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stern.de - 29.6.2004 - 16:53
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Siamesische Zwillinge
Die Reise ihres Lebens
Lea und Tabea sind siamesische Zwillinge. Ihre Eltern
Nelly und Peter sind gläubige Christen, eine Abtreibung
kam für sie nie in Frage. Nun stehen sie vor einer
weiteren harten Probe: Der Operation in den USA.
Viele hätten abgetrieben. Nelly konnte nicht. Abtreibung,
sagt die junge Frau aus Westfalen, wäre Mord an meinen
Kindern gewesen. Im August vergangenen Jahres kamen ihre
siamesischen Zwillinge Lea und Tabea zur Welt. Die
nächsten Monate werden Nelly und ihr Mann Peter mit den
Kleinen in Baltimore leben - leben müssen. Denn dort, an der
Ostküste der USA, arbeitet der Mann, dem sie zutrauen, ihre
Kinder zu trennen: der Neurochirurg Benjamin Carson vom
Johns Hopkins Hospital. Der stern hat die Familie nach
Amerika begleitet
© Anne Schönharting
Viererbande: Peter und Nelly mit Lea und Tabea
So Gott will
VIP-Flug über den Atlantik
Mit vier voll gestopften Koffern und neun Einmachgläsern mit pürierter Suppe für die Babys geht es im Lufthansa-Jet von
Frankfurt nach Washington. Über dem Atlantik werden die noch zahnlosen Zwillinge mit Gemüsebrei aus Silberfolienschälchen
gefüttert, zum Nachtisch bekommen sie Joghurt und süße Brötchenkrümel. Lea und Tabea sind sichtlich zufrieden mit dem
Service und ihrem Zimmer zehntausend Meter über der Erde. Protestgeschrei gibt es nur, als die Maschine holpernd auf dem
Flughafen der US-Hauptstadt aufsetzt.
Den ersten Tag in ihrem neuen Zuhause im eine Autostunde entfernten Baltimore verschlafen die zehn Monate alten Mädchen
seelenruhig. Die Eltern beneiden die Kinder, denn sie selbst fühlen sich einsam und fremd - in einer Welt, deren Sprache sie bis
auf ein paar Worte nicht verstehen. Sie reden miteinander, sie beten.
Die ersten Untersuchungen
Das neue Spielzeug in ihrem Bett gefällt den Zwillingen:
grüne Beatmungsbeutel aus Latex und durchsichtige
Plastikschläuche. Das fühlt sich anders an als
Stoffbilderbücher und Holzrasseln. Lea und Tabea sind so
fasziniert von den Narkoseutensilien, dass sie das Piepsen der Überwachungsmonitore im Aufwachraum des Johns Hopkins
Hospital und die Infusionsleitungen nicht weiter stören.
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Händen"
Sie murren auch nicht, als Schwester Cathy mit Schmetterlings-T-Shirt und voluminösem 70er-Jahre-Brillengestell die
intravenösen Zugänge zieht und bunte Kinderpflaster mit Löwen und Zebras auf die Einstichstellen klebt. Nelly und Peter sind
erleichtert, dass ihre Töchter die ersten Untersuchungen so gut überstanden haben. "So stark, wie die sind, das ist schon super",
sagt Nelly, als sie nach acht Stunden endlich zu den beiden darf. "Ich hätte nicht gedacht, dass sie die Narkose gut wegstecken.
Das war nach den Untersuchungen im Januar in Bielefeld anders. Da haben sie nach dem Aufwachen stundenlang gewinselt wie
junge Hündchen."
Aber die 26-Jährige ist sich auch darüber im Klaren, dass es bei der nächsten Zwischenstation auf dem Weg zur großen
Trennungsoperation, der Hauterweiterung, schwieriger werden wird. Für alle. Da bleiben Fluchtgedanken nicht aus. "Ich überlege
schon manchmal für kurze Augenblicke, einfach mit Peter und den Kindern, so wie sie sind, wieder ins Flugzeug zu steigen und
nach Hause zu fliegen", sagt die Mutter. "Obwohl ich glaube, dass wir den richtigen Weg für unsere Töchter eingeschlagen
haben."
Endlich Alltag
Sie spielen mit ihren Kindern, kochen, kaufen ein - nach wochenlangem Stress ist endlich mal beinahe ganz normaler Alltag
eingekehrt. Wenn die Mädchen schlafen, lesen Nelly und Peter in den Büchern, die sie sich aus Deutschland mitgebracht haben:
"Warum ich heute noch glaube" von Philip Yancey und Elisabeth Elliots "100 Ermutigungen". Oder Nelly blättert in Koch- und
Backzeitschriften.
Mit ihrem Ford Explorer und den schlafenden Kindern auf dem Rücksitz erkunden sie die Stadt, in der der Dichter Edgar Allan
Poe lange gelebt hat. Sie fahren am Inner Harbor mit seinen Cafés und dem National Aquarium entlang und am Baseballstadion
der Orioles. Anschluss an die anderen Familien im Children's House findet das Ehepaar nicht. Und sucht ihn auch nicht. "Weil
wir ihre Sprache nicht sprechen", wie Peter bedauert.
Expander für die Kopfhaut
Ihre kleinen, sonst so hübschen Gesichter sind verquollen. Die Schnitte, die die plastischen Chirurgen in die Kopfhaut gemacht
haben, um die Expander für die Hauterweiterung darunterschieben zu können, sind zwar mit weißem Pflaster zugeklebt. Doch die
kleinen Köpfe von Lea und Tabea sehen trotzdem ziemlich ramponiert aus. Nelly und Peter bemerken das alles nicht. Sie sind
glücklich, am frühen Mittwochnachmittag wieder bei ihren Kindern sein zu dürfen, im Aufwachraum im 7. Stock des Johns
Hopkins Hospital.
In den ersten Minuten sind die Mädchen noch zu schwach zum Weinen. Dann beginnt das Wimmern und Schluchzen. Und immer
wieder schreien sie laut auf. Stundenlang dauert das, nur mit kurzen Unterbrechungen. Liebevoll streicheln Nelly und Peter ihre
Töchter, halten sie fest, summen leise Kinderlieder. Auch noch in der Nacht auf der Kinderstation ein Stockwerk tiefer. "Ich habe
nicht damit gerechnet, dass die Kinder seelisch und körperlich so angegriffen sein würden nach diesem Eingriff", sagt Nelly leise.
"Die beiden haben nicht nur Schmerzen. Sie haben Angst, sie sind in Panik. Das schockt. Es tut weh, die beiden so zu sehen."
An die große Trennungsoperation im September will die 26-Jährige in diesem Augenblick lieber nicht denken. Aber sie glaubt
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auch, dass es keinen anderen Weg für Lea und Tabea gibt.
Anette Lache, Frank Ochmann
Meldung vom 26. Juni 2004
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