelt. So stehen sich oftmals zwei große
Parteien wie in den USA oder Großbritannien aber auch in einer Vielzahl von lateinamerikanischen Ländern gegenüber. Daneben gibt es zwar auch kleine Parteien,
aber die Situation wird dominiert von den beiden großen Parteien.
Im Gegensatz zum Vielparteiensystem ist in einem Mehrparteiensystem die Zahl
derjenigen Parteien, die wirklich Einfluss auf die Regierungsbildung haben, begrenzt.
Die Ausprägung solcher Parteiensysteme wird durch das Wahlrecht stark beeinflusst.
Während das Mehrheitswahlrecht das Zweiparteiensystem fördert, fördert andererseits das Verhältniswahlrecht das Aufkommen vieler kleiner Parteien, soweit nicht
durch Sperrklauseln die Förderung eines Mehrparteiensystems gelingt.
In Diktaturen und in sozialistischen Systemen mit dem Machtmonopol in der
kommunistischen Partei herrscht der Typ des Einparteiensystems vor.
134 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Neuausgabe 1985.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
25.1 Typologisierung von Parteien
Es gibt viele Typologisierungsversuche nach unterschiedlichen Ansätzen. Jede dieser Typologien bleibt unscharf und gewinnt an Schärfe nur durch die Kombination
mit anderen Beschreibungen.
25.1.1 Typologie
Typologienach
nachder
derStruktur
Strukturder
derAnhänger
Anhänger
–
Ständeparteien: Hier handelt es sich um berufsspezifische Zusammenschlüsse
von Gruppen, die als Agrarier, Mittelständler usw. Bedeutung erlangt haben.
Ihr Ziel ist es, ähnlich wie bei der Interessenparteien, für ihre Angehörigen
Interessen durchzusetzen.
–
Interessenparteien: Interessenparteien vertreten die typischen Interessen verschiedener soziologischer Gruppen, wie Beamte, Frauen, Alte, Flüchtlinge usw.
Ihr Ziel ist es, für diese spezifischen Gruppe spezielle Vorteile zu erlangen.
–
Klassenparteien: Die Klassenparteien, die sich besonders als Parteien des
Marxismus-Leninismus gebildet haben, versuchen ihre spezifischen Interessen
klar gegen andere Gruppen im Klassenkampf durchzusetzen, um die Staatsmacht
zu erreichen und zu behaupten.
–
Volksparteien: Die Volkspartei sieht sich vor allem als Gegenpol zu Klassenparteien. Sie will unterschiedliche Interessen zu einem gemeinsamen politischen
Willen bündeln. Ziel ist es, Konflikte schon innerhalb der Partei harmonisch zu
lösen und vereint große Wählergruppen hinter sich zu versammeln.
–
Ethnische Parteien: Die ethnischen Parteien gewinnen zunehmend an Bedeutung, je mehr die Interessen einzelner Ethnien gegenüber anderen durchgesetzt
werden sollen.
25.1.2 Typologie
Typologienach
nachder
derOrganisationsstruktur
Organisationsstruktur
Honoratiorenparteien: Das sind lockere Zusammenschlüsse, die zumeist dezentral
und unprofessionell geführt werden und die aus Anlass von Parlamentswahlen bestimmte Kandidaten für ein Mandat unterstützen.
Massenparteien: Als Ergebnis der sozialen Frage in der Industriegesellschaft
bildeten sich große Parteien mit vielen Mitgliedern zum Beispiel als Arbeiterparteien, um mit einer möglichst großen Durchschlagskraft Einfluss auf Staat und
Gesellschaft zu nehmen und die „Machtfrage” zu stellen.
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Kaderparteien: Diese Parteien kamen als „Partei neuen Typs” unter Berufung
auf Lenin zustande. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie straff organisierte, personell begrenzte kleine Kader umfassen, auf eine Ideologie gestützt sind und sich
durch ständige Säuberung stetig erneuern.
25.1.3 Typologie
Typologienach
nachden
denpolitischen
politischenund
undstrategischen
strategischenZielen
Zielen
Wie schon in dem Kapitel über die politischen Programme der Parteien135 dargestellt, lassen sich die Parteien auch nach ihren politischen und strategischen Zielen
einordnen. Eine solche Gliederung sieht wie folgt aus:
–
Faschistische Parteien
–
Rechtsradikale Parteien
–
Konservative Parteien
–
Liberale Parteien
–
Sozialdemokratische Parteien
–
Sozialistische Parteien
–
Kommunistische Parteien
–
Ökologische Parteien
–
Religiös orientierte Parteien
–
Ethnisch orientierte Parteien
25.1.4 Typologie nach dem Grad der Institutionalisierung
Diese Unterscheidung tritt vor allem bei den Parteien auf, die ein etabliertes Parteiensystem aufbrechen wollen und zunächst als Bewegung oder als nur wenig
gefestigte Organisationsform auftreten. Man unterscheidet hier:
–
etablierte Parteien
–
nicht etablierte Parteien
25.1.5 Typologie nach der Funktionsweise in der Gesellschaft
Eine interessante Unterscheidung bietet die Typologie nach den Funktionsweisen der
Partei in der Gesellschaft. Diese Typologie kann beträchtliche strategische Aussagen
135 Siehe dazu Kapitel 6.2.3 Programme.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
über voraussichtliche Verhaltensweisen in Krisensituationen machen und ist daher für den Strategieplaner von besonderer Bedeutung. Wir unterscheiden hier:
–
Bürgerservice- oder Dienstleistungspartei: Diese Partei versucht Hilfestellung
für den Bürger zu bieten, um sich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Sie ist
relativ unpolitisch, nicht sehr programmatisch geprägt, aber im Umgang mit
den Menschen hilfreich. Sie hält einen engen Kontakt mit den Wählern und
bietet ihm ihre Parteiorganisation auf lokaler Ebene als Dienstleistungszentrum und Anlaufstelle an. Die Parteiattraktion besteht darin, dass die Bürger
kostenlose Dienstleistungen bekommen und dafür ihre Wählerstimme abgegeben. Die Parteiorganisation zeichnet sich durch starke Basisverbände aus.
Die höheren Ebenen werden zur Dienstleistungserbringung aber auch benötigt.
Dieser Typ trat besonders als Blockpartei in sozialistischen System auf, in dem
sie kaum politisch wirken konnte, aber die Leiden für ihre Mitglieder und Wähler
durch Vermittlung von Vorteilen senken konnte.
Es gibt diesen Parteityp auch in Ländern, in denen zum Beispiel das soziale
System sehr wenig ausgeprägt ist. Hier bietet die Partei soziale Dienstleistungen,
aber auch Vermittlung von ärztlichen Leistungen bis hin zum Parteikrankenhaus.
–
Projekt- oder Problemlösungspartei. Dieser Parteityp zeichnet sich durch das
Eintreten für singuläre Problemlösungen oder Einzelprojekte aus. Sie ist einpunktpolitisch (One-issue-Partei) und zukunftsorientiert. In der Öffentlichkeit präsentiert sie bestimmte klar definierte Projekte und Problemlösungen.
Die Wählerattraktion besteht darin, dass Wähler eine emotionale Identifikation mit bestimmten Problemen aufweisen. Dafür engagieren sie sich für diese Partei und wählen sie. Die Parteiorganisation ist auf die Präsentation und
Übertragung der Projektidee auf die lokale Ebene angewiesen. Die Basisverbände sind Transformatoren der Projektidee.
Typisch für diese Parteien ist das Aufkommen von ökologischen Bewegungen
und Parteien mit der Konzentration auf dieses Teilgebiet der Politik.
–
Politik-Management-Partei oder Fraktions-/Regierungspartei. Das Parteiziel
ist das Management und die Krisenbewältigung in der Regierung auf höherer Ebene. Die Partei strebt vernetzte komplexe Lösungen an. Das Image der
Partei ist ein „Macher”-Image. Sie tut, was zu tun ist. Unabhängig davon, wie
ihre Wählerschaft das Verhalten beurteilt. Die Partei ist stark medienorien-
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tiert und kann die Medienpräsenz durch ihre Regierungsmitglieder sicherstellen. Das Verhältnis zum Wähler besteht darin, ihm Vertrauen für die Bewältigung von Krisen und Problemen zu vermitteln. Der Wähler gibt seine
Stimme für die Möglichkeit der Delegation der eigenen Verantwortung auf
diese Partei. Die Organisation ist stark zentralistisch orientiert. Es werden
schnelle Entscheidungen getroffen, die dann später von der Parteibasis abgesegnet werden müssen.
–
Programmpartei oder Prinzipienpartei. Das Parteiziel besteht in der Präsentation von wertorientierten, umfassenden und komplexen Lösungen und der
Erarbeitung von Alternativen. Die Partei gilt als konsequent, wertorientiert,
zuverlässig und programmatisch. Die Partei legt viele Programme vor und
zielt auf die Wert-Identifikation mit bestimmten Gruppen von Wählern. Tritt
diese Identifikation ein, führt das zur Abgabe der Stimme für die Partei. Solche Parteien zeichnen sich durch starke innerparteiliche Demokratie aus, es
gibt so gut wie keine abgehobenen Herrschaftscliquen. Sie ist sehr schwerfällig in der Entscheidungsfindung.
–
Bewegung oder One-Person-Show. Das Parteiziel besteht in der Übernahme
von Macht und Einfluss. Voraussetzung dafür ist ein charismatischer Führer
oder Caudillo. Er ist für die Herstellung von Vertrauen und Abhängigkeit der
Wählerschaft verantwortlich. Die Bewegung vermittelt das Gefühl von Zugehörigkeit, von Geborgenheit und Sicherheit. Eine Parteiorganisation ist so
gut wie nicht vorhanden. In Wahlkampfzeiten werden ad-hoc-Organisationen und Wahlkampfmaschinen aufgebaut.
25.2
Entwicklung von unterschiedlichen Systemen
In den einzelnen Erdteilen haben sich entsprechend der politischen und kulturellen
Entwicklung unterschiedliche Parteitypen herausgebildet, die entsprechend den Regierungs- und Wahlsystemen charakteristische Ausprägungen haben. Die Kenntnis
von der Funktion und des Selbstverständnisses der Parteien sind für strategische
Überlegungen von großer Bedeutung.
In Europa dominieren die Parteien mit einem ideologischen Hintergrund. Sie
grenzen sich zumeist politisch von ihren Konkurrenten ab. Das Programm steht
oftmals im Mittelpunkt des Wahlkampfes. Eine Ausnahme stellt das präsidentielle
System von Frankreich aber neuerdings auch in Russland dar. Hier haben sich
eher politische Bewegungen gebildet, die klare politische Profile vermissen las
0OLITISCHE3TRATEGIEN
sen. Insgesamt kann man in Europa feststellen, dass die Bedeutung der Person
gegenüber dem Programm zunimmt.
In Lateinamerika hat die Parteientwicklung einen anderen Weg genommen.
Nach der Trennung der politischen Bewegungen in „Serviles” und „Liberales” haben sich hier in Übereinstimmung mit der präsidentiellen Ausrichtung der Regierungssysteme Parteien gebildet, die weniger programmorientiert sind als in
Europa, mehr Bewegungscharakter haben, oftmals von einem „Caudillo” geführt
werden und die Person in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stellen.
Hier kommt es daher auch zu populistischen Ausprägungen. Als Tendenz kann
allerdings festgestellt werden, dass das Programm gegenüber der Person an Bedeutung zunimmt.
In Nordamerika haben sich in den USA und in Canada unterschiedliche Systeme
gebildet. In dem Zweiparteiensystem USA mit dem präsidentiellen Regierungssystem
handelt es sich um Massenparteien, die sich kaum programmatisch unterscheiden
und im wesentlichen durch ihre Kandidaten geprägt werden. Eine ausgeprägte, bis
auf die lokale Ebene vorhandene Struktur gibt es nicht. In Canada dagegen sind
Parteien auf der Basis ideologischer und vor allem sprachlicher Unterschiede entstanden, die auch als Interessenparteien gedeutet werden können.
In Afrika sind in den meisten Ländern Parteien entstanden, die als Interessenparteien mit Stammeshintergrund bezeichnet werden können. Hier ist es in der
Vergangenheit zu Einparteiensystemen sozialistischer Ausprägung gekommen,
ohne allerdings inhaltlich den Sozialismus wirklich anzustreben. Nach der Auflösung der Einparteiensysteme sind tribale Parteien an der Tagesordnung.
In Südostasien und Südasien spielen regionale und Familienparteien eine besondere Bedeutung. Ideologische Parteien entstehen nur von der linken Seite.
Eine Zunahmen an religiös orientierten Parteien ist feststellbar.
Soweit im arabisch islamischen Bereich überhaupt plurale Parteiensysteme
entstanden sind, sind diese oftmals religiös orientiert, aber in vielen Fällen auch
mit einem Familien-/Stammeshintergrund.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
7AHLSYSTEMEUND7AHLEN
So wie es keine einheitliche und optimale Regierungsform gibt, sind auch die Wahlsysteme nicht einheitlich. Sie sind teilweise historisch gewachsen und berücksichtigen den kulturellen Hintergrund der jeweiligen Gesellschaft oder sie sind nach der
Kolonialzeit mit Zwang eingeführt worden, um ganz bestimmte Effekte zu erreichen.
Ob das nun der Wunsch nach Demokratie oder zumindest Scheindemokratie, der
Wunsch nach Stabilität oder nach Berücksichtigung von Minderheitsmeinungen
war, spielt bei der Analyse nun keine Rolle mehr. Entscheidend ist, dass manche
Wahlsysteme mit den Mentalitäten des Volkes gut übereinstimmen, andere wiederum als fremd betrachtet und abgelehnt werden.
26.1 Auswirkungen von Wahlsystemen auf die Strategie
26.1.1 Aufbau und Grundtypen von Wahlsystemen
Wahlsysteme bestimmen den Modus, nach welchem die Wähler ihre Partei- und/
oder Kandidatenpräferenz in Stimmen ausdrücken und diese in Mandate übertragen werden. Die technischen Regelungen, die ein Wahlsystem trifft, umfassen den
gesamten Wahlprozess von der wahlgesetzlich geregelten Wahlbewerbung bis zur
Ermittlung des Wahlergebnisses.
Wahlsysteme sind hochgradig politisch. Sie beeinflussen vor allem
–
die Zusammensetzung des zu wählenden Organs,
–
die Struktur des Parteiensystems,
–
die Meinungs- und Willensbildung der Wähler,
–
die Partizipationsbereitschaft und -fähigkeit des Wählers,
–
die politische Kultur.
Die unterschiedlichen Wahlverfahren – es wurden mehr als 300 gezählt – lassen sich auf zwei Grundtypen zurückführen: Mehrheitswahl und Verhältniswahl.
Bei der reinen Verhältniswahl erhält jede Partei so viele Mandate, wie dies ihrem
prozentualen Anteil an den Wählerstimmen entspricht. Bei der reinen Mehrheitswahl erhält der Kandidat das Mandat, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen
(entweder relativ oder absolut) erzielt hat. Die für unterlegene Kandidaten abgegebenen Stimmen finden keine Berücksichtigung.
Bei den Wahlsystemen wird im wesentlichen in vier Bereichen differenziert:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Wahlkreiseinteilung
–
Wahlbewerbung
–
Stimmgebung
–
Stimmverrechnungsverfahren
Die Kombination von unterschiedlichen Vorschriften in diesem Bereichen führt
zu einer Vielzahl von sehr unterschiedlich wirkenden Wahlsystemen, deren Wirkung
sich auf die strategische Planung stark auswirkt.
26.1.2 Wahlkreiseinteilung
In aller Regel wird das Wahlgebiet in Wahlkreise eingeteilt, die nach ihrer Größe
(Zahl der zu wählenden Abgeordneten) unterschieden werden:
Es gibt Einerwahlkreise, kleine, mittelgroße und große Wahlkreise. Selten bildet das ganze Wahlgebiet einen Wahlkreis, aber auch das kommt vor, speziell bei
regionalen und lokalen Wahlen, in Einzelfällen auch bei nationalen Wahlen.
Die Wahlkreisschneidung ist eine für den Wahlausgang entscheidende Maßnahme. Hier kann umfangreich manipuliert werden. Für die willkürliche Art der
Wahlkreisschneidung, die einer Partei Vorteile verschaffen soll, gibt es sogar einen
Fachbegriff: „Gerrymandering“136.
Durch die Wahlkreiseinteilung und die Gewichtung der einzelnen Wahlkreise
gelingt es in heterogenen Gesellschaften für bestimmte ethnische, linguistische
oder religiöse Gruppen eine Präsenz im Parlament zu sichern, ohne dass eine Quote
eingeführt werden muss. Das funktioniert aber nur dann wenn die Siedlungsgebiete der Gruppen eindeutig und getrennt sind. Eine Besonderheit tellen virtuelle
Wahlkreise dar, die dazu genutzt werden, um zum Beispiel im Ausland lebende
Bürger eine Päsenz im Parlament zu geben. (Siehe dazu auch das Kapitel 26.2.9
Wahlsysteme mit Quoten.
26.1.3 Wahlbewerbung
Es gibt verschiedene Formen der Wahlbewerbung. Zunächst ist zwischen Einzelkandidaturen und Listenkandidaturen zu unterscheiden. Danach zwischen verschiedenen Listenformen:
136 Siehe dazu auch Kapitel 26.3.2. Schneidung der Wahlkreise.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Starre Liste bedeutet, der Wähler kann nur die Liste unverändert wählen. Dabei
kommt der Partei oder Gruppe, die die Liste aufstellt und einreicht, große Macht
zu, weil sie die Reihenfolge festlegt. Strategisch bedeutet das für die Kandidaten,
dass sie sich sehr viel mehr der Parteiführung verpflichtet fühlen müssen als dem
Wähler. Denn nur die Partei bestimmt, ob jemand einen aussichtsreichen Platz auf
der Liste bekommt oder nicht.
Lose gebundene Liste bedeutet, der Wähler kann die Reihenfolge der Kandidaten ändern, Präferenzstimmen vergeben oder auch Kandidaten aus der Liste
streichen. Hier hat der Wähler einen beschränkten Einfluss auf die Auswahl der
Kandidaten, der Einfluss der Parteien und Gruppen geht zurück, der Einfluss der
Wähler nimmt zu.
Freie Liste bedeutet, der Wähler kann mehrere Stimmen für einen Kandidaten
vergeben (Kumulieren) und Kandidaten verschiedener Listen wählen (Panaschieren). Das ist die größte Einflussmöglichkeit für den Wähler, die noch von der Zahl
der abzugebenden Stimmen abhängen kann.
Weiterhin gibt es verschiedene Formen der Listenverbindung, unter anderen
wahlkreisgebundene und wahlkreisfreie Listenverbindungen. Dabei geht es zumeist
um die Verwendung der für ein Mandat nicht benötigten Reststimmen. Durch die
Verbindungen werden so die Reststimmen auf solche Wahlkreise transferiert, die
für ein weiteres Mandat noch Stimmen benötigen.
26.1.4 Stimmgebung
Stimmgebung
Hier wird festgelegt, wieviel Stimmen der Wähler hat (Einzelstimmgebung, Mehrstimmgebung). Bei der Mehrstimmgebung kann die Zahl der Stimmen der Zahl
der im Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten entsprechen oder geringer sein
(beschränkte Stimmgebung). In Verbindung mit Regelungen zur Wahlbewerbung
kann der Wähler über Präferenz- oder Alternativstimmgebung verfügen, er kann
kumulieren oder panaschieren. Wahlbewerbung und Stimmgebung strukturieren
die Stimmabgabe des Wähler. Sie haben große strategische Bedeutung für die Aufstellung von Kandidaten und für die Wahlkampfführung.
26.1.5 Stimmverrechnungsverfahren
Stimmverrechnungsverfahren
Das Stimmverrechnungsverfahren, dessen Regelung teilweise durch die Ausgestaltung der Wahlkreiseinteilung, der Wahlbewerbung und der Stimmgebung bestimmt
wird, enthält die für die Auswirkung des Wahlsystems wichtigsten Variablen:
0OLITISCHE3TRATEGIEN
&
–
Entscheidungsmaßstab: Mehrheit oder Verhältnis
–
Verrechnungsebene: Wahlkreis, Wahlkreisverband, Region, Staat
–
Divisoren- (d‘Hondt) oder Wahlzahlverfahren (Hagenbach-Bischoff)
–
mögliche Überschuss- und Reststimmenverwertung
–
Sperrklauseln, natürliche und künstliche
Das bekannteste Divisorenverfahren ist die Methode d‘Hondt. Die abgegebenen
gültigen Stimmen werden durch die Divisorenreihe 1,2,3,4 und so fort dividiert. Die
Mandate werden entsprechend den Höchstzahlen, d.h. nach der Größe der entstehenden Quotienten, auf die einzelnen Parteien verteilt.
Teiler
Partei A
Rang
Partei B
Rang
Partei C
Rang
Partei D
1
36.324
1
30.972
2
24.048
3
7.200
2
18.162
4
15.468
5
12.024
7
3
12.108
6
10.324
8
8.016
10
4
9.081
9
7.743
11
6.012
5
7.265
12
6.194
6
6.054
Mandate
5
4
3
0
Sitzverteilung nach d‘Hondt
Ein weiteres Höchstzahlverfahren ist das Divisorenverfahren nach Saint Lague/
Schepers. Dabei werden die Stimmen der Parteien durch 0,5; 1,5; 2,5; .. n-0,5 dividiert und die Sitze in der Reihenfolge der größten sich ergebenden Höchstzahlen
zugeteilt.
Das geläufigste Wahlzahlverfahren ist die Methode Hagenbach-Bischoff. Die
Wahlzahl ist die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen, dividiert durch die um
eins erhöhte Zahl der im Wahlkreis zu vergebenden Mandate.
