Bitte keine Micky Maus!

Transcrição

Bitte keine Micky Maus!
V2
Solo
Nummer 260 • Samstag, 9. November 2013
So sieht man(n)
gut aus
Ein paar Sachen zum Anziehen
braucht der Mann
Von Melanie Maier
Jeanshosen hat wahrscheinlich jeder
Mann im Schrank. Neben dieser Basisausstattung für den Alltag sollten jedoch noch
andere Kleidungsstücke darin hängen:
Für jeden Anlass das passende Outfit.
Der Klassische
Um den Kauf eines Herrenanzugs kommt
der Herr nicht herum: Zu Anlässen wie
Hochzeiten, Beerdigungen und Konferenzen sind das Sakko und die Stoffhose unersetzbar. Dezente Farben wie Schwarz,
Grau oder Dunkelblau sind stets eine gute
Wahl. Ob man den Anzug mit einer Krawatte oder Fliege kombiniert oder beides
weglässt, hängt vom Anlass und vom Geschmack des Trägers ab. Wer es besonders
schick mag, trägt über dem faltenfreien (!)
Hemd eine passende Weste. Auch die Farbe des Hemdes sollte gut zum Anzug passen. Wer unsicher ist, greift zu einem weißen oder schwarzen Hemd. Wichtig ist, darauf zu achten, dass die Hosenbeine und
Ärmel nicht zu lang oder zu kurz sind und
dass die Schuhe zum Outfit passen – Turnschuhe oder Stiefel sind bei einem Anzug
nicht erlaubt.
Der Trendige
Sie ist lässig, sie ist locker: die Anzugweste. Zusammen mit einer Bluejeans und
einem weißen Hemd oder T-Shirt lässt sie
(fast) jeden Mann gut aussehen. Ein stylisher Hut rundet das Outfit ab – fertig ist der
urbane Casual-Look, den man abends in
der Stadt genauso wie bei einem Abendessen mit Freunden tragen kann. Sogar für
eine Abwechslung im Büroalltag eignet
sich die Anzugweste, nämlich als Ergänzung zu Hemd und Stoffhose. Wer möchte,
kann eine Krawatte darunter tragen.
Wichtig: Die Schuhe müssen zur Kleidung
passen.
Der Romantiker
Schwierig, die richtige Kleidung fürs erste
Date auszusuchen: Einerseits möchte man
nicht overdressed, andererseits nicht zu
leger erscheinen. Das Outfit sollte sich an
der Atmosphäre des Treffpunkts orientieren. Isst man zusammen beim LieblingsItaliener oder in einem Nobel-Restaurant?
Je höher die Preisklasse, desto edler wird
die Garderobe. Für ein einfaches erstes
Date in einer familiären Umgebung bieten
sich gut sitzende Jeans oder Chinohosen
an. Als Oberteil wählt man ein langärmeliges, einfarbiges Hemd oder T-Shirt. Je
nach Gusto kann man dazu bequemes
Schuhwerk wie Sneakers, Leinenschuhe
oder hochwertigere Schnürschuhe tragen.
In gehobener Umgebung empfiehlt es sich,
den Anzug anzuziehen. Bei einem abendlichen Event gern auch den Smoking.
Der Sportliche
Im Fitnessstudio oder beim Joggen sollten
Männer sportlich aussehen. Dazu bedarf
es weder einer allzu kurzen Hose (die den
Po betonen soll) noch eines neonfarbenen
Funktions-T-Shirts. Mit einer locker sitzenden, knöchellangen Trainingshose und
einem neutral gefärbten T-Shirt ist man(n)
bei sportlichen Aktivitäten gut beraten.
Sind die anderen Kleidungsstücke nicht
übermäßig bunt, kann man farbenfrohe
Turnschuhe dazu tragen. Muss man aber
nicht.
Der Modedesigner Bent Angelo Jensen alias Herr von Eden hat schon als Schüler Anzüge getragen.
Foto: dpa
Bitte keine Micky Maus!
Der Designer Bent Angelo Jensen über Krawattennadeln und Frauen, die nicht alt werden wollen
Zu seinen Kunden zählen Musiker wie
Jan Delay und Udo Lindenberg. Zurzeit
kämpft er zwar mit der Insolvenz seines
Modelabels. Mit Klamotten kennt er
sich aber trotzdem aus.
