Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Monatsbericht Februar
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Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Monatsbericht Februar
1 M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4 Sukuk Murabaha und Sukuk Musharaka Perspektiven islamischer Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen London solle zum größten westlichen Zentrum für islamische Finanzgeschäfte entwickelt werden, schrieb der britische Finanzminister Osborne kürzlich in einem Gastbeitrag für die Financial Times. Zur Begründung nannte er Anreize für Investitionen aus islamischen Ländern in die britische Infrastruktur.1 Die deutschen Banken stehen dem inländischen Marktsegment islamischer Finanzprodukte abwartend gegenüber. Lediglich ihre Niederlassungen und Töchter in der Golfregion haben solche Produkte im dortigen Portfolio. In Sachsen-Anhalt wurde 2004 die erste und bisher einzige deutsche Scharia-konforme öffentliche Anleihe begeben. Das Volumen Scharia-konformer finanzieller Vermögens werte beträgt weltweit etwa 352 Milliarden US-Dollar. Das entspricht einem Marktanteil von 0,4 Prozent.2 Der führen de Finanzplatz ist Malaysia. Es folgen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Indonesien. In der Türkei beträgt der Marktanteil islamischer Finanzpro dukte 4,9 Prozent (31 Milliarden US-Dollar).3 1 2 3 Wenige Grundsätze mit finanzwirtschaftlichen Folgen Islamische Finanzgeschäfte weisen einige Besonderheiten auf, unterscheiden sich aber nicht grundsätzlich von „nor malen“ Finanzgeschäften. Sie müssen zum einen dem isla mischen Recht, der Scharia, entsprechen. Zum anderen Sein Premierminister Cameron kündigte an, Großbritannien werde Schariakonforme Staatsanleihen begeben. Das werde auch Unterneh men dazu veranlassen, islamische Anleihen aufzulegen („London can lead the world as an Islamic finance hub“, Financial Times, 29. Oktober 2013, bzw. „A mecca for sukuk“, Economist, 01. November 2013). „GCC financial markets“, DB Research, 14. November 2012. Ernst & Young's annual World Islamic Banking Competitiveness Report, 2013. M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4 müssen sie, wenn sie hier in Europa abgeschlossen werden sollen, hiesigem Recht entsprechen. Verträge zu schließen, die in mehreren Rechtssystemen gelten und pünktlich erfüllt werden, ist im Wirtschaftsrecht nichts Ungewöhnliches. Islamische Finanzgeschäfte unterscheiden sich von ande ren Finanzgeschäften vor allem dadurch, dass sie ostentativ einer religiös geprägten Wirtschaftsethik folgen. Deren zen trale Elemente sind das Zinsverbot, das Verbot, auf Geschäfts risiken zu spekulieren, und das Verbot, mit „unethischen“ Gütern Handel zu treiben. Diese Grundsätze stehen durch aus nicht im Widerspruch zu unserer weniger expliziten, christlich tradierten Wirtschafts- und Sozialethik. Vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Verbote nehmen islamische Finanzgeschäfte im europäischen Rechtsrahmen oftmals den Charakter pragmatischer Umgehungsgeschäfte an. Geld darf nicht auf Zinsen verliehen werden Die Scharia verbietet es, Geld auf Zinsen zu verleihen. Damit ist die gewöhnliche Anleihe mit begrenzter Laufzeit und fester Rendite kein Scharia-konformes Finanzprodukt. Geld zu verleihen ist lediglich als wohltätige Maßnahme erlaubt, was eine Verzinsung ausschließt. Damit sind Eigen kapitalinstrumente in der Unternehmensfinanzierung erlaubt. Die meisten für den europäischen Wirtschaftsraum typischen Fremdkapitalinstrumente sind verboten. Hinter dem Zinsverbot steht die Forderung der Scharia, dass der Eigentümer eines