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> ABENTEUER Freeriden auf dem Dach der Welt: Der Gipfel des Matterhorns würde irgendwo da unten im Talboden stecken. Die Himalaya-Riesen können über die Alpen-Zwerge nur schmunzeln. FREERIDE 3/07 28 Hans Rey, Wade Simmons und Richie Schley – die Godfathers of Freeriding – trafen sich in Nepal. Mitten im Himalaya kurvten sie über furchterregende Trails und hohe Pässe. Über ihnen: die höchsten Gipfel der Welt. Eine Geschichte über Reifenpannen, Durchfall, bissige Hunde und die Suche nach einer heißen Dusche – erzählt von Hans Rey. FREERIDE 3/07 29 > ABENTEUER Machos auf asiatisch: Schön Freeride gucken, während die Damen im Feld buckeln. Hans und Richie stempeln die Dorftreppen runter, dass die Kontaktlinsen hüpfen und die Plomben wackeln. „Mensch, war ich froh, dass ich mir vorne noch ’ne 160er-Gabel reingepackt habe“, erzählt Hans Rey. TEXT Hans Rey KOMMENTARE Richie Schley, Wade Simmons FOTOS Blake Jorgenson E igentlich lag’s auf der Hand: Wir drei (von vielen die „Urväter des Freeridens“ genannt) mussten mal eine große Tour miteinander machen. Ein richtiges Abenteuer sollte es werden, inmitten der höchsten Berge und einer der spektakulärsten Landschaften der Welt: Nepal, das gelobte Land der Trekker. Natürlich waren da vor uns schon andere Biker unterwegs, doch die meisten haben irgendwelche Konditionstouren unternommen. Entweder mit zu viel Gepäck, um richtig biken zu können. Oder mit langen Anfahrtswegen über staubige Pisten. Wir aber wollten eine Freeride-Tour machen. Flugzeug, Heli und Shuttles sollten uns auf die richtige Höhe bringen, Träger übernahmen die Ausrüstung. Für den Abenteuer-Faktor sorgten die abgelegene Strecke und die extrem technischen Trails. Von Nepals Hauptstadt Kathmandu ging es mit dem Flugzeug in die Anapurna-Region. Gleich nach dem Start verschluckte ein Tal die kleine Maschine. An ihren Flügelspitzen türmten sich die Berge hoch und höher und das Echo der Triebwerke brach sich zwischen den Felswänden. Jomsom hieß unser Ziel. Von dort wollten wir eine Rundtour über den Jomsom-Trail und das tibetische Dorf Lupka machen, die noch nie mit dem Mountainbike befahren wurden. Richie: Kein Wunder: Der Trail war supertechnisch, seit Jahrhunderten begangen und entsprechend ausgewaschen, rutschig und verfallen... „WIR WOLLTEN EINE RICHTIGE FREERIDE-TOUR MACHEN, AUF ABGELEGENEN STRECKEN UND TECHNISCHEN TRAILS.“ Die erste Etappe führte uns von Jomsom Richtung Mustang, den ersten Adrenalin-Rush hatten wir auf einer ächzenden Hängebrücke, als uns der Wind beinahe über die morschen Geländer fegte. Am Abend gab’s dann auch noch den ersten Kranken: Wade fühlte sich so übel, dass er sofort im Bett verschwand. Wade: Oh Gott, ging’s mir schlecht! Ich war komplett ausgeknockt, die Innereien krampften sich zusammen, vorne und hinten lief es raus wie Wasser und der Schädel platzte fast vor Kopfschmerzen. Komisch: Nach 24 Stunden war’s wie weggeblasen. Dafür war ich am nächsten Tag dran. Ich fühlte mich so schlapp, dass der Aufstieg nach Mukinath auf 3 850 Meter zur Höllenqual wurde. Nur ganz am Rande nahm ich die karstige Landschaft wahr und die Trekker und Pilger, denen wir begegneten. Sie waren unterwegs zum Heiligtum von Mukinath, wo ein natürliches Gasvorkommen eine ewige Flamme speist. Als wir tags drauf downhill durch die Berge > FREERIDE 3/07 30 Hans Rey: „Die Hängebrücke in der Nähe der Grenzstadt Kagbeni ächzte und knarzte unter unserem Gewicht. Gleichzeitig fegte uns der heulende Wind fast über das morsche Geländer.