Die Wahlzahl nach Hare lautet: Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen dividiert durch die im Wahlkreis zu vergebenden Mandate.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Eine Variante des Wahlzahlverfahrens stellt das von dem Mathematiker Niemeyer wieder aufgegriffene System mathematischer Proportionen dar. Die für die
Parteien abgegebenen gültigen Stimmen werden jeweils mit der Zahl der zu vergebenden Mandate multipliziert und das Ergebnis durch die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen dividiert. Die Parteien erhalten so viele Mandate, wie
ganze Zahlen entstehen. Die Restmandate werden nach der Höhe der resultierenden
Zahlenbruchteile hinter dem Komma vergeben.
Partei
Stimmen
Ergebnis nach
Formel
Basis-Sitze
Zusätzliche
Sitze
Gesamtsitze
A
36.324
4,42
4
0
4
B
30.972
3,77
3
1
4
C
24.048
2,93
2
1
3
D
7.200
0,88
0
1
1
Total
98.544
12
Formel nach Hare Niemeyer
Stimmen für die Partei x zu verteilende Sitze / Gesamtzahl der Stimmen = Ergebnis
Partei A: 36.324 x 12 /98544 = 4,42
Sitzverteilung nach Hare/Niemeyer
Die Stimmverrechnungsverfahren haben zwar Auswirkungen auf die Zahl der
Mandate, die eine Partei erhält. So bevorzugt das Verfahren von d’Hondt etwas die
größeren Parteien, während das Wahlzahlverfahren nach Hare und Niemeyer den
Nachteil des d’Hondtschen Verfahrens für kleinere Parteien wieder ausgleicht. Sie
sind strategisch für die Anlage des Wahlkampfes nicht bedeutsam.
26.2
Typen von Wahlsystemen
26.2.1 Mehrheitswahlsysteme (First-past-the-post)
Generell gesagt, gewinnt bei diesem Mehrheitssystem derjenige einen Sitz im Wahlgebiet, der die meisten Stimmen auf sich versammeln kann. Es geht hier also nicht
um das Erreichen der absoluten Mehrheit, sondern um die relative Mehrheit.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
26.2.2 Direktwahl in Einerwahlkreisen
Bei einer Direktwahl in Einerwahlkreisen handelt es sich um eine Persönlichkeitswahl, bei der Kandidaten mehrerer Parteien oder unabhängige Kandidaten in einem
Wahlkreis gegeneinander kandidieren. Gewählt ist, wer
–
die meisten Stimmen auf sich versammelt oder
–
die Mehrheit der Stimmen auf sich versammelt.
Bei Mehrheitswahlen in Einerwahlkreisen handelt es sich um ausgeprägte
Persönlichkeitswahlen, bei der der Kandidat als vertrauensvoller Repräsentant der
Belange des Wahlkreises dargestellt werden muss. Der Kandidat braucht Wahlkreisverbundenheit, viele persönliche gute Kontakte und eine ausgezeichnete Kenntnis
der Probleme des Wahlkreises
Fall 1: Es genügt die relative Mehrheit – also nur die meisten Stimmen.
Strategien: Bei Mehrheitswahlen in Einerwahlkreisen ohne zweiten Wahlgang
geht es strategisch darum, die meisten Stimmen zu sammeln und unter Umständen die anderen Kandidaten daran zu hindern, mehr Stimmen zu erhalten als der
eigene Kandidat. Dazu sind folgende Strategien geeignet:
Positive Abgrenzung: Das bedeutet, dass die positiven Elemente des Kandidaten
herausgestellt werden und die Persönlichkeit mit einem attraktiven Produkt und
Kompetenz verbunden wird.
Negatives Campaigning: Das kann durch den Einsatz von Push und Pull-Faktoren oder dem Negativen Campaigning geschehen, die das Vertrauen in andere
Kandidaten erschüttern.
Präsentation von unabhängigen Scheinkandidaten: Es werden Kandidaten aufgestellt, die genau im Feld des gegnerischen Hauptkandidaten versuchen Wählerstimmen abzuziehen, um den Konkurrenten zu schwächen und somit die meisten
Stimmen zu erhalten. Hier wird nach dem Prinzip: „Teile und herrsche” verfahren.
Fall 2: Es muss die absolute Mehrheit erreicht werden.
Im diesem Fall ist es nötig, die absolute Mehrheit schon im ersten oder im
zweiten Wahlgang zu erringen, um gewählt zu werden. Da das im ersten Wahlgang bei mehr als zwei Kandidaten nicht automatisch eintritt, kann es vorkommen,
0OLITISCHE3TRATEGIEN
dass ein zweiter Wahlgang137 notwendig wird, in dem dann nur noch die beiden
stimmstärksten Kandidaten kandidieren dürfen. Dieser zweite Wahlgang findet
dann meistens eine Woche oder 14 Tage nach der Hauptwahl statt und nur noch
in den Wahlkreisen, bei denen im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hat.
Hier ist folgende Strategie anzuwenden:
Bei dieser Form der Wahl müssen die Chancen genau geprüft werden, ob man
im ersten Wahlgang schon gewinnen kann oder ob man sich auf einen zweiten
Wahlgang einstellen muss. Wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass man die
nötigen Stimmen schon im ersten Wahlgang erreicht, ist eine deutliche Abgrenzung zu den anderen Kandidaten erforderlich. Das bedeutet dann natürlich auch,
dass man sich so weit von den anderen Kandidaten abgegrenzt hat, dass man in
einem möglichen zweiten Wahlgang kaum mehr die Unterstützung der Wähler
eines anderen Kandidaten gewinnen kann. Deswegen sollte man schon sehr sicher
sein, dass man im ersten Wahlgang gewinnt.
Ist dagegen die Wahrscheinlichkeit groß, dass man in den zweiten Wahlgang
muss, muss auch die Abgrenzung zu anderen Kandidaten behutsamer geschehen,
weil durch eine zu starke Konfrontation im ersten Wahlgang mögliche Wähler für
den zweiten Wahlgang verschreckt werden. Hier ist es sinnvoll von vornherein zu
überlegen, von welcher Partei oder von welchem Kandidaten, der voraussichtlich
ausscheiden wird, man später die Stimmen haben will, um nicht unnötige Spannungen zu dieser Gruppe aufzubauen.
26.2.3 Direktwahl
DirektwahlininMehrpersonenwahlkreisen
Mehrpersonenwahlkreisen
Bei der Direktwahl in Mehrpersonenwahlkreisen sind die Wahlkreise größer geschnitten. Es werden hier mehr als ein Kandidat gewählt. Das bedeutet, dass auch
die einzelnen Parteien mehr als einen Kandidaten aufstellen. Die Kandidaten bleiben
allerdings Einzelkandidaten und werden nicht in einer Liste verbunden.
Es gibt Wahlkreise in denen 3, 4, 5 oder noch mehr Kandidaten gewählt werden. In diesem Fall kandidieren alle Kandidaten gegeneinander und es gewinnen
diejenigen Kandidaten, die die meisten Stimmen auf sich versammeln können.
137 Man nennt diesen Vorgang in der Wahltheorie auch eine „Ballotage”, abgeleitet von dem
Verfahren, dass mit schwarzen (nein-Stimmen) und weißen (ja-Stimmen) Steinen abgestimmt
wurde.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Strategischer Hinweis:
Bei diesen Kandidaturen besteht die Gefahr des Kannibalismus.
Kannibalismus. Das
Das bedeutet,
bedeutet,
untereinander größer
größer ist
ist als
als der
der Kampf
Kampf
dass der Kampf der Kandidaten einer Partei untereinander
die Kandidaten
Kandidatender
deranderen
anderenParteien,
Parteien,
mehr
Stimmen
zu erhalten
als
gegen die
umum
mehr
Stimmen
zu erhalten
als der
der Kandidat
eigenen
Partei.
Damit
nehmen
Kandidaten
derselKandidat
aus aus
der der
eigenen
Partei.
Damit
nehmen
sichsich
die die
Kandidaten
derselben
ben Partei
gegenseitig
die Stimmen
weg reduzieren
und reduzieren
die Chancen
aller
Partei
gegenseitig
die Stimmen
weg und
dabeidabei
die Chancen
aller KanKandidaten
dieser
Partei.
In extremen
daszusogar
zu Mordanschlägen
didaten
dieser
Partei.
In extremen
Fällen Fällen
hat dashat
sogar
Mordanschlägen
geführt,
geführt,
wenn
man feststellte,
dass derKandidat
andere Kandidat
unter Umständen
mehr
wenn
man
feststellte,
dass der andere
unter Umständen
mehr Stimmen
Stimmen
als man
selbst bekommen
könnte.
Hier
es genaue
Absprachen
geals
man selbst
bekommen
könnte. Hier
sollte
es sollte
genaue
Absprachen
geben, wie
ben, die
wieKandidaten
sich die Kandidaten
im Kandidatenfeld
damit esmöglichst
gelingt, mögsich
im Kandidatenfeld
placieren,placieren,
damit es gelingt,
viele
lichst viele Kandidaten
eigenen
Partei durchzusetzen.
Kandidaten
der eigenender
Partei
durchzusetzen.
Es tritt hier auch die Gefahr eines Gefangenendilemmas138 auf. Wenn einer der
Kandidaten die Absprache verläßt, werden zumeist auch die anderen dieses tun,
was dann immer zu einem schlechten Ergebnis führt.
Vorteile des Mehrheitswahlsystems
Die Vorteile des Mehrheitswahlsystems liegen in folgenden Bereichen:
1. Der Kandidat ist direkt seinen Wählern gegenüber verantwortlich. Es besteht
ein viel direkteres Verhältnis zwischen den Wählern und den Abgeordneten.
2. Der Kandidat ist unabhängiger von der Parteiführung und kann daher auch
freier entscheiden, weil er nicht darauf angewiesen ist, über eine Parteiliste
abgesichert zu werden.
3. Für die Wähler ist das personelle Angebot im Wahlkreis leichter zu überblicken
und vor allem zu beurteilen. Auch die auf den Wahlkreis bezogenen Themen
können vom Wähler viel leichter beurteilt werden.
4. Als Vorteil wird oft auch gewertet, dass es nicht zu Aufsplitterungen im Parlament kommt und sich kleine Parteien zum entscheidenden Gewicht entwickeln139
können und damit eine Minderheit entscheidet, welche der großen Parteien die
Regierung stellen kann oder welche Politik betrieben wird.
138 Siehe dazu Kapitel 13.2.2. Strategische Entscheidungen mit simultanen Zügen und Kapitel 13.2.3
Strategien aus dem Gefangenendilemma.
139 Hier wird oftmals auch vom Zünglein an der Waage gesprochen, was allerdings ein falsches Bild
ist, weil das Zünglein nur anzeigt, auf welcher Seite das größere Gewicht ist und nicht selbst
das Gewicht verändert.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Nachteile des Mehrheitswahlsystems
Die Nachteile des Mehrheitswahlsystems liegen in folgenden Bereichen:
1. Die Wahl wird oftmals unpolitisch entschieden, weil der Kandidat über persönliche Netzwerke, Familienzugehörigkeit oder durch sein charismatisches
Auftreten überzeugt und die Politik dabei vernachlässigt.
2. Es besteht die Gefahr, dass die über das Mehrheitswahlsystem gewählten Kandidaten keine Politikentscheidungen im nationalen oder überregionalen Interesse
mittragen, sondern sich auf eine Art Kirchturmpolitik140 zurückziehen.
3. Was bei den Vorteilen als Unabhängigkeit der Abgeordenten gegenüber der
Parteiführung angeführt wurde, kann auch negativ gesehen werden, weil
dadurch unter Umständen tragfähige und stabile Mehrheiten nicht mehr entstehen, so dass sich Abgeordnete für jede von ihnen verlangte Zustimmung
durch Gegenleistungen von der Exekutive neu kaufen lassen. Davon kann der
nordamerikanische Präsident in vielen Fällen bei der Suche nach Mehrheiten
für seinen Haushalt ein Lied singen.
4. Als ein Nachteil des Mehrheitswahlsystems wird auch angesehen, dass die
Repäsentanz der Bevölkerungsmeinung oder des -willens sich nicht immer
im Parlament abbildet. Es könnte zumindest theoretisch bei einem ZweiParteiensystem passieren, dass die Partei A mit 50,1 % der Stimmen nur einen
Abgeordneten im Parlament hat, während die Partei B mit 49,9 % der Stimmen
den gesamten Rest der Abgeordneten stellt. Das ist dann der Fall, wenn die
Partei B in allen Wahlkreisen bis auf einen mit jeweils einer Stimme Vorsprung
gewinnt und die Partei A in einem Wahlkreis mit angenommen 90 % zu 10 %
gewinnt.
5. Ein weiterer Nachteil der Mehrheitswahl kann sein, dass kleine Gruppierungen
und kleine Parteien, die aber im Durchschnitt durchaus 10 % und mehr der
Bevölkerung ausmachen können, nicht mehr oder nur in Ausnahmefällen im
Parlament vertreten sein werden.
26.2.4 Verhältniswahl nach Listen, regional oder national
Das Verhältniswahlsystem ist stark auf Parteien und politische Gruppen ausgerichtet,
denn die Repräsentanz im Parlament hängt von dem Anteil ab, den eine Partei oder
eine Gruppe bei der Wahl erhält. Es gibt eine Vielzahl von Verhältniswahlsystemen
140 Kirchtumpolitik ist eine Politik, die die großen Zusammenhänge aus dem Auge verliert und nur
für das kämpft, was man von seinem Kirchturm aus überblicken kann.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
darunter zum Beispiel dasjenige mit starren Listen. Hier bestimmt ausschließlich
die Partei die Reihenfolge der Kandidaten. Die Wähler können dabei nur die Partei
in einem Mehr-Personen-Wahlkreis wählen und keine Veränderungen an den vorgeschlagenen Listen vornehmen. Für die Kandidaten ergeben sich hier besondere
Abhängigkeiten von der Partei und von dessen Führung oder im Falle von Vorwahlen
von den Führungen der jeweiligen Parteiflügel.
In einem System mit offenen Listen kann der Wähler entweder für die Partei
abstimmen oder einen einzelnen Kandidaten mit einer Stimme versehen. Mit dieser Methode besteht die Möglichkeit die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste
zu verändern.
Vorteile des proportionalen Systems
1. Die Stärke dieses Systems liegt darin, dass es absolute Proportionalität der
Parteien erreicht. Wenn die Partei 27 % der Stimmen bekommt, hat sie auch
im Parlament 27 % der Sitze. Jede Stimme hat damit das gleiche Gewicht.
2. Das System ist auch sehr einfach für die Wähler, die nur eine Auswahl aus einer
kleinen Gruppe von Parteien machen müssen.
Nachteile des proportionalen Systems
1. Die Wähler haben keinen oder nur sehr geringen Einfluss aus die Auswahl der
Kandidaten. Sie haben also keinen Einfluss darauf, wer sie vertritt, sondern nur
darauf, welche Partei im Parlament ist und die Regierung bilden kann.
2. Parteilisten sichern nicht die Repräsentanz von traditionell unterrepräsentierten
Gruppen der Gesellschaft. Zumeist tritt sogar das Gegenteil ein, wenn zum
Beispiel die Parteien versuchen, soziodemographisch homogene Listen aufzustellen.
3. Parteien können unabhängige und Minderheitsmeinungen in ihren Reihen
unterdrücken. Durch die besonders großen Wahlkreise ist wenig Platz für Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern und es gibt keine direkte Verbindung
zwischen den Wählern und den Mitgliedern in den Parlamenten.
Hier gelten folgende strategische Elemente:
Um in das Parlament einziehen zu können, ist zunächst nur die Plazierung auf
der Liste interessant. Damit wird die Reihenfolge auf der Liste bedeutend. Über
diese Reihenfolge entscheidet nur die Partei oder deren Führung. Damit ist strategisch wichtig, dass man die Rückendeckung der Parteiführung hat. Eine direkte
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Verbindung zu den Wählern muss nicht gesucht werden. Damit entfallen Dinge wie
Wahlkreisarbeit und Wählerkontakt. Um so wichtiger werden Disziplin, intensive
Arbeit in der Fraktion und Konfliktminimierung mit der Parteiführung.
Kumulieren
Eine besondere Form stellt im Rahmen des proportionalen Systems mit Listen
die Möglichkeit dar, mehrere Stimmen auf einen Kandidaten zu häufeln. In diesem
Fall gilt als Voraussetzung, dass das Wahlsystem vorsieht, dass der Wähler mehr
als eine Stimme hat. In einigen Fällen hat er so viele Stimmen, wie Kandidaten zu
wählen sind, in anderen Fällen kann das eine beschränkte Anzahl von Stimmen
sein, die unterhalb der Menge der zu wählenden Kandidaten liegt. Beim Kumulieren
besteht nun die Möglichkeit einem Kandidaten aus der Liste mehr als eine Stimme
zu geben. Meistens ist die Zahl auf drei Stimmen pro Kandidat begrenzt. Mit dieser
Methode können die aufgestellten Parteilisten in der Reihenfolge verändert werden.
Dabei werden die auf die verschiedenen Parteilisten entfallenen Stimmen addiert
und die Mandate nach einem festgelegten Auszähl- und Verteilungsverfahren auf
die Parteien verteilt. Die Kandidaten mit den meisten Stimmen auf der Liste ziehen
dann in das jeweilige Parlament ein.
Panaschieren
Das Panaschieren141 eröffnet nun dem Wähler eine weitere Möglichkeit. Danach
kann der Wähler mit seinen Stimmen (zumeist in der Anzahl der zu wählenden
Kandidaten) nicht nur auf einzelne Kandidaten Stimmen häufeln (Kumulieren) sondern er kann seine Stimmen auch über die Listen verschiedener Parteien verteilen.
Damit kann er seine präferierten Kandidaten ganz gezielt aus allen Parteienlisten
auswählen und damit natürlich auch die Reihenfolge der Kandidaten auf den einzelnen Listen verschieben. Danach werden dann wieder alle Stimmen, die für die
einzelnen Listen abgegeben worden sind, ermittelt, die Mandate auf die Parteien
verteilt und die gewählten Kandidaten, die die meisten Stimmen auf den Listen
haben, festgestellt.
141 Panaschieren ist abgeleitet von Panasch (bunter Helm- oder Federbusch). An den Farben des
Federbusches am Helm konnte man feststellen zu welcher Truppe der jeweilige Ritter gehörte.
Panaschieren bedeutet heute „bunt” wählen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
26.2.5 Mischformen
Bei den Mischformen geht es um eine Verbindung von Mehrheitswahlen
Mehrheitswahlen in
in DirektDirektwahlkreisen und Parteilistenwahlen
Parteilistenwahlenentsprechend
entsprechenddem
demProportionalwahl-systemen.
Proportionalwahlsystemen.
wahlkreisen
In dem in Deutschland angewandten System mit einer Erststimme für den Kandidaten im Wahlkreis und einer Zweistimme für die Parteiliste ist das System der
Proportionalwahl dominant und eingehalten. Denn die Zweitstimme bestimmt die
Zusammensetzung des Parlaments. Das Verfahren funktioniert so, dass zunächst
anhand der Zweitstimmen ermittelt wird, wieviel Mandate die Parteien im Parlament erhalten werden (Proportionalverfahren nach Hare-Niemeyer). Danach wird
festgestellt, wer in welchem Wahlkreis142 gewonnen hat. Diese Mandate werden nun
zunächst an die Parteien gegeben. Die noch fehlenden Mandate werden danach von
den Parteilisten (Reservelisten) aufgefüllt. In dem manchmal auftretenden Fall, dass
eine Partei mehr Direktwahlkreise gewonnen hat als ihr nach der Proportionalverteilung zustehen, werden die Direktmandate dennoch verteilt und das Parlament
wächst um diese Anzahl von Sitzen (Überhangmandate). Diese Form der Sitzverteilung kann das Ergebnis der Wahl verfälschen, weil durch die Überhangmandate
eine Partei mehr Sitze erhält als ihr zustehen. Um diesen Fehler wiederum auszugleichen, wird in einigen Wahlgesetzen die Möglichkeit von Ausgleichsmandaten
geschaffen, die dazu dienen, das Stimmenverhältnis im Parlament dem Stimmenverhältnis aus der Wahl wieder anzupassen.
Für die Strategie bedeutet das, dass sich eine Partei, die eine Mehrheit im Parlament erringen will, auf die Zweitstimme konzentriert. Dabei stehen das Image
und das Produkt der Gesamtpartei im Vordergrund. Die Kandidaten in den Wahlkreisen können dieses Image noch zusätzlich unterstützen, sie können aber nicht
die Zusammensetzung des Parlaments beeinflussen.
Ein anderes System der Mischung von Mehrheits- und Proportionalverfahren
ist das gemischte System oder auch Grabenwahlsystem genannt. In diesem System
werden eigentlich zwei verschiedene Wahlen gleichgewichtig miteinander durchgeführt. Wiederum gibt es eine Mehrheitswahl in Wahlkreisen, mit der die Hälfte des
Parlaments besetzt wird. Gleichzeitig findet eine Proportionalwahl mit Parteilisten
statt. Die Stimmen, die auf die Parteien entfallen, werden proportional auf die Hälfte der Sitze im Parlament in Form von Mandaten vergeben. Dieses Wahlverfahren
schafft im Parlament kein repräsentatives Bild, weil das Proportionalsystem durch
die Direktwahlkreisvertreter wiederum verzerrt wird.
142 Die Zahl der Wahlkreise entspricht der Hälfte der gesamten Sitze im Parlament.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
26.2.6 Ley de Lemas
Ley de Lemas ist ein Wahlsystem, dass die parteieinternen Vorwahlen mit den
Hauptwahlen zusammenlegen. Die Parteien oder deren Flügel können verschiedene Listen aufstellen, die gegeneinander aber auch gegen die anderen Parteien
konkurrieren. Die Wähler haben eine Stimme für die Abgeordnetenwahl und auch
eine Stimme für die Präsidentenwahl, in einigen Fällen auch nur eine Stimme für
die Präsidentenwahl und die Liste der Abgeordneten.
