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> ABENTEUER
Freeriden auf dem Dach der Welt: Der
Gipfel des Matterhorns würde irgendwo da unten im Talboden stecken.
Die Himalaya-Riesen können über die
Alpen-Zwerge nur schmunzeln.
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Hans Rey, Wade Simmons und Richie Schley – die Godfathers of Freeriding –
trafen sich in Nepal. Mitten im Himalaya kurvten sie über furchterregende
Trails und hohe Pässe. Über ihnen: die höchsten Gipfel der Welt. Eine Geschichte über Reifenpannen, Durchfall, bissige Hunde und die Suche nach
einer heißen Dusche – erzählt von Hans Rey.
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Machos auf asiatisch: Schön Freeride gucken,
während die Damen im Feld buckeln. Hans
und Richie stempeln die Dorftreppen runter,
dass die Kontaktlinsen hüpfen und die
Plomben wackeln. „Mensch, war ich froh,
dass ich mir vorne noch ’ne 160er-Gabel
reingepackt habe“, erzählt Hans Rey.
TEXT Hans Rey KOMMENTARE Richie Schley, Wade Simmons
FOTOS Blake Jorgenson
E
igentlich lag’s auf der Hand: Wir drei
(von vielen die „Urväter des Freeridens“
genannt) mussten mal eine große Tour
miteinander machen. Ein richtiges Abenteuer
sollte es werden, inmitten der höchsten Berge
und einer der spektakulärsten Landschaften der
Welt: Nepal, das gelobte Land der Trekker. Natürlich waren da vor uns schon andere Biker
unterwegs, doch die meisten haben irgendwelche Konditionstouren unternommen. Entweder
mit zu viel Gepäck, um richtig biken zu können.
Oder mit langen Anfahrtswegen über staubige Pisten. Wir aber wollten eine Freeride-Tour
machen. Flugzeug, Heli und Shuttles sollten uns
auf die richtige Höhe bringen, Träger übernahmen die Ausrüstung. Für den Abenteuer-Faktor
sorgten die abgelegene Strecke und die extrem
technischen Trails.
Von Nepals Hauptstadt Kathmandu ging es mit
dem Flugzeug in die Anapurna-Region. Gleich
nach dem Start verschluckte ein Tal die kleine
Maschine. An ihren Flügelspitzen türmten sich
die Berge hoch und höher und das Echo der
Triebwerke brach sich zwischen den Felswänden. Jomsom hieß unser Ziel. Von dort wollten
wir eine Rundtour über den Jomsom-Trail und
das tibetische Dorf Lupka machen, die noch nie
mit dem Mountainbike befahren wurden.
Richie: Kein Wunder: Der Trail war supertechnisch,
seit Jahrhunderten begangen und entsprechend ausgewaschen, rutschig und verfallen...
„WIR WOLLTEN EINE RICHTIGE FREERIDE-TOUR MACHEN,
AUF ABGELEGENEN STRECKEN UND TECHNISCHEN TRAILS.“
Die erste Etappe führte uns von Jomsom Richtung Mustang, den ersten Adrenalin-Rush hatten
wir auf einer ächzenden Hängebrücke, als uns
der Wind beinahe über die morschen Geländer
fegte. Am Abend gab’s dann auch noch den
ersten Kranken: Wade fühlte sich so übel, dass
er sofort im Bett verschwand.
Wade: Oh Gott, ging’s mir schlecht! Ich war komplett ausgeknockt, die Innereien krampften sich zusammen, vorne und hinten lief es raus wie Wasser
und der Schädel platzte fast vor Kopfschmerzen.
Komisch: Nach 24 Stunden war’s wie weggeblasen.
Dafür war ich am nächsten Tag dran. Ich fühlte
mich so schlapp, dass der Aufstieg nach Mukinath auf 3 850 Meter zur Höllenqual wurde.
Nur ganz am Rande nahm ich die karstige
Landschaft wahr und die Trekker und Pilger,
denen wir begegneten. Sie waren unterwegs
zum Heiligtum von Mukinath, wo ein natürliches Gasvorkommen eine ewige Flamme speist.
Als wir tags drauf downhill durch die Berge >
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Hans Rey: „Die Hängebrücke in der
Nähe der Grenzstadt Kagbeni ächzte
und knarzte unter unserem Gewicht.
Gleichzeitig fegte uns der heulende
Wind fast über das morsche Geländer.“
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des Anapurna-Massivs fuhren, ging’s mir Gott
sei Dank wieder etwas besser, auch wenn mich
nun der unvermeidliche Durchfall ereilte. Rob
Summers und Seb Rogers, die einen Film über
unseren Trip drehten, ging es nicht besser. Wir
konnten uns im wahrsten Sinn des Wortes nur
noch sagen: drauf geschissen! Nichts würde uns
jetzt mehr aufhalten, außerdem gab es sowieso
kein Zurück mehr.
Richie: Es war wie ein Wunder, ich bin als Einziger
nicht krank geworden! Den anderen ging’s dreckig
und ich dachte mir immer: Oh je, wann bin ich
wohl dran? Muss wohl an den diversen Wundermittelchen gelegen haben, die mir meine Freundin
Willow mitgegeben hat.
