Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Monatsbericht Februar

Transcrição

Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Monatsbericht Februar
1
M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4
Sukuk Murabaha und Sukuk Musharaka
Perspektiven islamischer Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen
London solle zum größten westlichen Zentrum für islamische Finanzgeschäfte entwickelt werden, schrieb der britische Finanzminister Osborne kürzlich in einem Gastbeitrag für die Financial Times. Zur Begründung nannte er Anreize für Investitionen aus
islamischen Ländern in die britische Infrastruktur.1 Die deutschen Banken stehen dem inländischen Marktsegment islamischer
Finanzprodukte abwartend gegenüber. Lediglich ihre Niederlassungen und Töchter in der Golfregion haben solche Produkte im
dortigen Portfolio. In Sachsen-Anhalt wurde 2004 die erste und bisher einzige deutsche Scharia-konforme öffentliche Anleihe
begeben.
Das Volumen Scharia-konformer finanzieller Vermögens­
werte beträgt weltweit etwa 352 Milliarden US-Dollar. Das
entspricht einem Marktanteil von 0,4 Prozent.2 Der führen­
de Finanzplatz ist Malaysia. Es folgen Saudi-Arabien, die
Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Indonesien. In
der Türkei beträgt der Marktanteil islamischer Finanzpro­
dukte 4,9 Prozent (31 Milliarden US-Dollar).3
1
2
3
Wenige Grundsätze mit finanzwirtschaftlichen
Folgen
Islamische Finanzgeschäfte weisen einige Besonderheiten
auf, unterscheiden sich aber nicht grundsätzlich von „nor­
malen“ Finanzgeschäften. Sie müssen zum einen dem isla­
mischen Recht, der Scharia, entsprechen. Zum anderen
Sein Premierminister Cameron kündigte an, Großbritannien werde Scharia­konforme Staatsanleihen begeben. Das werde auch Unterneh­
men dazu veranlassen, islamische Anleihen aufzulegen („London can lead the world as an Islamic finance hub“, Financial Times, 29. Oktober
2013, bzw. „A mecca for sukuk“, Economist, 01. November 2013).
„GCC financial markets“, DB Research, 14. November 2012.
Ernst & Young's annual World Islamic Banking Competitiveness Report, 2013.
M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4
müssen sie, wenn sie hier in Europa abgeschlossen werden
sollen, hiesigem Recht entsprechen. Verträge zu schließen,
die in mehreren Rechtssystemen gelten und pünktlich er­füllt
werden, ist im Wirtschaftsrecht nichts Ungewöhnliches.
Islamische Finanzgeschäfte unterscheiden sich von ande­
ren Finanzgeschäften vor allem dadurch, dass sie ostentativ
einer religiös geprägten Wirtschaftsethik folgen. Deren zen­
trale Elemente sind das Zinsverbot, das Verbot, auf Ge­schäfts­
risiken zu spekulieren, und das Verbot, mit „unethischen“
Gütern Handel zu treiben. Diese Grundsätze stehen durch­
aus nicht im Widerspruch zu unserer weniger expliziten,
christlich tradierten Wirtschafts- und Sozialethik. Vor dem
Hintergrund der ausdrücklichen Verbote nehmen islamische
Finanzgeschäfte im europäischen Rechtsrahmen oftmals
den Charakter pragmatischer Umgehungsgeschäfte an.
Geld darf nicht auf Zinsen verliehen werden
Die Scharia verbietet es, Geld auf Zinsen zu verleihen.
Damit ist die gewöhnliche Anleihe mit begrenzter Laufzeit
und fester Rendite kein Scharia-konformes Finanzprodukt.
Geld zu verleihen ist lediglich als wohltätige Maßnahme
erlaubt, was eine Verzinsung ausschließt. Damit sind Eigen­
kapitalinstrumente in der Unternehmensfinanzierung
erlaubt. Die meisten für den europäischen Wirtschaftsraum
typischen Fremdkapitalinstrumente sind verboten.
