Nächtliche Muskelkrämpfe - Guten Pillen, schlechte Pillen

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Nächtliche Muskelkrämpfe - Guten Pillen, schlechte Pillen
10 5/2014 GPSP www.gp-sp.de
Nächtliche Muskelkrämpfe
Chinin nicht zu empfehlen und bald verschreibungspflichtig
Verkrampfungen in Fuß, Wade oder Oberschenkel sind schmerzhaft. Leider sind die Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung unbefriedigend: Für Medikamente fehlt meist
der Nachweis eines überzeugenden Nutzens, und manche Präparate bergen sogar Risiken.
Verhaltenstipps können helfen, auch wenn die Ursachen solcher Krämpfe oft unbekannt sind.
Auf einmal ist er da, der ziehende
Schmerz in Fuß, Wade oder
Oberschenkel. Muskelkrämpfe
treten meistens genauso plötzlich
auf, wie sie wieder verschwinden.
Besonders oft verkrampft die
Muskulatur in der Nacht oder
wenn man ruht. Vor allem erwischt es ältere Menschen.
Muskelkrämpfe können viele
Ursachen haben. Sie treten zum
Beispiel auf, wenn die Muskulatur in ungewohnter Weise oder
sehr stark belastet wurde, oder
wenn die Muskeln zu schlecht
mit Blut versorgt sind. Aber auch
starker Alkoholkonsum und ein
Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen können sie auslösen. Zudem gibt es Krankheiten,
die Muskelkrämpfe manchmal begünstigen: Dazu zählen
bestimmte Stoffwechselerkran- ben und von vielen Menschen
kungen, Krankheiten des Ner- gerne gekauft. Ein Nutzen solvensystems oder der Gelenke und cher Nahrungsergänzungsmittel
Venenleiden. Auch Menschen ist allerdings unwahrscheinlich,
mit
Leberwie eine aktuelle
schäden oder
Auswertung mehFüße, Waden und
Nierenkranke,
rerer Studien zeigt:
Oberschenkel
vor
dem
die eine DialySie konnten die Bese benötigen, Zubettgehen dehnen.
schwerden bei Verkönnen besuchspersonen kaum
troffen sein. Und es kommt vor, besser lindern als ein wirkstoffdass sogar Medikamente eine loses Scheinmedikament.1
Rolle als Auslöser der Krämpfe
spielen (siehe Tabelle). Häufig Chinin: unerwünschte
ist aber gar keine bestimmte Ur- Wirkungen
sache für die Krämpfe erkennbar. Ebenso wie Magnesium wird Chinin seit vielen Jahren als Mittel
Magnesium: Nutzen unklar gegen nächtliche MuskelkrämpDass Magnesium bei Muskel- fe verkauft und beworben (z.B.
krämpfen helfen soll, hat fast Limptar N®, siehe Glosse S. 18).
jeder schon einmal gehört. Ma- Chinin kann die Krampfhäufiggnesiumhaltige Brausetabletten keit zwar senken und die Stärke
und Pulver werden stark bewor- der Muskelkrämpfe leicht redu-
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zieren, aber diese Resultate stehen auf wackeligen Füßen: Viele
Daten sind nicht veröffentlicht
und stammen aus Studien pharmazeutischer Unternehmen.2
Bedenklich ist das Risiko schwerer unerwünschter Wirkungen
der Chininpräparate: Sie können nicht bloß zu Magen-DarmBeschwerden führen, sondern
auch das Blutbild verändern, die
Blutungsneigung erhöhen, lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen sowie schwere allergische Reaktionen oder Nierenschäden auslösen. Und bei
gleichzeitiger Einnahme anderer
Medikamente drohen gefährliche Wechselwirkungen.
In Australien, Neuseeland und
den USA sind Chininpräparate
zur Behandlung von Muskelkrämpfen nicht zugelassen. In
Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern gibt
es hingegen eine Zulassung von
Chininsulfat für diese Verwendung. Wie in Großbritannien
und Frankreich wird der Wirkstoff aber auch in Deutschland
wegen seiner Risiken demnächst
verschreibungspflichtig.