Vermögens verantwortlich dafür ist und bleibt, auf welche Weise sein Vermögen wirtschaftlich verwendet wird. Ein klassischer Kredit erfüllt diese Bedin gung nicht, denn der Kreditgeber trägt zwar das Ausfall risiko, ist aber im Übrigen an der Verwendung des Kredits nicht beteiligt. Das äußert sich darin, dass ihm die Zinsen unabhängig vom Geschäftserfolg des Unternehmens, das er finanziert, zustehen. Sein Ertrag hängt also nicht vom Ge schäftsrisiko des Unternehmens ab. Das verbietet die Scha ria. Das Zinsverbot ist äquivalent zu dem Gebot, das eigene Vermögen in eigener Verantwortung zu halten. 2 unter das Verbot. Dahinter steht die Vorstellung, dass jeder die Risiken, die er eingeht, selbst tragen und für Verluste selbst haften muss. Auch Versicherungen werden dadurch beschränkt. Erlaubt ist, wenn etwa eine Gruppe von Unternehmern sich als Risikogemeinschaft versteht und gemeinsame Rücklagen für Schadensfälle bildet. Deutsche Dorfgemeinschaften ver einbarten noch bis in die Nachkriegsjahre so genannte Pferdeversicherungen: Jeder Bauer zahlte regelmäßig in eine Gemeinschaftskasse ein, bis die Mittel für zwei oder drei Ackerpferde zusammengebracht waren, und konnte darauf vertrauen, dass ihm der plötzliche Ausfall eines Pfer des in der wichtigen Erntezeit ersetzt wurde. Versiche rungsbetrug war ausgeschlossen, denn jeder hatte ein Auge darauf, dass der andere pfleglich mit seinen Pferden um ging. Eine solche Versicherung wäre Scharia-konform, solange nicht ein professionelles Versicherungsunterneh men ein Arrangement dieser Art als Produkt verkauft. „Unethische“ Güter werden abgelehnt Die Scharia verbietet die Produktion von Gütern, die im eigenen Verständnis unethisch sind, sowie den Handel mit ihnen. Dazu gehören etwa alkoholische Getränke und Pro dukte auf Grundlage von Schweinefleisch. Verboten sind auch der Waffenhandel sowie Geschäfte mit Pornografie und Glücksspiel. Finanzprodukte und Finanzdienstleistun gen, die auf Gütern und Handelsgeschäften dieser Art beru hen, sind nicht Scharia-konform. In Unternehmen, die in diesen Branchen tätig sind, darf nicht investiert werden. Als unethisch wird weitgehend auch der Handel mit imma teriellen Vermögenswerten angesehen. Dazu gehören etwa Arbitragegeschäfte mit Währungen und Handel mit Forde rungen und Verbindlichkeiten. Reine Geldgeschäfte im wei teren Sinne sind zumeist verboten. Es gilt die Regel, dass jeder Handel ein Handel mit Gütern zu sein hat und Finanz produkte ohne materielle Grundlage nicht mit Gewinn gehandelt werden dürfen. Spekulation ist verboten Die Grundsätze werden in der Praxis kreativ umgesetzt Die Scharia verbietet es, finanzielle Risiken einzugehen, die über normale Geschäftsrisiken hinausgehen. Auch dieses Verbot hat weitreichende Folgen. Denn es richtet sich nicht nur gegen Spekulation, Wetten und Glücksspiel, sondern ganz allgemein gegen den Transfer finanzieller Risiken etwa durch Optionen. Alle konventionellen Derivate fallen Die große Flexibilität der Finanzprodukte und Finanzdienst leistungen, die auf den Finanzmärkten nachgefragt, gehan delt und erbracht werden, ermöglicht es, auch islamische Finanzgeschäfte zu konzipieren und abzuwickeln. Aller dings müssen dazu Umwege gegangen werden, denn zen trale Elemente moderner Finanzgeschäfte stehen hier nicht 3 M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4 zur Verfügung. An ihre Stelle treten Formen der Kapitalbe teiligung und des Güterhandels, die so kombiniert werden, dass sie praktisch alle Funktionen moderner Unterneh mensfinanzierung übernehmen können. Die von Banken angebotenen islamischen Finanzprodukte, auch