Hinter dem Zinsverbot steht die Forderung der Scharia, dass
der Eigentümer eines Vermögens verantwortlich dafür ist
und bleibt, auf welche Weise sein Vermögen wirtschaftlich
verwendet wird. Ein klassischer Kredit erfüllt diese Bedin­
gung nicht, denn der Kreditgeber trägt zwar das Ausfall­
risiko, ist aber im Übrigen an der Verwendung des Kredits
nicht beteiligt. Das äußert sich darin, dass ihm die Zinsen
unabhängig vom Geschäftserfolg des Unternehmens, das er
finanziert, zustehen. Sein Ertrag hängt also nicht vom Ge­
schäftsrisiko des Unternehmens ab. Das verbietet die Scha­
ria. Das Zinsverbot ist äquivalent zu dem Gebot, das eigene
Vermögen in eigener Verantwortung zu halten.
2
unter das Verbot. Dahinter steht die Vorstellung, dass jeder
die Risiken, die er eingeht, selbst tragen und für Verluste
selbst haften muss.
Auch Versicherungen werden dadurch beschränkt. Erlaubt
ist, wenn etwa eine Gruppe von Unternehmern sich als
Risikogemeinschaft versteht und gemeinsame Rücklagen
für Schadensfälle bildet. Deutsche Dorfgemeinschaften ver­
einbarten noch bis in die Nachkriegsjahre so genannte
Pferdeversicherungen: Jeder Bauer zahlte regelmäßig in
eine Gemeinschaftskasse ein, bis die Mittel für zwei oder
drei Ackerpferde zusammengebracht waren, und konnte
darauf vertrauen, dass ihm der plötzliche Ausfall eines Pfer­
des in der wichtigen Erntezeit ersetzt wurde. Versiche­
rungsbetrug war ausgeschlossen, denn jeder hatte ein Auge
darauf, dass der andere pfleglich mit seinen Pferden um­
ging. Eine solche Versicherung wäre Scharia-konform,
solange nicht ein professionelles Versicherungsunterneh­
men ein Arrangement dieser Art als Produkt verkauft.
„Unethische“ Güter werden abgelehnt
Die Scharia verbietet die Produktion von Gütern, die im
eigenen Verständnis unethisch sind, sowie den Handel mit
ihnen. Dazu gehören etwa alkoholische Getränke und Pro­
dukte auf Grundlage von Schweinefleisch. Verboten sind
auch der Waffenhandel sowie Geschäfte mit Pornografie
und Glücksspiel. Finanzprodukte und Finanzdienstleistun­
gen, die auf Gütern und Handelsgeschäften dieser Art beru­
hen, sind nicht Scharia-konform. In Unternehmen, die in
diesen Branchen tätig sind, darf nicht investiert werden.
Als unethisch wird weitgehend auch der Handel mit imma­
teriellen Vermögenswerten angesehen. Dazu gehören etwa
Arbitragegeschäfte mit Währungen und Handel mit Forde­
rungen und Verbindlichkeiten. Reine Geldgeschäfte im wei­
teren Sinne sind zumeist verboten. Es gilt die Regel, dass
jeder Handel ein Handel mit Gütern zu sein hat und Finanz­
produkte ohne materielle Grundlage nicht mit Gewinn
gehandelt werden dürfen.
Spekulation ist verboten
Die Grundsätze werden in der Praxis kreativ
umgesetzt
Die Scharia verbietet es, finanzielle Risiken einzugehen, die
über normale Geschäftsrisiken hinausgehen. Auch dieses
Verbot hat weitreichende Folgen. Denn es richtet sich nicht
nur gegen Spekulation, Wetten und Glücksspiel, sondern
ganz allgemein gegen den Transfer finanzieller Risiken
etwa durch Optionen. Alle konventionellen Derivate fallen
Die große Flexibilität der Finanzprodukte und Finanz­dienst­
leistungen, die auf den Finanzmärkten nachgefragt, gehan­
delt und erbracht werden, ermöglicht es, auch islamische
Finanzgeschäfte zu konzipieren und abzuwickeln. Aller­
dings müssen dazu Umwege gegangen werden, denn zen­
trale Elemente moderner Finanzgeschäfte stehen hier nicht
3
M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4
zur Verfügung. An ihre Stelle treten Formen der Kapitalbe­
teiligung und des Güterhandels, die so kombiniert werden,
dass sie praktisch alle Funktionen moderner Unterneh­
mensfinanzierung übernehmen können.
Die von Banken angebotenen islamischen Finanzprodukte,
auch Sukuk genannt, zerfallen deshalb in zwei Gruppen:
XXVereinbarungen
zwischen der Bank und ihrem Kunden,
bei denen Gewinn und Verlust geteilt werden im Sinne
einer stillen oder aktiven Kapitalbeteiligung,
XXVereinbarungen
über Kauf oder Miete von Investitions­
gütern mit zeitlich verschobener Bezahlung im Sinne
einer kreditähnlichen Finanzierung.