Nach der Wahl werden zunächst die Stimmen ausgezählt, die in der Summe
aller Listen einer Partei für diese Partei erzielt werden konnten. Dann werden die
Parteiergebnisse miteinander verglichen. Die Partei mit den meisten Stimmen stellt
dann den Präsidenten. Wer das allerdings ist, wird so festgestellt, dass diejenige Liste, die innerhalb der Partei die meisten Stimmen auf sich versammeln konnte, den
Präsidenten stellt. Dieses Verfahren ist ein kompliziertes Verfahren, weil meistens
mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Listen in einer Partei gearbeitet wird, die
sich wiederum politisch stark unterscheiden. Die Bandbreite geht von ganz links
nach ganz rechts. Zwischen den Listen entwickeln sich dabei komplizierte Abhängigkeiten. Denn wenn eine Liste den Wahlkampf wegen Aussichtslosigkeit einstellt,
fehlen der Partei anschließend bei der Auszählung Stimmen, die für die Gesamtpartei über Sieg oder Niederlage entscheiden können.
Das System der Listen ist hochkompliziert und auch für die Wähler kaum
überschaubar. Solange es sich im traditionellen Parteiensystem von Lateinamerika
mit zwei Parteien bewegte, war ein gewisser Überblick noch zu behalten. Mit den
auftretenden neuen Parteien muss bei der Fortführung von Ley de Lemas damit
gerechnet werden, dass der Überblick verloren geht und vor allem die strategische
Anlage des Wahlkampfes nicht mehr zu planen ist.
Strategischer Hinweis: Ley de Lemas verlangt einen intensiven Außenkampf
gegenüber den Konkurrenzparteien, ist aber auch nur erfolgreich für eine bestimmte Liste, wenn auch der Binnenwahlkampf innerhalb der Partei erfolgreich
geführt wird.
In einem Zweiparteiensystem kann durch geschicktes Positionieren von Listen
unter einer starken Parteiführung das System so genutzt werden, dass man aus
allen politischen Lagern eine optimale Ausschöpfung erhalten kann. Allerdings bedeutet das wiederum auch, dass die Politik der jeweiligen Partei als ganzes nicht
zum Gegenstand des Wahlkampfes gemacht werden kann und darf. Das führt spä
0OLITISCHE3TRATEGIEN
ter zu massiven Enttäuschungen der Wähler und kann auf Dauer das politische
System zerstören.
Eine Reihe von Parteien schätzt das Instrument von Ley de Lemas, weil sie damit
die zerfleischenden internen Wahlkämpfe vor der eigentlichen Hauptwahl vermeiden können und es nicht nötig haben, nach der Vorwahl die verschiedenen Flügel
der Partei wieder zu gemeinsamen Handeln zu verpflichten und zu motivieren.
26.2.7 System
Systemder
derübertragbaren
übertragbarenEinzelstimme
Einzelstimme(Single
(Singletransferable
transferablevote,
vote,STV)
STV)
Bei dem System der übertragbaren Einzelstimme gibt der Wähler seine Stimme
für einen Kandidaten ab und legt zusätzlich eine Reihenfolge der Kandidaten fest,
denen seine Stimme zufallen soll, falls der zuerst bezeichnete Kandidat bereits
die für eine Wahl erforderliche Stimmenzahl erreicht hat oder wegen zu geringer
Stimmenzahl ausgeschieden ist.
Official Ballot
Municipal Elections
INSTRUCTIONS Candidates for City Council
TO VOTERS
District One
Only one vote per candidate
(Three to be elected.)
Mark Your Choices
by Filling in the
Numbered Boxes
Only
Fill in the number one
1 box next to your first
choice; fill in the
number two 2 box next
to your second choice;
fil in the number three
3 box next to your
third choice, and so on.
You may fill in as many
choices as you please.
Fill in no more than one
box per candidate. Fill
in no more than one
box per column.
Only one vote per column
Douglas Campbell
Dem.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Martha Dains
Rep.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Terry Graybeal
Reform
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Robert Gomez
Dem.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Cynthia Daniels
Indep.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Rep.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Write In
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Write In
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Write In
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Robert Higgins
Stimmzettel für Single Transferable Vote
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Formel zur Berechnung der notwendigen Stimmenzahl lautet:
Beispiel: In einem Wahlkreis sind 4 Abgeordnete zu wählen. es werden 10200
Stimmen abgegeben. Danach berechnet sich die für die Wahl notwendige Stimmenzahlen auf
[10200 / (4+1)] + 1 = 2041.
Die hier errechnete Stimmenzahl muss von den jeweiligen Kandidaten erreicht
werden. Ist einer der Kandidaten mit dieser Stimmenzahl gewählt, werden die überschüssigen Stimmen nach der jeweiligen vom Wähler vorgenommenen Übertragung
auf die anderen Kandidaten umgelegt. Reichen die Reststimmen nicht dafür aus,
einen weiteren Kandidaten wählen zu lassen, wird der Kandidat mit den wenigsten
Stimmen aus dem Rennen genommen und seine auf die anderen Kandidaten zielenden Stimmen verteilt.
Die Kandidaten haben folgende Stimmenzahlen erhalten:
A = 3410, B = 1901, C = 1440, D = 1406, E = 1050, F = 1023
Damit hat nur der Kandidat A eine ausreichende Stimmenzahl erhalten. Er ist
also gewählt. Kandidat A hat 1329 Stimmen zuviel erhalten. Von seinen 3410 Wählern haben mit der zweiten Präferenz folgendermaßen gewählt:
B = 1526, C = 179, D = 1216, E = 40 und F = 449
Die Formel für die Berechnung der zu übertragenden Wählerstimmen für den
Kandidaten B lautet: Anteil der Stimmen, die nicht zum Erreichen eines Mandates
notwendig waren (1329) / Gesamtzahl der für A abgegebenen Stimmen (3410) x
Anzahl der für B abgegeben Präferenzstimmen (1526) = zu übertragende Wählerstimmen (594).
Zu den erhaltenen Stimmen sind nach dieser Formel also zu übertragen: Auf B
594 Stimmen = 2495 Stimmen, auf C 70 Stimmen = 1510 Stimmen, auf D 474 Stimmen = 1880 Stimmen, auf E 16 Stimmen = 1066 Stimmen und auf F 175 Stimmen
= 1198 Stimmen. Damit ist nun auch B gewählt und hat dabei sogar 454 Stimmen
zuviel. Diese Stimmen werden erneut verteilt usw.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Strategisch bedeutet dieses Verfahren, dass man zunächst versuchen sollte,
von vornherein die nötige Stimmzahl zu bekommen, um gewählt zu werden. Das
geht zunächst einmal nur dann, wenn man eine offensive Strategie fährt, sich
also deutlich von den anderen Kandidaten abgrenzt. Das macht es dann allerdings
schwer, von den Wählern der anderen Kandidaten als „zweite Wahl“ geschätzt zu
werden. Ist also der Durchmarsch nicht sicher, sollte man auf dem Stimmzettel bei
möglichst vielen Kandidaten als zweite Wahl vermerkt sein, weil das dann die nötige Stimmenzahl für einen Erfolg nach der Stimmübertragung ergeben kann. Falls
in einem Wahlkreis deutlich ist, dass ein Kandidat mit großer Mehrheit gewählt
wird und damit höchstwahrscheinlich viele überschüssige Stimmen hat, kommt es
darauf an gerade bei diesem ein Höchstmaß an „Zweite-Wahl-Stimmen“ zu erhalten. Wenn man nicht weiß, ob von oben (Überschussstimmen) oder von unten
her (Stimmen vom Kandidaten, der aus dem Rennen gezogen wird) die Stimmen
übertragen werden, muss man notgedrungen einen weichen Kurs fahren, der nicht
auf Abgrenzung sondern auf Sympathie baut.
26.2.8 Vorzugsstimmensysteme
Vorzugsstimmensysteme(Supplementary
(Supplementaryvote,
vote,SV)
SV)
Solche Systeme erlauben es den Wählern zusätzlich zu ihrer ersten Wahl, für den
Fall, dass ihr Kandidat nicht erfolgreich ist, eine zweite Wahl auszusprechen. Dieses
System ist nicht anwendbar im Rahmen der Wahlkreise mit relativen Mehrheitssystemen und bei Listenwahlen. Bei diesem System wird ein erster und ein zweiter
Wahlgang zusammengelegt.
First Choice
Candidate
Second Choice
Frank Dobson
(Labour)
Susan Kramer
(Liberal Democrat)
X
Ken Livingstone
(Independent)
X
Steve Norris
(Conservative)
In the first column place an X to indicate your first choice for Mayor,
in the second column place an X to indicate your second choice for
Mayor.
Stimmzettel für Supplementary vote
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In Einmann-Wahlkreisen funktioniert das alternative Stimmsystem folgendermaßen: Der Wähler drückt seine erste Priorität dadurch aus, dass er eine 1 vor
den Kandidaten setzt. Seine zweite Priorität wird durch eine 2 vor einem anderen
Kandidatennamen ausgedrückt usw.
Hat nun bei der Auszählung der Erstwahl-Stimmen keiner der Kandidaten die
absolute Mehrheit erreicht, wird der Kandidat mit den wenigsten Erstwahl-Stimmen
eliminiert. Die bei diesem Kandidaten enthaltenen Zweitwahl-Stimmen werden nun
den verbleibenden Kandidaten zugesprochen. Ergibt sich auch jetzt noch keine absolute Mehrheit, wird der nächste Kandidat mit den wenigsten Stimmen eliminiert
und seine Zweitwahlstimmen werden den verbleibenden Kandidaten zugesprochen.
Das geht so lange bis einer der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hat.
Beispiel: Im Wahlkreis werden 5.000 Stimmen abgegeben. Die absolute Mehrheit beträgt also 2.501 Stimmen. Bei der Auszählung der Erstwahlstimme ergibt
sich folgendes Bild:
Kandidat 1
1980
Kandidat 2
1720
Kandidat 3
1004
Kandidat 4
296
Nun wird Kandidat vier mit seinen 296 Stimmen aus dem Rennen genommen
und die Zweitwahlstimmen von ihm den anderen Kandidaten zugeschlagen.
Kandidat 1
1980
176
das ergibt:
2082
Kandidat 2
1720
8
Kandidat 3
1004
1896
1112
Kandidat 4
296
102
Noch hat kein Kandidat die absolute Mehrheit. Deswegen wird jetzt Kandidat 3
aus dem Rennen gezogen und seine Zweitwahlstimmen auf die anderen Kandidaten
verteilt. Für die acht von Kandidaten 4 erhaltenen Stimmen geht es jetzt um die
Drittwahlstimmen.
Kandidat 1
2.082
212
das ergibt:
2.294
Kandidat 2
1.896
900
Kandidat 3
1.112
2.796
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Damit hat Kandidat 2 die erforderliche Stimmenzahl erreicht und ist gewählt.
Der zweite Wahlgang ist eigentlich ein ähnliches Instrument. Es hat auf jeden Fall auch den Effekt, dass der Kandidat mit absoluter Mehrheit gewählt wird,
nachdem sich die Wähler der nicht erfolgreichen Kandidaten für die ersten beiden
Plätze neu orientieren können.
Die wichtigste strategische Komponente bei diesem Wahlrecht besteht darin,
dass kleinere Parteien oder deren Kandidaten sich zusammen schließen können und
sich gegenseitig die Präferenzstimmen (preference swapping) geben. Damit profitieren sie von Ausschluss einzelner Partner zunächst allein von den Präferenzstimmen und können so die Kandidaten von großen Parteien gefährden. Als Kandidat
der größeren Parteien muss es gelingen zwischen den Allianzpartnern Zwietracht
zu säen, so dass der Austausch von Präferenzen gefährdet wird.
26.2.9 Wahlsysteme mit Quoten
Die reinen Wahlsysteme ohne Quoten für bestimmte Gruppen bilden im Parlament
meist die politische Meinung der Wähler ab. Dazu ist es allerdings nötig, dass Parteien kandidieren, die eine politische Programmorientierung erkennen lassen, wie
z.B. konservative, liberale, sozialdemokratische, sozialistische oder ökologische Orientierungen. Solche Parteien sind überwiegend in den Ländern zu finden, die eine
relativ homogene Bevölkerung haben. In solchen Ländern werden nur Versuche
gemacht, durch Quoten die Präsenz von Frauen zu erhöhen, da diese traditionell
schwach repräsentiert sind.
Völlig anders sieht das in den Ländern aus, die eine heterogen zusammengesetzte Bevölkerung haben. Diese Heterogenität kann ethnisch, religiös, linguistisch,
durch Kasten, Stämme oder Clans bedingt sein. In solchen Ländern bilden sich
vielfach Parteien, die sich an diesen gesellschaftlichen Strukturen orientieren, das
heißt einen Stammes- oder Clanhintergrund, andere ethnische, linguistische oder
religiöse Motivationen repräsentieren. Hier geht es in vielen Fällen darum, durch
eine politische Präsenz Zugriff auf staatliche Ressourcen für den Stamm, den Clan
oder die religiöse Gruppen, die man repräsentiert, zu erhalten.
Wenn es diesen zumeist kleinen Parteien gelingt, durch Koalitionsbildung an
der Exekutive beteiligt zu werden, können ihre Ziele für die von ihnen vertretene
Nische erfüllt werden. Gelingt dieses aber nicht oder werden bestimmte Gruppen
bewusst ständig von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossen, so entwickeln sich
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Spannungen, die in extremen Fällen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen
können.
Ein Beispiel für die Beteiligung an Koalitionsregierungen ist die Schas-Partei, die
als radikale Vertreterin der ultraorthodoxen Juden in Israel an fast jeder Regierung
beteiligt war und für ihre Klientel übermäßig viele Privilegien erreicht.
Ein Beispiel für die Reaktion auf den Ausschluss von der Macht in Kenia ist der
Versuch des Stammes der Luo über ihre Partei oder ihren Führer Raila Odinga an
der Macht beteiligt zu werden. Schon der Vater von Raila Odinga, nämlich Odinga
Odinga mit seiner FORD-K wurde durch Manipulation der Wahlen durch den Präsidenten arab-Moi von der Macht ferngehalten. So auch Raila Odinga durch Nichteinhaltung von Vereinbarungen durch Präsident Kibaki. Das führte letztendlich zu
einem Bürgerkriegszustand in Kenia, der nur durch massive Intervention internationaler Kräfte in 2008 beendet werden konnte und zu einer Machtteilung führte.
In solchen heterogenen Gesellschaften wird daher immer mehr der Ruf laut,
durch Quoten für die Wahlen zum Parlament und bei der Bildung der Exekutive
eine breite Partizipation zu erzwingen, um eine höhere Verteilungsgerechtigkeit zu
erreichen. In diesen Gesellschaften geht es bei der Zusammensetzung des Parlaments und der Regierung also viel weniger um die ideologische und methodische
Gestaltung von Politik, sondern um die Verteilung staatlicher Ressourcen. Damit
erhalten das Parlament und die Regierung einen völlig anderen Auftrag, als das in
westlichen Demokratien der Fall ist. Es geht also nicht darum, wie Politik gemacht
wird, sondern im Wesentlichen nur um die Verteilung von vorhandenen oder nicht
vorhandenen Ressourcen. Die Partizipation an der Entscheidung über die Verteilung ist oftmals verbunden mit der Absicht Konfliktsituationen zu entschärfen und
Chancengleichheit zu suggerieren.
Ein Beispiel für die Diskussion um Quoten zur Sicherung einer friedlichen Koexistenz war die Diskussion um die Ausgestaltung des Wahlgesetzes im Irak für die
2010 Wahl des nationalen Parlaments. Hier gab es seit 2004 eine Quote von 25 %
für Frauen. Diese wurde auch in 2010 angewandt, so dass heute jedes vierte Mandat
an Frauen vergeben wurde. Allerdings sieht die Verfassung jetzt vor, die Quote für
Frauen bei der nächsten Wahl abzuschaffen. Es bleiben Quoten für religiöse Gruppen, fünf Sitze für irakische Christen, und jeweils ein Sitz für die Schabak, die Jesiden und die Sabäer. Der Streit um die Repräsentanz der Sunniten in dem schiitisch
dominierten Staat hat zur Erweiterung des Parlaments von 275 auf 325 geführt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Auch in Indien wird durch die Vergabe von Quoten der Versuch gemacht, Nationbuilding zu betreiben und die zentrifugalen Kräfte in einer heterogenen Gesellschaft auszuhebeln. In Indien geht die Diskussion vor allem um Quoten für die
unterschiedlichen Kastenebenen.
Das Ziel, das mit der Parlaments- oder Regierungszusammensetzung erreicht
werden soll, muss klar sein, bevor man über die Konstruktion von Quotensystemen
nachdenkt und taktische Strukturen in den politischen Einheiten schafft.
Grundsätzlich muss bei den Wahlsystemen gefragt werden, welcher Typ von
Demokratie erreicht werden soll, nämlich Mehrheitsdemokratie oder Konsensdemokratie. Dabei meint Mehrheitsdemokratie nicht Mehrheitswahlsystem, sondern
Entscheidungen einer Mehrheit über eine Minderheit im Parlament. Dabei kann die
Mehrheit aus den Abgeordneten einer Partei oder aber einer Koalition aus mehreren
Parteien bestehen. Diese Mehrheit ist dann für die Legislaturperiode eine permanente Mehrheit im Parlament und überstimmt die anderen im Parlament befindlichen Parteien regelmäßig. Damit ergibt sich hier das typische Regierung-versusOpposition Muster, das im Westen ein akzeptiertes Modell der Politikentscheidung
ist, in vielen anderen Teilen der Welt, besonders in Asien und Afrika aber nicht akzeptiert erscheint. Aber auch im Westen wird zunehmend Kritik daran geübt, man
spricht mittlerweile von der sogenannten Guillotine-Demokratie. Dafür werden
zum Beispiel in Deutschland auf kommunaler Ebene die Methoden der sogenannten Planungszelle143 und des mehrdialogischen Verfahrens eingesetzt.
Bei der Konsensdemokratie, die oftmals fälschlicherweise mit der Verhältniswahl in Verbindung gebracht wird, geht es darum, möglichst viele unterschiedliche
Gruppen in den Diskussionsprozess einzubinden und so quasi einen „runden Tisch“
zu schaffen. Es geht bei der Konsendemokratie viel mehr um Kompromisse und
ausgeprägte Minderheitsrechte. Lijphart144 beschreibt in seinem Konkordanzmodell,
wie das funktionieren kann. Das Konkordanzmodell lässt die Vertreter aller wichtigen Gruppierungen an der politischen Entscheidungsfindung teilhaben. Anstelle
von Mehrheitsentscheidungen werden in diesem Modell die zentralen Fragen nach
Möglichkeit einvernehmlich und durch Kompromisse zwischen den für den Staat
als wichtig angesehenen Gemeinschaften und Parteien geregelt. Das Modell kann
sehr unterschiedlich ausgestaltet werden, zum Beispiel
143 Dienel, Peter C.: Die Planungszelle – Eine Alternative zur Establishment-Demokratie, 199,
Westdeutscher Verlag, Opladen
144 Lijphart, Arend, 2002: The Wave of Power-Sharing Democracy, in: Andrew Reynolds (Hg.), The
Architecture of Democracy. Constitutional Design, Conflict Management and Democracy. New
York, S. 37-54.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
als „runder Tisch“, für die Verhandlungen zwischen BRD- und DDR-Vertretern
für die deutsche Wiedervereinigung
–
als großes Koalitionskabinett aus ethnischen Parteien in Rahmen des malaysischen oder südafrikanischen parlamentarischen Systems
–
als großes Koalitionskabinett nach linguistischen Quoten, wie in Belgien
–
durch Quoten entsprechend der Zusammensetzung der Bevölkerung bei der
Besetzung von Ministerposten wie in Indien,
–
durch Vertretung der größten Parteien in einer Allparteienregierung wie im
Schweizer Bundesrat,
–
durch die Bestimmung der wichtigsten Ämter der Exekutive entsprechend
ethnischer und/oder religiöser Zugehörigkeit wie im Libanon und Zypern
Den Thesen von Lijphart wird von einigen anderen Politikwissenschaftlern, wie
Norris145 und Ghai146 widersprochen. Bei den Konsens- oder Konkordanzmodellen
handelt es sich um einen ordnungspolitischen Rahmen mit vier Kernelementen:
Exekutivgewaltenteilung entsprechend der Zusammensetzung der Bevölkerung,
Proporzprinzip bei der Vergabe öffentlicher Ämter und Sitze in Parlamenten, Autonomie der Bevölkerungsgruppen und Gleichberechtigung in Kulturfragen, sowie
schließlich aufschiebende Vetorechte für Minderheiten.
Welche Methoden gibt es, die Quoten im Wahlprozess zu sichern und welche
strategischen Herausforderungen sind damit verbunden?
Die am meisten verbreitete ist die Frauenquote. Viele Länder haben in ihren
Wahlgesetzen Vorschriften für die Verstärkung der Repräsentanz von Frauen in
den Parlamenten erlassen. Diese Sitze kommen auf ganz unterschiedliche Weise
zustande. Von den 16 Ländern, die eine Frauenquote in der Verfassung vorgesehen
haben, kommt nur Frankreich aus dem europäischen Raum. Zumeist handelt es sich
um Ländern, aus einer Konfliktlage kommen und stark von internationalen Kräften
beeinflusst wurden. So zum Beispiel Afghanistan, der Irak, der allerdings die Frauenquote für die nächste Wahl schon wieder ausgesetzt hat, und Serbien.
145 Norris, Pippa, 2002: Ballots Not Bullets. Testing Consociational Theories of Ethnic Conflicts,
Electoral Systems, and Democratization, in: Andrew Reynolds (Hg.), The Architecture of Democracy. Constitutional Design Conflict Management, and Democracy. New York, S. 206-247.