Am nächsten Tag erreichten wir den höchsten
Punkt des Anapurna-Trips: Auf gut 4 000 Metern
schauten wir immer noch nach oben – zum
Gipfel des Dhaulagiri und anderen Achttausendern ringsum. Gleißend weiß bohrten sich die
Riesen in die Stratosphäre. Kein Wunder, dass
kein Heli der Welt bis da hoch propellern kann.
Das urtümliche Bergdorf Lupra war den Umweg
Richie Schley: „Wir haben oft gestaunt, wo unsere Guides mit ihren
Hardtails überall fuhren. Wenn sie
dann sahen, wie wir die steilen
Treppen runter ratterten, hielten sie
uns für komplett irre.“
Richie: 70 Prozent konnten wir fahren, eigentlich
gar nicht schlecht. Ich hatte mit viel mehr Tragepassagen gerechnet und die falschen Reifen eingepackt:
leichte Cross-Country-Schlappen. So viele Platten
wie in Nepal habe ich noch nie geflickt. Wades
Downhillreifen dagegen konnten die Felsen und
Dornen kaum etwas anhaben. Und während ich
flickte, musste ich mir von den anderen natürlich
dumme Sprüche gefallen lassen.
Von Jomsom aus hatten wir zwei weitere Tage
Hardcore-Downhill vor uns. Der Trail war zwar
teilweise als Jeep-Strecke ausgewiesen, aber oft
bestand er nur aus einer in den senkrechten
Fels gekerbten schmalen Rinne oder er war von
Erdrutschen verschüttet. Die Eselskaravanen
machten die Sache auch nicht grade einfacher.
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Richie: Um es auf den Punkt zu bringen: Die Eselscheiße flog dir um die Ohren!
Nach acht anstrengenden Stunden im Sattel
wurde uns klar, dass wir noch mindestens drei
weitere Wegstunden vor uns hatten, und dabei
begann es schon zu dämmern. Also Kameras
weggepackt und Vollgas. Bald war es komplett
dunkel, wir hatten kein Wasser mehr, kein Licht
und auch keine Kraft.
Wade: Die anderen hatte die Dunkelheit verschluckt
und gemeinsam mit Richie eilte ich durch die Nacht.
Wir waren komplett am Ende. Bei jeder Wegbiegung
hofften wir, das Dorf endlich zu sehen und kicherten hysterisch, wenn stattdessen nur die nächste
Wegbiegung folgte.
Völlig ausgepowert und dehydriert kamen wir
nach über zwölf Stunden endlich nach Tatopani. Der nächste Tag war wenig anders. Manchmal fragten wir uns, warum man sich so was >
„HUNDE JAGTEN MICH. ZUERST EINER. DANN
EINE GANZE MEUTE. ICH BIN UM MEIN LEBEN
PEDALIERT!“
und die Strapazen wert: kein Souvenirshop weit
und breit – leider aber auch kein Teahouse, wie
die Gasthäuser hier heißen. Gott sei Dank fanden
wir im Dorf eine Familie, die uns eine dicke
Nudelsuppe kochte und uns wieder zu Kräften
brachte. Das war gut so, denn der Trail wurde
immer steiler und technischer. Wir wateten
durch Flüsse, pressten uns an Felswände, um
nicht abzustürzen, schleppten unsere Bikes
treppauf und treppab und fuhren meilenweit
durch felsige, ausgetrocknete Flussbetten.
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Die schwer beladenen Tiere gaben keinen Zentimeter preis, um sie zu überholen.
Egal ob Himalaya oder Northshore: Wade
Simmons’ Style ist unverkennbar. Von
solchen Moves konnte Richie Schley mit
seinen Cross-Country-Reifen nur träumen.
Vermutlich flickte er in diesem Moment
gerade wieder.
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überhaupt antut. Aber andererseits spürte
ich deutlich: Das macht das Abenteuer aus.
Jeder Zentimeter Federweg wurde ausgenutzt
und mehr als einmal wurden unsere Bikes richtig
durchgemangelt, vor allem als wir durch die
tiefste Schlucht der Welt, den Kali Gandaki
entlang, hinunter nach Beni fuhren.
Wade: Die Berge haben mich umgehauen. Wir
haben tolle hohe Berge in Kanada, die Alpen sind
auch beeindruckend. Doch der Himalaya – das ist
eine andere Dimension. Alles ist doppelt so hoch und
groß. Die Felswände ragen nicht hunderte, sondern
tausende von Metern in die Höhe.
Zweimal jagten mich Hunde. Zuerst war es einer,
dann ne ganze Meute. Ich pedalierte um mein
Leben. Verfluchte Köter!
Richie: Mir ist das nie passiert. Anscheinend hat
Hans ’ne Hunde-Phobie. Jedesmal sprintete er los.
Das lockte natürlich alle Köter im Dorf an. War
ganz schön knapp. Hier willst du nicht von einem
Hund gebissen werden.