Sukuk genannt, zerfallen deshalb in zwei Gruppen: XXVereinbarungen zwischen der Bank und ihrem Kunden, bei denen Gewinn und Verlust geteilt werden im Sinne einer stillen oder aktiven Kapitalbeteiligung, XXVereinbarungen über Kauf oder Miete von Investitions gütern mit zeitlich verschobener Bezahlung im Sinne einer kreditähnlichen Finanzierung. Hinzu kommen islamische Retailgeschäfte mit Girokonten, Festgeld- und Sparkonten, die auch dem Zinsverbot unter liegen. Beteiligungsgeschäfte werden bevorzugt Musharaka Diese Finanzierungsform ist für mittelständische Unter nehmen geeignet, die investieren wollen und dafür eine Scharia-konforme Bankfinanzierung benötigen. In solchen Fällen erwirbt die Bank Anteile am Unternehmen, meist aus einer Kapitalerhöhung. Damit finanziert das Unterneh men die beabsichtigte Investition. Die Bank nimmt übli cherweise nicht an der Führung des Unternehmens teil, sondern beschränkt sich auf eine strategische Beteiligungs führung. Sie erhält dafür eine zinsähnliche, vom Unterneh menserfolg unabhängige Vergütung, die umso höher aus fällt, je größer die Kapitalbeteiligung ist. Die Bank hält die Kapitalbeteiligung in ihrer Bilanz. Am Ende der Laufzeit kauft das Unternehmen den Kapitalanteil, den die Bank hält, mit Preisaufschlag zurück. Mudarabah Typische Investmentfonds verwalten das Vermögen ihrer Anleger in eigener Verantwortung. Die Anleger sind am Fondsmanagement nicht beteiligt. Der Fondsmanager erhält eine vom Geschäftserfolg des Fonds unabhängige Mindestvergütung. Diese Trennung von Eigentum und Ver antwortung ist nicht Scharia-konform. Bei der Mudarabah handelt es sich um ein Finanzierungs modell, das einem Investmentfonds sehr ähnlich ist, aber von einem Partnerschaftsverständnis ausgeht. Von mehre ren Partnern tragen – im Gegensatz zur Musharaka − alle bis auf einen zur Finanzierung eines Unternehmens bei, während ein Partner lediglich seine Arbeitskraft und Erfah rung und vielleicht eine innovative Idee einbringt. Er führt das Unternehmen allein wie ein angestellter Geschäftsfüh rer. Er erhält aber kein festes Gehalt, sondern lediglich einen vorher festgelegten Anteil am Gewinn des Unterneh mens. Sämtliche Verluste am Eigenkapital des Unterneh mens tragen die „stillen“ Investoren. Die Unternehmensge winne stehen ihnen ebenso zu. Die unmittelbare Teilnahme aller Partner an Gewinn und Verlust ist im Sinne der Scha ria Ausdruck dessen, dass sie die Verantwortung gemein sam tragen. Auch kreditähnliche Geschäfte sind möglich Murabaha Hierbei handelt es sich um ein Arrangement, das weitge hend dem kreditfinanzierten Kauf entspricht. Es wird vor M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4 allem zum Erwerb von Konsumgütern wie Fahrzeugen und Wohnimmobilien genutzt, also dort, wo eine Unterneh mensbeteiligung der Bank als Finanzierungsmodell nicht infrage kommt. Der Bankkunde tritt mit einem Finanzierungswunsch an die Bank heran. Diese kauft das gewünschte Gut zu einem bestimmten Preis und erwirbt – zumindest für einige Minuten – Eigentum daran. Mit einem separaten zweiten Kaufvertrag überträgt die Bank das Eigentum an dem Gut sofort auf den Bankkunden. Dieser verpflichtet sich zu einer zeitlich verzögerten Bezahlung. Der Erfüllungsbetrag ist gleich dem Preis, den die Bank bezahlt hat, zuzüglich einer Vergütung für die Vermittlerleistung der Bank. Dass ein Kaufvertrag abgeschlossen, aber nicht sofort von den Vertragspartnern erfüllt wird, widerspricht der Scharia nicht. Die verzögerte Bezahlung ist in dieser Hinsicht un problematisch, Termingeschäfte sind erlaubt. Das eigentli che Problem des Arrangements besteht