Von Claudia Bell
Herr Jensen, was haben Sie heute an?
Eine königsblaue, karierte, indische Pumphose, schwere schwarze Arbeiterstiefel, ein
weiß-blau-gelb gestreiftes Hemd und eine
klassische gestreifte Weste.
Hört sich ziemlich bunt an. Tragen Sie auch
mal klassisch?
Ja klar, sehr oft. Aber gerade ich möchte als
Vorbild dienen, schließlich vertrete ich als
Modedesigner einen Stil und darf dies auch
vor meinen Mitarbeitern und Kunden
kommunizieren.
Fühlen Sie sich jeden Tag gut angezogen, oder
gibt es auch mal einen schlechten Tag?
Gummisohlen herum, das geht doch nicht.
Oder diese bunten Micky-Maus-Krawatten
oder Krawattennadeln – ganz schlimm. Oder
wenn erwachsene kräftige Männer meinen,
sie müssten eines dieser heute modernen,
kurzen Slim-fit-Sakkos tragen. Damit
wollen sie die Dynamik eines jungen Mannes
suggerieren, aber das geht dann meistens
schief.
Teilen Sie meine Meinung, dass Anzug und
Rucksack zusammen gar nicht gehen?
Absolut, das geht überhaupt nicht. Auch
wenn Andy Warhol das damals so getragen
hat. Aber die Männer von heute sind ja nun
mal beiliebe nicht so cool wie Warhol.
Und was ist, wenn ein Mann sich überhaupt
nicht wohlfühlt in einem Anzug?
Wenn ein Mann nicht gerne Anzug trägt, tut
es natürlich auch eine elegante Hose mit
oder ohne Sakko. Oder im Freizeitbereich
etwa eine Jeans mit einem Kaschmirpullover
und einer kernigen Lederjacke darüber.
Auch damit ist man top angezogen.
Und was ist bei Frauen ein No-Go?
Wenn Frauen absolut nicht alt werden wol-
Und was für eine Tasche sollten die Männer
dann tragen, wenn sie ins Büro gehen?
Der Aktenkoffer ist ja zum Glück verschwunden. Fragwürdig sind auch Herrenhandtaschen mit Henkel. Es gibt so viele
tolle Taschen, eigentlich hat man genügend
Auswahl.
Und wann macht ein Mann es richtig?
Den gibt es. Aber selten. Eigentlich nur,
wenn ich wahnsinnig viel zu tun habe und
kaum zum Verschnaufen komme. Wenn ich
mir allerdings manche Herren so anschaue,
dann haben die offenbar jeden Tag einen
schlechten Tag bezüglich ihrer Kleidung.
Ein hochwertiger Anzug ist das ultimative
Kleidungsstück. Mit einem dreiteiligen,
dunkelblauen Anzug kommt ein Mann
schon sehr weit.
So schlimm?
Nein, ein dreiteiliger Anzug mit Weste ist
nur formeller, aber nicht staubig.
Schauen Sie sich doch mal die meisten
Männer auf der Straße an. Viele laufen in
geschmacklosen Schuhen mit breiten
dazu sein, oder?
Nein, eine Krawatte muss nicht zwingend
sein. Ich bin etwa ein großer Fan von Einstecktüchern. Die gibt es ja auch in allen
Variationen und Farben.
Ich dachte, dreiteilige Anzüge seien aus der
Mode?
Info
Bent Angelo Jensen
¡ 1977 im dänischen Sonderburg geboren.
¡ 1996 Umzug nach Hamburg, dort eröffnet
er seine erste Secondhandboutique 24
Hours – 24 Cabins.
¡ 1998 gründet der Autodidakt sein Modelabel Herr von Eden (HvE), ein Jahr später
entwirft er seinen ersten Anzug.
¡ Seine Entwürfe sind eine Mischung aus
Nostalgie, Avantgarde, Dandy und Glamour im Stil der zwanziger Jahre.