146 Ghai, Yash Pal, 2002: Constitutional Asymmetries. Communal Representation, Federalism, and
Cultural Autonomy, in: Andrew Reynolds (Hg.), The Architecture of Democracy. Constitutional
Design, Conflict Management, and Democracy. New York. S. 141-170.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Grundsätzlich gibt es hier drei Modelle, die hier im Folgenden auf Frauenquoten angewandt werden. Es gibt darüber hinaus aber auch Quoten für Jugendliche,
für sozial Schwache, für Behinderte usw. Diese Quoten dienen der Sicherstellung
einer gewissen Repräsentanz einer Minderheit oder diskriminierten gesellschaftlichen Schicht:
–
Reservierte Sitze: Bei den reservierten Sitzen kommen folgende Techniken zum
Einsatz:
- Abstimmung auf zwei getrennten Wahlzetteln, eine für Frauen und eine offene für Männer und Frauen, wie zum Beispiel in Afghanistan und Ruanda
- Entsprechend dem allgemeinen Wahlergebnis werden den Parteien weitere
Frauensitze zugesprochen, die von ihnen besetzt werden, wie zum Beispiel
in Tansania, Bangladesch und Pakistan
- Benennung der Frauen für die reservierten Sitze durch den Präsidenten, wie
zum Beispiel in Kenia
–
Vorschriften für die Besetzung von Wahlkreisen oder Kandidatenlisten. In den
Wahlgesetzen gibt es eine Vielzahl von Vorschriften, wie die Präsenz von Frauen
erhöht werden kann.
- Vorschrift, welcher Anteil von Frauen auf einer Kandidatenlisten sein müssen
ohne Angabe des verlangten Listenplatzes
- Vorschrift, welchen Anteil von Frauen in einer bestimmten Reihenfolge eine
Liste für die Verhältniswahl haben muss, wie zum Beispiel mmf, mmf …, der
mfm, mfm … oder mf, mf, mf ….
- In Mehrkandidatenwahlkreisen Vorschriften, wie viele Frauen hier zu wählen
sind und Bevorzugung der Frauen mit den höchsten Stimmenanteilen vor
männlichen Kandidaten mit möglicherweise deutlich mehr Stimmen, wie in
Jordanien
- In Mexico gibt es die Vorschrift, dass 40 % der Kandidaten Frauen sein müssen,
jedoch sind die Parteien ausgenommen, die ihre Kandidaten in Vorwahlen
demokratisch nominieren.147
–
Freiwillige Parteiquoten
- In den meisten Fällen und gerade in Europa gibt es bei vielen Parteien Satzungsvorschriften, die eine Frauenförderung und Quoten für Kandidatenlisten
147 Baldez, Lisa (2007), „Primaries vs. Quotas: Gender and Candidate Nominations in Mexico,
2003“, Latin American Politics and Society, Vol. 49, No 3, pp. 69-96
0OLITISCHE3TRATEGIEN
sowohl für interne wie auch für öffentliche Wahlen vorschreiben. In den
Wahlgesetzen gibt es diese Vorschriften in den meisten Fällen nicht.
26.3 Wahlberechtigung
Die Wahlberechtigung ist Grundlage für die Durchführung einer jeden Wahl. Jede
Manipulation an der Wahlberechtigung hat ihre besonderen Gründe und Auswirkungen. Daher wird sehr oft der Versuch gemacht mit Hilfe der Änderung der
Wahlberechtigung veränderte Mehrheiten in den Ländern zu schaffen. Zunächst
einmal sollte die Bedingung herrschen, dass es ein allgemeines Wahlrecht gibt.
Das bedeutet, dass unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sprache, Einkommen oder
Besitz, Beruf, Stand oder Klasse, Bildung, Konfession oder politischer Überzeugung
alle Staatsbürger stimmberechtigt sind, die einige unerlässliche Voraussetzungen
erfüllen. Dazu gehört ein bestimmtes Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnsitznahme,
Besitz der geistigen Kräfte, voll rechtliche Handlungsfähigkeit. Aber genau hier
setzen viele Manipulationen an.
In Deutschland ist zweimal das Wahlalter gesenkt worden. Einmal 1971 von
21 auf 18 Jahre und in 1998 bei Kommunalwahlen von 18 Jahren auf 16 Jahre. Die
Erweiterung in jüngere Jahrgänge hat auch politische Hintergründe, die mit dem
Versuch zusammenhängen, Mehrheiten für ein bestimmtes Lager zu schaffen.
Eine Diskussion, die immer wieder geführt wird, ist die Diskussion um Analphabetismus. Hier sind natürlich mit Recht Zweifel angebracht, ob Wähler, die nicht
lesen können, mit komplizierten Wahlzetteln umgehen können. Aufgabe des Staates
ist es allerdings, solche Vorkehrungen auf Wahlzetteln zu treffen, dass auch Analphabeten aufgrund von Bildern und Symbolen zweifelsfrei erkennen können, um
welche Partei oder um welchen Kandidaten es sich handelt. Das Wahlrecht sollte
also auch die Fähigkeit der Wahlberechtigten berücksichtigen.
Die Einschränkung der Wahlberechtigung für bestimmte ethnische Gruppen,
für bestimmte Religionen und in Ausnahmefällen auch noch abhängig vom Geschlecht sind verbreitete Einschränkungen in vielen Ländern. Besonders kritisch sind
Entscheidungen über nationale Minderheiten, die vom Wahlrecht ausgeschlossen
sind.
Dazu gehören zum Beispiel Russen, die nicht die Nationalität in den baltischen
Ländern haben. Dazu gehören indigene Bevölkerungsteile in Mittelamerika.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Andererseits sprechen einige Wahlsysteme den Exilbürgern eines Landes das
Wahlrecht zu, während andere ihnen das Wahlrecht nicht geben.
26.3.1 Wahlregister
In einer Vielzahl von Ländern müssen sich die Bürger in Wahlregister eintragen
lassen, bevor sie zur Wahl gehen können. Die Eintragung in die Wahlregister ist
teilweise ein sehr bürokratischer Akt, der als Voraussetzung den Besitz von gültigen Ausweispapieren hat. Das ist in vielen Bevölkerungsgruppen – besonders in
den marginalisierten – nicht der Fall. Solche Gruppen werden dadurch entweder
vom Wahlrecht ausgeschlossen oder es wird ihnen sehr schwer gemacht, den Einschreibungsprozess zu vollziehen. Dabei spielen Drohungen der Bürokratie und
bestimmter Parteien eine wichtige Rolle. Die Opposition schafft es oftmals nicht,
ihre Unterstützer in die Wahlregister aufzunehmen, weil zu viel Schwierigkeiten
und Angst vorhanden sind.
Sind die Wähler aber weitestgehend in den Wahlregistern enthalten, beginnt
eine zweite Form der Wahlmanipulation und der Wahlfälschung. Denn es werden
nunmehr bestimmte Personen wiederum aus dem Wahlregister entfernt, anderen
Wahllokalen zugewiesen und wiederum erhalten Tote das Wahlrecht, das von Lebenden wahrgenommen wird, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen.
26.3.2 Schneidung der Wahlkreise
Eine berühmte Form der Wahlmanipulation bietet das Schneiden von Wahlkreisen.
Durch die Anlage der Wahlkreise kann nämlich für klare Mehrheiten im Wahlkreis
zugunsten von bestimmten Kandidaten oder Parteien gesorgt werden. Will man
einem dort gewählten Abgeordneten bei der nächsten Wahl das Mandat nehmen,
so schneidet man den Wahlkreis so, dass Siedlungsgebiete hinzugefügt werden, die
die eigene Position stärken und Siedlungsgebiete anderen Wahlkreisen zugeschlagen werden, die wiederum nicht günstig für die eigene Position sind. Voraussetzung dafür ist allerdings die exekutive Möglichkeit diese Wahlkreisschneidungen
in diesem Sinne zu beeinflussen. Man nennt diese Form der Wahlkreisschneidung
„Gerrymandering”.
Der Name stammt von Elbridge Gerry, der als Gouverneur von
von Massachusetts
Massachusetts
dass
er wiedergewählt
werden
konnte.
DieseDiese
Tat
in 1811,
1811, die
dieWahlkreise
Wahlkreisesososchnitt,
schnitt,
dass
er wiedergewählt
werden
konnte.
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Karriere
aber nicht
beendet.
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politische
Karriere
aber nicht
beendet.
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Vizepräsident
der Vereinigten
Staaten. Staaten.
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Tode
in 1814 Vizepräsident
der Vereinigten
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Gerrymandering eignet sich vor allem in Einmann-Wahlkreisen mit Mehrheitswahl. Bei Systemen mit übertragbarer Einzelstimme sind solche Manipulationen
sehr viel schwerer durchzuführen.
26.3.3 Kandidaturen
Eine bekannte Form der Manipulation über Kandidaturen ist die Aufstellung von
Pseudokandidaten, die nur dazu dienen, dem Gegenkandidaten Stimmen wegzunehmen.
Beispiel: In einem Einmannwahlkreise ist erwarten, dass die Stimmverteilung
zwischen den Kandidaten A und B so aussieht, dass A 10.000 Stimmen erhalten wird
und B 7.000 Stimmen. Wenn nun B dafür sorgt, dass ein Kandidat A1 auftritt, der mit
sehr ähnlichen Angeboten arbeitet, wie A, könnte sich das Ergebnis wie folgt verändern: A erhält 6.000, A1 erhält 4.000 Stimmen und B erhält 7.000 Stimmen. Damit
wäre B gewählt, ohne dass er eine einzige weitere Stimmen gewonnen hätte.
Die Aufstellung von Kandidaten und die Bedingungen für Kandidaturen können
also stark das Ergebnis der Wahl beeinflussen. Daher gibt es immer wieder Versuche, Restriktionen für Kandidaturen einzuführen. Die brutalste Form ist dabei das
Verbot einer Partei, um sie von der Wahl auszuschließen. Andere Formen sind Regelungen, die die Kandidatur an bestimmte Vorschriften binden, zum Beispiel über
das Geschlecht, das Alter, den Wohnort, Dauer des Aufenthaltes im Wahlkreis, die
Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion oder Nation. Eine weitere Methode besteht
darin, für eine Kandidatur eine große Summe Geldes als Deposit zu verlangen, die
von vielen Kandidaten oder Parteien nicht aufgebracht werden kann.
26.4 Monitoring
Es ist notwendig, dass jeder Schritt in der Vorbereitung und Durchführung der
Wahlen genauestens überprüft wird. Dazu muss vor allem die Opposition Zugang
zu den Gremien haben, die über wichtige Wahlvorbereitungsschritte entscheiden
und sie müssen die Möglichkeit haben, alle Prozesse nachzuvollziehen.
Viel zu oft glaubt man, dass das Überwachen des Wahlprozesses nur in den letzten Tagen vor der Wahl wichtig ist. Das ist ein Irrtum. Wie schon oben gezeigt kann
durch Manipulationen am Wahlregister, am Wahlrecht, bei der Wahlkreisschneidung
usw. die Grundlage für einen Wahlsieg oder eine Niederlage gelegt werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ein erfolgreiches Monitoring muss in der Lage sein, folgende Fragen schlüssig
zu beantworten:
1. Wie ist das Wahlrecht zustande gekommen?
2. Gibt es Diskriminierungen im Wahlrecht?
3. Wie sicher ist das Wahlregister?
4. Gab es Zwischenfälle bei der Registrierung als Wähler?
5. Gab es Diskriminierungen bei der Aufstellung von Kandidaten und Parteien?
6. Welche Parteien sind verboten und aus welchen Gründen?
7. Welche Parteien sind nicht zur Wahl zugelassen und aus welchen Gründen?
8. Ist das Wahlsystem und das Wahlrecht für die Bevölkerung verständlich?
9. Gibt es Auflagen für die Durchführung des Wahlkampfes, welche sind es und
wie ist die Chancengleichheit dadurch gefährdet?
10. Wieviel Zeit steht für die Vorbereitung von Kandidaturen zur Verfügung?
11. Wieviel Zeit steht für den Wahlkampf zur Verfügung?
12. Gibt es den Zugang zu den Medien oder ist hier die Chancengleichheit nicht
gewahrt?
13. Können sich Kandidaten freizügig im Wahlgebiet bewegen?
14. Wer organisiert die Gestaltung, den Druck, die Herstellung und den Vertrieb
von Wahlzetteln?
15. Ist die Leitung der Wahllokale geregelt?
16. Sind die Wahlboxen versiegelt und leer?
17. Ist der Ablauf in den Wahllokalen repressionsfrei, ist die geheime Stimmabgabe
gewährleistet?
18. Gibt es in den Wahllokalen oder an den Wahltischen Agenten der verschiedenen
teilnehmenden Parteien?
19. Müssen sich die Wähler identifizieren, bevor sie ihre Wahlunterlagen bekommen?
20. Gibt es Gewaltandrohungen oder Erpressungen gegenüber den Wahlvorständen?
21. Findet das Auszählen der Stimmen öffentlich statt?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
22. Werden die Ergebnisse ordnungsgemäß dokumentiert und entsprechend der
Planung weitergeleitet?
23. Wo verbleiben die ausgezählten Stimmzettel?
24. Ist sichergestellt, dass bei Auszählungspausen kein Zugang zu den Wahlboxen
oder Stimmzetteln für Nichtberechtigte besteht?
25. Ist sichergestellt, dass die Computersysteme zur Erfassung der Ergebnisse nicht
manipuliert sind?
26. Ist ein paralleles Erfassungssystem der Wahlkreisergebnisse durch das Monitoring durchgeführt worden und entsprechen die erfassten Ergebnisse in etwa
den veröffentlichten Ergebnissen?
0OLITISCHE3TRATEGIEN
!NHANG
1.
Strategien gegen Fundamentalismus
1.1.
Fundamentalismus148 – Was ist das?
Begriff Fundamentalismus
Fundamentalismusgewinnt
hat über
seiner
religiösen und
Der Begriff
erstdie
seitGrenzlinien
kurzem über
die Grenzlinien
seiseiner
nichtreligiösen
Deutung
hinweg eine
festumrissene
Bedeutung
gewonnen
ner
religiösen
und seiner
nichtreligiösen
Deutung
hinweg eine
festumrissene
Beund wirdund
dabei
meist
alsmeist
Strukturbegriff
verwendet,
der eineder
willkürliche
Selbstdeutung
wird
dabei
als Strukturbegriff
verwendet,
eine willkürliche
abschließung von Denkund Handlungssystemen
gegen
KritikKritik
und und
Alternativen
Selbstabschließung
von Denkund Handlungssystemen
gegen
Alternabezeichnet.
Mittlerweise
steht
Fundamentalismus
für
theoretische
Orientierung
tiven bezeichnet. Mittlerweise steht Fundamentalismus für theoretische Orienund praktische
Organisationsformen
eines umfassenden
kulturellen
und politierung
und praktische
Organisationsformen
eines umfassenden
kulturellen
und
tischen Antimodernismus.
Dabei
gibt
es esStreit
politischen
Antimodernismus.
Dabei
gibt
Streitdarüber,
darüber,obobder
der Begriff
Begriff auf
auf die
religiösen Ausprägungen des Antimodernismus beschränkt bleiben oder auch auf
Bereiche ausgedehnt
ausgedehnt werden
werden soll.
soll.
andere Bereiche
Im klassischen Sinne ist Fundamentalismus eine Gegenbewegung gegen die
Aufklärung und die pluralistische Gesellschaft, gegen die Zumutung des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der Begründungspflicht, der Unsicherheit und
der Offenheit. Statt dessen bietet er die Sicherheit und Geschlossenheit absoluter
Fundamente. Vor ihnen soll alles andere – inklusive der Menschenrechte – relativ
werden, damit die Fundamente selbst der Relativierung entzogen bleiben. Wer sich
nicht auf ihren Boden stellen will, verdient keine Rücksicht für seine abweichenden
Argumente, Zweifel, Interessen und Rechte.
Der Fundamentalismus wird zumeist festgemacht an seiner religiösen Orientierung. Es wird unterschieden nach islamischem, christlichem, buddhistischem, Sikh,
jüdischem, hinduistischem und schintoistischem Fundamentalismus.
Aber nicht nur diese Formen des Fundamentalismus existieren, in Wirklichkeit
gibt es viel weitergehende Formen, die eben in bestimmten Kulturen auch einen
rein ethnischen Hintergrund haben können.
In der heutigen Diskussion liegt die Konzentration meist auf dem islamischen
Fundamentalismus, was allerdings aus zweierlei Gründen falsch ist. Erstens weil
damit viele andere Arten des Fundamentalismus anderer Religionen und Ethnien
148 Grundlegende Informationen über den Fundamentalismus liefert das fünfbändige Werk „The
fundamentalism project” herausgegeben von Martin E. Marty und R. Scott Appleby erschienen
bei The University of Chicago Press, Ltd., London.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
unerwähnt bleiben, obwohl sie für die Region ähnliche Auswirkungen haben und
weil zweitens der islamische Fundamentalismus nicht nur in einer Form auftritt,
sondern vielfältige Facetten hat, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen.
1.2
Historische Entwicklung
1.2.1 Geschichte
Das Wort Fundamentalismus tritt zuerst im Zusammenhang mit einer religiösen
Schriftenreihe in Erscheinung, die in den Jahren 1910-15 unter dem Titel „The fundamentals” in den USA erschien. Sie trug den Untertitel „A testimony to truth”(„Ein
Zeugnis der Wahrheit”). 1919 gründeten die protestantischen Christen, die die Reihe
herausgegeben hatten, eine weltweit tätige Organisation, die „World‘s Christian
Fundamentals Association”. Damit war die Bezeichnung für diese Art christlicher
Gläubigkeit geboren und hat sich sowohl im allgemeinen wie im wissenschaftlichen
Sprachgebrauch rasch durchgesetzt. Erst in jüngerer Zeit wurde sie dann auf vergleichbare Erscheinungen in anderen Religionen und schließlich auch auf gleichartige Organisations- und Orientierungsformen nichtreligiöser Art übertragen, die
ihrerseits auf Iängere Traditionen zurückblicken.
Es sind vor allem vier unverrückbare „Grundwahrheiten” („fundamentals”), die
diese Bewegungen charakterisierten:
1. die buchstäbliche Unfehlbarkeit einer „wahren” Botschaft wie Bibel, Koran,
Veden, Adi Granth usw. und die unbeirrbare Gewissheit, dass die „wahre” Botschaft keinen Irrtum enthalten könne,
2. die Nichtigkeit aller modernen Theologie und Wissenschaft, soweit sie der
„wahren” Botschaft widersprechen,
3. die Überzeugung, dass niemand, der vom fundamentalistischen Standpunkt
abweicht, ein wahrer Gläubiger sein könne, und
4. in der Praxis der Bewegung schärfer als in ihren Schriften die Überzeugung,
dass die moderne Trennung von Kirche und Staat immer dann zugunsten einer
religiösen Bestimmung des Politischen aufgehoben werden muss, wenn politische Regelungen mit fundamentalen religiösen Überzeugungen kollidieren.
In der Sache hat es den Fundamentalismus, lange vor der Prägung des Begriffs,
schon seit dem frühen 19. Jh. gegeben. Er entstand in Europa als Gegenbewegung
gegen den von I. Kant in der Philosophie eingeleiteten Modernismus in Religion
und Theologie. Die modernistischen Positionen, gegen die sich der protestantische
0OLITISCHE3TRATEGIEN
und alsbald auch der katholische Fundamentalismus wandten, verkörpern das Eindringen des Geistes der Aufklärung in Theologie und Religion und die Begrenzung
der Religion auf die Rolle des Garanten moralischer Motive.
Der Prozess der Modernisierung, der in großen, langsamen Schüben schon seit
dem 12. Jh. die Gesamtheit der abendländischen Kultur zu prägen begann, hatte
seit dem 18. Jh. die Säkularisierung vorangetrieben. Der religiöse Fundamentalismus
stellt den Versuch dar, die generalisierte Ungewissheit aller Erkenntnisansprüche
und die generelle Offenheit aller sozialen Systeme für Alternativen, die der Prozess
der Modernisierung mit sich brachte, mit willkürlichen Dogmatisierungen aus der
Religion fernzuhalten und bestimmte Fundamente künstlich gegen alle Zweifel
und Kritik zu immunisieren.
Die religionshistorischen Studien von H. Küng149 haben gezeigt, dass vergleichbare Prozesse der Modernisierung spätestens seit dem 19. Jh. in allen Weltreligionen
zu beobachten waren. Überall hat es als Reaktionsbildung auf diesen Öffnungsprozess die Erscheinung eines Fundamentalismus gegeben. Fundamentalismus ist
in dieser historischen Perspektive der Versuch, ein älteres Paradigma der Selbstauslegung einer Religion gegenüber allen jüngeren absolut verbindlich zu machen.
Jüngere wissenschaftliche Studien haben buddhistische, islamische, hinduistische,
konfuzianische, jüdische und andere Formen des Fundamentalismus als jeweilige
Reaktionsbildungen auf religionsimmanente Öffnungsbestrebungen beschrieben.
Die Erfolge des Fundamentalismus bei der Bekämpfung modernerer Deutungen
der jeweils eigenen religiös-kulturellen Traditionen sind in den einzelnen Kulturen
höchst unterschiedlich und historischen Schwankungen unterworfen. Der Kernpunkt ist stets die Trennung von Staat und Religion. Für den Fundamentalismus
als eine politische oder politisch fungierende Ideologie ist immer ein bestimmter,
unterschiedlich weit gehender Anspruch auf die Einheit von Staat und Religion
kennzeichnend.
149 Schweizer katholischer Priester und Autor. Küng gilt als einer der bekanntesten und umstrittensten katholischen Kirchenkritiker. 1979 wurde ihm wegen kritischer Veröffentlichungen die
kirchliche Lehrbefugnis entzogen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1.2.2
Erklärungsansätzefür
fürden
denFundamentalismus
Fundamentalismus
1.2.2. Erklärungsansätze
Erklärungsansätze für das Aufkommen und die Verbreitungschancen von religiösen
und nichtreligiösen Fundamentalismus können auf unterschiedlichen Ebenen gesucht und gefunden werden.