Hinzu kommen islamische Retailgeschäfte mit Girokonten,
Festgeld- und Sparkonten, die auch dem Zinsverbot unter­
liegen.
Beteiligungsgeschäfte werden bevorzugt
Musharaka
Diese Finanzierungsform ist für mittelständische Unter­
nehmen geeignet, die investieren wollen und dafür eine
Scharia-konforme Bankfinanzierung benötigen. In solchen
Fällen erwirbt die Bank Anteile am Unternehmen, meist
aus einer Kapitalerhöhung. Damit finanziert das Unterneh­
men die beabsichtigte Investition. Die Bank nimmt übli­
cherweise nicht an der Führung des Unternehmens teil,
sondern beschränkt sich auf eine strategische Beteiligungs­
führung. Sie erhält dafür eine zinsähnliche, vom Unterneh­
menserfolg unabhängige Vergütung, die umso höher aus­
fällt, je größer die Kapitalbeteiligung ist. Die Bank hält die
Kapitalbeteiligung in ihrer Bilanz. Am Ende der Laufzeit
kauft das Unternehmen den Kapitalanteil, den die Bank
hält, mit Preisaufschlag zurück.
Mudarabah
Typische Investmentfonds verwalten das Vermögen ihrer
Anleger in eigener Verantwortung. Die Anleger sind am
Fondsmanagement nicht beteiligt. Der Fondsmanager
erhält eine vom Geschäftserfolg des Fonds unabhängige
Mindestvergütung. Diese Trennung von Eigentum und Ver­
antwortung ist nicht Scharia-konform.
Bei der Mudarabah handelt es sich um ein Finanzierungs­
modell, das einem Investmentfonds sehr ähnlich ist, aber
von einem Partnerschaftsverständnis ausgeht. Von mehre­
ren Partnern tragen – im Gegensatz zur Musharaka − alle
bis auf einen zur Finanzierung eines Unternehmens bei,
während ein Partner lediglich seine Arbeitskraft und Erfah­
rung und vielleicht eine innovative Idee einbringt. Er führt
das Unternehmen allein wie ein angestellter Geschäftsfüh­
rer. Er erhält aber kein festes Gehalt, sondern lediglich
einen vorher festgelegten Anteil am Gewinn des Unterneh­
mens. Sämtliche Verluste am Eigenkapital des Unterneh­
mens tragen die „stillen“ Investoren. Die Unternehmensge­
winne stehen ihnen ebenso zu. Die unmittelbare Teilnahme
aller Partner an Gewinn und Verlust ist im Sinne der Scha­
ria Ausdruck dessen, dass sie die Verantwortung gemein­
sam tragen.
Auch kreditähnliche Geschäfte sind möglich
Murabaha
Hierbei handelt es sich um ein Arrangement, das weitge­
hend dem kreditfinanzierten Kauf entspricht. Es wird vor
M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4
allem zum Erwerb von Konsumgütern wie Fahrzeugen und
Wohnimmobilien genutzt, also dort, wo eine Unterneh­
mensbeteiligung der Bank als Finanzierungsmodell nicht
infrage kommt.
Der Bankkunde tritt mit einem Finanzierungswunsch an
die Bank heran. Diese kauft das gewünschte Gut zu einem
bestimmten Preis und erwirbt – zumindest für einige
Minuten – Eigentum daran. Mit einem separaten zweiten
Kaufvertrag überträgt die Bank das Eigentum an dem Gut
sofort auf den Bankkunden. Dieser verpflichtet sich zu
einer zeitlich verzögerten Bezahlung. Der Erfüllungsbetrag
ist gleich dem Preis, den die Bank bezahlt hat, zuzüglich
einer Vergütung für die Vermittlerleistung der Bank.
Dass ein Kaufvertrag abgeschlossen, aber nicht sofort von
den Vertragspartnern erfüllt wird, widerspricht der Scharia
nicht. Die verzögerte Bezahlung ist in dieser Hinsicht un­
problematisch, Termingeschäfte sind erlaubt. Das eigentli­
che Problem des Arrangements besteht darin, dass die Bank
das Gut zunächst auf eigene Rechnung erwerben muss –
ohne eine vertragliche Sicherheit, dass sie das Gut wie ver­
einbart an den Bankkunden sofort weiterverkaufen kann.