In Beni war unser Anapurna-Trip zu Ende. Wir
flogen zurück nach Kathmandu und bereiteten
die zweite Tour vor. Sie sollte in den LangtangNationalpark führen. Als wir in den russischen
Helikopter einstiegen, schluckte ich trocken.
Öl siffte aus der alten Mühle. Den russischen
Piloten scherte das wenig. Er lehnte am Tank-
wagen mit der Kippe im Mundwinkel. Als wir in
Kyanjin Gomba auf 3 800 Metern wieder festen
Himalaya-Boden unter den Füßen hatten, waren
wir nicht nur erleichtert, sondern völlig begeistert: Wir standen auf dem Dach der Welt – genau
so fühlte es sich an. Kinder kamen angesprungen
– als würden sie spüren, dass da auch drei große
Kinder anrückten, die allen möglichen Quatsch
im Kopf hatten.
Richie: Wenn wir irgendwo entlangradelten, war
es ganz ähnlich: Die Locals riefen uns zu, jubelten,
lachten und klatschten. Kinder liefen uns nach.
Nach den Zwölf-Stunden-Etappen der ersten
Tour wollten wir nicht auf die Teahouses angewiesen sein und hatten Zelte mitgebracht. Der
Trail hatte mehr Flow und wir cruisten schier
endlos durch die Gegend. Am ersten Abend
schlugen wir die Zelte in der Nähe des Dorfes
Langtang auf.
Wade: Wir waren verschwitzt und dreckig. Mein
Gott, was soll’s. Doch Prinzessin Schley brauchte
unbedingt eine Dusche. „Ich muss duschen“, jammerte er. Also musste ein Träger mit ihm ins Dorf
gehen. Hans und ich konnten da nur lachen. Wir
sprangen in den Fluss.
Am nächsten Tag kurvten wir durch einen
Wald aus blühenden RhododendronBüschen, dann war es ein dschungelartiger Re- >
„DIE KINDER HATTEN EINE MENGE SPASS MIT
UNS - UND WIR MIT IHNEN.“ (RICHIE SCHLEY)
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Freeride only: „Im Himalaya waren schon
viele Biker unterwegs. Auf dieser Route
jedoch nicht. Warum, merkten wir schnell.
Fiese Treppen, meterhohe Stufen, lose
Steine – der Trail forderte all unsere
Skills“, sagte Richie und glaubte, schon
wieder ein ‚Pfffffff‘ zu hören.
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genwald, wo überall Affen in den Ästen hockten.
Es hat richtig Spaß gemacht, Wade dabei zuzusehen, wie er sich mit seinem unverwechselbaren
eleganten Stil auf den technischen Abschnitten
des Trails vergnügte. Ich bin eigentlich meist
der Letzte, der in schwierigen Trial-Passagen absteigt. Einmal aber fuhr Wade eine total gefährliche, ausgesetzte Treppe, wo ich sagen musste:
No way. Zumindest nicht an diesem Tag.
Gewimmel: „Aaron, fahr du
rechts, flipp den Step-up und zie.
Wade: Dafür hat uns Hans bergauf regelrecht
versägt. Er kam die steilsten Rampen hoch. Wir
hatten sogar Wetten laufen und spornten ihn an.
Hey Hans, wenn du da hochkommst, zahlen wir
das nächste Bier.
Richie: Hans geht technische Passagen im Trial-Stil
an. Er bremst an einer Kante und hüpft, um sich dann
die Ideallinie zu suchen. Ich dagegen brauche immer
bisschen Impuls. Hans mochte es gar nicht, wenn ich
mit Schwung auffuhr und ihm im Nacken hing.
„SIE HIELTEN DIE HASCHPFEIFE HOCH. ICH
DACHTE NUR: DAS DING NIMMST DU NICHT IN
DEN MUND!“ (RICHIE SCHLEY)
Die Trails in Nepal – vor allem der in der Anapurna-Region – sind extreme Wanderwege, auf
denen normale Biker vermutlich nicht viel Spaß
hätten. Auch uns hat das Abenteuer mit ZwölfStunden-Etappen, extremen Höhenunterschieden, Tragepassagen, Platten und Krankheiten
oft an unsere Grenzen gebracht – und das trotz
Träger, Guides, Heli und allen Schikanen. Ganz zu
schweigen vom Kamera-Team, die den Trip auch
noch mit ihrer ganzen Ausrüstung bewältigen
mussten.
Wade: Ja, Hut ab, und die Bilder sind ja auch wirklich
toll geworden. Trotzdem würde ich den Trip gerne
nochmal machen, doch dann länger. Wir waren
durch die Fotografiererei und Filmerei zu sehr in
Eile. Ich wäre gerne mal an einem Platz geblieben
und hätte die Atmosphäre so richtig in mich aufgesaugt.
Richie: Stimmt. Das eigentliche Biken verblasst im
Vergleich zu dem Erlebnis, in einem solchen Land
unterwegs zu sein. Mir wurde mal wieder bewusst,
wie viel Glück ich mit meinem Leben habe. All der
Luxus. Unsere Probleme wirken da wie ein Witz.
Man wird demütig.
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