Auf psychologischer Ebene können Motive gefunden werden, wenn Fundamentalismus als die Zuflucht zu absoluten Gewissheiten unter den modernen Bedingungen der Ungewissheit gilt. Die Gründe liegen in der Unfähigkeit des Aushaltens
offener und mehrdeutiger Situationen.
Auf sozialer Ebene liegen Motive, wenn es darum geht, soziale Identität in einer pluralistischen Gesellschaft zu sichern.
Auf politischer Ebene liegen Motive, wenn eine mangelnde Bereitschaft vorliegt,
sich mit dem politischen Relativismus der Demokratie zu arrangieren.
Auf anthropologischer Ebene gibt es Motive, wenn man davon ausgeht, dass
der Mensch ohne einen Grundbestand letzter Gewissheiten nicht existieren kann.
Fundamentalismus stellt kein Problem dar, wenn es um den Versuch einzelner
und von Gruppen geht, selbst Gewissheit zu erlangen. Zum Problem wird Fundamentalismus dann, wenn die Gewissheit für die Gruppe erst dann als Sicherheit
empfunden wird, wenn sie für alle gilt und wenn sie zwangsweise aufgenötigt
werden kann.
Zur Ausbildung und zum Erfolg kommen fundamentalistische Bewegungen immer nur dann, wenn bestimmte Bedingungen herrschen und bestimmte Ereignisse
eintreten. Das bedeutet, dass die massenhafte Entwicklung von fundamentalistischer
Unterstützung von Rahmenbedingungen und vom Zufall abhängen.
Die Rahmenbedingungen sind:
–
Brüchigwerden eingelebter soziokultureller Identitäten und Orientierung
Dazu gehört, dass die staatliche Ordnung in Zweifel gezogen wird, weil zunehmend Konflikte ausbrechen, die unbefriedigend für große Gruppen gelöst
werden und dass das staatliche System mit seinen handelnden Personen nicht
mehr glaubwürdig ist (Verlust der Autorität der politischen Kaste, Korruption,
Bruch mit traditionellem Verhalten usw.).
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Erfahrung oder Drohung sozialer Unsicherheiten
Dazu gehört, dass politische und wirtschaftliche Trends negative Wirkungen
zeigen, soziale Spannungen auftreten und untere und mittlere Schichten wirtschaftliche und soziale Unsicherheit erfahren oder erwarten.
–
Ein in der gegebenen Situation glaubwürdiges Angebot fundamentalistischer
Organisation, Rhetorik und Führung.
–
Dazu gehört, die „wahre” Botschaft (Bibel, Koran, Veden usw.), ein „Bote”, der
die Wahrheit lebt (Prophet, Guru, Erleuchteter, Lehrer) oder ein charismatischer
Führer, eine Gemeinde und die Abgrenzung der Gemeinde nach außen, die Bestimmung, wie Himmel, Dar-ul-Islam, Promised Land, klassenlose Gesellschaft,
Weltherrschaft und das „Böse” außerhalb der Gemeinde, die „Anderen”, die
andere Religion, die Kolonialherren, die anderen Ethnien oder Nationen.
1.3
Was ist die Kritik der Fundamentalisten an vielen Staaten?
Die zentrale Kritik beginnt an der Trennung zwischen einer privaten und einer
öffentlichen Sphäre, wie moderne, westliche Industriestaaten ihre Gesellschaft
organisieren. Gegen diesen westlichen und verderblichen Einfluss stellen sich die
religiösen Fundamentalisten und verlangen die Aufhebung dieser für sie künstlichen und willkürlichen Trennung. Die Trennung zwischen öffentlicher und privater
Sphäre wird in Rechtsstaaten aufrechterhalten durch das Konzept der Freiheit. In
verfassten Demokratien ist dieses Konzept Teil der Verfassung. Bei der Gewährung
von Bürgerfreiheiten garantiert die Verfassung, dass die Regierung nicht in die privaten Belange der Bürger eingreift und dazu gehört vor allem die Glaubensfreiheit
und das Bestehen von unterschiedlichen Wertvorstellungen nebeneinander, also
die pluralistische Gesellschaft. Das schafft eine saubere Trennung. Religion ist Privatsache, die öffentliche Sphäre ist säkular.
Die Kombination der Kräfte des Marktes und des Nationalstaates führt zu einer Organisation von Gesellschaften, die große Zahlen von Menschen umfasst, die
in einem mehr oder weniger klar definierten Territorium leben. Die Bürger einer
solchen Gesellschaft sind zusammengebunden durch ökonomische Verbindungen
und durch Patriotismus und sie sind in kleineren Gruppen auch zusammengehalten
durch Verbindungen über Freundschaft, Verwandtschaft und Religion. Je mehr die
intimen Verbindungen über Freiheitsregeln geschützt werden, um so mehr ist das
private Leben vom staatlichen getrennt. Diese Form der Gesellschaft, die sich in der
Welt nach der Abschaffung von Kolonialismus und besonders nach dem zweiten
Weltkrieg immer weiter verbreitet hat, ist für die religiösen Fundamentalisten – in
einigen Fällen auch für ethnische Fundamentalisten – nicht akzeptabel.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
1.4
Was kritisieren die Fundamentalisten an der Wirtschaft?
Fundamentalistische Wirtschaftsvorstellungen sind weitestgehend eine Reaktion
auf die empfundenen Ungerechtigkeiten des ökonomischen Systems und seine Veränderungen, ausgelöst durch die industrielle Revolution, die Ausdehnung der säkularen Regierungen und die Informationsrevolution. Die Wahrnehmung ist gleich,
in reichen wie in armen Gesellschaften, dass nämlich die Modernisierung die Individuen korrumpiert hat, Gemeinschaften auseinandergerissen hat, das menschliche Wissen aufgesplittert hat und die brüderliche Atmosphäre der vormodernen
Wirtschaft durch entweder unmenschlichen Wettbewerb auf dem Markt oder den
bitteren Wettbewerb um öffentliche Ressourcen ersetzt hat.
Die ökonomische Kritik der Fundamentalisten am wirtschaftlichen System basiert nicht auf einheitlichen Zielvorstellungen. So sind die fundamentalistischen
Wirtschaftsvorstellungen grundsätzlich unterschiedlich und finden keinen gemeinsamen Nenner.
Hindu-Wirtschaft ist von dem Wunsch getrieben, Indiens traditionell geschlossene und stark gegen ausländischen Wettbewerb geschützte Wirtschaft so zu erhalten und sich nicht zu öffnen. Diese Politik dient den Interessen der Ladenbesitzer
und Unternehmer, aber sie verletzt die Interessen der Masse der Verbraucher.
Islamische Wirtschaft ist eine Komponente eines breiten Widerstandes mit dem
Ziel, die Vorherrschaft des westlichen Denkens zu brechen und der Wiederherstellung
des Überlegenheitsgefühl der islamischen Gemeinschaft. Viele Beiträge der letzten Zeit in der islamischen Wirtschaft verdecken diese elementare Motivation und
schaffen den Eindruck, es ginge einfach um mehr Gerechtigkeit und Effizienz.
Buddhistische Wirtschaft gibt einer Menge von Bedingungen den Vorrang, die
den sozio-ökonomischen Status der buddhistischen Mönche absichert. Das ausgesprochene Ziel ist edler, es geht um die Befreiung des Individuums von den Fesseln
des Materialismus.
Protestantisch christliche Wirtschaft unterscheidet sich von libertärer Wirtschaft. Die Kritik richtet sich nicht absolut gegen jede Regierung, sondern gegen
die nicht-christliche Regierung.
Obwohl alle fundamentalistischen Wirtschaftsvorstellungen unterschiedliche
Ziele verfolgen, so sind sie sich in der Kritik am weltwirtschaftlichen System einig.
Alle glauben, dass die Krankheit der modernen Zivilisation in moralischer Degene
0OLITISCHE3TRATEGIEN
rierung begründet ist. Unreligiöse Regierungen und säkulare Erziehung haben den
Egoismus ungezähmt gelassen und die edlen Instinkte entkultiviert.
Fundamentalistische Wirtschaftsvorstellungen fordern die Menschen dazu auf,
das soziale Interesse in ihre wirtschaftlichen Überlegungen aufzunehmen, das heißt
die Wirtschaft mit einer moralischen Komponente zu versehen.
1.5
Was wollen die politisch aktiven Fundamentalisten?
Im wesentlichen geht des den politischen Aktivisten um drei Bereiche, die man kurz
mit „Auszug”, „Einheit” und „Zwang” beschreiben kann.
1.5.1 Auszug
Auszug bedeutet, dass die Fundamentalisten verlangen, dass sich ihre Gruppe –
wenn gewünscht – aus der Gesamtgesellschaft herauslösen kann und sich keinen
gesellschaftlichen Normen unterwerfen muss. Dieser „Auszug” ist eine attraktive
Option aus mehreren Gründen. Wenn die Fundamentalisten den Einwand gegen ein
soziales System erheben, dass das Leben künstlich in einen privaten und öffentlichen Bereich unterteilt, so ist es für sie besser, dieses soziale System zu verlassen.
Sie wollen daher lieber in einem kleineren, aber homogeneren System leben. Die
Abkopplung von der Gesellschaft kann in mehreren unterschiedlichen Formen geschehen. Extreme und weniger extreme Formen werden dabei angewandt.
Das Extremste ist die Bildung eines neuen Staates. Das ist z.B. das, was die Sikhs
im Punjab wollen oder die Tamilen in Sri Lanka. Der Lehrer Tara Singh formulierte
es wie folgt: Die Hindus bekamen Hindustan, die Moslems bekamen Pakistan, was
bekommen die Sikhs?
Diese Formen des Auszugs haben letztendlich einen Sezessionsgedanken in sich,
der sich mit der Idee des Nationalstaats nicht verträgt. Religiöse Dissidenten können heute eben nicht mehr einen neues Staat gründen, wie die Pilgerväter, sondern
müssen ihr Land mit sich nehmen, wie die Sikhs den Punjab von Indien wegnehmen
wollen. Dabei ist klar, dass Sezession als eine Lösung religiöser Konflikte – aber auch
so mancher ethnischer Konflikte – ein Rezept zum Bürgerkrieg ist.
Weit weniger radikal ist die Ausbildung einer Enklave innerhalb einer säkularen Gesellschaft. Das haben zum Beispiel die Amish in Amerika gemacht und die
Haredim (ultraorthodoxe Juden) in Israel.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Aber auch Enklaven sind unpopulär aus mehreren Gründen. Entwickelte Gesellschaften versorgen ihre Bürger mit einer Menge von öffentlichen Gütern, wie
nationale Verteidigung, Straßen, Schulen und sogar das Regierungssystem. Ausgezogene wie die Amish oder die Haredim wehren sich dagegen, bestimmte Beiträge
zu leisten, obwohl sie von den Vorteilen der Gesellschaft profitieren. So lehnen die
Haredim es ab, in der Israelischen Armee zu dienen, obwohl sie deren Schutz in
Anspruch nehmen. So bezahlen die Amish keine Sozialabgaben und dienen nicht
in öffentlichen Ämtern. Diese Situation bringt gesellschaftliche Spannungen mit
sich, die politisch nicht immer bewältigt werden können. Solche Enklaven können
nur in liberalen Demokratien überleben, wo ihnen die Toleranz der Gesellschaft eine
Überlebenschance gibt. Und so trägt gerade der Liberalismus oft dazu bei, dass sich
der Feind der pluralistischen Gesellschaft etablieren und entwickeln kann.
Noch weniger radikal ist die einfache geographische Konzentration und Isolation. Das geht zumeist aber nur in großen Staaten, wie den USA, die nach föderalen Grundsätzen regiert werden. So werden sehr oft mehr föderale Strukturen
verlangt, die es bestimmten Religionen ermöglichen sollen sich zu akklimatisieren,
wie zum Beispiel die Forderung nach mehr Föderalismus in Nigeria zeigt, um den
Moslems mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Auch wenn die Gesellschaft
diesem geographischen Isolationismus nicht negativ gegenübersteht, so sind solche
Gebiete doch Hemmnisse auf dem Weg der Entwicklung mit mehr Freiheit in der
Kommunikation und Transporttechnologie. Diese Entwicklungen durchbrechen die
Barrieren und zwangsintegrieren die widerstrebende Gruppe.
1.5.2 Einheit
Die Alternative zum Auszug ist die Einheit, also der Kampf für die Überwindung der
Trennung von privater und öffentlicher Sphäre. Die Verfechter der Einheit kämpfen
für die Aufgabe der nach ihrer Meinung künstlichen und schädlichen Trennung der
persönlichen und öffentlichen Sphäre und wollen eher das System verändern als
auszuziehen. Dabei scheinen sie um so mehr zu kämpfen, je mehr sie verlieren, oder
anders ausgedrückt, sie schrauben ihre Forderungen in die Höhe je mehr Pluralität
sie in der Gesellschaft sehen. So versuchen sie Elemente der Religion in die öffentliche Sphäre zurückzubringen. Ein Beispiel dafür ist die Rückkehr des Schulgebetes
in die öffentlichen Schulen Amerikas.
Auch die Haredim sind in Israel immer stärker politisch tätig, auch wenn es dabei
nicht so sehr um die Ausbreitung ihrer religiösen Vorstellungen geht als vielmehr
um den Erhalt des bisher erreichten, was sie als gefährdet ansehen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ganz anders ist die Sache im Iran. Als die Muslime im Iran in der Schah-Zeit
das Gefühl bekamen, dass ihr traditioneller Weg gefährdet sei, fingen sie an sich zu
wehren. Aber ihr Plan war viel radikaler und gelang bis zu einem bestimmten Grad.
Sie bildeten eine islamische Regierung, die nach den Vorstellungen von Khomeini
durch die Einführung des islamischen Rechts geschaffen wurde.
1.5.3 Zwang
Neben der Forderung nach „Auszug” und „Einheit” gibt es auch die Forderung nach
„Zwang”. Das bedeutet, die Abschaffung der religiösen Freiheit und die zwangsweise
Integration Andersgläubiger oder deren gesellschaftlicher Ächtung. Dieses ist eigentlich die extremste Forderung. Es ist in einer Gesellschaft möglich eine offizielle
Religion zu etablieren, die auch Einfluss auf öffentliche Angelegenheiten nimmt,
aber trotzdem dem Individuum zu erlauben, sich privat anders zu entscheiden und
einer anderen Glaubensrichtung anzugehören. Aber genau dieses wollen die Fundamentalisten nicht akzeptieren, wenn sie den „Zwang” fordern. Als Beispiel kann
das Verhalten gegenüber den Baha’is im Iran gelten. Ihr Glaube wurde zu einer Art
Abfall von der rechten Lehre des Islam erklärt und mit der Todesstrafe belegt. Ein
anderer Fall ist die Kampagne gegenüber der Ahmadi Minderheit in Pakistan. Ein
Gesetz aus dem Jahr 1984 verbot ihnen „sich Muslime zu nennen oder ihre Religion Islam, islamische Terminologie zu verwenden, den Gebetsruf anzuwenden usw.”
Eine Gesetzgebung dieser Art ist die letzte Aufhebung einer Trennung von Religion
und Staat. Sie bringt nicht nur Religion ins öffentliche Leben, sondern eliminiert
die Privatsphäre total.
1.6
Entwicklungsstadien und Erscheinungsformen von
fundamentalistischen Bewegungen
1.6.1. Entwicklungsstadien
Der Fundamentalismus hat verschiedene Entwicklungsstadien, die jeweils von einer Gruppe von Rahmenbedingungen und internen Bedingungen abhängen.Dazu
gehören die wahrgenommenen Feinde, der strukturelle Zustand der Gesellschaft
und der innere Zustand der Bewegung.
Die wahrgenommenen Feinde
–
Die etablierte Religionen im Umfeld
–
Der säkulare Staat
0OLITISCHE3TRATEGIEN
– Die zivile Gesellschaft
– Der religiöse Wettbewerb
– Der ethnonationale Wettbewerb
– Imperialismus und Neo-Kolonialismus
Der strukturelle Zustand der Gesellschaft
–
Religion
Die Natur der Gastreligion, aus der der Fundamentalismus entsteht, ist der
wichtigste Bedingungsfaktor für die Erklärung von fundamentalistischen Bewegungen. Dabei spielt die Frage, ob es sich um eine hierarchische Religion,
wie die katholische Kirche oder eine semi-hierarchische, wie der schiitische
Islam oder um eine gemeindliche (Kongregation), wie bei den Protestanten
und den Sunni-Muslims oder um eine diffuse wie beim Hinduismus, Sikhismus
und Buddhismus handelt, eine sehr wichtige Rolle. Während die hierarchischen
und semihierarchischen kaum Möglichkeiten der Abspaltung von fundamentalistischen Gruppen geben, sind die kongregationalen und die diffusen sehr
viel anfälliger dafür.
–
Erziehung
Das säkulare Erziehungssystem und Kommunikationsmedien sind bei ihrer
Verbreitung von Wissen und Information eine ständige Bedrohung der Religion.
Deshalb wird aus Abwehr aber später auch zur Nutzung dieser Instrumente
Einfluss auf Schule und Medien genommen und versucht, die Erziehung und
Information in die Hand zu bekommen.
–
Kommunikation
Kommunikation (Zeitungen, Massenmedien, Filme, Fernsehen usw.) haben
unterschiedlich Funktionen gegenüber fundamentalistischen Bewegungen.
Zunächst führt freier Umgang mit Medien zu einer erweiterten Information
und gefährdet damit moralische Standards und religiösen Glaubensinhalte und
Praktiken. In späteren Generationen können dann die Führer des Fundamentalismus die Medien nutzen (Teleevangelisation), Datenbanknutzung für Direct
Mail, der Gebrauch von Toncassetten für die Mission, die Nutzung von Internet
zeigen die genutzten Methoden in mehreren Ländern.
–
Zivile Gesellschaft
Das Vorhandensein starker ziviler Organisationen wie unabhängige Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Verbände und Vereine, unabhängige
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Kommunikationsmedien und politische Parteien sind geeignet, soziale Krisen
in säkularer Form zu lösen. Schwache oder nicht vorhandene zivile Organisationen führen zur Ausbildung von fundamentalistischen Gruppen. So darf nicht
übersehen werden, dass gerade in islamischen Ländern die zivile Gesellschaft
durch interventionistische Staaten immer wieder geschwächt wurden.
–
Soziale Struktur
Die soziale Struktur der Länder und deren innere Konflikte beeinflussen die
Möglichkeit fundamentalistische Gruppen zu bilden und sie militant zu machen. Ein typischer Fall ist die Sephardim-Aschkenazim Trennung in Israel, die
es Kahane möglich machte, eine fundamentalistische Gruppe aufzubauen.
–
Mobilität
Migration als Wanderung aus einem Gebiet kann dazu führen, dass die verbleibende Minderheit sich durch erhöhte Abgrenzung nach außen schützen will
und so fundamentalistische Züge annimmt. Migration in ein Gebiet kann auf
beiden Seiten zu fundamentalistischen Aktionen führen, weil sich zum Beispiel
die einwandernde Minderheit in einem für sie fremden Umfeld schützen und
Einfluss nehmen will, während die ansässige Bevölkerung sich von den Einwanderern bedroht fühlt und ihre Lebensart gegen Überfremdung und neue Werte
durch fundamentalistische Übergriffe schützt.
–
Ethnisch-linguistisch-regionale Struktur
Der historische Hintergrund der ethnisch-lingustischen und regionalen Komposition einer Gesellschaft hat große Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen
ethnischen und regionalen Gruppen. Die Unterordnung oder die Ausbeutung
einer ethnischen oder regionalen Gruppe durch die andere und historische
ethnische Spannungen lösen langfristig Groll aus. Gewalttätige Auseinandersetzungen tragen zur allgemeinen Aufmerksamkeit und Aktion bei. Deshalb
tragen militante religiöse Bewegungen und Auseinandersetzungen in einem
heterogenen Land sehr oft ethnische Anzeichen.
–
Wirtschaftliche Entwicklung
Fundamentalistische Kräfte werden vor allem bei den weniger Entwickelten, den
Ärmeren, den Ländlicheren, den weniger Gebildeten, den weniger „modernen”
Schichten der Gesellschaft gesucht und gefunden. Deshalb sind Depressionen,
Rezessionen, Inflation, Streiks und Arbeitslosigkeit der geeignete Nährboden
für das Aufkommen von fundamentalistischen Potentialen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
–
Legitimität der staatlichen Institutionen und Führung
Die Schwäche der Autorität des Staates und der Akzeptanz der Institutionen
und der politischen Führung stellt einen Angriffspunkt für fundamentalistische
Gruppen dar, der von ihnen unter Nutzung bestimmter anderer Zufallserscheinungen für ihre Ausbreitung gebraucht wird.
–
Internationale Einwirkungen
Die Auswirkungen des realen oder des mutmaßlichen westlichen Imperialismus
auf die Entstehung von Fundamentalismus kann nicht überschätzt werden.
Internationaler Handel und der säkulare Sektor von Wissenschaftsaustausch,
Technologietransfer, moderne Industrie und das Verhalten von IWF und Weltbank
erscheinen in vielen Ländern der Dritten Welt als ausbeuterische, kolonialistische
Aktionen der westlichen Mächte.
Der innere Zustand der Bewegung
–
Geschichtliche Erfahrungen
Die historischen Erfahrungen, die eine Gruppe gemacht hat, besonders Unterdrückung, Ausbeutung, Verfolgung aber auch und vor allem Einflussverlust
durch Entkolonialisierung oder Demokratisierung sind Bestimmungsgrößen, die
die Ausbildung fundamentalistischer Gruppen fördert.