Eine bindende Kopplung der beiden Kaufverträge aber ver­
bietet die Scharia. Denn eine solche Kopplung würde darin
bestehen, dass die Bank mit ihrem Kunden den Kaufvertrag
schließt, bevor sie das Gut selbst erwirbt. Sie würde also
etwas verkaufen, woran sie noch kein Eigentum hat. Genau
das ist nach der Scharia verboten.
Das deutsche Recht bietet hier jedoch eine Lösung: In den
Kaufvertrag zwischen der Bank und ihrem Kunden wird
eine Klausel aufgenommen, die den Vertrag automatisch in
Kraft setzt, sobald die Bank das Gut erworben hat.
4
Ijarah
Jemandem ein Gut zur Nutzung zu überlassen und dafür
eine Nutzungsgebühr zu verlangen verbietet die Scharia
nicht. Verboten ist allerdings, ihm mit der Nutzung auch
alle Instandhaltungs- und Haftpflichten für das Gut zu
überlassen, die mit der Nutzung verbunden sind. Denn das
widerspricht dem Verbot, jemandem die Verantwortung für
die Nutzung seines Eigentums zu überlassen. Klassische
Mietverträge erfüllen diese Bedingung, Leasinggeschäfte
nur dann, wenn sie als Beteiligungsmodell ausgestaltet sind.
Will ein Taxifahrer ein Unternehmen eröffnen und benö­
tigt dafür eine Scharia-konforme Finanzierung, so kann er
keinen Kredit aufnehmen. Stattdessen erwirbt die Bank das
Fahrzeug, der Taxifahrer trägt einen geringen Eigenanteil
bei, so dass beide Partner anteilig Eigentümer sind. Der
Taxifahrer zahlt der Bank aus seinen Einkünften eine varia­
ble Nutzungsgebühr und kauft ihr gleichzeitig in Raten
ihren Eigentumsanteil ab. In abnehmendem Maße bleibt
die Bank also Miteigentümer und trägt formal einen
abnehmenden Teil der Geschäftsverantwortung. Am Ende
der Laufzeit wird ein Kaufvertrag abgeschlossen, mit dem
das Eigentum an dem Fahrzeug an den Bankkunden über­
geht. Die letzte Leasingrate entspricht dann dem symboli­
schen Kaufpreis.
Istisna
Hierbei handelt es sich um eine Übereinkunft zwischen
dem Käufer und dem Produzenten eines Gutes. Der Käufer
erwirbt und bezahlt ein Produkt, das danach für ihn ange­
fertigt wird. Streng genommen widerspricht das der Scha­
ria, denn der Käufer erwirbt etwas, das nicht Eigentum des
Verkäufers ist. Eine solche Vorfinanzierung ist aber als Aus­
nahme zulässig, denn „die Ernte auf dem Halm zu kaufen“
ist eines der ältesten Finanzprodukte.
5
M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4
Als Bankdienstleistung ausgestaltet, finanziert hier die
Bank die Produktion eines Gutes, indem sie es erwirbt,
bevor es fertiggestellt ist. Ist es dann fertiggestellt, verkauft
sie es an den eigentlichen Nutzer. Arrangements dieser Art
sind für die Finanzierung von Neubauten geeignet. Klassi­
sche Baukredite verbietet die Scharia.
Wie bei jeder Vorfinanzierung besteht ein Problem des
Arrangements – ähnlich wie bei der Murabaha – darin, dass
die Bank das Gut zunächst auf eigene Rechnung erwerben
muss – ohne eine vertragliche Sicherheit, dass das Gut tat­
sächlich fertiggestellt und wie vereinbart an den Bankkun­
den weiterverkauft werden kann. Die Bank muss dieses
Risiko tragen, kann sich aber mit Risikoaufschlägen beim
Weiterverkauf absichern.
Spar- und Girokonten dürfen keine Zinsen tragen
Dass jemand eine Bank mit der sicheren Aufbewahrung sei­
ner Ersparnisse betraut, führt nicht zu Konflikten mit der
Scharia. Er kann der Bank auch erlauben, die Einlage für
Finanzgeschäfte zu verwenden, darf aber dafür keine Einla­
genzinsen verlangen. Die Bank jedoch wird sich in der Regel
für die Erlaubnis mit einem Geldgeschenk erkenntlich zei­
gen, das umso großzügiger ausfällt, je höher die Einlage ist.
