Vom Schicksal geküsst….
Transcrição
Vom Schicksal geküsst….
Text & Fotos: Annie Carparelli „Wenn ich voll bin, fühl ich mich vom Schicksal geküsst. Ich kann alles sein und alles tun. Oft schreibe ich mir Ideen auf, denke daran eine Band zu gründen, solche Sachen. Ich bin dann der King. Doch wenn ich wieder nüchtern werde, ist das als würde mich die Realität mitten ist ins Gesicht schlagen! All der Scheiß, den ich gebaut hab ist dann wieder da. Also versuche ich schnell wieder voll zu sein. Logisch.“ Daniel*, 18 Jahre alt. Seit 3 Jahren Cannabis- und Alkoholabhängig. Wodka, Bier oder Gras. Fast jedem Deutschen sind diese Drogen bekannt. Doch kaum jemand weiß, was sie wirklich anrichten. Vor allem bei Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen. Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 42.000 und 74.000 Menschen an den Folgen von Alkohol oder illegaler Drogen. Denn der Weg aus der Sucht ist vor allem in jungen Jahren schwer. Hannover – Deutsche Teenager haben im Durschnitt ihren ersten Vollrausch mit 14 Jahren. Am Wochenende trifft man sie. Meist schon bevor der Abend vorbei ist, sind sie volltrunken oder zu gedröhnt. Mit Wodkaflaschen in der Hand stehen sie Schlange vor den Discos, sind ausgelassen und laut. In Deutschland scheint dieses Bild zur Normalität zu gehören. Leute gehen vorbei, mancher schüttelt den Kopf oder ruft:“ Habt ihr kein Zuhause?“ Doch sie haben sehr wohl ein zu Hause. Und genau dort sitzen oft besorgte Eltern, die einer weiteren, schlaflosen Nacht entgegen zittern. Manchmal wird Ihr warten, durch einen unangenehmen Anruf aus dem Krankenhaus gestört. Alle elf Minuten kommt in Deutschland ein Jugendlicher im Alter zwischen 15 und 25 wegen Cannabis- oder Alkoholkonsums ins Krankenhaus. Allein etwa 300 Teenager werden pro Jahr wegen Alkoholvergiftungen in der Region Hannover ins Krankenhaus eingeliefert. Dort angekommen sind oft, alle Beteiligten mit der Situation überfordert. Dann ist der Einsatz der Mitarbeiter des HaLT-Projekt gefragt. HaLT das bedeutet Hart-am-Limit und richtet sich an Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum. Samstags und sonntagsmorgens rufen HaLT-Mitarbeiter in den Kliniken an und erkundigen sich den Jugendlichen die eine Alkoholvergiftung erlitten haben. Nachdem das Einverständnis der Eltern vorliegt, fahren sie los. Jenny Lehnert, Dipl. Sozialpädagogin von der Drogenberatungsstelle prisma e.V. ist eine von ihnen. In einem sogenannten Brückengespräch, versucht sie die Teenager aufzuklären und ihnen bewusst zu machen, was die Nacht zuvor schief gelaufen ist. “Einige wollen damit nicht konfrontiert werden, anderen hingegen wollen es aufarbeiten. Dann machen wir mit Ihnen einen Risikocheck. Dabei sollen sie lernen entsprechende Schutzmaßnahmen vorzunehmen, bevor sie mit Alkohol ihre Grenzen überschreiten“, erklärt sie. Doch eine Sicherheit für die Zukunft ist das nicht. „Wir sind realistisch und wissen, dass sie sich dem Alkohol wieder zuwenden. Doch dann tun sie das in einer aufgeklärten Art und Weise“, erzählt sie. Oft trifft Jenny Lehnert im Krankenhaus auch auf Eltern, die am Ende ihrer Kräfte sind. „Wir versuchen die Eltern zu beruhigen, geben ihnen Tipps, wie sie in so einer Situation am besten reagieren können.“ Delmenhorst – Auch Ursula Schaffhausen war 1997 am Ende ihrer Kräfte und suchte Hilfe. Diese fand sie, nach einem Besuch in der Beratungsstelle, in einer Gruppe des Landesverbandes der Elternkreise Drogenabhängiger und -gefährdeter Niedersachsen e.V. Heute ist Frau Schaffhausen die 1. Vorsitzende, des 1986 in Hannover gegründeten, Verbandes. Sie kennt die Verzweiflung von Eltern, die merken, dass ihr Kind suchtkrank ist. Doch sie weiß, nicht nur das eigene Kind braucht Hilfe, sondern auch die Eltern: „Ich dachte damals, ich bin nicht alleine. Für die Eltern ist es gut, mit jemandem zu sprechen der sie versteht, vor dem sie sich nicht erklären brauchen.“ Im Austausch mit anderen können sich die Eltern fallen lassen und ihre Ängste besprechen. Wer etwas in den Elternkreis bringt, weiß, dass es da sicher ist. “Die Eltern befinden sich in einem geschützten Rahmen. Wir sprechen uns nur mit dem Vornamen an, die Anonymität ist gewährt “, erklärt die Vorsitzende. Der Landesverband bietet auch Seminare an. „Wenn die Eltern kommen, sind sie oft voll mit Sorgen. Wir versuchen ihnen zu vermitteln, wie wichtig es ist, sich nicht hängen zu lassen. Das ist vor allem schwierig, wenn sie ganz unten sind.