–
Entwicklung
Der Grad der Militanz der Gruppen hängt zum großen Teil von ihrer Entwicklung und den dabei gemachten Erfahrungen ab. So werden je nach Erfolg oder
Misserfolg von Strategien andere mit entweder schwächeren oder stärkeren
Gewaltbereitschaften gesucht.
–
Organisation
Interne Organisationsstruktur, die innere Bindung und eine charismatische
Führung, Autorität und Verhalten sind wichtige Bestimmungsgrößen für die
Entwicklung von fundamentalistischen Gruppen.
–
Ideologische Orientierung
Millenarische Orientierung: Das Verhalten der fundamentalistischen Gruppen
wird stark geprägt durch Zeitvorstellungen der „Wahrheit”. Liegt das letzte Ziel
in messianischer Zeit, so kommt es auf den Zeitpunkt und die Bedingungen für
den Auftritts des Messias an (Prämillenarisch oder postmillenarisch). Liegt das
Ziel in historischer Zeit, so ist mit mehr Militanz zu rechnen.
Unfehlbarkeit: Dazu bedarf es einer „wahren” Botschaft, wie der Bibel, des Korans oder Hadit, der Veden oder des Adi Granth usw. und einer angenommenen
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Bestimmung, wie Himmel und Hölle, Dar-ul-Islam, Promised Land, klassenlose
Gesellschaft, auf Chauvinismus begründete Herrschaft über andere usw.
Abgrenzung: Das ist immer die Gemeinde in ihrer klaren Abgrenzung nach
außen. Ein offenes System der Organisation kann nicht gefunden werden, weil
damit die Gemeinde in ihrem Bestand gefährdet wäre. Abgrenzung zur bösen
Außenwelt, zu den „Anderen”, zu anderen Religionen, zu den Kolonialherren
oder Unterdrückern, zu anderen Ethnien oder den imperialen Mächten und
Nationen ist eine der wichtigsten ideologischen Instrumente.
Aus diesen Faktoren heraus entscheidet sich, welche Strategie die Bewegung
ergreift. Dabei können vier Strategien unterschieden werden, die in einigen Fällen
sequentiell und in anderen Fällen simultan verlaufen können.
1.7
Die Strategien der Fundamentalisten
Bei den Strategien handelt es sich um:
–
Die Welt-Entsager-Strategie
Welt-Entsager-Strategie
–
–
Die Welt-Schaffer-Strategie
Welt-Schaffer-Strategie
Die Welt-Veränderer-Strategie
Welt-Veränderer-Strategie
–
–DieDie
Welt-Eroberer-Strategie
Welt-Eroberer-Strategie
1.7.1 Die Welt-Entsager-Strategie
a. Die Selbstschutzstrategie
Die Weltentsager suchen Reinheit und Selbstschutz. Sie versuchen sich der
Welt zu entziehen und leben in einer von eigenen Normen gestalteten Welt.
Als solche stellen sie keine Bedrohung dar.
b. Die Überlebensnischenstrategie
Die Rolle des Weltentsagers wird oft von Gruppen eingenommen, wenn eine
andere weitergehende Strategie versagt hat oder die Gruppe eine Niederlage
erlitten hat. In diesem Fall muss mit einem Wiederaufleben der Gruppe nach
einer bestimmten Zeit gerechnet werden.
c. Die Verweigerungsstrategie
Die Weltentsagerstrategie kann aber auch von Gruppen, die dem Staat schaden wollen, genutzt werden. Sie verweigern die Einhaltung gesellschaftlicher
Verpflichtungen (Wehrdienst, Einhaltung von Gesundheitspflichten, Zahlung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
von Steuern usw.). Diese Verhaltensweisen kann zu nachhaltigen Konflikten in
der Gesamtgesellschaft führen und darf nicht unterschätzt werden.
1.7.2 Die Welt-Schaffer-Strategie
Ziel der Welt-Schaffer-Strategie ist der Aufbau von Enklaven. Sie steht im direkten
Wettbewerb mit der äußeren Welt. In der inneren Welt (Enklave) gelten die Normen
der „Wahrheit”. Die Welt-Schaffer-Strategie will also alternative und umfassende
soziale Strukturen und Institutionen (zunächst als Netzwerk) bilden. Die Enklaven
dienen als klare Alternative zur „gefallenen Welt” und sind als Instrument der Abgrenzung für die Bewegung überlebenswichtig.
Disziplin in der Enklave ist eine Vorbedingung für das Funktionieren, die Abgrenzung zur äußeren Welt die zweite Bedingung. Die Abgrenzung kann durch eine
geistige Gefangennahme geschehen, ist aber manchmal auch durch eine körperliche
Anwesenheitspflicht ausgedrückt.
Die Mission dient nicht zur Übertragung auf die gesamte äußere Welt, sondern
nur der Enklaven- und damit der Institutionenbildung.
1.7.3 Die Welt-Veränderer-Strategie
Die Welt-Veränderer-Strategie ist nach draußen gerichtet. Sie versucht Strukturen,
Institutionen, Gesetze und Praktiken der Gesellschaft neu zu interpretieren und so
zu beeinflussen. Damit wird es immer schwieriger gegen den Fundamentalismus
vorzugehen und so die Bedingungen für die Veränderung zu erschweren oder die Bedingungen für Marginalisierung der fundamentalistischen Gruppe zu verbessern.
Die Welt-Veränderer wenden eine gefälligere Strategie als die Welteroberer an,
verfolgen aber auch das Ziel, die Gesellschaft an ihren Vorstellungen auszurichten.
Sie lassen sich mehr Zeit, um ihr Ziel zu erreichen, sie nutzen die legalen Instrumente der Partizipation, und die legislativen, exekutiven und judikativen Kräfte und
Möglichkeiten und werden dabei oftmals von Liberalen und Pluralisten, gegen die
sich letztendlich die Aktivität richtet, unterstützt.
1.7.4 Die Welt-Eroberer-Strategie
Bei der Welt-Eroberer-Strategie geht es um die Übernahme der Kontrolle über die
Strukturen der Gesellschaft, die dem bisherigen Feind des Fundamentalismus das
Überleben gesichert haben. Nach der Übernahme stellen sie die nicht-pluralistische
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Gesellschaft her, die ihrer „Wahrheit” entspricht. Die Durchsetzung solcher WeltEroberer-Strategien ist zumeist militant und nutzt die Schwäche des Staates oder
seiner Führung aus.
1.8
Gegenstrategien
In Falle der Bekämpfung von fundamentalistischen Bewegungen ist es sinnvoll
möglichst frühzeitig aktiv zu werden und die Strategien der Fundamentalisten zu
unterlaufen oder diese anzugreifen. Dazu können vielfältige Maßnahmen ergriffen
werden, die den fundamentalistischen Gruppen den Nährboden entziehen.
Dazu gehört vor allem:
1. Die Förderung von „good governance”,
2. Die Bekämpfung von Korruption und Nepotismus usw.,
3. Die Verbesserung des Bildungssystems für die breite Bevölkerung,
4. Die Förderung der zivilen Gesellschaft in Form von Organisationen, wie Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen, Verbänden usw. und
5. Der Abbau innerer sozialer Konflikte.
Diese Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, präventiv die Entstehung von
fundamentalistischen Bewegungen zu unterlaufen. Haben sich jedoch fundamentalistische Gruppen schon gebildet oder sind sie im Aufbau und können die oben
erwähnten Maßnahmen – aus welchen Gründen auch immer – nicht schnell genug
oder überhaupt nicht eingeführt werden, sind andere Strategien anzuwenden, die
vor allem die von den Fundamentalisten angewandten Strategien angreifen. Dazu
ist zunächst die Analyse notwendig, in welcher Strategie sich die fundamentalistischen Gruppen zur Zeit befinden.
Gruppe ist im Welt-Entsager-Stadium
Hier muss zunächst untersucht werden, welche Bedeutung die Gruppe für die
Gefährdung des Pluralismus und die Ausübung der gesellschaftlichen Freiheiten hat.
Wenn sie in dieser Hinsicht unbedeutend ist, sollte keine direkte Aktion ergriffen
werden, weil das nur das Interesse an der Gruppe fördern würde und sie sich besser
abgrenzen kann. Das Verhalten der Gruppe sollte aber ständig überprüft werden,
damit Veränderungen wahrgenommen werden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ist die Gruppe jedoch bedeutend für den gesellschaftlichen Konsens, muss der
Staat die gesellschaftlichen Grundnormen konsequent durchsetzen. Darüber hinaus ist es zu empfehlen, die Bedeutung der Gruppe herunter zu spielen und sich
gegenüber der Gruppe als offen darzustellen.
Die beginnende Enklavenbildung muss konsequent gestört werden durch Diskriminierung der Führer auf der Basis der Gruppenprinzipen gegenüber den Mitgliedern, durch Offenheit gegenüber den Mitgliedern – also keine Ausgrenzung – und
durch Störung der inneren Organisationsstruktur.
Gruppe ist im Welt-Schaffer-Stadium
Hier geht es darum die fortschreitende Enklavenbildung zu verhindern. Prinzip
muss sein: Nichtverfolgung und Gleichbehandlung. Man darf sich auf keinen Fall
in die Rolle des Bösen drängen lassen und damit der Gruppe die Chance auf ein
Sonderimage in der Gesellschaft einzuräumen. Alles was die Abgrenzung erschwert
sollte genutzt werden. Dazu gehören vor allem ständige Integrationsangebote und
Unterlaufen der Feindbildentwicklung.
Weitere Strategien sind das Kopieren von Attraktionen, die Unterwanderung
der Gruppen und Störung von innen, Desinformationsstrategien sowie das Kopieren
von Enklaven zu Entwicklung von internem Misstrauen und Unsicherheit.
Gruppe ist im Welt-Veränderer-Stadium
Die beste Verhinderungsstrategie ist der rechtzeitige Abbau von Privilegien gesellschaftlicher Gruppen, wie Kirchen, Verbänden, Vereinen usw. Privilegien stellen
ja grundsätzlich Diskriminierungen für alle diejenigen dar, denen das Privileg nicht
eingeräumt ist.
Im Welt-Veränderer-Stadium versuchen die fundamentalistischen Gruppen nun
Anspruch auf Privilegien anderer Gruppen zu erheben, um so mit den Hinweis auf
Gleichberechtigung die Gesellschaft oder ihre Institutionen zu unterwandern. Dabei spielen Schulorganisationen, Einrichtungen des Bildungswesen, Einrichtungen
zur Kontrolle der Medien usw. eine besondere Rolle. Die Gruppen versuchen Einfluss auf allen möglichen Kanälen zu nehmen, sie nutzen die Instrumentarien der
Partizipation und die legislativen, exekutiven und judikativen Kräfte und werden
dabei oftmals besonders von Pluralisten unterstützt.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Um einen Gesamtangriff auf bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen zu verhindern, hilft Dezentralität mit geringem Regelungsumfang, Bildung von Einheiten
der Bürgergesellschaft usw.
Gruppe ist im Welt-Eroberer-Stadium
Bei der Gefährdung von Verfassungsnormen durch die Gruppen, bei Anwendung von Gewalt muss der Staat die staatlichen Machtmittel zur Zerschlagung der
Bewegung konsequent anwenden. Allerdings sollte vermieden werden, Märtyrer zu
schaffen, die Anlass für weitere Aktionen der Fundamentalisten sind.
Eine weitere erfolgversprechende Strategie ist es, frühzeitig durch Integration
und Vernetzung in regionalen und globalen Vereinigungen extreme Veränderungen
zu verhindern, weil im Zuge internationaler Solidarität aber auch übernationaler
Gerichtsbarkeit der Angriff auf die Verfassung zu Reaktionen anderer Länder und
regionaler Zusammenschlüsse führt.
Gruppe hat die Macht ergriffen
Wenn eine fundamentalistische Gruppe an die Macht gekommen ist, wie zum
Beispiel im Iran, Afganistan und anderen Ländern, ist für diejenigen, die gegen die
Macht der Fundamentalisten kämpfen wollen, die Anwendung der fundamentalistischen Strategien in anderer Richtung zu empfehlen. Sammlung der ähnlich
denkenden Menschen, Bildung von Enklaven, Vernetzung der Enklaven und Vorbereitung der Unterwanderung oder der Zerstörung staatlicher Gewalt, bis zur Wiedermachtergreifung.
Im Gegensatz zu den Strategien, die von Fundamentalisten angewandt werden, sind die Strategien der Demokraten für diese in einem von Fundamentalisten
regierten Land aber wesentlich gefährlicher und risikoreicher, weil sich die Aktiven
nicht auf Rechtsstaatlichkeit verlassen können.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3TRATEGIENGEGEN+ORRUPTION
2.1
Versuch einer Definition
Zunächst muss festgehalten werden, dass es keine allgemein verbindliche Definition von Korruption gibt und auch Gesellschaften mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen die Korruption unterschiedlich beschreiben. Was in einigen
Gesellschaften schon als klare Korruption gilt, gilt in anderen Gesellschaften als
eine notwendige und gesellschaftlich zwingend erforderliche Zahlung für eine
Gegenleistung.
In der Politikwissenschaft gilt im wesentlichen folgende Definition:
„Korruption ist der auf eigene oder fremde Veranlassung getätigte Missbrauch
einer Funktion in Verwaltung, Wirtschaft oder Politik zur Erlangung persönlicher
Vorteile, der zu einem materiellen oder immateriellen Schaden der Allgemeinheit,
eines Unternehmens oder eines Individuums führt.”
Ökonomen verwenden eine konkretere Definition:
„Korruption ist ein für die Beteiligten vorteilhafter Tausch (Leistung für Gegenleistung, materielle oder immaterielle Leistung), der heimlich und freiwillig geschieht,
gegen Normen verstößt und bei dem mindestens einer der beteiligten Personen eine
Macht- oder Vertrauensstellung bzw. eine ihm eingeräumte Befugnis im öffentlichen
oder privaten Bereich missbraucht.”
2.2
Es gibt Faktoren, die Korruption fördern.
Als häufig korruptionsfördernde Konstellation gelten
1. die systemimmante zwangsläufige Nähe und die intensive Berührung zwischen
Wirtschaft und Verwaltung,
2. die damit einhergehende diskrete Informationsweitergabe,
3. die Kompetenzanhäufung bei Sachbearbeitern mit Ermessensspielraum,
4. die sich verwischenden Grenzen zwischen noch sozialer Üblichkeit und bereits
strafbewehrtem Tun und
5. das fehlende Unrechtsbewusstsein bei den Betroffenen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dieses fehlende Unrechtsbewusstsein selbst in den Fällen, wo die Strafbarkeit
offensichtlich ist, wird von manchen Beobachtern als Indikator für einen allgemeinen Werteverfall gedeutet, der in der Gesellschaft feststellbar ist. Als korruptionsfördernd gelten dabei besonders die Vergabe- und Genehmigungsstellen und die
Beschaffungsabteilungen.
Offenbar besteht dort ein erhöhtes Risiko der Korruption, wo die gewöhnlichen
Kontrollmechanismen innerhalb der Verwaltung stark eingeschränkt sind oder versagen. Weiterhin ist festzustellen, dass Korruption dort wahrscheinlich ist, wo viel
Geld auf dem Spiel steht und wo externe Abhängigkeiten bestehen. Das ist zum
Beispiel dann der Fall, wenn
1. Großprojekte geplant werden, die mit viel Kapital verbunden sind,
2. internationale Geldgeber (IWF, Weltbank, EU usw.) Großentwicklungsprojekte
starten, für die das Aufnahmeland noch nicht vorbereitet ist,
3. der Staat Alleinabnehmer für bestimmte Produkte zum Beispiel militärische
Güter ist.
2.3
Felder, in denen korruptes Verhalten möglich wird
Korruption im politisch administrativen Bereich findet sich nicht innerhalb der Politik oder Verwaltung, sondern jeweils an der Schnittfläche zwischen privatem und
wirtschaftlichem Sektor. Diese Schnittflächen sind also die Orte, an denen Korruption zu erwarten ist. Deshalb ist es lohnend, die Schnittflächen näher zu untersuchen und das Verhalten des öffentlichen Sektors und des privaten/wirtschaftlichen
Sektors an diesen Flächen näher zu beschreiben.
Als öffentlichen Sektor betrachten wir hier zunächst die drei Gewalten der
staatlichen Herrschaft. Diese Gewalten treten gegenüber dem privaten Sektor in
unterschiedlichen Formen auf. In jeder dieser Form können spezifische Formen von
Korruption stattfinden.
Untersuchen wir dazu zunächst die Exekutive. Diese hat mit Abstand die vielfältigsten Kontakte zum privaten Sektor.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Dabei gibt es folgende Schnittflächen:
–
Die Exekutive als Leistungserbringer
–
Die Exekutive als Einkäufer
–
Die Exekutive als Arbeitgeber
–
Die Exekutive als Ordnungsmacht
–
Die Exekutive als Besitzer von Vermögenswerten (Güter, Maschinen) und
–
Die Exekutive als Genehmigungsbehörde
Beispiele von Korruption an den Schnittflächen der Exekutive
Schnittfläche
Form der Korruption
Exekutive als
Leistungserbringer
Ausprägung
Zahlung, sonst Verwei- Keine Behandlung im
gerung der Leistung
Krankenhaus, ohne
vorherige Blutspende
Zahlung, sonst Verwei- Keine Leerung der
gerung der Leistung
Mülltonne
Keine Aushändigung
von Formularen
Versetzung des Schülers nur nach Zahlung
Steuermanipulationen Erlass von Steuern,
wenn Teilzahlung an
Beamten erfolgt,
Steuerumleitung
Geldzahlung in Cash
Exekutive als Einkäufer Zahlung, Waren oder
oder anders
Dienstleistung, sonst
kein Einkauf
Teilmenge mit anderer
Lieferanschrift
Dienstleistungen
anderer Art
Beiderseitige Vorteilnahme in Geld
Exekutive als
Arbeitgeber
Vetternwirtschaft
Beteiligte
Person aus der Krankenhausverwaltung
Patient oder Familie
Müllwerker
Gebührenzahler
Bürokrat
Bürger
Lehrer
Eltern
Finanzbeamter
Steuerzahler
Einkäufer
Verkäufer
Einkäufer
Verkäufer
Einkäufer
Verkäufer
Dienstleister
Qualität der Dienstlei- Einkäufer
stung oder Spezifikati- Verkäufer
on von Warenlieferung
wird nicht geprüft
Anstellung von
Personalbearbeiter
Verwandten und Beoder -chef
kannten
Familie/Freunde
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Schnittfläche
Form der Korruption
Ausprägung
Freiwillige oder
erzwungene Sonderleistungen
Beförderung nach
Zahlung oder Dienstleistung
Anstellung nach
Zahlung oder Dienstleistung
Transfer öffentlicher
Beschäftigung von
Mittel auf Private
Geisterarbeitern
Nutzung von Arbeitskräften für private
Zwecke
Exekutive als OrdErzwungene illegale
Freikauf von ungenungsmacht
Sonderzahlungen
rechtfertigten Androhung von Strafen
durch die Polizei
Präventiver Schutz
vor Nachstellung nach
Zahlung
Freiwillige illegale
Verzicht auf ErmittSonderzahlungen
lungen nach Zahlung
Exekutive als Besitzer Illegale Nutzung
Nutzung von Gütern
von Gütern, Maschinen öffentlichen Eigentums und Maschinen für
für private Zwecke
private Zwecke
Illegaler Verkauf von
Vermögenswerten
Exekutive als Genehmigungsbehörde
Illegale Genehmigungsverweigerung
Illegale Erteilung von
Genehmigungen
Bevorzugung bei
Lizenzvergabe oder
Standort
Verkauf von Vermögenswerten unter
Wert
Verweigerung des
Führerscheins ohne
Zahlung
Erteilung von nicht
zulässigen Exportgenehmigungen nach
Zahlung
Besserer Standort auf
Markt nach Zahlung
Zuteilung einer Lizenz
nach Zahlung
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Beteiligte
Personalbearbeiter
Angestellte
Personalbearbeiter
Job-Sucher
Personalbearbeiter
Empfänger
Vorgesetzter
Mitarbeiter
Polizist
Bürger
Schutzgeldzahlung an
Polizei
Polizei, Zoll, Aufsichtspersonen, Bürger
Vorgesetzter
Verantwortlicher für
Maschinen und Güter
Nutznießer
Verfügungsberechtigter
Käufer
Fahrprüfer
Fahrlehrer
Fahrschüler
Sachbearbeiter
Bürger
Marktaufseher
Marktbeschicker
Lizenzgeber
Lizenznehmer
Bei der Legislative treten andere aber auch ähnliche Schnittflächen zum privaten Sektor auf.
–
Die Legislative als Gesetzgeber
–
Die Legislative als Partner der Exekutive
–
Die Legislative als Arbeitgeber
–
Die Legislative als Versammlung von zu wählenden Politikern
–
Die Legislative als Budgetgenehmiger
Beispiele von Korruption an den Schnittflächen des Legislative
Schnittfläche
Form der Korruption
Ausprägung
Beteiligte
Legislative als
Gesetzgeber
Beeinflussung durch
Leistungen
Parlamentarier
Lobbyist
siehe Exekutive
Zahlung oder andere
Dienstleistungen für
Änderung von Abstimmungsverhalten
Druck zur Änderung
von Abstimmungsverhalten
Anreiz oder Druck
durch Exekutive zu
einem bestimmten
Abstimmungsverhalten
Anreize zur Vernachlässigung der
Kontrollfunktion
siehe Exekutive
Leistungsversprechen
an Wähler
Wahlversprechen mit
materiellen Vorteilen
Beeinflussung durch
Erpressung
Legislative als
Partner der Exekutive
Legislative als
Arbeitgeber
Legislative als Versammlung von zu
wählenden
Politikern
Beeinflussung durch
Exekutive
Stimmenkauf
Legislative als
Budgetgenehmiger
Beeinflussung durch
Zahlungen oder andere Leistungen
Beeinflussung von
Diskussionen und Abstimmungen mit Auswirkungen auf Einkauf
der Exekutive
Parlamentarier
Erpresser
Interessenten
Parlamentarier
Vertreter der Exekutive
Parlamentarier
Vertreter der Exekutive
jeweils Parlamentarier,
sonst siehe Exekutive
Kandidat
Wähler
Kandidat
Wähler
Parlamentarier
Lobbyist
Exekutive
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Auch die Judikative hat Schnittflächen zum privaten Sektor. Diese Schnittflächen sind:
–
Die Gerichte als Rechtsprechungsorgan in Straf- und Zivilsachen
–
Die Gerichte als Rechtsprechungsorgan in Steuer-, Verwaltungs-, Wahl- und
Verfassungsfragen
–
Die Richter als Personen, die benannt oder gewählt werden müssen.