“ FREERIDE 3/07 31 > ABENTEUER des Anapurna-Massivs fuhren, ging’s mir Gott sei Dank wieder etwas besser, auch wenn mich nun der unvermeidliche Durchfall ereilte. Rob Summers und Seb Rogers, die einen Film über unseren Trip drehten, ging es nicht besser. Wir konnten uns im wahrsten Sinn des Wortes nur noch sagen: drauf geschissen! Nichts würde uns jetzt mehr aufhalten, außerdem gab es sowieso kein Zurück mehr. Richie: Es war wie ein Wunder, ich bin als Einziger nicht krank geworden! Den anderen ging’s dreckig und ich dachte mir immer: Oh je, wann bin ich wohl dran? Muss wohl an den diversen Wundermittelchen gelegen haben, die mir meine Freundin Willow mitgegeben hat. Am nächsten Tag erreichten wir den höchsten Punkt des Anapurna-Trips: Auf gut 4 000 Metern schauten wir immer noch nach oben – zum Gipfel des Dhaulagiri und anderen Achttausendern ringsum. Gleißend weiß bohrten sich die Riesen in die Stratosphäre. Kein Wunder, dass kein Heli der Welt bis da hoch propellern kann. Das urtümliche Bergdorf Lupra war den Umweg Richie Schley: „Wir haben oft gestaunt, wo unsere Guides mit ihren Hardtails überall fuhren. Wenn sie dann sahen, wie wir die steilen Treppen runter ratterten, hielten sie uns für komplett irre.“ Richie: 70 Prozent konnten wir fahren, eigentlich gar nicht schlecht. Ich hatte mit viel mehr Tragepassagen gerechnet und die falschen Reifen eingepackt: leichte Cross-Country-Schlappen. So viele Platten wie in Nepal habe ich noch nie geflickt. Wades Downhillreifen dagegen konnten die Felsen und Dornen kaum etwas anhaben. Und während ich flickte, musste ich mir von den anderen natürlich dumme Sprüche gefallen lassen. Von Jomsom aus hatten wir zwei weitere Tage Hardcore-Downhill vor uns. Der Trail war zwar teilweise als Jeep-Strecke ausgewiesen, aber oft bestand er nur aus einer in den senkrechten Fels gekerbten schmalen Rinne oder er war von Erdrutschen verschüttet. Die Eselskaravanen machten die Sache auch nicht grade einfacher. 32 Richie: Um es auf den Punkt zu bringen: Die Eselscheiße flog dir um die Ohren! Nach acht anstrengenden Stunden im Sattel wurde uns klar, dass wir noch mindestens drei weitere Wegstunden vor uns hatten, und dabei begann es schon zu dämmern. Also Kameras weggepackt und Vollgas. Bald war es komplett dunkel, wir hatten kein Wasser mehr, kein Licht und auch keine Kraft. Wade: Die anderen hatte die Dunkelheit verschluckt und gemeinsam mit Richie eilte ich durch die Nacht. Wir waren komplett am Ende. Bei jeder Wegbiegung hofften wir, das Dorf endlich zu sehen und kicherten hysterisch, wenn stattdessen nur die nächste Wegbiegung folgte. Völlig ausgepowert und dehydriert kamen wir nach über zwölf Stunden endlich nach Tatopani. Der nächste Tag war wenig anders. Manchmal fragten wir uns, warum man sich so was > „HUNDE JAGTEN MICH. ZUERST EINER. DANN EINE GANZE MEUTE. ICH BIN UM MEIN LEBEN PEDALIERT!“ und die Strapazen wert: kein Souvenirshop weit und breit – leider aber auch kein Teahouse, wie die Gasthäuser hier heißen. Gott sei Dank fanden wir im Dorf eine Familie, die uns eine dicke Nudelsuppe kochte und uns wieder zu Kräften brachte. Das war gut so, denn der Trail wurde immer steiler und technischer. Wir wateten durch Flüsse, pressten uns an Felswände, um nicht abzustürzen, schleppten unsere Bikes treppauf und treppab und fuhren meilenweit durch felsige, ausgetrocknete Flussbetten. FREERIDE 3/07 Die schwer beladenen Tiere gaben keinen Zentimeter preis, um sie zu überholen. Egal ob Himalaya oder Northshore: Wade Simmons’ Style ist unverkennbar. Von solchen Moves konnte Richie Schley mit seinen Cross-Country-Reifen nur träumen. Vermutlich flickte er in diesem Moment gerade wieder. FREERIDE 3/07 33 > ABENTEUER überhaupt antut. Aber andererseits spürte ich deutlich: Das macht das Abenteuer aus. Jeder Zentimeter Federweg wurde ausgenutzt und mehr als einmal wurden unsere Bikes richtig durchgemangelt, vor allem als wir durch die tiefste Schlucht der Welt, den Kali Gandaki entlang, hinunter nach Beni fuhren. Wade: Die Berge haben mich umgehauen. Wir haben tolle hohe Berge in Kanada, die Alpen sind auch beeindruckend. Doch der Himalaya – das ist eine andere Dimension. Alles ist doppelt so hoch und groß. Die Felswände ragen nicht hunderte, sondern tausende von Metern in die Höhe. Zweimal jagten mich Hunde. Zuerst war es einer, dann ne ganze Meute. Ich pedalierte um mein Leben. Verfluchte Köter! Richie: Mir ist das nie passiert. Anscheinend hat Hans ’ne Hunde-Phobie. Jedesmal sprintete er los. Das lockte natürlich alle Köter im Dorf an. War ganz schön knapp. Hier