darin, dass die Bank das Gut zunächst auf eigene Rechnung erwerben muss – ohne eine vertragliche Sicherheit, dass sie das Gut wie ver einbart an den Bankkunden sofort weiterverkaufen kann. Eine bindende Kopplung der beiden Kaufverträge aber ver bietet die Scharia. Denn eine solche Kopplung würde darin bestehen, dass die Bank mit ihrem Kunden den Kaufvertrag schließt, bevor sie das Gut selbst erwirbt. Sie würde also etwas verkaufen, woran sie noch kein Eigentum hat. Genau das ist nach der Scharia verboten. Das deutsche Recht bietet hier jedoch eine Lösung: In den Kaufvertrag zwischen der Bank und ihrem Kunden wird eine Klausel aufgenommen, die den Vertrag automatisch in Kraft setzt, sobald die Bank das Gut erworben hat. 4 Ijarah Jemandem ein Gut zur Nutzung zu überlassen und dafür eine Nutzungsgebühr zu verlangen verbietet die Scharia nicht. Verboten ist allerdings, ihm mit der Nutzung auch alle Instandhaltungs- und Haftpflichten für das Gut zu überlassen, die mit der Nutzung verbunden sind. Denn das widerspricht dem Verbot, jemandem die Verantwortung für die Nutzung seines Eigentums zu überlassen. Klassische Mietverträge erfüllen diese Bedingung, Leasinggeschäfte nur dann, wenn sie als Beteiligungsmodell ausgestaltet sind. Will ein Taxifahrer ein Unternehmen eröffnen und benö tigt dafür eine Scharia-konforme Finanzierung, so kann er keinen Kredit aufnehmen. Stattdessen erwirbt die Bank das Fahrzeug, der Taxifahrer trägt einen geringen Eigenanteil bei, so dass beide Partner anteilig Eigentümer sind. Der Taxifahrer zahlt der Bank aus seinen Einkünften eine varia ble Nutzungsgebühr und kauft ihr gleichzeitig in Raten ihren Eigentumsanteil ab. In abnehmendem Maße bleibt die Bank also Miteigentümer und trägt formal einen abnehmenden Teil der Geschäftsverantwortung. Am Ende der Laufzeit wird ein Kaufvertrag abgeschlossen, mit dem das Eigentum an dem Fahrzeug an den Bankkunden über geht. Die letzte Leasingrate entspricht dann dem symboli schen Kaufpreis. Istisna Hierbei handelt es sich um eine Übereinkunft zwischen dem Käufer und dem Produzenten eines Gutes. Der Käufer erwirbt und bezahlt ein Produkt, das danach für ihn ange fertigt wird. Streng genommen widerspricht das der Scha ria, denn der Käufer erwirbt etwas, das nicht Eigentum des Verkäufers ist. Eine solche Vorfinanzierung ist aber als Aus nahme zulässig, denn „die Ernte auf dem Halm zu kaufen“ ist eines der ältesten Finanzprodukte. 5 M O N AT S B E R I C H T 2 -2 0 1 4 Als Bankdienstleistung ausgestaltet, finanziert hier die Bank die Produktion eines Gutes, indem sie es erwirbt, bevor es fertiggestellt ist. Ist es dann fertiggestellt, verkauft sie es an den eigentlichen Nutzer. Arrangements dieser Art sind für die Finanzierung von Neubauten geeignet. Klassi sche Baukredite verbietet die Scharia. Wie bei jeder Vorfinanzierung besteht ein Problem des Arrangements – ähnlich wie bei der Murabaha – darin, dass die Bank das Gut zunächst auf eigene Rechnung erwerben muss – ohne eine vertragliche Sicherheit, dass das Gut tat sächlich fertiggestellt und wie vereinbart an den Bankkun den weiterverkauft werden kann. Die Bank muss dieses Risiko tragen, kann sich aber mit Risikoaufschlägen beim Weiterverkauf absichern. Spar- und Girokonten dürfen keine Zinsen tragen Dass jemand eine Bank mit der sicheren Aufbewahrung sei ner Ersparnisse betraut, führt nicht zu Konflikten mit der Scharia. Er kann der Bank auch erlauben, die Einlage für Finanzgeschäfte zu verwenden, darf aber dafür keine Einla genzinsen verlangen. Die Bank jedoch wird sich in der Regel für die Erlaubnis mit einem Geldgeschenk erkenntlich zei gen, das umso