Gefährliche Tradition
Die Klosterfrau Healthcare
Group, zu der der Anbieter
Casella-med gehört, bewirbt
Limptar N® im Internet als „Naturstoff mit Tradition.“ 3 Auf
drohende Risiken wird nicht
näher eingegangen. Wir finden
nur den Pflichttext: „Zu Risiken
und Nebenwirkungen lesen Sie
die Packungsbeilage und fragen
Sie Ihren Arzt oder Apotheker“.
GPSP hat aufgrund der Risiken
wiederholt vor Chinin bei Wadenkrämpfen gewarnt (zuletzt in
GPSP 3/2011, S. 13).
GPSP Arzneimittel, die Muskelkrämpfe
auslösen oder begünstigen können 6
Wirkstoff
Name
Anwendung
Evista®,
Optruma®
gegen Osteoporose
Häufig
Eisen (als Infusion)
Raloxifen
Konjugierte Östrogene
Hormone gegen Wechseljahrsbeschwerden
Diuretika
gegen Wassereinlagerungen,
gegen Bluthochdruck
Gelegentlich
Statine
Cholesterinsenker
Beta-Sympathikomimetika
Asthma-Sprays
Citalopram, Fluoxetin, Sertralin,
Lithium
Antidepressiva
Bupropion
Elontril ®, Zyban® Antidepressivum
Pregabalin
Lyrica®
Epilepsie, bestimmte Schmerzen
Lansoprazol
Telmisartan
Betablocker,
z.B. Pindolol
Magenübersäuerung
®
Kinzalmono ,
Micardis®
bei Herzerkrankungen,
gegen Bluthochdruck
Visken®
Cholinergika
Cholinesterasehemmer
Donepezil
Galantamin
Rivastigmin
Glaukomtropfen,
Mittel zur Steigerung der Beweglichkeit
Medikamente gegen Demenz
Aricept®
Reminyl®
Exelon®
Bromocriptin
bei Parkinson
Cetirizin
Celecoxib
gegen Bluthochdruck
bei Allergien
®
Celebrex
Ciprofloxacin
Ärzte verschreiben auch Wirkstoffe, die eigentlich zur Behandlung anderer Beschwerden
zugelassen sind: Dazu gehören
der Vitamin-B-Komplex, die
muskelentspannenden Stoffe Gabapentin, Carbamazepin und Baclofen, mit denen höher dosiert
etwa Menschen mit Epilepsie
oder MS behandelt werden. Bei
keinem dieser Stoffe ist jedoch
die Wirksamkeit gegen Muskelkrämpfe verlässlich nachgewiesen. Und die Risiken bei der nicht
zugelassenen Anwendung (Offlabel) gegen nächtliche Beinkrämpfe sind nicht abzuschätzen.
gegen Arthrose
Antibiotikum
Dehnen gegen den Schmerz
Beinkrämpfen kann man durch
Bewegungsübungen vorbeugen,
indem man die Beinmuskulatur
vor dem Schlafengehen dehnt
(GPSP 4/2010, S. 4). In einer
Studie konnte solche Gymnastik
die Zahl der Krämpfe pro Nacht
um fast ein Drittel reduzieren.4
Off-label
Wirkstoffe werden für bestimmte Krankheiten und
Therapien zugelassen. Setzt ein Arzt ein Medikament
anders ein, muss er das gut begründen und sein Patient
oder seine Patientin entsprechend informieren. Die
Haftung für die Verwendung liegt beim Arzt.
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Die Versuchsteilnehmer hatten
in einer dreiminütigen Übung
ihre Muskulatur in Wade und
hinterem Oberschenkel gedehnt.
Insgesamt ist die Wirksamkeit
einer Behandlung von Muskelkrämpfen ohne Medikamente
allerdings noch unzureichend
untersucht.5
gestreckt auf dem Fußrücken
abzulegen
(Spitzfußstellung),
denn durch die Überstreckung
kann die Muskulatur verkrampfen. Tipp: Wer auf dem Bauch
schläft, sollte ans Matratzenende
rutschen und die Füße hängenlassen, um Muskelkrämpfe zu
vermeiden.