Beispiele für Korruption an den Schnittflächen der Judikative
Schnittfläche
Form der Korruption
Ausprägung
Beteiligte
Gerichte als Rechtsprechungsorgan in
Straf- und Zivilsachen
Beeinflussung durch
Leistungen
Zahlung oder andere
Dienstleistungen für
die Veränderung des
Urteils
Druck zur Änderung
des Urteils
Richter
Geschworene
streitende Parteien
Täter
Richter
Geschworene
streitende Parteien
Täter
Richter
Exekutive
Legislative
streitende Parteien
Beeinflussung durch
Drohungen oder Erpressung
Gerichte als Rechtsprechungsorgan in
Steuer-, Verwaltungsund Verfassungsfragen
Richter als Person, die
benannt oder gewählt
werden muss
2.4
Beeinflussung durch
Leistungen
Karriereversprechen
für die Veränderung
von Entscheidungen
Beeinflussung durch
Drohungen oder Erpressung
Druck zur Änderung
der Entscheidung
Richter
Exekutive
Legislative
streitende Parteien
Leistungsversprechen
an Wähler oder Benenner
Wahlversprechen für
Karriere
Richter
Wähler oder andere
Benennende
Ursachen für korruptes Verhalten
Korruption ist nur eine Darstellung des Niedergangs der Institutionen. Der Katalog von korrupten Aktionen geht von der Bestechung, über Erpressung, Einflussverkauf, Vetternwirtschaft, Betrug, schnelles Geld, Veruntreuung und vieles mehr.
Obwohl man normalerweise denkt, dass Korruption ein Vergehen der Regierung
oder der öffentlichen Seite ist, ist natürlich immer auch der private Sektor mit von
der Partie.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
folgt der
der sogenannten
sogenannten Klitgaard
Klitgaardfolgenden
Formel: Formel:
Korruption folgt
C=M+D-A
Das Ausmaß der Korruption (C) entspricht dem Ausmaß an Monopolstellung
(M) plus dem Ausmaß an Diskretion und Entscheidungsspielraum (D) minus der
Verantwortlichkeit (A). Das bedeutet, dass
1. die Grundursachen für Korruption darin liegen, dass zu viel Monopolstellung
beim Staat vorhanden ist, oder einfacher gesagt, dass der Staat zu viel macht
und
2. zu viel Diskretion vorhanden ist, das heißt zu wenig Transparenz und damit
verbunden
3. zu viel Entscheidungs- oder Ermessenspielraum vorhanden ist, das heißt, dass
die Entscheidungsabläufe nicht klar genug oder überhaupt nicht geregelt sind
oder das das Ermessen nicht überprüft werden kann und
4. zu wenig zur Verantwortung gezogen wird, d.h. dass das Risiko nicht hoch
genug ist und im Verhältnis der mögliche Profit überwiegt.
Über diese Grundformel hinaus gelten im wesentlichen die folgenden zwei
Antriebskräfte für Korruption:
1. Um Wohltaten von der Regierung zu bekommen
2. Um Kosten einzusparen
Bei der Diagnose der realen Korruptionsfälle stößt man auf folgende Ursachen,
die als Überschriften für viele Detailursachen anzusehen sind:
1. Mangel an Verantwortlichkeit und Transparenz
Wenn jedermann weiß, dass er nicht verantwortlich für korruptes Verhalten
gemacht wird, fühlt sich niemand angehalten, nicht korrupt zu sein. Wenn die
Durchschaubarkeit durch eine effektive Kontrolle zum Beispiel durch Gerichte
oder Rechnungshöfe oder durch entsprechende Öffentlichkeit nicht hergestellt
wird, werden viele die Undurchschaubarkeit nutzen, um Profit zu machen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
2. Überzentralisierung des Staates
Je mehr Aufgaben der Staat erledigt, umso mehr Schnittfläche gibt es zwischen
dem staatlichen Sektor und dem privaten/wirtschaftlichen Sektor. Je größer
jedoch die Schnittfläche ist, desto größer ist die Möglichkeit für korruptes Handeln. Je zentralisierter Maßnahmen entschieden werden, um so mehr Instanzen
müssen durchlaufen werden, was wiederum die Entscheidungsfallzahl erhöht
und damit die mögliche Korruptionsfallzahl.
3. Interventionen durch Überregulierung oder andere Eingriffe des Staates
Je mehr Regulierungen vorhanden sind, umso mehr Genehmigungen müssen
erteilt werden. Das bedeutet, dass die Fallzahl des Kontaktes mit dem Staat
größer wird und damit auch die Chance für korruptes Verhalten ansteigt.
4. Zu geringe Einkommen für öffentlich Bedienstete
Je weniger die öffentlichen Bediensteten verdienen, umso mehr versuchen diese,
das Gehalt durch Nebeneinnahmen bei Entscheidungen und/oder Ermessensspielräumen aufzubessern.
5. Zu wenig Engagement und moralische Verpflichtung
Je weniger politische Führer und Vorgesetzte Engagement und Durchsetzungswillen bei Antikorruptionsmaßnahmen zeigen, umso mehr fühlen sich potentielle
Korrupte gesichert in ihrem korrupten Verhalten.
6. Ineffektive Inkraftsetzung von Gesetzen und Vorschriften
Je weniger überzeugt Gesetze und Vorschriften in Kraft gesetzt werden und
je weniger Kontrolle für die Einhaltung implementiert wird, umso mehr wird
sich Korruption ausbreiten, weil jetzt auch schon Korruption bei den neu eingeführten Gesetzen und Vorschriften angewandt werden kann.
2.5
Die Wirkung von Korruption
Korruption hat unterschiedliche Wirkungen. Zunächst einmal entsteht bei allen
Korruptionsfällen ein Schaden, der der Allgemeinheit oder einzelnen zugefügt wird.
Bei den Schäden geht es zumeist um materielle Schäden, wie die Veruntreuung
von Geld, die Veruntreuung von Sachen usw. Hiermit wird der Volkswirtschaft ein
großer Schaden zugefügt, der oftmals für Unterentwicklung und auch für Fehlentwicklungen verantwortlich ist.
Die Korruption auf mittlerem und unteren Niveau hat zur Folge, dass die Wirkung von Gesetzen, Regeln und Abläufen durchbrochen wird und Entscheidungen
getroffen werden, die schädlich sind. Also entsteht auch hier ein volkswirtschaftlicher Schaden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Aber alle Formen von Korruption haben die Wirkung der Zerstörung der politischen Kultur, der politischen Institutionen und des Vertrauens des Bürgers in die
Führung und in den Staat.
2.6
Strategische Ansätze zur Bekämpfung von Korruption
Wenn die Gleichung von Klitgaard richtig ist, dass das Ausmaß der Korruption dem
Ausmaß der Monopolstellung plus dem Ausmaß an Diskretion und Ermessen minus
der Verantwortlichkeit ist, so ist der strategische Zugang zur Lösung des Problems
auch an dieser Formel festzumachen.
Danach muss die Monopolstellung eingeschränkt werden, die Transparenz hergestellt werden, der Ermessensspielraum eingeschränkt werden und die Möglichkeit,
politische und rechtliche Verantwortung einzuklagen gestärkt werden.
Nationen unterscheiden sich nicht so sehr in ihrer Haltung gegenüber Korruption, jedoch viel mehr in dem Ausmaß, in dem öffentlich Bedienstete ihre öffentliche Funktion ausführen. In vielen Ländern ist die Legislative, die Rechtsprechung,
der öffentliche Dienst und das Wahlsystem unterentwickelt oder sogar unentwickelt. Der legislative und judikative Teil der Herrschaft muss gestärkt werden, um
die Unabhängigkeit von der Exekutive zu sichern. Vielfach sind diese Zweige der
Herrschaft mit einer regierenden Partei verbunden, was ihre Glaubwürdigkeit und
Fairness ernsthaft in Frage stellt.
In vielen Ländern gibt es keine richtige Gewaltenteilung und besonders keine
wirkungsvolle zwischen der Legislative und der Exekutive. Besonders bei präsidentiellen Systemen kann festgestellt werden, dass die Macht der Exekutive die Möglichkeiten der Legislative weit übersteigt, so dass eine effektive Kontrolle der Exekutive durch die Legislative nicht erfolgen kann. Das Staatsoberhaupt kontrolliert
sehr oft nahezu alles: Die Armee, die Institutionen der Bildung, den öffentlichen
Dienst, aber auch die Rechtsprechung und manchmal sogar die Medien.
Solch ein System hat keinen Raum für Verantwortlichkeit von Politikern und
öffentlich Bediensteten. Deswegen müssen zunächst die konstitutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, um eine wirkungsvolle Korruptionsbekämpfung in
Gang zu setzen.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
2.6.1 Checks and Balances: Mechanismen für die Sicherstellung von
Verantwortlichkeit
Der Hauptschwerpunkt bei der Bekämpfung von Korruption muss zunächst auf die
Einrichtung von kritischen nationalen Institutionen gelegt werden. Diese Strukturen umfassen eine unabhängige Gerichtsbarkeit, ein funktionierendes Parlament,
frei von unzulässigen Einflussnahmen und vom Druck der Exekutive oder der regierenden Partei, eine unabhängige und kritische Presse und die Verpflichtung zu
einer verantwortlichen Herrschaft. Diese Mechanismen unterwerfen die Aktivitäten des öffentlichen Dienstes der Musterung von außen, um sie zeitgleich an der
Wirksamkeit (politische Verantwortlichkeit) oder an den bestehenden Vorschriften,
in denen sich ein öffentlich Bediensteter zu bewegen hat (rechtliche Verantwortlichkeit) zu messen.
Politische Verantwortlichkeit
Es gibt verschiedene Formen der Aufsicht über die politische Verantwortlichkeit. Die allgemeinste Form, die Betroffenen der Verantwortung auszusetzen, ist
die Durchführung von Wahlen. In einer Demokratie mit Wahlen haben die Bürger
eine reguläre und offene Methode diejenigen zu bestrafen oder zu belohnen, die
Posten mit öffentlichem Vertrauen bekleiden. Wie gut auch immer eine Antikorruptionstechnik ist, sie wird nur so lange wirken, wie der Mechanismus der Verantwortlichmachung wirkt, in den sie eingebettet ist. Aber die Notwendigkeit eine
Wählerschaft zu befriedigen ist ein zu stumpfes Instrument, um allein wirkungsvoll
zu sein. Gleichzeitig kann niemand sicher sein, dass die neu Gewählten nicht auch
sofort wieder von der Korruption befallen werden.
Ein deutlich besseres Instrument ist die Idee, dass zwei Zweige sich gegenseitig
überwachen. In vielen Ländern jedoch ist die legislative und die exekutive Macht
eher undifferenziert oder hierarchisch geordnet. In einem solchen Fall gibt es keine Möglichkeit, die Machtzusammenballung zu reduzieren, die nach Klitgaard einen wesentlichen Anteil an der Korruption hat. Das Prinzip ist, die beiden Mächte
gegeneinander einzusetzen, so dass aus dem entwickelnden Wettbewerb und den
Konflikten eine gegenseitige Bewachung wird.
Die Trennung der Institution, die das Geld beschafft und die Ausgaben plant
von derjenigen, die aktuell die Ausgabenentscheidung trifft, hilft das öffentliche
Interesse zu sichern. Die Methoden der Berichterstattung der Regierung an das
Parlament und die Kontrolle sind vielfältig und reichen von Fragestunden im Parlament bis hin zu Untersuchungsausschüssen des Parlaments. Auf jeden Fall ist
0OLITISCHE3TRATEGIEN
sich die Exekutive bewusst, dass sie unter der täglichen Aufsicht einer Institution mit der Kapazität und Ausstattung, um genaue Untersuchungen zu machen,
steht und nicht nur unter der periodischen Überwachung durch die Wählerschaft,
die das tägliche Handeln der Exekutive nicht überprüfen kann. Aber diese Art des
Wettbewerbs führt auch dazu, dass nun wiederum auch die Exekutive aufzuklären
versucht, wann Parlamentarier den Pfad der Tugend verlassen und sich der Korruption durch passive Bestechung hingeben.
Ein solcher institutioneller Konflikt zwischen der Legislative und der Exekutive, bei dem jedes Organ unter die Aufsicht des anderen gestellt wird, kann nicht
nur durch Vereinbarung existieren. Er muss in der Verfassung abgesichert sein und
beiden Organen feste Aufgaben zuweisen. Dabei darf es generelle Unter- oder
Überordnungen nicht geben.
Rechtliche Verantwortlichkeit
In einem Staat mit einer gegebenen Verfassung bestimmt diese das Handeln
der Körperschaften, Institutionen und setzt den rechtlichen Rahmen für die Gesetze
und das Handeln der Administration. Danach ist es keinem Offiziellen der Regierung
erlaubt, gegen die Regeln der Verfassung zu handeln oder gegen Regeln, die unter
Achtung der Verfassung in anderen Gesetzen niedergeschrieben sind. Das schafft
einen klaren Standard für Verantwortlichkeit, auch wenn die Durchsetzung des
Standards von der Kapazität der Rechtsprechung abhängt.
Es gibt drei Faktoren, die die Wirkung dieser rechtlichen Aufsicht hemmen
können.
1. Defizite in der Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Wenn dieser Bereich nicht
wirklich unabhängig ist, dann wird die rechtliche Verantwortlichkeit besonders
bei den Angehörigen der Exekutive unterhöhlt. Die Richter müssen in der Lage
sein, ohne Angst auch gegen die Exekutive Recht zu sprechen. Mechanismen wie
Lebenszeitanstellung, öffentlich festgelegte Gehälter, die nicht abgezogen oder
zurückgehalten werden können, sind wichtige Bestandteile der Unabhängigkeit
der Gerichte.
2. Ein zweites Problem stellt die Korruption in der Rechtsprechung und zwischen
der Judikative und der Exekutive dar. Deswegen bedarf es auch der Aufsicht
über die Gerichte, die zumeist durch mehrzügige Verfahren oder durch interne
Disziplinarkammern gesichert werden kann.
3. Ein drittes Problem kann der mangelnde Respekt gegenüber der Rechtspre
0OLITISCHE3TRATEGIEN
chung sein, der von der Exekutive oder der Legislative ausgeht, der aber auch
das ganze Volk umfassen kann. Da die Gerichte nicht über eigene Polizei oder
über eigenes Militär verfügen, kann die Durchsetzung der Rechtsprechung nur
dann erfolgreich sein, wenn die Exekutive entsprechend der Rechtsprechung
handelt.
2.6.2 Begrenzung und Dezentralisierung der zentralen Macht
Eine wichtige Methode zur Begrenzung der Korruption im Staat ist die Begrenzung
des Handlungsumfangs des Staates. Je mehr die Entscheidung über die Verteilung
von öffentlichen Gütern konzentriert ist, bei gleichzeitiger Knappheit dieser Güter, umso mehr Korruption wird möglich. Deshalb ist darauf zu achten, dass die
öffentlichen Güter allgemein und allgegenwärtig zur Verfügung stehen. Das wird
vor allem dadurch bewirkt, dass Aufgaben dezentralisiert werden und es klare Trennungen zwischen der Zentralmacht und den dezentralen Aufgabenträgern gibt.
So ist die Existenz von kommunaler Selbstverwaltung mit der Partizipation und
Kontrolle durch die lokalen Parlamente ein wichtiger Schritt zum Abbau staatlich
assistierter Korruption.
2.6.3 Externe Aufsichtsmechanismen
Die erfolgreiche Implementierung von politischer und rechtlicher Verantwortlichkeit
verlangt Unterstützung und Kontrolle durch Menschen außerhalb des Regierungsapparates. Dazu gehört zunächst die Möglichkeit an Informationen heranzukommen und öffentlich darüber zu reden. Transparenz und Redefreiheit ist also eine
wesentliche Voraussetzung zur Bekämpfung von Korruption.
Bürgergesellschaft
Herrschaftsmechanismen zur Herstellung von politischer und rechtlicher Verantwortlichkeit verlangen eine aktive Bürgergesellschaft mit Einzelpersönlichkeiten,
Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften und anderen Gruppen. Dazu muss der Staat
die Möglichkeit des Vereinigungsrechts geben, die Redefreiheit und eine freie Presse
sichern. Der Zustand der zivilen Gesellschaft, der Mut als „Wachhunde” aufzutreten
und ziviler Ungehorsam entscheiden oftmals mehr als Gesetze über die Möglichkeit
Korruption zu vermeiden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Unabhängige Medien und freie Presse
Zugang zu Informationen und kritischer Umgang damit ist Voraussetzung für
öffentliche Medien, die als Wächter über Verantwortlichkeit der Herrschenden und
für die Bekämpfung der Korruption stehen. Die folgenden Maßnahmen helfen, eine
freie Presse zu garantieren:
1. Gesetze über den freien Umgang mit Informationen
2. Anpassung der Antidiffamierungs- und Beleidigungstatbestände in Gesetzen,
um die Presse und die Öffentlichkeit zu schützen
3. Beendigung der politischen Zensur
4. Höhere Berufsstandards für Journalisten
5. Beendigung der Diskriminierung durch Verbote und Manipulationen bei organisierter Kritik an der Regierung oder der regierenden Partei
6. Sicherung der beruflichen Standards, der Unabhängigkeit und Verantwortung
von Angestellten in staatlichen Medien
Alle Maßnahmen
dazu,
diedie
Transparenz
zu
Maßnahmen zur
zurStärkung
Stärkungder
derfreien
freienPresse
Pressedienen
dienen
dazu,
Transparenz
steigern
undund
damit
die Möglichkeit
des diskreten
Handelns
zu unterbinden.
zu
steigern
damit
die Möglichkeit
des diskreten
Handelns
zu unterbinden.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
3TRATEGIENZUM+ON¾IKTMANAGEMENT
3.1
Definition Konflikte
Ein Konflikt ist das Zusammenstoßen zweier oder mehrerer unterschiedlicher Positionen innerhalb einer Person (Innerer Widerstreit von Motiven, Wünschen, Bestrebungen und ethischen Werten) oder zwischen mehreren Personen oder zwischen
Gruppen, Staaten und anderen Gemeinschaften.
Über die Entstehung von Konflikten bestehen verschiedene Theorien:
1. Die biologisch orientierte Verhaltensforschung (K. Lorenz150) geht von der Annahme nicht variabler, biologischer Grundtriebe beim Menschen aus, nimmt
ein allgemeines Potential von Aggression an, und erhebt den Konflikt damit zu
einem natürlichen sozialen Tatbestand.
2. Sozialpsychologische Ansätze führen den Konflikt zurück auf Gegensätzlichkeiten zwischen den psychischen Antrieben und Motivationen der Menschen
einerseits und den Normenansprüchen der Gesellschaft andererseits.
3. Dahrendorf151 sieht Gesellschaft nicht durch Konsens, sondern durch Zwang
begründet und zusammengehalten und schließt aus dessen Allgegenwart die
Allgegenwärtigkeit von Konflikten, wo immer Menschen sich soziale Verbände
schaffen.
4. Vom Marxismus werden die Konflikte auf die Eigentumsverhältnisse zurückgeführt.
3.2
Konfliktbewältigung
Die Konfliktbewältigung umfasst das
–
Austragen,
–
Verarbeiten,
–
Lösen von Konflikten und
–
Ergebnisse von Konflikten.
150 Konrad Lorenz, Verhaltensforscher, 1903-1989.
151 Prof. Ralf Dahrendorf, Soziologe und Politiker, 1929-2010.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Das Ziel der Konfliktbewältigung ist die Verringerung der dem Konflikt zugrunde liegenden Differenz. Das bedeutet, die Konfliktbewältigung setzt, wann immer
möglich, an den Ursachen der Konflikte an.
Für die Konfliktbewältigung gibt es zwei grundlegende Strategien:
–
die assoziative Strategie und
–
die dissoziative Strategie
Bei der assoziativen Strategie geht es darum, die Konfliktpartner dazu zu bewegen aufeinander zuzugehen, sich in ihren Ansprüchen zu verstehen und zu
Kompromissen zu kommen. Die dissoziative Strategie geht dagegen davon aus,
die Konfliktparteien zu trennen und Berührungen jeder Art zwischen den Parteien
zu vermeiden.
Als Instrumentarien für assoziative Strategien stehen zur Verfügung:
–
Beseitigung von Kommunikationsstörungen
–
Konsensbildung
–
Kompromisse durch Mediation
–
Win-Win-Strategien
–
Umwandlung von Positionen in Bedürfnisse
–
Delegation auf Richter (Schiedssprüche)
–
Schaffung von gegenseitigen Abhängigkeiten
Als Instrumentarien für disssoziative Strategien stehen zur Verfügung:
–
Abstimmung mit Mehrheit
–
Nichteinmischung
–
Scheidung
–
Räumliche Trennung
–
Kompetenztrennung
–
Gewaltandrohung
–
Kampf, Krieg
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Der Ausgang von Konflikten kann vier Zustände haben. Dieses sind:
–
Chaos
–
Zerstörung der Position einer Seite
–
Einigung oder
–
unveränderter Fortbestand des Konfliktes.