¡ Trotz Insolvenz will Jensen weitermachen. (cb)
Aber dann muss es doch sicher die Krawatte
len. Oft sind solche Frauen mit ihrer Tochter
unterwegs und schauen dabei fast aus wie
sie. Sie tragen zu enge Jeans mit viel zu
tiefem Hosenbund und zu bunte Oberteile
und kopieren den Look der jüngeren Generation. Das ist doch albern, armselig und
leider lächerlich.
Wenn man Sie so hört, sollte man meinen,
dass die Deutschen sich nicht ordentlich
anziehen können.
Nun ja, etwa in Italien oder Japan herrscht
schon eine größere Stilsicherheit vor. Die
scheinen das irgendwie im Blut zu haben. In
Deutschland und einigen Nachbarländern
hingegen ist das Thema mit dem eleganten
Kleiden schon eher fragwürdig. Über uns
schwappen doch Tsunamis von Funktionskleidung herein. Diesen ganzen Fluten von
Outdoorjacken – gern auch im Partnerlook –
kann man sich ja gar nicht entziehen. Das
finde ich einfach nicht schön. Eine praktische Jacke für alle Anlässe – das kann doch
nicht sein.
Aber wenn man sich immer nur um seine
Kleiderauswahl sorgt, kann das ganz schön
anstrengend werden.
Ganz klar. Wenn man verzweifelt Trendsetting betreiben will, kann das stressig und
gleichzeitig ein schwieriges Unterfangen
werden. Eine gewisse Lässigkeit im Umgang
mit der Garderobe ist natürlich schon auch
wichtig. Man möge einfach jeden Morgen
eine Freude beim Anziehen verspüren. Dann
geht es eigentlich von ganz allein, dass man
ordentlich und gut gekleidet ist.
Der Hitzige
Bei Temperaturen ab 25 Grad wird es
schwierig, ein Outfit zu finden, in dem Er
attraktiv und seriös zugleich wirkt. Bürohengste kommen trotz Hitze nicht um lange Hemden und Hosen und geschlossene
Schuhe herum. Nach Feierabend können
sie zu Bermudas übergehen – diese sollten
jedoch mindestens bis zu den Knien
reichen. Leichte Chinohosen sind die Alternative. Zu beidem passen einfache
T-Shirts oder langärmelige Hemden, die
hochgekrempelt werden dürfen. Sobald es
abends kühler wird, kommt ein dünner,
einfarbiger Cardigan (Strickweste) zum
Einsatz. Wer mag, kombiniert den Freizeit-Look mit einer coolen Sonnenbrille
und einem Sommerhut. Als Schuhe eignen
sich luftige Turnschuhe oder Slipper.
Der Bärtige
Man kann es drehen und wenden, wie man
will: Bei den Herren der Schöpfung bestimmt auch der Bartwuchs das Aussehen.
Die Varianten reichen von den beliebten
Drei-Tage-Stoppeln bis hin zum rauschenden Vollbart. Grenzen setzen der
männlichen Kreativität nur individuelle
Präferenzen sowie die Stärke der Gesichtsbehaarung. Praktisch ist: Der Bart
muss nicht zur Kleidung passen. Unpraktisch ist: Er muss zum eigenen Typ passen.
Grundsätzlich gilt – ganz abgesehen davon, ob man(n) Bart trägt oder nicht: Ein
gepflegtes Aussehen ist analog zur Kleidung auch hier das A und O.
Adams Kinder
Fortsetzung von V1
Der Anzug war ein Statussymbol, er verriet
Klassenzugehörigkeit und diente der Abgrenzung. Der Blaue Anton, Arbeitsanzug
des Monteurs, erzählt eine Sozialgeschichte.
Der Bleyle-Anzug im Matrosenstil für Jungen (und Mädchen) spricht wie die Schuluniformen von der disziplinierenden Macht
des Systems. Der Anzug erzog die Zöglinge
zum Stillsitzen, letztlich zum Stillhalten.
Auch diese Bilder von Anzügen sind im kollektiven Gedächtnis gegenwärtig: Thomas
Mann im hellen Leinenanzug am Lido. Stalins Uniform, Brechts Arbeiteranzug in den
fünfziger Jahren, der Mao-Anzug, Fidel
Castro im Kampfanzug, der Hosenanzug
von Angela Merkel.