Kein Alkohol und
weitere Tipps
Noch gibt es kaum Therapien,
die bei Muskelkrämpfen eindeutig wirksam sind. Im Alltag
empfiehlt es sich daher, all das zu
vermeiden, was die Erregbarkeit
der Muskulatur erhöht: Beim
Alkohol kürzer treten oder ganz
darauf verzichten. Viel Flüssigkeit ist wichtig. Außerdem sollte
die Muskulatur nicht zu stark
in ungewohnter Weise belastet
werden.
Wer Medikamente einnimmt,
die Muskelkrämpfe begünstigen
können, kann mit seinem Arzt
oder seiner Ärztin über Alternativen sprechen. Wichtig ist
auch, dass Grunderkrankungen,
die sich möglicherweise hinter
den Muskelkrämpfen verbergen,
richtig erkannt und behandelt
werden.
Obwohl nicht bewiesen ist, dass
Magnesium bei Wadenkrämpfen
hilft, wird es in der Regel gut vertragen und kann als Therapie ausAuch bei der Schlafposition lässt probiert werden. Dazu muss man
sich vorbeugen: Bauchschläfer nicht unbedingt ein Nahrungssollten es vermeiden, die Füße ergänzungsmittel kaufen (Tages-
kosten ca. 0,50 € bei 600 mg):
Die Menge, die zur Vorbeugung
empfohlen wird, lässt sich ganz
einfach in Form von Vollkornprodukten, Haferflocken, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen
aufnehmen. Eine Banane zum
Beispiel liefert gut 100-150 mg
Magnesium und 100 g CashewNüsse enthalten etwa 250 mg.
Von Chininsulfat-Präparaten ist
abzuraten: Das Risiko schwerer
unerwünschter Wirkungen steht
hierbei nicht im Verhältnis zum
Nutzen.
1 Garrison SR u.a. (2012) Cochrane
Database of Systematic Reviews;
Issue 9. Art. No.: CD009402.
2 El-Tawil S u.a. (2010) Cochrane Database of Systematic Reviews; Issue
12. Art. No.: CD005044.
3 www.limptar.de/der-wirkstoffchininsulfat.html (Aufruf 5.8.2014)
4 Hallegraef JM u.a. (2012) J. Physiother.; 58, S. 17
5 Blyton F u.a. (2012) Cochrane Database of Systematic Reviews ; Issue 1.
Art. No.: CD008496.
6 DER ARZNEIMITTELBRIEF
(2013) 47, S. 89
Cranberries verhindern Blasenentzündungen nicht
AUFGEFRISCHT
Ob als Saft, getrocknete Beeren oder in Kapseln verpackt: Viele Frauen hoffen, sich mit Cranberry-Produkten vor Blasenentzündungen schützen zu können. Die Werbung suggeriert das.
Wie GPSP schon früher berichtet hat (2/2012, S. 4), fehlen ausreichende Belege für eine solche
Wirksamkeit. Eine neue Gesamtauswertung1 von bereits durchgeführten Studien bestätigt das.2
Der angebliche Nutzen von Cranberries wurde bisher meist mit antibakteriellen Effekten unter Laborbedingungen begründet. Inhaltsstoffe der Beeren sollen verhindern, dass sich die Erreger in den
Harnwegen ansiedeln und vermehren. Allerdings
hält die Wirkung vermutlich nur maximal acht
Stunden an. Um einen Effekt zu erzielen, müsste
man rein theoretisch mindestens zweimal täglich
0,3 Liter Cranberrysaft trinken. Soweit die Theorie.
Nun haben Wissenschaftler 13 Studien mit über
2.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern analysiert, in denen verschiedene Cranberry-Produkte
mit der Einnahme von Placebos, mit Trinken von
Wasser oder Abwarten ohne therapeutische Maßnahmen (Intervention) verglichen wurden. Das Ergebnis: Cranberries konnten Blasenentzündungen
nicht besser abwehren als die anderen Interventionen. Die roten Beeren sind den Studien zufolge
also nicht zur Vorbeugung geeignet.
Die aktuelle Auswertung macht außerdem klar:
Was im Labor gefunden wird, ist längst keine Basis
für eine effektive Behandlung.
1 Jepson RG u.a. (2013) JAMA 310, S. 1395
2 DER ARZNEIMITTELBRIEF (2014) S. 7

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