Auf dieser Grundlage lassen sich gering verzinste Giro- und
Sparkonten führen. Überziehungszinsen nehmen dann die
Form von festen oder gestaffelten Strafzahlungen an.
Regulierungsfragen sind kein Hindernis
Scharia-Kommissionen zertifizieren nach islamischen Normen
Banken, die islamische Finanzprodukte anbieten, lassen diese
zuvor von Scharia-Kommissionen zertifizieren. Deren Mitglie­
der sind islamische Rechtsgelehrte der fünf einflussreichs­ten
islamischen Rechtsschulen. Sie treffen ihre Entscheidungen
im Konsens und beziehen sich dabei auf Beschlüsse und
Empfehlungen der drei wichtigsten Institutionen auf diesem
Gebiet: des Islamic Financial Services Board (IFSB) in Malay­
sia, der Accounting and Auditing Or­­ga­­nization for Islamic
Financial Institutions (AAOIFI) in Bahrein und der Islamic
Development Bank (IDB) in Saudi-­Arabien.
Ebenfalls in Malaysia besteht seit 2005 das International
Centre for Education in Islamic Finance mit 2.000 Studie­
renden, zu dem auch die International Sharia Research
Academy gehört. Die zahlreichen internationalen Berufs­
verbände islamischer Finanzinstitute sind seit langem dar­
um bemüht, die Zertifizierung von Finanzprodukten und
Finanzdienstleistungen international oder zumindest für
einzelne Marktregionen zu vereinheitlichen.
Aus diesem Prozess sind einige Standardprodukte und
Standarddienstleistungen hervorgegangen, die auf den gro­
ßen islamischen Finanzmärkten Malaysia und Saudi-Ara­
bien gleichermaßen als Scharia-konform angesehen und
von den muslimischen Kunden akzeptiert werden. Spezial­
produkte und individuelle Dienstleistungen erhalten mit­
unter auf einem Finanzplatz ein Zertifikat, während es
ihnen woanders verweigert wird. Wie die Zertifizierung in
verschiedenen muslimischen Regionen gehandhabt wird,
hängt oftmals davon ab, wie streng und buchstabengetreu
die Vorschriften der Scharia ausgelegt werden.
Die Scharia-Kommissionen entscheiden auch darüber, ob
die Güter, die hinter den Finanzgeschäften stehen, nicht als
„unethische“ Güter anzusehen sind. Auch hier sind prag­
matische Lösungen üblich, etwa wenn in ein Handelsunter­
nehmen investiert werden soll, das seine Verkaufsflächen
im Nebengeschäft auch an Restaurants mit Alkoholaus­
schank vermietet. Die Scharia-Kommissionen legen für sol­
che Fälle mitunter einen maximal zulässigen Anteil der
Wertschöpfung fest, den ein Scharia-konformes Unterneh­
men mit unethischen Gütern erwirtschaften darf.
Die Regulierungsbehörden beaufsichtigen nach
deutschen Normen
Islamische Banken, die sich in Deutschland ansiedeln wol­
len, finden hier ein rechtssicheres Regulierungsumfeld vor,
das solide und marktorientiert ist. Islamische Finanzpro­
dukte unterliegen der üblichen Banken- und Finanzmarkt­
regulierung. Sie können so ausgestaltet werden, dass sie
dem deutschen Rechtssystem entsprechen.
Ausgesprochene Regulierungshindernisse beim Marktzu­
tritt bestehen somit nicht, doch ist die Regulierung nicht
auf die Besonderheiten islamischer Finanzprodukte zuge­
schnitten. Es bestehen Wettbewerbsnachteile beispielsweise
dadurch, dass viele Finanzgeschäfte mit Immobilien unter­
legt werden müssen und aus mehreren Kaufverträgen
bestehen, die einzeln der Grunderwerbssteuer unterfallen.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
veranstaltete im Juni 2012 ihre zweite Konferenz zu islami­
schen Finanzdienstleistungen. Wenn Banken islamische
Finanzprodukte anbieten, müssen sie mehr als bei konven­
tionellen Produkten materielle Vermögenswerte erwerben
M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4
und wieder verkaufen. Die damit verbundenen Risiken
müssen korrekt bewertet und kompensiert werden. Nur am
Rande ging es bei der Konferenz um Regulierungsfragen.