willst du nicht von einem Hund gebissen werden. In Beni war unser Anapurna-Trip zu Ende. Wir flogen zurück nach Kathmandu und bereiteten die zweite Tour vor. Sie sollte in den LangtangNationalpark führen. Als wir in den russischen Helikopter einstiegen, schluckte ich trocken. Öl siffte aus der alten Mühle. Den russischen Piloten scherte das wenig. Er lehnte am Tank- wagen mit der Kippe im Mundwinkel. Als wir in Kyanjin Gomba auf 3 800 Metern wieder festen Himalaya-Boden unter den Füßen hatten, waren wir nicht nur erleichtert, sondern völlig begeistert: Wir standen auf dem Dach der Welt – genau so fühlte es sich an. Kinder kamen angesprungen – als würden sie spüren, dass da auch drei große Kinder anrückten, die allen möglichen Quatsch im Kopf hatten. Richie: Wenn wir irgendwo entlangradelten, war es ganz ähnlich: Die Locals riefen uns zu, jubelten, lachten und klatschten. Kinder liefen uns nach. Nach den Zwölf-Stunden-Etappen der ersten Tour wollten wir nicht auf die Teahouses angewiesen sein und hatten Zelte mitgebracht. Der Trail hatte mehr Flow und wir cruisten schier endlos durch die Gegend. Am ersten Abend schlugen wir die Zelte in der Nähe des Dorfes Langtang auf. Wade: Wir waren verschwitzt und dreckig. Mein Gott, was soll’s. Doch Prinzessin Schley brauchte unbedingt eine Dusche. „Ich muss duschen“, jammerte er. Also musste ein Träger mit ihm ins Dorf gehen. Hans und ich konnten da nur lachen. Wir sprangen in den Fluss. Am nächsten Tag kurvten wir durch einen Wald aus blühenden RhododendronBüschen, dann war es ein dschungelartiger Re- > „DIE KINDER HATTEN EINE MENGE SPASS MIT UNS - UND WIR MIT IHNEN.“ (RICHIE SCHLEY) FREERIDE 3/07 34 Freeride only: „Im Himalaya waren schon viele Biker unterwegs. Auf dieser Route jedoch nicht. Warum, merkten wir schnell. Fiese Treppen, meterhohe Stufen, lose Steine – der Trail forderte all unsere Skills“, sagte Richie und glaubte, schon wieder ein ‚Pfffffff‘ zu hören. FREERIDE 3/07 35 > ABENTEUER genwald, wo überall Affen in den Ästen hockten. Es hat richtig Spaß gemacht, Wade dabei zuzusehen, wie er sich mit seinem unverwechselbaren eleganten Stil auf den technischen Abschnitten des Trails vergnügte. Ich bin eigentlich meist der Letzte, der in schwierigen Trial-Passagen absteigt. Einmal aber fuhr Wade eine total gefährliche, ausgesetzte Treppe, wo ich sagen musste: No way. Zumindest nicht an diesem Tag. Gewimmel: „Aaron, fahr du rechts, flipp den Step-up und zie. Wade: Dafür hat uns Hans bergauf regelrecht versägt. Er kam die steilsten Rampen hoch. Wir hatten sogar Wetten laufen und spornten ihn an. Hey Hans, wenn du da hochkommst, zahlen wir das nächste Bier. Richie: Hans geht technische Passagen im Trial-Stil an. Er bremst an einer Kante und hüpft, um sich dann die Ideallinie zu suchen. Ich dagegen brauche immer bisschen Impuls. Hans mochte es gar nicht, wenn ich mit Schwung auffuhr und ihm im Nacken hing. „SIE HIELTEN DIE HASCHPFEIFE HOCH. ICH DACHTE NUR: DAS DING NIMMST DU NICHT IN DEN MUND!“ (RICHIE SCHLEY) Die Trails in Nepal – vor allem der in der Anapurna-Region – sind extreme Wanderwege, auf denen normale Biker vermutlich nicht viel Spaß hätten. Auch uns hat das Abenteuer mit ZwölfStunden-Etappen, extremen Höhenunterschieden, Tragepassagen, Platten und Krankheiten oft an unsere Grenzen gebracht – und das trotz Träger, Guides, Heli und allen Schikanen. Ganz zu schweigen vom Kamera-Team, die den Trip auch noch mit ihrer ganzen Ausrüstung bewältigen mussten. Wade: Ja, Hut ab, und die Bilder sind ja auch wirklich toll geworden. Trotzdem würde ich den Trip gerne nochmal machen, doch dann länger. Wir waren durch die Fotografiererei und Filmerei zu sehr in Eile. Ich wäre gerne mal an einem Platz geblieben und hätte die Atmosphäre so richtig in mich aufgesaugt. Richie: Stimmt. Das eigentliche Biken verblasst im Vergleich zu dem Erlebnis, in einem solchen Land unterwegs zu sein. Mir wurde mal wieder bewusst, wie viel Glück ich mit meinem Leben habe. All der Luxus. Unsere Probleme wirken da wie ein Witz. Man wird demütig. FREERIDE 3/07 36