“ In den Seminaren können Eltern unter anderem lernen wie sie mit ihrem Kind am besten umgehen, was eine Sucht neurologisch verändert und sich über Therapiemöglichkeiten und Einrichtungen informieren. Braunschweig – Diesen Weg sind auch Britta und Hartmut Gießel * gegangen. Das Ehepaar hielt das Verhalten ihres Sohnes Fabian* lange Zeit für eine Phase. Doch eines Tages rief das Jugendamt an. Ihr Sohn war seit Wochen nicht mehr in der Schule gewesen. „Das war der Punkt, an dem ich wusste, wir müssen jetzt handeln“, erzählt Britta ergriffen. Fabian hatte sich verändert. Immer öfter blieb er über Nacht weg. Oft lag das Paar wach im Bett und tat kein Auge zu. Wenn er dann da war, verkroch er sich in sofort in sein Zimmer. „Ich hab oft versucht mit ihm zu reden, ihm zu sagen, dass wir uns große Sorgen machen aber er knallte seine Tür zu oder schaute auf den Boden“, erzählt sie. Auch körperlich veränderte er sich stark. „Irgendwann bemerkte ich, dass er starke Augenringe hatte und immer dünner wurde“, erinnert sich Hartmut. Der Anruf vom Jugendamt ist zwei Jahre her. Britta und Hartmut sind sichtlich nervös, als sie in das Auto steigen. Sie lächeln sich noch einmal an, dann startet der Motor und ihre Reise ins Ungewisse beginnt. Heute holen sie Fabian nach 5 Monaten aus der Sucht-Klinik in Sachsen ab. Sie hoffen das Ganze hat sich diesmal gelohnt und ein gesunder Sohn steigt nachher in ihr Auto. Es ist die dritte Klinik, die dritte Therapie und das dritte Mal „Achterbahn der Gefühle“. Als Hartmut aus dem Auto steigt, sagt er: „Dann wollen wir mal, alle guten Dinge sind drei!“. Sie sind guter Dinge, denn diesmal war Fabian freiwillig gegangen. Hannover – Das Teen Spirit Island ist eine der wenigen stationären Therapiestationen für suchtkranke Kinder und Jugendliche in Deutschland. Seit 1999 werden hier Jugendliche stationär behandelt. Die im Hundertwasser-Design erbaute Station bietet 18 Therapieplätze. Seit 2010 werden hier auch deutschlandweit erstmals Mediensüchte behandelt. Dr. Frank Fischer ist hier Oberarzt und sieht den Erfolg des Teen Spirit Island eindeutig in dem umfassenden Konzept und der Vernetzung zu regionalen Einrichtungen. Er weiß, dass einer Sucht viele Faktoren vorangehen: „Wir haben hier nur Patienten die eine hohe Komorbidität haben d.h., sie sind z.B. depressiv, traumatisiert oder sozialphobisch. Die Sucht dient dann sozusagen zur Selbstmedikation.“ Etwa 80 % der Teenager haben nach ihrer Entlassung wieder einen regulierten Umgang mit Drogen oder leben in Abstinenz. Doch Rückfälle sind realistisch. „Ich würde schon sagen, dass der Rückfall bei vielen noch dazugehört, wichtig ist, dass sie dann wissen, wie sie damit umzugehen haben“, erklärt Dr. Fischer. Wer hier aufgenommen wird, durchläuft ein 3-Phasen-Programm, das mit einem Entzug beginnt. In kleinen Schritten erfolgt eine Wiedereingliederung in alltägliche Leben. „Am Ende gehen sie von der Station aus wieder ins normale Leben zurück. Aber dann nicht in das gleiche Milieu vom dem sie kommen. Wir suchen für sie hier in Hannover ein neue Schule oder ein Praktikum. Die Sozialarbeiter begleiten das.“ Durch den freien Zugang zu Drogen, wie Alkohol wird es immer schwer sein Jugendliche an den angemessenen Konsum heran zu führen. Ursula Schaffhausen, Dr. Fischer und Jenny Lehnert sind für die Erhöhung der Altersgrenzen für den Verkauf von Alkohol und gegen die Legalisierung von Cannabis. Denn vielleicht können dann Eltern wie Britta und Hartmut Gießel endlich wieder in Ruhe schlafen. *Namen geändert. Quellen und Infos: www.drogenberatungprisma.de www.led-nds.de www.tsi-hannover.de/teen-spirit-island/ www.bzga.de www.halt-projekt.de/ www.kenn-dein-limit.de/ www.realize-it.org www.quit-the-shit.net www.null-alkohol-voll-power.de www.elternberatung-sucht.de Unterstützung: „Teen Spirit Island Projelte“ AUF DER BULT Spendenkonto 1818, Bank für Sozialwirtschaft Hannover BLZ: 251 205 10 Kennwort: Teen Spirit Island Projekte