großzügiger ausfällt, je höher die Einlage ist. Auf dieser Grundlage lassen sich gering verzinste Giro- und Sparkonten führen. Überziehungszinsen nehmen dann die Form von festen oder gestaffelten Strafzahlungen an. Regulierungsfragen sind kein Hindernis Scharia-Kommissionen zertifizieren nach islamischen Normen Banken, die islamische Finanzprodukte anbieten, lassen diese zuvor von Scharia-Kommissionen zertifizieren. Deren Mitglie der sind islamische Rechtsgelehrte der fünf einflussreichsten islamischen Rechtsschulen. Sie treffen ihre Entscheidungen im Konsens und beziehen sich dabei auf Beschlüsse und Empfehlungen der drei wichtigsten Institutionen auf diesem Gebiet: des Islamic Financial Services Board (IFSB) in Malay sia, der Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions (AAOIFI) in Bahrein und der Islamic Development Bank (IDB) in Saudi-Arabien. Ebenfalls in Malaysia besteht seit 2005 das International Centre for Education in Islamic Finance mit 2.000 Studie renden, zu dem auch die International Sharia Research Academy gehört. Die zahlreichen internationalen Berufs verbände islamischer Finanzinstitute sind seit langem dar um bemüht, die Zertifizierung von Finanzprodukten und Finanzdienstleistungen international oder zumindest für einzelne Marktregionen zu vereinheitlichen. Aus diesem Prozess sind einige Standardprodukte und Standarddienstleistungen hervorgegangen, die auf den gro ßen islamischen Finanzmärkten Malaysia und Saudi-Ara bien gleichermaßen als Scharia-konform angesehen und von den muslimischen Kunden akzeptiert werden. Spezial produkte und individuelle Dienstleistungen erhalten mit unter auf einem Finanzplatz ein Zertifikat, während es ihnen woanders verweigert wird. Wie die Zertifizierung in verschiedenen muslimischen Regionen gehandhabt wird, hängt oftmals davon ab, wie streng und buchstabengetreu die Vorschriften der Scharia ausgelegt werden. Die Scharia-Kommissionen entscheiden auch darüber, ob die Güter, die hinter den Finanzgeschäften stehen, nicht als „unethische“ Güter anzusehen sind. Auch hier sind prag matische Lösungen üblich, etwa wenn in ein Handelsunter nehmen investiert werden soll, das seine Verkaufsflächen im Nebengeschäft auch an Restaurants mit Alkoholaus schank vermietet. Die Scharia-Kommissionen legen für sol che Fälle mitunter einen maximal zulässigen Anteil der Wertschöpfung fest, den ein Scharia-konformes Unterneh men mit unethischen Gütern erwirtschaften darf. Die Regulierungsbehörden beaufsichtigen nach deutschen Normen Islamische Banken, die sich in Deutschland ansiedeln wol len, finden hier ein rechtssicheres Regulierungsumfeld vor, das solide und marktorientiert ist. Islamische Finanzpro dukte unterliegen der üblichen Banken- und Finanzmarkt regulierung. Sie können so ausgestaltet werden, dass sie dem deutschen Rechtssystem entsprechen. Ausgesprochene Regulierungshindernisse beim Marktzu tritt bestehen somit nicht, doch ist die Regulierung nicht auf die Besonderheiten islamischer Finanzprodukte zuge schnitten. Es bestehen Wettbewerbsnachteile beispielsweise dadurch, dass viele Finanzgeschäfte mit Immobilien unter legt werden müssen und aus mehreren Kaufverträgen bestehen, die einzeln der Grunderwerbssteuer unterfallen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) veranstaltete im Juni 2012 ihre zweite Konferenz zu islami schen Finanzdienstleistungen. Wenn Banken islamische Finanzprodukte anbieten, müssen sie mehr als bei konven tionellen Produkten materielle Vermögenswerte erwerben M O N AT S B E R I C H T 2 - 2 0 1 4 und wieder verkaufen. Die damit verbundenen Risiken müssen korrekt bewertet