3.2.1 Zwischenmenschliche
Kommunikation
undund
Konfliktbewältigung
Zwischenmenschliche
Kommunikation
Konfliktbewältigung
Nach Watzlawick152 ist jedes Verhalten und Handeln eine Mitteilung in einem Kommunikationsprozess. Daher verschärfen oder entspannen sich Konflikte im Zuge von
Kommunikationen und können auch nur durch Kommunikation bewältigt werden.
In der Kommunikation unterscheidet man die Inhaltsebene und die Beziehungsebene. Beide senden Informationen, die interpretiert werden. Zur Beurteilung der
Kommunikation und der Konfliktsituation ist eine Analyse notwendig. (Transaktionsanalyse und Selbstwertgefühlanalyse)
Als typische Konflikte treten hier auf:
–
Partnerkonflikt
–
Konflikte unter Kollegen im Gruppenkonflikt und
–
im Hierarchiekonflikt.
Zur Lösung inhaltlicher Konflikte eignen sich
–
der rationale Diskurs
–
der Kompromiss mit neuer Zielfindung
–
die Anrufung einer Schiedsinstanz
Zur Lösung von Beziehungskonflikten eignen sich
–
Umstrukturierungen und
–
Auflösung der Beziehung.
Nach A. Rapoport153 werden bei diesen Konflikten Kämpfe, Spiele und Debatten eingesetzt. Dabei stellen die Kämpfe den Versuch der Unterwerfung oder Zer152 Paul Watzlawick, österreichischer Psychotherapeut, *1921.
153 Anatol Rapoport, siehe auch Fußnote zum Gefangenendilemma.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
störung des anderen dar. Spiele sind Versuche des Kooperierens mit Regeln, wobei
aber Tricks zur Überwältigung des anderen eingesetzt werden. Debatten stellen
einen Argumenteaustausch dar.
3.2.2 Rollenkonflikte
Bei Rollenkonflikten unterscheidet man zwischen Intrarollenkonflikten (Konflikt
innerhalb einer Rolle wegen unterschiedlicher Erwartungen) zum Beispiel die Erwartungen der Bürger an den gewählten Politiker und die Erwartungen der Partei
an denselben Politiker und Interrollenkonflikte (Konflikte innerhalb verschiedener
Rollen) zum Beispiel zwischen der Familien- und der Berufsrolle.
Konfliktbewältigung ist möglich auf der individuellen wie auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Auf der individuellen Ebene durch:
–
Entscheidung für eine Rolle,
–
Inkaufnahme von Spannungen
–
Rollendistanz (Rücknahme des Engagements)
Auf der gesellschaftlichen Seite durch:
–
Tolerierung des nicht eindeutigen Verhaltens der Person
–
Änderung der Rollenbeschreibung
3.2.3 Konflikte zwischen Gruppen
Gruppenkonflikte können Kommunikationsmängel auf der inhaltlichen und der
Beziehungsebene sein, wie auch Rollenkonflikte und deren Ritualisierung. Solche
Ritualisierungen finden sich oftmals im Parlament zwischen den Fraktionen oder
auch zwischen der Regierung und der Opposition. Dazu gehören auch die gruppendynamisch wichtigen Entwicklungen von Wir-Gefühlen, die im Aufzeigen von
Differenzen zu anderen Gruppen bestehen.
Solche Entwicklungen können, aber müssen nicht unbedingt, zur Feindschaft
führen. Sie sind von Bedeutung, wenn Gruppen in Konkurrenz stehen und der Gewinn der einen nur durch den Verlust der anderen erzielt werden kann. Das ist
zum Beispiel beim Fußball und anderen Mannschaftssportarten so. Während das
Fußballspiel durch Regeln und Schiedsrichter im gemäßigten Verhaltensbereich
gehalten werden kann, agieren die Fanclubs ohne solche Regeln, was regelmäßig
0OLITISCHE3TRATEGIEN
zu massiven Konfliktausbrüchen führt. Solche Gruppenkonflikte sind durch Revierabgrenzungen und andere Regeln (Gesetze) zu entschärfen.
3.2.4 Gesellschaftliche Konflikte
Strategien zur gesellschaftlichen Konfliktbewältigung hängen weitgehend von sozialphilosophischen Gesellschaftsbildern ab.
Th. Hobbes154 meint dazu, dass der Krieg aller gegen alle der Naturzustand sei.
Er empfiehlt daher zur Konfliktbewältigung,
–
dass der Staat Autorität haben muss, um die Konflikte zu beherrschen,
–
dass es ein staatliches Gewaltmonopol (Polizei, Militär) geben muss
–
und dass es eine staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung geben muss.
Für Karl Marx entstehen die Konflikte durch ständig zunehmende Verteilungskämpfe zwischen der besitzenden und herrschenden Klasse auf der einen Seite und
der besitzlosen und unterdrückten Klasse auf der anderen Seite. Karl Marx Lösung
der Konflikte besteht daher in der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft.
Hobbes und Marx sehen Konflikte negativ und wollen sie beseitigen. Dahrendorf verweist dagegen auf die positiven Seiten der Konflikte hin. Nach Dahrendorf
kennzeichnen Zwang und Herrschaft das Zusammenleben. Dieser Zwang und Herrschaft können zwar Konflikte bewältigen aber schaffen auch stets neue. Dahrendorf hält die Konfliktfähigkeit der Gesellschaft für ein Zeichen und Maßstab für
die Modernisierungsfähigkeit eines sozialen Systems.
Starre System verlagern die Konflikte nach außen (Schaffung von Sündenböcken und Feindbildern bis hin zum Krieg). Offene und mobile Systeme ändern sich
mit den Konflikten. Gesellschaftliche Konflikte sind meist nicht lösbar, sondern nur
reduzierbar. Dabei werden auch Instrumente wie Konfliktverschiebung und Konfliktverschleierung angewandt.
Typisch sind zwei Strategien für politische Prozesse:
–
die Kompromissfindung (assoziativ) und
–
die dissoziative Lösung durch Nichtlösung, weil die Gegensätze zu groß sind.
154 Thomas Hobbes, engl. Philosoph, 1588 - 1679.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
In solchen Fällen werden dann Mobilisierungstrategien eingesetzt, die sich in
Form von Demonstrationen, Streiks und anderen Formen des Widerstandes manifestieren.
3.2.5 Internationale Konflikte
Im Unterschied zu persönlichen und gesellschaftlichen Konflikten gibt es bei den
internationalen Konflikten zumeist keine übergeordnete Instanz zur Dämpfung
oder Beruhigung. Staaten befinden sich in einer „anarchischen Machtordnung”,
in der die Interessen gewahrt oder durchgesetzt werden sollen. Dabei gibt es eine
defensive und eine offensive Haltung.
Bei der defensiven Haltung geht es um
–
Selbstbehauptung und Nicht-Anpassung (Tibet gegenüber China)
Bei der offensiven Haltung geht es um:
–
Ausweitung des territorialen Besitzes (Deutschland im zweiten Weltkrieg)
–
Ausweitung des Herrschaftsbereiches (Argentinien im Falklandkrieg)
–
Ausweitung des Einflussbereiches (Vielfältige Interventionen der USA in Mittelamerika, wie Dominikanische Republik, Nicaragua, Panama usw.)
Internationale Konflikte um Territorien werden zumeist gewaltsam ausgetragen. Dabei sind folgende Tatbestände entscheidend:
–
Konflikte um Territorien sind „Nullsummenspiele”
–
Die Existenz von Nationalstaaten definiert sich über territoriale Besitztitel.
–
In vorindustrieller Zeit entsprach der Besitz von Territorien auch staatlichem
Reichtum und Macht.
3.2.6 Strategien zur Verringerung von Gewalt bei internationalen Konflikten
Um die Automatik der gewaltsamen Auseinandersetzung bei internationalen Konflikten zu umgehen, sind verschiedene Arten von Strategien entwickelt worden.
Dabei handelt es sich um folgende Strategien:
–
Mächtige Staaten erklären sich zum Schiedsrichter oder Weltpolizisten einer
regionalen oder globalen Friedensordnung (Pax Romana, Pax Americana)
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–
Schaffung einer supranationalen Form der Weltregierung (Völkerbund, UNO,
aber auch WTO usw.)
–
Entwicklung von gewaltlosen Formen der Konfliktaustragung, wie
1. Schaffung zunehmender wechselseitiger Abhängigkeiten, wie EU-Integration
oder andere regionale Verbände,
2. Abschreckung durch Gewaltandrohung (kalter Krieg, Nachrüstungsbeschluss
usw.)
3. antagonistische Kooperation (INF-Vertrag, Abrüstungsverträge, KSZE-OSZE,
Vertrauensbildung)
4. dissoziative Strategien im Nord-Süd-Konflikt, wie z.B. Nichteinmischung
oder Selbstentfaltung
5. Entwicklung von Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht.
3.3
Grundsätze für Konfliktlösungen
Es gibt gute und schlechte Konfliktlösungen und nicht selten wird ein und dieselbe Lösung von der einen Partei als gut und von der anderen Partei als schlecht
empfunden. Zwei Hauptkriterien für die Beurteilung der Brauchbarkeit von Konfliktlösungen lauten:
1. Qualität (das logische Kriterium)
2. Akzeptabilität (das psychologische Kriterium)
Das bedeutet: Eine Konfliktlösung ist um so brauchbarer, je besser sie logisch
rationalen Ansprüchen genügt, zum Beispiel hinsichtlich der entstehenden
Kosten, und mit je weniger Vorbehalten sie von allen Beteiligten akzeptiert
wird.
Das ist nur eine von vielen Erkenntnissen, die man aus der Konfliktforschung
gewonnen hat. Ein wichtiges Teilgebiet ist das der Konfliktauflösung. Für die
Beurteilung sind zwei Aspekte der Forschung besonders wichtig:
1. Der Prozess der Konfliktlösung in seinen verschiedenen Abläufen
2. Die verschiedenen möglichen Ergebnisse von Konfliktlösungen.
Der Prozess der Konfliktlösung wird im wesentlichen durch zwei Variable bestimmt: erstens durch das Wertniveau, das ist der materielle oder ideelle Wert
des Gutes, über das mit der Lösung entschieden werden muss, und zweitens
durch die Möglichkeit des Interessenausgleichs, die entweder gegeben oder
0OLITISCHE3TRATEGIEN
nicht gegeben ist. Das folgende Schema zeigt mögliche Konfliktlösungsprozesse
im Licht dieser beiden Variablen.
Möglichkeit des Interessenausgleichs ist
....nicht gegeben
Wertniveau
Wertniveau
hoch
mittel
niedrig
Einigung
Einigungist
ist
notwendig
notwendig
höhere Instanz (Sieg/
Niederlage)
weiser Richter, Vermittler
Los/Zufall
....gegeben.
Einigungist
istnicht
nicht
Einigung
notwendig
notwendig
Auszug Feld räumen
Kompetenzaufteilung
Fiktion des
Nichtkonflikts
gemeinsame
Lösungssuche
aushandeln
(Nimm/Gib)
friedliche Koexistenz
Dieses
Schema
das tatsächlich
beobachtete
Verhalten
KonfliktparDieses
Schema
zeigtzeigt
das tatsächlich
beobachtete
Verhalten
von von
Konfliktparteien
teien
bei Lösungsversuchen.
bei
Lösungsversuchen.
3.3.1 Diskussion des Schemas
Der problematischste Fall ist sicherlich der, in dem über einen Konflikt zu entscheiden ist, der für alle Seiten mit einem hohen Wert eingestuft wird und bei dem ein
Ausgleich, etwa durch einen Kompromiss, nicht möglich ist.
Dieser Konflikt führt, wenn es keine höhere Instanz gibt, normalerweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die entweder mit Sieg oder Niederlage enden,
oder durch Akzeptanz einer höheren Instanz als Vermittler, wenn die Konfliktparteien erschöpft sind.
Gibt es allerdings eine höhere Instanz, so ist diese aufgerufen, eine Entscheidung zu treffen. Wenn für beide Seiten das Wertniveau hoch ist, muss eine Entscheidung getroffen werden, die einer Seite einen Sieg und der anderen Seite eine
Niederlage bringt. Die Qualität der Entscheidung nimmt zu, wenn die unterlegene
Gruppe oder Person die Entscheidung akzeptiert.
Ist der Konflikt von mittlerem Wert für die Konfliktparteien, so ist es sinnvoller
den Konflikt über einen Vermittler zu lösen. Die Aufgabe des Vermittlers ist es hier,
die unterschiedlichen Interessen beider Seiten daraufhin zu untersuchen, dass es
möglichst zu einer Entscheidung kommt, die beiden Seiten einen Vorteil gibt (Win
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Win- Strategie). Es kann aber auch die „Kurve des geringsten Schmerzes” ermittelt
werden und entsprechend dieser verfahren werden.
Ist der Wert in einer Situation, in der eine Einigung notwendig ist und ein Interessenausgleich nicht möglich ist, für die Konfliktparteien gering, können Zufallsentscheidungen (Los) gewählt werden.
Bei der Seitenauswahl
vor Anstoß
Fußballspiels
ist eine ZufallsentscheiBeispiel:
Bei der Seitenauswahl
voreines
Anstoß
eines Fußballspiels
ist eine Zufallsdung möglich und
auchund
akzeptiert.
Das ist dagegen
nicht der
Fall,
wenn
um
entscheidung
möglich
auch akzeptiert.
Das istaber
dagegen
aber
nicht
deresFall,
einen
Elfmeter
geht.
Hier
ist
der
Wert
für
beiden
Parteien
zu
hoch.
wenn es um einen Elfmeter geht. Hier ist der Wert für beiden Parteien zu hoch.
Völlig anders sehen Entscheidungen aus, die getroffen werden, wenn eine Einigung nicht notwendig ist. Hier gibt es eben Ergebnisse bei hohem Wertgehalt, die
darin bestehen, dass das Feld geräumt wird (Flucht) oder dass ein Ausschluss erfolgt
(Kündigung). Oder es gibt bei niedrigen Wertgehalt die Möglichkeit der Fiktion, ein
Konflikt sei nicht vorhanden. Diese Lösung führt zumeist nicht zu befriedigenden
Ergebnissen und wird über kurz oder lang wieder ausbrechen oder sich in anderen
Konfliktfeldern zeigen.
In allen Fällen, in denen ein Interessenausgleich möglich ist, werden echte Lösungen angestrebt. Dies kann bei hohem Wertgehalt gemeinsam geschehen oder
mit Hilfe eines Mediators. Bei mittlerem Wertgehalt können win-win-Strategien
ausgehandelt werden, die auch Bestand haben. Bei niedrigem Wertgehalt kann
man zur friedlichen Koexistenz kommen. Solche friedliche Koexistenz kann aber
auch in Fällen erfolgen, bei denen der Wertgehalt sehr hoch ist und eine Möglichkeit zum Interessenausgleich nicht gegeben ist. Diese Lösung wird aber nur so
lange wirksam sein, bis einer der Konfliktpartner sich stärker fühlt und einen strategischen Vorteil hat.
3.4
Post-Konflikt-Situationen und Konfliktprävention
In einer Post-Konfliktsituation sollte man annehmen, dass der Konflikt im Sinne
der von Clausewitz‘schen Denkkategorien gelöst ist. Clausewitz ging davon aus,
dass ein Konflikt mit einem Sieg oder einer Niederlage endet. Mit einem Sieg wird
dem Gegner der Wille des Siegers aufgezwungen und damit die Politik des Siegers
durchgesetzt. Das heutige Problem in Post-Konfliktsituationen besteht darin, dass
es kaum Siege und Niederlagen gibt. Durch internationale Interventionen sowohl
bei internationalen Konflikten als auch bei nationalen, regionalen und ethnischen
Konflikten wird die Konfliktlösungsmöglichkeit (Sieg und Niederlage) vor einem endgültigen Ergebnis gestoppt. Eine bedingungslose Kapitulation, wie mit Deutschland
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nach dem zweiten Weltkrieg ist nicht mehr das Ziel der konfliktiven Auseinandersetzung. Vielmehr wird die Konfliktaustragung durch Intervention von außen gestoppt
und führt zu einer Situation eines Gleichgewichtes statt zu einer Sieg/Niederlage
Situation. Es gibt also ein fiktives Konfliktende aber keine Konfliktlösung.
Nimmt man diese These als wahr an, so ergibt sich daraus, dass in einer PostKonfliktsituation der ursprüngliche Zustand, der ja zum Konflikt geführt hat, wieder
vorhanden ist. Der Satz: „Wer Frieden will, muss den Krieg verstehen“ öffnet den
Zugang zu Post-Konflikt-Strategien. Das bedeutet, dass untersucht werden muss,
was der Konfliktauslöser oder besser der Konfliktgrund war. Und an dieser Konfliktursache muss gearbeitet und versucht werden, eine sowohl psychologische als
auch logische Konfliktlösung zu finden.
KONFLIKTVERMEIDUNG
Einfluss
auf
Situation
Die möglichen Ansätze dafür bestehen einmal in
dem Versuch der Konfliktvermeidung. Hier besteht
der strategische Ansatz darin, auf die Situation derart einzuwirken, dass die Konfliktursache beseitigt
oder zumindest minimiert wird.
Wenn sich zum Beispiel der Konflikt um Zugang zu Wasser entzündet hat, muss am Thema
Wasser gearbeitet werden und die Situation derart
Verhalten
Einstellung
verändert werden, dass dadurch das Verhalten und
die Einstellung der Konfliktparteien sich ändert. Im
diesem Falle also dafür sorgen, dass zusätzliches
(Einfluss auf)
Wasser zur Verfügung steht oder dass die Entnahme
von Wasser einvernehmlich geregelt wird. Bei der
KONFLIKTPRÄVENTION
Untersuchung von eigentlichen Kriegs- und Konfliktursachen wird deutlich, dass in den meisten Fällen das Problem des Zugangs zu Ressourcen die Konfliktursache ist. So wird auch
darüber berichtet, dass der Konflikt in Jugoslawien ausgelöst wurde durch die als
„ungerecht“ wahrgenommene Verteilung von Energie für die Teilregionen. Für den
Betrachter von außen, sah es vielmehr nach einem Konflikt zwischen Ethnien und
Religionen aus.
Der zweite Ansatz besteht in der Konfliktprävention. Bei diesem Ansatz wird
eine Einwirkung auf die Konfliktparteien vorgenommen und es wird versucht, ihr
Verhalten und ihre Einstellung zu verändern. Es handelt sich also hier um eine Prozess oder Akteur orientierte Vorbeugung.
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Die Unterscheidung dieser beiden Formen des Konfliktmanagements erscheint
durchaus plausibel. Während die ursachenorientierte Vorbeugung an den tieferliegenden Ursachen, Strukturen und Nährböden gewaltträchtiger Entwicklungen
ansetzen will und langfristig die Herausbildung einer Stabilität erreichen will, geht
es der eher kurz- bis mittelfristig ausgelegten prozessorientierten Vorbeugung um
eine Friedenspolitische Beeinflussung des Verhaltens gewaltbereiter Konfliktakteure
in akuten Krisensituationen. Bei dieser Herangehensweise bleibt aber zumeist die
eigentliche Konfliktursache unbehandelt.
Post-Konflikt Periode
Ziele: Friedenskonsolidierung
Instrumente:
Demilitarisierung,
Post-Konflikt
Periode
Reintegration,
Rehabilitation,
Ziele: Friedenskonsolidierung
Friedenspolitik,
politischer Dialog,
Instrumente: Demilitarisierung,
Institutionelle
Reformen
Reintegration,
Rehabilitation,
Friedenspolitik, politischer Dialog,
Institutionelle Reformen
Offener Konflikt
Normalität und Frieden
Ziele: Konfliktmanagement,
Reduktion
oderKonflikt
Beendigung
Offener
derKonfliktmanagement,
Feindseligkeiten
Ziele:
Instrumente:
Reduktion
oderSanktionen,
Beendigung
politischer
Dialog,
der
Feindseligkeiten
Erzwingung des
Friedens
Instrumente:
Sanktionen,
politischer Dialog,
Erzwingung des Friedens
Ziele: Demokratie, Menschenrechte,
Strukturelleund
Stabilität
Normalität
Frieden
Instrumente:
Unterstützung
für sozioZiele: Demokratie,
Menschenrechte,
ökonomische
Kohäsion,
Entwicklung,
Strukturelle
Stabilität
DemokratieUnterstützung
und Good Governance
Instrumente:
für sozioökonomische Kohäsion, Entwicklung,
Demokratie und Good Governance
Zunehmende Spannungen
Ziele: Prävention, Reduktion von
Spannungen
Zunehmende
Spannungen
Instrumente:
politischer
Dialog,
Ziele:
Prävention,
Reduktion
von
Sanktionen, Spannungen
präventive Entwicklung,
sozio-ökonomische
Stabilisierung
Instrumente: politischer
Dialog,
Sanktionen, präventive Entwicklung,
sozio-ökonomische Stabilisierung
Das von der EU präferierte Zyklenmodell
Ein weiteres Konzept
ist dasZyklenmodell
von der Europäischen Union präDas vonder
derPrävention
EU präferierte
ferierte Zyklenmodell, das mit vorbeugenden Maßnahmen auf einem Kontinuum
von Eskalations- und Deeskalationsprozessen ansetzt. Die nachhaltige Wirkung des
0OLITISCHE3TRATEGIEN
Ein weiteres Konzept der Prävention ist das von der Europäischen Union präferierte Zyklenmodell, das mit vorbeugenden Maßnahmen auf einem Kontinuum
von Eskalations- und Deeskalationsprozessen ansetzt. Die nachhaltige Wirkung
des Zyklenmodells muss in Zweifel gezogen werden, weil die Prävention zumeist
mit der Nachsorge und dem Wiederaufbau nach dem Ende einer gewalttätigen
Auseinandersetzung beginnt. Operativ finden sich günstige Bedingungen, jedoch
liegt das im Wesentlichen darin begründet, dass die Konfliktparteien erschöpft
sind.
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