Besteht Marktpotenzial auch in Deutschland?
Bisher offenbar kaum
Beurteilt nach demografischen Parametern, sind die Ent­
wicklungschancen für islamische Finanzprodukte in Euro­
pa gering. In der EU leben etwa 14 Millionen Muslime, das
sind weniger als drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die
deutsche Auslandshandelskammer (AHK) in den Vereinig­
ten Arabischen Emiraten geht jedoch davon aus, dass die
etwa vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime,
darunter 2,8 Millionen Muslime türkischer Herkunft, über
ein Vermögen von 25 Milliarden Euro verfügen. Die AHK
sieht darin ein erhebliches Marktpotenzial.
Die AHK schätzt ein, dass – im Gegensatz zu den britischen
Banken – keine der deutschen Banken über ein Produkt­
port­folio verfügt, das auf muslimische Retail-Kunden zu­
geschnitten ist. Für institutionelle Investoren hingegen
namentlich aus der Golfregion werden in Deutschland
euro­päische islamische Investmentfonds angeboten. Die
Deutsche Bank Group unterhält die DWS Noor Islamic
Funds auf Basis von Edelmetallen. Bis zum Dezember 2012
bestand ein Alliance Global Investors Islamic Fund. Auch
die Anteile des luxemburgischen Meridio Islamic Fund wur­
den in Europa gehandelt, allerdings nur bis Dezember 2011.
Scharia-konforme Bundesanleihen sind nicht
ernsthaft denkbar
Die Regierung von Malaysia legt seit Juni 2002 Staatsanlei­
hen auf, die in allen wirtschaftlich bedeutenden muslimi­
schen Staaten als Scharia-konform gehandelt werden. Der
Internationale Währungsfonds (IWF) untersuchte 2008 die
Vor- und Nachteile islamischer gegenüber herkömmlichen
Staatsanleihen4. Für deutsche öffentliche Anleihen würde
kaum einer der möglichen Vorteile zum Tragen kommen.
4
MF Policy Discussion Paper PDP/08/3.
6
Diese bestehen vor allem in einem flexibleren Schulden­
management mit einer breiteren Investorenbasis. Nachteile
entstehen vor allem aus der beschränkenden Anforderung,
dass Scharia-konforme Anleihen mit Gütern zu unterlegen
und damit eigentlich nur zur Finanzierung konkreter öffen­t­­
licher Investitionsprojekte geeignet sind.
Prominentes Beispiel für eine Scharia-konforme öffentli­
che Anleihe ist das Ijara-Wertpapier des Bundeslandes
Sachsen-Anhalt aus dem Jahre 2004. Das Emissionsvolu­
men betrug etwa 100 Millionen Euro bei einer flexiblen
Rendite von einem Basispunkt über dem EURIBOR (anstel­
le von damals 17 Basispunkten für herkömmliche Landes­
anleihen). Im Zusammenhang mit der Emission wurden die
Nutzungsrechte an Gebäuden im Landeseigentum an ein
niederländisches Sondervermögen (special purpose vehicle)
verkauft und von diesem als Ijara-Anleihe refinanziert.
Während der Laufzeit von fünf Jahren mietete das Bundes­
land die Gebäude zurück. Danach übernahm das Bundes­
land die Nutzungsrechte wieder und löste die Anleihe ab.
Das Wertpapier wurde an der Luxemburger Börse gehan­
delt. Ob sich islamische Investoren am Handel beteiligt
haben, ist nicht bekannt.
Ausblick
Anfang 2010 wurde in Großbritannien ein Gesetz erlassen,
das die Emission islamischer Anleihen ohne steuerliche
Nachteile ermöglicht. Bereits seit 2003 sind islamische
Immobilienfinanzierungen teilweise von der Grunder­
werbsteuer befreit, von der sie wegen der verkoppelten
Kaufverträge besonders betroffen waren.
Ähnliche Maßnahmen wären in Deutschland erst in Be­­tracht
zu ziehen, wenn abzusehen ist, dass sich Frankfurt zu einem
bedeutenden Zentrum für islamische Finanzprodukte und
Finanzdienstleistungen entwickelt.
Kontakt: Dr. Robert Säverin
Referat: Außenwirtschaftspolitik

Documentos relacionados