und kompensiert werden. Nur am Rande ging es bei der Konferenz um Regulierungsfragen. Besteht Marktpotenzial auch in Deutschland? Bisher offenbar kaum Beurteilt nach demografischen Parametern, sind die Ent wicklungschancen für islamische Finanzprodukte in Euro pa gering. In der EU leben etwa 14 Millionen Muslime, das sind weniger als drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die deutsche Auslandshandelskammer (AHK) in den Vereinig ten Arabischen Emiraten geht jedoch davon aus, dass die etwa vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime, darunter 2,8 Millionen Muslime türkischer Herkunft, über ein Vermögen von 25 Milliarden Euro verfügen. Die AHK sieht darin ein erhebliches Marktpotenzial. Die AHK schätzt ein, dass – im Gegensatz zu den britischen Banken – keine der deutschen Banken über ein Produkt portfolio verfügt, das auf muslimische Retail-Kunden zu geschnitten ist. Für institutionelle Investoren hingegen namentlich aus der Golfregion werden in Deutschland europäische islamische Investmentfonds angeboten. Die Deutsche Bank Group unterhält die DWS Noor Islamic Funds auf Basis von Edelmetallen. Bis zum Dezember 2012 bestand ein Alliance Global Investors Islamic Fund. Auch die Anteile des luxemburgischen Meridio Islamic Fund wur den in Europa gehandelt, allerdings nur bis Dezember 2011. Scharia-konforme Bundesanleihen sind nicht ernsthaft denkbar Die Regierung von Malaysia legt seit Juni 2002 Staatsanlei hen auf, die in allen wirtschaftlich bedeutenden muslimi schen Staaten als Scharia-konform gehandelt werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) untersuchte 2008 die Vor- und Nachteile islamischer gegenüber herkömmlichen Staatsanleihen4. Für deutsche öffentliche Anleihen würde kaum einer der möglichen Vorteile zum Tragen kommen. 4 MF Policy Discussion Paper PDP/08/3. 6 Diese bestehen vor allem in einem flexibleren Schulden management mit einer breiteren Investorenbasis. Nachteile entstehen vor allem aus der beschränkenden Anforderung, dass Scharia-konforme Anleihen mit Gütern zu unterlegen und damit eigentlich nur zur Finanzierung konkreter öffent licher Investitionsprojekte geeignet sind. Prominentes Beispiel für eine Scharia-konforme öffentli che Anleihe ist das Ijara-Wertpapier des Bundeslandes Sachsen-Anhalt aus dem Jahre 2004. Das Emissionsvolu men betrug etwa 100 Millionen Euro bei einer flexiblen Rendite von einem Basispunkt über dem EURIBOR (anstel le von damals 17 Basispunkten für herkömmliche Landes anleihen). Im Zusammenhang mit der Emission wurden die Nutzungsrechte an Gebäuden im Landeseigentum an ein niederländisches Sondervermögen (special purpose vehicle) verkauft und von diesem als Ijara-Anleihe refinanziert. Während der Laufzeit von fünf Jahren mietete das Bundes land die Gebäude zurück. Danach übernahm das Bundes land die Nutzungsrechte wieder und löste die Anleihe ab. Das Wertpapier wurde an der Luxemburger Börse gehan delt. Ob sich islamische Investoren am Handel beteiligt haben, ist nicht bekannt. Ausblick Anfang 2010 wurde in Großbritannien ein Gesetz erlassen, das die Emission islamischer Anleihen ohne steuerliche Nachteile ermöglicht. Bereits seit 2003 sind islamische Immobilienfinanzierungen teilweise von der Grunder werbsteuer befreit, von der sie wegen der verkoppelten Kaufverträge besonders betroffen waren. Ähnliche Maßnahmen wären in Deutschland erst in Betracht zu ziehen, wenn abzusehen ist, dass sich Frankfurt zu einem bedeutenden Zentrum für islamische Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen entwickelt. Kontakt: Dr. Robert Säverin Referat: Außenwirtschaftspolitik