Den Stil Hollywoods in den vierziger und
fünfziger Jahren prägten die Schauspieler
Humphrey Bogart und James Stewart. Nicht
die Mafiosi hatten die Filme inspiriert, die
Angestellten der „Firma“ trugen Hüte,
Schuhe und Anzüge wie jener Edward G.
Robinson in dem Gangsterfilm „Der kleine
Cäsar“ Anfang der dreißiger Jahre. Gregory
Peck war der „Mann im grauen Flanell“, der
in diesem Film von 1956 den amerikanischen
Durchschnittsmann verkörperte: Der klassisch-korrekte Anzug mit breiten Schultern
und schmalen Hüften wurde zur Uniform
des weißen Aufsteigers und guten Familienvaters amerikanischer Prägung. Oscar Wilde, Dandy von Beruf, nebenbei Schriftsteller, wusste es: „Das Leben imitiert die Kunst
weit mehr als die Kunst das Leben.“ Die Anzüge von James Bond alias Sean Connery in
den frühen Filmen; die weich fließenden,
pastellfarbenen Armani-Anzüge der Cops
vor der Art-déco-Kulisse des Ocean Drive
von Miami Beach zum Beispiel, sorgfältig
verarbeitet, machten ein entspanntes Form-,
ein elitäres Qualitätsbewusstsein und ein
neonhelles Lebensgefühl populär.
Mit lässiger Eleganz bewegte sich Cary
Grant in seinem maßgeschneiderten Anzug;
George Clooney ist sozusagen die aktualisierte Ausgabe von Cary Grant. Frauen
schwärmen vom Gentleman, einer Unterausgabe des Dandys, der leider nicht in diese
gierige Zeit passt. Ein stets gepflegtes
Erscheinungsbild, formvollendete Manieren
muss man sich leisten können.
Frank Sinatra pflegte dubiose Kontakte,
auch zur Mafia; im Kleiderschrank hielt er
Ordnung auf schon zwanghafte Weise. In der
Interview-Biografie von Bill Zehme, „My
Way oder Die Kunst, einen Hut zu tragen“,
erzählt er, wie und welchen Anzug man
wann tragen sollte: „Braune Schuhe nach
Sonnenuntergang sind unverzeihlich. Oder
weiße Schuhe. Oder alles Graue – es sei denn,
es ist das dunkelste Kohlengrau. Oder Blau,
es sei denn, es ist Mitternachtsblau. Kurz
und gut: Nach Einbruch der Dunkelheit sollten Männer Schwarz tragen.“ Es war die
Zeit, in der „jeder Häftling einen maßgeschneiderten Anzug“ bei der Entlassung
ausgehändigt bekam, wie der GentlemanGangster Willie Sutton dem Schriftsteller
JR Moehringer erzählt hat.
Funktionalität, Schlichtheit, Verzicht auf
oberflächliche Dekorationen kennzeichnen
die Herrenmode. Qualität des Materials und
Verarbeitung sollten bei der Wahl über den
klassischen Zweireiher entscheiden. Das
förmlichste Jackett, das stets geschlossen
getragen wird, macht aus dem zugeknöpften
Mann einen feinen Herrn. „Wir sind alle
Adams Kinder, aber Seide macht den Unterschied“, deklarierte der englische Prediger
und Physiker Thomas Fuller (1654 bis 1734).
Retro-Trend ist angesagt: weitere Hosenbeine, Bundfalten. Gerd-Müller Thomkins
vom Deutschen Mode-Institut in Köln entdeckt bei den Jüngeren die Neigung, sich
stilvoll in Schale zu werfen. „Junge Menschen entdecken die klassische Moderne.“ In
krisenhaften Zeiten orientierten sie sich an
der Konvention: „Man hält sich fest an der
Sicherheit der Form.“
„Bei Frauen dreht sich alles um Mode“,
sagte der Modeschöpfer Domenico Dolce
von Dolce & Gabbana, „bei Männern um
Stil.“ Mode ist flüchtig, Stil währet ewiglich.
Klein Adam will „sich anziehen“. Das Reflexivpronomen (rückbezügliches Fürwort)
und ein reflexiv gebrauchtes Tunwort sagen
es ihm: Bevor man losgeht, einen Anzug zu
kaufen, sollte man über sich nachdenken, also reflektieren.

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